Lloyd Biggle Jr. Die Unbesiegbaren

1. Kapitel

Aus einem der Verzückung nahekommenden Schwebezustand im Nichts wurde er durch das zurückkehrende Bewußtsein plötzlich rauh in die Wirklichkeit zurückgerissen. All sein Widerstand nützte nichts, und wenn er auch die Gedankenfetzen zurückzudrängen suchte, so stellte sein Hirn doch unablässig die Frage: Wo bin ich?

Und das Gehirn gab ihm auch die Antwort darauf: In einem Krankenhaus.

Zwar war er rasend schnell auf den Planeten zugeschossen; dennoch war ihm genug Zeit geblieben, um zu erkennen, daß es darauf eine Zivilisation von hohem Niveau gab. Die Medizin war weit fortgeschritten, und ihre Diener versuchten alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu seiner Heilung. Im andern Falle wäre er wohl beim Aufwachen in eine Hölle von bohrenden Schmerzen gestürzt worden statt in diesen Verzückungszustand. Vielleicht wäre er auch gar nicht mehr aufgewacht. Das war gar nicht so sehr unwahrscheinlich, wenn er daran zurückdachte, wie beim Sturz der Boden auf ihn zugeschossen kam.

Er öffnete die Augen.

Der Raum war vom Schimmer eines milchigblauen Lichtes erfüllt. Zwei Männer in hellblauen Kitteln beugten sich über ihn. Eine Atmosphäre der Freundlichkeit umgab die beiden, die wahrscheinlich ihrem Heilberuf entströmte. Unbeweglich blieb er liegen und sah zu ihnen auf. Sein Hirn arbeitete nur matt und schien von seinem reglosen Körper getrennt zu sein. ,Ich muß wohl eine phantastische Bruchlandung hingelegt haben’, dachte er.

Auf den beiden zu ihm herabgebeugten Gesichtern zeigte sich plötzlich Beunruhigung. Die Veränderung war so erschreckend, daß er von Panik erfaßt wurde und verzweifelt einen Arm zu heben oder den Kopf zu bewegen suchte. Er wußte, daß sie seine Sprache nicht verstehen würden, aber in seiner Verzweiflung sprach er dennoch.

»Ich heiße Paul Corban und bin Fähnrich in der Raumflotte der Galaktischen Föderation. Mein Stützpunkt…“

Urplötzlich waren sie verschwunden. Nur ein Bruchteil einer Sekunde lag zwischen ihrer Anwesenheit mit den über ihn gebeugten Gesichtern und der unheimlichen Leere der schimmernden, blauen Zimmerdecke, die sich über ihm wölbte. Wild schrie er auf.

Keine Antwort erfolgte auf sein Schreien.

Erneut schrie er auf, und verzweifelt kämpfte er gegen den entsetzlichen Gedanken an, allein und völlig hilflos zu sein. Niemand kam, und es verging eine ganze Weile, bis er sich entspannte und in Schlaf sank. Die Gefühllosigkeit wurde von ihm nicht mehr als angenehm empfunden, aber noch im Schlaf bedrückten ihn wie ein Alptraum die Blicke der beiden Ärzte, die sie ihm zugeworfen hatten, ehe sie verschwanden — in diesen Blicken lag Haß.

Als er wieder erwachte, schwebte ein anderes Gesicht über ihm. Diesmal war es eine junge Frau, die man beinahe als hübsch hätte bezeichnen können, wäre nicht ihre ungewöhnliche Haartracht gewesen. Um die Ohren war der Kopf völlig glatt geschoren, und das Haar war auf dem Kopf pyramidenartig zusammengefaßt, so daß der Kopf verlängert schien. Ihr Kittel war dunkelblau.

Sie steckte einen Strohhalm zwischen seine Lippen. Der Halm war an einem Gegenstand befestigt, den sie außerhalb seines Gesichtskreises verborgen hielt. Er war hungrig und trank in tiefen und gierigen Schlucken die dicke, würzige Suppe.

Die Haltung der Frau gab ihm Rätsel auf. Hilflos lag er auf dem Rücken, und lediglich Augen und Lippen konnte er seinem Willen unterwerfen. In seinem augenblicklichen Zustand stellte er doch sicher keine Gefahr dar. Auf ihrem Gesicht aber lag Besorgnis, Mißtrauen — ja beinahe Furcht.

