Vorwort

Vor nicht allzu langer Zeit wurde ich zu einer Tagung der Cambridge University Science Fiction Society eingeladen. Es kam der Zeitpunkt, an dem Fragen aus dem Publikum beantwortet wurden, und - unvermeidbar - erkundigte sich jemand: „Welcher Science-fiction-Autor gefällt Ihnen am besten?"

Ich antwortete, wie schon seit Jahren: „Philip Dick."

Dies ist kein Geheimnis. 1966, als Phils Talent in England noch schändlich ignoriert wurde, schrieb ich einen Artikel für New Worlds, damals das führende britische SF-Magazin, in dem ich tüchtig die Werbetrommel für ihn rührte, und ich denke, daß er dazu beitrug, Philip Dick auf meiner Seite des Atlantiks besser bekanntzumachen.

Wie es sich für einen guten Studenten gehörte, war mein neugieriger Freund mit dieser kurzen Stellungnahme nicht zufrieden, und er drängte mich dazu, meine Wahl zu erläutern. Da fiel mir ein Grund ein, den ich nie zuvor angegeben hatte, der aber, wie ich in diesem Augenblick erkannte, immer der ausschlaggebende gewesen war. Ich erklärte: „Weil er in mir das Gefühl hinterläßt, das Werk eines Meisters gelesen zu haben."

Ja. Das ist wohl der Grund, warum ich von Dick mehr Bücher besitze als von jedem anderen SF-Autor. Er ist in der Lage, die Welt seiner Geschichten real erscheinen zu lassen. Sie mag töricht, unlogisch, unglaublich sein... aber man bemerkt es erst, wenn man mit dem Lesen aufhört.

Und selbst wenn man - wie ich - ein professioneller Autor ist und zurückblättert, um zu sehen, wie er es vollbracht hat - Es ist unmöglich.

Dicks Welt ist selten anziehend. Meistens ist sie öd und leer - wenn man ruft, antwortet nur ein Echo. Zugegeben, in ihr existieren liebliche Dinge, doch sie werden nicht näher beleuchtet; im besten Falle sind sie unklar und oft durch Vernachlässigung verdorben. Das Essen in dieser Welt ist geschmacklos und sättigt nicht. Wegweiser zeigen nach Orten, die man nicht besuchen möchte. Die Kleidung ist düster und verschleißt bei unpassenden Gelegenheiten. Die Medikamente, die Ihnen Ihr Arzt verschreibt, besitzen solche Nebenwirkungen, daß sie schädlicher sind als die Krankheit selbst. Nein, es ist keine angenehme oder attraktive Welt.

Konsequenterweise sind seine Leser vollkommen verwirrt, wenn sie plötzlich erkennen, was dies für eine Welt ist: jene, in der wir alle leben. Oh, die Kulissen haben sich verändert -die Toten steigen aus den Gräbern oder der Protagonist streitet sich während der Fahrt mit dem Robotgehirn seines Fahrzeugs - doch dies ist nur Maskerade.

Und trotzdem, trotzdem... sie ist anders. Weil wir sie von einem Blickwinkel aus gezeigt bekommen, der im genauen Wortsinn einzigartig ist.

Für Mister Dick, der nicht mit irgendeinem anderen Autor verwechselt werden kann.

Daß solch ein begnadeter Künstler in den relativ engen Grenzen des Genres bekannt sein sollte, daß mit der Veröffentlichung dieses Buches sein Name auf einer Liste steht, die von solchen Autoren wie Weinbaum und Kuttner angeführt wird, obwohl (wenn auch unverdientermaßen) von allen vergessen bis auf die SF-Fans, ist eine selbstverständliche Ehrung - und ein schreiendes Unrecht. Es war nicht Phils Absicht, ein SF-Autor zu werden. Selbst eine oberflächliche Bekanntschaft mit dem blendenden Instrumentarium literarischer Techniken, die er in seinen Werken benutzt hat, beweist, wie gut er gerüstet war für den Durchbruch auf jedem Gebiet der Literatur. Es war einfach so, daß in den frühen fünfziger Jahren, als sich Phil als freier Autor zu etablieren versuchte, die anderen Märkte seine Erzählungen ablehnten. Einen Mainstream-Roman, den er 1959 schrieb, Confessions of a Crap Artist, erschien erst nach langer Zeit in einer begrenzten Auflage... in den siebziger Jahren. Paul Williams rezensierte ihn in Rolling Stone als „amüsant" und „schrecklich akkurat". Letzten Monat erschienen zahllose Romane, die beides sein wollten und nichts davon waren. Heiliger Himmel! So kann es sein im Leben eines Schriftstellers.

