Robert Silverberg Das Ultimatum

Colonel Wharton umfaßte das Solido fest mit Daumen und Zeigefinger und starrte in seine schimmernden Tiefen. Langsam stieg in seinem Gesicht Farbe hoch. Das Solido zeigte ein Raumschiff von unverwechselbar fremder Konstruktion, das in einer Landeumlaufbahn auf die Oberfläche des unbewohnten, auf terranischen Karten als Bartlett V verzeichneten Planeten hinabsank. Bartlett V war ein terranischer Beobachtungs-Vorposten. Eine Landung fremder Wesen stellte einen Eingriff in die Souveränität Terras dar. Colonel Dean Whartons Gesicht verfinsterte sich. Er starrte den blassen, nervösen Leutnant Crosley an und fragte: »Wann ist das aufgenommen worden?«

»Vor etwa einer Stunde, Sir. Sie waren aber im Tiefschlaf, und wir dachten nicht — «

»Nein, ihr habt nicht gedacht«, unterbrach Wharton ätzend. »Na gut, heraus mit dem Rest der Geschichte. Ihr habt das Schiff gewarnt, hoffe ich.«

Crosley nickte.

»Wir haben auf allen Kanälen in Terranisch, Allgemein-Galaktisch, Dormirani, Leesor und Fawd ausgestrahlt. Wir haben dieselbe Mitteilung in allen Sprachen hinausgeschickt — daß das ein terranischer Beobachtungs-Vorposten ist, daß sie hier ohne vorherige Genehmigung nicht landen können, daß sie sofort abfliegen müssen. Inzwischen war die Landung abgeschlossen. Wir schätzen ihre Position ungefähr hundertzwanzig Meilen nordöstlich von hier, auf dem Creston-Plateau.«

»Und, habt ihr eine Antwort bekommen?«

»Vor ein paar Minuten. In einem fawdesischen Dialekt, wie Breckenridge sagt. Sie erklärten praktisch, daß sie zum einen die terranische Souveränität über diesen Planeten nicht anerkennen, und daß sie zum anderen hergekommen seien, um wissenschaftliche Beobachtungen anzustellen. Sie würden in ein, zwei Wochen, nach deren Abschluß, wieder abfliegen.«

»Und was habt ihr darauf erwidert?«

»Nichts, Sir«, sagte Crosley. »Ich habe erfahren, daß Sie aus dem Tiefschlaf kommen, und deshalb — «

» — und deshalb die Verantwortung mir zugeschoben. Gut, Leutnant.

Ah Ihrer Stelle hätte ich es genauso gemacht. Holen Sie Breckenridge.«

»Jawohl, Sir.«

Wharton schüttelte den Kopf, als der Leutnant gegangen war. Die jungen Leute wußten nach einem Jahrhundert galaktischen Friedens nicht einmal mehr, was Krieg überhaupt war. Und ein paar Fremdwesen glaubten, hier einfach landen zu können. Wharton seufzte. Er spürte sein Alter. Er war fast hundertfünfundzwanzig; mit hundertdreißig mußte man in den Ruhestand treten. Und er schaffte es auch jetzt nur noch mit täglich eineinhalb Stunden Tiefschlaf.

Captain Breckenridge kam herein. Der Linguist war klein und stämmig, mit unregelmäßigen Gesichtszügen und struppigen roten Haaren.

