Robert Silverbert Der Racheschwur

1.

Auf dem öffentlichen Auktionsplatz von Borlaam wurde ein Proteus versteigert, als der Fremde hinzutrat. Sein Name war Barr Herndon, und er war ein großer Mann mit einem stolzen, einsamen Gesicht. Es war nicht das Gesicht, mit dem er geboren worden war, obwohl sein eigenes ebenfalls stolz und genauso einsam gewesen war.

Er schob sich durch die Menschenmenge. Es war ein heißer, schwüler Tag, und viele zufällige Passanten blieben stehen, um die Versteigerung zu beobachten. Der Auktionator war ein Agozlid, untersetzt und mit lauter Stimme versehen, und er hielt den Proteus an einem ausgestreckten Arm in die Luft und drückte ihn, damit er sich bewegte.

»Schauen Sie, meine Damen und Herren — achten Sie auf die Formen, die Vielzahl von seltsamen und aufregenden Formen, die er annehmen kann.«

Der Proteus sah jetzt aus wie ein achtzackiger Stern mit einem blau-grünen Zentrum und grell-roten Zacken. Unter dem gnadenlosen Griff des Auktionators begann er sich zu verändern, als seine Moleküle ihren Zusammenhalt verloren und eine neue Form suchten.

Eine Schlange, einen Baum, einen Kappenwurm…

Der Agozlid grinste triumphierend von seinem Podest herab, entblößte dabei lange gelbe Zahnreihen. »Was bietet man mir?« fragte er in der gutturalen Borlaamesichen Sprache. »Wer möchte dieses Geschöpf von einer fremden Welt besitzen?«

»Fünf Stellars«, sagte eine bunt bemalte Adlige von Borlaam in der ersten Reihe der Zuschauer.

»Fünf Stellars? Unmöglich, Mylady. Wer fängt bei fünfzig an? Einhundert?«

Barr Herndon blinzelte, um besser sehen zu können. Ihm war diese Proteus-Lebensform schon früher begegnet, und er kannte sich ein wenig mit ihnen aus. Es waren seltsame, verängstigte Geschöpfe, die in unendliche Schmerzen verfielen, sobald man sie von ihrer Heimatwelt entfernte. Ihr Fleisch nahm nach und nach alle möglichen Formen an, und jede Veränderung war für sie wie das Herausreißen von Gliedmaßen auf einer Folterbank.

»Fünfzig Stellars«, warf ein Mitglied des Hofes von Seigneur Krellig, dem absoluten Herrscher über die Welt Borlaam ein. »Fünfzig für den Proteus.«

»Wer bietet fünfundsiebzig?« bettelte der Agozlid. »Ich habe den Transport dieses Wesens nach hier mit drei Leben bezahlt, und jeder Sklave war allein einhundert wert. Wollen Sie, daß ich Verlust mache? Fast fünftausend Stellars…«

»Fünfundsiebzig«, sagte eine Stimme.

»Achtzig«, wurde sie überboten.

»Einhundert«, sagte die Adlige in der ersten Reihe.

Der besorgte Ausdruck auf dem Gesicht des Agozliden verschwand langsam, als die Gebote urplötzlich in die Höhe schnellten. Der Proteus wand sich hin und her, versuchte zu entfliehen, veränderte sich ständig und mit großer Geschwindigkeit. Herndon preßte die Lippen aufeinander. Er wußte selbst sehr gut, was solches Leiden bedeutete.

»Zweihundert«, sagte er.

»Ah, eine neue Stimme!« schrie der Auktionator. »Jemand aus der letzten Reihe. Fünfhundert, sagten Sie?«

»Zweihundert«, wiederholte Herndon kalt.

»Zweihundertfünfzig«, bot ein Adliger aus seiner Umgebung prompt.

»Ich lege fünfundzwanzig dazu«, meldete sich ein anderer.

Herndon schaute sich mißmutig um. Jetzt, da er sich in diese Situation hineinmanövriert hatte, mußte er sie, wie es stets seine Art war, auch durchstehen. Er würde nicht zulassen, daß die anderen den Proteus bekamen.

»Vierhundert«, sagte er.

Für einen Moment herrschte völliges Schweigen auf dem Platz; der höhnische Schrei eines tieffliegenden Seevogels war laut zu vernehmen. Dann meldete sich eine ruhige Stimme von vorn und sagte: »Vierhundertfünfzig.«

»Fünfhundert«, sagte Herndon.