Auch Haß war in ihren Zügen zu lesen. Unmißverständlicher Haß. Es war, als sei sie dazu verdammt worden, ein scheußliches Reptil ungewisser Herkunft zu pflegen. Den Halm noch im Mund, fragte er: „Weshalb hassen Sie mich?“

Sie zuckte zusammen, sagte aber nichts.

Als er die Suppe ausgetrunken hatte, gaben seine Lippen den Halm frei. Die Frau verschwand. Sie ging nicht etwa weg, nein, sie bewegte sich überhaupt nicht. Eben schwebte noch ihr Gesicht über ihm. Im nächsten Augenblick starrte er an die leere Decke.

„Vielleicht phantasiere ich im Delirium“, sagte er laut zu sich. „Es könnte jedoch auch sein, daß sie mit Spiegeln arbeiten.“

Er schlief und wachte. Mit größter Aufmerksamkeit sorgte man für seine körperlichen Bedürfnisse. Geduldig unterwarf er sich den Untersuchungen einer Vielzahl von Gestalten in Kitteln der verschiedensten Blautönungen. Immer wieder tauchten plötzlich Gesichter über ihm auf, die dann ebenso unerwartet wieder verschwanden.

In wachen Augenblicken träumte er in den Tag hinein. Ein ziviler Untersuchungsausschuß war kurz vor seinem Abflug auf dem Stützpunkt Qualo angekommen. Dieser Ausschuß hatte die Aufgabe, eine Reihe von Unfällen zu untersuchen, in die die Kurierschiffe des Typs 11C verwickelt waren. Der Ausschuß behauptete, die Schiffe seien unwirtschaftlich und nicht mehr flugsicher. An Bord fehlten die nötigen Navigationsinstrumente. Der aus einem einzigen Mann bestehenden Besatzung fiel sowohl die Aufgabe des Piloten als auch die des Ingenieurs und Navigators zu. Ein junger Offizier wurde dadurch ganz einfach überfordert. An Bord der Schiffe waren auch völlig unzureichende Treibstoffvorräte. Die Militärs — wie könnte es auch anders sein — stritten natürlich rundweg alles ab.

Corban konnte die Behauptungen des Untersuchungsausschusses nur bestätigen. Er hatte sich mit seiner 11C gründlich verfranzt — so gründlich, daß er auch nicht die geringste Ahnung hatte, wo er gelandet war. Diese Welt konnte ebensogut ein unentdeckter Teil der bekannten Galaxis sein wie eine Welt irgendwo draußen im unbekannten All. In der Galaxis gab es noch viele unbekannte Räume. Dies war eine Tatsache, die ihm allergrößtes Unbehagen bereitete, als er feststellte, daß seine Brennstoffvorräte zu Ende gingen und er sich nach einem geeigneten Planeten umsehen mußte, auf dem er eine Landung wagen konnte.

Wie lange würde es wohl dem Stützpunkt gelingen, sein Verschwinden zu vertuschen, ehe der Untersuchungsausschuß dahinterkam? Wenn sein Unglück den Anstoß dazu gab, daß die Schiffe vom Typ 11C verschrottet wurden, dann hatte es wenigstens einen Sinn gehabt. Keiner der Kurierpiloten liebte seine Arbeit. Es war nicht eben ein Vergnügen, sich ganz allein im Raum herumzuschlagen, mochten ordengeschmückte Vorgesetzte auch noch so lange Lobreden über die ausgezeichnete Ausbildung und Erfahrung ihrer Leute halten.

Gleichgültig, was immer der Untersuchungsausschuß empfehlen mochte, für Paul Corban kam es zu spät. Er war zu schnell auf diesen Planeten herabgeschossen, als daß er irgendwelche Anzeichen von Raumschiffahrt hätte entdecken können. Vielleicht gab es diese. Anderenfalls war er ohne jede Aussicht auf Erlösung hierher verschlagen. Selbst wenn man hier aber die Raumschiffahrt kannte, hatte er vielleicht dennoch keine Aussicht auf ein Entkommen. Fremde Zivilisationen waren dafür bekannt, jede Verbindung mit möglichen Feinden zu vermeiden.