»Sir?«

»Breckenridge, Sie sagen, das Schiff hat sich in Fawdesisch gemeldet?«

»In einem fawdesischen Dialekt, Sir.«

»Das meine ich. Woher kommt das Schiff? Die Fawd-Konföderation wird sich hüten, hier zu landen. Es sei denn, man wollte einen Krieg provozieren.«

»Das sind keine Fawd, Sir. Sie sprechen nur einen Fawd-Dialekt.«

»Gut, gut, aber ich möchte wissen, wo sie herkommen.«

»Ich kann nur eine Vermutung aufstellen: Vom westlichen Ausläufer des fawdesischen Sprachsektors; das ergibt sich aus der Aussprache. Da gibt es drei fawdesisch sprechende Rassen: die Cyross, die Halivanu und die Dormuni. Die Cyross sind keine Technologen und können noch jahrhundertelang keine Schiffe so weit fortschicken. Die Dormuni sind Nichtkriegführende passiven Widerstands. Sie würden auch keinen Ärger haben wollen. Bleiben noch die Halivanu. Die Legenden über sie kennen Sie ja — «

»Legenden. Mehr ist es nicht.«

»Sie sind gut dokumentiert. Man hat bewiesen, daß — «

»Nichts ist bewiesen, Breckenridge! Hören Sie? Gar nichts ist bewiesen.« Wharton stand auf. »Mich interessiert nicht, von seltsamen Kräften zu hören, die die Halivanu besitzen sollen; mich interessiert nur, sie von diesem Planeten fortzubekommen, und zwar schnell. Kommen Sie mit in den Nachrichtenraum. Ich werde sie auf der Stelle auf Trab bringen.«

Es gab alle möglichen Legenden über die Halivanu, gestand sich Wharton mürrisch ein, als sie die Lichtung überquerten und den Kommunikationsraum betraten. Raumfahrer aus dem Sektor Fawd hatten Geschichten über Mentalvampire mitgebracht, die den Geist eines Menschen heraussaugen konnten, und ähnlich grausige Märchen. Aber nie war etwas bewiesen worden. Die Halivanu waren introvertierte Humanoide, die mit dem Rest des Universums wenig zu tun hatten, für sich blieben und keine Verbindung nach außen suchten.

»Stellen Sie Kontakt mit dem Schiff her«, befahl Wharton.

Funker Marshall drehte an einigen Knöpfen. Wenig später hob er den Kopf und sagte: »Ich bringe sie nicht dazu, sich zu melden, Sir.«

»Macht nichts. Die hören zu, keine Sorge. Breckenridge, Sie verstehen den Dialekt besser als ich. Nehmen Sie das Mikro und sagen Sie ihnen, daß sie sich unbefugt auf terranischem Gebiet aufhalten und daß sie genau — äh, sagen wir, drei Stunden — drei Stunden Zeit haben, zu starten. Andernfalls sehen wir uns gezwungen, ihre Landung als Kriegshandlung zu betrachten.«

Breckenridge nickte und begann zu sprechen. Wharton stellte fest, daß er das meiste verstehen konnte. Als Breckenridge fertig war, blieb es eine Minute still.

»Wiederholen«, sagte Wharton.

Breckenridge gab das Ultimatum ein zweites Mal durch. Wieder Stille. Fast zwei Minuten vergingen. Wharton wollte schon eine neuerliche Wiederholung anordnen, als der Lautsprecher knackte und in trockenem, schnarrendem Ton sagte: »Eritomor — « Das war fawdesisch für ›Erd-Bewohner‹. Einen Augenblick später folgten noch mehr fawdesische Worte, langsam und bedächtig gesprochen. Whartons Gesicht wurde hart. Der Sprecher der Halivanu erklärte höflich, man habe keinen Grund, abzufliegen, weil die Freie Welt von Halivanu den Anspruch Terras auf diese unbewohnte Welt nicht anerkenne. Man wolle den Planeten jedoch nicht für sich beanspruchen, sondern nur bestimmte Sonnenbeobachtungen über einen Zeitraum von neun oder zehn galaktischen Standard-Tagen anstellen, um dann gerne wieder abzufliegen.

Am Schluß sagte Breckenridge: »Sie erklären, daß sie unseren Anspruch nicht anerkennen, und — «

Wharton hob ungeduldig die Hand.

