KAPITEL ACHT Geschöpfe der Nacht

NOCH EHE ER DIE Eingangshalle verließ, spürte Rupert die Kälte, die draußen im Hof auf ihn lauerte. Die Temperatur sank stetig, als er sich dem Hauptportal näherte, und sein Atem dampfte in der eisigen Luft. Er zog den Umhang enger um die Schultern und nickte dem Wachtposten am Portal wortlos zu. Der Mann schob einen Türflügel gerade so weit auf, dass Rupert auf die Haupttreppe schlüpfen konnte, und schlug sie hinter ihm sofort wieder zu, um nur ja keine Wärme entweichen zu lassen. Rupert zuckte zusammen, als die Kälte des Hofes ihm wie mit Messern in die Haut schnitt.

Kohlebecken und kleine Feuer glommen hier und da tapfer gegen die Dunkelheit an, ohne allzu viel Wärme oder Licht zu verbreiten. Dicke Schnee- und Eisschichten bedeckten die Zinnen und Stalldächer, und Reif kroch schimmernd an den inneren Mauern hoch. Fackeln loderten in regelmäßigen Abständen an den Wänden, aber mehr Helligkeit verbreitete der blaue Vollmond, der hoch am sternenlosen Himmel stand.

In seinem fahlen Licht versammelte sich auf dem Burghof nach und nach das letzte Kämpferaufgebot des Waldkönigreichs.

Rupert stampfte mit den Füßen und schlug die Hände zusammen, um die Kälte aus Zehen und Fingern zu vertreiben, während seine Blicke über die Krieger schweiften, die sich mit grimmigen Gesichtern auf dem Burghof drängten und die letzten Vorbereitungen für die Schlacht trafen. Die Flüchtlinge, die im Freien kampiert hatten, waren wenigstens vorübergehend ins Burginnere verfrachtet worden. Kaum einer der Anwesenden sprach. Der Dunkelwald schob sich immer näher an die Wälle heran; er erinnerte an ein großes schwarzes Tier, das geduldig auf die Beute lauerte, die ihm nicht entwischen konnte. Rupert fröstelte, als ihn die alte Furcht vor der Schwärze überfiel. Er kämpfte sie energisch nieder, weil er wusste, dass sie ihn sein Leben lang nicht mehr losließe, wenn er ihr einmal nachgäbe. Er musterte das Heer, das am Fuß der Treppe Aufstellung nahm, und fragte sich, wie die Leute wohl reagieren würden, wenn sie in den Dunkelwald eindrängen und erkennen müssten, dass die Dämonen nur ein Teil des Bösen waren, das sie umzingelte.

Er beobachtete mit düsterer Miene, wie die etwa fünfhundert Männer und fünfzig Frauen ihre Rüstungen festschnallten und die Balance der diversen Klingen prüften, für die sie sich entschieden hatten. Zu viele von ihnen hatten offensichtlich noch nie im Leben eine Waffe gezogen. Die Gardisten und Soldaten exerzierten gelassen und kenntnisreich, während die Höflinge und Händler, die Bauern und Bürger es ihnen ungeschickt nachmachten. Priester gingen von Gruppe zu Gruppe, sprachen hier ein paar beruhigende Worte und spendeten dort Trost. Rossknechte führten die wenigen Pferde, die es auf der Burg noch gab, aus den Ställen; sie hielten die Zügel fest in der Hand und besänftigten die verunsicherten Tiere mit leisen Worten. Rupert runzelte nachdenklich die Stirn.

Als er das letzte Mal mit Pferden in den Dunkelwald eingedrungen war, hatte man ihnen die Augen verbinden und sie am kurzen Zügel führen müssen. Er hoffte nur, dass sich die Streitrosse des Königs robuster zeigten.

Er wandte den Kopf ab, und ein Lächeln huschte über seine Züge, als er eine kleine Gruppe von Kobolden im Schatten der Ställe kauern sah. Sie waren eifrig dabei, Widerhaken in die Schneiden ihrer Schwerter zu feilen und sie mit frischem Pferdemist zu beschmieren, damit die Wunden, die sie ihren Gegnern zufügten, auch ganz bestimmt eiterten. Droben auf den Zinnen bereiteten die übrigen Kobolde Kessel mit Pech und kochendem Öl vor. Rupert schüttelte missbilligend den Kopf. Auch wenn er die kleinen Kerle mochte, ließ sich nicht leugnen, dass sie keinerlei Gefühl für einen ehrlichen Kampf hatten. Aber das machte sie für die bevorstehende Schlacht umso wertvoller.

Der Große Zauberer saß auf der untersten Stufe der Haupttreppe und nahm einen tiefen Zug aus seiner Weinflasche.

Rupert wollte sich zu ihm gesellen, blieb aber stehen, als er sah, dass die Blicke des Magiers in weite Fernen gerichtet waren. Ein paar frische Weinflecken zierten seinen Umhang, und er schwankte leicht von einer Seite auf die andere, im Rhythmus zu einem alten Lied, das er leise vor sich hin sang.

Rupert betrachtete den Zauberer eine Zeit lang und spürte, wie sich seine Hoffnung verflüchtigte. Er hatte sich darauf verlassen, dass der Zauberer wenigstens jetzt, da so viel auf dem Spiel stand, nüchtern blieb, aber das war wohl zu viel verlangt. Rupert ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder. Der Zauberer konnte nichts dafür, dass er nicht dem Bild entsprach, das die Legenden von ihm entworfen hatten.

Er ist auch nicht der Einzige, der mich enttäuscht hat, dachte Rupert müde. Er sah Julia vor sich, Arm in Arm mit Harald.

Man sollte meinen, ich hätte meine Lektion gelernt. Es ist auf niemanden Verlass! Rupert setzte seinen Weg fort. Er ging ganz nahe am Zauberer vorbei, aber der Zauberer bemerkte ihn überhaupt nicht.

Rupert bahnte sich einen Weg durch das Gewühl. Die Leute sprachen ihn an oder winkten ihm zu, aber er nickte nur mit geistesabwesendem Lächeln. Sie erwarteten sicher, dass er ganz und gar Prinz war und sie mit markigen Worten aufputschte, aber irgendwie war ihm das zuwider. In der gegenwärtigen Lage musste jedes Säbelgerassel unecht und lahm klingen. Harald konnte so etwas besser. Er würde den Soldaten auf die Schultern klopfen und ihnen tröstliche Lügen erzählen, den Bauern und Kaufleuten Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld in Aussicht stellen, und all jene, die im Kampf fielen, zu Helden des Vaterlands hochstilisieren. Rupert konnte seine Müdigkeit und Sorge nicht verbergen. Er hatte zu oft gegen die Dämonen gekämpft, um sich noch irgendwelchen Illusionen hinzugeben. Es gab nichts außer der Finsternis, den Kreaturen der Nacht und der hässlichen Arbeit, die man erledigen musste, um sie zu besiegen. Das Geschwafel um Ehre und Ruhm für die Lebenden und Toten konnte ihm gestohlen bleiben.

Das Gedränge ließ ein wenig nach, als sich Rupert einem der alten Pferdeställe näherte. Der weitläufige Bau wirkte unnatürlich still und verlassen, als habe man ihn vor kurzem aufgegeben. Alle Fenster waren mit Brettern vernagelt, und ein Schloss sicherte den Eingang. Eiszapfen hingen in dicken Klumpen von den Regenrinnen herab, und auf den Fenstersimsen hatte sich Schnee angesammelt. Rupert nahm den Schlüssel, den der Seneschall ihm gegeben hatte, und sperrte das Schloss auf. Die Tür schwang langsam nach innen, als er sie aufdrückte, wenngleich der verzogene Rahmen ächzte und knarrte. Rupert schob den Schlüssel ein, blieb auf der Schwelle stehen und spähte in das Halbdunkel. Nichts rührte sich. Er trat einen Schritt zurück, nahm eine Fackel aus der Halterung neben der Tür und trat zögernd ein.

»Drache?«, rief er leise. »Ich bin es, Rupert.«

Es kam keine Antwort aus dem Dunkel. Rupert hielt die Fackel hoch, und ganz hinten im Stall schimmerten dunkelgrüne Schuppen schwach im zuckenden Licht. Der Prinz ging langsam auf den schlafenden Drachen zu, ohne auf die Schatten zu achten, die sich jenseits des Fackelscheins sammelten.

Die trockene, staubige Luft war von einem starken Moschusgeruch erfüllt, der alles überlagerte. Der Drache lag in einem Nest aus schmutzigem Stroh zusammengerollt, den Kopf auf den Schweif gestützt, die Schwingen wie eine riesige smaragdgrüne Decke um den Leib gewickelt. Die Flanken bebten schwach im Rhythmus seiner trägen Atemzüge. Rupert schob die Fackel in eine Wandhalterung und kniete neben dem Kopf des Drachen nieder. Die großen goldenen Augen waren geschlossen, während das breite Maul ein wenig offen stand und ihm den Anschein verlieh, als grinse er im Schlaf. Rupert streckte die Hand aus, zögerte und strich dann sanft über die knochige Stirn des Kolosses.

»Drache? Ich bin es, Rupert. Ich muss mit dir reden. Ich brauche deine Hilfe.«

Der Drache schlief ungerührt weiter. Rupert kauerte im schmutzigen Stroh und starrte den Kampfgefährten verzweifelt an. Eine Woge der Entmutigung schwappte über ihn hinweg. Tief im Innern hatte er stets geglaubt, der Drache werde zumindest dann an seiner Seite sein, wenn er zu seinem letzten Kampf in den Dunkelwald hinauszöge. Ich hätte es besser wissen müssen… Erst Julia, dann der Große Zauberer und nun der Drache. Er hatte keinen Anspruch auf ihre Unterstützung, und es wäre ihm nie eingefallen, Unterstützung zu fordern, selbst wenn er einen Anspruch gehabt hätte.

Aber er hätte es begrüßt, wenn wenigstens einer der drei an seiner Seite gewesen wäre. Damit er die Finsternis nicht allein ertragen musste. Rupert seufzte leise. Ihm kam in den Sinn, wie der Drache hoch aufgerichtet in der Lichtung gestanden und Dutzende von Dämonen mit seinem Feueratem niedergemäht hatte. Und er erinnerte sich, wie er auf der gleichen Lichtung zusammengebrochen war, mit halb zerfetzter Schwinge, während ihm goldenes Blut in Strömen über seine Flanken floss. Sterbend in der Finsternis, weil Rupert ihn in den Dunkelwald geführt und der Drache ihm vertraut hatte.

»Schlaf weiter, mein Freund«, murmelte Rupert. »Ich habe kein Recht, noch mehr von dir zu verlangen.«

Er richtete sich auf, nahm die Fackel aus der Wandhalterung und ging zur Tür. Auf der Schwelle zögerte er und warf einen letzten Blick auf den schlafenden Drachen. Er hätte gern Abschied von seinem Freund genommen, aber dann wandte er sich achselzuckend ab, zog die Tür hinter sich zu und legte das Schloss vor. Der Stall war wieder in völliges Dunkel gehüllt, und nur das langsame, gleichmäßige Atmen des Drachen durchdrang die Stille.

Der Große Zauberer lümmelte auf der Haupttreppe, blickte düster in die Runde und nahm noch einen Zug aus seiner Flasche. Der Wein war ein lausiges Gesöff, aber er hatte keine Lust, ihn zu verbessern. Irgendwie schaffte er es nicht, sich einen Rausch anzutrinken, obwohl er hart daran arbeitete. Er spürte, wie der Wein seinen Magen übersäuerte, während der Geist weiterhin störrisch wach blieb. Seine Sicht war ein wenig verschwommen, und die Beine wollten ihm nicht so recht gehorchen, aber die alten quälenden Erinnerungen ließen sich nicht abschütteln, nicht so richtig jedenfalls. Der Zauberer runzelte die Stirn und suchte vergeblich nach dem Text des Liedes, das er vor sich hin gesummt hatte. Er hasste es, wenn ihm solche Dinge nicht mehr einfielen. Er hasste es.

Immer häufiger entdeckte er Lücken in seinem Gedächtnis.

Kleinigkeiten meistens, aber immerhin. Du wirst alt, dachte er gallig. Hast zu viele Jahre auf dem Buckel. Oder zu viel Fusel im Hirn. Oder beides. Ja genau, beides. Er nahm einen weiteren tiefen Zug. Der Wein tropfte ihm über das Kinn.

Wenn er sich nur an den Text dieses Liedes erinnern könnte!

Eleanor hatte dieses Lied so geliebt.

Sie standen zusammen auf dem Balkon und betrachteten das Feuerwerk, das leuchtende Farben in den Nachthimmel spritzte. Hinter ihnen, im Großen Saal, war der Siegesball in vollem Gang. Eine schwache Sommerbrise bauschte das Gewand des Zauberers und strich sanft über Eleanors Haar.

Es hatte die Farbe von Sommerweizen, und sie trug ein blaugoldenes Kleid. Nur an ihre Augen konnte er sich nicht mehr erinnern. Im Hintergrund spielten und sangen die Barden ihr Lied, halb übertönt vom Geplauder der Höflinge. Der Zauberer betrachtete das Feuerwerk. Er hatte die Vorführung bis in die letzte Einzelheit geplant, aber am Schluss misslang dann meistens doch irgendetwas. Launische Dinger, solche Feuerwerke. Eine Rakete zerplatzte in der Nacht, und ihr Gefunkel nahm die Form eines Löwenhauptes an. Der Zauberer lächelte und entspannte sich ein wenig. Eleanor nahm seinen Arm und schmiegte sich an ihn. Er konnte sich einfach nicht an ihre Augen erinnern.

Das Feuerwerk ist wunderschön.

Danke, Eure Majestät.

Müssen Sie immer so steif sein, Sir Zauberer? In einer Nacht wie dieser sollte es keine Formalitäten zwischen Freunden geben. Nennen Sie mich Eleanor!

Wie Sie wünschen, Eleanor.

So ist es besser. Und Sie – wie heißen Sie?

Wer den Namen eines Zauberer kennt, besitzt Macht über ihn.

Tut mir Leid. Das wusste ich nicht.

Das konnten Sie nicht wissen.

Oh, sehen Sie sich das an! Ein Wasserf all! Wo nehmen Sie nur die Einf älle her? Es ist eine wunderbare Nacht, Sir Zauberer.

Ja, Eleanor.

Ich glaube nicht, dass ich jemals glücklicher war. Johann kehrt siegreich aus dem Grenzkrieg zurück, die Ernte war gut und ist sicher in den Scheunen, und… und mein bester Freund auf der Welt veranstaltet zu meinem Geburtstag ein herrliches Feuerwerk! Das ist f ast zu viel des Schönen. Und die Barden spielen mein Lieblingslied! Kommen Sie, tanzen Sie mit mir, Sir Zauberer! Bitte!

Ich… weiß nicht, ob sich das f ür mich geziemt, Eleanor.

Der Hof…

Dann tanzen wir eben hier, auf dem Balkon. Nur wir beide, ganz allein.

Ihr Parfüm machte ihn schwindlig, als sie zusammen tanzten, Hand in Hand, Wange an Wange, sich mit langsamen, anmutigen Schritten im Takt der leisen Musik wiegten.

Er konnte sich nicht an ihre Augen erinnern.

Der Große Zauberer starrte die halb leere Flasche in seiner Hand an und machte sich bittere Vorwürfe, dass er den Schwarzen Turm je verlassen hatte. Er hätte nie auf die Burg des Waldkönigreichs zurückkehren sollen. In seinem Turm, verborgen vor dem Rest der Welt, mit seinem Fusel und seiner Arbeit, war er sicher gewesen. Sicher vor seiner Vergangenheit, seinen Erinnerungen und all den Dingen, die man von ihm erwartete. Er hätte nie zurückkehren sollen.

Seine Blicke schweiften über den Hof, und er nickte Rupert zu, der auf ihn zukam und sich zu ihm gesellte. Rupert warf einen Blick auf die Flasche in seiner Hand und presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

»Ich weiß«, sagte der Zauberer, »das gefällt Ihnen nicht.

Aber Zauberer hin oder her, ich brauche etwas, das mir Mut macht.« Er nahm einen langen Zug aus der Flasche und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Ich versichere Ihnen immer wieder, dass ich nicht der allmächtige Magier bin, für den mich die Leute hier halten. Es gibt keine richtigen Zauberer mehr. Jedenfalls keine mehr wie früher. Die Magie schwindet aus der Welt, Rupert. Und warum? Weil wir sie zerstören!«

»Wir?«, fragte Rupert.

»Der Mensch«, erklärte der Zauberer. »Der Mensch macht alles zunichte. Seine Logik und Vernunft werden letztlich der Tod der Magie sein. Die Magie wirkt nach ihren eigenen Gesetzen, und die scheren sich wenig um Ursache und Wirkung. Deshalb sind und waren alle wahrhaft großen Zauberer stets Exzentriker. Sie beherrschten ihr Fach, weil sie ebenso launisch und widersprüchlich waren wie die Magie, die sie studierten. Die Zauberei besitzt durchaus Struktur und Logik, aber es ist keine Menschenlogik. Die Prinzipien, denen sie gehorcht, sind eher Abkommen und Übereinkünfte als Naturgesetze. Ich verwirre Sie, nicht wahr? Die Magie ist ein verwirrendes Geschäft. Jahr für Jahr gibt es weniger Menschen, die ihren Verstand so verbiegen können, dass sie die Zauberkunst beherrschen. Jahr für Jahr gibt es weniger Menschen, die verrückt genug sind, um die Magie zu begreifen, und zurechnungsfähig genug, um ihren Fallstricken zu entgehen.

In nicht allzu langer Zeit wird die Magie aus dieser Welt verschwunden sein, Rupert. Verdrängt von der Menschheit mit ihrem Hang zur Logik und Vernunft und einfachen, leicht verständlichen Antworten. An die Stelle der Magie wird die Wissenschaft treten, und dann geht es uns vermutlich bei weitem besser. Auf die Wissenschaft ist immer Verlass. Alles, was uns dabei verloren geht, sind ein wenig Poesie, ein wenig Schönheit… und vielleicht ein wenig von den Wundern dieser Welt. Keine Drachen mehr. Keine Einhörner mehr. Keine Kobolde oder Feen.«

»Und keine Dämonen mehr«, ergänzte Rupert.

