Scanned by nickslaughter 2001



Das Tal umfing sie wie eine riesige tiefe Schüssel, als sie den Kamm überschritten und ihre Pferde durch den schmalen Hohlweg hinabgeführt hatten. Sie froren. Ihre Schritte waren zum Schluß immer schleppender geworden, und ihre Glieder waren steif und schmerzten vor Kälte, obwohl sie sich alle in Felle und zusätzliche Decken gehüllt hatten. Eis, Rauhreif und kleine Nester aus verharschtem Schnee hatten sich in ihren Haaren und Kleidern festgesetzt, und der Sturm wehte ihre Spuren hinter ihnen beinahe ebenso schnell wieder zu, wie sie entstanden waren. Niemand sprach. Selbst das mühsame Schnauben der Pferde und die gemurmelten Flüche, mit denen sie ihrer Erschöpfung anfangs Ausdruck verliehen hatten, waren nach und nach verstummt. Die würgende Kälte hatte ihre Gesichter gelähmt und ihre Lippen erstarren lassen, und ihre Körper waren taub von den Bissen des Windes. Der Hohlweg - eigentlich mehr ein Riß, eine schnurgerade, wie mit einer gigantischen Axt in den Fels gehauene Bresche mit zerschründetem Boden und glatten, eisverkrusteten Wänden, auf denen sie von ihren eigenen Spiegelbildern wie von einer Prozession grotesk verzerrter Schatten begleitet worden waren - hatte den Sturm eingefangen und seine Kraft noch gesteigert. Der Hohlweg war nicht einmal sonderlich lang gewesen, vielleicht zweimal so weit, wie ein Pfeil fliegt, auf gar keinen Fall mehr, aber sowohl Skar als auch die anderen hatten hinterher das Gefühl, stundenlang durch eine klirrende, brüllende Hölle aus Kälte und schneidendem Eis marschiert zu sein.

Skar blieb aufatmend stehen, als die vereisten Wände endlich zur Seite wichen und sich statt dessen der runde, von Schnee und grauem, klumpigem Matsch erfüllte Talkessel vor ihnen ausbreitete. Der Wind war hier draußen nicht mehr so wütend, aber jetzt, nachdem er nicht mehr so sehr stürmte, spürte Skar die Kälte um so schmerzlicher. Er hatte das Gefühl, langsam von innen heraus zu Eis zu erstarren, und er vermochte sich nicht zu erinnern, wann er das letzte Mal so total erschöpft und ausgelaugt gewesen war. Der viertägige Marsch durch die Berge hatte ihnen allen das Letzte abverlangt, sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht. Skar versuchte, die Hände zu bewegen, aber es ging nicht. Seine Finger waren verkrümmt und blau angelaufen; schmerzende Klauen, die wie leblose Gewichte an seinen Armen hingen und ihn langsam zu Boden zerrten. Er hob die Rechte vors Gesicht, zerrte mit den Zähnen die schmutzigen Handlappen herunter und versuchte, den Daumen zu krümmen. Es ging, wenn er auch den Versuch mit Schmerzen bezahlte, die ihm die Tränen in die Augen trieben. Er schüttelte den Kopf, steckte die Hände unter die Achselhöhlen und begann mit den Füßen auf den Boden zu stampfen. Eine Gestalt taumelte an ihm vorüber, unkenntlich von Eis und glitzerndem Rauhreif, der sich wie ein starrer Panzer auf ihren Zügen festgesetzt hatte. Sie wankte ein paar Schritte und fiel auf die Seite. Der Schnee dämpfte den Aufprall, aber ihr Gesicht schrammte über einen Stein, der unter der trügerischen weißen Decke verborgen gewesen war und eine dünne, blutigrote Spur hinterließ. Skar hatte nicht einmal mehr die Kraft, Mitleid zu empfinden.

Hinter ihm sank Beral mit einem Wimmern, das sowohl Schmerzen als auch Erleichterung (oder beides) ausdrücken konnte, in die Knie. Seine Rechte umklammerte noch immer das Zaumzeug des Pferdes, und das Tier mußte den Kopf senken, um dem Schmerz, mit dem die stählernen Zähne der Trense in sein Maul bissen, zu entgehen. Beral trug keine Handlappen; wahrscheinlich waren seine Finger so steifgefroren, daß er die Zügel gar nicht mehr loslassen konnte. Er blieb einen Moment lang hocken, schwankte vor und zurück wie ein dünner Zweig im Sturm und fiel dann mit einem halblauten, seufzenden Geräusch in den Schnee.

Skar kämpfte einen Herzschlag lang gegen das übermächtige Verlangen, es den anderen gleichzutun und sich auch einfach zu Boden sinken zu lassen, die Augen zu schließen, auszuruhen. Es war nicht allein die Kälte. Seit sie Ikne verlassen hatten, war es beständig kälter geworden. Der Winter war mit Macht über das Land hereingebrochen, und sie waren ihm noch entgegengeeilt, so schnell sie konnten, und Skar hatte praktisch ununterbrochen gefroren. Es waren auch nicht der kräftezehrende Marsch über endlose Eisgletscher und die halsbrecherischen Kletterpartien, die keiner von ihnen ohne die Hilfe des anderen gemeistert hätte; auch nicht allein die Angst oder das bohrende Mißtrauen, das ihre Gruppe wie ein schleichendes Gift von innen heraus zerfraß; nicht einmal das Wissen, daß alles, was sie bisher durchgemacht hatten, nicht viel mehr als ein Vorgeschmack auf das war, was sie noch erwartete. Vielleicht, überlegte er, war es eine Kombination all dem gewesen, das ihre Seelen im gleichen Maße zermürbt hatte wie die unbarmherzigen Hiebe des Windes ihre Körper. Aber vielleicht war es auch etwas ganz anderes.

Skar schüttelte den Gedanken mit einem ärgerlichen Achselzucken ab und begann langsam im Kreis zu gehen. Seine Stiefel versanken bei jedem Schritt bis weit über die Waden im Schnee, und er wußte, daß er eigentlich mehr Kraft verbrauchte, als er sich leisten konnte. Eine einsame Schneeflocke sank auf seine Schulter herab, glitzerte einen Moment lang im verklebten Fell seines Umhanges und zerschmolz, als sein Atem sie streifte. Er lächelte.

»Was amüsiert dich so, Satai?«

Skar blieb stehen und sah Nol stirnrunzelnd an. Er hatte nicht gemerkt, daß der Malabese ihm gefolgt war. Ein deutliches Anzeichen für den Grad seiner Erschöpfung.

»Vielleicht freue ich mich, daß ich noch lebe«, sagte er nach einer Weile. Nol grinste schief. »Warte noch ein paar Tage damit«, riet er. »Wenn du es dann noch kannst.«

Skar funkelte den Graugesichtigen einen Herzschlag lang wütend an und sah dann zum Höhleneingang hinüber.

Der Anblick bereitete ihm Unbehagen, beinahe Angst. Er legte den Kopf in den Nacken, ließ den Blick an den spiegelblank polierten Felswänden emporwandern und betrachtete den schmalen, dunkelrot gefärbten Streifen Himmel im Westen. Er hatte sich immer noch nicht an den Anblick gewöhnt, und er würde sich auch nicht daran gewöhnen, ganz egal, wie lange es noch dauerte. Und er wußte, daß es auch den anderen nicht besser erging. Sie hatten ganz zu Anfang, noch an Bord der Sharookan, einmal über Combat geredet, das Thema aber seither wie auf eine geheime Verabredung hin beinahe ängstlich vermieden, wie Kinder, die glaubten, einer Gefahr allein dadurch entgehen zu können, daß sie sie verleugneten. Dabei wußte jeder von ihnen bereits jetzt mehr über die verwunschene Stadt als alle Tempelpriester und Schriftgelehrten von Ikne und Besh zusammen. Der lodernde Feuerschein hatte ihnen den Weg gewiesen, seit sie den Paß überwunden hatten: eine flammende Glorie, die den Himmel in flackerndes, blutiges Rot tauchte und die Berge davor zu nachtschwarzen, flachen Schatten degradierte. Skar hatte Zeit genug gehabt, sich an das Bild zu gewöhnen; trotzdem ließ ihn der Anblick für einen Moment selbst seine Müdigkeit vergessen. Der brennende Himmel dort oben erschien ihm wie eine stumme Warnung, eine gleichermaßen unhörbare wie unüberhörbare Stimme, die ihm zurief, umzukehren, keinen Schritt weiter zu gehen und das Schicksal nicht noch stärker herauszufordern, als er es bereits getan hatte.

Nun, wenigstens diese Entscheidung war ihm abgenommen. Vielleicht war er in dieser Beziehung sogar besser dran als die anderen. Sie konnten zurück, zumindest theoretisch. Er hatte diese Wahl nicht. Wenn er überhaupt eine Wahl hatte, dann die zwischen einem raschen Tod in Combat und der Aussicht, zwei oder drei Monate lang zu sterben.

»Was denkst du?« fragte Nol leise.

Skar riß seinen Blick von der Felswand und dem glosenden Himmel los und sah den Malabesen an. »Wie machst du das eigentlich?« fragte er anstelle einer direkten Antwort.

»Was?«

»Ich frage mich, wie du es schaffst, den ganzen Tag mit offenem Mund herumzulaufen, ohne daß dir die Zunge einfriert.«

Nol blinzelte, sperrte den Mund auf und machte ein betroffenes Gesicht. Dann grinste er. »Ganz einfach. Ich halte sie in Bewegung.«

Skar erwiderte das Grinsen, boxte ihm spielerisch in die Rippen und deutete mit einer Kopfbewegung auf die anderen.

»Wir sollten Feuer machen. Es kann verdammt kalt werden heute nacht. Ich habe keine Lust, morgen mit erfrorenen Fingern oder Zehen aufzuwachen.«

»Denk einfach an den morgigen Tag«, erwiderte Nol mit todernster Miene. »Dann wird dir warm genug.«

Skar verstummte. Nol würde wahrscheinlich aus reiner Sturheit zu den Überlebenden der Expedition gehören, und sei es nur, damit er das letzte Wort behielt.

Skar ging zu seinem Pferd zurück und machte sich mit ungeschickten Bewegungen daran, das Sattelzeug zu lösen. Es war schwer und steif vor Kälte und Eis. Er brauchte eine geraume Weile, um die Schnallen aufzubekommen, und dann entglitt der Sattel seinen gefühllosen Fingern und fiel zu Boden. Skar fluchte und rief sich in Erinnerung, wie kalt es war. Sie waren zwar der Eishölle des Hohlweges entronnen, aber die Wärme hier draußen war nur Illusion. Die Temperaturen lagen noch immer tief unter dem Gefrierpunkt.

Er richtete sich auf, ging steifbeinig zu Beral hinüber und stubste ihn mit der Stiefelspitze in die Rippen. Der Fährtensucher stöhnte leise, aber Skar bezweifelte fast, daß er die Berührung überhaupt gespürt hatte. Wahrscheinlich war der Laut nichts als ein Reflex gewesen.

Skar ging ächzend in die Hocke, griff nach Berals Schultern und schüttelte ihn. Beral machte eine kraftlose Abwehrbewegung und stöhnte erneut, als Skar ihn auf den Rücken drehte. Berals Gesicht war dick mit Schnee verklebt. Skar fluchte leise, als er sah, wie schnell Berals Atem ging. Er stand ächzend auf, wobei er auf dem rutschigen Schnee beinahe das Gleichgewicht verloren hätte, zog Beral unsanft an den Haaren in die Höhe und schlug ihm ein paarmal mit der flachen Hand ins Gesicht. Berals Kopf flog in den Nacken und pendelte lose hin und her, als wäre er eine übergroße Marionette, deren Fäden man plötzlich durchschnitten hatte. Skars Hand brannte wie Feuer, und für einen Moment hatte er fast Angst, zu heftig zugeschlagen zu haben. Beral war zierlich wie ein Kind. Er mochte zäh sein, viel zäher, als man beim Anblick seines knabenhaften Körpers glauben wollte, aber er war verletzlich.

»Was ... was ist los?« Beral öffnete widerwillig die Augen, versuchte Skars Hand abzustreifen und verzog schmerzhaft die Lippen.

Skar ließ los, trat einen halben Schritt zurück und sah kopfschüttelnd zu, wie der Fährtensucher erneut vornüber in den Schnee sank.

»Du bist ein Barbar«, murmelte Beral undeutlich. »Ein grober Flegel. Du solltest mir helfen, statt mir den Schädel einzuschlagen.« Skar grinste. »Steh lieber auf, bevor ich wirklich grob werde.« Beral bewegte sich unwillig, wälzte sich auf den Rücken und vergrub das Gesicht in den Händen. Skar sah, daß seine Fingerkuppen schwarz angelaufen waren und sich an Daumen, Zeige- und Mittelfinger der Rechten die Nägel abzulösen begannen. Erfroren. »Wenn es hier nicht so kalt wäre«, murmelte Beral, »wäre ich sicher, in der Hölle zu sein.«

»Wer sagt dir, daß es in der Hölle nicht kalt ist?«

»Hm?«

»Schon mal was von höllischer Kälte gehört?« Skar wurde übergangslos ernst, bückte sich und stellte Beral wie ein Spielzeug auf die Füße. »Beweg dich. Du erfrierst, wenn du im Schnee liegen bleibst.«

Beral nickte mühsam, murmelte irgend etwas, das sich entfernt wie »Danke« anhörte, aber genausogut eine Verwünschung in seiner Muttersprache sein konnte, und machte einen unsicheren Schritt. Von seiner Rechten tropfte Blut und malte kleine runde rote Löcher in den Schnee.

Skar wartete, bis er sicher war, daß Beral aus eigener Kraft stehen konnte. Dann ging er zu seinem Pferd zurück. Das Tier wieherte unruhig, schlug mit dem Schwanz und schnappte nach seiner Hand, als er ihm beruhigend die Nüstern tätscheln wollte. Es hatte Angst. Skar konnte das Flackern seiner Augen sehen, das unruhige Beben seiner großen Nüstern. Das Tier war heruntergekommen, so wie sie alle. Es war ein stolzer, prachtvoller Rappe gewesen, als er ihn, zusammen mit den anderen Reittieren, von Rayan bekommen hatte. Der Freisegler hatte Skar das Versprechen abverlangt, sich um das Tier zu kümmern. Skar hatte es gegeben, aber nicht halten können. Er mußte froh sein, noch die Kraft zu haben, sich um sich selbst zu kümmern.

Er tätschelte dem Tier beruhigend den Hals, flüsterte ihm ein paar leise, sinnlose Worte ins Ohr und wartete, bis es aufhörte zu zittern. Dann machte er sich daran, sein Gepäck weiter abzuladen; jedenfalls versuchte er es. Die ledernen Schnürriemen waren steinhart gefroren und die Kupferschnallen so kalt, daß seine Finger an dem Metall kleben blieben. Ein paar Sekunden lang kämpfte er fluchend damit, ehe er aufgab und sich mißmutig aufrichtete. Seine Finger bluteten. Ein paar Hautfetzen waren an den Metallschnallen zurückgeblieben.

»Ärger?«

Skar fuhr herum und starrte wütend in Tantors Fuchsgesicht. Der Zwerg hatte sich in Arsans Mantel gehüllt, der ihm um mindestens fünf Nummern zu groß war, und eine riesige Fellkappe über den Kopf gestülpt. Er sah mehr denn je wie ein verschlagener kleiner Gnom aus.

Skar grunzte etwas Unverständliches, faltete die Finger vor dem Gesicht zu einer spitzen Höhle und blies hinein. Es half zwar nichts, aber er konnte sich auf diese Weise wenigstens einbilden, etwas Wärme in die tauben Glieder zu bekommen.

»Ich helfe dir«, sagte Tantor. Er huschte an Skar vorbei und bückte sich nach seinem Sattel, aber Skar schleuderte ihn mit einem Fußtritt zurück. »Hau ab!«

Tantor richtete sich mit einer flinken Bewegung auf und blinzelte zu Skar empor. Er lächelte immer noch. Irgendwann, dachte Skar grimmig, würde er ihm die Faust auf dieses Lächeln setzen und es aus seinem Gesicht herausschlagen. Vielleicht schon heute. »Verschwinde!« sagte er noch einmal. »Ich komme schon allein zurecht.«

Tantor ignorierte seine Worte, griff unter seinen Umhang und förderte einen abgewetzten Lederbeutel zutage. »Nimm das«, sagte er. »Das wird deinen Händen guttun.«

Skar betrachtete den Beutel mißtrauisch und zuckte dann die Achseln. Tantor trippelte näher und winkte auffordernd. »Nimm. Ich meine es nur gut.«

Skar griff zögernd nach dem Beutel. Seine Finger berührten die des Zwerges. Tantors Haut fühlte sich eisig an, eisig und glatt. Skar erinnerte sich daran, wie sich Berals Haut angefühlt hatte - feucht, kalt und spröde, aber trotzdem noch menschlich. Die des Zwerges erinnerte ihn an Wachs.

Trotzdem nahm er den Beutel.

»Mach ihn auf.«

Skar gehorchte zögernd. Ein braunes, körniges Pulver rieselte auf seine Handfläche.

»Du mußt es zwischen den Fingern zerreiben«, sagte Tantor. »Es hilft dir.«

Skar betrachtete das Pulver sekundenlang mißtrauisch, ehe er tat, was der Zwerg verlangte. Die versprochene Wirkung stellte sich beinahe augenblicklich ein. Er spürte, wie seine Haut wieder glatt und geschmeidig wurde und das Blut schneller zirkulierte. Seine Finger wurden warm und begannen zu kribbeln. Sie schmerzten zwar stärker, aber er konnte sie wenigstens wieder bewegen. Er verschnürte den Beutel, ignorierte Tantors ausgestreckte Hand und verstaute ihn unter seinem Mantel. Das Lächeln des Zwerges erlosch. Er starrte Skar böse an, drehte sich mit einem Ruck um und stapfte durch den Schnee davon.

Skar grinste schadenfroh. Er mochte Tantor nicht, und er war nicht sicher, daß es nur mit den Umständen zusammenhing, unter denen er ihn getroffen hatte. Er hatte nie einen Hehl aus seinen Gefühlen gemacht, aber trotzdem war Tantor stets in seiner Nähe, versuchte ihn zu beschützen und zu behüten, als wäre er eigens als Kindermädchen für ihn mitgekommen.

Er schickte Tantor einen letzten, feindseligen Blick nach und bückte sich erneut nach seinem Gepäck. Diesmal vermied er es sorgfältig, die Metallteile mit der bloßen Haut zu berühren. Seine Fingerspitzen schmerzten zwar kaum mehr, aber das hatte er wohl eher Tantors Pulver und der taub machenden Kälte zu verdanken. Er konnte sich Verletzungen dieser Art nicht leisten.

Er brauchte lange, bis er seine Habseligkeiten ausgepackt und notdürftig von Eis und eingedrungenem Matsch gereinigt hatte. Viel war es ohnehin nicht, was er mitgebracht hatte. Ihre Lebensmittelvorräte waren fast aufgebraucht, und alles, was er in Combat benötigte, waren sein gesunder Menschenverstand und zwei kräftige Hände. Vielleicht noch das Schwert, dachte er. Und ungefähr so viel Glück, wie einer braucht, der mit einer Hacke in die Wüste geht und irgendwo anfängt zu graben, um eine Wasserader zu finden.

Er zog das Schwert aus der Scheide, drehte es langsam in der Hand und betrachtete die silbernen Reflexe vom Sternenlicht, die sich auf der Klinge brachen. Es war eine gute Waffe; nicht so gut wie sein Tschekal, natürlich, aber sicher die beste Klinge, die man für Geld in Ikne erstehen konnte, so wie alles, was Vela ihnen an Ausrüstung mitgegeben hatte, das Beste war.

Sein Blick wanderte noch einmal zum Himmel hinüber und hing einen Moment an dem flammendroten Streifen im Westen. Den Feind, auf den sie dort treffen würden, konnten sie nicht mit einem Schwert besiegen.

Er schob die Waffe zurück, griff nach dem sorgfältig in Decken eingehüllten Reisigbündel und ging langsam zu den anderen hinüber.

Der Feuerplatz war schon vorbereitet. Die Sumpfleute hatten loses Geröll vom Höhleneingang herübergeschafft und zu einem zwei Fuß durchmessenden Kreis aufgeschichtet, aus dessen Inneren sorgfältig aller Schnee und Matsch entfernt worden war, so daß der nackte Felsboden sichtbar wurde. Skar warf sein Reisigbündel auf das der anderen und ließ sich seufzend neben Arsan nieder. Seine Hand tastete unter dem Umhang nach dem schmalen Lederbeutel, ohne daß er sich der Bewegung überhaupt bewußt wurde. Er hatte in den letzten Wochen oft danach getastet, sehr oft. Seine Fingerspitzen kannten jede winzige Einzelheit des Brustbeutels, jede Narbe, jeden Riß, jede Unebenheit des Materials. Und sie spürten mit schmerzlicher Deutlichkeit, wie dünn der Beutel geworden war. Der Weg durch die Berge hatte auch an ihm gezehrt.

»Ich bin froh, wenn alles vorbei ist«, murmelte Arsan. Skar sah auf, aber Arsan starrte aus leeren, blicklosen Augen zu Boden. So war Skar sich nicht einmal sicher, ob die Worte überhaupt ihm galten.

Skar hatte den schmalen, kleinwüchsigen Kohoner an Bord der Sharokaan kennengelernt, jenes Freiseglers, mit dem sie nach seiner geglückten Flucht aus Ikne den Großteil des Weges zurückgelegt hatten: den Besh hinauf, vorbei an den Sümpfen von Cosh bis weit in den Norden. Das Schiff war zu schwerfällig und zu groß gewesen, um sie ganz bis an die Schattenberge, in denen der Besh entsprang, zu bringen, aber sie hatten immerhin zehn Tage an Bord des Dreimastseglers zugebracht; das letzte Mal, daß sie wirklich ausreichend gegessen und geschlafen hatten. Arsans vor Schmerzen und Erschöpfung eingefallenes Gesicht erinnerte Skar trotz aller Unterschiede an Rayan, den Kapitän und Eigner der Sharokaan. Rayan war älter und wog gut das Doppelte, wenn nicht noch mehr, aber er und Arsan hatten die gleichen Augen. Hungrige Augen, Augen, in denen ein unstillbares Feuer brannte, das Skar gleichermaßen erstaunte wie ängstigte.

»Es wird gleich wärmer«, erwiderte er in Ermangelung einer besseren Antwort.

Arsan schüttelte den Kopf, nahm eine Handvoll Schnee auf und ließ die nassen Flocken wie klebrigen Sand durch die Finger rinnen. »Es wird nie mehr wärmer«, sagte er. »Du bildest dir vielleicht ein, daß es wärmer wird, aber das stimmt nicht.« Er lachte, leise und hart und in einem Ton, der Skar erschauern ließ, verschränkte die Hände vor den angezogenen Knien und sah auf. Ein dünnes, resignierendes Lächeln flog über sein Gesicht. »Wir werden sterben, weißt du das?«

Skar antwortete nicht.

Arsan schien sein Schweigen als Zustimmung zu deuten. »Du weißt es. Wir sind schon tot. Wir wissen es nur noch nicht. Oder vielleicht wissen wir es schon und wollen es nur nicht wissen. Wir sind schon tot. Zehn lebende Tote, die nur aus reiner Sturheit noch nicht umgefallen sind.«

»Hör auf«, brummte Skar.

Arsan schüttelte den Kopf. »Ich hätte nie hierherkommen dürfen«, sagte er ruhig. »Nie.« Er lachte wieder, aber diesmal hörte es sich mehr wie ein unterdrücktes Schluchzen als wie ein menschliches Lachen an. »Warum sind wir eigentlich hier?« murmelte er so leise, daß Skar Mühe hatte, die Worte zu verstehen. »Warum bist du hier, Skar? Geld? Macht? Eine Frau?« Er lachte erneut, lauter und bitterer diesmal. »Willst du wissen, warum ich hier bin, Skar?« Skar schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Geld«, sagte Arsan. »Ich bin wegen Geld hier. Viel Geld, Skar, mehr, als ein Mann wie ich in seinem ganzen Leben verdienen könnte. Weißt du, daß ich der einzige von euch allen bin, der vorher ein ganz normales Leben geführt hat?«

Skar schnitt eine Grimasse. »Hör auf, Arsan. Du bist müde und genauso erschöpft wie wir alle. Rede dir nichts ein.«

»Ich bin nicht müde«, widersprach Arsan. »Ich war noch nie so klar wie jetzt. Ich habe mich mein Leben lang wie ein Idiot benommen, und die größte Idiotie von allen war, hierherzukommen. Eigentlich ist es nur gerecht, wenn sie mich umbringt. Ich bin aus Geldgier hier, aus keinem anderen Grund. Dabei hätte ich es besser wissen müssen.« Er stockte wieder, sah eine Zeitlang zu Boden und schluckte mühsam. »Ich war immer arm, weißt du. Wirklich arm.« Skar lächelte. »Aber glücklich?« fragte er scherzhaft.

Arsan blieb ernst. »Nein, Skar. Der Mann, der den Spruch Arm, aber glücklich erfunden hat, muß ein sehr reicher Mann gewesen sein. Wer arm ist, ist nicht glücklich. Du kannst nicht glücklich sein, wenn du dich vor Hunger übergibst. Ich war arm, und ich dachte, ich hätte eine Chance. Ich hätte es besser wissen müssen.«

Skar suchte vergeblich nach irgend etwas, das er Arsan hätte sagen können. Es gab nichts. Er konnte niemandem Trost zusprechen, wenn in seinem Inneren nichts als Leere und hilfloser Haß war.

»Und du?« fragte Arsan.

Einen Moment lang war Skar versucht, dem Kohoner von dem dünner werdenden Lederbeutel um seinen Hals zu erzählen, von dem begrenzten Vorrat an Leben, den er mit sich herumtrug, aber er tat es nicht. Sie alle hatten ihre Gründe gehabt, zu kommen, triftige Gründe, sicherlich, aber die gingen ihn nichts an, so wie seine Gründe die anderen nichts angingen. Und er wollte auch nichts von den Dingen hören, die Arsan, Beral, Nol und die anderen hergetrieben hatten. Er war offiziell der Kommandant der Gruppe, wenn er auch bisher noch keine Gelegenheit gehabt hatte, das Kommando wirklich auszuüben, aber er sah sich nicht als Beichtvater. Daß Arsan ihm ausgerechnet jetzt all dies erzählte, war Zufall, einzig dem Umstand zu verdanken, daß er sich in diesem Moment neben ihn gesetzt hatte. Er hätte es jedem anderen auch erzählt, mit den gleichen Worten, dem gleichen Schmerz. Es war Zufall. Arsan war am Ende, vielleicht ein bißchen eher als die anderen, aber nicht viel eher. Er hätte genauso mit einem Stein geredet oder mit seinem Pferd.

»Du willst es nicht sagen, wie?« fragte Arsan.

Skar nickte. »Stimmt. Und ich möchte auch nicht darüber sprechen, warum wir hier sind. Wir sind hier. Und jeder wird für sich wissen, warum. Das reicht.«

Er sah auf und begegnete Nols Blick. In den Augen des Malabesen blitzte es spöttisch auf. Er hatte ihre Unterhaltung mitverfolgt, obwohl er auf der anderen Seite des Feuers saß, hatte aber bisher geschwiegen.

Arsan setzte dazu an, noch etwas zu sagen, aber in diesem Moment stand Tantor auf, und Arsan senkte rasch den Blick. Anders als Skar haßte der Kohoner den Zwerg nicht. Er fürchtete ihn, so, wie er offenbar jeden fürchtete; nicht nur jedes Mitglied der Gruppe, sondern überhaupt jeden Menschen. Schon auf dem Schiff und später auf dem Ritt zum Gebirge war er außergewöhnlich still und zurückhaltend gewesen, und Skar hatte sich mehr als einmal gefragt, warum Arsan überhaupt bei ihnen war.