»Schon verstanden, Leutnant.« Er griff nach dem Mikrofon und sagte in stockendem Fawdesisch: »Hier spricht Colonel Dean Wharton. Wenn Sie hier Sonnenbeobachtungen vornehmen wollen, müssen Sie das auf diplomatischem Wege beantragen. Ich bin nicht befugt, Landungen zu genehmigen, und deshalb muß ich Sie ersuchen — «

Eine Stimme aus dem Lautsprecher unterbrach ihn.

»Eritomor — vor held d’chayku hon derinilak — «

Es war dieselbe Mitteilung, die der Halivanu-Sprecher vorher übermittelt hatte, genauso langsam und tonlos, als sei sie an ein ungezogenes Kind gerichtet. Wharton wartete verärgert, bis der Halivanu fertig war, und wollte etwas sagen, als die Antwort zum drittenmal kam.

»Das ist ein Tonband«, murmelte Marshall. »Sie haben die Enden zusammengeklebt, und es wiederholt sich endlos.«

Nach der zehnten Wiederholung ließ Wharton abschalten. Mit Funk-Ultimaten war offensichtlich nichts zu erreichen. Die Halivanu hörten einfach nicht zu. Man mußte einen Emissär hinschicken, der persönlich erläuterte, worum es ging. Und wenn das nicht half —

»Alarmstufe Rot«, sagte Wharton. »Wir machen uns lieber kampfbereit. Für alle Fälle.«


Die siebenunddreißig Mann des Vorpostens Bartlett V nahmen ihre Kampfposten mit offenkundiger Begeisterung ein. Für die meisten war eine feindliche Invasion, selbst wenn es sich nur um ein einziges Schiff handelte, eine willkommene Abwechslung.

Colonel Wharton verspürte nichts von dieser Begeisterung. Er war alt genug, um zu wissen, was ein Krieg bedeutete — als Rekrut hatte er 2716 am Ende des Konflikts zwischen Terra und Dormiran teilgenommen; das lag knapp über hundert Jahre zurück. Seitdem hatte es in der Galaxis keinen Krieg mehr gegeben. Keiner von seinen Leuten wußte, was ein galaktischer Krieg bedeutete. Im Weltraum aufgeschlitzte Schiffe, wie zerlegte Fische, ganze Kontinente verwüstet, eine ganze Generation junger Männer ausgelöscht — nein, der Krieg war von keiner Warte aus schön.

Das Schlimmste an dieser Situation jetzt aber war, daß die ganze Verantwortung bei ihm lag. Die schnellste Hyperradiomeldung zur Erde würde einen Monat, die Antwort ebensolange brauchen. Die Entscheidung lag also klar bei ihm. Wenn die Halivanu daVauf bestanden, zu bleiben, konnte er wählen, sie entweder vom Planeten zu sprengen und wahrscheinlich einen Krieg auszulösen, oder sie bleiben zu lassen und damit dem ganzen Universum eine Einladung zu schicken, terranische Welten zu besetzen. Keine angenehme Wahl.

Breckenridge kam herein.

»Was gibt es?«

»Ich möchte mich freiwillig als Emissär melden, Sir. Ich glaube, ich bin dafür am besten geeignet.«

Wharton nickte.

»In Ordnung, Captain. Smithson soll Ihnen einen Jetschlitten geben. Sie fahren sofort.«

»Besondere Anweisungen?«

»Wiederholen Sie zunächst das Ultimatum. Machen Sie ihnen klar, daß wir schießen müssen, wenn sie nicht in zwei Stunden verschwinden. Erklären Sie, daß wir nicht anders können, daß das unsere Aufgabe ist und die Verantwortung deshalb allein bei ihnen liegt.«

»Verstanden, Sir.«

»Gut. Nicht aufregen, nicht drohen — nur klarmachen, daß uns die Hände gebunden sind. Verdammt, ich will doch nicht auf sie schießen, aber ich werde es tun, wenn es sein muß — und es muß sein, wenn sie hierbleiben. Sagen Sie ihnen, daß sie Sonnenbeobachtungen machen können, soviel sie wollen, wenn sie nur den üblichen Weg gehen.«

Breckenridge nickte. Auf seiner Stirn standen Schweißtröpfchen.