»Alles Schlechte hat irgendwo sein Gutes.« Der Zauberer wollte erneut die Flasche ansetzen und senkte sie mit einem Achselzucken, als er Ruperts Blick sah. »So ironisch es klingt

– das Einzige, was die Magie am Leben erhalten könnte, ist der Blaue Mond selbst. Aber das wäre Wilde Magie, und eine Welt unter der Herrschaft der Wilden Magie hätte keinen Platz für die Menschen. Für die Wilde Magie gibt es weder Vernunft noch Logik, weder Abwägen noch Kontrolle –

nichts außer schierer Macht. Die Macht, die Realität selbst zu verändern. Wenn wir diese Schlacht gegen den Dämonenfürsten verlieren, Rupert, dann ist alles zu Ende. Dann wird sich der Dunkelwald über die Welt ausbreiten und alles außer den Dämonen vernichten.

Alles menschliche Leben zumindest. Manche Kreaturen werden auch den Dunkelwald überdauern. Das ist immer so.

Im Burggraben gibt es ein solches Geschöpf, tief unter dem Eis. Ein faszinierendes Ding.«

»Das Burggraben-Ungeheuer!«, sagte Rupert.

»Nennt ihr es so?« Der Zauberer zog fragend die Augenbrauen hoch. »Es war einmal ein Mensch, den ich verwandelt habe, vor langer Zeit.«

»Ganz recht«, erklärte Rupert. »Und wenn ich sonst schon nichts erreichen kann, dann will ich wenigstens diese Sache in Ordnung bringen. Nehmen Sie Ihren Zauber zurück!«

»Wie bitte?«

»Nehmen Sie Ihren Zauber zurück!«, befahl Rupert kategorisch. »Das Ungeheuer wurde als Mensch geboren und sollte die Gelegenheit bekommen, als Mensch zu sterben, nicht als… als irgendeine Kreatur.«

»Aber es will nicht zurückverwandelt werden«, widersprach der Zauberer. »Es ist glücklich in seinem Burggraben.

Das hat es mir ausdrücklich versichert, als ich mich mit ihm unterhielt.«

Rupert warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Sie machen Witze!«

»Ich mache nie Witze«, sagte der Zauberer kühl. »Es war nur ein Bann auf Zeit. Er hätte sich jederzeit selbst zurückverwandeln können, nachdem die Frist abgelaufen war. Wenn er es nicht tat, dann deshalb, weil ihm seine neue Form besser gefiel.«

Rupert sah sein Gegenüber prüfend an, aber die Miene des Zauberers blieb ernst.

»Ich glaube, ich sollte noch ein paar Worte mit meinem Einhorn wechseln«, sagte der Prinz schließlich. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden…«

Der Zauberer lachte leise vor sich hin, als Rupert mit einem verwirrten Kopfschütteln in der Menge untertauchte, und nahm einen tiefen Zug aus seiner Flasche. Als er sie wieder senkte, stand König Johann vor ihm. Er gab sich keine Mühe, seine Abscheu zu verbergen. Fackellicht schimmerte rötlich auf dem Kettenpanzer, der ihn von Kopf bis Fuß einhüllte, und dem Zauberer entging auch der lederumwickelte Schwertgriff nicht, der hinter der linken Schulter des Königs aufragte.

»Hallo, Johann«, sagte er höflich. »Du siehst sehr… imposant aus. Ich böte dir gern einen Schluck, aber dies ist meine letzte Flasche.«

»Kannst du keine Sekunde auf das Zeug verzichten?«, fragte der König scharf.

Der Zauberer zuckte mit den Schultern. »Ich brauche den Alkohol.«

»Das war schon immer so.«

Der Zauberer musterte den König eingehend. »Ich sehe, dass du dich mit Felsenbrecher ausstaffiert hast. Wessen Einfall war das?«

»Meiner«, erklärte der König knapp. »Die Schwerter der Hölle sind unsere letzte Hoffnung gegen die Finsternis.«

Der Zauberer lächelte grimmig. »Ich dachte, ich sei deine letzte Hoffnung gegen die Finsternis.«

»Nein.« Der König starrte die Flasche in der Hand des Großen Zauberers an. »Nicht mehr.«

»Lass die Finger von der Waffe, Johann«, sagte der Zauberer ruhig. »Du kannst den Schwertern der Hölle nicht trauen.

Zusammen haben sie die Macht, die Welt zu vernichten.

Wenn du diese Macht erst einmal entfesselt hast, wird es verdammt schwer sein, sie zu beherrschen.«

»Wir benutzen die Schwerter«, erklärte der König. »Wir haben keine andere Wahl.«

Der Zauberer seufzte leise und wandte den Blick ab. »Du hast ganz Recht«, sagte er schließlich. »Ich sollte nicht so viel trinken. Es verwirrt meinen Verstand, verzerrt die Wirkung meiner Zaubersprüche und bringt mich langsam aber sicher um.«

»Dann hör auf damit!«, knurrte der König.

»Ich kann nicht«, sagte der Zauberer hilflos. »Glaubst du, ich hätte es nicht versucht? Ich trinke nicht, weil es mir Spaß macht, Johann. Ich trinke, weil ich sonst den Tag nicht durchstehe.«

»Immer die gleiche Ausrede«, sagte der König.

Der Zauberer warf ihm einen flehenden Blick zu. »Du hast mich nie verstanden, Johann. Aber du wolltest mich auch nicht verstehen. Du selbst hast nie im Leben einen Schluck gebraucht. Du hast nie etwas gebraucht. Zum Henker damit!

Wir können nicht alle vollkommen sein.«

»Du bist ein ganz gewöhnlicher Säufer!«

»Ich bin das, was du aus mir gemacht hast, Johann. Du und deine verdammte Familie! Immer musste ich eure kostbare Haut retten, aus einer Katastrophe nach der anderen! Ich war nicht immer ein Säufer.«

»Aber meistens, wenn es darauf ankam.«

»Ich habe deine Wünsche erfüllt, betrunken oder nüchtern.«

»Alle bis auf einen«, sagte der König. »Bis auf den einen, der mir wirklich am Herzen lag.«

»Hör auf!«, flüsterte der Zauberer. »Bitte!«

»Eleanor lag im Sterben, und du warst nirgends zu finden.

Ich musste meine Männer in die Wirtshäuser und Kneipen schicken. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie dich auf die Burg brachten. Und während all der Zeit saß ich an ihrem Bett…

an Eleanors Bett… Du hättest sie retten können!«

»Ich kam zu spät.«

»Du warst betrunken!«

»Ja«, sagte der Große Zauberer. »Ich war betrunken.«

Er starrte die Flasche in seiner Hand an und begann zu weinen.

Prinz Harald stand ungeduldig vor dem geschlossenen Hauptportal und verbarg seinen wachsenden Ärger hinter einer gewohnt lässigen Maske, während ein Diener an ihm herumzupfte und die Riemen seiner Rüstung festzog. Die sich überlappenden Schichten des Kettenpanzers waren heiß, schwer und sehr beengend, aber Harald schwor nun einmal auf Rüstungen. Ganz gleich, wie gut man mit Schwert und Schild umgehen konnte, früher oder später traf man auf einen Gegner, der mehr Geschick oder mehr Glück im Nahgefecht besaß, und dann war eine gute Rüstung von entscheidendem Vorteil. Haralds Miene verdüsterte sich, als er an seinen letzten Kampf gegen Rupert hier auf dem Burghof dachte.

Damals hatte ihm sein Kettenpanzer nichts genützt. Aber gleich darauf lächelte Harald wieder. Diesmal war alles anders. Diesmal hatte er Blitzstrahl. Immer wieder spähte er aus dem Augenwinkel nach dem langen Griff des Höllenschwerts, der über der linken Schulter aufragte. Blitzstrahl war unheimlich leicht für eine so gewaltige Klinge, und doch spürte Harald die Waffe bei jeder Bewegung. Es ging eine schwache, unangenehme Wärme von dem Schwert aus, als glühe das Metall in der Scheide. Und manchmal durchzuckte Harald ohne jeden Grund der Gedanke, wie schön es wäre, die Klinge zu ziehen und seine Feinde niederzumähen, einen nach dem anderen…

Der Diener war endlich fertig, und Harald schickte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung weg. Er holte sein gewöhnliches Schwert, das er umgegürtet hatte, und begann mit den gewohnten Aufwärmübungen. Der schwere Stahl in seiner Hand beruhigte ihn, und er merkte, wie sich seine Muskeln lockerten, während er elegant die Hieb- und Stichfolgen durchexerzierte. Er hatte sein Fechttraining seit der Niederlage gegen Rupert sehr viel ernster genommen und spürte den Unterschied. Harald war immer ein guter Kämpfer gewesen, aber jetzt war er nahezu vollkommen. Ruperts triumphierende Miene stand ihm vor Augen, als er auswich und parierte und zum Angriff überging, immer und immer wieder. Blitzstrahl schlug bei jeder Bewegung gegen seine Schulter, als wolle es Harald an seine Kampfbereitschaft erinnern. Harald stampfte mit den Füßen, warf sich herum, schwang das im Fackelschein blitzende Schwert – und wusste doch, dass sein ganzes Geschick und seine ganze Übung nicht ausreichen würden, sobald er sich in die lange Nacht hinaus begab. Seine einzige Hoffnung im Kampf gegen die Dämonen war das Schwert der Hölle, aber irgendwie war er nicht so erpicht darauf, es einzusetzen, wie er gedacht hatte.

Er sah, dass sein Vater auf ihn zukam, setzte die Übungen aber bewusst fort. Erst als der König ihn fast erreicht hatte, schaute er auf und schob das Schwert mit einer einzigen fließenden Bewegung in die Scheide zurück. Dann lehnte er sich lässig gegen das geschlossene Tor. Er tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und verneigte sich leicht vor dem König, der ihm kurz zunickte.

»Einsatzbereit, Harald?«

»Natürlich, Vater.«

König Johann stand einen Moment lang schweigend da, als warte er darauf, dass Harald weiterspräche. Harald ließ ihn warten.

»Du wolltest mich sprechen, Harald?«

»Ganz recht, Vater.« Harald fuhr sich noch einmal mit dem Taschentuch über die Stirn, ehe er es wieder in den Ärmel schob. »Ich möchte, dass du mir noch vor der Schlacht Julia zur Gemahlin gibst. Die Zeit reicht.«

König Johann starrte ihn ungläubig an. »Was?«

»Ich will Julia zur Frau, und ich will, dass die Trauung jetzt vollzogen wird. Für die Kampfmoral der Leute wird es Wunder wirken und ein für alle Mal die Frage klären, ob du mich oder Rupert als Nachfolger favorisierst. Ich muss sicher sein, dass die Truppe voll hinter mir steht.«

»Deine Heirat wurde verschoben«, sagte der König ruhig.

»Abgesehen davon, dass dies weder die rechte Zeit noch der rechte Ort für eine Hochzeit ist, möchte ich Rupert nicht aus der Fassung bringen. Er wird in Kürze Seite an Seite mit uns in die Schlacht reiten, und es gibt Leute, die seinen Anweisungen folgen werden, während sie dir den Gehorsam verweigern.«

»Genau das meine ich«, entgegnete Harald. »Ich bin der älteste Sohn, der Erstgeborene. Meinen Befehlen sollen sie gehorchen. Außerdem gibt es noch andere Gründe für die Hochzeit. Es kann gut sein, dass wir alle drei in diesem Kampf umkommen und das Waldkönigreich ohne Herrscher zurücklassen. Wenn Julia und ich verheiratet wären, könnte unsere Linie durch sie weiterleben. Und wenn durch eine unglückselige Fügung du fallen solltest, während Rupert und ich am Leben bleiben, würde meine Heirat mit Julia meine Thronfolge sicherstellen. Außerdem wäre die Durchführung der Zeremonie ein deutlicher Hinweis auf deine Wünsche in dieser Angelegenheit. Andernfalls könnte es geschehen, dass wir zwar die Schlacht gegen die Finsternis gewinnen, das Land aber durch einen Bürgerkrieg verlieren.«

»Nein«, sagte der König. »Ich habe dir meine Antwort gegeben, Harald, und ich wiederhole mich nicht gern. Die Hochzeit ist verschoben, auf unbestimmte Zeit.«

»Ich verstehe«, murmelte Harald. »Daher also weht der Wind.«

Lange Zeit sahen die beiden Männer einander schweigend in die Augen. Ringsum bereitete sich das letzte Aufgebot des Reiches mit viel Lärm und Waffengeklirr auf den Kampf vor, aber Harald und der König waren blind und taub für alles außer ihrem persönlichen Konflikt. König Johann musterte seinen ältesten Sohn kühl. Harald und Rupert hatten sich nie verstanden; das war angesichts ihrer Situation auch nicht anders zu erwarten gewesen. Aber die plötzliche Vehemenz, mit der Harald eine Entscheidung zu erzwingen suchte, kam für den König unerwartet. In der Vergangenheit war Harald stets bereit und in der Lage gewesen, selbst mit Rupert fertig zu werden. Er verlor nie die Selbstbeherrschung, und er wusste, wie weit er gehen konnte. Aber nun… es war das erste Mal, dass Harald seinen Vater je um Hilfe bat. König Johann runzelte die Stirn. Entweder war Harald aufrichtig in Julia verliebt oder er machte sich ernsthafte Sorgen um Ruperts wachsenden Einfluss bei Hofe. Das Letztere war der weit wahrscheinlichere Grund, aber bei Harald konnte man das nie genau sagen. Bei Harald konnte man nie etwas Genaues sagen.

Mit einem tiefen Seufzer wandte König Johann den Blick ab. Die Versuchung war groß, sich einfach umzudrehen und zu gehen, aber er widerstand ihr. Damit hätte er Harald das Gefühl gegeben, dass der König vor ihm den Rückzug antrat.

Es hätte seine eigene Position geschwächt.

»Du bist mein ältester Sohn«, sagte der König langsam und sah Harald dabei eindringlich an. »Wenn dieses Tor sich öffnet, wirst du zu meiner Rechten reiten. Aber Rupert ist ebenfalls mein Sohn und er wird zu meiner Linken reiten. Es ist wichtig für die Kampfmoral der Truppe, dass wir drei eine geschlossene Front gegen die Finsternis bilden. Unser Heer wird genug zu tun bekommen, ohne entscheiden zu müssen, wessen Befehlen es gehorchen oder nicht gehorchen will. Wir haben jetzt keine Zeit mehr für Politik. Also wird es keine offenen Differenzen zwischen dir und Rupert geben. Ist das klar, Harald?«

»Mehr als klar.«

»Gut«, fuhr der König fort. »Dann können wir diese Diskussion beenden, ja?«

Harald nickte. »Ich sah dich mit dem Zauberer sprechen«, sagte er. »Trinkt er immer noch?«

»Natürlich. Aber wenn er gebraucht wird, ist Verlass auf ihn.«

»Da ist noch eine Sache, Vater«, sagte Harald leichthin.

»Ich habe mich immer gefragt, ob diese Geschichten stimmen.«

»Geschichten?«, wiederholte der König. »Welche Geschichten?«

»Die Geschichten über ihn und Mutter natürlich. Man erzählt sich, dass er sie geliebt hat. Und man erzählt sich…«

König Johann hob die Hand, wie um Harald ins Gesicht zu schlagen, und senkte sie langsam wieder. Harald zuckte mit keiner Wimper. Seine Augen verrieten Wachsamkeit. Der König seufzte leise.

»Harald…«

»Ja, Vater?«

»Du hast die Anlagen, ein guter König zu werden, Harald.

Du verstehst dich auf Politik, auf Intrigen und auf die Gesetze. Du verstehst dich sogar auf den Papierkram, mit dem ich mein Leben lang auf Kriegsfuß stand. Aber du brauchst mehr als dies, um das Volk für dich zu gewinnen. Gewiss, du besitzt Charme und setzt ihn auch ein, wenn du etwas erreichen willst, aber… ich weiß eigentlich nicht, wo dein Herz schlägt, und bezweifle, dass es sonst jemand weiß. Manchmal mache ich mir Sorgen um dich, mein Junge. Du bist mein Sohn. Mein Fleisch und Blut. Aber ich bekenne, dass du mir heute noch genau so fremd bist wie am Tag deiner Geburt.«

»Ich bin das, wozu du mich gemacht hast«, sagte Harald und verstand nicht, weshalb sein Vater bei diesen Worten zusammenzuckte.

Die Stallungen lagen dunkel und verlassen am anderen Ende des Burghofs. Niemand kümmerte sich darum, dass die Tore weit offen standen. Die Pferde und die Rossknechte waren längst im Freien. Eine einzige Laterne im Innern verbreitete einen goldenen Schein über die letzte Box, in der Rupert sein Einhorn sattelte. Die winzigen Geräusche ringsum wurden in der Stille seltsam verstärkt, und ihre Echos schienen ewig weiter zu wispern. In der Luft hing der schwere Geruch von Staub, Heu und Pferdemist. Eigentlich hatte so ein leerer Stall etwas Unheimliches an sich, aber Rupert mochte die Stille. Es beruhigte ihn, wenigstens für kurze Zeit gegen alles und jeden abgeschirmt zu sein. Jenseits der Stalltore hoben und senkten sich die Stimmen wie eine ferne Brandung; das Rauschen war so weit weg, dass es nichts mit ihm zu tun hatte.

Rupert legte den Sattel auf, rückte ihn zurecht und begann, die vielen losen Riemen festzuziehen. Das Einhorn sah sehr viel besser aus als nach seiner Ankunft. Die Wunden waren gereinigt und genäht, Mähne und Schwanz gesäubert und gekämmt, und in der Futterraufe lag sogar ein kleiner Berg Hafer.

»Und wie fühlst du dich?«, fragte Rupert.