Tantor näherte sich der Feuerstelle. Er hatte seinen Umhang abgestreift und nur die riesige Fellmütze auf dem Kopf behalten. Er nahm eine Handvoll eines weißen, körnigen Pulvers aus einer der zahllosen Taschen seines Lederwamses und verstreute es über das Reisig. Seine Lippen formten dabei schnelle, abgehackte Worte in einer unverständlichen Sprache.

Der Zwerg begann um die Feuerstelle herumzutanzen, hob die Hände zu einer beschwörenden Geste und begann zu singen: hoch, schrill und mißtönend. Er warf wieder Pulver auf das Reisig. Eine winzige gelbe Flamme züngelte auf, flackerte und erlosch. Tantor fuhr fort, um die Feuerstelle herumzuhüpfen.

»Theater«, sagte Nol. »Nichts als Hokuspokus, um Eindruck zu schinden. Irgendwann wird er einmal vergessen, seine Schau abzuziehen und ein dummes Gesicht machen, wenn das Holz trotzdem brennt.« Er sprach so laut, daß Tantor trotz seines Gebrülls die Worte hören mußte, aber der Zwerg ignorierte ihn. Jeder ignorierte Nol, so gut es ging.

Das Reisig begann zu brennen, zuerst zögernd und unter starker Rauchentwicklung, dann, als das Pulver das Holz getrocknet und entzündet hatte, in knisternden, hohen Flammen, die der Kälte und Dunkelheit der Nacht wenigstens für einen Augenblick Herr wurden.

Skar beugte sich vor, um möglichst viel von der ausgestrahlten Wärme aufzufangen. Das Feuer brannte heißer als ein normales Reisigfeuer, viel heißer, und das Holz selbst verbrauchte sich kaum. Die Bündel lagen noch immer so da, wie sie sie hingeworfen hatten, und sie würden bis weit in den nächsten Tag hinein brennen und Wärme verbreiten. Ohne Tantors magisches Feuer hätten sie nicht einmal die erste Nacht in den Bergen durchgestanden. Feuer war Tantors Spezialität, Feuer und Eis.

Minutenlang saß Skar unbeweglich da und genoß das Gefühl, die Wärme schichtweise in seinen Körper eindringen zu spüren. Die eisige Kälte wich nur zögernd aus seinen Gliedern, und mit der Wärme kam die Müdigkeit. Diesmal wehrte er sich nicht. Er ließ sich zurücksinken, streckte Arme und Beine aus, blinzelte in die Flammen und schloß schließlich die Augen. Das Feuer hinterließ grelle Nachbilder auf seinen Netzhäuten.

Seine Finger schlössen sich um den Brustbeutel. Er versuchte, die Anzahl der Kugeln darin zu zählen und sich dabei auszurechnen, wann er die letzte verbrauchen würde, aber er kam nicht mehr dazu, den Gedanken zu Ende zu denken.

Unter dem brennenden Himmel von Combat schlief er ein.

Eine zentnerschwere Steinplatte lastete auf seiner Brust. Er versuchte zu atmen, aber das Gewicht des Felsens preßte seinen Brustkorb zusammen, marterte jede Faser seines Körpers, als wäre der Himmel selbst herabgestürzt, um ihn mit seinem Gewicht zu zermalmen. Er wollte schreien, aber auch das ging nicht. Sein Körper war starr, gelähmt, ein einziger grauenhafter Krampf. Er konnte nicht atmen, erstickte, aber seltsamerweise lebte er noch, lebte trotz des mörderischen Drucks auf seiner Brust und der quälenden Leere in seinen Lungen. Es war wie ein nie endender Tod, ein ununterbrochenes, qualvolles Sterben, dem die letzte Erlösung vorenthalten blieb. Er öffnete den Mund, schnappte hilflos nach Luft und bäumte sich gegen das unsichtbare Gewicht auf. Seine Lungen schienen zu bersten. Flüssiges Feuer begann seinen Körper von innen heraus zu verbrennen. Er bäumte sich wieder auf, stemmte sich mit der ganzen gewaltigen Kraft seines Körpers gegen den Druck und sank mit einem lautlosen Schrei zurück. Seine Anstrengungen schienen den stählernen Ring um seine Brust nur noch mehr zusammenzuziehen. Der Boden, auf dem er lag, fühlte sich mit einem Mal weich und nachgiebig an und doch zugleich fest, wie eine zähe, gummiartige Masse, in die Skar Millimeter für Millimeter hineingepreßt wurde. Er keuchte, bekam plötzlich und unerwartet wieder Luft und versuchte aufzuspringen, aber statt des tödlichen Drucks war nun etwas unter ihm, etwas, das ihn festhielt und ihn mit dergleichen Kraft, mit der er vorher zu Boden gepreßt worden war, hinabsog. Er sah an sich hinunter. Sein Körper war nur noch zum Teil da, fast zur Hälfte verschwunden. Wo seine Beine gewesen waren, brodelte jetzt ein schwarzer See, und er sah jetzt, daß er nicht auf Felsen, sondern auf einer dunklen, amorphen Masse lag, einer scheinbar endlosen Fläche kleiner viel füßiger Dinger, Käfer, Spinnen, Schaben aus schwarzem, glänzendem Chitin, die sich in einer majestätischen, langsamen Bewegung über seinen Körper schoben, ihn auffraßen, einsogen, absorbierten ...

Skar erwachte mit einem keuchenden Schmerzenslaut. Die Schrecken des Alptraumes wichen wie Morgennebel, der vom Sturm hinweggeweht wurde, aber in seinem Inneren blieb noch ein kleiner Rest des dumpfen Druckes, etwas, das nicht zu dem Traum, sondern zu ihm selbst gehörte, ein dunkler Begleiter, seit vierzig Tagen in ihm und jeden Morgen ein wenig schlimmer und kraftvoller werdend. Die Nacht war gewichen, und es war hell geworden, der Himmel war blau, fast weiß, und die Farben schienen irgendwie falsch, verschoben in eine Richtung, die nicht mehr zu dieser Welt gehörte. Graue, bebende Fäden krochen wie lebendige Spinnweben durch Skars Körper, woben sich um sein Gehirn, seine Augen ... Er stöhnte. Seine Hand schmerzte, er fror so erbärmlich, daß er trotz der drei Decken und des noch immer lodernden Feuers am ganzen Leib zitterte. Er hob die Hand, griff mühevoll nach dem Brustbeutel und nestelte an dessen Verschluß herum. Seine Finger gehorchten ihm nicht, nicht so, wie sie es sollten, und das graue Netz in seinem Inneren wurde dichter. Wieder hatte er das Gefühl, ersticken zu müssen, aber diesmal bekam er wirklich keine Luft mehr. Er öffnete den Beutel, nahm eine der glatten braunen Kugeln zwischen die Fingerspitzen und führte sie zum Mund. Er hatte seine Gesichtsmuskeln nicht mehr unter Kontrolle. Seine Lippen bebten. Ein dünner Speichelfaden lief aus seinem Mundwinkel, versickerte in seinem Pelz, ließ diesen feucht und kalt und hart werden.

Er schluckte krampfhaft, schloß die Augen und wartete darauf, daß die Wirkung einsetzte. Es dauerte lange. Seit dem ersten Mal dauerte es jedesmal länger, bis das Gegengift wirkte. Sein Körper begann sich daran zu gewöhnen, und er hätte sich, wenn er dem Gedanken nicht voller Panik ausgewichen wäre, den Tag ausrechnen können, an dem er zwei statt eine der braunen Kugeln würde nehmen müssen.

Skar richtete sich mühsam in eine halb sitzende, halb hockende Stellung auf. Seine Muskeln waren verspannt und schmerzten, und als er in die Runde blickte, sah er, daß es den anderen nicht besser erging. Trotz des Feuers hatte sich die Kälte eingeschlichen, hatte wie ein kleines listiges Tier die Barriere aus Flammen und knisternder Wärme übersprungen und ihre Körper taub und steif werden lassen; nicht so sehr, um sie wirklich in Gefahr zu bringen, aber ausreichend als Warnung, als stummer Hinweis, daß sie hier in ihrem Reich waren und jeder Versuch, ihr zu trotzen, auf Dauer mißlingen mußte.

Er schien - mit Ausnahme Tantors, der wie ein kleiner pelziger Ball in seine Decken eingedreht auf der anderen Seite des Feuers schlief - der letzte zu sein, der aufwachte, und hinter seiner Stirn war noch immer ein dumpfer Druck, ein Gefühl dicht unterhalb der Grenze zu wirklichem Schmerz; die Erinnerung an den überstandenen Alptraum, aber auch Furcht, seit Wochen sein ständiger Begleiter und wie die Kälte immer da. Auch jetzt, unmittelbar nachdem er aufgewacht war, konnte er sich nicht mehr an alle Einzelheiten des Traumes erinnern, aber das war auch nicht nötig. Es war immer derselbe Traum, jede Nacht.

Seine Hand tastete wieder nach dem Lederbeutel. Der Vorrat darin war auf weniger als die Hälfte zusammengeschrumpft; dreißig Tage, vierzig, wenn er die fünf, die er als eiserne Ration abgezweigt hatte, mitzählte. Vielleicht konnte er ihn ein wenig strecken, wenn der Rückmarsch nicht so strapaziös war wie der Weg hier herauf. Sein Körper verbrauchte im gleichen Maße mehr des Gegenmittels, wie die Anstrengungen wuchsen. Er hatte schon auf dem Schiff damit begonnen, die Zeit, die bis zum Einnehmen einer der Kugeln verging, zu strecken, wenige Stunden nur, die sich aber summieren und zwei, vielleicht drei Tage ergeben würden. Nicht viel Zeit, und doch eine Ewigkeit, wenn das Leben nur noch nach Stunden gezählt werden konnte.

Sein Gedanke an Vela, die ihn an die Schwelle des Todes gesetzt hatte, ließ ihn nur Entsetzen verspüren.

Er erhob sich vollends auf die Knie und rieb die Hände über der Glut aneinander. Ein Windstoß fauchte über das Tal, brach sich an den spiegelnden Wänden und wirbelte eine Wolke aus feinem, pulvrigem Schnee auf, die wie Staub in der Luft hing und sich nur langsam wieder senkte. Die Pferde wieherten nervös.

Skars Blick wanderte wieder nach Westen. Das dunkle, drohende Rot am Himmel war zu einem kaum wahrnehmbaren Streifen geworden, aber es war noch immer da.

Er stand umständlich auf, wickelte sich fröstelnd in seinen Umhang und legte nach kurzem Zögern eine zusätzliche Decke um die Schultern. Die Kälte hatte sich einmal in seinen Knochen eingenistet und wich nur langsam wieder.

Er begann langsam im Kreis herumzugehen und stampfte mit den Füßen auf, um das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen. Seine Finger und Zehen schmerzten, als wäre in seinen Adern nicht länger Blut, sondern ein Strom winziger, reißender Eiskristalle, die ihn langsam von innen heraus zerschnitten. Aber er wußte, daß der Schmerz bald vergehen würde. Es war kalt, jedoch nicht mehr so kalt, daß ihnen wirklich Gefahr drohte. Die Temperaturen lagen hier, im Schütze des Talkessels, nur mehr dicht unter dem Gefrierpunkt. Tief genug, um zu erfrieren, wenn man ruhig lag und schlief, aber längst nicht kalt genug, einen Mann, der sich bewegte und warm gekleidet war, ernsthaft in Gefahr zu bringen.

Die Stille fiel ihm auf. Obwohl sich zehn Personen und fast doppelt soviel Pferde in dem Talkessel aufhielten, schien das an- und abschwellende Heulen des Windes der einzige hörbare Laut zu sein. Er zog die Decke enger um die Schultern und hielt nach Arsan Ausschau. Der Kohoner stand am gegenüberliegenden Rand des Kessels, unweit des Höhlenausgangs. Es war nicht zu erkennen, was er tat oder ob er überhaupt etwas tat. Er schien einfach dazustehen und in die Finsternis jenseits des gezackten Loches zu starren. Skar ging um das Feuer herum, trat mit einem großen Schritt über den schlafenden Zwerg hinweg und stapfte langsam zu Arsan hinüber.

Der Kohoner wandte den Kopf, als er Skars Schritte hinter sich hörte. Für einen Moment wirkte der Blick seiner Augen leer, allenfalls ein wenig verwirrt, als erwache er aus einem tiefen Schlaf und frage sich ernsthaft, wie er hierher gekommen sei und was er überhaupt hier suchte; dann lächelte er.

»Glaubst du, daß es jetzt ungefährlich ist, hineinzugehen?« fragte er anstelle einer Begrüßung.

Skar starrte sekundenlang in die gezackte, wie hineingesprengt wirkende Öffnung in der Felswand und hob die Schultern. Er kannte diesen Teil des Gebirges nicht, ebensowenig wie Arsan oder einer der anderen ihn kannte, aber eine der ersten Regeln, die sie gelernt hatten, war, niemals nach Dunkelwerden in eine Höhle zu gehen. Er wußte nicht viel über Schneespinnen - eigentlich nicht viel mehr, als daß es sie gab, daß sie ausschließlich in diesem Teil der Welt und auch hier nur in den unwegsamsten Winkeln des Gebirges lebten, daß sie in Höhlen hausten und mit Sonnenaufgang in eine totenähnliche Starre verfielen und zur hilflosen Beute ihrer Feinde wurden. Er hatte nie eines dieser Tiere gesehen, aber allein der Gedanke an die Art ihres Lebens erschien ihm wie eine groteske Ungerechtigkeit des Schicksals. Nach Dunkelwerden grausame und nahezu unbesiegbare Räuber, waren sie während der hellen Tagesstunden selbst gegen den schwächsten Angreifer wehrlos; sicherlich einer der Gründe, warum sie so gut wie ausgestorben waren. »Ich weiß es nicht«, sagte er nach einer Weile. »Aber es ist hell.« Arsan sah ihn zweifelnd an. »Hier draußen, ja«, sagte er.

Skar schüttelte den Kopf. »Sie wachen erst nach Sonnenuntergang auf.«

»Und worin besteht dort drinnen der Unterschied zwischen Tag und Nacht?« fragte Arsan.

Skar wußte keine Antwort auf diese Frage, und sie interessierte ihn auch nicht sonderlich.

»Wir werden es herausfinden«, sagte er leichthin. »In spätestens einer Stunde müssen wir aufbrechen. Der Weg hinunter auf die Ebene ist noch weit. Ich möchte keine weitere Nacht im Gebirge verbringen.«

Arsan nickte, legte den Kopf in den Nacken und blinzelte nach oben. Obwohl die Sonne grell und flammend am Himmel stand, war es eisig kalt, und ihr loderndes rotes Licht schien nicht mehr als böser Spott zu sein.

Skar schauderte. Aber es war nicht die Kälte, die ihn frösteln ließ. Diesmal nicht. »Gehen wir zurück zum Feuer«, sagte er. »Es ist noch etwas Holz da. Wir sollten uns aufwärmen, ehe wir aufbrechen. Der Abstieg wird sicher gefährlich. Und ich habe keine Lust, mir den Hals zu brechen, nur weil ich vielleicht die Zügel nicht richtig halten kann.«

Arsan starrte weiter in das Dunkel jenseits des Höhleneingangs, als hätte er Skars Worte überhaupt nicht gehört. Sein Gesicht war leer, und seine Haltung wirkte unnatürlich starr und verkrampft. »Weißt du«, sagte er leise, ohne den Blick von dem schattenerfüllten schwarzen Schlund zu wenden, »daß ich fast die ganze Nacht hier gestanden habe?«

Skar antwortete nichts. Arsans Worte waren nur scheinbar eine Frage gewesen.

»Ich habe hier gestanden und überlegt, ob ich nicht einfach hineingehen und Schluß machen soll«, fuhr Arsan nach sekundenlangem Schweigen fort. »Einfach hineingehen und Schluß machen. Ist das nicht verrückt?«

Skar schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Das ist ganz und gar nicht verrückt.« Er verstand den Kohoner gut, nur zu gut. Arsan hätte nicht hierherkommen dürfen, nie. Er hatte sich der Gruppe angeschlossen, obwohl er gewußt hatte, daß er sterben würde, und wahrscheinlich hatte er auf dem ganzen Weg hier herauf an nichts anderes gedacht als an den Tod. Arsan war kein Held. Er war nicht einmal mutig. Er war nichts als ein kleiner, verzweifelter Mann, der geglaubt hatte, eine Chance zu bekommen. Und doch mußte etwas Besonderes an ihm sein, etwas, das Skar bisher noch nicht entdeckt hatte und von dem Arsan vielleicht nicht einmal selbst wußte, das Vela aber dazu bewogen hatte, Skar diesen Mann mitzugeben. Skar begriff plötzlich, daß es seine Pflicht war, sich um den Kohoner zu kümmern, wenn schon nicht als Mensch, so doch wenigstens als Kommandant der Gruppe, als der er sonst zu spät merken würde, worin die besondere Begabung dieses kleinen traurigen Mannes gelegen hatte.

»Du sprichst in letzter Zeit ein wenig zuviel vom Sterben«, sagte er tadelnd.

Zu seiner eigenen Überraschung lächelte Arsan. »Ich wußte, daß du das sagen würdest«, erwiderte er.

»So?«

»Ich weiß fast immer, was du in einer bestimmten Situation tun oder sagen wirst«, fuhr Arsan fort.

Skar sah den dunkelhaarigen Kohoner verwirrten. »Bin ich so leicht zu durchschauen?«

Arsan nickte. »Schwerer als die anderen«, sagte er. »Doch auch bei dir ist es möglich. Es ist einfach, hinter das Gesicht eines Menschen zu blicken.«

»Du ... liest Gedanken?« fragte Skar stockend.

Arsan schüttelte rasch den Kopf. »Nein. Aber ich beobachte. Ich habe Augen zum Sehen und Ohren zum Hören. Ich kenne euch alle, Skar, nicht nur dich.« Er drehte sich herum und deutete der Reihe nach auf die anderen. »Nicht einer von ihnen ist in Wirklichkeit das, was er zu sein vorgibt, aber die meisten wissen es nicht einmal. Sie alle tragen Masken, Skar, auch du. Nimm«, fuhr er fort, als Skar ihn mit deutlichem Zweifel ansah, »zum Beispiel Beral. Er spielt gerne den Narren, dabei ist er in Wirklichkeit nichts als ein trauriger alter Mann, der zuviel erlebt hat und den Tod herausfordert. Gerrion - vielleicht der ehrlichste von allen. Ein Mörder, dem das Töten Freude bereitet und der aus reiner Abenteuerlust mitgekommen ist.« Er stockte wieder, sah Skar an und deutete mit einer Kopfbewegung auf Gowenna, die bei ihrem Pferd stand und ihr Sattelzeug festzurrte. Der schmucklose dreieckige Schild, der auf ihrem Rücken festgebunden war, glänzte, als wäre er frisch poliert. »Sie ist allein der Herausforderung gefolgt. Und dir.«

»Mir?« fragte Skar überrascht.

Arsan nickte. »Du bist ein Satai, Skar. Ihr Stolz hätte es nicht zugelassen, einer Herausforderung auszuweichen, der du dich gestellt hast. Sie ist mitgekommen, um dabei zu sein, wenn du verlierst. Sie will deine Niederlage sehen, nicht ihren Sieg. Sie haßt dich, Skar.« Skar verbiß sich die Antwort, die ihm auf der Zunge lang. Arsan war der Wahrheit näher, als er vielleicht selbst glaubte.

»Und du haßt sie«, fuhr Arsan fort. »Ich weiß nicht warum, aber nur einer von euch beiden wird nach Ikne zurückkehren.«

Skar lachte, aber es klang unecht und bestätigte Arsans Behauptung noch. »Du glaubst, ich würde sie umbringen?« fragte er. »Du wirst sie töten, wenn nicht einer von euch beiden in Combat umkommt, Skar. Du wirst sie töten oder von ihr getötet werden. Gowenna ist von allen die, die am leichtesten zu durchschauen ist. Sie haßt die Männer, und sie haßt dich, weil du all das symbolisierst, was in ihren Augen einen Mann ausmacht. Mut, Kraft, Stärke ...« Skar unterbrach ihn, bevor er weitere Superlative aufzählen konnte. »Ich glaube, du unterschätzt Gowenna«, sagte er. »Sie kann nicht nur mit der Klinge umgehen. Sie ist...«

»Intelligent, ich weiß«, sagte Arsan. »Und sie weiß im Grunde ganz genau, daß sie im Unrecht ist. Kraft und die Fähigkeit, ein Schwert zu führen, machen noch lange keinen Mann. Trotzdem - ist es genau das, was sie sein möchte. Und gerade weil sie es weiß, haßt sie dich um so mehr. Sie wird dich fordern, Skar. Und sie wird es in dem Moment tun, in dem sie sich dir überlegen glaubt. Nimm dich in acht vor ihr.«

»Sprich weiter«, sagte Skar, als Arsan abbrach.

»Es gibt nichts mehr zu sagen. Es gibt nur noch die Sumpfleute, uns zwei und Tantor.« Arsan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es lohnt nicht, über den Zwerg ein Wort zu verlieren. Du weißt so gut wie ich, was von ihm zu halten ist. Er ist Velas Auge und Arm. Und wer hat je gewußt, was hinter der Stirn eines Sumpfmannes vorgeht?«

»Und ich?«

Arsan lächelte erneut. »Das solltest du besser wissen als ich, Skar.«

»Vielleicht. Aber vielleicht will ich es auch nicht wissen.«

»Und du verlangst von mir, daß ich einem Mann sage, wovor er bis ans Ende der Welt geflohen ist?«

»Wer sagt dir, daß ich vor irgend etwas fliehe? Vielleicht ist es genau umgekehrt, und vielleicht ist es wirklich Zufall, daß ich hier bin. Vielleicht gibt es keinen Grund für mein Hiersein, und es wäre das Vernünftigste, wenn ich ein paar hundert Meilen entfernt wäre.«

»Das wäre es sicher«, nickte Arsan. »Aber das gilt für jeden von uns. Ich weiß nicht, warum du mitgekommen bist, Skar. Ich weiß manchmal, wie du reagieren wirst, doch warum du es tust, weiß ich nicht. Es ... paßt nicht zu dir.«

Es hätte viel gegeben, was Skar hätte antworten können, aber irgend etwas hielt ihn immer noch davon ab, Arsan völlig zu vertrauen. Es war kein Mißtrauen. Arsans Offenheit war echt, nicht gespielt, und die Art des Kohoners, so vorbehaltlos ehrlich und frei zu reden, war wohl nichts anderes als eine wortlose Bitte um Hilfe. Aber er brachte es nicht fertig, das Vertrauen des Kohoners auf die gleiche Weise zu erwidern. Noch nicht. Vielleicht später, wenn sie dann noch lebten, wenn irgendeiner von ihnen dann noch lebte, wenn er überhaupt noch einmal fähig sein würde, einem fremden Menschen zu vertrauen. Er hatte manchmal das Gefühl, daß Vela mehr verletzt hatte als seinen Stolz.

»Du hast recht«, sagte er schließlich. »Es paßt nicht zu mir.« Er spürte, daß Arsan auf mehr wartete, daß er eine Erklärung, vielleicht auch nur ein zaghaftes Wort der Freundschaft, ein Lächeln erwartete, aber er sagte nichts dergleichen, sondern wandte sich mit einem entschlossenen Blick um und ging zu seinem Pferd zurück. Eine Weile konnte er sich damit beschäftigen, seine Sachen zusammenzusuchen und das Pferd zu satteln, und darauf konzentrierte er sich auch mit schon fast wütender Energie, froh, eine Aufgabe zu haben, die, wenn schon nicht seine Gedanken, so doch wenigstens seine Hände beschäftigte.

Das Tier war nervös und scheute immer wieder, als er versuchte, ihm den Sattel aufzulegen. Das Fell war von den hartgefrorenen Lederriemen zerrissen und entzündet; der Gaul mußte starke Schmerzen haben. Es bedurfte Skars ganzer Überredungskunst und Geduld, ihm Sattel und Packtaschen aufzulegen, und Skar war schließlich der letzte, der mit seinem Pferd am Zügel durch das Tal und auf den Höhleneingang zuschritt. Die anderen hatten sich bereits vor dem gezackten Schlund versammelt und warteten auf ihn, aber niemand äußerte ein Wort der Ungeduld. Überhaupt fiel Skar das unnatürliche, angespannte Schweigen auf, dessen sich die kleine Schar befleißigte. Selbst die drei Sumpfleute, die kaum mehr als zehn zusammenhängende Sätze gesprochen hatten, seit sie aus Ikne aufgebrochen waren, wirkten noch stiller. Ihre Kleider waren jetzt weiß, und ihre Gesichter und Hände hatten einen grauen, von fahlen weißen und braunen Streifen durchzogenen Farbton angenommen, der sie nahezu unsichtbar werden ließ. Wie immer, wenn Skar die drei Chamäleonmänner sah, überlief ihn ein sanfter Schauer. Es war etwas Unnatürliches an diesen Menschen, etwas, das auf seine Art noch fremder und erschreckender auf Skar wirkte als Tantors Zaubereien.

Sie alle wirkten nervös, nervös auf jene schwer zu beschreibende Art, die gleichzeitig mit Furcht und Erleichterung gepaart war: Furcht, vor dem, was sie erwarten mochte, aber auch Erleichterung, daß die Qualen so oder so bald ein Ende hatten, wobei es vielleicht nicht einmal die körperlichen Strapazen waren, die an ihren Kräften gezehrt hatten. Vielmehr war es das Warten selbst gewesen, die Ungewißheit. Skar kannte das Gefühl zur Genüge - er hatte es unzählige Male gespürt, vor jeder Schlacht, in die er gezogen war, vor jedem Kampf, den er ausgefochten hatte. Die Schrecken, die das Unbekannte barg, waren meist schlimmer als die Realität. Obwohl keiner von ihnen wußte, ob er am nächsten Morgen noch am Leben sein würde, waren sie doch alle insgeheim froh, daß die Zeit des Wartens vorüber war.

Sie drangen ohne ein weiteres Wort in die Höhle ein. Vor dem Eingang lag Schutt; Fels, der von eindringendem und gefrierendem Wasser gesprengt worden war und eine schräge, selbst für die Pferde leicht zu ersteigende Rampe bildete, die sich auf der anderen Seite fortsetzte und sie wieder sicher auf den Höhlenboden zurückbrachte. Skar dachte daran, was Velas Karten über diese Höhle sagten: ein hoher, domartig gewölbter Saal, von dem drei halbrunde Stollen tiefer in den Berg hineinführten. Nur einer von ihnen führte zum Ziel. Die beiden anderen führten tiefer in den Berg hinein und endeten in einem unerforschten, tödlichen Labyrinth, aus dem noch niemand wieder herausgekommen war. Wie die Höhle selbst waren auch die Stollen künstlicher Natur; ein Teil jener gewaltigen unterirdischen Anlage, in der die Bewohner Combats Schutz vor dem Zorn der Götter gesucht hatten. Es hatte ihnen nichts genutzt. Die wenigen, die den Untergang der Stadt überstanden hatten, waren hier unten gestorben, verhungert, verdurstet, verbrannt vom Atem der Götter, der sie selbst hier unten erreicht hatte.

Skar schob den Gedanken verärgert beiseite. Das alles war, wenn es überhaupt jemals so geschehen war, Jahrtausende und vielleicht noch länger her. Jetzt war diese Höhle nichts als ein gewaltiges Loch dicht unter dem Gipfel des letzten Berges, der sie noch von ihrem Ziel trennte. Der Stollen war nicht lang, wenig mehr als eine halbe Meile, und es gab hier nichts, was ihnen wirklich gefährlich werden konnte. Nichts außer den Schrecken, die in ihnen selbst lauerten.