Wie wohl seine Familie die Nachricht aufnehmen würde? Mutter und Vater würden vertrauensvoll auf seine Rückkehr warten — irgendwann und irgendwo würde er ihrer Ansicht nach bestimmt auftauchen.

Sein älterer Bruder Bill, der in der Armee diente, würde wohl albern daherschwatzen, daß der Weltraum eben keine Balken habe. Seine Schwester Sue würde wohl bereits ihren Hochzeitstag festgelegt haben.

Hoffentlich kam die Nachricht von seinem Verschwinden erst nach der Hochzeit an. Er wollte nicht, daß Sues Hochzeit getrübt würde.

Amüsiert suchte er sich eine Zeitlang seine kleine Schwester Sue in einem Hochzeitskleid vorzustellen und schlief darüber ein.

Allmählich kehrte das Gefühl in seinen Körper zurück. Er konnte jetzt wieder den Kopf bewegen und erkannte, daß er mit dicken Verbänden umwickelt war. Eine Gesichtshälfte war ebenfalls verbunden. Langsam kehrte auch wieder das Gefühl in den rechten Arm zurück. Er spürte wieder die Beine. Die beiden Ärzte, die in regelmäßigen Abständen auftauchten, untersuchten ihn mit äußerster Sorgfalt. Aufmerksam beobachtete er sie und wußte instinktiv, daß sie es haßten, ihn zu berühren. Sie sprachen kein Wort, weder zu ihm noch zueinander und verschwanden immer gleichzeitig.

Sobald er den Kopf bewegen konnte, wandte er seine Aufmerksamkeit dem Raum zu, in dem er lag. Es gab nur wenig zu sehen. Eigentlich war es mehr eine Zelle. Klein, im Sechseck angelegt, ohne Türen und Fenster. Eine Ecke war abgeteilt, und seltsame Gegenstände waren durch eine halboffene Schiebetür zu sehen. Seltsam, ja, aber unverkennbar, es war ein Bad. Kurz unter der hohen Decke lief ringsum ein Gitter, von dem das Licht auszugehen schien und das, so überlegte er, wahrscheinlich auch der Lüftung und Beheizung des Zimmers diente.

Sein Essen wurde umgestellt. Er bekam jetzt keine Flüssigkeit mehr. Die Pflegerin umsorgte ihn nach wie vor mit größter Aufmerksamkeit, aber sie sprach nie ein Wort. Keiner der vielen Besucher gab einen Laut von sich, und die Stille wurde zur Qual. Das Gefühl für die Zeit ging ihm völlig verloren. Er konnte nicht mehr unterscheiden, ob es Tag oder Nacht war, sofern es diese auf dem Planeten gab, denn die bläulichen Lichtschleier im Zimmer waren immer von unveränderter Leuchtkraft.

Eines Tages überkam ihn ein Triumphgefühl, als es ihm gelang, sich zum erstenmal aufzurichten. Dieses Gefühl des Frohlockens wich aber rasch der Bestürzung, die er über sein Bett empfand. Als er sich aufrichtete, folgte das Bett unter ihm und stützte ihn in seiner neuen Lage. Zunächst erschien ihm das als großartige Erfindung, bis er unter sich blickte und erkannte, daß sein von Bandagen umhüllter Körper buchstäblich auf nichts ruhte.

Unter sich sah er auf dem Boden einen etwa zwei Meter langen, einen Meter breiten und einen Fuß hohen, kistenähnlichen Gegenstand stehen. Darüber aber war — nichts! Dennoch lag er behaglich einen Meter über dem Boden. Er tastete das Bett mit den Händen ab und bewegte sich hin und her. Jedes Mal paßte sich das Bett genau den Umrissen seines Körpers an.

Außer diesem Möbelstück war im Zimmer nur noch ein kleiner Tisch.