»Das ist meine Aufgabe. Ich ziehe nicht zurück.«

»Sie machen sich Sorgen wegen der verrückten Dinge, die Sie gehört haben. Ich kann fast Ihre Gedanken lesen.«

»Die Geschichten sind — nichts als Geschichten, Sir«, sagte Breckenridge. »Nur Unsinn. Kann ich jetzt gehen, Sir?«

»Sie sind ein tüchtiger Mann«, sagte Wharton lächelnd. »Abtreten.«

Mit dem Jetschlitten würde Breckenridge über eine Stunde zu dem fremden Schiff brauchen; eine halbe Stunde für die Unterhandlungen, dachte Wharton, und eine gute Stunde für die Rückkehr. Insgesamt drei Stunden. Wenn Breckenridge Erfolg hatte, würden die fremden Wesen etwa zu der Zeit starten, zu der Breckenridge zurückkam. Wenn, dachte Wharton. Er stand lange vor dem Radarschirm, auf dem das fremde Schiff und Breckenridges Schlitten als Pünktchen zu sehen waren, dann beschäftigte er sich mit Routinearbeiten. Er sehnte sich nach dem Tiefschlaftank, ermahnte sich aber streng, daß er ihn für heute schon gehabt hatte.

Die Schatten des Nachmittags wurden länger. Bartlett V war eine Welt ohne Mond, und die Nacht brach schnell herein. Die kleine Sonne kippte eilig zum Horizont und warf orangerotes Licht auf die leeren, nackten Ebenen. Der Radarschirm zeigte, daß Breckenridge jetzt auf dem Rückweg war.

Er kam vier Stunden nach Abfahrt zurück. Das Halivanu-Schiff stand immer noch auf der Ebene.

»Also?« sagte Wharton.

Breckenridge lächelte schwach.

»Alles vereinbart, Sir. Sie starten nächste Woche, sobald ihre Beobachtungen abgeschlossen sind.«

Wharton setzte sich abrupt.

»Was haben Sie gesagt?«

»Ich habe mich bereit erklärt, sie bleiben zu lassen, Sir.«

Wharton war wie vor den Kopf geschlagen.

»Sie haben sich bereit erklärt? Wie höflich von Ihnen! Aber ich dachte, ich hätte Sie hingeschickt, damit Sie ein Ultimatum stellen?«

»Gewiß, Sir. Aber ich habe es mit ihnen besprochen, und wir sind übereingekommen, daß es unvernünftig wäre, sie zu vertreiben, bevor sie ihre Beobachtungen abgeschlossen haben. Sie haben ganz eindeutig nichts Böses vor. Sie sind nicht einmal bewaffnet.«

»Breckenridge, haben Sie den Verstand verloren?«

»Sir?«

»Wie können Sie dastehen und mir so einen Unsinn erzählen? Ihre Ansicht über die Harmlosigkeit dieser Wesen ist unwichtig, und das wissen Sie. Sie sind hingeschickt worden, um ein Ultimatum zu überbringen, das war alles. Ich wollte Ihre Antwort.«

»Aber wir haben es besprochen, Sir. Es tut uns nicht weh, ein derart kleines Zugeständnis zu machen.«

»Breckenridge, haben die Wesen Ihnen Drogen gegeben? Sie reden wie ein Verrückter. Welches Recht hatten Sie — «

»Sie haben selbst gesagt, daß Sie lieber nachgeben und sie bleiben lassen würden, als einen Krieg anzufangen, Sir. Und da sie darauf bestanden, hierzubleiben, habe ich mich an Ihre Anweisungen gehalten und ihnen erklärt, das gehe in Ordnung, vorausgesetzt, daß sie abfliegen, sobald — «

»Meine Anweisungen?« brüllte Wharton. »Wann haben Sie mich so etwas sagen hören?«

»Na, kurz, bevor ich ging«, sagte Breckenridge unschuldig.