»Wir brauchen Licht«, sagte er. Seine Stimme klang seltsam dumpf. Er hatte ein Echo erwartet, aber die glitzernden, eisverkrusteten Wände schienen jegliches Geräusch einfach aufzusaugen. Hinter ihm glomm ein winziger gelber Funke auf und wuchs rasch zur prasselnden Flamme einer Fackel heran. Das Feuer zauberte flackernde Lichtreflexe und kleine flinke Schatten auf Wände und Boden.

Sie führten ihre Tiere vorsichtig bis in die Mitte der Halle. Mit Ausnahme von Skar und Nol hatten sie mittlerweile alle Fackeln entzündet. Das Licht bildete eine rötliche, flackernde Kuppel über ihnen, schien aber nur wenige Meter weit zu reichen, ehe es sich in der ewigen Nacht im Inneren des Berges verlor. Die Wände waren nur als schwarze, umrißlose Schatten erkennbar, auf denen sich manchmal ein einsamer Lichtsplitter brach. Der Boden war hier ebener als vorne am Ausgang, und Skar war sich nicht sicher, ob die Linien und Striche, die durch die zollstarke Staubschicht auf dem Fußboden sichtbar waren, zu einem Mosaik gehörten oder einfach Sprünge im Fels waren. Wenn diese ganze Anlage, wie Vela behauptete, wirklich künstlichen Ursprungs war, mußten sie achtgeben. Die Herren Combats waren mächtig gewesen, mächtig genug, um sich selbst mit den Göttern messen zu wollen. Ihr Zauber mochte noch immer wirksam sein.

Er hob die Hand, um die anderen zum Anhalten zu bewegen, drehte sich einmal um seine Achse, ohne mehr als Schatten und massige schwarze Schemen zu erkennen, und schwang sich mit einem entschlossenen Ruck in den Sattel. Sein Pferd tänzelte nervös und stieß ein leises, ängstliches Wiehern aus. Seine tierischen Instinkte mochten es die Fremdheit der Welt, in die sie eingedrungen waren, noch deutlicher spüren lassen.

Auch die anderen saßen auf. Die Höhle war groß genug, daß sie nebeneinander reiten konnten. Skar fiel erneut die allgemeine Nervosität auf, aber sie war anders diesmal, angespannter, furchtsamer. Die Hände der Männer wanderten immer wieder nervös zu ihren Waffen, und sie ritten wie eine Herde Schafe, die sich ängstlich aneinanderdrängt, dichter beisammen, als es notwenig gewesen wäre. Skar brachte sein Pferd mit sanftem Schenkeldruck zum Stehen, als sie das gegenüberliegende Ende des Saales erreicht hatten. Die Stollen waren da, wie auf Velas Karte eingezeichnet - drei große finstere runde Löcher, die nebeneinander in den Fels hineinführten. Einer von ihnen war zerstört, zur Hälfte eingestürzt und von einer unüberwindlichen Mauer aus Felstrümmern und zerschmolzenem und blasig erstarrtem Gestein blockiert. Skar versuchte sich die Temperaturen vorzustellen, die notwendig waren, massiven Fels wie Wachs zerlaufen zu lassen, aber er konnte es nicht.

Er drehte sich halb im Sattel um und warf Gowenna einen fragenden Blick zu.

»Der Mittlere«, sagte sie. Auch ihre Stimme schwankte, obwohl sie sich sichtlich Mühe gab, möglichst unbeeindruckt zu erscheinen. Aber die Magie dieser Höhle war nichts, dem man mit Mut und Unerschrockenheit begegnen konnte, sondern etwas vollkommen Fremdes, etwas, das die Mauern um ihren Geist unterlief und an Bereichen ihrer Seele nagte, von denen sie bisher kaum gewußt hatten, daß es sie gab.

Skar nickte wortlos. Sein Blick begegnete dem Arsans. Die Augen des Kohoners waren unnatürlich geweitet, sein Gesicht zuckte im flackernden Schein der Fackeln. Sie alle hatten das Spinnensymbol, einen Kreis mit acht Beinen und einem hineingemalten Totenschädel, auf der Karte gesehen.

»Beeilen wir uns«, sagte er rauh.

Es war ein seltsames Gefühl, in den Stollen einzudringen. Keine Furcht in dem Sinne, in dem er das Won bisher benutzt hatte, sondern eine drückende, krabbelnde Beklemmung, als dringe er mit jedem Schritt weiter in einen Bereich der Welt vor, in dem nichts Lebendes Bestand haben konnte. Er konnte das Alter der Wände, die ihn einschlössen, spüren, all die Jahrhunderte, Jahrtausende, die seit ihrer Entstehung vergangen waren. Die Welt war untergegangen und neu entstanden, seit man die Wände erbaut hatte, und irgend etwas von all den Millenien, die an ihnen vorübergezogen waren, war an ihnen haften geblieben, etwas Bedrückendes und Traurig-machendes, ein Stück materialisierter Ewigkeit, das Wissen, daß alle Bemühungen und jeder Kampf, egal wie groß und gewaltig das Ziel erscheinen mochte, letztlich sinnlos waren und keine Spuren in der Zeit hinterließen. Skar hatte plötzlich das Gefühl, nur noch mit Mühe atmen zu können.

Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt schneller. Am Ende des Stollens war ein winziger, trübgrauer Fleck: Tageslicht, das vom jenseitigen Eingang hereinschimmerte. Der Boden war so glatt, als wäre er poliert worden, und ein süßlicher, schwer einzuordnender Geruch, der Skar erst nach einiger Zeit auffiel, hing in der Luft, etwas, das wie Verwesung und doch wieder ganz anders roch. Er wollte nicht wissen, was seine Ursache war.

Sie brauchten weniger als eine halbe Stunde, um den Tunnel zu durchqueren. Der Stollen endete wie abgeschnitten am Rande einer brettflachen, halbkreisförmigen Ebene, die, ebenso wie der Tunnel, frei von Schnee und Matsch war. Ein warmer, böiger Wind schlug Skar entgegen, und aus dem Abgrund jenseits des Plateaus drang ein dumpfes, vibrierendes Grollen herauf, ein Geräusch, als rege sich dort unten ein mächtiger, feuergeborener Drache.

Der Himmel war mit schweren, dunkelgrauen Wolken bedeckt, die im Widerschein eines gewaltigen Feuers gelb und rot und orange glühten.

Sie ritten bis in die Mitte der Ebene, stiegen von ihren Pferden und gingen nebeneinander auf den Abgrund zu.

Unter ihnen, wie ein vom Himmel gefallener brennender Stern tief in das schimmernde Glas Tuans eingegraben, lag Combat. Minutenlang sprach keiner von ihnen ein Wort. Jeder von ihnen hatte ein anderes Bild der Stadt mit hierhergebracht, und jedes mochte gewaltiger und schrecklicher sein als das andere. Aber die Wirklichkeit übertraf alles.

Skar hatte nie an die alten Legenden und Mythen geglaubt, selbst während der letzten Tage noch nicht, als das flammende Fanal Combats ihnen bereits den Weg gewiesen hatte. Er hatte gewußt, daß es Combat gab, natürlich, aber er hatte all die Geschichten und Mythen, die sich um die Brennende Stadt rankten und die die Leute nur hinter vorgehaltener Hand zu erzählen wagten, wie alle Legenden für übertrieben und falsch gehalten.

Sie waren es nicht.

Er wußte im gleichen Moment, in dem er die Stadt sah, daß die Wirklichkeit noch viel bizarrer und erschreckender war als die Legenden, daß die menschliche Phantasie nicht ausgereicht hatte, die Schrecken der Vergangenheit zu schildern. Er hatte geahnt, daß Combat gewaltig war, aber auch dieses Won reichte nicht aus. Die Stadt war ungeheuerlich. Ein Monstrum aus Glas und Kristall und Stahl und Marmor, selbst jetzt noch hundertmal größer als die gewaltigste Stadt, die er je erblickt hatte.

Skar suchte vergeblich nach einem passenden Vergleich, etwas, das an Größe und Schrecklichkeit dem brüllenden Scheiterhaufen der Götter dort unter ihm standhalten konnte. Selbst die mächtigen Mauern Iknes mußten gegen diese ungeheuerliche Ansammlung von Türmen, Mauern und Quadern zu einem lächerlichen Nichts zusammenschrumpfen.

Die Stadt war kreisförmig angelegt. Der äußere, Meile um Meile durchmessende Ring bestand aus einer Unzahl niedriger runder Türme, die durch wuchtige Mauerstücke verbunden waren. Dahinter, wie die Speichen eines Rades dem Zentrum zustrebend, zogen sich Hunderte und Aberhunderte von Straßen dahin, gesäumt von Gebäuden, die an Größe und Form alles übertrafen, was Skar jemals erblickt hatte. Gigantische Türme, Nadeln aus blausilbernem, gleißendem Stahl gleich, ragten hoch in den Himmel, untereinander verbunden mit einem Netzwerk von Brücken und Stegen aus glitzernden, spinnwebdünnen Kristallfäden. Trotz der großen Entfernung glaubte er eine Unzahl von Details zu erkennen, Dinge, die wie durch einen geheimnisvollen Zauber selbst durch den Vorhang aus wabernder Glut und Hitze hindurch sichtbar blieben, als hätten die Erbauer Combats dafür Sorge getragen, daß die Größe und Pracht ihrer Schöpfung selbst jetzt noch zu bestaunen war. Die Stadt war da, wo sie nicht aus Stahl und Kristall bestand, ganz aus weißem Marmor erbaut, gigantische Gebäude, die sich neben- und übereinander erhoben, ineinander verzahnt, verwachsen in einer Architektur, die gleichzeitig abstoßend fremd wie faszinierend schön war, mit ihrem makellosen Weiß das Blaken der Flammen widerspiegelnd, als wollten sie dem Feuer spotten, das seit Jahrtausenden an ihnen fraß und ihnen doch keinen Schaden hatte zufügen können. Dazwischen zogen sich gewaltige breite Alleen dahin, Prachtstraßen, eingesäumt von himmelstürmenden Reihen titanischer weißer Säulen, auf denen Skulpturen wie stumme Wächter standen: Menschen, Tiere, aber auch bizarre Fabelwesen, längst ausgestorben oder auch niemals wirklich am Leben gewesen. Es gab Plätze, unendliche leere Flächen, künstliche Flüsse und riesige marmorne Springbrunnen, aus denen nun Feuer statt Wasser sprudelte. Im Zentrum der Stadt schließlich, funkelnd wie ein riesiges lohendes Auge, lag die Kuppel, niedriger als die Türme und doch gewaltiger, ein titanischer Edelstein aus Millionen und Abermillionen gleichförmig geschliffener Facetten, die im grellen Widerschein der Flammen wie geschäftige kleine Kristallkäfer hin und her zu eilen schienen.

Skar stand lange am Rande des Plateaus, unfähig, sich zu rühren oder etwas anderes zu empfinden als Staunen und ein Gefühl ungläubigen Entsetzens. Er wußte nicht einmal genau, was er erwartet hatte - eine Art Scheiterhaufen vielleicht, eine gewaltige, glühende Ruine, die Flammen und Asche und glühendes Magma in den Himmel spie -, aber der Anblick lahmte ihn. Die Stadt war unter einer gewaltigen Glocke aus Flammen und Hitze begraben, eine Halbkugel aus Feuer, aus der die Spitzen der Türme wie brennende Finger herausstachen. Aber sie war unbeschädigt. Hinter dem Vorhang aus Glut, den der Atem der Götter über sie gebreitet hatte, war sie unbeschädigt, schimmernd und glänzend wie am ersten Tag, gewaltig, erschreckend und gleichzeitig schön wie unbeschreiblich häßlich, ein Monument der Macht, dem nicht einmal die seit Jahrtausenden brennenden Flammen des Götterfeuers etwas hatten anhaben können. Die Erbauer Combats hatten sich gegen die Götter aufgelehnt und waren vernichtet worden, aber ihr Werk hatte sie überdauert. Der Atem der Götter hatte ihre Stadt mit Flammen überzogen, die so lange brennen würden, wie die Sonne am Himmel stand und die Welt sich drehte, aber nicht einmal sie hatten ihre Kraft brechen können. Combats Macht war gebändigt, aber sie war noch da, spottete selbst den Gewalten, welche die Berge in ihrem Rücken aufgefaltet und die Ebenen von Tuan zu brüchigem Glas verschmolzen hatten, und wartete auf den Tag, an dem irgend jemand kam, sie wieder zu erwecken. Skar begriff plötzlich, warum Vela vor nichts zurückgeschreckt war, sie herherzubringen. Wer immer die Gewalt über dieses Fanal der Macht hatte, beherrschte die Welt.

Schließlich war es Gowenna, die das Schweigen brach.

»Wir sollten weitergehen«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte. »Der Abstieg wird noch den ganzen Tag dauern. Wir ... haben Zeit genug, die Stadt zu betrachten.«

Skar löste sich nur mit Mühe von dem Anblick. Er wandte sich um, ging langsam zu seinem Pferd zurück und zog sich mit sichtlicher Anstrengung in den Sattel. Der Wind war stärker geworden und trug jetzt Brandgeruch mit sich, und die Felsen in ihrem Rücken spiegelten das flackernde Rot des Feuers wider. Er zwang sein Tier herum, deutete mit einer befehlenden Geste auf den südlichen Rand des Plateaus und ritt los, ohne auf die anderen zu warten. Es gab nur diesen einen Weg hinunter, einen schmalen, vielfach gewundenen Pfad, gerade breit genug für einen einzelnen Reiter, und es bestand keine Gefahr, daß einer zurückblieb oder sich verirrte. Er ritt schneller, als es angebracht war. Der Pfad war, obwohl glatt und mit erstaunlich wenig Geröll und Schutt übersät, nicht ungefährlich. Der Boden war abschüssig, und die Hufe der Pferde fanden auf dem Fels kaum Halt. Skars Pferd tänzelte mit kleinen, ängstlichen Schritten vorwärts und warf immer wieder den Kopf hoch, um seinem Unmut Ausdruck zu verleihen. Schließlich gestattete Skar dem Tier, langsamer zu gehen. Der Weg ins Tal hinab war weit. Das Plateau, auf dem der Stollen endete, lag dicht unter der Spitze des Berges, mehr als anderthalb Meilen über den höchsten Türmen der Stadt, und der Weg, der sich in endlosen Kehren und Schleifen talwärts zog, hatte sicherlich die zehnfache Länge. Außerdem mußten sie mit ihren Kräften haushalten. Er hatte nicht die Zeit, die Männer noch tagelang ausruhen zu lassen, bevor sie in die Stadt eindrangen, und die Hitze dort unten verbot ein Übernachten unmittelbar vor Combat von selbst, so daß ihnen auch am nächsten Tag noch ein anstrengender und vermutlich kaum weniger qualvoller Marsch bevorstand.

Es wurde wärmer, je tiefer sie kamen. Die Sonne kletterte rasch zum Zenit hinauf, aber ihr Licht verblaßte gegen die Höllenglut Combats zu einem trüben Schimmer. Das sanfte Grollen, das sie zuerst gehört hatten, steigerte sich allmählich zu einem dumpfen, grollenden Donnern: ein Geräusch wie von einem fernen Wasserfall, das den Fels unter ihren Füßen zum Vibrieren brachte. Trotz der Wärme gab es hier und da noch Schnee - kleine, in Felsspalten und Risse geduckte Nester, aber auch weite, ausgedehnte Flächen, die dem Ansturm des warmen Windes, der aus dem Tal heraufwehte, bisher standgehalten hatten, und der Fels war an vielen Stellen zerfurcht und ausgewaschen, als fließe hier oft und viel Wasser. Skar konnte sich den niemals endenden Kampf gut vorstellen - nachts mußten die Temperaturen selbst hier bis tief, sehr tief unter den Gefrierpunkt fallen, trotz des Windes und des glühenden Hauches, den er mit sich brachte; aber mit dem Erwachen des Tages siegte die Wärme, Schnee und Eis schmolzen und flössen ab. Gegen Mittag rasteten sie im Schutz eines mächtigen, gezackten Felsens. In seinem Schatten lag noch Schnee, und Skar spürte erst jetzt, wie warm es geworden war. Er saß ab, nahm den fellgefütterten Umhang von den Schultern und verstaute ihn nach kurzem Zögern in seinem Gepäck. Er würde ihn nicht mehr brauchen, nicht, bis sie ihren Auftrag erledigt und den Rückweg angetreten hatten. Sie aßen schweigend - Salzfleisch, trockenes Fladenbrot, und tranken abgestandenes Wasser aus ihren Feldflaschen. Keiner von ihnen hatte Lust auf eine Unterhaltung. Wieder fühlte Skar diese seltsame, mit Angst gemischte Beklemmung, die wie eine schleichende Krankheit von der Gruppe Besitz ergriffen hatte.

Er aß langsam und ohne Appetit, wickelte die Reste sorgfältig in ein Tuch und verstaute sie wieder in den Satteltaschen, die dünn geworden waren. Die Vorräte reichten noch für drei Tage, und selbst das nur bei größter Sparsamkeit. Auf dem Rückweg würden nicht nur Kälte und Sturm, sondern auch der Hunger ihr Begleiter sein. Als Skar zu seinem Platz zurückkehrte, erwartete ihn Gowenna. Auch sie hatte ihren Mantel abgelegt, trug darunter aber nicht wie Skar und die anderen ein langes, fellgefüttertes Hemd, sondern nur den glänzenden Brustharnisch und ein seidenes, halb durchsichtiges Etwas, das sicher sehr dekorativ, aber alles andere als den Temperaturen angemessen war. Sie zitterte. Auf ihren nackten Unterarmen war eine Gänsehaut, und als sie sprach, tat sie es in der schnellen, hastigen Art eines Menschen, der verhindern möchte, daß seine Stimme vor Kälte schwankte.

»Wir sollten miteinander reden«, sagte sie.

Skar ging an ihr vorbei, hockte sich auf einen Felsen und zog die Knie an den Körper. Der Stein unter ihm war feucht und kalt, und er drehte sich so, daß der warme Wind aus dem Tal die Breitseite seines Körpers traf. »Du fängst ein wenig spät damit an«, sagte er, ohne Gowenna anzusehen. Der Unterton von Feindseligkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören, und er gab sich auch gar keine Mühe mehr, sich zu verstellen.

Es war nicht Gowenna, der sein Haß gelten sollte. Sie war nur ein Werkzeug wie er, wenn auch vielleicht im Gegensatz zu ihm ein williges. Es war eine andere, die er hassen sollte, mit jeder Faser seiner Seele. Aber er konnte es nicht. Trotz allem, was sie ihm angetan hatte, hatte sie in seinen Gedanken noch immer die Aura des Unantastbaren, Heiligen. Sie war eine Errish, und er hatte gelernt, den Ehrwürdigen Frauen aus Elay mit Achtung und Ehrerbietung zu begegnen, sie - wenn schon nicht als Götter - so doch als Vertreter einer anderen, besseren Menschheit zu betrachten. Er hatte gelernt, daß eine Errish niemals etwas Schlechtes oder Verwerfliches tun würde - tun könnte - und nicht einmal das, was geschehen war, hatte diesen Glauben erschüttern können. Er wußte es besser, aber irgend etwas war in ihm, das den Glauben an das Gute in den Errish noch nicht verloren hatte. Er hätte sie hassen müssen, wollte sie hassen, aber er konnte es eben nicht. Und so entlud sich sein Zorn ganz auf Gowenna. »Wir sind seit mehr als vierzig Tagen unterwegs, aber ich habe bereits bezweifelt, daß du überhaupt meinen Namen weißt.«

Gowenna gab ein unwilliges Geräusch von sich. »Ich habe nicht vor, um deine Freundschaft zu buhlen, Satai«, sagte sie scharf. »Aber es gibt ein paar Dinge, die wir klären müssen, bevor wie die Stadt erreichen.«

Skar unterdrückte den Impuls, zu nicken. Es gab diese Dinge wirklich, aber sie waren wahrscheinlich anderer Natur als die, über die Gowenna mit ihm reden wollte. Die Spuren im Schnee zum Beispiel, der flüchtige Schatten, den er zu sehen geglaubt hatte, bevor sie in den Talkessel ritten ...

»So?« erwiderte er.

»Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, wie du in die Stadt hineinkommen willst, ohne sofort zu Asche verbrannt zu werden ?«

Skar verneinte. »Warum auch? Du wirst uns sagen, wie es zu bewerkstelligen ist, denke ich.«

In Gowennas Gesicht zuckte es. Über ihrem linken Auge war eine frische, kaum verkrustete Wunde von ihrem Sturz auf den Stein am vergangenen Abend.

»Ich hätte gute Lust, es dir nicht zu sagen«, zischte sie.

»Ach?« sagte Skar. »Und dann vor Vela zu treten und ihr zu erklären, daß das Unternehmen fehlgeschlagen ist, weil du mich haßt?« Er lächelte, drehte sich wieder um und starrte mit unbewegtem Gesicht ins Tal hinunter. »Wo ist dieser geheime Gang?« fragte er, übergangslos das Thema wechselnd.

»Woher weißt du, daß es ein unterirdischer Gang ist?« antwortete Gowenna.

Skar deutete mit einer Kopfbewegung auf den feuerspeienden Glutofen unter ihnen. Der Wind drehte sich, und für einen Moment wurde das Brüllen der Flammen so laut, daß er schreien mußte, um zu antworten: »Wenn du nicht gerade fliegen kannst und noch dazu feuerfest bist, ist es die einzige Möglichkeit.«

Gowenna zögerte mit der Antwort. Ihr Haar bewegte sich im warmen Hauch des Windes. Sie wandte den Kopf und sah an Skar vorbei. Der dunkelrote Widerschein der brennenden Stadt spiegelte sich in ihren Augen. Für einen Moment sah es so aus, als brenne in ihrem Schädel ein verzehrendes Feuer.

»Die Hitze ist im Inneren der Stadt nicht so schlimm, wie es scheint«, sagte sie. »Was dort unten verbrennt, ist größtenteils nur Luft, und ...«

»Luft? Wie kann Luft brennen, Gowenna?« war Nol zu vernehmen.

Gowenna fuhr mit einer ärgerlichen Bewegung herum. Ihr kurzer Disput hatte die anderen herbeigelockt, und mit Ausnahme von Tantor und El-tra, den drei Sumpfmännern, die nur einen Namen besaßen, hatte sich die ganze Gruppe am Rande des Felsens versammelt.

»Sag«, wiederholte Nol stirnrunzelnd, »wie kann Luft brennen?«

»Sie kann, Nol«, antwortete Skar an Gowennas Stelle. »Die Hitze verbrennt mehr Sauerstoff, als da ist, und so strömt er nach. Aber auch er verbrennt, und es wird mehr und immer mehr angesogen.«

»Und dieser Feuersturm heizt die Flammen noch mehr an«, nickte Beral. »Ich verstehe. Ist es das, was den Prozeß in Gang hält?«

»Zum Teil sicher«, sagte Gowenna. »Aber es ist wohl auch Magie im Spiel - ich weiß es nicht. Jedenfalls ist die Hitze am schlimmsten in den Außenbezirken der Stadt. Weiter zum Zentrum hin kann sich ein Mensch bewegen. Wenn auch nicht lange«, schränkte sie ein, als sie Nols zweifelnden Blick sah.

»Und wie wollt ihr diese Feuersperre überwinden?« fragte Nol. »Es gibt Gänge. Unterirdische Gänge. Die Höhle, durch die wir gezogen sind, ist nur ein Teil einer gewaltigen Anlage, die das Gebirge durchzieht.« Sie brach ab, wandte sich um und deutete mit ausgestrecktem Arm nach unten. »Was ihr dort seht, ist nur ein kleiner Teil Combats. Die Stadt erstreckt sich weit unter die Erde. Ich kenne den Eingang zu einem dieser Gänge. Er führt uns unter der Stadtmauer hindurch bis fast zum Zentrum hin. Es wird aber kein Spaziergang. Es gibt... Wesen dort unten, und die Hitze ist auch noch gewaltig.«

»Wesen?« hakte Nol nach. »Was für Wesen? Schneespinnen?« Gowenna lächelte. »Nein, Nol«, sagte sie. »Keine Schneespinnen. Im Gegenteil.«

Skar wartete auf weitere Erklärungen, aber Gowenna schien nicht gewillt zu sein, mehr zu sagen. Sie fuhr mit einer abrupten Bewegung herum, scheuchte Nol zur Seite und ging rasch zu ihrem Pferd zurück.

Arsan sah ihr kopfschüttelnd nach. »Sie ist nicht sehr mitteilsam«, knurrte er. »Aber sie wählt sich den denkbar ungünstigsten Moment, die Geheimnisvolle zu spielen.«

Skar erhob sich ebenfalls und ging zu seinem Tier hinüber. Diesmal schien Arsans Menschenkenntnis nicht zu wirken. Gowenna hatte ihnen die Antwort selbst gegeben, aber er schien der einzige zu sein, der sie verstanden hatte. Sie war dort gewesen. Er, Arsan, Beral und die anderen waren nicht die ersten, die Combat betreten würden. Sie war hier gewesen und hatte versagt, und vielleicht war gerade das der Grund für ihren Haß und ihre Verbitterung.

Er stieg auf, drängte sein Pferd aus dem Windschatten des Felsens und wartete, bis die anderen ebenfalls in die Sättel gestiegen und hinter ihm Aufstellung genommen hatten. Sein Blick wanderte noch einmal nervös über den grauen, porösen Stein hinter sich. Sie hatten den schwierigsten Teil des Weges geschafft. Vielleicht nicht den gefährlichsten, aber den schwierigsten.

Trotzdem fühlte er sich weder beruhigt noch erleichtert, im Gegenteil. Es waren zu viele Dinge, die noch geschehen würden, zu viele Fragen, auf die er vielleicht niemals eine Antwort bekommen würde, zu viele Gefahren für einen einzelnen Mann, auch wenn er Satai war. Selbst wenn sie Combat überleben sollten, stand ihnen die echte Gefahr noch bevor. Skar glaubte nicht daran, daß Vela die ganze Zeit ruhig in Ikne warten würde. Er hatte die Spuren im Schnee gesehen, Spuren von Füßen, von menschlichen Füßen, und er wußte, daß das Gefühl, beobachtet zu werden, das er seit ein paar Tagen empfand, nicht pure Einbildung war.

Einen Moment überlegte er, ob er Gowenna oder einem der anderen von seiner Beobachtung - seinem Verdacht - erzählen sollte, entschied sich aber dann dagegen.

Mit einem entschiedenen Ruck ließ er sein Pferd antraben.

Unter ihnen, im Tal, schrie ihnen Combat ihr brandiges Willkommen entgegen.

Der Sturm hatte die ganze Nacht mit ungebrochener Wut getobt. Der Himmel war schwarz, eine brodelnde Masse, die sich wie eine erdrückende Last über die Stadt und den Fluß gelegt und den Unterschied zwischen Tag und Nacht, Wasser und Land, Himmel und Erde verwischt hatte, die Konturen der Zinnen und Türme verschluckte und die Fackeln der Soldaten, die auf den Wehrgängen patrouillierten, zu winzigen Fünkchen machte, die wirkten, als seien sie ständig im Verlöschen begriffen. Es war kühl, fast kalt, aber nicht eisig - hier, so weit im Süden, wurde es niemals wirklich kalt, nicht einmal während der Wintermonate, wenn der größte Teil der übrigen Welt unter Schnee und Eis begraben lag - aber die wuchtigen Bruchsteinmauern Iknes waren nur selten hinter dem Vorhang aus tanzenden Regenschleiern sichtbar geworden, und der unablässig heulende Wind, der die verwinkelten Gassen des Händlerviertels mit einem niemals verstummenden Chor seufzender und wimmernder Stimmen erfüllte und die Dunkelheit zu geheimnisvollem Leben erweckte, brachte die Erinnerung an Eis und Frost und knirschenden Rauhreif und Winter mit sich, so daß Skar trotz allem fror.