,Eine hochstehende Zivilisation’, dachte er. Bewundernswerte mechanische Geräte, die eine optimale Raumausnutzung gestatteten. Auch die Medizin war auf allerhöchstem Stand, und wahrscheinlich tötete das blaue Licht jegliche Bazillen und Bakterien ab. Schwitzen kannte man nicht mehr. „Zum Teufel“, fluchte er laut vor sich hin, „wenn ich jetzt nur noch wüßte, wie ich aus diesem Zimmer hinauskommen kann …“

Als er sich umdrehte, standen die beiden Ärzte neben dem Bett. Sie waren ihm jetzt schon vertraut geworden. Der eine war groß, mit hagerem Gesicht, auf dem ewig Trauer zu liegen schien. Der andere, etwas kleinere, hatte ein rundes Gesicht, auf dem für gewöhnlich überhaupt kein Ausdruck lag.

Gehorsam lehnte er sich zurück, und die Ärzte beugten sich über ihn und entfernten den Verband um seine Brust. Auch diesmal zeigte sich auf ihren Gesichtern ein Ausdruck des Abscheus.

Der letzte Verband fiel. Sie untersuchten seine Brust, und dann waren sie plötzlich verschwunden. Er richtete sich auf und starrte eine ganze Weile auf den Boden, auf dem sie eben noch gestanden hatten.

,Wenn sie nur etwas sagen wollten’, dachte er, ,dann wäre es noch nicht einmal so schlimm. Vielleicht könnte ich mir einige Worte ihrer Sprache aneignen und herausfinden, was eigentlich los ist und was ihnen solchen Abscheu bereitet. Ich wäre schon froh, wenn sie nicht mit mir, sondern nur miteinander sprächen.’

Wenn er in der Gesellschaft dieser Planetenbewohner bleiben mußte, dann würde er für immer ein Ausgestoßener sein. Das schien ihm gewiß, und wahrscheinlich würde er nie den Grund dafür herausfinden.

Bei der nächsten Visite der Ärzte schlief er. Sie weckten ihn, und rasch richtete er sich auf. Er spürte neue Kraft in seinem Körper, und ungeduldig erwartete er den Augenblick, bis er das Bett verlassen konnte. Wenn er beide nur hätte fragen können, wie lange es wohl noch dauere, bis er wieder auf seinen Beinen stehen könne.

Sie entfernten den Verband um den Kopf. Plötzlich stand ein junger Mann neben ihnen. Dieser Arzt hatte eine Maschine bei sich, die etwa die Größe eines durchschnittlichen Mannes hatte. Eine Vielzahl mehrfarbiger Skalenknöpfe und unverständlicher Vorrichtungen verwirrte Paul Corban. Der junge Arzt rollte die Maschine an das Bett und drückte einen glänzenden, helmähnlichen Gegenstand auf Corbans Kopf.

Furcht überfiel ihn, aber dann zwang er sich zur Ruhe. Sie hatten immerhin sein Leben gerettet. Was immer sie auch von ihm denken mochten, so hatten sie ihm doch die allerbeste Pflege angedeihen lassen. Es bestand keinerlei Grund, mißtrauisch zu werden.

Die Maschine summte. Der ältere Arzt zog sich in eine Zimmerecke zurück. Der Jüngere hantierte mit geschickten Fingern an den Knöpfen und Skalen der Maschine herum. Schmerz durchzuckte Corbans Kopf und wurde zur unausstehlichen Qual, so daß er schließlich das Bewußtsein verlor.

Als er die Augen wieder öffnete, war die Maschine verschwunden. Die Ärzte aber standen noch immer im Zimmer und warteten, als sei nichts Besonderes geschehen. Der Jüngere legte zwei schwarzweiß gestreifte Kugeln neben ihn auf das Bett. Sie sahen kleinen Ballons ähnlich. Corban berührte eine und vergewisserte sich, daß es tatsächlich Ballons waren. ,Soll wohl eine Belohnung für mein gutes Verhalten sein?’ überlegte er.

Der Gesichtsausdruck des jungen Arztes erregte Corbans Neugier. Eifrig, beinahe mit kindlicher Erwartung, betrachtete er Corban. Er bemerkte, daß er von Corban beobachtet wurde und schob die Ballons zur Seite. Corban verstand und folgte den Ballons mit dem Blick.