»Jetzt weiß ich, daß Sie übergeschnappt sind. Ich habe kein Wort davon gesagt, daß man ihnen Konzessionen machen darf. Und — «

»Ich bitte widersprechen zu dürfen, Sir, aber — «

Wharton rief seufzend seine Ordonnanz herein.

»Rogers, bringen Sie Captain Breckenridge zum Lazarett, wo er zu einer psychiatrischen Untersuchung festgehalten werden soll. Und schicken Sie Smithson zu mir.«

Smithson kam kurze Zeit später herein und blieb an der Tür stehen.

»Erzählen Sie mir, was zwischen Captain Breckenridge und den fremden Wesen vorgefallen ist«, sagte Wharton.

Smithson schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid, aber das kann ich nicht, Colonel. Ich bin nicht in dem fremden Schiff gewesen. Captain Breckenridge hat mich im Schlitten warten lassen.«

»Gut, Smithson, Sie können gehen.«

Als sich die Tür geschlossen hatte, ließ Wharton die Schultern sinken und preßte die Hände aufs Gesicht. Was konnte einen vernünftigen Mann wie Breckenridge dazu bewogen haben, so zu versagen? Wharton schüttelte den Kopf. Man erzählte sich viel von den geistigen Kräften der Halivanu, gewiß, aber das war alles Unsinn. Wharton drückte auf eine Taste. Die Ordonnanz kam herein.

»Schicken Sie mir sofort Leutnant Crosley.«

Crosley erschien fünf Minuten später. Es war fast schon Nacht. Der Leutnant wirkte noch blasser und verkrampfter als sonst.

»Wir haben Komplikationen, Leutnant«, sagte Wharton. »Übrigens zeichne ich dieses Gespräch auf.«

Crosley nickte.

»Komplikationen, Sir?«

»Ich habe Breckenridge am Nachmittag mit einem Ultimatum zu den fremden Wesen geschickt. Drei Stunden Frist zum Start, oder es wird geschossen. Statt dessen hat er ihnen erlaubt, hierzubleiben, bis ihre Beobachtungen abgeschlossen sind, und behauptet jetzt, auf meine Anweisung hin gehandelt zu haben.«

»Ich habe mich schon gefragt, warum er in die psychiatrische Station gekommen ist.«

»Jetzt wissen Sie’s. Ich will nicht so tun, als wüßte ich, warum er den Verstand verloren hat, aber ich weiß, daß wir sofort einen zweiten Mann hinschicken müssen.«

»Gewiß, Sir.«

»Ich möchte, daß Sie das übernehmen, Crosley. Nehmen Sie einen Mannschaftsdienstgrad mit und gehen Sie zu zweit in das fremde Schiff. Erklären Sie, daß der vorherige Bote keine Vollmacht hatte, daß nur Sie sie haben, daß sie bis Sonnenaufgang starten müssen, sonst wird geschossen.«

Crosley wirkte noch ein wenig blasser, hielt sich aber gut.

»Ich fahre sofort, Sir.«

»Wiederholen Sie, was Sie mitzuteilen haben.«

Der Leutnant tat es.

»Sie haben nicht zu verhandeln, Leutnant. Ist das klar?«

»Ja, Sir.«

»Sie überbringen das Ultimatum und gehen. Sie brauchen nicht unbedingt auf Antwort zu warten. Wenn Sie am Morgen noch nicht hier sind, gebe ich Feuerbefehl.«

»Ja, Sir.«

»Sie verstehen, was ich sage, ja? Sie werden mir nicht später erklären, ich hätte Sie zu Verhandlungen ermächtigt?«

Crosley lächelte.

»Gewiß nicht, Sir.«

»Na, dann los.«

Die Stunden vergingen. Man blies den Zapfenstreich, aber Wharton blieb wach und ging in seinem Büro hin und her. Sternenlicht drang durch seine Fenster. Wharton ballte die Fäuste und starrte in die Nacht hinaus.