»Fünfhundertfünfzig.«

Diesmal antwortete Herndon nicht sofort, und der Agozlid verrenkte sich den Hals auf der Suche nach dem nächsten Gebot. »Ich habe fünfhundertfünfzig gehört«, sagte er schmeichelnd. »Das ist gut, aber nicht gut genug.«

»Sechshundert«, sagte Herndon.

»Sechshundertfünfundzwanzig.«

Herndon unterdrückte den plötzlichen Impuls, seinen Nadler zu ziehen und seinen Gegenbieter niederzuschießen. Statt dessen biß er sich auf die Unterlippe und sagte: »Sechshundertfünfzig.«

Der Proteus wand sich hin und her und sah jetzt aus wie eine gequälte Pseudokatze. Die Zuschauer kicherten belustigt.

»Sechshundertfünfundsiebzig«, ertönte die Stimme wieder.


Jetzt war es ein Zweikampf geworden, bei dem die übrigen Anwesenden nur noch die Rolle von Zuschauern spielten, die sehen wollten, wer von den beiden zuerst nachgeben würde. Herndon musterte seinen Gegenspieler: Es war ein Höfling, ein dunkelhäutiger Mann mit einem roten Bart und blitzenden Augen und zwei Reihen Edelsteinen um sein Wams. Er schien ungeheuer reich zu sein — Herndon hatte wohl keine Chance, ihn zu überbieten.

»Siebenhundert Stellars«, sagte Herndon. Er schaute sich schnell in der Runde um, entdeckte einen kleinen Jungen, der in seiner Nähe stand, winkte ihn heran.

»Siebenhundertfünfzig«, sagte der Adlige.

Herndon flüsterte: »Siehst du den Mann dort, der gerade gesprochen hat? Lauf zu ihm und sage ihm, daß seine Frau nach ihm schickt und er sofort kommen soll.«

Er gab dem Jungen ein Fünf-Stellar-Stück. Der Junge starrte es einen kurzen Moment an, grinste und schlich sich dann durch die Zuschauer davon.

»Neunhundert«, sagte Herndon.

Das war bereits beträchtlich mehr, als ein Proteus sonst auf einer Auktion einbrachte, und wahrscheinlich war es auch mehr, als der reiche Gegenspieler ausgeben wollte. Aber Herndon war klar, daß der Adlige jetzt nicht mehr zurückkonnte, außer daß man ihn fortrief, und Herndon wollte ihm diesen Weg öffnen.

»Neunhundert sind geboten«, sagte der Auktionator. »Lord Moaris, bieten Sie mehr?«

»Das würde ich gern«, sagte der Mann. »Aber man ruft nach mir, und ich muß fort.« Er schien recht verärgert zu sein, bezweifelte aber die Nachricht des Jungen nicht. Herndon prägte sich das für spätere Gelegenheiten ein. Es war nur eine Vermutung seinerseits gewesen, aber Lord Moaris vom Hof des Seigneurs kam gerannt, wenn seine Frau rief.

»Neunhundert sind geboten«, wiederholte der Auktionator. »Höre ich mehr? Neunhundert für diesen feinen Proteus — wer macht eintausend daraus?«

Niemand. Sekunden verstrichen, aber niemand sprach. Gespannt wartete Herndon, bis der Auktionator endlich schrie: »Neunhundert zum ersten, neunhundert zum zweiten, neunhundert zum dritten.

Er gehört Ihnen, mein Freund. Kommen Sie mit Ihrem Geld nach vorn. Ich bitte alle anderen, in zehn Minuten wieder dabeizusein, wenn ich einige rosahäutige Jungfrauen von Villidon anbieten werde.«

Herndon ging nach vorn. Die Menge begann sich aufzulösen, die ersten Reihen waren verlassen, als er sich dem Auktionator näherte. Der Proteus hatte eine froschähnliche Form angenommen und saß wie eine Gelatinefigur da.