Einer hob sich langsam. Er schwebte vor Corbans Gesicht. In seiner Überraschung streckte Paul Corban die Hand danach aus und umspannte ihn. Der Ballon schwebte weiter und sank schließlich langsam auf das Bett.

Die Ärzte beobachteten Corban. Er seinerseits beobachtete sie, dann die Ballons und zuckte schließlich mit den Achseln. Vorsichtshalber unterließ er es, ein Wort zu sagen, da er ihre Reaktion auf den Klang seiner Stimme kannte.

Erneut schwebte ein Ballon ganz langsam aufwärts, bis er an die Decke stieß. Als er langsam wieder herabsank, hob sich der zweite. Vor Corbans Gesicht blieben beide in der Luft stehen. Impulsiv streckte Corban die Hand aus und stieß nach einem Ballon. Zu seiner Verwunderung spürte er einen Widerstand. Der Ballon schien fest mitten in der Luft verankert zu sein. Corban zog die Hand zurück und beobachtete weiter. Ein Ballon sank langsam auf das Bett. Der andere schwebte an die Decke. Dieses Spiel dauerte eine ganze Zeit.

Corban verstand zwar, daß die Ärzte etwas von ihm erwarteten, wußte aber nicht, was es war. Er ließ sich schließlich auf das Bett zurücksinken und starrte an die Decke. Als er nach einiger Zeit zur Seite blickte, stand wieder der junge Arzt mit der Maschine neben dem Bett.

Corban schob den Helm zur Seite. Er war zu allem entschlossen und hätte nötigenfalls auch dagegen gekämpft, daß ihm diese Miniatur-Folterkammer wieder auf den Kopf gesetzt wurde. Der junge Arzt versuchte es erneut und trat dann zurück. Er streckte eine Hand aus, und vor Corbans Gesicht zuckte ein grelles Licht auf, das ihm das Bewußtsein raubte.

Als er wieder erwachte, bohrten rasende Schmerzen in seinem Kopf. Die Maschine war verschwunden, die Ballons lagen neben dem Bett, und die Ärzte standen abwartend davor.

Dreimal wurde diese unsinnige Prozedur wiederholt. Corban sah verständnislos auf das Spiel der Ballons, und die Ärzte blickten erwartungsvoll auf ihn. Dann brachten sie jeweils die Maschine zurück ins Zimmer.

Schließlich verließen sie ihn aber, und er lag lange Zeit wach und überdachte, wie er seine Flucht bewerkstelligen könnte. Er wußte, daß die Ärzte mit den Ballons und der Maschine wieder zurückkommen würden, und allein der Gedanke daran erfüllte ihn mit Entsetzen.

Als sie wiederkamen, entfernten sie auch die letzten Verbände. Aufmerksam betrachtete er seinen völlig unbekleideten Körper und suchte nach irgendeiner Verletzung oder nach Narben. Aber zu seiner größten Verwunderung konnte er nicht die geringste Veränderung an seinem Körper feststellen. Ein Gefühl großen Wohlbehagens durchströmte ihn, als er zum erstenmal die Beine wieder bewegen konnte. Wenn er in Betracht zog, was hinter ihm lag, so schien sein Körperzustand einfach ein Wunder. Unter den beobachtenden Blicken der Ärzte stand er auf und machte die ersten taumelnden Schritte.

Zweifellos hatten diese Leute an ihm ein Heilwunder vollbracht. Ein Gefühl der Schuld wuchs in ihm auf, als er daran dachte, daß er ihnen Widerstand zu leisten versucht hatte, obwohl sie doch so lange mit größter Ausdauer daran gearbeitet hatten, ihn wieder gesunden zu lassen.

Dann brachten sie wieder die Maschine und die Ballons.

Sobald sie ihn allein gelassen hatten, kletterte er aus dem Bett und begann das Zimmer zu inspizieren. Er untersuchte die Wände nach Gleittüren, die derjenigen ähnlich waren, welche in sein Badezimmer führte. Aber er fand nichts als eine glatte Metallfläche. Das Gitter an der Decke lag außerhalb seiner Reichweite, und selbst wenn er es zu erreichen vermocht hätte, so hätte ihm das bei seiner Flucht nichts geholfen.