Er bemitleidete Breckenridge. Es war furchtbar, den Kontakt mit der Wirklichkeit zu verlieren. Zu behaupten, etwas sei wahr, was offensichtlich falsch war. Die Untersuchung hatte nichts ergeben. Breckenridge glaubte felsenfest, daß er ermächtigt worden war, zu verhandeln. Schizophrenie, sagte der Psycho-Offizier.

Wharton konnte das nicht glauben. Er kam zu dem Schluß, daß die Halivanu mit ihm etwas gemacht hatten. Aber Breckenridge widersprach, und das EEG ergab keinen Hinweis auf Drogen oder Hypnose.

Draußen funkelte ein Licht. Wharton hörte den Jetschlitten dröhnen. Crosley kam zurück.

Ungeduldig stürzte Wharton hinaus. Die Nachtluft war kalt und frisch. Crosley und sein Fahrer stiegen aus dem Schlitten.

Sie salutierten, als sie ihn sahen. Er erwiderte den Gruß und fragte: »Schwierigkeiten gehabt?«

»Nein, Sir, aber wir haben ihn auch nicht gefunden«, erwiderte Crosley. »Wir haben stundenlang gesucht, aber — «

»Was, im Namen des Kosmos, quatschen Sie da?« sagte Wharton mit erstickter Stimme. »Sie haben wen nicht gefunden?«

»Na, Breckenridge, natürlich«, sagte Crosley. Er wechselte mit dem Fahrer einen besorgten Blick. »Wir sind, wie befohlen, weite Kreise gefahren, bis — «

Wharton wurde schwindlig.

»Was heißt, Sie haben Breckenridge gesucht?«

»Haben Sie uns denn nicht fortgeschickt, um ihn zu suchen? Er verirrte sich bei der Rückfahrt vom fremden Schiff, und wir erhielten Anweisung, ihn zu suchen. Sir? Sir, ist Ihnen nicht wohl?«

Kalte Finger schienen Whartons Herz zu umklammern.

»Kommen Sie mit herein, Crosley. Sie auch, Rodriguez.« Er führte sie in sein Büro und spielte die Bandaufzeichnung ab. Die beiden Männer hörten mit wachsender Verwirrung zu.

»Behaupten Sie jetzt immer noch, ich hätte Sie Breckenridge nachgeschickt?« fragte Wharton schließlich.

»Aber — ja — «

»Breckenridge schläft im Lazarett. Er hat sich nicht verirrt. Er kam vor ein paar Stunden zurück. Ich habe Sie fortgeschickt, damit Sie ein Ultimatum überbringen. Erkennen Sie Ihre eigene Stimme nicht, Crosley?«

»Sie klang nach meiner, ja. Aber — ich erinnere mich nicht — ich — «

Die weitere Befragung erbrachte nichts anderes. Die Bandwiedergabe verstörte Crosley nur. Er wurde immer blasser. Rodriguez bestätigte seine Angaben, daß sie in weiten Kreisen die Umgebung abgesucht hätten. Selbst als Wharton ihm versicherte, daß er ihren Weg auf dem Radarschirm verfolgt und sie direkt zum fremden Schiff und zurück hatte fahren sehen, schüttelten sie die Köpfe.

»Wir sind nicht beim Schiff gewesen, Sir. Unsere Befehle — «

»Gut, Leutnant. Gehen Sie schlafen. Sie auch, Rodriguez. Vielleicht bessert sich Ihr Gedächtnis bis morgen.«

Wharton konnte nicht schlafen. Zuerst Breckenridge, dann Crosley und Rodriguez. Sein Selbstvertrauen bekam die ersten Risse. Vielleicht war an den Geschichten über die Halivanu doch etwas Wahres dran.

Nein. Ausgeschlossen.