Er war erst seit wenigen Augenblicken im Freien, aber der Regen hatte ihn bereits nach den ersten Schritten bis auf die Haut durchnäßt, obwohl er gelaufen war und sich bemüht hatte, stets auf der windabgewandten Seite der Straße zu bleiben. Der Sturm beutelte die Stadt seit Tagen; eine klamme, unsichtbare Riesenhand, die über das Land strich und die titanischen Mauern mit einer an Hohn grenzenden Leichtigkeit übersprang, den Fluß in einen schäumenden grauen Katarakt verwandelte und nachhaltig daran erinnerte, daß der Herbst längst hereingebrochen war und die Hitze der vorangegangenen Wochen nichts als ein letztes vergebliches Aufbäumen im nie endenden Kampf der Jahreszeiten bedeutete. Und so wie der bleigraue Himmel mit jeder Stunde um eine Winzigkeit tiefer auf die Stadt herabzusinken schien, schien sich auch der Pulsschlag Iknes zu verlangsamen - die Straßen leerten sich jetzt früher, und die Menschen waren merklich ruhiger und schweigsamer geworden, als entzöge der Sturm nicht allein der Stadt Licht und Wärme, sondern auf geheimnisvolle Weise auch ihren Bewohnern etwas von ihrer Lebenskraft.

Skar hatte auf dem Weg hierher nicht einen einzigen Menschen getroffen, obwohl das Händlerviertel Iknes zu jenen Orten gehörte, an denen das Leben erst nach Einbruch der Dunkelheit richtig erwachte. Es gab viele, die einen Passierschein benötigten und auch bekamen, und kaum weniger, die sich nicht um die Bestimmungen scherten und auch nach Schließen der Stadttore noch aus dem Haus gingen, ungeachtet der drohenden Geldstrafe. Heute waren die Gassen leer. Die einzige Bewegung kam von den schräg vor dem Wind herspringenden Regenschleiern.

Die Straße glänzte wie ein riesiger mattgrauer Spiegel. Zwischen den Quadern des Kopfsteinpflasters hatten sich unzählige winzige Seen und kleine reißende Bäche gebildet, glitzernde Silbersplitter, die sich zu gurgelnden Strömen vereinigten und die Rinnsteine überfluteten. Die Kanäle hatten es längst aufgegeben, die unablässig vom Himmel herabstürzenden Wassermassen aufnehmen zu wollen; die Abflußrinnen standen bereits jetzt knöcheltief unter Wasser und braunem, brodelndem Schlamm, und obwohl die Flutschleusen schon vor Tagen weit geöffnet worden waren, stieg der Pegel unaufhaltsam. Die niedrig gelegenen Bezirke der Stadt würden vielleicht schon morgen, spätestens aber übermorgen geräumt werden müssen.

Skar zog den Kopf zwischen die Schultern ein und ging schneller. Der Wind schlug mit winzigen spitzen Krallen nach seinem Gesicht und biß bei jedem Atemzug schmerzhaft in seine Kehle. Seine Stiefel quietschten vor Nässe. Wasser lief in kleinen eisigen Strömen unter seinen Kragen. Der Wind war kalt, aber schlimmer als die Kälte war der Regen - feine, wehende Schleier aus Millionen und Abermillionen unendlich feiner Tröpfchen, die da, wo der Sturm sie nicht vor sich her peitschte, wie spinnwebfeiner Nebel in der Luft hingen und alles mit Feuchtigkeit tränkten. Es gab keinen Schutz gegen diesen Regen - seit Tagen kroch er unaufhaltsam in jeden Winkel, schlüpfte durch jede Tür, jedes Fenster, jede Mauerritze und überwand beharrlich jede Sperre, die man gegen ihn errichtete. Ikne sog sich langsam voll Wasser, als wäre die ganze Stadt ein gigantischer steinerner Schwamm, dessen einzige Aufgabe es war, Wasser in seinen unzähligen Kavernen und Schächten zu sammeln. Selbst in seinem Quartier tief unter der Arena, unter Tonnen von Fels und Erdreich vergraben, schien es ununterbrochen feucht und klebrig zu sein.

Skar war froh, als der trübe Schein der Windlaterne endlich vor ihm auftauchte; eine zerfaserte Insel aus Licht und tanzenden Schatten in dem grauen Ozean, in dem Ikne ertrank.

Sein Blick fiel wie immer auf das verblichene Schild über dem Eingang. Die Buchstaben waren längst abgeblättert, und nur wer ohnehin wußte, was auf dem Schild stand, wäre jetzt noch in der Lage gewesen, die Worte RACHES WACHT zu entziffern. Aber das Schild war ohnehin nicht notwendig und hing vermutlich nur noch dort, weil es noch niemand der Mühe wert gefunden hatte, es abzunehmen.

Jedermann in Ikne kannte die WACHT; ein Umstand, den der Wirt allerdings weniger der Qualität seines Weines als vielmehr der Tatsache zu verdanken hatte, daß RACHES WACHT die einzige Taverne innerhalb der Stadtmauern war, die während des ganzen Tages und der gesamten Nacht geöffnet bleiben durfte. Wer nach Dunkelwerden noch Durst auf einen Krug Bier oder Wein verspürte oder eine Mahlzeit haben wollte - eine Mahlzeit freilich, die ebenso schlecht wie teuer war -, hatte gar keine andere Wahl, als hierherzukommen. Die Stadtpatrouille achtete streng darauf, daß die übrigen Schänken bei Einbruch der Dämmerung geschlossen wurden, und kein Wirt, der Wert darauf legte, seine Konzession zu behalten, hätte es gewagt, gegen diese Verordnung zu verstoßen. Die Tempelkönige Iknes verstanden bei der Auslegung ihrer Gesetze keinen Spaß.

Skar legte die letzten Meter im Laufschritt zurück, betrat das eingeschossige Haus und stemmte sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen die Tür, um sie gegen das wütende Schieben und Stoßen des Windes zu schließen. Das Heulen des Sturmes wurde leiser, als der Riegel einrastete.

Er streifte seinen Umhang ab und schüttelte sich wie ein nasser Hund, bevor er den Vorhang beiseiteschlug und den Schankraum betrat.

Skar blieb gewohnheitsmäßig unter der Tür stehen und sah sich rasch nach beiden Seiten um. Die Schänke war in schummeriges gelbes Halbdunkel getaucht. Unter der hohen, rußgeschwärzten Decke flackerte eine einsame Öllampe, deren viel zu kleine Flamme vergeblich versuchte, Dunkelheit und Schatten in die Ecken zu verbannen. Der würfelförmige Raum war fast leer - das Wetter hatte die Leute nicht nur von den Straßen vertrieben, sondern den Wirt auch der meisten seiner Gäste beraubt, und die ungewohnte Leere ließ die Schäbigkeit des Raumes besonders deutlich hervortreten. Die Wände bestanden aus roh zusammengemauerten Ziegelsteinreihen, zwischen denen der Mörtel hervorrieselte. Irgendwann vor langer Zeit waren sie einmal gestrichen worden, aber die Farbe war längst fleckig, so daß sie jetzt eher wie verkrusteter Schmutz aussah. Die Fensterscheiben vor den zugezogenen Läden wirkten blind und staubig. Vor der niedrigen Theke hockten zwei Soldaten und würfelten, ohne jedoch sehr auf ihr Spiel konzentriert zu sein - zumindest einer von ihnen war schon so betrunken, daß er Mühe hatte, den Würfelbecher zu halten. Seine Bewegungen wirkten abgehackt und fahrig, und der dunkle Fleck vor ihm bewies, daß er ähnliche Schwierigkeiten auch mit seinem Weinkrug hatte. Die Uniformen der beiden waren verdreckt und schlampig; auf dem schwarzen Leder der Brust- und Rückenschilde klebte eingetrockneter Schlamm, Helme und Arm- und Beinschienen waren auch schmutzverkrustet. Der Stoff ihrer Röcke war zerknittert. Wahrscheinlich, dachte Skar, zwei Soldaten der Stadtpatrouille, die nach einer langen und kalten Nachtwache Trost bei einem - oder mehreren - Krügen Wein gesucht hatten.

Er ging langsam an ihnen vorbei, hockte sich in eine Ecke schräg gegenüber der Tür und hob stumm die Hand, als der Wirt aus rotgeränderten Augen zu ihm herüberblickte. Skar mußte unwillkürlich lächeln, als er Raches verschlafenes Gesicht sah. Del und er verkehrten seit Jahren in dieser Taverne, aber er konnte sich an nicht mehr als zwei oder drei Gelegenheiten erinnern, zu denen der Wirt nicht selbst hinter der Theke gestanden war. Er hatte sich schon mehrmals gefragt, wann der glatzköpfige Fettwanst überhaupt schlief. Aber vielleicht hatte Rache sich einen derartigen Luxus auch längst abgewöhnt, um das Geld für eine Bedienung zu sparen. Rache rang sich ein halbwegs freundliches Nicken ab und begann Wein aus dem bauchigen Faß hinter der Theke in einen Krug zu füllen.

Außer ihm und den beiden Soldaten hatten sich nur noch zwei weitere Gäste in die Schänke verirrt. Eine zusammengekauerte, in braune Fetzen gehüllte Gestalt - ein Bettler vielleicht, der von irgend jemandem genug geschenkt bekommen oder der auch genug gestohlen hatte, um sich einen Krug Wein und damit ein trockenes und warmes Plätzchen zu kaufen, lehnte an der Wand, hatte den Kopf auf die angezogenen Knie gebettet und schnarchte friedlich. Und eine dunkelhaarige schlanke Frau hockte mit halbgeschlossenen Augen gleich dem Bettler in einer Ecke und fixierte einen imaginären Punkt irgendwo über der Theke.

Skar betrachtete sie für einen Moment. Ihre Anwesenheit überraschte ihn. Sie war nicht die Art von Frau, wie man sie normalerweise in RACHES WACHT antraf. Ihrer Kleidung nach hätte sie eine Tempeldirne sein können, obgleich sie dafür schon fast ein wenig zu alt schien - vierzig, vielleicht fünfundvierzig; auf eine seltsam reizvolle Art sah man ihr ihr Alter durchaus an, aber sie wirkte dennoch jugendlich, energisch und agil trotz der vollkommenen Reglosigkeit, in der sie dahockte. Aber es war etwas in ihrem Gesicht, das ihm sagte, daß sie keine Tempeldirne war: etwas wie Stolz oder vielleicht eher Selbstbewußtsein - Stärke, korrigierte er sich in Gedanken - Stärke trotz des entspannten Ausdruckes auf ihren Zügen, wie man sie selten bei Menschen in diesem Teil der Welt und noch seltener bei einer Frau fand. Ihre Hände, die im Schoß gefaltet waren, wirkten sehnig und schlank, doch es war jene Art von Schlankheit, hinter der sich oft große Kraft verbirgt, und die Ausbuchtungen unter ihren Achseln verrieten Skar, daß sie zumindest mit Wurfdolchen bewaffnet war.

Sie sah auf, begegnete für die Dauer eines halben Lidschlages seinem Blick und wandte dann wieder den Kopf.

Auch Skar sah hastig weg. Es war nicht seine Art, Fremde anzustarren und sie dadurch in Verlegenheit zu bringen. Und er war nicht hier, um sich den Kopf über die Probleme Fremder zu zerbrechen. Probleme hatte er selbst mehr als genug.

Rache räusperte sich lautstark, schwang den gefüllten Krug wie eine Siegestrophäe und kam auf seinen kurzen Beinen herübergewatschelt. Er roch nach Fisch und Fett und eingetrocknetem Schweiß, und sein Gesicht glänzte ölig, aber das nahm Skar kaum mehr wahr. Der üble Geruch und die grobe Art sich zu geben, gehörten ebenso unverwechselbar zu Rache wie die dunklen Ringe unter den Augen und der zweischneidige Dolch in seinem Gürtel. Raches äußere Erscheinung täuschte, aber Skar wußte auch, daß er den dümmlichen Ausdruck auf seinem Gesicht und die tolpatschige Weise, sich zu bewegen, sorgsam pflegte. Er mochte ständig aussehen, als würde er im nächsten Moment im Gehen einschlafen, aber die schmalen trüben Augen registrierten jede Kleinigkeit, und wie schnell er mit dem Messer sein konnte, hatte schon mancher leichtsinnige Raufbold feststellen müssen.

Rache stellte den Krug vor ihm ab, legte einen halben Laib Brot daneben und grinste. »Wie immer, Skar?«

Skar nickte. »Wie immer, Rache.« Er machte eine einladende Handbewegung, griff nach dem Becher, kostete und verzog das Gesicht zu einer Miene, die sowohl Anerkennung als auch das genaue Gegenteil ausdrücken konnte. Rache würde sich - je nach Laune - das heraussuchen, was ihm gerade paßte.

Der Wirt seufzte, nahm neben ihm Platz und sah kopfschüttelnd zu, wie er Brot und Wein ohne sichtliche Begeisterung zu verzehren begann. »Wann«, murmelte er, »wirst du dir endlich angewöhnen, eine Scheibe Braten zum Wein zu nehmen? Du beleidigst meine Feinschmeckerseele.«

Skar grinste und biß in sein Brot. »Dann, wenn du dir angewöhnt hast, Fleisch vom Ochsen oder Schwein anzubieten statt gedünstete Ratten«, erwiderte er kauend. »Und wenn du deinen eigenen Geiz so weit überwindest, Tische und Stühle anzuschaffen. Du beleidigst meine Gesäßmuskeln«, fügte er, Raches Tonfall genau nachahmend, hinzu.

Der Wirt verzog das Gesicht, als hätte er unversehens auf einen Stein gebissen. »Ich weiß, daß du mich für einen einfältigen Gimpel hältst«, seufzte er, »aber so einfältig bin ich nun auch wieder nicht.« Er seufzte wieder, hob die Arme über den Kopf und verschränkte die Hände hinter dem Nacken. »Es gab eine Zeit«, fuhr er schwärmerisch fort, »da hatte ich eine noble Herberge mit erlesenen Gästen, den besten Weinen und Speisen, um die mich so mancher Edelmann beneidet hätte. Aber diese Barbaren zerschlagen mir die Einrichtung schneller, als ich sie ersetzen kann. Das Geschäft wirft gerade genug ab, um mich und meine Familie vor dem sicheren Hungertod zu bewahren, und ich kann es mir einfach nicht leisten, ständig mit Verlust zu arbeiten.«

»Verwässerst du deshalb deinen Wein?« fragte Skar ernsthaft. Rache überging die Bemerkung, als hätte er sie nicht gehört. »Auf dem Boden zu sitzen, ist gesund«, fuhr er ungerührt fort. »Wo keine Möbel sind, kann man auch keine zerschlagen. Und ein Stuhl, der nicht da ist, kann auch schwerlich auf irgendeinem Kopf zertrümmert werden.« Er grinste, nahm die Arme herunter und wurde übergangslos ernst. »Du bist allein hier?«

»Wie du siehst.«

Rache drehte den Kopf nach rechts und links, als müsse er sich tatsächlich davon überzeugen, daß Skar die Wahrheit sprach. »Und Del?«

Skar hob andeutungsweise die Schultern, drehte den Becher in den Händen und nahm einen vorsichtigen Schluck, ehe er antwortete. »Ich hatte gehofft, ihn hier zu finden. Er ist gestern mittag weggegangen und die ganze Nacht nicht zurückgekommen.« Rache wiegte den Schädel, nickte dann und fuhr sich mit den Fingern über das schmierige Lederwams, das er auf dem nackten Leib trug. »Und jetzt fängst du an, dir Sorgen um ihn zu machen und suchst ihn in der ganzen Stadt?« feixte er.

»Wahrscheinlich ist er bei irgendeinem Mädchen«, sagte Skar mit einem resignierenden Seufzer. »Ich werde ihn gründlich zusammenstauchen, wenn ich ihn gefunden habe.« Aber schon der Ton, in dem er die Worte sprach, zeigte deutlich, wie gut er wußte, daß es sinnlos sein würde, Del irgend etwas zu sagen.

»Denkst du nicht, daß er alt genug ist, um zu wissen, was er tut?« fragte Rache.

»Manchmal bezweifle ich es ernsthaft«, brummte Skar. »Von mir aus kann er sich mit allen Freudenmädchen Iknes amüsieren, nacheinander oder zugleich. Aber heute ist nicht irgendein Tag. Es wäre besser, er würde sich ausruhen.«

»Wahrscheinlich tut er genau das in diesem Moment«, vermutete Rache, »wenn auch in den Armen eines schönen Mädchens.« Er bleckte die Zähne, beugte sich vor und nahm einen Schluck aus Skars Becher, bevor er auch eine Kante von dessen Brot abbrach und es mit hörbarem Schmatzen verzehrte. »Reg dich nicht auf«, sagte er, als er Skars Stirnrunzeln bemerkte. »Du bist mein Gast. Die Runde geht auf meine Rechnung.«

»Hätte ich das gewußt, hätte ich vielleicht doch ein Stück Braten genommen.«

»Eben darum habe ich es dir nicht vorher gesagt.« Rache schenkte nach und reichte Skar mit spitzen Fingern den Becher. Skar trank einen Schluck, brummte etwas und sah den Wirt gleichermaßen überrascht wie mißtrauisch an. »Woher kommt diese plötzliche Großzügigkeit?« fragte er lauernd. »Ich dachte bisher, du wärest der geizigste Mensch in diesem Teil der Welt.«

Rache brach ein weiteres Stück von Skars Brot ab. »Du tust mir unrecht«, sagte er vorwurfsvoll. »Aber daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Außerdem betrachte ich es als Geldanlage - immerhin habe ich ein hübsches Sümmchen auf Del und dich gesetzt.« Diesmal war Skars Überraschung sehr groß. »Du riskierst Geld beim Wetten?« fragte er verblüfft.

»Warum denn nicht? Wenn ich sicher bin zu gewinnen. Von dem bißchen, das diese Schänke abwirft, kann ich nicht leben.«

Skar überging den letzten Teil von Raches Antwort. »Sicher ist man nie, Rache.«

»In diesem Fall schon«, widersprach der Wirt. »Ich kenne euch beide gut genug. Es gibt keinen, der euch bezwingen könnte, schon gar nicht diese zwei Narren aus Kohon. Mein Geld ist sicher angelegt, glaube mir. Du solltest auf meinen Rat hören und auch ein paar Dim setzen. Auf dich.«

»Hast du dich deshalb nach Del erkundigt?«

Rache nickte. »Ich sehe gerne die Ware, in die ich investiere. Und ich sorge natürlich für ihr leibliches Wohl«, fügte er mit einer Kopfbewegung auf den Becher in Skars Händen hinzu und schob gleichzeitig ein weiteres Stück Brot in den Mund.

Skar hatte plötzlich das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Er sah auf. Die beiden Soldaten hatten in ihrem Würfelspiel innegehalten und starrten zu ihm hinüber. Der eine sah sofort wieder weg, während der andere Zuflucht zu einem dümmlichen Grinsen suchte. Er muß sich dabei nicht allzusehr verstellen, dachte Skar.

»Es wäre sicher das Klügste, wenn du zurückgehen und noch ein paar Stunden schlafen würdest«, fuhr Rache fort. »Dann ist wenigstens einer von euch ausgeruht, wenn der Kampf beginnt.«

Skar schüttelte den Kopf. »Ich habe es versucht. Aber dieses Kellerloch, in dem Cubic uns untergebracht hat, ist zu feucht dazu. Ich bin froh, wenn alles vorbei ist und wir hier wegkönnen.«

»Wenn ihr wegkönnt«, sagte einer der beiden Soldaten.

Skar sah auf, runzelte mißbilligend die Stirn und sah den Mann scharf an. Der Soldat war betrunken. Er schwankte vor und zurück und mußte sich mit der Faust auf dem Boden abstützen, um nicht vornüber zu fallen.

»Was meinst du damit, Soldat?« fragte Skar. Er bemühte sich, ruhig zu wirken, konnte aber einen leisen Unterton von Schärfe nicht aus seiner Stimme verbannen.

Der Mann wollte zu einer Antwort ansetzen, aber sein Kamerad unterbrach ihn, indem er ihn unsanft an der Schulter herumriß. »Halt den Mund, Bors«, zischte er. »Du wirst dir nur Ärger einhandeln.«

Bors lachte meckernd. Er hatte ein breites, von einer dünnen weißen Narbe verunziertes Gesicht mit flacher Nase, dunklen Augen und vorgestülpten Lippen, das durch den flachen Stirnschild des Helmes ein fast affenartiges Aussehen erhielt. Seine Augen wirkten wäßrig, aber das mochte vom Wein stammen. »Du weißt genau, was ich meine, Satai«, lallte er, ohne auf die beschwörenden Blicke seines Kameraden zu achten. »Es gibt eine Menge Leute in der Stadt, die sich Gedanken über den Kampf machen. Eine Menge. Nicht nur ich.« Er kicherte, beugte sich vor und griff nach seinem Becher, bemerkte aber dann, daß er leer war, und führte die Bewegung nicht zu Ende.

»Was für Gedanken?« fragte Skar.

Der zweite Soldat wandte sich um und warf ihm einen fast flehenden Blick zu. »Verzeiht ihm, Herr«, sagte er hastig. »Er hat zuviel getrunken und weiß nicht mehr, was er sagt. Hört nicht auf ihn. Er ist ein Dummkopf.«

»Ich bin kein Dummkopf«, widersprach Bors. »Ich weiß sehr gut, was ich sage. Und du weißt es auch. Jedermann weiß es. Man macht sich eben Gedanken über den Kampf. Viele Gedanken. Es heißt«, kicherte er, »daß der Scharfrichter bereits sein Beil geschliffen hat.«

»Was für Gedanken?« fragte Skar noch einmal. Irgend etwas mußte in seinem Gesicht gewesen sein, daß er nicht hatte hineinlegen wollen, denn das alberne Grinsen verschwand plötzlich aus der Miene des Soldaten und machte einem betroffenen, fast ängstlichen Ausdruck Platz. Aber nur für einen Moment. Dann erschlafften seine Züge wieder, und er begann erneut zu feixen, breiter als zuvor. »Gedanken eben«, sagte er undeutlich. Er versuchte noch einmal, seinen Becher aufzuheben, aber seine Bewegungen waren so unsicher, daß er danebengriff und den Becher umwarf. Er grunzte, betrachtete den Becher zornig und hob die Hand vor die Augen. Nacheinander streckte er die Finger aus, bewegte sie der Reihe nach und grinste dann wieder, als wäre der Anblick ungemein erheiternd. »Zwei Satai, die in einem Arenakampf gegen zwei Kinder antreten«, fuhr er mit schwerer Zunge fön, »da denkt man sich eben etwas. Ich habe jedenfalls mein Geld auf die beiden Kohoner gesetzt.«

»Du hättest es lieber vertrinken sollen«, mischte sich Rache ein. »Es wäre nutzbringender angelegt gewesen. So hast du es weggeworfen.«

Bors kicherte. Sein Kamerad ergriff ihn erneut bei der Schulter und sagte etwas in einem schnellen, unverständlichen Dialekt, aber wenn Bors die Worte überhaupt hörte, so ignorierte er sie. Er sah Skar an, grinste auf eine unangenehme, unverschämte Art und sah dann wieder zu dem umgestürzten Becher zwischen seinen verschränkten Beinen. Vielleicht, dachte Skar, ist er doch nicht ganz so betrunken, wie er tut.

»Gib ihm noch einen«, murmelte er. »Auf meine Rechnung.« Rache grunzte mißbilligend, stand aber trotzdem gehorsam auf, um die Becher der Soldaten neu zu füllen.

»Ich habe mein Geld nicht rausgeworfen«, fuhr Bors mit einem leisen, siegessicheren Lächeln fort. »Ich habe auch ... auf euch gesetzt. Auf beide. Auf euch und die Kohoner. Jeweils ein Dim. Ist ganz egal, wer gewinnt. Gewinnt ihr, gehe ich ohne Verlust aus und habe meinen Spaß gehabt; gewinnen die Kohoner, bin ich ein reicher Mann.« Er lachte wieder, stellte seinen Becher auf den Kopf und zog hörbar die Nase hoch. »Ich bin ein reicher Mann, Satai«, wiederholte er. »Und du ein toter.«

»Halt jetzt endlich den Mund«, zischte sein Kamerad. »Du redest uns um Kopf und Kragen.« Auch er war betrunken, aber lange nicht so betrunken wie Bors.

Bors machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach was«, lallte er. »Die ganze Stadt weiß es. Nur dieser Satai spielt den Unwissenden.«

»Was weiß die ganze Stadt?« fragte Skar ruhig.

»Daß der Kampf eine abgekartete Sache ist«, erwiderte Bors trotzig. »Diese beiden halben Kinder können gar nicht gewinnen. Nicht gegen euch. Ginge es mit rechten Dingen zu, würdet ihr sie nach den ersten drei Atemzügen niedermachen. Oder ihr macht sie nicht nieder, und euer Lastar verdient sich eine goldene Nase. Und du«, fügte er hämisch hinzu, »verlierst deinen Kopf.«

Skar blieb noch immer ruhig und scheinbar unbeeindruckt. Der Soldat hatte einen Grad der Betrunkenheit erreicht, an dem er mehr reden würde, wenn er, Skar, einfach schwieg, statt Fragen zu stellen. Skar winkte Rache, den Wein zu bringen, ging zu den beiden Soldaten hinüber und ließ sich neben ihnen nieder. Bors' Kamerad fuhr zusammen und wurde sichtlich bleich. An seinem Hals begann ein Nerv zu zucken. Seine Hand glitt zum Schwertgriff und fuhr so abrupt zurück, als hätte er glühendes Eisen berührt, als er Skars Lächeln begegnete. Er wich seinem Blick aus und sah sehnsüchtig zur Tür.

»Wir ... müssen gehen«, sagte er unsicher. »Unser Dienst beginnt gleich.«

Skar legte ihm die Hand auf den Unterarm und drückte ihn mit sanfter Gewalt auf den Boden zurück. »Bleibt noch ein wenig«, sagte er. »Der Wachwechsel ist erst in einer Stunde. Trinkt noch einen Becher Wein mit mir. Man trifft zu dieser Stunde wenige Menschen, mit denen man sich unterhalten kann.«

»Wirklich, Herr«, stammelte der Soldat. »Wir...«

»Wollt ihr mich beleidigen?«

Der Mann verstummte, wurde noch ein wenig blasser und schluckte schwer.

Skar wartete, bis Rache den bestellten Krug Wein gebracht hatte. Er schenkte den beiden Soldaten ein, trank selbst einen winzigen Schluck und wandte sich dann wieder an Bors. »Was hast du damit gemeint, als du sagtest, ich würde meinen Kopf verlieren, wenn die Kohoner siegen? Es ist kein Kampf auf Leben und Tod, weißt du das nicht?«

Bors griff nach seinem Becher und verschüttete fast die Hälfte, ehe es ihm gelang, zu trinken. »Die Templer sehen es nicht gerne, wenn betrogen wird«, sagte er.