Es blieb nicht anderes übrig, als abzuwarten und inzwischen den Körper zu kräftigen. Er begann gymnastische Übungen zu machen, aber seine Muskeln ermüdeten schnell. Dennoch war er zufrieden, daß er endlich einen Anfang gemacht hatte.

Seines völlig unbekleideten Zustandes wegen fürchtete er das Erscheinen einer Pflegerin. Aber sie ließ sich nicht sehen, und doch stand wie durch ein Wunder zu den gewohnten Zeiten sein Essen neben dem Bett. Er aß und stellte dann das Tablett auf den Tisch zurück. Es verschwand einfach.

Sein nächster Besucher war der junge Arzt. Er brachte zwei glänzende Scheiben mit sich, die er an zwei gegenüberliegenden Zimmerwänden auf den Boden legte. Sie waren etwa einen Meter im Durchmesser groß und etwa acht bis zehn Zentimeter dick. Als der Arzt bemerkte, daß er Corbans Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, trat er auf eine der beiden Scheiben. Corban sah mit vor Staunen offenstehendem Mund, wie der Arzt langsam zur Decke emporschwebte. Als er die Decke erreicht hatte, stieß er sich leicht daran ab und sank auf den Boden zurück.

Mit Gesten suchte er Corban aufzufordern, es ihm nachzutun. Corban trat auf die Scheibe. Sofort spürte er eine unheimliche Gewichtslosigkeit. Der Boden sank langsam unter ihm weg. Er stieß sich an der Decke ab und schwebte langsam zum Boden zurück.

Der Arzt strahlte vor Zufriedenheit. Zumindest war es Corbans Ansicht nach ein Ausdruck, der einem Lächeln am nächsten kam und den er bisher noch auf keinem der Gesichter seiner Besucher bemerkt hatte.

Unter der Aufsicht des Arztes wiederholte er das Experiment mehrmals. Daraufhin ging sein Besucher einen Schritt weiter. Er stellte sich auf eine Scheibe, stieg auf ihr zur Decke empor, war plötzlich verschwunden, und als Corban sich umsah, sank er auf der anderen Scheibe wieder von der Decke herab.

Mit einladender Geste forderte er Corban auf, es ihm nachzutun. Corban stellte sich auf die Scheibe und schwebte zur Decke, sank dann aber wieder zum Boden zurück. Mehrmals versuchte er, es dem Arzt gleichzutun, doch es gelang ihm nicht, und schließlich gab er den Versuch auf.

Mehrere Tage hintereinander kehrte der junge Arzt mit den Ballons und den Scheiben zurück, und immer wieder vollzog sich die gleiche Prozedur mit dem gleichen negativen Ergebnis. In den Zwischenzeiten jedoch war Corban nicht untätig und trainierte verbissen, so daß er nach einigen Tagen seine volle Körperkraft zurückerlangt hatte.

Als es Corban eines Tages zuviel wurde, sagte er laut: „Ihre Tricks sind ja ganz gut, aber auch ich kann Ihnen einige Kunststückchen vorführen.“ Zur offensichtlichen Verwunderung seines ärztlichen Betreuers schlug er Rad, ging auf den Händen, schlug einen Salto und kam vor dem Arzt auf den Boden zu stehen. Spöttisch verneigte er sich vor ihm.

Wortlos packte der Arzt seine Scheiben und Ballons und verschwand.

Tagelang überließ man ihn jetzt sich selbst. Regelmäßig standen die Mahlzeiten auf dem Tisch, und wenn er das leere Tablett darauf zurückstellte, verschwand es. Allmählich bedauerte Corban in der Eintönigkeit, die ihn jetzt umgab, daß er seine Besucher verscheucht hatte.

Eines Tages jedoch kamen neue Besucher, die keine Ärzte zu sein schienen. Es waren zwei kräftige, untersetzte Männer in gelben Kitteln und Hosen. Sie hatten keinerlei Spielzeug bei sich. Statt dessen packten sie ihn fest an den Oberarmen, und ehe er sich noch einer Änderung bewußt wurde, befand er sich nicht mehr in seinem Zimmer.

Auch der neue Raum war, wie sein Zimmer, im Sechseck angelegt.