Als einer, der im SF-Genre schon seit vielen Jahren tätig ist, muß ich gestehen, daß ich stolz darauf bin, wie Phils Werk dort Anerkennung gefunden hat. Nicht, daß alles von Anfang an glatt ablief. Hier ist zum Beispiel ein Zitat, das illustriert, welchen Eindruck Phil zu Beginn seiner Karriere auf Damon Knight machte (in Search of Wonder, Advent Publishers, 1965):

Philip K. Dick ist jener Kurzgeschichten-Autor, der in den letzten fünf Jahren alle anderen überrundet hat - in einem Jahr, 1953, veröffentlichte er siebenundzwanzig Erzählungen - und dies mit einem unaufdringlichen und chamäleonartigen Geschick. Um Anthony Bucher zu zitieren:

Bis heute sind seine Erzählungen in den meisten Sciencefiction-Publikationen veröffentlicht worden - und was noch erstaunlicher ist, in jedem Fall waren die Geschichten exakt auf den redaktionellen Geschmack und die Bedürfnisse einer jeden Publikation abgestimmt. Die Redakteure von Whizzing Star Patrol und von Quaint Quality Quarterly hielten beide gleichermaßen Mr. Dick für einen bemerkenswert zufriedenstellenden Mitarbeiter.

Indem sich Dick zu gleicher Zeit so viele Türen öffneten, rief er den verschwommenen Eindruck eines Lieferanten von gefälligen, kleinen literarischen Kabinettstückchen hervor, die er mit einer kurzsichtigen Großzügigkeit über den ganzen Markt verteilte - er schrieb die triviale, kurze, nette Art von Geschichten, die amüsieren, ohne zu erregen, die kurzfristig verkäuflich und kurzfristig vergessen sind.

Vielleicht war das der typische Eindruck, den er auf Herausgeber machte, die nicht zu jenen gehörten, die seine Science-fiction kauften. Autoren von diesem Zuschnitt gab es zwei Stück für einen Groschen.

Aber das obige Zitat von Damon Knight ist nur der Auftakt zu einem schwärmerischen Rückblick auf seine ersten beiden Romane: Hauptgewinn: Die Erde (Solar Lottery), von dem über 300 000 Exemplare verkauft wurden, und Die seltsame Welt des Mister Jones (The World Jones Made).

Wenn man nach Gründen sucht - und dieses Vorwort hat zugegebenermaßen mit jemand begonnen, der Gründe verlangte - warum Dicks Werk einen so starken Eindruck in der Erinnerung der Science-fiction-Leser hinterlassen hat, und warum er erst seit einem knappen Jahrzehnt als das anerkannt wird, was er ist - ein außergewöhnlicher Autor, gleichgültig, welches Etikett man ihm verpaßt - werden vielleicht die folgenden Zeilen Aufklärung verschaffen.

Es gibt in der Literatur eine Sammlung von Techniken, die man mit reductio ad absurdum charakterisiert: Gigantismus, Inkongruenz, Verzerrung und Übertreibung. Grob umrissen vereinen diese Begriffe alles, was im Bereich der Kunst als „Surrealismus" bezeichnet wird. Genau wie diese Mittel beim Zeichnen und der Malerei hauptsachlich der Karikatur vorbehalten sind, werden sie vom Großteil der Schriftsteller zum Zwecke der Satire benutzt. Wie dem auch sei, die Sciencefiction hat diese Techniken als Selbstverständlichkeit übernommen und benutzt sie nicht in Ausnahmefällen, sondern in der Regel.

Der Boden, auf dem eine reiche Erfindungsgabe wie die Dicks Früchte tragen konnte, war von solchen Vorgängern wie Henry Kuttner gedüngt und bereitet worden. Doch was sage ich da? Eine Erfindungsgabe wie die Dicks? Es gibt keine vergleichbare! Er besitzt Nachahmer, wie zu erwarten war. Was er nicht besitzt, das ist eine „Schule" oder ein „Kreis" in dem Sinne, daß er einer Gruppe zugehört, deren Werke eine bestimmte Ähnlichkeit besitzen. Dick ist nicht nur einzig, sondern er ist einzigartig. Dick, so wurde oft versichert, verfaßte einen Roman, den sehr viele Menschen für den Acid-Roman halten - LSD-Astronauten (The Three Stigmata of Palmer Eldritch) - anhand eines MagazinArtikels über LSD, nicht als Ergebnis eigener Versuche. (Diese folgten erst später, so meine ich, und hatten damals noch nicht stattgefunden.)

Es wurde die Hypothese aufgestellt, daß LSD und verwandte Drogen den heutigen Menschen gefallen, weil sie die Illusion eines Durchbruchs in eine ältere Art der Wahrnehmung hervorrufen, die der Realität näher ist - was immer das auch bedeuten mag. (Spielte diese Erkenntnis auch eine Rolle, als Cordwainer Smith sein Alpha Ralpha Boulevard (Alpha Ralpha Boulevard) ersann?)