»Verdammt elend«, entgegnete das Einhorn. »Aber wenn ich sage, ich fühle mich wie ein Wrack, dann bringt ihr mich nur zum Abdecker und macht Leim aus meinen Hufen. Ich kann es nicht glauben, dass wir schon wieder gegen die Dämonen in die Schlacht ziehen müssen. Wer hatte denn diesen großartigen Einfall?«

»Genau genommen ich.«

»Das hätte ich mir denken können«, murmelte das Einhorn.

»Nun fang nicht zu streiten an! Noch ein einziger Kampf und dann ist alles vorbei!«

»Genau das befürchte ich auch. Gibt es denn keinen anderen Weg?«

»Weißt du einen?«

»So ganz spontan fällt mir nur die Flucht ein.«

Rupert lachte müde, während er den Sattelgurt einstellte.

»Und wohin sollen wir fliehen? Die Dunkelheit ist inzwischen überall. Nein, Einhorn. Entweder wir greifen an, oder wir warten, bis wir tot sind. Das sind die beiden Möglichkeiten.«

Lange Zeit schwiegen sie beide. Schatten verdichteten sich am Rand des Lichtscheins, und die Luft wurde spürbar kälter.

Rupert war mit seinen Vorbereitungen fertig und ließ sich erschöpft in einen Strohhaufen sinken. Bestenfalls noch eine Stunde, dann musste er sich dem Dunkelwald stellen. Der Schwärze und den Dämonen und den Schrecken der endlosen Nacht. Rupert gähnte und lehnte sich gegen die Wand der Pferdebox. Er war zu müde, um echte Angst zu empfinden.

Das Einhorn schnaubte plötzlich, als sei es nach langem innerem Kampf zu einer Entscheidung gelangt. Es wandte sich Rupert zu und sah ihn aus seinen rot glimmenden Augen ruhig an.

»Rupert…«

»Ja?«

»Du hast mich einmal nach meinem Namen gefragt. Damals entgegnete ich, dass ich ihn erst wieder tragen würde, wenn ich frei wäre. Aber jetzt… nun ja, ich habe das Gefühl, dass du meinen Namen erfahren solltest, ehe es zu spät ist.«

Rupert fühlte sich unter dem ruhigen Blick des Einhorns zunehmend unbehaglich. »Du musst ihn mir nicht sagen, wenn du nicht willst.«

»Du bist mein Freund«, erklärte das Einhorn. »Mein Name ist Sturmwind.«

Rupert stand auf und legte die Arme um den Hals des Einhorns. »Sturmwind«, sagte er. Seine Stimme schwankte. Er wartete, bis er sich wieder gefasst hatte, und trat dann einen Schritt zurück, damit er dem Einhorn in die Augen schauen konnte. »Sturmwind, falls wir durch irgendein Wunder dieses Chaos überleben sollten, dann bist du frei! Ich schwöre es bei Blut und Stein. Ich werde versuchen, im Archiv herauszufinden, aus welchem Tal man dich entführt hat. Vielleicht gibt es dort noch Überlebende aus deiner Herde. Vielleicht könnten wir… hinreiten und sie suchen. Zusammen.«

»Ja«, sagte Sturmwind. »Das wäre schön, Rupert.«

»Du glaubst nicht, dass wir diesen Kampf überleben, stimmt's?«

»Stimmt.«

»Also gut, dann: Kraft meines Amtes und königlichen Geschlechts schwöre ich hiermit bei Blut und Stein, dass ich das Einhorn namens Sturmwind von allen Verpflichtungen mir und meiner Familie gegenüber entbinde. Das war es, Sturmwind. Von nun an bist du zu hundert Prozent unabhängig – so frei, wie ein Lebewesen auf dieser Welt je sein kann.«

»Das ist alles?«

»Was hast du erwartet? Fanfaren und Trommeln? Oder reicht dir mein Wort nicht?«

»Dein Wort hat mir immer gereicht, Rupert? Aber ist das Verfahren legal?«

»Natürlich. Schließlich bin ich ein Prinz.«

»Was du nicht sagst!«, meinte das Einhorn trocken. »Frei.

Frei. Ich dachte immer, das müsste ein ganz anderes Gefühl sein.«

»Wie fühlst du dich denn?«

»Komisch. Ich weiß auch nicht wie. Irgendwie nackt.«

»Zumindest musst du jetzt nicht mehr zurück in den Dunkelwald. Denk daran, du bist von allen Verpflichtungen entbunden!«

»Du würdest ohne mich keine fünf Minuten überleben.«

»Darum geht es nicht, Sturmwind.«

»O doch!«, sagte das Einhorn mit großer Entschiedenheit.

»Ich hätte dich in der Vergangenheit jederzeit verlassen können. Du hast mir genug Gelegenheiten gegeben. Letzten Endes blieb ich bei dir, weil du mein Freund warst und mich brauchtest. Einzig und allein aus diesem Grund. Also Schluss jetzt mit dem Unsinn, dass du ohne mich in den Dunkelwald zurückkehrst! Wir sind ein Team, merk dir das!«

»Trotzdem – du bist jetzt frei«, beharrte Rupert. »Ich habe die Formel gesprochen.«

»Muss das nicht vor Zeugen geschehen?«

»Ich habe die Worte gehört«, sagte der Champion.

Rupert und das Einhorn fuhren herum und sahen den Champion im Stalltor stehen. Er neigte den Kopf vor Rupert, der sich ebenfalls verbeugte. Der Champion trug eine schwere Rüstung. Das polierte Metall glänzte kalt im Licht der Laterne. In die glatten Flächen waren Wappen und uralte magische Symbole eingraviert. Unter den Arm hatte er einen schlichten Eisenhelm geklemmt, und schwere Eisenhandschuhe reichten ihm bis zu den Ellbogen. Er wirkte imposant, bedrohlich und zu allem entschlossen.

»Sir Champion«, sagte Rupert ruhig. »Müssen wir aufbrechen?«

»Bald, Sire. Ich erfuhr vom König, dass Sie sich weigerten, das Höllenschwert zu tragen, das man Ihnen anbot.«

»Allerdings.«

»Es wäre Ihre Pflicht gewesen, das Schwert entgegenzunehmen.«

»Meine Pflicht besteht darin, das Waldkönigreich zu retten, Sir Champion. Und diese verfluchten Schwerter bedrohen unser Land nicht weniger als der Dunkelwald selbst.«

Der Champion nickte langsam. »Vielleicht haben Sie Recht, Sire. Aber ich will nicht verhehlen, dass ich selbst nie viel mit Magie anfangen konnte.«

Rupert musterte den Champion mit einem eindringlichen Blick. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass der Erste Krieger ihm etwas Wichtiges sagen wollte.

»Haben Sie den Zauberer gesehen?«, fragte der Champion plötzlich.

»Ja.« Rupert nickte. »Wir wechselten vorhin ein paar Worte.«

»Er ist schon wieder betrunken.«

»Ich habe ihn nie anders erlebt.«

»Ich schon«, sagte der Champion. »Aber das ist lange her.« Er lehnte an der Stallwand, und seine kalten, dunklen Augen starrten an Rupert vorbei in die Vergangenheit. »Er war damals ein eindrucksvoller Mann. Hätte es leicht zu höchsten Ehren in seinem Beruf bringen können – zu dem legendären Magier, für den ihn viele hielten. Er hätte der größte Held werden können, den dieses Land je hervorbrachte.«

Rupert hörte aufmerksam zu. In der Stimme des Champions schwangen Hass und Bitterkeit mit, aber… noch etwas anderes. Etwas, das vielleicht mit Verrat zu tun hatte.

»Sir Champion, warum verließ der Große Zauberer nach dem Tod meiner Mutter die Residenz?«

»Er hätte sie retten können. Wenn er nüchtern gewesen wäre. Wenn er da gewesen wäre.« Wut verzerrte die Züge des Champions, und Rupert hätte am liebsten weggeschaut. Er empfand es beinahe als anstößig, so heftige Gefühle in den Augen eines Mannes zu lesen, der sonst die Beherrschung in Person war. »Ich kam wegen des Zauberers auf die Burg, Rupert. Er war berühmt, und ich wollte an diesem Ruhm teilhaben. Deshalb bot ich Ihrem Vater meine Dienste als Champion an.

Und dann erfuhr ich die Wahrheit über den legendären Großen Zauberer. Ihre Mutter war eine große Schönheit, Rupert. Jeder sagte das. Als sie in jenem Sommer erkrankte, betete das ganze Land für ihre Genesung. Der Zauberer hätte damals an ihrem Lager wachen sollen. Stattdessen ließ er sie allein und zog durch die Kneipen. Als man ihn endlich aufgestöbert und zurückgebracht hatte, war es zu spät.

Danach rannte er weg. Er rannte einfach weg! Ich hatte diesen Mann wie einen Gott verehrt, Rupert. Ich hatte an ihn geglaubt. Und er erwies sich als Trunkenbold und Feigling.

Ich hätte ihm vieles verzeihen können, aber das nicht. Das niemals. Er ließ Ihre Mutter sterben und rannte weg, anstatt sich den Folgen seines Tuns zu stellen.

Und nun ist er zurückgekehrt, und wieder hängt unser aller Schicksal von seinen zittrigen Händen ab! Nach all diesen Jahren, nach allem, was ich als Champion geleistet habe, wird die Zukunft des Waldkönigreichs nicht von Helden und Kriegern und kaltem Stahl bestimmt, sondern von einem besoffenen Feigling und seiner Magie!«

Der Champion drehte sich brüsk um und verließ den Stall, die Hände hilflos zu Fäusten geballt. Rupert sah ihm nach, bis er in der wartenden Menge verschwunden war. Und ihm kam in den Sinn, wie er neben dem Champion auf einem Hügel gestanden und zum Grubeneingang der Kupferstadt hinuntergestarrt hatte. Wie der Champion ihm erzählt hatte, dass er als Kind aus dem Bergwerk fortgelaufen war und sich geschworen hatte, nie mehr vor irgendetwas fortzulaufen.

Julia bahnte sich mit den Ellbogen eine Gasse durch die Menge, ohne die bösen Blicke und unterdrückten Flüche derer zu achten, die sie beiseite drängte. Der Tag hatte total mies begonnen, und es sah nicht so aus, als wolle er sich zum Besseren wenden. Sie blieb stehen und blickte suchend umher, obwohl sie längst die Hoffnung aufgegeben hatte, Rupert irgendwo auf dem Burghof zu erspähen. Mit einem Seufzer eilte sie in die Ecke des Burghofs zurück, wo ihre kleine Truppe versammelt war. Sie hatte den Frauen versprochen, vor dem Kampf noch einen letzten Waffendrill durchzuführen. Obwohl es keinen großen Unterschied machen würde.

Sie waren gut vorangekommen, viel besser, als sie erwartet hatte, und gewiss sehr viel besser, als die Burgwache erwartet hatte. Noch ein paar Monate Exerzieren, und sie wären gut genug gewesen, um… Julia schnitt eine Grimasse. Es blieben ihnen weder ein paar Monate noch ein paar Stunden. Die Tore würden sich im Morgengrauen öffnen, und kurz darauf müssten sich ihre Frauen als Kämpferinnen bewähren oder sterben.

Julias Hand umkrampfte den Schwertgriff, bis ihre Knöchel schmerzten. So viel zu tun – und nie reichte die Zeit!

Rupert musste irgendwo in der Nähe sein, aber kein Mensch hatte ihn gesehen. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Sie musste ihn finden, bevor die Schlacht begann, sie musste ihn ganz einfach finden. Aber die Frauen warteten auf sie. Julias Gedanken drehten sich im Kreis, während sie durch die Menge pflügte und verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrem Dilemma suchte. Eine plötzliche Ruhe überkam sie. Es gab keinen Ausweg. Ihre Frauen brauchten sie, und sie hatte ihnen versprochen, rechtzeitig da zu sein. Rupert hätte das verstanden. Er wusste selbst sehr genau, was Pflicht bedeutete.

Unvermutet teilte sich die Menge vor ihr, und Julia wäre um ein Haar gestolpert, als König Johann ihr den Weg versperrte. Harald stand neben ihm. Er streckte mit beiden Armen ein riesiges Langschwert von sich, als sei es unendlich kostbar und zugleich unendlich abstoßend. Julia musterte die beiden Männer argwöhnisch, als sie sich vor ihr verneigten.

Sie waren höflich und formell, was nur bedeuten konnte, dass sie etwas Krummes vorhatten. Ihren Mienen war zu entnehmen, dass sie ihren Aufzug nicht billigten. Julia lächelte ihnen freundlich entgegen. Sie hatte die halbe Waschküche auf den Kopf gestellt, bis sie endlich die praktischen, robusten Sachen fand, die sie bei ihrer Reise durch den Dunkelwald getragen hatte.

Aber der Aufwand hatte sich gelohnt. Zum ersten Mal seit vielen Monaten konnte sie sich bequem bewegen.

Außerdem waren Hofgewänder beim Schwertkampf mehr als hinderlich.

»Prinzessin Julia«, sagte der König langsam. »Ihre Kleidung ist wohl kaum für eine Dame von Rang geeignet.«

»Wahrscheinlich nicht«, entgegnete Julia. »Aber sie ist sehr gut für eine Schlacht geeignet. Wenn Sie glauben, dass ich mit Reifrock und Pfennigabsätzen gegen die Dämonen antrete, sind Sie des Wahnsinns fette Beute! Äh – wolltet ihr beide nur über die Hofmode plaudern oder gibt es noch etwas Wichtiges zu besprechen?«

»Wir haben dir etwas mitgebracht«, sagte Harald.

»Tatsächlich?« Julia sah ihn misstrauisch an. »Und das wäre?«

»Ein Schwert«, fuhr Harald fort. »Es heißt Hundsgift.«

Er hielt ihr die lange silberne Scheide entgegen, die er in den Armen hielt, und Julia zögerte einen Moment, ehe sie ihm das Schwert abnahm. Trotz seiner gewaltigen Länge wirkte es federleicht. Die Scheide war mit uralten, tief eingravierten Runen verziert, die vor ihren Augen tanzten und eine geheime Botschaft zu vermitteln schienen. Ich will dieses Schwert nicht, dachte Julia plötzlich. Es hat etwas…

Verderbliches. Sie wollte die Waffe eben zurückweisen, als sie bemerkte, dass Harald und König Johann ähnliche Klingen trugen. Die lederumwickelten Griffe ragten wie spähende Augen hinter ihren Schultern auf. Und im gleichen Moment wusste Julia, was der Name Hundsgift bedeutete.

»Das ist eines der Höllenschwerter«, sagte sie langsam.

»Eine der mächtigsten und unheilvollsten Waffen, die je geschmiedet wurden. Und ich soll sie benutzen?«

»Die Schwerter sind unsere letzte Hoffnung«, erklärte der König. »Wir brauchen ihre Magie.«

»Einen Augenblick«, sagte Julia argwöhnisch. »Warum bietet ihr das Schwert mir und nicht Rupert an?«

»Er wollte es nicht«, erwiderte Harald.

»Warum nicht?«

Ein schwaches Lächeln kräuselte Haralds Lippen. »Vielleicht hatte er Angst vor seiner Macht.«

»Vielleicht ist diese Angst begründet«, sagte Julia.

Der König trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen, als Julia ihn fragend ansah. »Wir haben ihm das Schwert angeboten, Julia, aber er weigerte sich, es anzunehmen. Er sagte… er sagte, er traue keinem Zauberschwert mehr. Verstehen Sie, was er damit meinte?«

Julia runzelte die Stirn und nagte an ihrer Unterlippe.

»Nein«, sagte sie schließlich. »Ich habe keine Ahnung.« Sie wog Hundsgift in der Hand und traf Anstalten, die Klinge aus der Scheide zu ziehen. Harald und dem König schien der Atem zu stocken. Beide traten einen Schritt zurück.

»Nicht!«, sagte König Johann hastig. »Es könnte sein, dass Sie die Zaubermacht des Schwertes entfesseln!«

Julia studierte nachdenklich die seltsame Waffe. »Drei höllische Schwerter, jedes mit einer anderen Eigenschaft. Ich erinnere mich an die Geschichten von den drei magischen Klingen, die mir mein Vater erzählte, als ich noch ein Kind war. Von dem Unheil und der Zerstörung, die sie anrichteten, ehe man ihrer Herr werden konnte. Felsenbrecher. Blitzstrahl.

Hundsgift. Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal eine dieser Legenden in Händen hielte. Worin besteht die besondere Eigenschaft von Hundsgift? Was kann dieses Schwert?«

»Wir wissen es nicht, um ehrlich zu sein«, erklärte der König. »Es ist so lange her, seit jemand es wagte, die Klingen zu ziehen…«

»Klasse«, sagte Julia. »Einfach Klasse. Was wisst ihr überhaupt von diesen Schwertern?«

»Sie lieben Blut«, sagte Harald ruhig. »Und sie töten gern.«

Julia sah ihn scharf an. In Haralds Stimme war etwas wie Angst… oder Abscheu zu spüren gewesen.

»Aber warum ich?«, fragte sie unvermittelt. »Schön, Rupert wollte das Schwert nicht annehmen, aber was soll ich mit dem Ding? Warum gebt ihr es nicht dem Champion oder dem Astrologen oder…«

»Sie sind von königlichem Geblüt«, erklärte der König.

Julia lächelte spöttisch. »Natürlich! Ein Schwert wie dieses besitzt die Macht, seinen Träger zum König zu erheben. Und deshalb könnt ihr es niemandem anvertrauen.«

»Genau«, sagte der König. »Niemandem außer Ihnen.«

»Und daran haben Sie ganz schön zu schlucken, oder? Eine Frau mit einem Schwert – wo soll das noch enden?« Julia lachte. »Also gut, ich nehme Hundsgift an mich. Aber ich werde die Klinge nur im äußersten Notfall einsetzen. Auch ich habe wenig Vertrauen in ein Zauberschwert.«

Sie schlang die Waffe über die linke Schulter und schnallte die Scheide sorgfältig fest. Harald machte Anstalten, ihr dabei zu helfen, unterließ den Versuch jedoch, als sie ihn mit einem grimmigen Blick bedachte.

»Wo steckt eigentlich Rupert?«, fragte sie betont beiläufig.