Er war jedoch viel größer. Vor sich sah er eine große Versammlung von blaugekleideten Ärzten und Ärztinnen. Mitten im Raum stand eines dieser sonderbaren Betten. Die gleißende Beleuchtung des Raumes war auf das Bett konzentriert.

Die übrige Einrichtung war ihm zwar fremd, aber dennoch war Corban sich sofort im klaren darüber, worum es sich handelte. In einem Krankenhaus auf der Erde oder irgendeinem Planeten der Galaxis konnte eine derartige Einrichtung nur eines bedeuten — einen Operationssaal.

Der Patient aber war Paul Corban. Er riß sich von seinen Begleitern los. „Was soll das Ganze? Mir fehlt überhaupt nichts.“

Ein Arzt trat vor. Corban sprang zur Seite und stellte sich mit dem Rücken an eine Wand. Die Männer in gelben Kitteln gingen ruhig auf ihn zu.

„Zurück!“ schrie Corban. „Ich lasse mich nicht operieren. Ich bin völlig gesund.“

Seine Worte verklangen dumpf in dem schallisolierten Raum. Der einzige Laut war sein eigenes, heftiges Keuchen. Ein schwacher Geruch irgendeines Betäubungsmittels oder eines Medikamentes verwandelte seine Furcht in Entsetzen. Mit einem Faustschlag streckte er einen Mann im gelben Kittel zu Boden. Der andere wich langsam zur Seite.

Der Arzt ging auf ihn zu. Corban beobachtete ihn aufmerksam mit geballten Fäusten.

Ehe Corban noch klar geworden war, was vor sich ging, hatte der Arzt die Hand erhoben. Ein Lichtstrahl zuckte auf, und Corban versank in tiefe Bewußtlosigkeit.

In seinem Zimmer erwachte er wieder. Er hatte keine Schmerzen, ja beinahe überhaupt keinerlei Empfindung, obwohl er Arme und Beine unbehindert bewegen konnte. Als ihm das Vorgefallene wieder zum Bewußtsein kam, schoß er in die Höhe und untersuchte, von Furcht erfüllt, seinen Körper. Was hatten sie mit ihm gemacht? Hatten sie ihn zum Krüppel gemacht?

Seine Hand berührte schließlich den Kopf und zuckte zurück. Man hatte ihn also am Kopf operiert.

Alle Energie schien ihn verlassen zu haben, und er war niedergedrückt, völlig mut- und hoffnungslos. Regelmäßig tauchte das Tablett mit den Mahlzeiten auf dem Tisch auf und verschwand ebenso regelmäßig wieder unberührt, da Corban jegliche Nahrungsaufnahme verweigerte.

Nach einiger Zeit kehrten die beiden Ärzte, die ihn zuerst behandelt hatten, zurück und untersuchten ihn auf das genaueste. Er schenkte ihnen keinerlei Beachtung. Schließlich erschien eine Pflegerin und versuchte, ihn zu füttern. Aber er wehrte sich. Nach wie vor aber stand regelmäßig das Essen auf dem Tisch, und schließlich zwang ihn unerträglicher Hunger, wieder Nahrung zu sich zu nehmen.

Eines Tages trat eine ganze Delegation in sein Zimmer und entfernte die Kopfverbände. Sie hatten wieder die Ballons und die Scheiben bei sich und führten ihre Zaubertricks vor.

Dumpf vor sich hinbrütend, beachtete Corban sie kaum. Die Ärzte beobachteten ihn aufmerksam. Der Ausdruck ihrer Gesichter war Corban ein Rätsel. Gewiß, es stand Interesse auf ihren Gesichtern zu lesen. Vielleicht Eifer. Dahinter aber spürte er eine Abneigung, einen Haß, der ihn erschauern ließ und den Wunsch in ihm auslöste, sich zu verbergen. Aber nirgends gab es ein Versteck.

Schweigend beobachteten sie ihn. Ebenso schweigend nahmen sie die Ballons und Scheiben wieder weg. Sie traten nacheinander an sein Bett und waren dann urplötzlich wieder verschwunden. Es war ganz offensichtlich: sie hatten ihn als hoffnungslosen Fall aufgegeben.

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