Skar spannte sich. »Betrogen?«

Bors drehte den Becher in den Händen und kniff ein Auge zu. »Du hast selbst gesagt, daß es kein Kampf auf Leben und Tod ist, nicht? Du vergibst dir nichts, wenn du verlierst. Und es steht eine Menge Geld auf dem Spiel.« Er schwieg einen Moment, trank wieder und sah Skar aus verschleierten Augen an. »Alle wissen, daß ihr in dem Ruf steht, unbesiegbar zu sein. Die beiden Super-Satai! Wißt ihr, wie man euch nennt? Die Kampfmaschinen, die Unbesiegbaren. Und fast alle haben auch auf euch gesetzt. Wenn die richtigen Männer auf die Kohoner setzen und gewinnen, machen sie ein Vermögen. So wie ich.«

»Und wieso«, fragte Skar mit einer Ruhe, die er längst nicht mehr spürte, »glaubst du, daß wir unterliegen könnten?«

Bors grinste. »Du hast gerade selbst zu diesem Fettwanst gesagt, alles wäre möglich. Sicher«, zitierte er, »ist man nie.«

Skar nickte. »Das stimmt. Aber du sagtest selbst, die beiden Kohoner wären keine Gegner für uns.«

»Wenn der Kampf ehrlich ist, nicht.«

Skar erstarrte. Für einen Moment flammte Wut in ihm auf, aber er beherrschte sich. »Du redest irr«, sagte er. »Ein Satai betrügt nicht.«

Bors grinste noch breiter. »Das glauben die anderen auch«, sagte er. »Die, die ihr Geld auf euch setzen. Ihr -«

»Bitte, Herr!« mischte sich sein Kamerad ein. »Hört nicht auf ihn. Der Wein hat seinen Verstand ertränkt. Er weiß nicht mehr, was er redet.«

Skar atmete hörbar ein, musterte den Mann kalt und nickte. »Ich will annehmen, daß es so ist«, sagte er eisig. »Aber es wäre besser für deinen Freund, wenn er lernen würde, seine Zunge im Zaum zu halten. Wäre er weniger betrunken, wäre er jetzt tot.«

»Natürlich, Herr«, sagte der Soldat nervös. »Wir... wir gehen jetzt besser.« Er stand abrupt auf, warf eine Münze auf den Boden und zerrte Bors roh in die Höhe. Bors begann lautstark zu protestieren, aber sein Kamerad beachtete die Worte gar nicht, sondern zerrte ihn hinter sich her zur Tür.

Skar stand mit einem wütenden Blick auf. Bors' Worte hatten ihm ziemlich zugesetzt. Verärgert sah er sich um. Der Bettler schlief noch immer in seiner Ecke, aber die Frau hatte sich halb herumgedreht und das Gespräch offensichtlich mit großem Interesse verfolgt. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Irgend etwas Seltsames war in ihren Augen. Skar fühlte sich auf unangenehme Weise beobachtet, im wahrsten Sinne des Wortes durchschaut. Die Fremde starrte ihn mit einer sonderbaren Vertrautheit an. Ihre Augen blitzten fast amüsiert.

Skar fuhr mit einer übertrieben heftigen Bewegung herum, stapfte zur Theke und ließ sich schwer gegen das mürbe Holz fallen. Die Einrichtung hinter der Theke war ebenso spartanisch wie auf der anderen Seite. Es gab ein hohes, aus braunen Lehmziegeln direkt in die Wand hineingemauertes Regal, auf dem sich Becher und Krüge und halbwegs sauberes Geschirr stapelten; es gab den hölzernen Bock, auf dem nebeneinander ein Wein- und ein Bierfaß ruhten - die einzigen Getränke, die Rache anbot - und es gab einen niedrigen, mit einem durchlöcherten Fetzen verhängten Durchgang, hinter dem sich das Loch verbarg, das der Wirt seine Küche nannte.

»Nimm es ihnen nicht übel, Skar«, sagte Rache begütigend. »Ich hätte ihnen nicht so viel ausschenken dürfen. Aber das Geschäft geht schlecht. Man muß leben.«

»Du tust mir auch schon richtig leid«, knurrte Skar böse. »Der Hunger steht dir schon ins Gesicht geschrieben.«

Rache schien für einen Moment über die Bemerkung nachzudenken. Schließlich zuckte er die Achseln und streckte die Hand nach dem Becher aus, den er bereits vor Skar auf die Theke gestellt hatte. »Noch einen Wein?«

Skar schüttelte hastig den Kopf. »Ich habe genug«, sagte er. »Immerhin muß ich einen klaren Kopf behalten, wenn ich ihn noch ein wenig länger auf den Schultern tragen will.«

Rache runzelte die Brauen und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Weingerede«, sagte er. »Du nimmst das doch nicht etwa ernst?«

»Man sagt, Betrunkene und Kinder sprechen die Wahrheit.«

»Oder was sie dafür halten«, versetzte Rache ungerührt. »Die Leute machen sich eben Gedanken, was zwei ausgekochte Satai wie euch dazu bringen mag, für einen Halsabschneider wie Cubic zu arbeiten.«

Skar lächelte gegen seinen Willen. »Auch ein ausgekochter Satai muß essen«, antwortete er. »Die Zeiten sind schlecht für Söldner. Es hat lange keinen Krieg mehr gegeben. Und der nächste ist nicht in Sicht.«

»Den Göttern sei Dank«, nickte Rache. »Krieg ist schlecht fürs Geschäft. Die Leute trinken aus Furcht nicht halb soviel wie aus Langweile. Und alles, was Beine hat und ein Schwert führen kann, ist nach Norden gezogen, um sich mit diesem Quorrl-Pack herumzuschlagen. Ich wundere mich ohnehin, daß ihr nicht dabei seid.« Skar schwieg einen Moment. »Wir haben es versucht, aber...« Er brach ab, hob die Schultern und kramte eine Handvoll Kleingeld aus der Tasche. »Es ist eine lange Geschichte, Rache. Vielleicht erzähle ich sie dir irgendwann einmal. Aber nicht heute. Ich werde wohl deinen Rat beherzigen und versuchen, noch ein wenig zu schlafen.«

Rache blickte stirnrunzelnd auf die Kupfermünzen, mit denen Skar bezahlt hatte. »Steck dein Geld weg«, sagte er. »Du warst heute mein Gast.«

Skar zögerte einen Moment, nickte dann dankbar und strich das Geld wieder ein, bevor Rache seinen Entschluß bereuen und es sich anders überlegen konnte. Stolz ist eine gute Sache - solange man ihn sich leisten kann. »Danke.«

Rache grinste. »Nichts zu danken. Du bist eine Menge Geld für mich wert. Betrachte es als deinen Anteil.«

»Ich hoffe, du verlangst keinen Schadenersatz von mir, wenn ich den Kampf verlieren sollte«, sagte Skar mit einem halbherzigen Lächeln.

Rache seufzte. »Seit wann bist du so empfindlich?« fragte er in einem Tonfall, als bemühe er sich verzweifelt, einem störrischen Kind gegenüber nicht die Geduld zu verlieren. »Cubic streut seit Wochen das Gerücht aus, daß der Kampf manipuliert ist und ihr absichtlich verlieren werdet. Aber das macht er vor jedem großen Kampf, um die Wettquoten in die Höhe zu treiben. Und es gibt immer wieder genug Dummköpfe, die darauf hereinfallen.« Er zuckte ein paarmal hintereinander die Achseln, fuhr sich mit dem Daumen über die ungepflegten Bartstoppeln auf seinem Kinn und schenkte Skars Becher nun doch voll. »Spül deinen Ärger hinunter.«

Skar seufzte, nahm einen winzigen Schluck - kaum genug, um die Lippen zu benetzen - und stellte den Becher sorgsam auf den feuchten Fleck auf der Theke zurück. »Laß gut sein«, murmelte er. »Ich gehe jetzt besser. Vielleicht finde ich Del doch noch irgendwo.« Er verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken und ging rasch hinaus.

Sein Umhang tropfte noch immer vor Nässe, und als er auf die Straße hinaustrat, raubte ihm der eisige Wind für einen Moment den Atem.

Er blieb unschlüssig unter der Tür stehen, drehte das Gesicht aus dem Wind und starrte die Straße hinab. Da und dort schimmerte bereits ein erster zaghafter Lichtstrahl unter einer Türritze oder einem geschlossenen Laden hervor, und die Sonne, die über den unsichtbaren Horizont gestiegen war, während er sich in der Schänke aufgehalten hatte, versah die kantigen Zinnen der Stadtmauer mit einem flackernden Kranz trübroten, feurigen Lichts.

Er sah flüchtig nach oben und verzog das Gesicht. Der Himmel war hinter einer tiefhängenden, brodelnden Wolkenmasse verborgen, die da und dort den orangeroten Schein des Sonnenaufganges reflektierte, und aus der Regenschleier wie unzählige dünne, peitschende Arme auf die Stadt herabgriffen. Es würde auch heute nicht richtig hell werden. Der Sturm hatte an Kraft verloren, aber es war wohl nur eine Atempause, nach der er mit größerer Wut wieder losbrechen würde.

Skar überlegte einen Moment, ob er den Umweg in Kauf nehmen und noch ein paar Freudenhäuser aufsuchen sollte, um zu sehen, ob er Del irgendwo traf, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Er würde nur einen Streit provozieren, wenn er Del in einer Umgebung aufstöberte, in der er sein Gesicht wahren mußte. Nein - was es zwischen ihnen zu bereden gab, gehörte nicht an die Öffentlichkeit. Er würde es unter vier Augen klären.

Genaugenommen konnte er Del sein Verhalten nicht einmal verübeln. Der Satai war jung, und Ikne war keine Stadt, in der ein junger Mann auf seine Kosten kam. Sogar er selbst verspürte in letzter Zeit eine immer stärkere Unruhe, und er kam sich mehr und mehr wie ein Gefangener vor, und die mächtigen grauen Mauern schienen ihm eher Fessel als Schutz zu sein. Es gab keinen sichereren Ort zum Überwintern als die reiche Händlerstadt an den Ufern des Besh mit ihren uneinnehmbaren Mauern, ihrer Wärme und Sicherheit, aber ihre Einwohner zahlten für diesen Luxus mit Unfreiheit und der Tyrannei der Priesterkönige und ihrer Garden. Sechs Monate waren vergangen, seit sie nach ihrem fehlgeschlagenen Versuch, die Nonakesh-Wüste zu überwinden und an den Küsten des Nebelmeeres nach Norden zu ziehen, zurückgekehrt waren, sechs Monate, in denen sie in dieser Stadt wie in einem goldenen Käfig festsaßen.

Skar atmete innerlich auf, als er daran dachte, daß sie in wenigen Stunden schon fortgehen konnten. Cubic hatte ihre verzweifelte Lage sofort erkannt und ihnen für den Kampf weit weniger geboten, als ihnen zustand. Aber es würde immer noch reichen, um nach dem Abzug ihrer Schulden Pferde und Sättel für sich und Del zu erstehen und wegzureiten. Vielleicht würden sie den Besh hinab nach Endor ziehen, um dort den Winter abzuwarten. Es war zu spät, sich jetzt noch dem Zug gegen die Quorrl anzuschließen. Dafür war im nächsten Frühjahr noch immer Zeit genug - falls die Gefahr dann noch existierte.

Ein leises Knarren drang in seine Gedanken, das Geräusch der rostigen Angeln, als die Tür rasch geöffnet und dann gegen die Kraft des Windes mit einem Ruck wieder geschlossen wurde. Er drehte sich um und legte den Kopf schief, um durch die peitschenden Regenschleier erkennen zu können, wer ihm da gefolgt war.

Es war die Frau, die ihm schon drinnen in der Taverne aufgefallen war. Sie trug jetzt einen bodenlangen, braunen Umhang, unter dessen Kapuze nur ein schmaler Streifen ihres Gesichts zu erkennen war, und der lange, in Tücher eingehüllte Gegenstand in ihren Händen war eindeutig ein Schwert. Sie blieb einen Moment unter dem Türsturz stehen, überzeugte sich mit einem raschen Blick davon, daß sie wirklich allein mit Skar auf der Straße war, und trat dann auf ihn zu.

»Mein Name ist Gowenna«, sagte sie. Sie sprach leise, aber ihre Stimme hatte einen festen, selbstsicheren Klang. Es war die Stimme eines Menschen, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen. »Du bist Skar, der Satai.« Für einen winzigen Moment schienen die flackernden Schatten von der grauen Mauer auf sie überzuspringen und ihr Gesicht hinter einem düsteren Schleier zu verbergen. »Ich habe mit dir zu reden.«

Skar starrte sie drei, vier Sekunden lang durchdringend an, aber Gowenna hielt seinem Blick gelassen stand. Es gab nicht viele Menschen, die das konnten.

»Ein seltsamer Ort für ein Gespräch«, sagte Skar.

»Was ich dir zu sagen habe, ist nicht für jedermanns Ohren bestimmt. Erst recht nicht für die eines schwatzhaften Wirts. Ich habe einen Auftrag für dich und deinen Freund.«

»Du?« fragte Skar zweifelnd.

Gowenna machte eine ungeduldige Bewegung mit dem verhüllten Schwert. »Ich oder jemand, für den ich spreche, das bleibt sich gleich. Bist du interessiert?«

Skar schluckte die scharfe Antwort, die ihm auf der Zunge lag, herunter und rang sich ein nichtssagendes Eächeln ab. »Das kommt ganz darauf an, was du von mir willst. Und was du bietest«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu.

Auf Gowennas Gesicht schien sich für einen winzigen Moment fast so etwas wie Verachtung zu spiegeln. »Um Geld brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, sagte sie abfällig. »Wenn das alles ist, was dich interessiert. Folge mir.« Sie wandte sich um und wollte vor Skar die Straße hinabgehen, aber er vertrat ihr rasch den Weg. »Nicht so eilig«, sagte er. »Ich habe nicht gesagt, daß ich dich begleiten werde. Ich weiß weder, wer du bist, noch -«

»Du wirst es rechtzeitig erfahren«, unterbrach ihn Gowenna. »Komm jetzt - mein ... Auftraggeber erwartet dich.« Sie schob ihn mit einer überraschend kräftigen Bewegung zur Seite, zog die Kapuze zum Schutz gegen den Regen tiefer in die Stirn und eilte die Straße hinab, ohne sich noch einmal umzusehen. Sie schien vollkommen sicher zu sein, dab Skar ihr folgen würde.

Skar zögerte aber merklich, das zu tun. Es war nicht so, daß er Angst hatte - hätte diese seltsame Frau ihn in eine Falle locken wollen, hätte sie es sicher geschickter anstellen können. Außerdem wußte er sich seiner Haut durchaus zu wehren.

Aber etwas war in ihm, das ihn warnte, eine unhörbare, drängende Stimme, die ihm zuflüsterte, auf der Stelle kehrtzumachen und so schnell wie möglich zur Arena zurückzugehen.

Doch er tat es nicht.

Gowenna hatte gesagt, daß es nicht weit sei, aber sie durchquerte das Händlerviertel zur Gänze, ehe sie das erste Mal stehenblieb. Die Straßen waren noch immer menschenleer, und fast, als wolle die Natur den Umstand, daß es hell und wärmer geworden war, ausgleichen, hatte es stärker zu regnen begonnen. Der Wind trieb die grauen Schleier jetzt beinahe waagerecht vor sich her, und Skar mußte vornübergebeugt und mit gesenktem Kopf gehen, um überhaupt noch atmen zu können. Er begann sich mit jedem Schritt unwohler zu fühlen, aber er schrieb diesen Umstand der Kälte und seiner Erschöpfung zu, obwohl er wußte, daß es in Wirklichkeit nicht so war. Irgend etwas an dieser Frau, an ihrem Auftreten und der Art, in der er ihr begegnet war, beunruhigte, irritierte ihn. Das Zusammentreffen mit ihr war kein Zufall gewesen. Sie hatte in der Taverne auf ihn gewartet, als hätte sie genau gewußt, daß er käme. Es war nicht das erste Mal, daß Skar auf eine Frau traf, die eine Waffe führte und sie offensichtlich auch zu benutzen wußte, aber er war selten jemandem - gleich, ob Mann oder Frau - begegnet, den eine so unerschütterliche Aura von Stärke und Selbstsicherheit umgab. Und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wozu jemand wie sie die Hilfe eines Satai benötigte, welche Aufgabe diese Frau für ihn und sein Schwert hatte, die sie nicht selbst zu lösen imstande gewesen wäre. Satai waren Söldner, Männer, die ihre Waffenarme verkauften, trotz aller Ideologie Krieger, Krieger für Geld. Diese Frau brauchte keinen Krieger. Skar zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß Gowenna mit dem Schwert kaum weniger gut umzugehen wußte wie er selbst oder Del.

Er ertappte sich dabei, wie seine Hand unter dem Umhang nach dem Griff des Tschekal tastete. Das Metall fühlte sich kalt und feucht an; die kurze Zeit, die er in RACHES WACHT gewesen war, hatte nicht genügt, die Kühle daraus zu vertreiben. Trotzdem fühlte es sich gut an. Etwas von der Stärke eines Satai steckte in seiner Waffe. Wenn es wirklich eine Falle war, in die er lief ... Skar vertrieb den Gedanken mit einem ärgerlichen Kopfschütteln und zog die Hand rasch von der Waffe zurück. Ikne war eine Stadt des Friedens, trotz ihrer titanischen Mauern und der waffenstarrenden Wehrtürme, die das flache Land überragten. Der Gedanke an einen Überfall war in Ikne ungefähr so absurd wie die Vorstellung eines Hagelsturmes mitten in der Wüste. Aber vielleicht war es gerade diese Ruhe, die Sicherheit, die das Wort Ikne in diesem Teil der Welt repräsentierte, welche ihn unsicher werden ließ. Je länger er hier war, desto öfter wandten sich seine Gedanken Kampf und Tod zu; jede Stunde, die er in Frieden und Muße genoß, schien etwas in seinem Inneren zu wecken, etwas, das ihm gleichermaßen bekannt wie furchterregend vorkam, eine unbestimmbare Sehnsucht nach Kampf und Schlachtenlärm und Krieg.

Er ging schneller, um Gowenna einzuholen. Sie hatte bisher nicht ein einziges Mal zurückgeschaut. Selbst, als sie vorhin stehengeblieben war, hatte sie es nur getan, um einen raschen Blick in eine Seitenstraße zu werfen, als wolle sie sich davon überzeugen, daß sich ihnen auch wirklich niemand an die Fersen geheftet hatte. Trotz ihrer Stärke wirkte sie auf seltsame Weise gleichzeitig furchtsam, wie jemand, der sich seiner Kraft bewußt war, gleichzeitig aber auch wußte, daß er diese Stärke nicht einsetzen konnte.

Skar holte sie mit ein paar raschen Schritten ein, ergriff ihre Schulter und zwang sie stehenzubleiben. »Wohin gehen wir?« fragte er unwirsch.

Gowenna wandte den Kopf und sah ihn mit einem undefinierbaren Blick an, drehte sich jedoch nicht herum, obwohl er fest zupackte und sein Griff sie schmerzen mußte. Das fahle Licht überzog ihr Gesicht mit grauen Schatten, ließ sie gleichsam zu einem Geschöpf der Dämmerung werden. Überhaupt schien alles an ihr grau zu sein - ein Grau, das mit jedem Schritt, den sie sich weiter in den Morgen hineinbewegte, an Kraft gewann. Ihr Gewand, die Sandalen, der Schleier, mit dem sie wohl normalerweise ihr Antlitz verhüllte und der nun in der Art eines Halstuches unter ihrem Kinn zusammengeknotet war, selbst das schwarze Haar schien von grauen Schatten durchwoben zu sein. Der Gedanke weckte eine Erinnerung in Skar, aber sie entschlüpfte ihm wieder, bevor er sie fassen konnte.

»Es ist nicht mehr weit«, antwortete sie mit deutlicher Ungeduld. »Dieses Haus dort drüben.«

Sie machte eine vage Geste zur anderen Straßenseite, streifte seine Hand mit einer plötzlichen, abrupten Bewegung ab, die von einem unwilligen Stirnrunzeln begleitet wurde, als bemerkte sie die Berührung erst jetzt, und ging weiter.

Skar starrte ihr einen Moment wütend nach und folgte ihr dann. Sie waren jetzt in den Randbezirken der Stadt. Die Wehrmauer ragte kaum eine Pfeilschußweite vor ihnen empor, bildete eine schwarze, messerscharf gezogene Linie, die den Himmel teilte und einen wuchtigen Schatten warf. Die Häuser waren hier kleiner und schäbiger als in den Vierteln, in denen Skar sich normalerweise aufhielt, und die Straßen waren brüchig und alt, ohne Abflüsse oder Kanäle, so daß er knöcheltief im Wasser stand, als er vom Gehsteig heruntertrat. Gowenna führte ihn zu einem schmalen, zweigeschossigen Haus, das ein Stück zurück und im Schatten der benachbarten Gebäude lag. Es war schäbig selbst für diese Gegend, klein und geduckt; hineingekauert in die Dunkelheit, als wolle es sich verbergen.

Ein schmaler, fensterloser Gang nahm sie auf. Gowenna trat beiseite, um ihn vorbeizulassen, nickte auf eine fast freundliche, aufmunternde Art, die nicht zu ihrem bisherigen Verhalten paßte, und drückte die Tür hinter ihm sorgfältig zu. Es gab keinen Riegel, aber die Tür hielt trotzdem. Es wurde dunkel. Gowennas Schatten blieb noch einen Moment vor den Ritzen und Spalten des morschen Türblattes sichtbar und glitt dann an ihm vorbei, um mit der Schwärze weiter hinten im Gang zu verschmelzen. Skar fragte sich unwillkürlich, wie sie bei der absoluten Dunkelheit hier drinnen ihren Weg finden konnte. Aber ihre Schritte klangen rasch und so sicher vor ihm, als wäre das Haus taghell erleuchtet.

»Gib acht jetzt. Eine Treppe.«

Der Klang ihrer Schritte veränderte sich, als unter ihren Füßen nicht mehr Lehm, sondern das knarrende Holz einer Treppe war. Skar folgte ihr langsamer, blieb dort, wo er die Treppe wähnte, stehen und tastete vorsichtig nach der ersten Stufe, ehe er weiterging. Über ihm - höher, als er nach der Anzahl ihrer Schritte geglaubt hatte - öffnete sich eine Tür. Sie mußte immer zwei oder mehr Stufen auf einmal genommen haben.

Ein winziger gelber Funke glomm auf, dann erfüllte der flackernde Schein einer Öllampe den Gang.

»Tritt ein.«

Skar nahm die letzten Stufen rascher und senkte den Kopf, um nicht gegen den niedrigen Türbalken zu stoßen. Das Zimmer war winzig - ein Rechteck, das gerade Platz für ein strohgedecktes Lager, einen Tisch und einen dreibeinigen Hocker bot. Es gab ein schmales, mit einem Laden und zusätzlichen Gitterstäben gesichertes Fenster an der Südwand und gegenüber ein paar flache Nischen, die zur Aufbewahrung der verschiedensten Dinge dienten; für einen Schrank wäre kein Platz gewesen.

Gowenna wartete geduldig, bis Skar seine Musterung beendet hatte. »Du siehst, es lauern keine Mordbuben unter dem Bett«, sagte sie spöttisch. »Und im Boden ist auch keine Falltür. Du kannst also getrost eintreten.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf den Hocker und wich gleichzeitig zur Tür zurück. »Warte hier«, sagte sie. »Meine Herrin wird in wenigen Augenblicken da sein. Du wirst dann alles Notwendige erfahren.«

Skar wollte etwas sagen, aber Gowenna fuhr mit einer raschen Bewegung herum und war verschwunden, ehe er Gelegenheit zu weiteren Fragen hatte. Ihre Schritte verklangen auf der Treppe, dann fiel die Tür unter ihm zu.

Skar blieb einen Moment unschlüssig stehen, ehe er sich auf die Bettkante setzte und sich in einer Mischung aus Ärger und widerwilliger Neugier umsah. Das Zimmer gab auch bei der zweiten Betrachtung nicht mehr her, es war schäbig, selbst für eine drittklassige Herberge im übelsten Viertel der Stadt, ein Loch, gerade gut genug zum Schlafen und vielleicht nicht einmal das. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Gowenna oder die, für die sie arbeitete, hier lebten. Vermutlich hatte sie das Haus einzig und allein wegen seiner abgeschiedenen Lage gewählt.

Seine Geduld wurde auf keine harte Probe gestellt. Schon nach kurzem hörte er wieder das Geräusch der Tür, danach eilige Schritte. Leichtere Schritte als die Gowennas. Skar erhob sich, schlug seinen Umhang zurück und legte die Hand neben dem Schwertgriff auf den Gürtel.

Es war eine Frau. Sie war jünger als Gowenna, schlanker und kleiner. Und sie war, wie Gowenna, von Kopf bis Fuß in mattes, fließendes Grau gekleidet.

Skar wußte plötzlich wieder, woran ihn die Farbe erinnert hatte. Sein Erstaunen mußte sich deutlich auf seinen Zügen widerspiegeln, denn die Fremde lächelte plötzlich. Sie zog die Tür hinter sich ins Schloß, schlug mit einer graziösen Bewegung ihre Kapuze zurück und bedachte ihn mit einem zweiten spöttischen Lächeln. »Was Ihr denkt, ist richtig, Satai«, sagte sie. »Ich bin eine Errish. Und Ihr müßt Skar sein.« Als hätte sie damit alles gesagt, was an Erklärung notwendig war, streifte sie ihren Umhang ab, warf ihn nachlässig zu Boden und bückte sich unter das Bett, um ein sauberes Tuch aufzuheben, mit dem sie sich Gesicht und Hände abzutrocknen begann. Ihre Kleider waren bis auf einen schmalen, dunklen Streifen um die Füße, der das Kleid wie ein unregelmäßiger Saum abschloß, vollkommen trocken. Das graue Cape mußte wasserdicht sein.

Skar musterte sie offen und mit einer Mischung aus Ehrfurcht und unverhohlener Neugier. Sie war noch jünger, als er im ersten Moment geglaubt hatte - vielleicht fünfundzwanzig, kaum älter, obwohl, wie er rasch in Gedanken hinzufügte, Jugend - äußerlich sichtbare Jugend - bei einer Errish nicht viel bedeuten mußte. Sie hatte ein hübsches, ehrlich wirkendes, rundes Gesicht. Um ihren Mund lag ein energischer Zug, und ihre Augen, dunkle Augen, blickten mit einer seltsamen Mischung aus Lebenslust und Ernst in die Welt. Ihr Haar war, wie bei den Errish üblich, im Nacken zusammengeknotet und von einer goldenen Spange gehalten; das einzige, was nicht grau war an ihr. Dunkles Haar, das sehr lang und sehr schön sein muß, wenn es offen herabfällt, dachte Skar. Aber was er sah, war nichts, denn ihr Äußeres war nur eine Maske, perfekt bis ins Letzte, doch nicht mehr als Schein. Niemand hatte je das wirkliche Gesicht einer Errish gesehen.

Sie trocknete sich sorgfältig und ohne sichtliche Hast ab, warf das Tuch ebenso achtlos zu Boden wie vorher den Umhang und nahm einen Krug und zwei Becher aus einer der Nischen. »Trinken wir einen Wein«, sagte sie. »Nach der kalten Nacht und dem Regen wird er uns guttun. Ich bin durchnäßt von den wenigen Schritten, die ich laufen mußte. Ihr müßt völlig erschöpft sein.«

Skar lehnte sich gegen die Wand, schüttelte den Kopf und versuchte, gleichmütiger dreinzuschauen, als er war. »Ich bin nicht zum Trinken hergekommen.«

Die Errish schenkte die beiden Becher voll und stellte den Krug zurück, als hätte sie seine Worte gar nicht gehört. »Trinkt«, sagte sie. »Das ist ein besserer Tropfen als der, den der alte Geizkragen ausschenkt.«

Skar griff seufzend nach dem Becher, drehte ihn einen Moment unschlüssig in der Hand und tat dann so, als ob er tränke. »Ihr versteht zu leben«, sagte er. »Der Wein ist wirklich besser als der von Rache.«

Auf dem Gesicht der jungen Frau erschien ein Anflug von Unmut. »Ihr solltet nicht versuchen, mich zu belügen, Skar«, sagte sie ruhig. »Ihr könnt schwerlich den Wein kosten, ohne Eure Lippen zu benetzen.«

Skar hielt ihrem Blick einen Moment stand, zuckte dann mit den Achseln und trank wirklich. Der Wein war süß und schwer, zu schwer für seinen Geschmack. Aber er tat ihr den Gefallen und leerte den Becher zur Hälfte, ehe er ihn zurückstellte.