»Er kann nicht weit sein«, meinte der König. »Aber ich habe ihn seit dem Tod von Darius nicht mehr gesehen.«

»Ach ja«, sagte Julia. »Die Geschichte ist mir auch schon zu Ohren gekommen. Gut zu wissen, dass der Verräter endlich seine gerechte Strafe erhielt.«

»Genau.« Harald nickte. »Ich habe keine Ahnung, wo sich Rupert herumtreibt. Allerdings geht er mir auch aus dem Weg, seit ich ihn gebeten habe, bei unserer Hochzeit die Rolle des Brautführers zu übernehmen.«

Julia musterte ihn und dann den König. »Ihr könnt ihn wohl nie in Ruhe lassen, was? Selbst jetzt gönnt ihr ihm keine Sekunde des Friedens! Ihr seid es nicht einmal wert, dass man euch verachtet! Geht mir aus den Augen – alle beide!«

»Julia…«, begann der König. »Verschwinden Sie endlich, verdammt noch mal!«

König Johann verneigte sich steif, machte kehrt und ging.

Harald öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen. Als er sah, dass Julia die Hand auf den Schwertgriff legte, lächelte er unverbindlich und folgte seinem Vater. Julia starrte ihm nach und merkte dann erst, dass sie am ganzen Körper zitterte. Sie atmete tief durch, füllte ihre Lungen mit der eiskalten Luft, die über dem Burghof hing, und spürte, wie sie langsam wieder ruhiger wurde. Rupert, Liebster… was soll aus uns werden? Sie schüttelte langsam den Kopf und zuckte zusammen, als sie im Augenwinkel plötzlich den langen, lederumwickelten Griff des Zauberschwerts sah. Julia runzelte die Stirn und ging dann entschlossen auf die Ecke des Burghofs zu, in der ihre Truppe wartete. Das Schwert der Hölle schien mit jedem Schritt schwerer zu werden.

Rupert stand im Schatten der Stalltore und beobachtete, wie Julia mit den Frauen exerzierte. Schwerter, Speere und Äxte blitzten im Fackelschein, als die Kämpferinnen Ausfallschritte, Finten und Angriffe übten. Trotz der unförmigen Kettenhemden, die sie alle trugen, wirkten ihre Bewegungen anmutig und elegant. Julia ging auf und ab, ermunterte die Frauen mit einem Lächeln oder ein paar Worten und demonstrierte geduldig die schwierigeren Hiebe und Ausweichmanöver. Im zuckenden Licht der Fackeln sah sie aus wie eine der schlanken, hoch gewachsenen Kriegsgöttinnen von einst, die ihre Gläubigenschar in der Kunst des Kämpfens unterrichtete.

Sie war gekleidet wie damals, als Rupert sie kennen gelernt hatte, und er wusste selbst nicht recht, warum gerade das ihn so sehr schmerzte. Mit ihren alten Sachen, das lange blonde Haar zu schlichten, praktischen Zöpfen geflochten, die im Nacken zusammengehalten wurden, erschien sie ihm wie eine einzige bittere Anklage, eine Erinnerung an die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, an die Zeit vor seiner Heimkehr auf die Burg. Damals war er so glücklich gewesen.

»Warum gehst du nicht einfach hin und redest mit ihr?«, fragte das Einhorn. »Du machst mich ganz nervös, wie du hier herumstehst und dich hängen lässt!«

»Es gibt nichts mehr zu bereden«, erwiderte Rupert ruhig.

»Sie heiratet Harald – aus freien Stücken!«

»Klar«, spöttelte das Einhorn. »Und Dämonen sind Vegetarier. Du urteilst zu hart, Rupert. Wenn sie Harald heiratet, dann nur, weil der Hof sie unter Druck setzte. Sie hatte von Anfang an keine Wahl in der Angelegenheit, oder?«

»Ich weiß nicht«, sagte Rupert müde. »Ich weiß überhaupt nichts mehr.«

»Reiß dich am Riemen!«, forderte ihn das Einhorn auf.

»Wir reiten bald in die Finsternis hinaus. Da kannst du deinen ganzen Zorn an den Dämonen auslassen. Die werden nicht wissen, wie ihnen geschieht!«

»Ja. Sicher.« Draußen auf dem Burghof schaute Julia plötzlich zu den Ställen herüber, und Rupert trat rasch zurück, ehe sie ihn erspäht hatte. Er konnte seinen Zorn selbst nicht verstehen. Schließlich war es ihr Leben, und sie hatte das Recht, frei darüber zu entscheiden. Er kannte sie nicht einmal richtig. Sie hatten ein paar Monate zusammen verbracht, und dann hatte er sich auf die Reise zum Schwarzen Turm begeben und sie auf der Burg zurücklassen müssen.

Nach so vielen Monaten der Trennung und in der berechtigten Annahme, dass er unterwegs den Tod gefunden hatte, war zu erwarten gewesen, dass sich Julia einem anderen zuwandte.

Und Harald hatte es schon immer verstanden, seinen Charme bei Frauen einzusetzen. Es war fast unvermeidbar gewesen, dass die beiden zusammenfanden.

Alles schön und gut, dachte Rupert grimmig. Aber dieser Hundsf ott kann nicht noch verlangen, dass ich ihm den Brautf ührer mache!

Er kehrte dem Stalltor den Rücken zu und zerrte wütend an seinem neuen Kettenpanzer herum. Das Oberteil war offensichtlich für jemanden gefertigt worden, der größer und in den Schultern sehr viel breiter war als er, und an den wenigen Stellen, wo das Ding tatsächlich eng genug saß, scheuerte es unbarmherzig die Haut wund. Die Ärmel waren zu lang, die Beinkleider pluderten, und die Taille verrutschte ständig. Zu allem Übel fiel ihm dauernd die Kapuze über die Augen.

Rupert stampfte zwischen den Boxen auf und ab und versuchte sich an die Rüstung zu gewöhnen, gab aber bald auf. Es konnte Wochen dauern, bis ein neuer Kettenpanzer richtig passte, aber diese Zeit hatte er nicht. Er musste das verdammte Blech so nehmen, wie es war.

»Das ist doch wieder typisch«, knurrte er nach einer Weile.

»Was?«

»Da stehe ich in einer blitzblanken neuen Rüstung, soll in Kürze in den Dunkelwald ausrücken und das Böse bekämpfen

– und mir fällt nichts Besseres ein, als dass ich dringend aufs Klo muss.«

Das Einhorn feixte gefühllos. »Das sind die Nerven, mein Lieber. Versuch an etwas anderes zu denken.«

»Du hast leicht reden. Du pinkelst einfach los, wenn die Blase spannt. Ich dagegen muss erst mal meinen Panzer demontieren.«

»Keine Sorge«, sagte das Einhorn. »Sobald wir das Burgtor hinter uns gelassen haben, vergeht dir beim Anblick der Dämonenhorden jeder menschliche Drang.«

»Du bist eine echte Hilfe!«

»Ich weiß.«

»Ach, zum Henker damit!«, fluchte Rupert und begann vor den entsetzten Blicken des Einhorns den Kettenpanzer zu lösen.

»Rupert, um Himmels willen, was hast du vor?«

»Zuerst werde ich mich dieser elenden Rüstung entledigen, und dann werde ich meine Blase entleeren. Sonst noch Fragen?«

»Nur die eine: Wie lange kannst du schätzungsweise ohne Rüstung überleben? Die werden dich in Stücke reißen!«

»Ein Problem nach dem anderen!«

»Wenn ich mich recht erinnere«, meinte das Einhorn, während es versonnen zusah, wie die Teile der Rüstung nach und nach zu Boden klirrten, »hast du schon einmal auf deinen Panzer verzichtet – und kurz darauf die Kobolde in die Flucht geschlagen. Vielleicht hast du ja wieder Glück.«

»Ich kämpfe ohne Rüstung immer besser«, erklärte Rupert mit leerem Blick, während er gegen den nächstbesten Stallpfosten pinkelte. »Kettenpanzer sind zwar nicht so schlimm wie Eisenplatten, aber das Ding passt wie ein Sack und ist mir nur im Weg. Aber keine Angst, ich bin nicht völlig verblödet: Den Brustpanzer behalte ich. Wolltest du etwas sagen, Einhorn?«

»Nie und nimmer!«

Rupert schnallte das Schwert um und schlenderte zum Einhorn zurück.

»Fühlst du dich jetzt besser?«, erkundigte sich das Einhorn.

»Ganz entschieden!«

»Dann könntest du mir vielleicht verraten, wie hoch du unsere Chancen einschätzt, lebend aus dieser Geschichte herauszukommen.«

Rupert wandte den Blick ab und zuckte müde mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, Sturmwind. Wir haben den Großen Zauberer auf unserer Seite, falls er rechtzeitig nüchtern wird. Und die Schwerter der Hölle müssten auch einen Unterschied machen, wenn wir sie unter Kontrolle halten können. Unsere persönlichen Chancen… sind nicht besonders gut, aber wir beide sind es seit langem gewohnt, aussichtslose Kämpfe zu gewinnen, oder?«

»Mit anderen Worten«, sagte das Einhorn, »wir werden da draußen sterben.«

Rupert schwieg für einen Moment. »Es sieht ganz danach aus«, bestätigte er schließlich. »Wir haben unser Glück ziemlich ausgereizt, mein Freund. Nur ein Wunder kann uns retten. Aber wenn wir kämpfen, haben wir zumindest die Möglichkeit, ein paar Dämonen mit in den Tod zu nehmen.«

»Kein echter Trost, wenn man es genau nimmt«, meinte das Einhorn.

»Rupert…« Julias Stimme klang unsicher. »Ich muss mit dir reden.«

Rupert fuhr herum. Julias Silhouette zeichnete sich gegen die offene Stalltür ab. Langsam kam sie näher, bis der Schein der Laterne sie erfasste, und Rupert wusste nicht, ob er lächeln, sich verbeugen oder sich abwenden und die Flucht ergreifen sollte. In ihren alten Sachen sah sie aus wie früher, und er wollte nicht an diese Zeit erinnert werden.

»Ich habe zu tun, Julia. Kann das nicht warten?«

»Nein«, sagte sie fest.

Sie musterte Rupert schweigend, sah die dunklen Ringe der Erschöpfung unter seinen Augen und seine abwehrende Haltung. In seinen Zügen lag ein bitterer, niedergeschlagener Ausdruck, den sie noch nie zuvor an ihm bemerkt hatte, und einen Moment lang hatte sie das Gefühl, vor einem Fremden zu stehen. Der Moment verging, und Julia setzte ein Lächeln auf. Ihre Zweifel ließen sich am besten ausräumen, wenn sie ohne Umwege zur Sache kam.

»Ich liebe dich, Rupert.«

Er zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen. »Natürlich. Und deshalb heiratest du Harald.«

»Nein, Rupert. Sie können drohen und bitten, und sie können mich gegen meinen Willen vor den Altar schleifen, aber ich lasse mich nicht zwingen, ihn zu heiraten.«

»Tatsächlich?« Rupert schien nicht genug Kraft aufzubringen, um richtig wütend zu werden. Er war einfach zu müde für solche Gefühlsausbrüche. Julia legte ihm eine Hand auf den Arm, und er empfand die sanfte Berührung wie eine Zentnerlast.

»Rupert, ich will nicht, dass du in diese Schlacht ziehst und an eine Lüge glaubst. Mir liegt absolut nichts an Harald oder dem Thron des Waldkönigreichs. Ich habe nur den Wunsch, mit dir zusammen zu sein.«

»Ich habe dich im Audienzsaal gesehen«, sagte Rupert mit belegter Stimme. »An Haralds Seite…«

»Ich war sauer«, erklärte Julia. »Ich wollte dich verletzen, eifersüchtig machen, weil… ach, Rupert…«

Sie kam einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn. Er klammerte sich wie ein Ertrinkender an sie, vergrub das Gesicht an ihrem Hals, und sie presste ihn an sich, ohne darauf zu achten, dass er ihr die Luft abschnürte.

»Lass mich nicht allein«, raunte Rupert heiser. »Ich habe nur dich!«

»Ich lasse dich nie mehr allein«, versprach Julia feierlich.

»Nie mehr, mein Liebster!«

»Ich auch nicht«, sagte das Einhorn und stieß die beiden erstaunlich sanft mit dem Kopf an. Ohne sich umzudrehen, streckte Rupert einen Arm aus und schlang ihn um den Nacken des Einhorns.

Nach einer Weile hatte Rupert sich wieder in der Gewalt und löste sich von Julia. Die Prinzessin gab ihn sofort frei.

Sie strich sein Hemd glatt und rückte den Brustpanzer gerade, um ihn nicht ansehen zu müssen, während er gegen die Tränen ankämpfte. Rupert war in diesen Dingen komisch.

»Wann wird das Burgtor geöffnet?«, fragte sie mit betont ruhiger Stimme.

»Das kann nicht mehr lange dauern.« Rupert lächelte Julia an, während sie an ihm herumzupfte, und runzelte plötzlich die Stirn, als er den lederumwickelten Schwertgriff hinter ihrer linken Schulter aufragen sah. »Julia, woher hast du diese Waffe?«

»Der König wollte, dass ich sie trage. Er sagte, du hättest sie abgelehnt.«

»Das stimmt. Ich wünschte, du hättest das auch getan.«

»Es ist doch nur ein Schwert, Rupert.«

»Nein, eben nicht! Das Ding auf deinem Rücken ist eines der drei Höllenschwerter. Die Waffen richteten einst solches Unheil an, dass meine Vorfahren sie fünfhundert Jahre lang sicher im Arsenal verwahrten, anstatt sie zu benutzen.«

»Wie kann ein Schwert solche Furcht auslösen?«

Rupert sah sie mit festem Blick an. »Der Legende nach besitzen die Schwerter ihr eigenes Leben und verderben die Seelen jener, die sie tragen.«

Julia schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ein Schwert ist ein Schwert. Nun ja, es fühlt sich irgendwie… sonderbar an.

Aber solange es Dämonen tötet, kann ich es gut gebrauchen.

Außerdem trägst du selbst ein Zauberschwert.« Julia stockte plötzlich und sah Rupert nachdenklich an. »Das Regenbogenschwert… das hatte ich völlig vergessen. Weshalb können wir es nicht gegen die Finsternis einsetzen? Es hat sie schon einmal vertrieben, oder?«

Rupert schüttelte den Kopf. »Das habe ich bereits versucht, Julia. Vergeblich. Der Zauber wirkt nicht mehr.«

Julia machte ein enttäuschtes Gesicht, und einen Moment lang schwiegen sie beide. Dann glitten die Blicke der Prinzessin zur Stalltür. »Rupert, ich kann nicht mehr lange bleiben. Die Frauen warten auf mich.«

»Ja. Ich habe euch beim Exerzieren beobachtet. Die Truppe machte einen guten Eindruck.« Rupert grinste plötzlich.

»Ich weiß nicht, Mädchen! Es ist fast unfair, dich mit einem Höllenschwert und einer Schar wild entschlossener Kämpferinnen auf die Dämonen loszulassen.

Wir wollen sie schließlich nur töten und nicht zusätzlich in Angst und Schrecken versetzen.«

Julia lachte. »Das zahle ich dir heim – nach der Schlacht!«

»Versprochen?«

»Versprochen.«

Sie sahen einander in die Augen. Rupert streckte die Arme aus und nahm Julias Hände in seine.

»Was immer geschieht… ich liebe dich. Daran darfst du niemals zweifeln.«

»Ich liebe dich auch, Rupert. Pass auf dich auf, wenn wir erst mal da draußen sind!«

»Verlass dich drauf! Und nach dem Sieg…«

»Genau«, unterbrach ihn Julia. »Nach dem Sieg nehmen wir uns die Zeit für andere Dinge.«

Sie küssten sich lange, ehe Julia den Stall verließ und zu ihrer Truppe zurückkehrte. Rupert schaute ihr nach und war zum ersten Mal seit langem mit sich und der Welt in Frieden.

Er schob eine Hand in das Kettenhemd und zog aus seinem Lederwams ein verknittertes, zerfranstes Taschentuch mit bräunlichen Blutflecken hervor. »Das Unterpfand meiner Herzensdame«, sagte er leise. Er berührte das Tuch mit den Lippen und schob es dann vorsichtig wieder in sein Wams, genau über dem Herzen.

»Lanciers, aufsitzen! Torwachen, haltet euch bereit!«

Die Stimme des Champions dröhnte über den Burghof. Einen Moment lang verstummte das Stimmengewirr, um gleich darauf verstärkt wieder einzusetzen, vermischt mit lauten Befehlen und Pferdegewieher. Rupert atmete tief durch, straffte die Schultern und führte das Einhorn aus dem Stall.

Der Champion saß auf einem mächtigen Streitross mit tückischem Blick. Auf seiner frisch polierten Rüstung spiegelte sich das rötliche Licht der Fackeln. Imposant und unbezwingbar ragte er aus der Menge heraus, ein Held, wie ihn die alten Balladen besangen. Er hob ungeduldig seine Streitaxt, und hundert berittene Lanciers nahmen hinter ihm Aufstellung. Die angelegten Lanzen ragten stolz in den sternenlosen Nachthimmel, die glänzenden Schäfte mit bunten Bändern und den Tüchern der Liebsten geschmückt. Die Fußsoldaten reihten sich hinter den Lanciers ein; lachend und scherzend ließen sie ein letztes Mal die Weinflaschen kreisen. Sie stampften mit den Füßen, um sich warm zu halten, und spähten erwartungsvoll zu den geschlossenen Burgtoren hinüber, erleichtert, dass das Warten endlich ein Ende hatte. Nach ihnen kam die Schar der Höflinge, Bauern und Händler. Man sah ihnen an, wie unbehaglich sie sich in ihren schlecht sitzenden Rüstungen fühlten, aber sie waren fest entschlossen, ihr Bestes zu geben. Männer und Frauen standen Seite an Seite, mit Schwertern, Piken und Handäxten, und kein Mensch fand das sonderbar. Die Frauen kämpften aus dem gleichen Grund wie die Männer – weil sie gebraucht wurden und weil sonst niemand da war, der das Land verteidigen konnte.