Herndon musterte den übelriechenden Agozliden und sagte: »Ich habe den Proteus gekauft. Wer bekommt mein Geld?«

»Ich«, krächzte der Auktionator. »Neunhundert Stellars in Gold plus dreißig Stellars Gebühren, und das Biest gehört Ihnen.«

Herndon drückte auf die Geldtasche an seinem Gürtel und eine Reihe Einhundert-Stellar-Stücke sprangen in seine Hand. Er zählte neun Stück ab, legte sie vor den Agozlid auf den Tisch. Dann zog er aus einer Hosentasche sechs Fünf-Stellar-Stücke heraus und packte sie dazu.

»Ich brauche Ihren Namen für die Akten«, sagte der Auktionator, nachdem er das Geld gezählt und mit einem Soliskop untersucht hatte.

»Barr Herndon.«

»Heimatwelt?«

Herndon zögerte einen Augenblick. »Borlaam.«

Der Agozlid sah auf. »Mir scheinen Sie kein Borlaamese zu sein. Reinrassig?«

»Ist das wichtig für Sie? Ich bin es. Ich stamme aus dem Flußland von Zonnigog, und mein Geld ist gut.«

Umständlich kritzelte der Agozlid den Namen in seine Unterlagen. Dann schaute er anmaßend auf und sagte: »Nun gut, Barr Herndon von Zonnigog. Ihnen gehört jetzt ein Proteus. Es wird Sie freuen zu erfahren, daß er bereits geschult und domestiziert ist.«

»Das freut mich sehr«, sagte Herndon flach.

Der Agozlid händigte Herndon eine leuchtende Plakette aus Kupfer mit einer neunstelligen Zahl darauf aus. »Das ist die Registriernummer«, sagte er. »Falls Sie Ihren Sklaven verlieren, kommen Sie damit nach Borlaam Central und man wird ihn für Sie suchen.« Aus einer Tasche nahm er einen kleinen Projektor heraus und schob ihn über den Tisch. »Und das ist Ihr Resonator. Er ist auf ein Metallnetz eingestellt, das auf submolekularer Ebene dem Proteus eingepflanzt wurde. Man kann die Einstellung nicht mehr verändern. Wenn Ihr Sklave sich nicht so verhält, wie Sie es wünschen, drücken Sie nur auf den Resonator. Er ist für das korrekte Benehmen von Sklaven unentbehrlich.«

Herndon nahm den Resonator an sich. »Der Proteus kennt vermutlich schon ohne den Resonator genügend Schmerzen, aber ich nehme ihn.«

Der Auktionator griff sich den Proteus, holte ihn vom Podest herunter und legte ihn vor Herndon hin. »Das wäre es dann, Freund. Er gehört Ihnen.«

Der Marktplatz hatte sich fast ganz geleert; auf dem anderen Ende standen einige Leute bei einer Edelsteinversteigerung herum. Als Herndon sich umsah, erkannte er, daß er über den Kopfsteinpflasterplatz freie Bahn bis zum Kai dahinter hatte.


Er entfernte sich ein paar Schritte von der Bude des Auktionators. Der Agozlid bereitete bereits seine nächste Auktion vor, und Herndon konnte für Sekunden hinter einem Vorhang verängstigte nackte Mädchen von Villidon sehen, die für den Verkauf vorbereitet wurden.

Sein Blick ging hinaus zur See. Dreißig Meter entfernt befand sich der Kai, eingefaßt in eine flache Steinmauer, und dahinter erstreckte sich in grellem Grün der Schimmernde Ozean. Für einen kurzen Augenblick schweifte sein Blick über den schier unendlichen Ozean bis hinüber zum Kontinent Zonnigog, wo er geboren war. Dann sah er wieder zu dem verängstigten kleinen Proteus, der bereits seine nächste Form zur Hälfte fertig hatte.

Neunhundertfünfunddreißig Stellars für diesen Proteus. Herndon verfluchte sich im stillen. Das war weit mehr, als er sich leisten konnte, so einfach an einem Morgen fortzuwerfen — besonders an seinem ersten Tag auf Borlaam nach seiner langen Reise über die äußeren Planeten.

Aber er hatte nicht anders gekonnt — nachdem er einmal in die Sache verwickelt worden war, konnte er nicht auf halbem Wege wieder zurück. Nie wieder werde ich das tun, sagte er zu sich, während er an das verbrannte und geplünderte Dorf auf Zonnigog dachte, das von den brutalen Vasallen des Seigneur Krellig heimgesucht worden war.

»Geh hinüber zum Wasser«, befahl er dem Proteus.