Aber wie war es sonst zu erklären, was seine Männer erlebt hatten? Schizophrenie war doch nicht ansteckend, oder? Man konnte einfach nicht akzeptieren, daß drei Männer zu den fremden Wesen gefahren und… verwandelt zurückgekommen waren.

Am Morgen wußte Wharton, was er zu tun hatte. Es ging ihm nicht mehr um die Souveränität Terras. Sie war wichtig, aber nicht so wichtig wie die Feststellung, was die Halivanu mit seinen Leuten gemacht hatten. Und das konnte er nur herausfinden, wenn er selbst hinging. Mit bestimmten Vorsichtsmaßnahmen.

Am Morgen ließ er Captain Lowell holen, einen seiner dienstältesten Offiziere.

»Lowell, ich fahre selbst zu den Halivanu. Sie befehligen den Stützpunkt, bis ich zurückkomme. Passen Sie gut auf: Ich lasse den Halivanu vier Stunden Zeit, zu starten. Wenn die vier Stunden abgelaufen sind, schießen Sie mit den Schwerzyklus-Geschützen, selbst wenn ich Ihnen Anweisung gebe, nicht zu feuern. Verstanden? Setzen Sie sich über meinen direkten Befehl hinweg, wenn es sein muß, aber schießen Sie das Schiff zusammen, wenn die Zeit abgelaufen ist.«

Lowell starrte ihn entsetzt an.

»Sir, ich verstehe nicht — «

»Brauchen Sie auch nicht. Hören Sie nur zu. Ich habe das Gespräch aufgezeichnet. Verwahren Sie das Band und spielen Sie es mir vor, wenn ich zurückkomme.«

Wharton ließ den völlig verwirrten Captain zurück und ging zum Schlitten. Smithson saß am Steuer.

Sie erreichten das Plateau, wo die Halivanu ihr Lager aufgeschlagen hatten, am späten Vormittag. Wharton sah Zelte um das fremde Raumschiff, und ein halbes Dutzend Wesen, die Instrumente aufstellten. Sie waren groß und schmal, mit grober, glänzender, graugrüner Haut. Als der Schlitten hielt, kam einer von ihnen auf Wharton zu.

»Euch Menschen muß es Spaß machen, uns zu besuchen«, sagte das Wesen. »Nach meiner Zählung sind Sie der dritte.«

»Und der letzte«, sagte Wharton. Er fröstelte unwillkürlich. Der Halivanu hatte einen seltsamen, süßlich-kranken Geruch. Wharton sah zu ihm auf; er war fast 2,10 m groß.

»Was haben Sie uns mitzuteilen?« fragte der Halivanu, und im selben Augenblick spürte Wharton die Berührung einer Feder in seinem Hinterkopf.

»Ich — was tun Sie?« Er legte die Hand auf den Hinterkopf — aber die Feder kitzelte noch immer — Und dann verflog seine Panik.

»Nun?« fragte das Wesen.

Wharton lächelte.

»Ich bin der terranische Kommandeur. Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, daß das in Ordnung geht. Sie können hierbleiben, bis Sie fertig sind.«

»Danke«, sagte der Halivanu ernsthaft. Er lächelte und zeigte schwarzes Zahnfleisch. Wharton erwiderte das Lächeln. »Ist das alles?«

»Ja. Ja, das ist alles«, sagte Wharton. Er sah Smithson an. »Sonst hatten wir doch nichts, oder, Smithson?«

Smithson zuckte die Achseln.

»Glaube nicht, Sir.«

»Gut. Dann fahren wir wieder zurück.«


Lowell begrüßte ihn, als der Jetschlitten in der Lichtung hielt.

»Alles gut gegangen, Sir?«

»Sehr gut«, sagte Wharton. »Bailey soll den Tiefschlaftank für mich herrichten, ja? Gott, ich kann Ruhe gebrauchen — so müde war ich schon lange nicht mehr.«

»Die Halivanu fliegen also ab?«

»Fliegen ab?« wiederholte Wharton verwirrt. »Warum sollten sie abfliegen? Sie haben doch mit ihrer Arbeit erst angefangen.«

»Aber — Colonel — «

»Ja, was ist?« knurrte Wharton gereizt.