Rupert bestieg das Einhorn und bahnte sich mühsam einen Weg durch die Menge, um seinen Platz an der Spitze des Heeres einzunehmen. Eine Hand voll Gardisten erschien aus dem Nichts und bildete eine Eskorte für ihn. Rupert nickte ihnen zu, und die zehn Männer, die er aus dem Dunkelwald in die Residenz zurückgeführt hatte, salutierten mit ihren Schwertern.

»Was zum Henker sucht ihr hier?«, fragte Rupert. »Solltet ihr nicht im Lazarett eure Verwundungen auskurieren?«

»Wer laufen kann, ist nicht verwundet«, erklärte Rob Hawke. »So lautete der Marschbefehl. Außerdem ist geteiltes Vergnügen das doppelte Vergnügen. Wir hatten gerade den Bogen raus, wie man mit Dämonen umspringt, als Sie uns zurück in die Kasernen scheuchten.«

»Ihr wisst, dass die Feinde weit in der Überzahl sind«, begann Rupert und wurde vom spöttischen Gelächter seiner Männer unterbrochen.

»Das waren sie in jüngster Zeit meistens«, grinste Hawke.

»Wir gewöhnen uns allmählich daran.«

»Verloren!«, stöhnte einer der Gardisten mit Grabesstimme. »Wir sind alle verloren!«

Seine Kameraden stimmten einen getragenen Trauerchoral an, fanden ihn aber nach wenigen Takten zu langweilig und wechselten zu einem schnelleren Tempo. Die Leute ringsum starrten die Gardisten an und schauten dann betreten zur Seite. Der Prinz musste so lachen, dass ihm die Luft wegblieb. Als die kleine Gruppe mit Rupert an der Spitze das Burgtor erreichte, marschierte sie zu den Klängen eines derben Soldatenlieds, in dem in regelmäßigen Abständen das Wort verloren vorkam.

König Johann kniete im Schatten des inneren Nordwalls neben seinem Pferd und mühte sich mit dem störrischen Sattelgurt ab. Sein wirres graues Haar wurde von einem schlichten ledernen Stirnband zusammengehalten, und sein Kettenpanzer trug die Spuren zahlreicher Feldzüge. Obwohl sich Felsenbrecher an seinen Rücken schmiegte, als wäre es ein Teil von ihm, hatte er zusätzlich sein vertrautes altes Schwert umgeschnallt. Der Astrologe stand neben ihm und sah ihm geduldig zu. Schließlich bückte er sich und zog den Riemen mit ein paar geschickten Handgriffen straff.

»Danke«, brummte der König und richtete sich mühsam auf. »Mit Pferden konnte ich noch nie besonders gut umgehen.«

»Keine Ursache, Johann.«

»Ich bin froh, dass du bei mir bist, Thomas. Allen anderen scheint es verdammt egal zu sein, ob ich am Leben bleibe oder vor die Hunde gehe.«

»Du vergisst deine Familie.«

»Familie!« König Johann lachte verächtlich. »Ich habe seit dem Tod von Eleanor keine Familie mehr. Meine Söhne und ich stehen einander nicht gerade nahe. Harald schätze ich als guten Kämpfer und noch besseren Staatsmann, aber sein Herz ist so leer wie der Beutel eines armen Schluckers. Ich glaube nicht, dass er ein echtes Gefühl kennt… selbst wenn es ihn bisse.«

»Und Rupert?«

Einen Moment lang sah es so aus, als wolle Johann dem Astrologen eine grobe Antwort erteilen, aber dann sanken seine Schultern nach vorn, und er wirkte älter und erschöpfter als je zuvor.

»Rupert! Der Junge hat nicht ein einziges Mal im Leben meine Erwartungen erfüllt. Eigentlich sollte er jetzt gar nicht hier sein. Als ich ihn aussandte, einen Drachen zu töten, rechnete ich fest damit, ihn nie wieder zu sehen. Ich konnte doch nicht ahnen, dass er tatsächlich so ein Untier aufstöbern würde! Jeder vernünftige junge Mann wäre ins Exil gegangen und dort geblieben. Aber nein, er musste seine Pflicht erfüllen. Na schön, Rupert ist schon in Ordnung – auf seine Weise.«

»Warum ist er dann nicht hier, an deiner Seite?«

»Er hat nicht den geringsten Grund dafür. Der Junge kennt seit dem Tag seiner Geburt nur Einsamkeit und Verzweiflung.

Ich wollte und ich brauchte keinen zweiten Sohn. Leider merken die Hofschranzen so etwas sehr schnell. Sie machten Rupert das Leben zur Hölle, und ich unternahm nichts dagegen. Ich hätte ihn beschützen können, ich hätte ihm Ratschläge… und meine Liebe geben können. Ich tat nichts dergleichen, weil ich wusste, dass ich vielleicht eines Tages gezwungen wäre, ihn in den Tod zu schicken, um den Thron für Harald zu sichern. Mir blieb keine andere Wahl. Ein Bruderkampf so bald nach dem Grenzkrieg mit dem Hügelland wäre der Untergang für das Reich gewesen. Aber jetzt, nach all den Jahren… quält mich immer öfter der Gedanke, dass unser Land in Ruperts Händen sicherer wäre als in der Obhut von Harald. Rupert hat zumindest ein Herz.«

Johann wandte sich wieder seinem Pferd zu, ruckte kurz am Steigbügel, um zu sehen, ob er gut befestigt war, und schwang sich dann in den Sattel. Das Streitross warf den Kopf ungeduldig hoch und scharrte mit den Hufen, aber Johann ließ sich nicht zur Eile drängen. Er rutschte hin und her, bis er bequem saß, und sah den Astrologen mit einem Lächeln an.

»Es geht los, Thomas. Halt mir die Daumen!«

»Viel Glück, Johann! Und pass gut auf dich auf!«

König Johann nickte und lenkte sein Pferd langsam durch die Reihen der Kämpfer, bis er seine Söhne an der Spitze des Heeres erreicht hatte.

Ruperts Hände umklammerten die Zügel des Einhorns fester, während er beobachtete, wie sein Vater zielstrebig auf ihn zukam. Er war so sehr bemüht, lässig und unbekümmert zu wirken, dass sich seine Nackenmuskeln schmerzhaft verspannten. Was willst du jetzt noch?, dachte er bitter. Du kannst mir nichts mehr antun, und es gibt nichts mehr, das du mir wegnehmen könntest. Die Gardisten, die ihn eskortierten, verstummten und setzten drohende Mienen auf, als der König sein Pferd genau zwischen Rupert und Harald lenkte. Die beiden Prinzen verneigten sich knapp vor ihrem König.

»Du kommst spät, Vater«, sagte Harald verbindlich. »Wir hatten uns schon Sorgen um dich gemacht.«

»Danke, Harald«, entgegnete der König. »Wenn du uns jetzt kurz allein lassen könntest… ich möchte gern mit Rupert unter vier Augen sprechen.«

Harald versteifte sich und sah Rupert forschend an, doch dann nickte er kühl und lenkte sein Pferd ein paar Meter zur Seite. Er saß aufrecht im Sattel, studierte eingehend die Türflügel aus massiven Eichenbohlen – und seine Miene verriet keinerlei Gefühl. König Johann beachtete ihn nicht, sondern starrte missbilligend Ruperts Ehrengarde an. Die Männer wichen seinem Blick nicht aus. Einige umklammerten sogar herausfordernd ihre Schwertgriffe. Der König lächelte düster.

»Pfeif deine Wachhunde zurück, Rupert, ehe ich ihnen Maulkörbe anlegen lasse!«

Die Männer sahen Rupert an. Der Prinz nickte ihnen nach einem kurzen Zögern zu. Die Gardisten verneigten sich, bedachten König Johann mit kalten, feindseligen Blicken und zogen sich in die Menge zurück, allerdings nicht sonderlich weit. Rupert musterte den König argwöhnisch.

»Was immer du willst, Vater, die Antwort lautet nein!«

»Du vermutest immer gleich das Schlimmste, Rupert.«

»Nicht ganz grundlos, wie du weißt.«

Der König senkte den Kopf, weil er Ruperts unverwandten Blick nicht ertragen konnte, und zupfte an den Zügeln, bis sein Pferd unruhig zu tänzeln begann.

»Rupert…«

»Vater?«

»Wie viel Zeit bleibt uns noch bis zum Aufbruch?«

»Höchstens in ein paar Minuten.«

»Hasst du mich, mein Sohn?«

Die unvermittelte Frage überrumpelte Rupert. »Manchmal vielleicht«, entgegnete er stockend. »Du hast mir verdammt wenig Grund gegeben, dich zu lieben, aber… du bist der König, und das Reich kommt an erster Stelle. Das habe ich immer gewusst.«

»Politik«, seufzte der König. »Sie erscheint so lächerlich angesichts der langen Nacht, die uns jenseits des Burgwalls erwartet. Ich habe stets das Beste für das Land getan – oder zumindest das, was ich für das Beste hielt, auch wenn ich dafür einen hohen Preis bezahlen musste. Doch nun scheinen die Dinge, für die ich gekämpft habe, nichts mehr wert zu sein. Rupert, du bist mein Sohn, mein Fleisch und Blut, und ich möchte dir sagen, dass ich stolz auf dich bin. Trotz… aller Widrigkeiten hast du stets deine Treuepflicht gegenüber dem Reich erfüllt.«

»Und warum hast du bist jetzt gewartet, um mir das zu sagen?«, fragte Rupert. »Warum nicht zu einem Zeitpunkt, da es wichtig für mich gewesen wäre? Warum nicht ein einziges Mal vor versammeltem Adel?«

»Um dich nicht noch stärker zum Ziel von Hofintrigen zu machen«, entgegnete der König leise. »Ich hielt dich vom Thron und den Baronen fern, weil ich hoffte, dass Haralds Anhänger dann keine Gefahr in dir sähen. War es wirklich so falsch, dass ich einen Brudermord verhindern wollte?«

»Du hast es nicht für mich getan«, erklärte Rupert mit unbewegter Stimme. »Du hast es für Harald und seinen Thronanspruch getan.«

König Johann nickte ruhig. »Ich tat für dich, was ich tun konnte. Mehr war nicht möglich.« Er schwieg einen Moment lang und fragte dann: »Wo ist dein Kettenpanzer? Warum trägst du ihn nicht?«

»Er war mir hinderlich. Ich kann ohne Rüstung besser kämpfen.«

Der König schien dies nicht zu glauben, doch er ließ das Thema fallen, um keinen neuen Streit vom Zaun zu brechen.

»Pass gut auf dich auf, mein Junge! Ich will, dass du aus dieser Schlacht unversehrt heimkehrst.«

»Dein Wunsch soll mir Befehl sein«, sagte Rupert feierlich, und dann mussten beide lachen.

Es entstand eine Pause, in der jeder nach Worten suchte, aber sie spürten, dass alles Wichtige gesagt war. Sie hatten noch nie viel gemein gehabt, und Rupert spürte, dass sein Vater sich bereits wieder von ihm entfernte.

»Ich verstehe gar nicht, weshalb alle so verzagt sind«, meinte er schließlich. »Mit dem Champion an der Spitze des Heeres kann uns eigentlich kaum etwas zustoßen.« Er deutete auf den Ersten Krieger, der wie eine zum Leben erweckte Heldenstatue auf seinem Streitross saß.

König Johann warf dem Champion einen flüchtigen Blick zu und zog die Stirn in Falten. »Der Champion ist nicht unbedingt ein Garant für den Erfolg, Rupert. Er hat zwar keine einzige Schlacht verloren, seit er vor mehr als zwanzig Jahren in meine Dienste trat. Doch gerade das macht ihn zu einer Gefahr. Für uns und für sich selbst.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Er hat ein übertriebenes Selbstbewusstsein. Bis er merkt, dass er keineswegs unverwundbar ist, kann es zu spät für ihn oder seine Mitkämpfer sein.«

Rupert nickte. »Ich werde ihn im Auge behalten.«

»Das kann nicht schaden.« König Johann nahm die Zügel fester in die Hand und wandte sich von Rupert ab. »Und jetzt möchte ich ein paar Worte mit deinem Bruder wechseln, ehe es zu spät ist.«

»Noch eine Frage, Vater«, sagte Rupert plötzlich. »Du hättest auch meinen Tod angeordnet, wenn es dir notwendig erschienen wäre, nicht wahr?«

Der König drehte sich noch einmal zu ihm um. »Da hast du verdammt Recht, mein Junge«, erklärte er ruhig. Gleich darauf lenkte er sein Pferd durch die wartende Menge auf Harald zu. Rupert sah ihm nach und schüttelte den Kopf.

»So, nun ist es gleich so weit, Sturmwind. Der nächste Ritt in die Finsternis…«

»Na endlich«, sagte das Einhorn. »Dieses Herumstehen geht mir echt auf die Nerven. Warten ist das Schlimmste.

Oder fast das Schlimmste.«

»Genau. Ich habe Angst, Sturmwind.«

»Ich auch, Rupert.«

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie meine Eingeweide rumoren.«

»Nun mal sachte! Ich nehme an, dass es nicht mehr lange dauert, bis sich das Burgtor öffnet. Und wenn der Kampf erst losgeht, hast du keine Zeit mehr für Angstgefühle.«

»Sicher. Das weiß ich auch. Ach, verdammt, ich muss schon wieder!«

»Quatsch!«

»Na, hör mal, ist das deine oder meine Blase?«

»Torwache, Ach-tung!«, rief der Champion. Einen Moment lang senkte sich erwartungsvolle Stille über das Heer.

Ein halbes Dutzend Bewaffnete nahm vor dem Burgtor Aufstellung, bereit, auf das Kommando des Königs die schweren Eisenbolzen zu lösen. Rupert schob den linken Arm durch die Schlaufen seines Schildes und zog sie noch einmal fest. Das Gewicht des massiven Buckelschilds war ungemein beruhigend. Er nahm die Zügel fest in die Linke und zog mit der Rechten das Schwert aus der Scheide. Der Griff lag angenehm vertraut in seiner Hand.

Sein kleiner Gardetrupp bahnte sich einen Weg durch die Menge und nahm wieder dicht neben und hinter ihm Aufstellung. Die Männer traten rastlos von einem Fuß auf den anderen, hoben ungeduldig die Schwerter und starrten unverwandt das hohe Eichentor an. Rupert spürte, wie ihn eine eigenartige Ruhe überkam. Der Augenblick der Entscheidung nahte.

Gleichgültig, wie die Sache ausging – es war vermutlich das letzte Mal, dass er in die Finsternis hinausreiten musste. Julia rief ihm etwas zu, und als er sich umdrehte, sah er, dass sie ihr Pferd langsam auf ihn zu manövrierte, umringt von ihren Frauen, tüchtigen, verwegenen Kämpferinnen, die scheinbar furchtlos der Schlacht entgegensahen. Rupert fragte sich unwillkürlich, ob er neben diesen Amazonen nicht schlapp und verweichlicht wirkte. Er verneigte sich höflich vor den Frauen und lächelte Julia zu.

»Sieht so aus, als ginge es los«, meinte Julia.

Rupert nickte. »Sieht so aus.«

»Einsatzbereit?«

»Mehr oder weniger. Wie steht es um den Zauberer?«

»Gibt sich den Anschein großer Zuversicht, auch wenn es ihm verdammt schwer fällt. Der Astrologe hat ein halbes hundert kleinerer Magier und Hexen aufgetrieben, aber sie machen nicht viel her. Sie sollen die Bannsprüche des Zauberers verstärken. Ob sie das schaffen, steht auf einem anderen Blatt.«

»Julia, glaubst du an den Erfolg meines Plans?«

Sie lachte. »Nein, ganz und gar nicht. Aber er gibt uns wenigstens etwas zu tun, oder?«

Rupert seufzte. »Ich fände es toll, wenn wenigstens ein Mensch an den Erfolg meines Plans glauben würde.«

»Wäre es dir lieber, wenn wir dich belügen?«

»Offen gestanden, ja.«

»Soldaten – Ach-tung!«, rief der Champion mit dröhnender Stimme. Schweigen legte sich über den Burghof, nur unterbrochen vom Stampfen und Schnauben der ungeduldigen Pferde. Rupert verlagerte das Gewicht seines Schildes und packte das Schwert fester. In der Stille klang das Atmen der mehr als fünfhundert Männer und Frauen auf dem Hof merkwürdig laut und deutlich, wie das stete Auf- und Abschwellen einer endlosen Brandung. Schwerter, Streitkolben und Lanzen schimmerten rötlich im Widerschein der zuckenden Fackeln.

Die Angst und die Anspannung, die den Burghof erfüllt hatten, waren verflogen, ersetzt durch eine grimmige Entschlossenheit, die das Heer zusammenhielt wie ein einziger gigantischer Herzschlag. Eine Entschlossenheit, die nur ein Ziel hatte – den Dämonen heimzuzahlen, was sie dem Waldkönigreich angetan hatten! König Johann hob sein Schwert.

»Öffnet das Tor!«

Die schweren Bolzen rasselten in ihren Führungen, die mächtigen Torflügel schwangen auf, und die letzten Verteidiger des Waldkönigreichs stürmten dem Feind entgegen.

Das Hämmern der Pferdehufe hallte wie Donner von den Mauern des Bergfrieds wider. Gleich darauf waren die Reiter im Freien und jagten über die heruntergelassene Zugbrücke.

Die Fackeln blieben hinter ihnen zurück, und das Heer drang in die ewige Nacht vor. Der fahle Mond schwamm über ihnen, bläulich und aufgedunsen wie eine Wasserleiche. Dämonen erhoben sich zu tausenden aus den tiefen Schatten des Dunkelwaldes, missgestaltet, grotesk verzerrt und erfüllt von grauenhafter Blutgier. Keines der Monster sah aus wie das andere, aber in jedem der Augenpaare glühte der gleiche Hunger, und jede der Kreaturen schien dem gleichen dunklen Zwang zu gehorchen. Die Verderbtheit haftete ihnen an wie ein böses Mal, das Zeichen des Dämonenfürsten. Kränklich blaues Mondlicht schimmerte matt auf Fängen und Klauen, als die Geschöpfe der Nacht aus ihren Verstecken quollen, im Laufschritt und in weiten Sprüngen, auf dem Bauch kriechend oder sich aus klaffenden Spalten in der Erde zwängend. Und dann hatte das heranstürmende Heer die Dämonen erreicht, und das Gemetzel begann.