»Und nun«, sagte er, »haben wir hoffentlich dem Zeremoniell genüge getan und können zur Sache kommen. Wer seid Ihr und was wollt Ihr von mir?«

»Eure Fragen sind leicht zu beantworten«, sagte die Errish. »Mein Name ist Vela. Und was ich von Euch will? Was will man schon von einem Satai, Skar? Eure Hilfe. Hat Euch Gowenna nicht gesagt, daß ich einen Auftrag für Euch und Euren Kameraden habe?«

Skar schürzte unwillig die Lippen. Als er antwortete, war sein Ton schärfer, als es einer Errish gegenüber angemessen war. »Doch. Aber sie hat leider vergessen zu sagen, welcher Art dieser Auftrag ist. Ich hoffe, Ihr vergeßt es nicht auch. Ich habe nichts gegen einen guten Schluck Wein und eine Unterhaltung, doch meine Zeit ist knapp, und ich habe heute noch etwas vor ...«

»Ach ja, Euer Kampf ...«

Vela lächelte. Sie wirkte jetzt mehr denn je wie ein unschuldiges kleines Mädchen. Und doch war irgend etwas in ihrem Blick, das Skar mißfiel, obwohl er nicht zu sagen vermochte, was.

Aber vielleicht war er auch nur überreizt, mißtrauischer als nötig. Sie war nicht irgendwer, sondern eine Errish, eine Ehrwürdige Frau. Wenn es auf dieser Welt noch einen Begriff gab, der für Vertrauen und Ehrlichkeit stand, dann dieser. Er nahm einen weiteren, vorsichtigen Schluck, sah sich unschlüssig um und ließ sich schließlich auf das Lager sinken, weniger aus Müdigkeit, sondern eher, weil es ihm plötzlich unangenehm war, ruhig dazustehen und ihren forschenden Blick auf sich zu spüren. Skar war sich des Umstandes, nervös zu sein und dies auch zu zeigen, völlig bewußt, und er kannte auch den Grund. Vela. Nicht das, was sie gesagt hatte oder noch sagen würde, auch nicht die seltsamen Umstände ihres Zusammentreffens, sondern nur sie. Ihre bloße Anwesenheit.

Er sah auf, begegnete ihrem Blick und begann unruhig auf der Kante des Lagers hin und her zu rücken. Es war hart und zu niedrig, um bequem zu sein. Er zog die Beine an, ließ sich zurücksinken und lehnte den Kopf gegen die nackte Lehmwand. Sie war feucht und kalt wie alles in diesem Haus, und er setzte sich abrupt wieder auf.

»Ich vergesse nicht, es Euch zu erklären«, sagte Vela nach einigem Zögern. »Aber es ist nicht leicht.« Sie setzte sich auf den Hocker und legte die Hände nebeneinander auf den Tisch. Skar fiel auf, wie braun ihre Haut war. Dunkler, als man es normalerweise bei einer Ehrwürdigen Frau erwartete.

»Laßt Euch Zeit«, murmelte er. »Wir sollten nur bis Sonnenuntergang fertig sein. Dann beginnt mein Kampf.«

»Ah ja, der Kampf«, sagte Vela noch einmal, als erinnere er sie an etwas, das sie längst vergessen hatte. »Del und Ihr müßt in großer Bedrängnis sein, wenn Ihr ein solches Angebot angenommen habt. Kämpft Ihr oft für Geld?«

Skar nickte. »Dann und wann. Habt Ihr mich rufen lassen, um mit mir über meine Art zu leben zu reden?« Er spürte selbst, daß er über das Maß des Notwendigen hinausschoß, aber es war ihm gleich, und Vela schien ihm seinen angriffslustigen Ton nicht übelzunehmen.

»Nein«, antwortete sie. »Ich frage aus einem anderen Grund. Ihr... habt den Kontrakt unterzeichnet, um mit dem Handgeld Eure Schulden bei Cubic bezahlen zu können, nicht?«

Skar wollte auffahren, besann sich aber dann anders und beließ es bei einem finsteren Blick.

»Und wenn?«

Vela zuckte gleichmütig die Achseln. »Ich informiere mich gerne über einen Mann, bevor ich mit ihm rede, Skar. Aber Ihr braucht Euch nicht zu genieren. Cubic ist für seine üblen Tricks bekannt. Ihr seid nicht die ersten, die er so sehr in Schulden verstrickt, daß sie hinterher für ihn kämpfen müssen, wenn sie nicht im Kerker landen wollen. Man kann von einem Mann, dessen Handwerk der Krieg ist, nicht verlangen, daß er die Schliche eines Halsabschneiders wie Cubic durchschaut. Wieviel schuldet Ihr ihm?«

»Warum fragt Ihr?«

»Weil ich Euch auslösen werde, wenn Ihr für mich arbeitet«, antwortete Vela. »Zusätzlich zu Eurem Lohn. Bedingung ist nur, daß Ihr sofort annehmt.«

Skar antwortete nicht. Es gab tausend Fragen, die ihm auf der Zunge langen, aber er zog es vor, Vela reden zu lassen. Aus irgendeinem Grund schien sie sich zu scheuen, direkt auf ihr Anliegen zuzusteuern. Nach dem, was sie bisher gesagt hatte, mußte sie sich wirklich über Del und ihn informiert haben. Wenn sie dennoch zögerte, dann aus einem bestimmten Grund. Skar spürte, daß ihre Worte alles andere als belanglose Konversation waren, trotz ihres freundlichen Tones. Sie ist eine Errish, dachte er. Nichts, was eine Errish sagte oder tat, war belanglos. Nichts. Aber es war schwer, dieses sonnengebräunte Kindergesicht anzusehen und zu glauben, einem gleichwertigen Gegner gegenüberzustehen.

»Nun?«

66 »Euer Angebot klingt verlockend. Was sollen wir tun?«

»Etwas, das gefährlich ist, aber einen Mann wie Euch sicher reizt. Etwas, das noch keiner vor Euch gewagt hat.«

Skar schluckte die bissige Antwort, die ihm auf der Zunge lag, im letzten Moment hinunter. »Ihr liebt es, in Rätseln zu sprechen, wie?«

Vela nickte. »Von Zeit zu Zeit«, gestand sie. »Aber wenn Ihr mir länger zuhört, werdet Ihr mich verstehen. Ihr seid ein gefährlicher Mann, Skar. Man muß sich seine Worte gut überlegen, wenn man mit Euch redet. Zumal wenn man etwas von Euch will.«

Skar seufzte, zog es aber vor, den Mund zu halten und sich in Geduld zu fassen, so schwer es ihm auch fiel. Es war Velas Spiel, und im Moment bestimmte sie die Regeln. Er würde es mitspielen müssen.

»Ihr seid interessiert?«

»Wenn Ihr mir verratet, worum es geht... vielleicht. Obgleich ich mir nicht vorstellen kann, wozu eine Ehrwürdige Frau die Hilfe eines Satai benötigt. Gibt es wirklich etwas, daß Ihr nicht meistern könntet?«

Für einen Moment schien ein Schatten über Velas Gesicht zu huschen, aber sie hatte sich sofort wieder in der Gewalt. »Es gibt etwas«, sagte sie. Ihre Stimme klang anders als bisher. Es war ein Unterton von Ernst und Entschlossenheit darin, der neu war. Neu und irgendwie beunruhigend. Skar spürte plötzlich, daß ihr Gleichmut nur gespielt und sie in Wirklichkeit ebenso wie er aufs äußerste gespannt war. Vielleicht noch mehr.

»Ich möchte, daß Ihr etwas für mich stehlt«, sagte sie schließlich. Skar schwieg einen Moment, griff nach seinem Becher und trank, nicht aus Durst, sondern um Zeit zu gewinnen. Die Antwort war anders, als er erwartet hatte. Sie hatte das Rätsel eher vergrößert. »Ich ... bin kein Dieb«, sagte er vorsichtig.

»Wäre das, was ich brauche, von einem gewöhnlichen Dieb zu beschaffen, so brauchte ich kaum Eure Hilfe«, erwiderte Vela unerwartet scharf. Für einen Moment klang ihre Stimme so, wie man es von einer Errish erwartete: hart, befehlend und - obwohl leise - in einer Art, die jeden Widerspruch, ja selbst den bloßen Gedanken daran, von vornherein ausschloß. »Ihr werdet etwas für mich holen, wenn Euch der Ausdruck lieber ist«, fuhr sie fort. »Es ist schwer, aber Ihr könnt es schaffen. Ich gebe Euch alles, was dazu notwendig ist. Geld, Pferde, Männer und Waffen.«

Skar starrte sie für die Dauer eines Herzschlages durchdringend an. »Und was soll ich tun?« fragte er sarkastisch. »Die Königsjuwelen von Ikne stehlen? Oder reicht der Schatz der Tempelpriester?«

»Weder das eine noch das andere«, erwiderte Vela ruhig. »Ich möchte, daß Ihr nach Combat geht und den Stein der Macht holt.« Es dauerte lange, bis Skar seine Überraschung soweit überwand, daß er wieder einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen imstande war. Zwei, vielleicht drei Minuten lang starrte er Vela fassungslos an und versuchte vergeblich das zu glauben, was er gehört hatte.

Combat... allein der Klang dieses Wortes schien etwas Unheilvolles in sich zu bergen. Es war ein Wort aus einer Sprache, die so tot war wie die, die sie gesprochen hatten, ein Wort, das Gedanken an Tod und Verwüstung und Verderben mit sich führte, das auszusprechen allein schon Frevel war. Combat. Die Brennende Stadt. Legende, Fluch und Hoffnung in einem ...

»Ihr ... seid verrückt«, keuchte er schließlich.

»Nein, Skar.« Vela schüttelte ruhig den Kopf und lächelte wieder, wenn auch auf eine ganz, ganz andere Art als bisher. Ernst, vielleicht sogar ein wenig traurig. Sie stand auf, strich sich mit einer unbewußten Geste über das Kleid und ging dann mit schnellen Schritten zum Fenster hinüber. Ihre Finger fuhren über das verquollene Holz des Rahmens und zeichneten die Risse und Sprünge darin nach. Obwohl sie vollkommen ruhig dastand und das Gesicht von ihm wegwandte, den Blick starr auf die geschlossenen Läden gerichtet, als könne sie dort etwas sehen, das ihm verborgen blieb, begann Skar zu spüren, wie nervös sie in Wirklichkeit war. »Ihr habt gerade gesagt«, fuhr sie fort, »daß Ihr nur zwei Satai-Söldner seid, Del und Ihr. Aber das stimmt nicht.« Sie fuhr mit einer abrupten Bewegung herum, stützte sich mit den Handflächen auf die Fen-Sterbrüstung und lehnte sich zurück, so daß ihr Kopf gegen die rostigen Gitterstäbe stieß. Ihre ganze Art, zu reden und sich zu geben, kam Skar mit einem Mal unnatürlich vor, steif und einstudiert, als hätte sie sich jedes Wort, jede Geste vorher genauestens überlegt. »Ich habe gesagt, daß ich mich über Euch informiert habe, Skar, und ich habe es gründlich getan, glaubt mir. Ihr seid die Besten. Es gibt keinen, der diese Aufgabe besser lösen könnte als Ihr.« Skar schüttelte langsam den Kopf. Er fühlte sich immer noch wie betäubt. »Ich danke Euch für das Lob«, antwortete er schleppend. »Aber was Ihr verlangt, ist schlichtweg unmöglich.«

»Das ist es nicht«, widersprach Vela. »Es ist schwer. Es ist schwer und gefährlich, aber nicht unmöglich. Andere haben es vor Euch versucht, und keinem ist es gelungen, das ist wahr. Aber Ihr könntet es schaffen. Ihr seid keine Abenteurer wie die, die vor Euch nach dem Stein der Macht gesucht haben und dabei umkamen. Ich gebe Euch die besten Männer mit, die Ihr für diese Aufgabe finden könnt. Und ich besitze etwas, das die anderen nicht hatten, Skar. Wissen. Ich weiß alles, was es über Combat zu wissen gibt, über die Stadt und den Weg, zu ihr zu gelangen. All diese Narren, die vor Euch versucht haben, Combats Geheimnis zu lüften, wußten nicht einmal, womit sie es zu tun hatten. Ich kenne Combat. Ich kenne es so gut, als wäre ich dort gewesen. Und ich gebe Euch all mein Wissen mit, Skar. Ich habe Karten, Karten, auf denen die genaue Position des Steines der Macht zu finden ist, und der Weg, zu ihm zu gelangen. Nach Combat hinein und wieder hinaus.«

Skar lachte rauh auf. »Ihr seid wahnsinnig!« behauptete er. Es war ihm jetzt völlig gleichgültig, daß sie eine Errish war und nicht nur die Worte, sondern allein der Ton, in dem er sie aussprach, genügt hätten, ihn den Kopf zu kosten. »Wenn es so ist, wie Ihr sagt, warum geht Ihr dann nicht selbst und holt den Stein? Und wenn ich ginge und ihn fände - woher nehmt Ihr die Überzeugung, daß ich ihn nicht für mich behalte?«

Vela wollte etwas sagen, aber Skar sprach rasch und laut weiter. »Wohlgemerkt - ich glaube nicht, daß es diesen Stein der Macht überhaupt gibt. Aber ich werde Euer Spielchen ein wenig mitspielen, wenn es Euch Freude macht. Nehmen wir also an, es gäbe diesen Stein, und nehmen wir weiter an, ich fände ihn - glaubt Ihr wirklich, es gäbe einen einzigen Menschen auf der Welt, der dieser Versuchung widerstehen könnte? Wenn es ihn gäbe, bedeutete er Macht, unendliche Macht. Sein Besitzer wäre ein Gott!«

»So wie die Herren Combats?« erwiderte Vela ruhig. »Ihr seid nicht der Mann, so etwas zu tun, Skar. Ihr mögt ein harter Mann sein, aber Ihr seid kein Dieb und Betrüger. Würde es Euch nach Macht gelüsten, hättet Ihr sie schon hundertmal haben können. Ich sagte bereits mehrmals, daß ich mich über Euch informiert habe, aber Ihr scheint mir nicht zu glauben. Ich kenne Euch, Skar, besser vielleicht, als Ihr selbst Euch kennt. Ihr hattet öfter als nur einmal die Gelegenheit, Euch einen Thron zu erobern. Die Versuchung, von der Ihr sprecht, existiert für Euch nicht. Ihr habt nie Macht gewollt. Ihr könnt nichts damit beginnen, weil sie Euch nichts bedeutet. Und Ihr wißt das sehr genau.

Dies zum einen.

Zum anderen werdet Ihr mich kaum für so dumm halten, mich nicht auch auf diese Möglichkeit vorbereitet zu haben. Für einen Mann wie Euch ist der Stein wertlos. Nur wer ihn zu handhaben weiß, kann seine Macht auch anwenden. Für den, der sein Geheimnis nicht kennt, würde er zum Fluch.«

Sie brach ab, starrte einen Moment zu Boden und sprach dann leiser und ruhiger weiter. »Ich verlange jetzt keine Entscheidung von Euch, Skar. Geht, besprecht Euch mit Del und denkt in Ruhe darüber nach. Gowenna wird kurz vor Sonnenuntergang zu Euch kommen und Eure Entscheidung hören.«

Skar schüttelte den Kopf. »Erspart ihr den Weg«, sagte er. »Die Antwort ist nein.« Er sprach schnell, fast hastig, als hätte er Angst, gegen seine Überzeugung etwas anderes sagen zu können.

»Ihr entscheidet eine Angelegenheit von solchem Gewicht recht vorschnell, nicht?«

»Es gibt nichts zu entscheiden«, sagte Skar. »Sucht Euch einen anderen. Es gibt genug Satai. Und es gibt genug Männer, die mindestens so gut mit dem Schwert umgehen wie ich. Vielleicht findet Ihr jemanden, der leichtsinnig und verzweifelt genug ist, auf diese Weise Selbstmord zu begehen. Ich tue es jedenfalls nicht.«

»Ich werde Eure Antwort nicht akzeptieren«, sagte Vela ruhig. »Nicht jetzt. Überlegt Euch die Sache. Ich biete Euch viel, Skar. Mehr als Geld und Reichtum. Ich werde Vertraute brauchen, Helfer. Wer wäre dazu besser geeignet als der Mann, der mir den Stein gebracht hat?«

»Macht interessiert mich nicht«, gab Skar ruhig zurück. »Sagtet Ihr es nicht selbst?«

Vela machte eine unwillige Bewegung mit der Hand. »Ich spreche nicht von solcher Macht, Skar. Ich spreche von dem, wofür ihr Satai kämpft. Von Frieden. Gerechtigkeit. All den Dingen, die ihr auf eure Fahne geschrieben habt. Ihr wißt, welche Gefahr sich über Enwor zusammenballt.«

»Ihr meint die Quorrl?«

»Auch sie. Mit dem Stein der Macht können wir sie in Schach halten. Aber das ist es nicht allein. Ich brauche Euch nicht zu erzählen, wie es in der Welt aussieht. Not und Barbarei greifen um sich. Durch wie viele Dörfer seid Ihr gekommen, in denen die Menschen hungerten und starben? Wie viele Sommer habt Ihr erlebt, die ein kleines bißchen heißer waren als die vorausgegangenen? Wie viele Flüsse habt Ihr gesehen, deren Wasserspiegel gesunken war? Enwor stirbt, Skar. Langsam, aber unaufhaltsam. Ich hätte Euch nicht um Hilfe bei diesem verzweifelten Unternehmen gebeten, wenn es nicht so wäre. Und ich brauche es Euch nicht einmal zu erzählen. Ihr wißt es so gut wie ich.«

Skar lächelte, aber es war ein unechtes Lächeln, und er hatte ein bitteres, verlogenes Gefühl dabei. »Und Ihr glaubt, all dies mit dem Stein der Macht ändern zu können? Ihr glaubt, das Schicksal besiegen zu können, den Willen der Götter zu brechen? Wäre diese Welt, wie sie ist, wenn es ein Instrument wie den Stein der Macht überhaupt gäbe?«

Vela zögerte sekundenlang, ehe sie antwortete. »Vielleicht.« Ihre Stimme war ein kaum hörbares Flüstern, und ihr Blick schien geradewegs durch Skar hindurchzugehen, als spräche sie weniger mit ihm als mit sich selbst. »Niemand weiß, ob es den Stein der Macht wirklich gibt«, gestand sie. »Vielleicht ist er nichts als ein wertloses Schmuckstück, vielleicht ist er aber auch wirklich der Schlüssel zu göttlicher Macht. Ich weiß es nicht, Skar. Aber ich weiß auch nicht, daß es ihn nicht gibt. Es ist eine Chance. Eine winzige Chance nur, aber eine Chance. Unsere Welt braucht diese Chance. Sie hat nicht mehr sehr viele.«

Skar lächelte geringschätzig. »Große Worte, Errish«, sagte er. Plötzlich hatte er Lust, sie zu verletzen, und er legte alles an Hohn und Spott, was er aufbringen konnte, in seine Stimme. »Sehr große Worte. Aber Ihr erwartet doch nicht, daß ich darauf hereinfalle, oder?« Er stand auf, trat auf Vela zu und musterte sie herablassend. »Ihr habt versucht, mich zu kaufen«, stellte er fest. »Zuerst mit Schmeicheleien, dann mit Geld. Jetzt appelliert Ihr an mein Gewissen. Was kommt als nächstes? Werdet Ihr versuchen, mir zu drohen?«

»Ich könnte es«, erwiderte Vela ungerührt. »Aber ich verzichte darauf, Skar. Ich könnte Euch zwingen, mir zu Diensten zu sein, aber ich hätte Euch lieber als freiwilligen Verbündeten. Es widerstrebt mir, einen Mann zu etwas zu zwingen, zu dem er nicht aus freien Stücken bereit ist. Doch ich könnte es.«

Skar setzte zu einer wütenden Antwort an, aber irgend etwas in Velas Blick ließ ihn verstummen. Er wußte, daß ihre Worte keine leeren Drohungen waren. Sie konnte ihn zwingen. Und sie würde es tun, wenn er ihr keine andere Wahl ließ.

Sein Blick wanderte über die schlanke, in fließendes Grau gekleidete Frau. Sie wirkte zart, beinahe zerbrechlich, aber gleichzeitig auch fast übermenschlich stark und kraftvoll. Sie stand keinen halben Schritt vor ihm, und doch war in ihrem Gesicht nicht das geringste Anzeichen von Furcht oder Respekt zu lesen. Skar war es gewohnt, die Leute bei seinem Auftreten zusammenfahren oder zurückweichen zu sehen, nicht nur, weil er ein Satai war, sondern schlicht wegen seiner imponierenden Gestalt. Er überragte Vela um anderthalb Haupteslängen, und er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, wie furchteinflößend sein zernarbtes Gesicht auf jemanden wirken konnte, der ihn nicht kannte. Nichts von alledem war bei Vela zu bemerken. Im Gegenteil - je länger er ihrem Blick ausgesetzt war, desto schwächer und unsicherer begann er sich zu fühlen. Es war kein Duell mehr zwischen Skar und Vela, sondern zwischen dem, was sie verkörperten - einem Sara; und einer Errish, einer Frau, deren Wort Befehl war, und einem Mann, der geschworen hatte, sich keinem Befehl zu beugen, der gegen sein Gewissen ging. Es war ein Kampf zwischen zwei Weltanschauungen, und die eine wie die andere war nie in Frage gestellt worden.

Und er wußte plötzlich, daß er diesen Kampf verlieren würde. Es war nicht das erste Mal, daß er einer der Grauen Hüterinnen gegenüberstand. Aber es war das erste Mal, daß er begriff - oder zu begreifen begann -, was sie wirklich waren.

»Es ist... unmöglich«, sagte er nach einer Ewigkeit. Seltsamerweise schien ihm das Sprechen mit einem Mal Mühe zu bereiten. Die Worte kamen schleppend, langsam, als gäbe es da etwas in seinem Inneren, das ihn gegen alle Vernunft hindern wollte, sie auszusprechen. »Ich ... kann es nicht. Sucht Euch einen anderen.« Velas Blick wurde hart. »Überlegt Euch Eure Antwort gut, Satai«, sagte sie spröde.

Skar raffte alle Kraft zusammen, die er noch aufbringen konnte. Er spürte, daß er nicht mehr lange standhalten würde. Er hatte sich einen Kampf aufzwingen lassen, dem er nicht gewachsen war, ein Duell, das mit ihren Waffen und nach ihren Regeln geführt wurde und das er vom ersten Augenblick an verloren gehabt hatte. Er mußte weg. Sofort.

»Die Antwort ist nein«, sagte er noch einmal. »Ich gebe Euch mein Wort als Satai, daß nichts von dem, was ich hier erfahren habe, jemals über meine Lippen kommen wird, aber das ist auch schon alles. Es tut mir leid.«

Vela nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet. »Ich ahnte, daß Ihr so entscheiden würdet«, sagte sie bitter. »Ich glaube, ich wäre fast enttäuscht gewesen, wenn es anders gekommen wäre.«

»Warum habt Ihr mich dann rufen lassen?«

»Ich wollte Euch eine Chance geben, Skar«, antwortete Vela ruhig. »Ich wollte fair sein. Vielleicht ein Fehler, aber ich war es mir schuldig. Mir und Euch.« Sie brach ab, schwieg einen Moment und bückte sich dann mit einer raschen Bewegung nach ihrem Umhang. »Geht jetzt«, sagte sie. »Geht und denkt über meine Worte nach. Ich werde Gowenna vor dem Kampf zu Euch senden.« Sie streifte das Cape über, ging an ihm vorbei zur Tür und drehte sich noch einmal um, ehe sie das Zimmer verließ.

»Aber bedenkt eines, Skar«, sagte sie sehr langsam, sehr leise und sehr ernst. »Dieses Mal komme ich noch als Bittstellerin. Das nächste Mal fordere ich.«

Sie brauchten den Rest des Tages, um den Fuß des Gebirges zu erreichen. Es wurde wieder kälter, und als sie mit Einbruch der Dämmerung den Pfad verließen und sich ostwärts in Richtung Combat wandten, befanden sie sich unversehens wieder in einer Landschaft aus Schnee, Kälte und bizarren Eisgebilden. Der Sog des Feuersturmes über Combat trug die heiße Luft weit in die Höhe, ehe sie sich zu verteilen begann und mit ihrer Wärme Eis und Schnee der Schattenberge abschmolz. Hier unten war es kalt, noch kälter als oben in den Bergen.

Skar ließ die Gruppe trotz der vorgerückten Stunde weiterreiten. Bisher hatten sie stets Rast gemacht, sobald die Sonne unterging, um am nächsten Morgen mit dem ersten Schimmer des Tageslichts weiterzuziehen, aber er sah sich jetzt gezwungen, von diesem Schema abzuweichen. Ihr Vorrat an Brennmaterial war aufgebraucht, und nicht einmal Tantor konnte ohne Holz Feuer und Wärme herbeizaubern. Eine weitere Nacht bei Eis und Schnee würden sie nicht überstehen. Zudem hätte ohnehin keiner von ihnen jetzt schlafen können. Nervosität und Furcht hatten sich nicht gelegt, sondern waren im Gegenteil stärker geworden; Combat war kein Schrecken, an den man sich gewöhnen konnte, nichts, das sein Grauen verlor, wenn man nur lange genug hinsah - im Gegenteil. Morgen, spätestens übermorgen würden sie dort drüben sein, inmitten dieses weißglühenden Infernos. Skar hatte eine Zeitlang vergeblich versucht, nicht nach Osten zu sehen, aber die feurige Lohe über dem Horizont hatte ihn bereits in ihren Bann geschlagen. Der Wind wurde stärker, je weiter sie sich vom Gebirge entfernten. Hatten ihre Pferde zuerst noch eine Spur aus tiefen, aufgeworfenen Löchern im Schnee hinterlassen, so ritten sie jetzt inmitten einer Wolke aus wirbelndem, trockenem Weiß, Schnee, der wie feinkörniger Sand unter ihre Kleidung und in ihr Haar kroch, ihre Atemzüge in kleine Dampfwölkchen verwandelte und die Luft in ihren Lungen brennen ließ. Skar hatte sich wieder in seinen Mantel gehüllt, aber das Fell schien nicht mehr zu wärmen, als hätte sein Körper, einmal aus der Kälte heraus, jegliche Widerstandskraft verloren.

Die Nacht kam schnell und ohne Warnung. Die Sonne versank, verschmolz für einen kurzen Moment mit den brennenden Unter-Seiten der Wolken und erlosch wie eine Kerzenflamme, deren Docht abgeschnitten wurde. Aber es wurde nicht dunkel. Wie um das Fehlen der Sonne auszugleichen, schien sich die Glut Combats zu verstärken, heller und schmerzhafter zu lodern und den Himmel mit Licht und Feuer und brennendem Rot zu überziehen. Der Schnee reflektierte das Rot der Flammen und verwandelte sich in Blut, erstarrtes, halbgeronnenes Blut, das an den Beinen der Pferde zerrte und sie festzuhalten versuchte.

Jemand berührte ihn an der Schulter. Es war Arsan. Der Kohoner hatte sein Pferd neben das von Skar gelenkt und deutete nun mit ausgestrecktem Arm nach Osten.