»Sie haben Befehl hinterlassen — Sie sagten, nach Ablauf von vier Stunden sollten wir das Feuer auf die Halivanu eröffnen, wenn sie noch da wären.«

Wharton runzelte die Stirn und ging weiter.

»Das muß ein Irrtum sein, Lowell. Befehl widerrufen. Bailey! Bailey, richten Sie den Tank her!«

Lowell trat ihm in den Weg.

»Tut mir leid, Sir. Sie haben mich angewiesen, auch gegen Ihren direkten Befehl planmäßig vorzugehen.«

»Unsinn!«

»In Ihrem Büro befindet sich eine Bandaufzeichnung — «

»Ist mir egal. Die Halivanu haben die Genehmigung, hierzubleiben. Reden wir nicht von Auflehnung gegen meine direkten Befehle, ja?«

Auf Lowells Gesicht zeigten sich Flecken.

»Colonel, ich weiß, das klingt seltsam, aber Sie haben selbst darauf bestanden — «

»Und ich selbst widerrufe den Befehl! Muß ich noch deutlicher werden, Captain? Bitte, gehen Sie mir aus dem Weg. Ich sage ›bitte‹, weil Sie Offizier sind, aber — «

Lowell blieb stehen. Der Schweiß rann ihm übers Gesicht.

»Das Band — «

»Treten Sie jetzt zur Seite, Lowell!«

»Nein, Sir. Sie haben ausdrücklich befohlen, daß ich auf keine Anweisung hören soll, die dem ursprünglichen Befehl widerspricht. Und deshalb — «

»Jeder Befehlshaber, der einen unwiderruflichen Befehl erteilt, muß verrückt sein«, knurrte Wharton. Er winkte zwei Soldaten. »Nehmen Sie Captain Lowell fest. Ich bin zwar leger, aber Insubordination dulde ich nicht.«

Lowell wurde weggeführt, obwohl er immer noch protestierte. Wharton ging in sein Büro. Auf dem Gerät befand sich eine Bandspule. Er runzelte nachdenklich die Stirn und drückte auf den Startknopf.

»… Ich lasse den Halivanu vier Stunden Zeit, zu starten. Wenn die vier Stunden abgelaufen sind, schießen Sie mit den Schwerzyklus-Geschützen, selbst wenn ich Ihnen Anweisung gebe, nicht zu feuern. Verstanden? Setzen Sie sich über meinen direkten Befehl hinweg…«

Whartons buschige Brauen stiegen in die Höhe. Ohne Zweifel war das seine eigene Stimme. Aber warum hätte er so etwas sagen sollen? Die Halivanu hatten jedes Recht, hierzusein. Da, hier auf seinem Schreibtisch lag die Genehmigung von Terra, die ihnen gestattete, eine Weile hierzubleiben und Sonnenbeobachtungen anzustellen. Das Dokument war hier — er suchte in einem Stapel, ohne es zu finden. Er zuckte die Achseln. Wahrscheinlich falsch archiviert. Aber er wußte, daß es hier irgendwo war. Er hatte es schließlich mit eigenen Augen gesehen.

Und das Band? Colonel Wharton schüttelte den Kopf und entschied, daß er wohl alt wurde, wenn er fähig war, Lowell solche Befehle zu erteilen. Irgendwo tief in seinem Gehirn erhob sich protestierend eine lautlose Stimme, aber die wortlose Beschwerde erreichte die Ebene des Bewußtseins nicht. Wharton gähnte müde, drückte die Löschtaste des Geräts, wartete, bis das ganze Band gelöscht war, und schlurfte dann zum Lazarett, um seine neunzig Minuten Tiefschlaf zu genießen.

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