Schwerter hoben und senkten sich gegen das wimmelnde Dunkel, und Dämonenblut spritzte durch die mit Gestank erfüllte Luft, aber die Wucht des ersten Angriffs verebbte rasch, denn die Überzahl der feindlichen Horden war gewaltig. Die Lanciers drangen verbissen vorwärts, gefolgt von einem Teil der Gardesoldaten, aber der größte Teil des Heeres fand sich nur wenige hundert Meter vom eisbedeckten Burggraben entfernt eingekesselt. Pferde bäumten sich auf und wieherten entsetzt, als die Dämonen über sie herfielen, und oft verhinderte nur die Masse der Leiber, dass die Angreifer ihnen die Sehnen durchtrennten oder noch Schlimmeres antaten. Die Soldaten des Königs liefen planlos am Rand des Dunkelwalds umher, in ein Dutzend kleinere Gruppen aufgesplittert, die sich verzweifelt gegen den nicht enden wollenden Dämonen-Ansturm aus der Finsternis zu behaupten versuchten. Durch die Luft schwirrten Befehle, Schmerzensschreie und die hässlichen Geräusche von Stahl, der Fleisch und Knochen zerfetzte; die Dämonen jedoch attackierten lautlos und blieben selbst dann stumm, wenn die Klingen der Gegner sie durchbohrten. Im unwirklichen Licht des blauen Mondes erinnerten die Dämonen an gruselige Gespenster oder zu Leben erwachte Albträume. Und so tapfer sich das kleine Heer auch zur Wehr setzte – es war hoffnungslos unterlegen. Bereits in den ersten Minuten wurde mehr als die Hälfte der Soldaten zu Boden gerissen und regelrecht abgeschlachtet. Es war eine Gnade, dass sie nicht lange leiden mussten. Die Übermacht der Dämonen war zu groß.

Plötzlich zerriss grelles Licht die Nacht, eine knisternde weiße Flamme, die ganz von selbst hoch über dem Kampfgetümmel brannte. Gezackte Blitze fuhren wie Messer in den Dunkelwald, mitten in die Dämonenschar. Dutzende der Kreaturen loderten wie Fackeln und stolperten blindlings zurück, die Fänge in lautlosem Schmerz weit aufgerissen.

Andere griffen sich an die Kehlen und fielen keuchend zu Boden, als die Luft pfeifend aus ihren Lungen entwich. Silberne Feuer erfüllten die Nacht, und die Hohe Magie war überall. Dämonen griffen Dämonen an und rissen sich gegenseitig in Stücke. Die wenigen Überlebenden liefen Amok durch die Angreiferschar, bis auch sie zu Fall kamen. Langsam wichen die Dämonen zurück. Die Soldaten drängten vorwärts und jubelten begeistert dem Großen Zauberer zu, während sie die fliehenden Feinde verfolgten. Doch dann erlosch das gleißende Licht, und die Aura der Hohen Magie war verschwunden. Dunkelheit kehrte in den Wald zurück.

Nur der Blaue Mond schien hoch am Himmel.

Rupert beugte sich aus dem Sattel und hieb auf einen Dämonen ein, der ihn anspringen wollte. Im nächsten Moment schnellte aus dem Astwerk über ihm ein Tentakel mit Widerhaken dicht an seinem Kopf vorbei. Er riss den Dolch heraus, aber das Einhorn hatte ihn bereits außer Reichweite des neuen Angreifers getragen. Die Schlacht verkam zu einem heillosen Durcheinander. Die Attacken der Dämonen erfolgten von allen Seiten gleichzeitig, und für jeden Feind, der fiel, schienen hundert neue Gegner aus dem Dunkel zu strömen. Heer und Dämonen drängten vor und zurück, ein blutiges Chaos aus Schwertern und Äxten, Fängen und Klauen, und auf dem Boden stapelten sich die Toten. Rupert ließ verzweifelt die Blicke umherschweifen. Nirgends gab es Deckung. Seine treuen Gardisten waren von ihm getrennt worden, als sich die Heeresordnung auflöste. Er stieß einen zornigen Fluch aus und wehrte die Dämonen ab, die sich um das Einhorn scharten. Mit dem Erlöschen des Zaubers hatte das Heer seinen kleinen Vorteil rasch wieder verloren. Schon fielen einige Splittergruppen zurück, als die Dämonen mit neu erwachter Wildheit auf sie losstürmten.

Rupert versuchte einen Angreifer abzuschütteln, der sich selbst dann noch an seinen Stiefel klammerte, als er ihm den Schädel spaltete. Das stark dezimierte Heer des Waldkönigreichs wurde langsam, aber stetig zurückgedrängt. Es gab auf keiner Seite Verwundete; die Dämonen waren ausgehungert.

Rupert kämpfte gegen eine Welle von Übelkeit an, als er sah, wie viele seiner Mitstreiter bereits tot waren, obwohl der Kampf gerade erst begonnen hatte.

Sie standen immer auf verlorenem Posten, dachte er müde.

Ich versprach ihnen, dass sie das Reich retten könnten, und habe sie stattdessen in den Tod gef ührt. Himmel und Hölle noch mal! Irgendetwas muss den Dämonen doch Einhalt gebieten! Es muss einf ach etwas geben!

Er versuchte dem Einhorn mit dem Schwert eine Gasse frei zu machen, aber von allen Seiten kesselten ihn Dämonen ein.

Langsam, Schritt für Schritt, fiel das Heer zurück. Die Schlacht hatte sich in ein verbissenes Rückzugsgefecht verwandelt. Blut sickerte in den aufgewühlten Boden, dunkel und klebrig, und manche Dämonen wühlten ihre Schnauzen tief in den Schlamm, um es zu trinken. Das Heer fiel zurück, und die Dämonen setzten nach; sie huschten von Schatten zu Schatten, ließen sich aus dem Astwerk fallen, zwängten sich durch Erdspalten aus der Tiefe. Die Nacht wurde noch dunkler, und in den Schatten lauerten Zerrbilder der Schöpfung.

Harald schlitzte einem Dämon mit einem gut gezielten Hieb den Bauch auf und umklammerte gleich darauf mit aller Kraft die Zügel seines Streitrosses, das die zappelnde Kreatur unter seinen Hufen zertrampelte. Sein glänzendes Kettenhemd war zerkratzt, zerrissen und mit Blut getränkt, das teilweise von seinen eigenen Wunden tropfte. Sein Schwert hob und senkte sich ohne Pause, doch die Dämonen wichen nicht zurück. Er kämpfte mit eiskalter Ruhe, hart und unnachgiebig wie die Klinge in seiner Hand, aber die Dämonen ließen nicht von ihm ab. Wann immer sich die Gelegenheit bot, warf er einen raschen Blick über die Schulter, um abzuschätzen, wie weit es noch bis zum Burggraben war. Noch hatte der König nicht den Befehl zum Rückzug erteilt, aber die Schlacht war verloren, und jeder wusste es. Harald hatte keine Schuldgefühle und spürte kein Bedauern; niemand hätte gegen diese Übermacht gewinnen können. Das Heer des Waldkönigreichs war besiegt gewesen, ehe sie die Zugbrücke überquerte. Der Graben war jetzt nicht mehr weit entfernt, und Harald versuchte sein Pferd zu wenden, doch die Dämonen, die ihn in Trauben umlagerten, behinderten jede seiner Bewegungen. Ihm blieb keine andere Wahl, als Schritt für Schritt vor den Angreifern zurückzuweichen und dem Rest des Heeres zum Burggraben zu folgen. Mit einem Mal fühlte er sich hilflos in die Enge getrieben. Panik stieg in ihm auf.

Er nahm seine ganze Selbstbeherrschung zusammen und kämpfte die Angst nieder. Wenn er jetzt nur eine Sekunde lang den Mut verlor, bliebe ihm nicht einmal genug Zeit, um seine Schwäche zu bedauern. Zu seiner Rechten entdeckte er Rupert, der ebenfalls langsam von den Angreifern zurückgedrängt wurde. Ruperts Klinge blitzte silbern durch das Dunkel und mähte die Dämonen nieder wie eine Sichel das reife Korn. Harald wandte den Blick ab. Er hatte am eigenen Leib verspürt, dass sein Bruder mit dem Schwert umzugehen wusste. Die Narben erinnerten ihn immer noch daran.

Du könntest der bessere Schwertkämpf er sein, flüsterte eine leise Stimme in seinem Innern. Um das zu erreichen, musst du lediglich Blitzstrahl ziehen.

Ein Schauer durchlief Harald, und er hieb wütend auf den nächsten Dämonen ein. Er würde Blitzstrahl ziehen, wenn er keine andere Wahl mehr hatte – und nicht früher.

König Johann hatte Mühe, sich im Sattel zu halten, da sein Streitross hierhin und dorthin zerrte, halb von Sinnen vor Angst und Schmerzen. Er schlug mit dem Schwert um sich, und längst nicht alle Hiebe waren Treffer, aber irgendwie schaffte er es doch, die Dämonen auf Abstand zu halten. Die Waffe in der Faust wurde mit jedem Hieb schwerer und unhandlicher. Er litt unter Atemnot, und das Herz hämmerte ihm schmerzhaft gegen das Brustbein. Schweiß lief ihm in die Augen, aber er hatte weder die Zeit noch die Energie, ihn abzuwischen. Zu alt, dachte Johann bitter. Viel zu alt, verdammt noch mal!

Felsenbrecher schlug ihm bei jeder Bewegung gegen den Rücken, wie zur Erinnerung, dass es auch noch da war. König Johann achtete nicht darauf. Er war noch nicht bereit, das Schwert der Hölle einzusetzen. Noch nicht ganz.

Prinzessin Julia wickelte die Zügel um den linken Arm und schwang das Schwert beidhändig mit einem wilden Zorn, der die Dämonen zurücktrieb. Ihre Truppe war längst weit verstreut. Julia wusste, dass die meisten Frauen den Dämonen zum Opfer gefallen waren. Sie hatten gut gekämpft und waren tapfer gestorben, aber sie waren von Anfang an so vielen Angreifern gegenüber machtlos gewesen. Wenn mir nur mehr Zeit geblieben wäre, dachte Julia. Welch ein Heer hätte ich mit euch auf bauen können! Ihr Pferd taumelte plötzlich und stieß ein schrilles Wiehern aus. Julia löste die Füße aus den Steigbügeln und warf sich nach vorn, als das Tier unter ihr zusammenbrach. Es bäumte sich kurz auf, während ihm Dämonen die Kehle zerfetzten, und blieb regungslos liegen.

Einige der Bestien stürzten sich auf den großen Brocken Fleisch, den sie aus einer Flanke gerissen hatten. Julia war rasch wieder auf den Beinen und kämpfte weiter, aber der Sturz hatte sie durcheinander gebracht. Alles geschah viel zu schnell. Sie wich so rasch wie möglich zurück, während die Dämonen sie umzingelten und ihr den Weg zum Heer abschnitten. Julia presste den Rücken an einen morschen Baumstamm und blickte verzweifelt umher. Das Heer wurde mit jeder Angriffswelle weiter zurückgedrängt. Sie sah keine Möglichkeit, die Lücke wieder zu schließen. Die Dämonen kamen langsam näher. Sie genossen die Furcht ihres Opfers und ließen sich deshalb Zeit. Julia schwang die Klinge in einem weiten Bogen hin und her. Ihr Atem ging kurz und stoßweise. Sie war allein und zu Fuß. In dieser Lage hätte ihre ganze Kraft und Fechtkunst nicht ausgereicht, um sich zu retten, und das wusste sie. Mit einem heftigen Fluch schob sie ihre Waffe in die Scheide und zog Hundsgift.

Das Schwert löste sich wie von selbst aus der silbernen Umhüllung und schien ihr förmlich in die Hand zu springen.

Die breite, matt glänzende Klinge pulsierte plötzlich in einem fahlgelben Licht. Die Dämonen blieben unvermittelt stehen und starrten das glühende Schwert wie hypnotisiert an. Der Griff erwärmte sich unter Julias Fingern, und ein sonderbares Gefühl beschlich sie – als bewege sich etwas durch die Nacht, das seit Jahrhunderten geschlafen hatte und nun erwacht war…

Ein Dämon flog auf ihre Kehle zu, und sie durchtrennte ihn mit einem einzigen Hieb. Das riesige Schwert in ihren Händen schien fast nichts zu wiegen, und die Schneide fuhr ohne jeden Ruck durch die Knochen des Dämons. Der Angreifer fiel, und Julia lachte hart, doch gleich daraufblieb ihr das Lachen im Hals stecken, als der zerstückelte Leichnam binnen Sekunden verrottete und zerfiel. Die nächsten Dämonen stürmten heran und lösten sich in Staub und Verwesungsgestank auf, sobald die Klinge sie berührte. Ein gelbes Leuchten, das an Siechtum und Scheiterhaufen erinnerte, umgab das Höllenschwert. Die Dämonen wichen verunsichert zurück, aber etwas zwang Julia, sie zu verfolgen und alles niederzumähen, was sich bewegte. Die Dämonen starben mit lautlos verzerrten Fratzen, als die Totenfäule sie zerfraß.

Hundsgif t, dachte Julia. So nennen die Hexen und Zauberer den blauen Eisenhut. Das magische Kraut, das Tod und Verdammnis bringt.

Erfüllt von blanker Mordlust, schwang sie das Schwert im Halbkreis hin und her und tötete alles, was in Reichweite der Klinge geriet. Die Dämonen starben grauenvoll, aber Julia empfand keine Spur von Mitleid. Sie kämpfte unerbittlich weiter, das Gesicht zu einem starren Grinsen verzerrt, und die Geschöpfe der Nacht fielen ihrem Angriff scharenweise zum Opfer. Ein kalter Funke glomm in ihren Augen. Es war ein gutes Gefühl, Dämonen zu verwunden, so wie sie andere verwundet hatten; Dämonen zu vernichten, so wie sie das Waldkönigreich vernichtet hatten. Das Schwert hob und senkte sich, und die Dämonen litten grässliche Qualen. Sie lachte laut, mit einer Stimme, die so schrecklich klang, dass sie ihr selbst fremd war.

Über das Kampfgetümmel hinweg hörte Harald deutlich das Splittern von Knochen, und dann sank sein Pferd unter ihm zusammen. Er hechtete gelenkig aus dem Sattel auf den blutgetränkten Boden, war mit zwei schnellen Sätzen bei dem grinsenden Dämon, der seinem Streitross das Bein gebrochen hatte, und durchbohrte ihn mit seiner Klinge. Das gestürzte Pferd wieherte und rollte angsterfüllt die Augen, als die Dämonen einen Kreis bildeten und näher kamen. Harald schob sein Schwert ein und zog Blitzstrahl. Die Angreifer zögerten.

Harald stieß die Klinge tief in das Herz seines Reittiers und wartete einen Augenblick, ehe er sie wieder herauszog. Eine scharlachrote Flamme züngelte über den scharf geschliffenen Stahl. Die Dämonen wichen ein Stück zurück. Harald verneigte sich kurz vor seinem toten Pferd. Er hatte das Tier von Anfang an sehr gemocht und sich gerade deshalb verpflichtet gefühlt, ihm die Qual des Sterbens zu verkürzen. Außerdem hatte er sein Blut benötigt, um das Zauberschwert zu aktivieren. Die Dämonen rotteten sich zusammen und stürmten plötzlich auf ihn zu. Harald trat ihnen entgegen, das Schwert in der Hand. Und wo immer Blitzstrahl einen Dämon berührte, sprühten Funken, und die Kreatur verbrannte in lodernden Flammen, bis nur noch ein Häufchen Asche übrig blieb. Das Schwert trank das Blut der Angreifer, und das Blut nährte die Flammen, die es aussandte. Harald schien es, als habe er das immer schon gewusst, und er begriff nicht, weshalb er plötzlich zögerte, die Waffe zu benutzen.

Er drang mutig auf die Dämonen ein und schlug Schneisen des Todes und der Vernichtung in ihre Reihen, aber die Überlegenheit bereitete ihm keine Freude. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben spürte er, dass er die Ereignisse nicht mehr beherrschte. Er schüttelte unentwegt den Kopf, als könne er seine Gedanken so besser ordnen. Die Flammen des Höllenschwerts loderten immer heftiger, je mehr Dämonenblut es aufsog, bis Harald die Hitze, die von der Klinge abstrahlte, kaum noch ertragen konnte. Er hielt Blitzstrahl mit ausgestrecktem Arm von sich, und die roten Flammen schlugen immer höher. Das Schwert verdrängte die Finsternis, aber sein rötlicher Schein wirkte irgendwie bedrohlich. Dabei wusste Harald tief in seiner Seele, dass die Zauberklinge eben erst erwacht war und nur einen Bruchteil ihrer Macht entfaltete. Ringsum brannten die Dämonen wie groteske Fackeln, und der Schweiß, der dem Prinzen über das Gesicht rann, hatte seine Ursache nur zum Teil in der Hitze von Blitzstrahl.

König Johanns Schwert zersplitterte an den harten Schuppen eines Angreifers, und er warf den unbrauchbaren Stumpf mitten in die grinsende Dämonenfratze. Das Geschöpf wich einen Schritt zurück, und ehe es erneut auf ihn eindringen konnte, hatte der König Felsenbrecher gezogen und den Widersacher in zwei Teile gespalten. Das Langschwert lag unnatürlich leicht in seinen Händen, und ein goldener Schimmer umspielte die mächtige Klinge. König Johann hieb zornig auf die Dämonen ein, die sein Pferd umlagerten und ihn aus dem Sattel zu zerren versuchten. Die Schneide fuhr durch ihre Leiber, ohne dass er den geringsten Druck ausüben musste.