»Der Schnee endet dort vorn!« schrie er, das Heulen des Sturmes übertönend. »Wir sollten bald rasten!«

Skar nickte. Er fühlte sich zwar nicht müde, aber das besagte nichts. Sie würden ihre Kräfte am kommenden Tag brauchen. Er warf Arsan ein aufmunterndes Lächeln zu, sah sich flüchtig nach den anderen um und ritt schneller. Der Schnee hörte wirklich auf, verwandelte sich auf einer Strecke von nicht einmal fünfzig Schritten zuerst in klebrigen, braunen Morast, dann in Wasser, das in winzigen gurgelnden Bächen abfloß und im Boden versickerte. Gleichzeitig wurde es merklich wärmer, als überschritten sie eine unsichtbare Grenze. Der Wind wehte immer noch eisig und schneidend vom Gebirge herab, aber Skar spürte jetzt den warmen, schon fast unangenehmen Hauch des Feuers auf Gesicht und Händen. Von hier unten, vom Tal aus, konnten sie die Stadt deutlicher erkennen. Noch waren sie Meilen von ihrer äußeren Begrenzung entfernt. Die Flammen wuchsen, wie auch die Stadt, zum Zentrum hin an, verwandelten sich von einem glosenden, flackernden Teppich am Rande zu einer brüllenden Feuersäule über dem Zentrum der Stadt, bildeten einen gigantischen, Meilen hohen Turm aus Glut und waberndem Licht, der gierig nach den Unterseiten der Wolken zu lecken schien. Es sah aus, als brodele vor ihnen ein ungeheurer Pilz aus Flammen.

Skar ließ anhalten, als sie endgültig aus dem Schnee heraus waren. Der Boden war zerfetzt, mit großen, gezackten Kratern und Löchern, bodenlosen Schlünden und bizarren Felstrümmern übersät, eine Alptraumlandschaft, die durch das flackernde Licht und das Brüllen des Feuersturmes noch unheimlicher wirkte. Skar gefiel der Gedanke, sie bei Nacht zu durchwandern, überhaupt nicht. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, daß irgend etwas Lebendes freiwillig in dieses Labyrinth vordrang, aber das Gelände selbst war Gefahr genug. Es gab unzählige Risse, jäh aufklaffende Spalten und Fallgruben, und das unablässig wechselnde Licht machte es fast unmöglich, weiter als zwei oder drei Schritte zu sehen.

Er zwang sein Pferd herum, ritt zu Gowenna, die wie immer zusammen mit den Sumpfmännern das Ende der Kolonne bildete, zurück und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Stadt.

»Wie weit ist es noch bis zu diesem Gang?« fragte er.

Gowenna sah sich einen Augenblick unschlüssig um, als fiele es ihr schwer, sich auf Einzelheiten zu besinnen. »Nicht... mehr weit«, sagte sie schließlich. »Zwei Meilen. Vielleicht drei. Aber der Weg ist schwierig.«

»Eben«, sagte Skar. »Es wäre besser, wenn wir hier rasten und erst bei Tagesanbruch weiterreiten würden. Es sei denn, man kann in diesem Gang übernachten.«

»Unmöglich«, antwortete Gowenna bestimmt. Sie hatte ihre Unsicherheit jetzt überwunden und wirkte kühl und abweisend wie immer. »Die Hitze ist zu groß. Außerdem wird Tantor den Rest der Nacht brauchen, um seine ... Vorbereitungen zu treffen.«

»Was für Vorbereitungen?«

Auf Gowennas Zügen erschien ein dünnes, flüchtiges Lächeln. »Was glaubst du, warum er uns begleitet?« fragte sie. »Nur, um uns Feuer zu machen? Sicher nicht! Ohne ihn kämen wir der Stadt nicht einmal nahe.« Sie stockte, sah an Skar vorbei und starrte einen Moment ins Leere. »Aber du hast recht«, fuhr sie, abrupt das Thema wechselnd, fort. »Wir sollten hier rasten. Es gibt eine Menge zu besprechen, und es wird später nicht mehr möglich sein, das zu tun.«

»Warum?«

»Der Lärm wird zu groß sein. Hör doch.« Sie brach ab, und fast, als hätte der Geist der Stadt ihre Worte aufgefangen und reagierte darauf, drehte sich der Wind für einen Moment und trug das Brüllen der Flammen lauter zu ihnen herüber.

Skar nickte. »Du weißt eine Menge über die Stadt«, sagte er. »Deshalb bin ich hier.«

»Nicht zum ersten Mal, nicht?«

Das Erschrecken auf Gowennas Gesicht war deutlich zu sehen, obwohl sie sich alle Mühe gab, es zu verbergen. »Woher... wie kommst du darauf?« fragte sie.

»Es war nicht schwer zu erraten, Gowenna. Du selbst hast es gesagt, heute mittag. Aber ich werde es den anderen nicht verraten, wenn du es nicht willst.«

In Gowennas Augen blitzte es ärgerlich auf. »Es ist kein Geheimnis«, sagte sie. »Ich hätte es euch sowieso gesagt.«

Skar spürte, daß es besser gewesen wäre, jetzt zu schweigen, aber irgend etwas trieb ihn dazu, den Dolch noch ein wenig tiefer in die Wunde zu stoßen.

»Warum hast du es dann die ganze Zeit über verschwiegen?« fragte er.

Zu seiner eigenen Überraschung blieb Gowenna ruhig. »Ich habe es nicht verschwiegen«, sagte sie betont. »Ich habe nur nicht darüber geredet, Satai. Es war nicht notwendig, bisher.« Sie zog scharf an den Zügeln und wollte weiterreiten, aber Skar hielt sie mit einem raschen Griff zurück.

»Nicht so eilig, Gowenna«, sagte er. »Wir sollten darüber reden.«

»Nicht jetzt.« Sie versuchte, seine Hand abzustreifen, aber Skar hielt sie mit eisernem Griff fest. Gowenna war überraschend stark, und er mußte so fest zugreifen, daß sein Griff sicher schmerzte. Trotzdem blieb ihr Gesicht unbewegt. Nur in ihren Augen blitzte es abermals zornig auf.

»Warum nicht jetzt, Gowenna?« fragte er. »Ich wüßte keinen besseren Moment. Wovor fürchtest du dich dort drinnen?«

»Ich fürchte mich nicht, Satai«, zischte Gowenna. »Ich ...« Skar verstärkte den Druck seiner Hand und schnitt ihr so das Wort ab. »Wovor hast du Angst?« fragte er noch einmal. »Du warst schon einmal hier, und es ist dir nicht gelungen, den Stein zu finden. Warum nicht? Was gibt es dort drüben, das du nicht meistern konntest?«

Eine Bewegung hinter ihm ließ Skar herumfahren. Die drei Sumpfmänner waren näher gekommen und hatten einen engen Halbkreis um ihn und Gowenna gebildet. Ihre Gesichter waren starr und ausdruckslos wie immer, aber Skar konnte die Drohung, die plötzlich von den drei stummen Gestalten ausging, direkt spüren. Er ließ Gowennas Arm los, richtete sich gerade auf und legte die Rechte auf den Schwertgriff.

»Shar' en!« sagte Gowenna scharf. Die Sumpfleute verhielten, starrten Skar noch einen Herzschlag lang finster an und zogen sich dann zwei, drei Meter zurück. Die Gleichförmigkeit ihrer Bewegungen hatte etwas Bedrohliches, Unheimliches. Skar hatte die Nähe der Wesen bisher immer gemieden, und ihm fiel erneut auf, wie ähnlich sie sich waren, nicht nur im Aussehen, sondern auch in ihrer Art, zu handeln und vermutlich auch zu denken. Mehr denn je erschienen sie ihm wie ein einziges, gleichförmiges Wesen, das nur durch Zufall in drei verschiedenen Körpern wohnte.

»Greif mich nie wieder an, wenn sie in der Nähe sind, Satai«, sagte Gowenna leise.

Skar fuhr mit einem Ruck herum. Seine Hand lag noch immer auf dem Schwertgriff, und es war kein Zufall. »Soll ich mich jetzt bei dir bedanken, daß du deine Wachhunde zurückgepfiffen hast?« fragte er wütend.

Gowenna lächelte überheblich. »Wir sind nicht hier, um uns gegenseitig umzubringen, Skar«, sagte sie sanft. »Wir haben einen Auftrag, und alles andere zählt nicht.«

»Dann gib mir endlich die Informationen, die ich brauche, um ihn auszuführen!« fauchte er. Seine Worte waren weder besonders klug noch wirkungsvoll gewählt, sondern bloßer Ausdruck seiner Wut. Er wußte es, und es machte ihn noch wütender.

Gowenna lächelte. »Selbstverständlich, Kommandant.«

Die Art, in der sie das letzte Wort aussprach, reizte Skar noch mehr.

»Ich bin nicht sonderlich scharf auf das Kommando, wenn es das ist, was dich ärgert«, sagte er wütend. »Ich trete es gerne an dich ab.«

Gowenna zog es vor, nicht zu antworten. Sie wandte den Kopf, ließ ihren Blick eine Zeitlang über die Ebene gleiten, als hielte sie nach etwas ganz Bestimmtem Ausschau, und deutete schließlich auf einen hohen, nahezu rechteckigen Felsen, der wenig höher als dreißig Meter vor ihnen in den Himmel ragte.

»Reiten wir dort hinüber«, sagte sie. »Der Platz scheint mir geeignet für ein Nachtlager.« Sie ritt los, ohne auf Skars Antwort zu warten. Die drei Sumpfmänner folgten ihr wie dunkle, gesichtslose Schatten.

Skar rammte seinem Pferd wütend die Fersen in die Flanken und sprengte hinter ihnen her. Der Zwischenfall war nicht unbemerkt geblieben, aber das war ihm mittlerweile egal. Es war kein Geheimnis, wie Gowenna und er zueinander standen, und Arsan hatte am vergangenen Abend eigentlich nur das ausgesprochen, was alle bereits wußten. Wahrscheinlich war der Augenblick für eine Konfrontation denkbar ungünstig gewählt, aber wenn Gowenna ihren Kampf haben wollte, würde sie ihn bekommen. Zu seinen Bedingungen.

Er sprang aus dem Sattel, riß mit einer wütenden Bewegung den Umhang von den Schultern und stapfte zu den anderen hinüber. Gowenna blickte ihm mit steinernem Gesicht entgegen. Der Widerschein Combats tauchte ihr Haar in Flammen.

»Also«, begann er übergangslos. »Ich denke, es ist an der Zeit, die Karten offen auf den Tisch zu legen. Einer von uns kennt diese Stadt besser, als er bisher zugegeben hat. Und ich will jetzt wissen, was uns erwartet.«

Er beobachtete gespannt die Reaktion auf den Gesichtern der anderen.

Beral sog überrascht die Luft ein und fuhr sichtlich zusammen. In Nols Augen blitzte es bloß spöttisch auf, als hätte er als einziger längst gewußt, wie die Dinge lagen, und amüsiere er sich nun im stillen über Skars Ärger, während Arsan und Gerrion überhaupt keine Reaktion zeigten.

Gowenna lächelte, trat einen Schritt zurück und klatschte in die Hände. »Bravo, Satai. Ein durchaus eindrucksvoller Auftritt. Ich wußte noch gar nicht, daß du einen so ausgeprägten Sinn für das Dramatische hast.« Sie lachte leise und wurde übergangslos ernst, ehe Skar zu einer Erwiderung ansetzen konnte. »Aber du hast recht, Satai. Ich war schon einmal hier, und nicht nur hier, sondern weiter. Ich war in der Stadt.«

»Dann ... ist es möglich'?« keuchte Beral überrascht. »Es gibt einen Weg, Combat zu betreten?«

»Wäre es nicht so, wäre ich jetzt nicht hier, oder?« antwortete Gowenna spöttisch. »Außerdem fällt es dir reichlich spät ein, diese Frage zu stellen, Beral.«

»Komm zur Sache«, knurrte Skar. »Was erwartet uns dort drinnen?«

»Der Tod«, antwortete Gowenna, und die Art, in der sie es sagte, überzeugte Skar davon, daß sie diese beiden Worte genauso meinte, wie sie sie aussprach. »Feuer, Hitze und Tod«, fuhr sie fort. »Wir werden uns jeden Schritt, den wir tun, dreimal überlegen müssen, und auch dann noch kann es der falsche sein. Jeder Fußbreit Boden kann das Verderben in sich bergen. Die Flammen, die ihr seht, sind nicht die einzige Gefahr.«

»Ich möchte keine Rätsel hören«, zischte Skar. »Wenn du dort warst, warum hast du den Stein nicht geholt? Ist er bewacht?« Gowenna schüttelte den Kopf. »Nicht mehr als die ganze Stadt, Skar. Ich habe es versucht, aber es ist mir nicht gelungen. Ich habe ihn nicht gefunden.«

Skar brauchte einige Sekunden, um wirklich zu begreifen, was Gowennas Worte bedeuteten. »Soll das heißen, du ... weißt nicht einmal, wo er ist?« keuchte er.

»Ja«, antwortete Gowenna. »Das soll es heißen, Skar.«

Beral schnappte hörbar nach Luft. »Aber wie ...«, begann er, brach aber sofort wieder ab, als Gowenna eine ungeduldige Handbewegung machte.

»Wir werden ihn finden«, sagte sie überzeugt. »Wenn überhaupt jemand eine Chance hat, ihn zu finden, dann wir. Ich habe es damals nicht geschafft, weil ich Dinge, die ich heute weiß, noch nicht wußte. Ich weiß nicht, wo der Stein exakt ist, aber ich weiß, wie wir ihn finden können.«

»Woher?« fiel ihr Skar ins Won. »Woher weißt du das alles? Woher weißt du, daß es diesen Stein überhaupt gibt, wenn du nicht einmal weißt, wo er zu finden ist?«

»Ich weiß es, und das muß genügen«, antwortete Gowenna scharf.

Skar schüttelte wütend den Kopf. »Das muß es nicht, Gowenna! Du glaubst, daß wir unser Leben aufs Spiel setzen, um -«

»Du wählst schon wieder die falschen Worte, Satai«, sagte Gowenna ruhig. »Ich glaube es nicht. Ich weiß es. Keiner von euch hat eine andere Wahl. Und du scheinst zu vergessen, daß ich euch begleite. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um mich von meinem ersten Versuch zu erholen. Ich würde nicht ohne die Überzeugung, den Stein zu finden, noch einmal dort hinübergehen. Wir -«

Irgendwo aus der Dunkelheit hinter ihnen erscholl ein gellender, spitzer Schrei.

Skar fuhr wie von einer Tarantel gestochen herum. Der Schrei wiederholte sich nicht, aber der Laut gellte noch deutlich in seinen Ohren; der Schrei eines Menschen, der Todesängste ausstand. Er riß sein Schwert aus der Scheide, gab den anderen ein Zeichen zurückzubleiben und bewegte sich vorsichtig in die Dunkelheit hinein. Seine Sinne waren zum Zerreißen angespannt. Er spürte eine dumpfe, kribbelnde Erregung, ein Gefühl, das tief in seinem Körper begann und sich wie ein vibrierender Strom bis in seinen rechten Arm fortsetzte. Irgendwo vor ihm waren Geräusche - die wispernden Stimmen des Windes, der sich an Rissen und Vorsprüngen brach, Sand, der über Stein und glasierten Fels rieselte, sich legte und wieder hochgewirbelt wurde, ein polternder Stein, Schritte und ein Rascheln wie von grobem Stoff. Ein Schatten bewegte sich durch die Dunkelheit.

»Hierher!« schrie eine Stimme. »Kommt hierher! Rasch!«

»Tantor!« keuchte Skar. Er rannte los, stolperte über einen Stein, fing sich wieder und lief langsamer weiter.

»Kommt hierher! Schnell!« schrie Tantor. »Schnell!«

Skar rannte, dicht gefolgt von den anderen, weiter in die Dunkelheit hinein. Tantors Geschrei wies ihnen den Weg. Der Zwerg brüllte ununterbrochen, immer wieder die Worte »Hierher!« und »Schnell!«, aber auch abgehackte Silben in einer fremdartig klingenden Sprache. Seine Stimme vibrierte vor Panik.

Skar entdeckte ihn schließlich auf einem mannshohen, zertrümmerten Felsen, der sich nur als schwarzer Schatten gegen den mächtigen Umriß des Gebirges abhob. Er hüpfte unablässig von einem Bein auf das andere und deutete aufgeregt nach Westen.

»Hierher, Satai!« kreischte er, als er Skar erkannte. »Komm hier herauf, schnell!«

Skar rammte sein Schwert in den Gürtel zurück, griff nach oben und zog sich, Tantors hilfreich ausgestreckte Hand ignorierend, auf den Felsen hinauf.

»Was ist passiert?«

»Ich habe ... Krauter gesucht«, stieß Tantor atemlos hervor. »Für die Salbe, die ihr braucht. Und -«

Skar umklammerte seinen Arm plötzlich so fest, daß der Zwerg mit einem keuchenden Schmerzenslaut abbrach und sich unter seinem Griff wand. Skar spürte es nicht einmal. Sein Blick saugte sich an dem gigantischen, weißen Etwas fest, das auf der anderen Seite des Felsens lag: riesig, zerfetzt und blutend, selbst im Tod noch bedrohlich und furchteinflößend, eine ungeheure weiße Scheußlichkeit, die aus gebrochenen, starren Kristallaugen zu ihnen heraufstarrte.

»Ihr Götter!« keuchte er. »Was ist das?!«

Tantor riß seinen Arm mit einem Ruck los und trat hastig einen Schritt zurück, als hätte er Angst, Skar könnte erneut zugreifen. »Die Schneespinne«, sagte er. »Sie muß uns gefolgt sein, nachdem wir ihre Höhle verlassen hatten.«

Skar hörte die Worte kaum. Er war unfähig, sich zu rühren, den Blick von diesem ungeheuren, weißen ... Ding zu nehmen, irgend etwas zu denken oder etwas anderes zu empfinden als Ekel und Abscheu. Der Körper des Ungeheuers war gut doppelt so lang wie ein ausgewachsener Mann, ein aufgedunsener, pelziger weißer Balg, mit Warzen, Geschwüren und Narben übersät. Aus dem dreieckigen Maul wuchsen zwei glitzernde, armlange Beißzangen, schimmernd wie geschliffene Säbel und stark genug, einen Menschen mit einem Biß zu zerteilen. Die beiden Hauptaugen, die Skar selbst im Tod noch gierig zu mustern schienen, waren groß wie Kinderköpfe. Sie war in der für ihre Art typischen Weise verendet - auf dem Rücken liegend, die Beine in einer letzten, zupackenden Bewegung verkrampft, so daß sie wie eine gigantische verkrümmte Riesenhand wirkte. Lebend mußte das Ungeheuer eine Spannweite von gut zwanzig Metern haben.

Aber es lebte nicht mehr. Irgend etwas hatte es umgebracht, so rasch und lautlos, daß sie nicht das leiseste Anzeichen des Kampfes mitbekommen hatten, obwohl er praktisch unter ihren Augen stattgefunden hatte. Der Boden rings um den Kadaver war zerwühlt, dunkel von halbgeronnenem Blut und noch etwas anderem, das Skar in der unsicheren Beleuchtung nicht richtig erkennen konnte. Die beiden hinteren Beinpaare der Bestie schienen mehrfach gebrochen zu sein; das Chitin unter dem glitzernden Pelz war zermalmt, gesplittert wie unter einem ungeheuren Druck. Ein schwacher, rauchiger Geruch hing in der Luft.

Skar erwachte erst aus seiner Erstarrung, als die anderen hinter ihm der Reihe nach auf den Felsen gestiegen waren und, je nach Temperament und Veranlagung, stumm auf das tote Ungeheuer hinunterstarrten oder erschrockene Rufe ausstießen.

»Bei den Sümpfen von Cosh!« stieß Beral hervor. »Was ist hier geschehen?«

Skar wandte sich hastig um. Sein Blick begegnete für eine halbe Sekunde dem Gowennas, und er sah das gleiche Erschrecken und die gleiche bange Furcht, die auch er verspürte, in ihren Augen. Ihre Hand zuckte instinktiv zum Schwertgriff, die Lippen waren zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammengepreßt. Ihr Blick wanderte an ihm vorbei und bohrte sich in die undurchdringliche Dunkelheit vor ihnen.

»Sie ist tot«, sagte er hastig. »Es besteht keine Gefahr mehr. Tantor ist nur erschrocken. Aber das kann man ihm wohl kaum verübeln«, fügte er mit einem absichtlich übertriebenen Lächeln hinzu. Beral wirkte totenbleich. Seine Lippen zitterten. »Aber wieso ...«

»Ich dachte, sie verlassen ihre Höhlen niemals«, murmelte Nol verwirrt.

Skar zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Diese hier schon«, sagte er. »Und vielleicht ist ihr gerade das zum Verhängnis geworden.« Er grinste, trat näher an den Rand des Felsens heran und stellte sich so, daß er wie durch Zufall den direkten Blick auf das tote Untier versperrte.

»Ihr seht«, sagte er mit erhobener Stimme, »es gibt keinen Grund zur Unruhe oder gar Furcht. Wahrscheinlich liegt sie schon seit Tagen hier. Wenigstens wird der Rückweg ungefährlicher.«

Beral versuchte sich an ihm vorbeizuschieben, aber Skar blieb unverrückbar stehen und tat so, als würde er es gar nicht bemerken. »Geht zurück zum Lager«, sagte er. »Es gibt hier nichts zu sehen. Und wir werden unsere Kräfte morgen brauchen.«

»Ich verstehe nicht, warum sie herausgekommen ist«, murmelte Beral kopfschüttelnd. »Sie leben nur in ihren Höhlen und ...«

»Sie ist aber herausgekommen«, antwortete Skar ungeduldig. »Und jetzt ist sie tot. Seid froh, daß wir ihr nicht früher begegnet sind. Und nun geht zurück und bereitet das Lager vor. Jemand«, fügte er spöttisch hinzu, »sollte Tantor begleiten, damit er keinen Herzschlag bekommt, wenn er einen Schatten sieht.«

»Wir ... sollten Wachen aufstellen«, sagte Arsan zögernd.

»Wozu?« Skar deutete mit einer Kopfbewegung auf das tote Ungeheuer. »Schneespinnen leben allein, und es gibt nie mehr als eine auf einem Gebiet von zehn Meilen im Quadrat.«

»Sie kann Junge haben.«

»Sicher. Aber die werden sich oben in den Bergen herumtreiben. Es gibt hier unten keine Beute für sie. Dieses Tier ist vielleicht hergekommen, um zu sterben. Vielleicht war es krank. Oder einfach alt.«

»Trotzdem -«

»Du kannst ja bis morgen früh wachen, wenn dir danach ist«, fiel ihm Skar scharf ins Wort. Arsan zuckte sichtlich zusammen, und Skar spürte, daß ihn seine Worte und ihr ungewohnt scharfer Tonfall verletzten. Doch er hatte keine Wahl. »Aber du wirst es im Lager tun, wie die anderen. Geht jetzt!«

Arsan schien noch etwas sagen zu wollen, doch Skar wandte sich mit einem Ruck ab. Sein Blick suchte wieder den Gowennas. Sie nickte, unmerklich und sehr rasch. Sie hatte verstanden.

»Geht jetzt«, sagte er noch einmal. »Ich werde noch einen Moment hierbleiben und nach Spuren Ausschau halten. Ich komme gleich nach.«

Zwei, drei Sekunden rührte sich keiner der Männer, dann wandten sie sich der Reihe nach um und verschwanden in der Dunkelheit. Skar atmete innerlich auf.

Er wartete, bis ihre Schritte auf dem harten Boden verklungen waren, ging in die Hocke und fuhr mit den Fingerspitzen über den dunklen Fleck, den er die ganze Zeit mit dem Fuß verborgen hatte. Es war Blut. Kein menschliches Blut, sondern das Blut der Spinne, das aus dem aufgeplatzten Leib bis hier oben gespritzt war. Und es war noch warm.

Sein Blick fiel wieder auf den Kadaver der Spinne, glitt weiter und bohrte sich in die Dunkelheit hinter ihr. Das Winseln des Sturmes schien lauter geworden zu sein, schriller, und seine überreizten Nerven gaukelten ihm Bewegungen vor, schwarze, monströse Schatten, die zu bizarrem Leben erwacht waren und sich irgendwo dort draußen, dicht hinter der Grenze des Sichtbaren, bewegten. Nach einer Weile hone er gedämpfte Schritte hinter sich. Er sah auf und blickte in ein helles, von glattem schwarzem Haar eingerahmtes Gesicht. Gowenna. Hinter ihr bewegten sich drei dunkle Umrisse.

»Schick sie weg«, verlangte Skar mit einem Blick auf die Sumpfmänner.

Gowenna starrte ihn einen Herzschlag lang durchdringend an, ehe sie sich umwandte und ein paar Worte in einer schnellen, unverständlichen Sprache ausstieß. Die drei Schatten verschmolzen mit der Dunkelheit, aber Skar zweifelte nicht daran, daß sie in der Nähe warten würden.

»Glaubst du, daß deine Vorstellung sehr überzeugend war?« begann Gowenna übergangslos.

»Sicher nicht. Aber das spielt keine Rolle. Es ist mir gleich, was sie denken - solange sie der Wahrheit nicht zu nahe kommen. Das Biest ist noch keine halbe Stunde tot.«

Gowenna nickte ungerührt. »Ich weiß«, sagte sie. »Tantor muß dem Wesen, das sie umgebracht hat, fast über den Weg gelaufen sein. Es war richtig, daß du geschwiegen hast.« Sie ließ sich neben Skar auf die Knie nieder und betrachtete neugierig den dunklen Blutfleck auf dem Stein.

»Du weißt, was es war?« fragte sie nach einer Weile.

»Was?«

»Was sie umgebracht hat.«

Skar schüttelte den Kopf. Er konnte sich beim besten Willen kein Wesen vorstellen, das ein Monster wie die Schneespinne so schnell und lautlos umzubringen imstande war, wie es sich hier zugetragen hatte. »Nein«, sagte er.

Gowenna wandte sich ohne ein weiteres Wort um, stützte sich mit der Linken auf dem Felsen ab und sprang zu der toten Spinne hinunter. Sie wich rasch ein paar Schritte von dem reglosen Kadaver zurück, sah zu Skar hinauf und winkte.

»Komm. Ich möchte dir etwas zeigen.«

Skar verspürte ein Gefühl beinahe unüberwindlichen Ekels, aber irgend etwas sagte ihm, daß Gowenna ihn nicht nur zu sich herabrief, um ihm ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Auch ihr bereitete es sichtliches Unbehagen, sich der Spinne zu nähern.

Er stand auf, schlug seinen Umhang zurück und sprang mit weit ausgebreiteten Armen zu Gowenna hinab. Der Boden war uneben und mit Geröll und Steinsplittern übersät, so daß er um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte. Er stolperte einen halben Schritt auf den Kadaver zu, fing sich im letzten Moment und wich angeekelt zurück. Gowenna runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Auch sie schien zu spüren, daß dies nicht der Moment war, ihre persönlichen Streitigkeiten fortzuführen.

Sie bewegte sich ein Stück von der Spinne weg in die Dunkelheit hinein und blieb stehen. »Hier«, sagte sie. »Sieh selbst.«

Skar blickte stirnrunzelnd auf die Stelle zwischen den Felsen, auf die sie deutete. Es dauerte einen Moment, bis er sah, was Gowenna ihm zeigen wollte.

Der Boden bestand hier nicht aus Fels und verbranntem Gestein, sondern aus Erdreich, das der Wind vom Gebirge heruntergetragen und in einer geschützten Senke abgeladen hatte. Es war ein Fleck von vielleicht zwanzig Fuß Durchmesser und dunkelbrauner, schwärzlicher Farbe. Und genau am Rande dieses Flecks befand sich der Abdruck einer ungeheuren, vierzehigen Klaue.