Aber seit undenklichen Zeiten haben die Menschen versucht, ihre Gedankenblockade zu überwinden - sich freizukämpfen von diesen festgelegten Wahrnehmungsmustern, an die wir uns so gewöhnt haben.

Eine Geschichte von Philip Dick zu lesen, ist eine sehr wirksame Möglichkeit zur Zerstörung von vorgegebenen Wahrnehmungsmustern. Und dies ist auch weit empfehlenswerter, weil es keine Gehirnschäden hervorruft wie die Einnahme konzentrierter Chemikalien. Die Wirkung ist nicht nur vorübergehend wie die flüchtigen Eindrücke, die der Inhalation von organischen Substanzen folgen, die in unserer Gesellschaft weit verbreitet sind. Auch erspart dies den Aufwand von riesigen Geldsummen, wie sie die Behandlung durch einen Psychoanalytiker verlangen. Es...

Nun, es führt zu folgenden Dingen. Ganz nebenbei läßt Phil einen seiner Charaktere zu einem anderen sagen: „Gott ist tot."

Und dies ist bekannt. Der Leichnam eines Wesens, das hinreichend als Schöpfer der Erde und der Menschen identifiziert wurde, hat man im Weltraum treibend gefunden.

Aber in dieser Geschichte gehört diese Feststellung nicht zu den Dingen, die man wichtig nennen würde.

Ich möchte nicht das Wagnis eingehen und versuchen, auf diesem begrenzten Raum zu erklären, warum ich als Phils Hauptthema den Widerspruch zwischen der Realität und unserer Wahrnehmung von ihr ansehe, oder warum ich -wie bekannt - erklärt habe, daß niemand dieses Thema in seinem allegorischen Gewand besser abgehandelt hat -sieht man von den Werken einer Handvoll mittelalterlicher deutscher und englischer Mystiker ab, die sich aber nicht im entferntesten so amüsant lesen lassen. Verfolgte ich diesen Gedankengang weiter, würde ich mich gezwungen sehen, ein weiteres periodisch wiederkehrendes Thema in seinem Werk zu erwähnen - die Überzeugung, daß eine amerikanische Machtelite dabei ist, die Nazis zu rehabilitieren, um deren Methoden in den USA einzuführen - was ihren Ursprung in einem Einbruch in sein kalifornisches Haus haben mag, bei dem all seine Privatpapiere gestohlen wurden, und was im Licht von Watergate und der Untersuchung von FBI und CIA durch den Kongreß eine Reihe alarmierender Fragen aufwirft. (Welcher Martian Time Slip brachte ihn dazu, die Klempner in diesem Roman zur Machtelite zu machen?)

Seine Version der Realität schlägt sich in zahllosen Formen in seinem Werk nieder. Sie hat - man darf es nicht übersehen - auch Einzug in die Gedanken von anderen Menschen gehalten.

Vielleicht, weil er versteht, was jene antreibt, die nach Macht und Einfluß in der realen (?) Welt streben, in jener Welt also, die wir bewohnen, vielleicht gelingt es diesem Mann deshalb so perfekt, seine fiktiven Charaktere so zu gestalten, daß man sie beim Lesen als wirklich akzeptiert.

Ist diese Welt demokratisch, gerecht, besitzt der Mann auf der Straße die Möglichkeit, Einfluß auf jene zu nehmen, die ihn regieren, und hat das Baby in der Holzwiege die Chance, Präsident zu werden?

Mister Simulacrum, Sir: Wann haben Sie zum letztenmal von einer Aerosoldose oder von einem Drillbohrer geträumt?

Nun, es wird erzählt, Sie hätten es getan.

Oh.

Ich verstehe. Es tut mir leid. Ist es erlaubt, daß es mir leid tut?

Von allen Romanen, die ich herausgesucht habe, um Menschen zu überzeugen, die meinten, sie mögen keine SF, hatte ich den meisten Erfolg mit George R. Stewards Earth Abides - und Philip K. Dicks Das Orakel vom Berge (The Man in the High Castle). Dick ist ein solch hervorragender Künstler, daß er den begrenzten Umfang dieser Zeilen sprengt.

Aber dies sage ich Ihnen ganz offen: Ich möchte nicht in dieser Welt leben, die Dick so treffsicher beschreibt.

Ich sehne mich danach - ich wünsche es mir verzweifelt -glauben zu können, daß wir nicht in ihr leben.

Wenn sehr viele Menschen Dicks Werk lesen, dann werde ich vielleicht eine bessere Chance haben, diese Welt niemals in der Realität kennenzulernen...


John Brunner Sommerset, England Mai 1976

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