Ein nur halb geformter Mund sagte: »H-Herr?«

»Du verstehst mich, nicht wahr? Dann geh auf das Wasser zu und dreh dich nicht um.«

Er wartete. Der Proteus bildete Füße und ging dann mit unsicheren Schritten über die abgenutzten Pflastersteine. Neunhundertfünfunddreißig Stellars, dachte er bitter.

Dann zog er seinen Strahler.

Der Proteus lief weiter über den Marktplatz und auf das offene Meer zu. Jemand schrie: »He, das Ding fällt ins Wasser! Halten wir es auf!«

»Er gehört mir«, rief Herndon eisig. »Laßt ihn in Ruhe, wenn euch euer Leben lieb ist!«

Er bekam einige verwirrte Blicke zu spüren, aber niemand rührte sich. Der Proteus hatte fast den Rand des Kais erreicht und blieb jetzt unentschlossen stehen. Nicht einmal die niedrigsten Lebensformen würden ihren kommenden Tod begrüßen, wenn er auch noch so sehr eine Erlösung von unerträglichen Schmerzen bedeutete.

»Klettere auf die Mauer«, rief Herndon ihm zu.

Der Proteus gehorchte blind. Herndons Finger schloß sich um den Auslöser seines Strahlers. Er beobachtete den Proteus, wie er auf der Mauer stand und in das schmutzige Hafenwasser starrte; Herndon zählte bis drei.

Bei drei schoß er. Das schlanke Nadelprojektil zischte blitzend über den Marktplatz und bohrte sich in den Rücken des Proteus. Der Tod mußte sofort eingetreten sein: In der Nadel befand sich ein Nervengift, das für alle bekannten Lebensformen tödlich war.

Mitten zwischen zwei verschiedenen Gestalten erstarrte die Kreatur und fiel dann kopfüber in das Wasser. Herndon nickte und steckte seine Waffe weg. Er sah, wie einige Leute nickten; andere murmelten: »Hat ihn gerade für fast eintausend gekauft, anschließend erschießt er ihn.«

Es war ein teurer Morgen gewesen. Herndon wandte sich um und wollte fortgehen, plötzlich blockierte aber ein kleiner, runzliger Mann, der sich aus der Menge bei der Edelsteinauktion gelöst hatte, den Weg.

»Mein Name ist Bollar Benjin«, sagte der Mann, der einer Trockenpflaume ähnelte. Seine Stimme war ein rauhes Krächzen. Sein Körper wirkte alt und verbraucht. Er trug eine graue, abgeschabte Tunika. »Ich habe beobachtet, was Sie da gerade getan haben.«

»Was ist damit? Es ist nicht verboten, sich in aller Öffentlichkeit eines Sklaven zu entledigen.«

»Nur ganz bestimmte Männer würden das tun«, sagte Bollar Benjin. »Ein grausamer Mann — oder ein mutiger. Zu welchen gehören Sie?«

»Zu beiden«, sagte Herndon. »Wenn Sie mich jetzt passieren lassen würden…«

»Einen Augenblick.« Die krächzende Stimme hatte plötzlich einen scharfen Unterton. »Unterhalten wir uns einen Moment. Wenn Sie nahezu eintausend Stellar für einen Sklaven ausgeben, den Sie im nächsten Augenblick töten, sollten sie auch mir einige Worte gönnen.«

»Was wollen Sie von mir?«

»Ihre Dienste«, sagte Benjin. »Ich kann einen Mann wie Sie gebrauchen. Sind Sie frei und ungebunden?«

Herndon dachte an die Stellars — fast die Hälfte dessen, was er besaß —, die er gerade zum Fenster hinausgeworfen hatte. Er dachte an Seigneur Krellig, den er haßte und den zu töten er geschworen hatte. Und er dachte an den runzligen Mann.

»Ich bin ungebunden«, sagte er, »aber mein Preis ist hoch. Was wollen Sie, und was können Sie bieten?«

Benjin lächelte verhalten und griff in eine verborgene Tasche seiner Tunika. Als er mit der Hand wieder hervorkam, glitzerten Edelsteine in ihr.

»Ich handele damit«, sagte er. »Ich kann gut bezahlen.«

Die Steine verschwanden wieder in der Tasche. »Wenn Sie interessiert sind«, sagte Benjin, »folgen Sie mir.«

Herndon nickte. »Ich bin interessiert.«

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