Skars Herz machte einen schmerzhaften Sprung. Der Abdruck war groß genug, daß er sich bequem hätte hinsetzen können, und fast zwei Handbreit tief. Drei der mächtigen Zehen waren kurz und verkrüppelt und, nach den tiefen, dreieckigen Löchern am Ende der Spur zu schließen, mit fürchterlichen Krallen bewehrt; die vierte stand etwas auswärts und war in der Art eines Daumens gekrümmt. »Beral hatte vollkommen recht«, sagte Gowenna halblaut. »Sie kommen niemals aus ihren Höhlen heraus, auch nicht, um Beute zu machen. Es sei denn, irgend etwas würde sie herausjagen.« Sie trat einen Schritt zurück, nahm etwas vom Boden auf und hielt Skar die ausgestreckte Hand entgegen. Auf ihrer Handfläche glitzerte ein graues, körniges Pulver.

»Spürst du den Geruch?«

Skar nickte. Es war das gleiche rauchige, nicht einmal unangenehme Aroma, das er von Anfang an wahrgenommen hatte. Nur stärker jetzt, viel, viel stärker.

»Es gibt nur ein Wesen, das solche Spuren hinterläßt«, murmelte Gowenna. Sie warf das Pulver zu Boden, klatschte ein paarmal in die Hände und wischte sich die Handflächen an einem Zipfel ihres Umhangs sauber. »Ein Staubdrachen.«

»Aber das ist... völlig unmöglich!« keuchte Skar. Seine Worte klangen lahm und hilflos, und genauso fühlte er sich. Er wußte, daß Gowenna recht hatte, auch ohne das graue Pulver, ohne die Spur und den Geruch, aber er wollte es einfach nicht glauben.

»Du weißt nicht, was du da sagst«, murmelte er verwirrt. »Du mußt dich täuschen. Du ...«

»Ich täusche mich nicht, Skar, und du weißt es. Es gibt auf ganz Enwor nur ein Wesen, das fähig ist, so etwas anzurichten. Und es ist hier. Ganz in unserer Nähe.«

»Aber das bedeutet -«

»Ich weiß, was es bedeutet«, unterbrach ihn Gowenna ruhig. »Er hat unsere Witterung aufgenommen, und er wird nicht wieder von unserer Spur weichen, bis er uns hat. Wahrscheinlich hätte er uns schon heute angegriffen, wäre die Spinne nicht gewesen. Sie hat seinen Blutdurst für eine Nacht gestillt, aber er wird wiederkommen.«

»Du sagst das so ruhig, als ginge es dich überhaupt nichts an«, murmelte Skar.

Gowenna lachte leise, und zum ersten Mal, seit Skar sie kennengelernt hatte, hörte es sich echt an. »Ich verschließe nur nicht die Augen vor den Tatsachen, Satai«, sagte sie nach einer Weile. »Das, was hier geschehen ist, ändert nichts an unserem Plan. Wir werden morgen bei Sonnenaufgang in die Stadt eindringen. Ich zerbreche mir den Kopf über den Drachen, wenn wir zurück sind. Falls wir zurückkommen. Außerdem - es ist dein Problem, nicht?«

»So?«

»Es scheint, als wären die Karten in diesem Spiel mehr zu deinen Ungunsten verteilt, als du glaubst, Skar«, antwortete Gowenna ruhig. »Erinnerst du dich, daß du vorhin zu mir gesagt hast, ich könnte das Kommando haben, wenn ich es wolle?«

Skar nickte. »Es war mir ernst damit, Gowenna. Es gilt noch immer. Jetzt ist nicht die richtige Zeit für Feindschaft oder Neid. Alles, was ich will, ist, nach Ikne zurückzukehren und Del wiederzufinden. Du haßt mich, obwohl ich nicht weiß, warum, aber mir liegt nichts daran, dieses Gefühl zu erwidern. Wir haben zu viele Feinde, um uns auch noch gegenseitig zu bekämpfen.«

Gowenna sah ihn eine Weile ernst und schweigend an. Auch diesmal blieb ihr Gesicht starr; sie lächelte, aber es war nur Maske, kein echtes Gefühl, so, wie er noch nie eine echte Regung in ihren Zügen wahrgenommen hatte. Gowenna schien auch die winzigste Regung steuern, beherrschen zu können. Sie war ein Mensch, der niemals sein wahres Gesicht zeigte und vielleicht so lange auf diese Weise gelebt hatte, daß er gar nicht mehr fähig war, wirkliche Gefühle zu empfinden.

»Ich glaube beinahe, es ist dir Ernst damit«, sagte sie. »Du denkst, ich wäre dein Feind, und du hast recht damit. Aber meine Gefühle zählen nicht, Skar, ebensowenig wie deine oder die von irgendeinem der anderen. Wir sind hier, um den Stein zu holen, und ich werde an nichts anderes denken, bis wir entweder in Ikne oder alle tot sind.«

Skar wollte eine Frage stellen, aber Gowenna sprach schnell und mit erhobener Stimme weiter: »Was zwischen uns ist, spielt keine Rolle, Satai. Es spielt keine Rolle, was ich will. Du kannst mir vertrauen, bis wir unsere Aufgabe erledigt haben. Nicht länger, aber auch keine Sekunde kürzer.«

Skar starrte Gowenna einen Herzschlag lang finster an, wandte sich dann mit einer abrupten Bewegung um und blickte starr in die lodernden Flammen am Horizont.

»Wir sollten gehen«, sagte Gowenna nach einer Weile.

»Noch nicht.« Skar suchte einen Moment vergeblich nach Worten, drehte sich dann wieder um und legte Gowenna die Hand auf die Schulter, bevor sie es verhindern konnte. Er spürte, wie sie unter seiner Berührung zusammenzuckte, als hätte sie sich verbrannt. Aber sie widerstand dem Impuls, seine Hand abzustreifen.

»Vielleicht ist es der falsche Moment«, sagte er sanft, »aber wir werden wahrscheinlich nicht mehr allein miteinander reden können, ehe wir dort hinübergehen, und ich will endlich wissen, woran ich mit dir bin. Du hast mich vom ersten Tage an gehaßt, schon an jenem Abend, als du mich vor der Taverne angesprochen hast. Warum? Was habe ich dir angetan?«

»Nichts«, sagte Gowenna hastig. Sie versuchte jetzt doch, seine Hand abzustreifen, aber Skar hielt sie fest. Sie war stark, sehr stark für eine Frau, aber gegen ihn hatte sie keine Chance. Er spürte, wie sie zu zittern begann, und er konnte ihre plötzliche Unsicherheit beinahe fühlen. Unsicherheit und - ja, und Angst. Keine Furcht, daß er ihr etwas antun könnte - in dieser Beziehung glichen sie sich wie Geschwister. Sie waren beide mit dem Schwert in der Hand aufgewachsen, und der Tod war ihnen so vertraut wie ein Bruder. Aber er hatte ihren Schutzpanzer durchstoßen, hatte durch seine Berührung die Mauer, die sie zwischen sich und der Welt errichtet hatte, unterlaufen, hatte sie aus dem Konzept gebracht wie ein Tier, dessen Fluchtdistanz unversehens unterschritten wird und das in Panik gerät. Für einen winzigen Moment stand er der wahren Gowenna gegenüber, einer Frau, die sich völlig von der unterschied, die er bisher gekannt hatte.

Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. Sie schlug seine Hand mit einem wuchtigen Fausthieb zur Seite, sprang zwei Schritte zurück und zog ihr Schwert halb aus der Scheide.

»Tu das nie wieder, Skar«, sagte sie leise. »Wenn du mich noch einmal berührst, töte ich dich. Es ist mein Ernst.«

»Und warum?« fragte Skar unbeeindruckt. »Widerstrebt es dir, von einem Mann berührt zu werden? Haßt du mich nur, weil ich ein Mann bin, weil ich all das darstelle, was eine Frau in dieser Welt niemals sein kann?« Ihm fiel plötzlich auf, daß er beinahe wörtlich das wiederholte, was Arsan am Vortag gesagt hatte. Er unterdrückte ein Lächeln.

»Ein Mann?« Gowenna warf den Kopf in den Nacken und lachte, laut, schrill und unnatürlich. »Was ist das schon, Skar? Du glaubst, ich wäre lieber ein Mann? Du bist verrückt, Satai, völlig verrückt. Ich hasse euch, das stimmt, euch alle, aber aus anderen Gründen, als du glaubst. Es gibt nichts an euch, auf das ich neidisch sein könnte, absolut nichts. Im Gegenteil - ich bin stolz darauf, eine Frau zu sein.«

»Warum benimmst du dich dann nicht so?« fragte Skar.

Gowenna wurde von einer Sekunde auf die andere wieder ruhig. »Und wie, glaubst du, sollte sich eine Frau benehmen?« fragte sie höhnisch. Sie zog ihr Schwert vollends aus der Scheide und schleuderte es Skar vor die Füße. Die Klinge fuhr eine halbe Handspanne vor Skars Zehen in den Boden und blieb zitternd stecken. »Ist es das?« fragte sie. »Nimmst du mir übel, daß ich gelernt habe, mit dem Schwert umzugehen? Bist du wütend, weil du mir gegenüber nicht den Beschützer spielen kannst, den unbesiegbaren, superklugen, weisen Satai? Oder bist du einer von denen, die meinen, eine Frau gehöre tagsüber hinter den Herd und abends gewaschen und frisch parfümiert ins Bett?«

»Sicher nicht«, antwortete Skar. »Aber ich bin einer von denen, die glauben, daß eine Frau nicht auf das Schlachtfeld gehört.«

»Und warum nicht?« Sie trat vor, riß mit einer zornigen Bewegung das Schwert aus dem Boden und hielt Skar die Waffe dicht vor das Gesicht. »Weil das hier eine Sache der Männer ist, wie? Weil ihr den Gedanken nicht ertragen könnt, daß eine Frau damit ebensogut umzugehen weiß wie ihr?«

Skar schüttelte seufzend den Kopf, drückte die Waffe nach unten und trat einen Schritt auf Gowenna zu.

Sie wich hastig zurück. Ihre Haltung verriet plötzlich Anspannung.

Skar blieb stehen. Er spürte, daß sie ihn angreifen würde, wenn er auch nur einen einzigen Zentimeter näher kam. »Aber das stimmt doch gar nicht«, sagte er sanft.

In Gowennas Augen blitzte es zornig auf. »Das mußt gerade du sagen«, zischte sie. »Seid es nicht ihr, die Satai, die nur für das Schwert leben? Ihr habt eine Religion daraus gemacht, einen Gott, den ihr anbetet und für den ihr sterbt. Sag mir, Skar, wie viele Mythen habt ihr um Helden gewoben, die mit dem Schwert in der Faust gelebt haben? Wie viele Lieder gibt es, in denen ihr eure Heldentaten besingt. Ihr habt das Schwert zu einem Symbol der Männlichkeit erhoben, und ihr verachtet jeden, der an diesem Mythos zu kratzen wagt. Du glaubst, ich wolle ein Mann sein, nur weil ich ein Schwert führe und mich eurem Überlegenheitsdenken nicht beuge? Wie viele Männer hast du getötet, Skar? Ich bin sicher, es sind sehr viele. Und du wirfst mir vor, ich wäre anders, als ich sein sollte?«

»Ich laufe jedenfalls nicht herum und lege mich mit jedem an, der mir auch nur einen schrägen Blick zuwirft«, antwortete Skar absichtlich in gemäßigtem Tonfall. Er spürte, daß er zu weit gegangen war, daß er einen Punkt in Gowennas Seele berührt hatte, den er besser unangetastet gelassen hätte.

»Ich tue nichts anderes als du«, sagte Gowenna. »Ich wehre mich, wenn man mich angreift.«

»Nein«, meinte Skar. »Das tust du nicht. Du wehrst dich, bevor man dich angreift, Gowenna, und das ist der Unterschied zwischen dir und mir. Wenn du all dies tust, nur um als das anerkannt zu werden, was du bist, wirst du dein Ziel niemals erreichen. Es gibt einen Unterschied zwischen Respekt und Angst, und solange du ihn nicht erkannt hast, wirst du immer ein Außenseiter bleiben.«

»Ich -«

»Du stehst zwischen den Fronten«, fuhr er ruhig fort, obwohl er wußte, daß es besser gewesen wäre, zu schweigen. »Du willst anerkannt werden, nicht als Frau oder Mann, sondern nur als Mensch, als das, was du bist. Ich verstehe diesen Wunsch, aber du lebst in der falschen Welt, Gowenna. Du bist keine Frau mehr, weil dir die Rolle der Frauen in unserer Welt nicht gefällt, und du wirst nie von den Männern akzeptiert werden, weil du sie haßt. Ich sage nicht, daß mir dieses System gefällt, aber ich kann es nicht ändern, ebensowenig, wie ich diese ganze verdammte Welt ändern kann. Auch sie gefällt mir nicht, aber ich habe keine Wahl. Wir haben nur dieses eine Leben, und es gibt nur eine bestimmte Anzahl von Rollen, die wir in ihm spielen können.«

»Und damit gibst du dich zufrieden? Eine Rolle zu spielen?« Skar nickte. »Ja. Du willst stark sein, Gowenna, aber Stärke bedeutet auch, die eigenen Grenzen zu erkennen.« Er schwieg einen Moment und deutete dann mit einer Kopfbewegung auf die verendete Spinne. »Sieh sie dir an, Gowenna. Sie war stark, ungeheuer stark, sicher das stärkste Wesen, das es in diesem Teil der Welt gegeben hat.«

»Unsinn«, sagte Gowenna. »Sie ...«

»Sie war so lange stark, wie sie ihre Rolle spielte«, schnitt ihr Skar das Wort ab. »Solange sie in ihrer Höhle saß, war sie unbesiegbar. Als sie herauskam, wurde sie getötet. Sie hat ihre Grenzen nicht gekannt, Gowenna, und ihre ganze Stärke hat ihr nichts mehr genutzt. Du ... du versuchst dasselbe, Gowenna. Du lehnst dich gegen das Schicksal auf und forderst die Götter heraus, wie es auch die Bewohner Combats getan haben. Gib acht, daß es dir nicht ebenso ergeht wie ihnen. Ein Menschenleben ist rascher zerstört als eine Stadt.«

Gowenna funkelte ihn wütend an. Sie schien etwas sagen zu wollen, beließ es aber dann bei einem ärgerlichen Schnauben und ging wortlos an ihm vorbei, um in der Dunkelheit zu verschwinden. Skar sah ihr kopfschüttelnd nach. Seine Worte waren überflüssig, das wußte er. Gowenna war intelligent genug, um das, was er ihr gesagt hatte, auch so zu wissen.

Skar ballte wütend die Fäuste. Es war nicht genug, daß er sich auf ein Spiel eingelassen hatte, das er vermutlich verlieren würde; nicht genug, daß jetzt vermutlich die schlimmste Bestie Enwors auf ihrer Spur war, ein Ungeheuer, vor dem sich selbst die Zuchtmeister der Errish gefürchtet hätten; nicht genug, daß er sich in Gesellschaft eines Verrückten, eines Abenteurers, eines gewissenlosen Mörders und dreier ebenso undurchschaubarer wie unberechenbarer Sumpfmänner befand; nicht genug, daß er den Tod bereits im Körper trug und irgendwo in den Bergen hinter ihnen jemand war: Verfolger, über deren Ziele er allenfalls Vermutungen anstellen konnte. Nein, er mußte auch noch den schwelenden Zwist zwischen sich und Gowenna schüren, mußte eine Konfrontation suchen, die vielleicht unausweichlich war, aber noch Zeit hatte.

Mehr als je zuvor spürte er, während er sich umwandte und langsam hinter Gowenna her zu den anderen zurückging, wie hilflos er in Wahrheit war. Für die anderen - und auch für Gowenna, obwohl sie es nie zugeben würde - war er der Satai, der unbesiegbare Krieger, ein Symbol für Stärke und wohl auch für so etwas wie Weisheit, aber er wußte, daß das nicht stimmte. Mit Del war ihm mehr als ein Freund und Kampfgefährte genommen worden. Auch wenn es für einen Außenstehenden manchmal schwer zu erkennen war, ging ihre Beziehung doch weit über Freundschaft, über das normale Verhältnis zwischen Meister und Schüler hinaus. Del war im Laufe der Jahre zu einem Teil seiner selbst geworden, und umgekehrt. Aber es war lange her, daß er Del das letzte Mal gesehen hatte. Zu lange ...

Das weite Oval der Arena war vom flackernden Schein unzähliger Fackeln erhellt. Die steinernen Sitzbänke, die sich wie Reihen übereinanderliegender, schmaler Terrassen bis in eine Höhe von mehr als zwanzig Manneslängen um den Kampfplatz gruppierten, waren noch leer, aber es würde jetzt nicht mehr lange dauern, bis die ersten Schaulustigen eintrafen, um sich einen guten Platz zu sichern, ungeachtet des noch immer strömenden Regens und der Tatsache, daß die Veranstaltung erst nach dem Abendgebet begann. Die Arena konnte an die zwanzigtausend Menschen aufnehmen, selbst für die Verhältnisse in Ikne eine ungeheure Zahl, und Skar hätte auf Anhieb keine Antwort gewußt, wenn man ihn nach einem größeren Gebäude gefragt hätte. Trotzdem verging kaum ein Tag, an dem die Tribünen nicht bis auf den letzten Platz besetzt waren, und so mancher, der an den Kassen anstand und seinen Dim bereithielt, mußte wieder umkehren. Ikne war nicht reich an Möglichkeiten der Zerstreuung.

Skar hatte versucht, Raches Rat zu folgen und noch ein paar Stunden zu schlafen, aber er hatte keine Ruhe gefunden. Velas Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn, auch nicht der Blick, den sie ihm zum Abschied zugeworfen hatte, die kaum verhüllte Drohung in ihrer Stimme. Es war nicht so, daß er Angst hatte - nicht jene Art von Angst, wie er sie bisher gekannt hatte -, aber ihre Worte hatten eine tiefe Beunruhigung in ihm ausgelöst.

Er wußte einfach, daß die Errish nicht der Mensch war, der leere Drohungen ausstieß.

Schließlich war er aufgestanden und hier heraufgekommen, ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten. Skar war nicht abergläubig, aber er vermied es normalerweise, in die Arena zu gehen, wenn er dort am gleichen Tag noch zu kämpfen hatte.

Es war noch immer kalt, obwohl die graue Decke über der Stadt hier und da aufgerissen war, aber im Osten türmten sich bereits neue, dunkle Wolkenburgen auf.

Skar besah sich die Arena mit gemischten Gefühlen.

Der Kampfplatz war über einer gewaltigen Platte aus porösem Stein errichtet worden; Fels, durch dessen unzählige Risse und Sprünge das Wasser ablaufen und sich in mächtigen, unterirdischen Kavernen, von denen aus es in den Fluß abgeleitet wurde, sammeln konnte, so daß der Sand, den man knietief darübergestreut hatte, normalerweise auch bei schlechter Witterung trocken blieb. Aber der tagelange, ununterbrochene Regen hatte das Fassungsvermögen der Anlage längst überfordert, und aus den Kavernen und dem Fluß stieg jetzt eher Wasser nach oben, als daß es abfloß, und die Arena hatte sich in einen klebrigen Sumpf verwandelt: Matsch und flockiger Morast, in den sie bei jedem Schritt knöcheltief einsinken würden. Skar empfand diesen Umstand zwar nicht als direkten Nachteil - schließlich würden auch ihre Gegner darunter zu leiden haben -, aber er hätte sich wohler gefühlt, auf festem Boden zu kämpfen.

Der Wind drehte sich für einen Augenblick und trug ein leises, vibrierendes Grollen zu ihm herüber, ein Geräusch, das, obwohl gedämpft, einen winzigen Funken von Furcht in ihm aufglühen ließ. Die Bantas waren unruhig. Wahrscheinlich hatte man sie wochenlang nur mit Blut gefüttert, um sie für den Kampf wild zu machen. Skar war froh, als der Wind abermals drehte und das Geräusch verschluckte. Er hielt nichts davon, wilde Tiere gegeneinander antreten zu lassen. Obwohl er - wie jeder - die Bantas fürchtete, achtete er sie gleichzeitig auch als stolze und furchtlose Kämpfer, als Wesen, die ungleich besser als der Mensch dazu ausgerüstet waren, in einer wilden und unbarmherzigen Welt wie dieser zu überleben. Und trotzdem würden in wenigen Stunden die Gitter vor den beiden Käfigen zurückgezogen werden, und die beiden geschuppten Gegner würden übereinander herfallen und sich gegenseitig zerfleischen, unfähig, auch nur zu begreifen, daß ihr Tod keinem anderen Zweck diente als dem, die Schaulust der Menge zu befriedigen und die Geldbeutel der Lastaren zu füllen.

Aber vielleicht war das, was Del und er taten, auch nichts anderes. Vielleicht war es sogar noch schlimmer. Sie wußten, was sie taten.

Skar verscheuchte den Gedanken und beschäftigte sich eine Weile damit, den Männern zuzusehen, die über das weite Oval eilten und versuchten, den aufgeweichten Boden zu glätten; ein ebenso lächerliches wie sinnloses Unterfangen. Selbst wenn es ihnen gelänge, aus diesem Matschloch so etwas wie eine Arena zu machen, würden die tobenden Bantas den Boden in wenigen Augenblicken wieder in das verwandeln, was er vorher gewesen war. Das Geräusch leiser, regelmäßiger Hammerschläge ließ ihn aufblicken. Er entdeckte eine Anzahl Arbeiter, die damit beschäftigt waren, auf halber Höhe der Zuschauerränge und direkt gegenüber vom Tor ein großes, hölzernes Podest zu errichten. Skar runzelte verwundert die Stirn, als er die Farben der Tempelkönige auf dem erst halb aufgespannten Baldachin erkannte. Es kam selten vor, daß die Herren Iknes den Verbotenen Bezirk verließen und sich in der Öffentlichkeit zeigten.

Skar hatte sie in den sechs Monaten, die er jetzt in der Stadt war, nicht einmal zu Gesicht bekommen. Und irgendwie erschien ihm die Vorstellung, sie bei einer so ordinären Volksbelustigung wie einem Arenakampf zu sehen, absurd. Aber die rotgelben Karos dort oben waren die Farben der Tempelkönige. Wieder fühlte er für einen Moment diese bohrende Unruhe, aber wieder verging das Gefühl, ehe er es richtig erfassen konnte.

Er spürte plötzlich, daß er nicht mehr allein war, und drehte sich rasch um. In dem wuchtigen, eisenbeschlagenen Tor hinter seinem Rücken hatte sich eine kleinere Tür geöffnet. Ein kurzbeiniger kleiner alter Mann mit grauem Haar und ständig blinzelnden Augen war in die Arena hinausgetreten.

»Hier bist du also«, sagte Cubic anstelle einer Begrüßung. Er machte einen Schritt auf ihn zu, blieb abrupt stehen, als ihn die ersten Regentropfen ins Gesicht trafen, und zog sich dann hastig in den Windschatten des Tores zurück. »Ich habe dich in deinem Quartier gesucht.«

Skar schnitt eine Grimasse. »Ich habe mir erlaubt, es für kurze Zeit zu verlassen«, sagte er bissig. »Verzeiht, wenn ich vergaß, Euch um Erlaubnis zu fragen, gütiger Herr. Es wird nicht wieder vorkommen.«

Cubic blinzelte verwirrt. »So ... habe ich es nicht gemeint«, sagte er hastig.

Skar zog die Augenbrauen zusammen. »Aber ich«, meinte er. »Das Moderloch, in dem du uns einquartiert hast, lädt wirklich nicht zum Verweilen ein.«

Cubic überging die Bemerkung. »Ich habe dich gesucht«, sagte er noch einmal.

»Du hast mich gefunden.«

Cubic seufzte, schüttelte den Kopf und versuchte mit einer verlegenen Geste die Hände in Kitteltaschen zu stecken, die er nicht hatte. »Ich sorge mich um Del«, sagte er nach kurzem Zögern. »Er war die ganze Nacht nicht in seinem Quartier. Du weißt nicht zufällig, wo er ist?«

Skar schüttelte verärgert den Kopf. »Wir sind nicht miteinander verheiratet«, erwiderte er. »Und soviel ich weiß, bezahlst du uns für den Kampf, nicht für das, was wir in der Zeit davor oder danach tun.«

»Aber es wäre besser, wenn Del sich schonen würde«, antwortete Cubic. Er sprach wie immer mit einer unnachahmlichen Mischung aus Unterwürfigkeit und Unverschämtheit, die Skar allmählich in Rage brachte. Cubic war nichts als ein schmieriger alter Mann, aber sie brauchten ihn, trotz allem.

»Ich denke, Del kennt seine Kräfte gut genug, um zu wissen, was er tut«, antwortete Skar gezwungen ruhig. »Solltest du Angst um dein Geld haben, so kann ich dich beruhigen. Zur Not nehme ich es noch allein mit diesen beiden Supermännern auf, die du uns ausgesucht hast.«

Cubic starrte ihn eine Sekunde lang konsterniert an und sah dann an ihm vorbei zur Tribüne hinauf. »Das ist der Grund, aus dem ich dich sprechen muß«, murmelte er. »Es steht eine Menge auf dem Spiel, weißt du.«

Skar deutete mit einer Kopfbewegung auf den halbfertigen Aufbau. »Ist es das, was dir Sorgen bereitet?«

Der Lastar starrte eine Weile wortlos zur Tribüne hinauf. Der Aufbau ging rasch vonstatten. Das Holzgerüst schien bereits fertig, und über der trapezförmigen Konstruktion flatterte schon der Wimpel Iknes im Wind. Ein anderer Trupp war damit beschäftigt, Stühle und Bänke - noch mit weißem Tuch gegen den Regen geschützt - herbeizuschaffen. Cubic lächelte auf eine seltsame, wehleidige Art, schüttelte den Kopf, nickte, schüttelte noch einmal den Kopf und nickte erneut. »Ja«, sagte er. »Warum soll ich dir etwas vormachen? Ich habe eine Menge Geld in den Kampf investiert, Skar. Ich kann es mir nicht leisten, ihn zu verlieren.«

»Das ist wohl auch der Grund, aus dem du dich in letzter Sekünde entschlossen hast, nicht selbst anzutreten, sondern uns zu engagieren«, antwortete Skar sarkastisch.

»Du tust mir unrecht, Satai.«

»So?« sagte Skar, noch ein wenig spöttischer.

Cubic nickte ernst. »Ich weiß, was du denkst«, meinte er. »Aber ich habe diese beiden Männer nicht ausgewählt, um rasches Geld zu verdienen oder Euch gar zu demütigen.«

»Sondern?«

»Es gibt keine Besseren mehr«, antwortete Cubic. »Die Zeiten haben sich gewandelt, Skar. Die Arenen sind voll, doch es gibt keine guten Männer mehr. Nur noch zweite Wahl, so wie diese Grünschnäbel aus Kohon. Du hast sie gesehen. Sie sind gut, in ihrer Klasse, doch sie sind keine Spitzenleute. Wäret ihr vor einem Jahr gekommen, hätte ich euch Gegner aussuchen können, die eurer würdig waren. So aber...« Er seufzte, schüttelte den Kopf und starrte aus zusammengekniffenen Augen in den Himmel hinauf. »Du mußt nicht glauben, daß es mir Spaß macht, Skar. Es hätte wohl keinen Sinn, dir erzählen zu wollen, daß ich nicht daran interessiert bin, Geld zu verdienen. Doch Geld ist nicht alles. Nicht einmal für mich. Ich ... habe einen Ruf zu verlieren, Skar.«

»Wenn es so ist«, antwortete Skar mit einem fragenden Blick auf die Tribüne, »wie kommst du dann zu solchen Zuschauern?« Cubic antwortete nicht gleich, aber er sah mit einem Mal sehr besorgt aus. »Ich wollte, ich wüßte es. Vielleicht«, fügte er ohne rechte Überzeugung hinzu, »kommen sie euretwegen.«

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