Der König runzelte nachdenklich die Stirn. Er war beeindruckt, aber er hegte den Verdacht, dass dieses Höllenschwert mehr zu bieten hatte als eine scharfe Klinge. Er spürte die alte Macht, die sich ungeduldig in dem Stahl regte und nur darauf wartete, dass er sie einsetzte. Ohne recht zu wissen, was er tat, schwang er sich aus dem Sattel und blieb unschlüssig neben seinem Streitross stehen. Das Tier bäumte sich so unvermittelt auf, dass ihm die Zügel entglitten, warf sich herum und stürmte auf die Sicherheit der Burg zu. Nach weniger als zehn Metern hatten es die Dämonen eingeholt und zu Boden gerissen. König Johann wandte sich ab, verfolgt von den Todesschreien des Pferdes, schwang Felsenbrecher hoch über den Kopf und stieß das Schwert tief in den Waldboden.

Die Erde teilte sich mit einem lauten Knirschen. Gezackte Risse breiteten sich nach allen Richtungen aus, hundert Meter und länger. Ein Ächzen drang aus der Tiefe, als sich der Grund in einer schwerfälligen Wellenbewegung hob und senkte. Dämonen stürzten in klaffende Spalten und wurden von nachrutschendem Geröll erdrückt. Etwas wälzte sich unruhig im Schlaf, ein fremder Koloss im dunklen Schoß der Erde, und stieß ein grässliches Geheul aus, als es unter dem unerbittlichen Gewicht des Waldbodens zermalmt wurde. Der König starrte mit grimmiger Genugtuung umher, befriedigt über die Zerstörung, die er angerichtet hatte. Doch dann verschwand sein triumphierendes Lächeln, als er sah, wie sich die Männer und Frauen seines eigenen Heeres aus den Spalten zu retten versuchten, ehe sich die Ränder wieder schlossen. König Johann zog Felsenbrecher mit einem Ruck aus dem Waldboden, und die aufgewühlte Erde kam wieder zur Ruhe.

In diesem Schwert steckt eine große Macht, dachte der König. Die Macht, die Erde selbst zu zerstören und neu zu gestalten. Die Macht, Berge abzutragen und an anderer Stelle auf zutürmen. Felsenbrecher.

Und erst sehr viel später kam ihm in den Sinn, wie viele seiner eigenen Untertanen durch diese Macht den Tod gefunden hatten.

Die Dämonen fielen zu hunderten unter den drei Schwertern der Hölle, aber immer noch strömten sie in Scharen aus dem Dunkel. Das Heer erreichte die Böschung des Burggrabens und verteidigte sich dort, so gut es das vermochte. Die Zugbrücke war hochgezogen worden. Man würde sie erst herunterlassen, wenn der König den Befehl zum Rückzug gab. Von den fünfhundertfünfzig Männern und Frauen, die König Johann in die Finsternis gefolgt waren, hatten keine hundert das Massaker lebend überstanden. Gleich in den ersten Minuten des Kampfes waren die Lanciers gefallen, zu Boden gerissen und niedergemetzelt von den anstürmenden Dämonenhorden. Auch die Mehrzahl der Bauern, Händler und Bürger war tot, dazu die Hälfte der Soldaten und Gardisten. Die Überlebenden scharten sich nun in einem trotzigen Haufen am Rand des gefrorenen Burggrabens und hieben mit ihren bluttriefenden Waffen verzweifelt auf die Angreifer ein.

Die Dämonen waren überall. Sie erfüllten die Nacht, und für jeden, der fiel, drängten neue Gegner nach.

Rupert wankte erschöpft im Sattel. Um ein Haar wäre er gestürzt. Er fing sich im letzten Moment ab und umklammerte die Zügel fester. Seine Muskeln brannten, und alles drehte sich vor seinen Augen, aber er gab nicht auf. Anfangs dachte er noch an seine Pflicht, dann ans Überleben, doch am Ende kämpfte er einfach weiter, weil er sich der Finsternis nicht geschlagen geben wollte. Er war in der Vergangenheit so oft besiegt worden, aber er hatte nie aufgegeben, und er gäbe auch diesmal nicht auf. Zu seiner Linken erkannte er den Champion. Der stand an der Spitze des geschrumpften Heers und schwang seine mächtige Streitaxt wie ein Spielzeug. Sein Pferd war verschwunden, und Blut besudelte die verbeulte Rüstung, aber die Dämonenflut brach sich an ihm wie die Brandung an einer Felsenklippe. Rupert wusste, dass er bei diesem Anblick eigentlich neuen Mut schöpfen sollte, aber er fühlte sich so verdammt müde, dass er überhaupt nichts mehr empfand.

Plötzlich zerschellte mit einem lauten Krachen die Eisdecke hinter ihm, und das Burggraben-Ungeheuer schoss mit Gebrüll aus den kalten Tiefen. Der Koloss, der von der Schnauze bis zur Schwanzspitze gut zwölf Meter lang war, stürzte sich auf den nächstbesten Dämon, der Rupert bedrohte, und zerriss ihn in der Luft. Dann riss er das Maul mit den gekrümmten Fängen weit auf, warf den hässlichen Kopf zurück und heulte der Finsternis seine Kampfansage entgegen. Unter seinem Schuppenpanzer verliefen dicke Muskelstränge, und die Böschung des Burggrabens schien ein wenig unter seinem enormen Gewicht einzusinken. Nachdem er sich mit einem raschen Blick vergewissert hatte, dass Rupert nichts zugestoßen war, stürmte er auf die Dämonen los. Seine gewaltigen Krallen und Zähne richteten ein Blutbad unter den Geschöpfen der Nacht an.

So also sieht das Burggraben-Ungeheuer aus, dachte Rupert. Ich habe mir darüber schon of t den Kopf zerbrochen.

Ziemlich… eindrucksvoll, würde ich sagen.

Ein Dämon sprang aus dem Dunkel auf ihn zu, und Rupert schlitzte ihm noch im Flug die Eingeweide auf. Der Angreifer umklammerte im Sturz seinen Schild. Mit einer Reflexbewegung schnitt Rupert die Halteschlaufen durch und ließ den Schild fallen, ehe ihn das Gewicht des Angreifers aus dem Sattel ziehen konnte. Ein Ding mit triefenden blutroten Augen kam aus den Schatten geflogen und prallte so heftig gegen seine Brust, dass er fast das Gleichgewicht verlor. Die Kreatur verankerte sich mit einem Dutzend Beinen an den Ringen seines Kettenhemds und schnappte nach seiner ungeschützten Kehle. Rupert riss den linken Arm hoch, um den Angriff abzuwehren, und der Dämon grub ihm die Fänge bis an den Knochen ins Fleisch. Stöhnend versuchte der Prinz die Bestie mit seinem Schwert zu erreichen, aber sie klammerte sich zu eng an seine Brust. Ein paar andere Dämonen erkannten seine Verwundbarkeit und kamen auf ihn zugerannt. Rupert versuchte erneut das Schwert zu heben, aber er konnte an nichts anderes als den grässlichen Schmerz denken, der ihm wie Feuer durch den linken Arm pulsierte.

Und dann kam die Axt des Champions aus dem Nichts und spaltete den Dämon mittendurch. Die Kiefer erschlafften, und Rupert konnte den Angreifer endlich abschütteln. Er drehte sich nach dem Champion um, doch der war bereits wieder im Kampfgewühl verschwunden.

Einen Moment lang brandete die Schlacht an Rupert vorbei, und er fand die Zeit, seinen verletzten Arm zu untersuchen. Weiße Knochensplitter ragten aus der Wunde, aber er konnte die Finger noch bewegen. Rupert biss die Zähne zusammen, schob die linke Hand unter den Schwertgurt und zog den Riemen fester, um den Arm ruhig zu stellen. Keine ideale Schlinge, aber mehr konnte er im Moment nicht tun. Mit diesem Arm habe ich nur Pech, dachte er, während er sein Zittern zu unterdrücken suchte. Ich hof f e, dass der Große Zauberer ihn noch einmal hinkriegt. Bei diesem Gedanken fiel ihm ein, dass die Unterstützung durch die Magier sehr abrupt geendet hatte, und er drehte mühsam den Kopf nach hinten, um einen Blick auf die Burg zu werfen. Dutzende von Fackeln erhellten die Zinnen, aber von den Zauberern sah er nirgends eine Spur. Mit einem zornigen Fluch wandte Rupert seine Aufmerksamkeit wieder dem Kampfgeschehen zu.

Schritt für Schritt wurde er mit dem Rest des Heeres zurückgedrängt. Doch obwohl die Zahl der Dämonen kaum abnahm, schien der Druck ein wenig nachzulassen, da sich die Leiber der Toten und Sterbenden wie eine Barriere zwischen dem Heer und den Angreifern türmten. Rupert suchte nach vertrauten Gesichtern unter den Überlebenden und runzelte besorgt die Stirn, als er Julia nirgends entdecken konnte.

Er reckte den Hals und erstarrte mitten in der Bewegung. Den Rücken gegen einen Baumstamm gepresst, kämpfte Julia etwa zehn Meter jenseits der Barrikade gegen eine Horde von Dämonen an, die sie einzukesseln drohten.

Rupert umklammerte das Schwert mit festem Griff und lenkte das Einhorn vorwärts, aber das Tier hatte kaum ein paar Schritte zurückgelegt, als es stolperte und beinahe zu Fall kam. Der Prinz schaute nach unten und schluckte entsetzt: Das Einhorn war blutüberströmt, und seine Flanken hoben und senkten sich zitternd. Er stieg rasch ab und untersuchte die Wunden seines treuen Begleiters. Ein Dämon kam über die Barrikade gestolpert. Rupert tötete ihn, ehe er angreifen konnte, und wandte sich wieder dem Einhorn zu.

»Was zum Teufel tust du da?«, stieß das Einhorn atemlos hervor. »Sieh zu, dass du wieder in den Sattel kommst, bevor dich die Dämonen überwältigen!«

»Weshalb hast du mit keinem Wort gesagt, dass du verletzt bist?«

»Wir sind alle verletzt, Rupert.«

»In diesem Zustand kannst du keinen Reiter tragen! Sieh zu, dass du den Graben erreichst und auf den Burghof fliehst, sobald die Zugbrücke heruntergelassen wird. Das dürfte nicht mehr allzu lange dauern.«

»Vergiss es! Ohne mich überstündest keine fünf Minuten.«

»Sturmwind…«

»Nein! Ich lasse dich nicht allein.«

»Das ist ein Befehl, Sturmwind!«

»Was du nicht sagst! Du scheinst zu vergessen, dass ich frei bin.«

»Sturmwind, tu bitte ein einziges Mal in deinem Leben das, worum ich dich bitte! Ich muss los und Julia helfen; sie braucht mich. Wir kommen beide zu dir zurück, sobald mein Vater das Signal zum Rückzug gibt. Ehrenwort! Und jetzt verschwinde, solange du noch die Kraft dazu hast!«

»Ich hasse es, dir Recht zu geben«, murmelte das Einhorn.

Mit kraftlos gesenktem Kopf trat es den Rückzug an. Rupert sah ihm lange genug nach, bis er sicher war, dass Sturmwind sich hinter den Reihen der Kämpfenden befand. Dann rannte er auf die Barrikade zu. Er musste zu Julia…

Harald und König Johann kämpften Rücken an Rücken und hielten mit ihren Höllenschwertern die Dämonen in Schach.

Blut tropfte von ihren zerfetzten Kettenhemden – und es war nicht nur Dämonenblut. Rupert wartete einen Moment, bis er sicher war, dass ihre ganze Aufmerksamkeit den Gegnern zugewandt war, und zog sich dann an der Barrikade hoch. Er glaubte zwar nicht, dass sein Vater ihn zurückhalten würde, aber er wollte kein Risiko eingehen. Die Leichenstapel gerieten unter seinem Gewicht ins Rutschen, und er duckte sich erschrocken in die Schatten. Die meisten Dämonen waren damit befasst, die Barriere zu durchbrechen. Ihnen schien gar nicht in den Sinn zu kommen, dass jemand versuchen könnte, das Hindernis in der Gegenrichtung zu überwinden. Bald verlagerte sich das Gefecht weg von Rupert, und er konnte unbemerkt auf der anderen Seite der Barriere in die Tiefe springen. Ein feuriger Schmerz jagte ihm durch den Arm, als er landete. Er zuckte zusammen und stieß einen leisen Fluch aus. Aber dann hatte er sich wieder gefasst und rannte mit dem Schwert in der Rechten auf Julia zu.

Julia rückte keine Handbreit von dem schützenden Baumstamm weg, während sie die Zauberklinge im Halbkreis von einer Seite zur anderen schwang. Ringsum verrotteten die Leichname der Dämonen, aber das schreckte die Angreifer nicht ab. Wütend hieb sie auf die grinsenden Kreaturen ein, die sie mit Fängen und Klauen bedrohten. Sie wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie zu schwach oder zu langsam wurde, um sich zur Wehr zu setzen. Und dann würde die Horde über sie herfallen. Sie hoffte, dass der Tod schnell käme, auch wenn sie das Gegenteil befürchtete. Sie zögerte kurz, als ihre Konzentration nachließ, und schon tauchte ein Dämon unter dem Schwert durch und versuchte ihr an die Kehle zu fahren. Sie zerschmetterte ihn mit einem Rückhand-Hieb, der ihre Deckung weit öffnete. Die Monster drängten näher.

Rupert stürmte heran und hieb eine Gasse durch die Horde der überraschten Angreifer, bis er neben Julia stand. Lange Zeit sah man nichts außer den beiden Schwertern, die auf die Feinde niedersausten. Blut spritzte nach allen Seiten, und dann wichen die Dämonen so unvermittelt zurück, dass Rupert und Julia plötzlich allein vor dem morschen Baumstamm standen. Langsam senkten sie die Waffen und sahen sich misstrauisch um. In der Finsternis wimmelte es von grotesken Schemen, aber alles deutete darauf hin, dass sich die Dämonen tiefer in den Dunkelwald zurückzogen. Die wenigen Überlebenden des Heeres spähten ungläubig über die Barrikade, dachten aber nicht daran, die Fliehenden zu verfolgen.

»So leicht geben die doch sonst nicht auf«, stieß Rupert hervor. Er stand da, erschöpft auf sein Schwert gestützt und immer noch nach Luft ringend. »Die haben sicher etwas vor…«

»Wahrscheinlich.« Julias Knie gaben nach, und sie konnte sich gerade noch hinsetzen. Sekunden später hatte sich Rupert zu ihr gesellt. Er warf einen skeptischen Blick auf Hundsgift.

»Ist das Ding gut – als Schwert, meine ich?«

»Ich habe schon schlechtere gesehen.«

Rupert starrte düster auf die Toten, die überall verstreut lagen und nach Fäule und Verwesung stanken. Dann wandte er sich Julia zu und meinte mit einem tiefen Seufzer: »Es muss doch eine bequemere Art geben, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen!«

Julia verzog nur die Mundwinkel; sie war zu schwach, um herzhaft loszulachen. Rupert betrachtete sie genauer und runzelte die Stirn.

»Du bist verletzt, Mädchen!«, sagte er mit rauer Stimme.

»Du auch«, entgegnete Julia. »Und doch bist du mir zu Hilfe gekommen und hast mir das Leben gerettet.«

»Du hättest das Gleiche für mich getan.«

»Wie schlimm ist deine Armwunde?«

»Schlimm genug. Und du – wie fühlst du dich?«

»Beschissen wäre geprahlt.«

Rupert legte ihr den gesunden Arm um die Schultern, und sie ließ den Kopf an seine Brust sinken. Schweigend saßen sie da und genossen es, dass geteilte Schmerzen halbe Schmerzen waren. Rupert wusste, dass er Julia eigentlich zurück zum Heer bringen musste, so lange die Dämonen sie in Ruhe ließen, aber er fand nicht die Kraft dazu.

»Zumindest kann ich meiner Sammlung ein paar neue Narben hinzufügen«, murmelte Julia.

»Das Gleiche gilt für mich.«

Julia hob den Kopf und sah ihn fragend an. »Rupert, diese Schlacht geht nicht gut für uns aus, oder?«

»Bis jetzt ist sie ein Fiasko. Die meisten unserer Leute sind tot oder schwer verwundet. Ohne die Unterstützung des Gro­

ßen Zauberers sind wir nichts als lebende Zielscheiben. Es ist ein Wunder, dass überhaupt jemand davongekommen ist.«

»Rupert… hörst du das?«

»Was?«

»Da draußen ist etwas, Rupert, etwas Gigantisches! Und es kommt auf uns zu.«

Rupert starrte in die Schwärze hinaus und rappelte sich hoch, das Schwert in der Hand. Julia kam ebenfalls mühsam auf die Beine und stützte sich auf Hundsgift. Tief in der Nacht bildete sich ein blasser Schimmer. Es war das gleiche kränkliche Blau, das der Vollmond über ihnen ausstrahlte.

Der blaue Schein kroch langsam aus dem Dunkelwald heran, ein unstetes Leuchten, das sich hob und senkte und ständig seine amorphe Gestalt veränderte. Dämonen raschelten unruhig in den Schatten und wichen tiefer in das Dunkel zurück.

Was zum Henker lauert da draußen?, dachte Rupert. Was kann so entsetzlich sein, dass selbst die Dämonen Angst bekommen? Er erinnerte sich an den monströsen Wurm in der Kupferstadt und trat ein paar Schritte vor, um sich zwischen Julia und die Bedrohung aus der Schwärze zu schieben. Die Überlebenden des Heeres hatten sich hinter die grauenvolle Barrikade zurückgezogen und spähten atemlos in die Finsternis.

Ein tiefer Bass röhrte durch die Nacht, ein lang gezogenes, ohrenbetäubendes Geheul, das von sinnloser, bösartiger Wut erfüllt war. Das Dröhnen hallte noch in Ruperts Schläfen wider, nachdem es einem dumpfen, bedrohlichen Knurren gewichen und dann ganz verstummt war. Rupert warf einen flüchtigen Blick auf die Barrikade aus Toten, entschied jedoch rasch, dass es wenig Sinn hatte, in ihren Schutz zu flüchten. Das Ding, das aus dem Dunkel auf ihn zukam, ließ sich ganz sicher nicht von diesem schwachen Hindernis aufhalten. Er vernahm ein träges, gedämpftes Schlagen, das an das Pochen eines gigantischen Herzens erinnerte und ihm einen Schauder über den Rücken jagte. Er hatte diesen Laut schon einmal gehört, als er mit dem Großen Zauberer vor der Burg eingetroffen war. Der Boden bebte unter seinen Füßen, und wieder spürte er eine Eiseskälte in seinem Innern, als er das Geräusch erkannte: Es waren die schweren, gleichmäßigen Tritte eines Kolosses, der durch die Nacht stapfte und immer näher kam. Der stets gegenwärtige Gestank von Fäule und Verwesung wurde stärker, als der amorphe blaue Schimmer heranwogte, und die Schritte erschütterten die Erde wie Hammerschläge. Das schwebende blaue Licht verharrte schließlich knapp zwanzig Meter von den Verteidigern entfernt, und die Schritte verklangen. Das Licht flackerte kurz auf und umriss die Baumskelette mit seinem grellen Schein, ehe es erlosch und das Grauen preisgab, das es verhüllt hatte.

Obwohl es ganz offensichtlich seit geraumer Zeit tot war, konnte es sich bewegen und seine Umgebung wahrnehmen.

Das stumpfe weiße Fleisch war vertrocknet wie bei einer Mumie und an manchen Stellen so zerfressen, dass die bleichen Knochen zutage traten. In einem breiten Maul saßen riesige Sägezähne, und aus den leeren Augenhöhlen schossen grelle Flammen. Das Monster hatte zwei Arme und zwei Beine, und es konnte aufrecht gehen, aber damit war bereits jegliche Ähnlichkeit mit einem Menschen erschöpft. Ein langer Schwanz mit Widerhaken peitschte zornig hin und her und zerfetzte die morschen Baumstämme in seiner Reichweite. Das Ding war von den Toten auferstanden. Es hatte eine Ewigkeit unter der Erde gelegen, bis es geweckt und erneut zum Töten ausgesandt worden war. Der Boden zitterte unter seinen Füßen, und sein Hass verpestete die Luft.

»Die Schwerter!«, schrie König Johann. »Die Schwerter der Hölle! Sie sind unsere einzige Hoffnung!«

Er stolperte über die Barrikade, dicht gefolgt von Harald.

Das Heer traf Anstalten, sich zu sammeln, aber der König winkte ab. Er trat dem Ungeheuer mit festen Schritten entgegen. Harald, Rupert und Julia nahmen ihre Plätze hinter ihm ein. Das Monster hob den Kopf und verfolgte angespannt jede ihrer Bewegungen. Die Flammen in seinen Augenhöhlen flackerten unruhig. Unvermittelt blieb König Johann stehen, warf dem hoch aufgerichteten Angreifer einen zornigen Blick zu und rammte das Schwert in den Boden. Die Erde wölbte sich auf und barst, stöhnend wie ein verwundetes Tier, aber das Monster wankte nicht einmal. Während der König Felsenbrecher aus dem Erdreich zog, trat Harald vor und schwang Blitzstrahl hoch über den Kopf. Scharlachrote Flammen züngelten die Klinge entlang. Von der Schwertspitze jagte ein Feuerstrahl gegen die Brust des Ungeheuers. Es brüllte in blinder Wut, aber die Hitze konnte seinem toten Fleisch kaum etwas anhaben. Julia packte Hundsgift fester und versuchte, in einem weiten Bogen die linke Flanke des Monsters zu erreichen. Es drehte den Kopf, um ihre Bewegungen zu verfolgen, und Rupert scherte nach rechts aus. Er wusste nicht, was er gegen eine Kreatur ausrichten sollte, die längst tot war – insbesondere, nachdem die Höllenschwerter nicht mehr bewirkt hatten, als die Bestie zu reizen. Aber irgendetwas musste er tun. Die Flammen von Blitzstrahl erloschen plötzlich, als Harald das Schwert senkte, und das Monster taumelte vorwärts. Eine Klauenhand tastete nach Julia, und Hundsgift loderte in einem fahlen Gelb, während es sich in das mumifizierte Fleisch grub. Die Bestie zuckte zurück. Rupert sah, dass Hundsgift die Hand bis zum Knochen durchtrennt hatte. Es floss kein Blut, doch die Wunde stank nach Fäule und Verwesung. Knurrend griff die Kreatur Julia erneut an.

Harald hob Blitzstrahl, und dunkelrote Flammen zwangen den Feind, stehen zu bleiben. König Johann stieß Felsenbrecher in den Boden und ließ die Klinge stecken. Das Schwert leuchtete hell auf, und in der Erde klafften Risse, die sich rasch verbreiterten. Aber immer noch stand das Monster aufrecht da. Julia rannte vorwärts und hieb auf die Beine ein.

Es heulte in mörderischem Zorn, und Julia duckte sich, als eine riesige Klauenhand dicht über ihrem Kopf hinwegsauste.

Wieder tastete die Bestie nach ihr, aber im gleichen Moment kam Rupert von hinten und hieb mit dem Schwert auf den Knöchel des Ungeheuers ein. Die Sehne zerriss mit einem Schnappen wie ein überdehntes Seil, und das Monster röhrte ohrenbetäubend los, als das Bein unter seinem mächtigen Körper einknickte. Es taumelte rückwärts und fiel dann der Länge nach in einen gähnenden Spalt. Das lose Geröll gab wie Treibsand unter Ruperts Füßen nach, und plötzlich merkte er, dass er ebenfalls in die Tiefe schlitterte. Er schleuderte sein Schwert zur Seite, schnellte mit letzter Kraft nach oben und umklammerte mit der gesunden Hand die Bruchkante, während seine Beine frei über dem Abgrund baumelten. Das Erdreich bröckelte unter seinen Fingern weg, doch im nächsten Moment hatte ihn Julia am Handgelenk gepackt und hielt ihn fest, bis er sich hochziehen und auf festen Grund retten konnte.

König Johann zog Felsenbrecher aus dem Boden, und die Erde beruhigte sich wieder. Rupert angelte sich sein Schwert, ehe er mit Julias Hilfe wieder auf die Beine kam. Eine Zeit lang stützten sie sich gegenseitig, weil sie beide Halt und vor allem Trost brauchten. Und dann drang das Echo eines schaurigen, lang gezogenen Brüllens aus der Tiefe herauf. Eine totenbleiche, riesige Hand erschien in dem Spalt und schlug ihre Klauen tief in das Geröll. Der große keilförmige Schädel tauchte über dem Rand der Verwerfung auf. Die Augenhöhlen leuchteten grell auf, als das Monster versuchte, sich aus dem Erdreich zu befreien. Harald sprang vor und stieß ihm Blitzstrahl tief in den Nacken. Blutrote Flammen verzehrten das Fleisch des Ungeheuers. Es heulte laut auf und riss Harald das Schwert aus der Hand, als es den Kopf in Todespein zurückwarf. Flammen züngelten über seinen Schädel, aber es ließ die Grabenkante nicht los. Julia beugte sich vor und rammte ihm Hundsgift bis an den Griff in den Rachen. Das tote weiße Fleisch verfaulte und zerfiel vor ihren Augen, während die Flammen von Blitzstrahl immer höher loderten.

Endlich löste das Monster seine Umklammerung und fiel zusammen mit den beiden Höllenschwertern in den Erdspalt.

Die Bruchkanten schlossen sich, und in der Nacht herrschte wieder Stille.

Rupert stand neben Julia, die wortlos die Stelle anstarrte, wo noch vor kurzem ein Riss im Boden geklafft hatte. »Du hast das Schwert nicht zurückgeholt«, sagte er leise. »Warum?«

»Weil es mich veränderte – auf eine Art und Weise, die mir nicht gefiel«, entgegnete Julia und wandte sich von der aufgewühlten Erde ab.

König Johanns Blicke wanderten über das dezimierte Heer, das sich hinter der Barrikade aus Leichen am Rand des Burggrabens versammelt hatte. Draußen im Dunkelwald hörte er das erste Rascheln und Scharren, das die Rückkehr der Dämonenhorde verkündete. Er starrte in die endlose Schwärze hinaus, und tief im Herzen der Finsternis zeigte sich ein schwacher bläulicher Schimmer, dann noch einer und noch einer. König Johann hob Felsenbrecher, und plötzlich überkam ihn die Versuchung, die ganze Macht des Schwertes in einer endgültigen Geste zu entfesseln, die das Waldkönigreich und alles Leben darin für immer zerstören würde. Der Augenblick verging, und er schüttelte müde den Kopf. Vielleicht kam es ohnehin dazu, und dann brauchte er das Schwert, um den Untergang des Landes zu rächen. Aber noch war es nicht so weit. Er wollte warten, warten, bis keine Hoffnung mehr bestand und die Burg gefallen war. Erst dann wollte er seine Entscheidung treffen. Die Dämonen kamen näher. Der König wandte sich dem wartenden Heer zu.

»Rückzug!«, rief er mit rauer Stimme. »Wir können hier nichts mehr ausrichten. Achtung, Torwache! Lasst die Zugbrücke herunter!«

Vom Bergfried her hörte man schwach das Rasseln und Klirren von Ketten und Gegengewichten, und langsam senkte sich die Zugbrücke über den Burggraben. Müde, gebrochen und besiegt stolperten die Überlebenden des zusammengewürfelten Kämpferaufgebots über die Zugbrücke, so schnell es ihre Wunden und ihre Erschöpfung zuließen. Die Banner lagen zerfetzt und blutgetränkt neben den Toten. Jegliche Zuversicht war verschwunden. Harald und König Johann hatten an der Zugbrücke Aufstellung genommen und versuchten die fliehenden Krieger zu trösten und aufzumuntern. Sie hatten das Heer angeführt und sie wollten die Letzten sein, die den Rückzug antraten. Das erwartete das Volk von ihnen.

Rupert und Julia standen ein wenig abseits, Arm in Arm, die Augen leer vor Erschöpfung. Ein paar Meter von ihnen entfernt spähte der Champion in die Finsternis hinaus. Seine Züge wirkten unbewegt und kalt, und obwohl seine Rüstung mit Blut verkrustet war, hielt er den Rücken gerade und den Kopf hoch erhoben.

Unvermittelt drang ein lautes Getöse aus dem Dunkel, und aus den Schatten kam das Burggraben-Ungeheuer herangestürmt, umringt von Dämonen, die ihm mit Klauen und Fängen zusetzten. Das Ungeheuer schlug wild um sich, aber die Angreifer waren einfach zu zahlreich. Es schleppte sich über die aufgewühlte Erde und stürzte sich in den Graben. Das Eis zersplitterte unter seinem Gewicht und erstarrte sofort wieder, nachdem es im schwarzen Wasser versunken war. Es riss ein gutes Dutzend Dämonen mit in die Tiefe, und kein Einziger tauchte wieder auf.

Neue Dämonenrudel strömten aus dem Dunkel. Die wenigen Männer und Frauen, die sich noch auf der Zugbrücke befanden, gerieten in Panik und flohen Hals über Kopf in die Burg. Harald und der König betraten die Eichenbohlen mit betont gelassenen Schritten, gefolgt von Rupert und Julia.

Der Champion stand allein am Ende der Zugbrücke, die Streitaxt in beiden Händen. Die Dämonen drangen in Scharen aus der langen Nacht. Das blaue Mondlicht schimmerte fahl auf ihren Fängen und Klauen. Mit einem schwachen Lächeln erwartete der Champion ihren Ansturm.

Die Dämonen warfen sich auf ihn, und er wehrte sie lässig ab, mit weiten Schwüngen seiner Streitaxt, die mit Leichtigkeit durch Fleisch und Knochen schnitt. Die Angreifer versuchten in seinen Rücken zu gelangen, um ihn zu umzingeln, rutschten jedoch hilflos auf dem spiegelglatten Eis des Burggrabens aus. Die Zugbrücke bot den einzigen Zugang zur Burg, und diesen Zugang versperrte ihnen der Champion. In einem nicht enden wollenden Strom warfen sie sich auf ihn, doch der Champion rückte nicht von der Stelle und wich keinen Schritt zurück.

Rupert blieb am inneren Burgtor stehen und warf einen Blick zurück. Auf den Böschungen des Burggrabens wuselte es von Dämonen und eine kleine Gruppe der dunklen, grotesken Gestalten versuchte sich an dem belagerten Champion vorbeizuschieben. Er kämpfte tapfer und unermüdlich, aber es war nur eine Frage der Zeit, wann die Dämonen ihn besiegen würden. Rupert ging weiter, und plötzlich war Harald an seiner Seite.

»Was gibt es da draußen noch?«

Rupert deutete nach draußen, und Harald wandte sich rasch ab, um den Wächtern am Torhaus Befehle zu erteilen.

Rupert lief in den Bergfried zurück.

»Sir Champion!«, schrie er verzweifelt. »Die Leute sind alle in Sicherheit! Nun kommen Sie endlich! Die Zugbrücke wird hochgezogen.«

Der Champion hörte ihn nicht. Immer wieder fielen Dämonen unter den Hieben seiner Streitaxt, aber stets drängten neue Horden nach. Es war ein gutes Gefühl, zu kämpfen, sich als Champion zu beweisen, jene zu töten, die das Reich bedrohten. Die Dämonen griffen pausenlos an, und er begegnete ihnen mit kaltem Stahl und einem kalten Lächeln. Er wusste, dass er in diesem Kampf den Tod finden würde, aber das war ihm völlig gleichgültig. Die Residenz brauchte ihn, und das genügte. Er schwang die mächtige Axt, als wäre sie schwerelos, und mähte die Dämonen nieder wie überreifen Weizen.

Das Blut der Gegner spritzte hoch auf, und das Ende der Zugbrücke war übersät von Leichenteilen. Der Champion kämpfte weiter, ein Mann gegen ein Heer, bis sich der Ansturm des Heers verlangsamte und zum Stillstand kam.

Aber am Ende war er doch nur ein Mann, und kein Einzelkämpfer kann es lange gegen ein Heer aufnehmen. Die Dämonen durchdrangen seinen Panzer immer öfter und zerfleischten ihn mit ihren Klauen und Fängen. Er spürte weder die Wunden noch das Blut, das ihm über die Flanken und Beine lief. Die Burg stand unter seinem Schutz. Er dachte nicht daran, die Flucht zu ergreifen.

Er würde nie wieder davonlaufen.

Die Dämonen warfen sich auf ihn und rissen ihn zu Boden.

Er spürte die Klauen nicht, die ihm an die Kehle fuhren, und versuchte noch im Sterben die Streitaxt zu schwingen. Die Dämonen überrannten ihn und stürmten über die Zugbrücke zum Bergfried.

Es bleibt keine Zeit mehr, das Fallgitter zu senken, dachte Rupert plötzlich, und die Dämonen werden hier sein, ehe die Männer die Tore geschlossen und verriegelt haben… es sei denn, jemand hält die Angreif er auf…

Er rannte durch den Bergfried auf die Dämonen zu, das Schwert hoch erhoben. Es reichte, wenn er sie ein paar Minuten aufhielt, bis die Tore fest verrammelt waren. Rupert hatte den Rand der Zugbrücke erreicht, und die Vorhut der Dämonen sprang ihn an. Er mähte sie mit schnellen, wilden Hieben nieder. Warum ich?, dachte er verbittert.

Warum trif f t es immer mich? Und dann rollte die Hauptwoge der Dämonen heran. Die Angreifer blieben unvermittelt stehen, als er ihnen mit drohend erhobenem Schwert den Weg versperrte.

»Schließt die Tore!«, schrie er heiser. »Schließt die verdammten Tore!«

Die Dämonen stürzten sich mit Klauen und Fängen auf ihn. Die Schmerzen trieben ihm Tränen in die Augen, aber noch konnte er die Horde zurückhalten. Ein paar Minuten, nicht mehr als ein oder zwei Minuten, dann wäre es geschafft! Julia, mein Mädchen, wenn wir nur etwas mehr Zeit f ür uns gef unden hätten… Und dann stürmten die Dämonen über ihn hinweg und rissen ihn zu Boden. Er hielt verzweifelt sein Schwert fest.

Im Hof standen Harald und eine Hand voll Wachen bereit, die schweren Eisenbolzen vorzuschieben, sobald die Männer an der großen Winde die Tore ganz geschlossen hätten. Julia lehnte an der inneren Südmauer und starrte benommen umher.

»Rupert? Wo bist du, Rupert?«

Sie richtete sich auf, als sie merkte, dass er nicht mehr neben ihr war, und ließ den Blick rasch über die Menschenmenge auf dem Burghof schweifen. Er war nirgends zu sehen.

Eiskalte Panik erfasste sie. Sie stieß sich von der Mauer ab und ging taumelnd auf Harald zu. Er wusste sicher, wo sich Rupert befand. Und dann blieb sie wie angewurzelt stehen, als sie einen Blick durch den Spalt der sich langsam schlie­

ßenden Torflügel warf und mitansehen musste, wie die Dämonen Rupert überrannten. Julia eilte zu Harald hinüber und packte ihn am Arm.

»Lass das Tor offen! Rupert ist noch draußen!«

»Er ist so gut wie tot«, sagte Harald mit rauer Stimme. »Er hat sein Leben geopfert, um uns die nötige Zeit zum Schlie­ßen der Tore zu verschaffen. Jetzt hilf mir, die Bolzen vorzuschieben, oder geh aus dem Weg!«

»Du wolltest, dass er da draußen umkommt!«, schrie Julia ihn an, riss ihr altes Schwert aus der Scheide und lief durch den Torspalt in den Bergfried hinaus. Schritte waren hinter ihr zu hören, und als sie sich umdrehte, sah sie, dass König Johann ihr dicht auf den Fersen folgte, das Höllenschwert Felsenbrecher in der Hand. Sie hatten gerade noch Zeit, ein kurzes Lächeln zu tauschen, ehe die Dämonen auf sie eindrangen. Die ersten Gegner fielen unter Julias zornigen Hieben, und die wenigen, die ihr entkamen, waren eine leichte Beute für Felsenbrecher. Julia schwang ihre Klinge mit beiden Händen, und ein Dämon krümmte sich mitten in der Luft, vergeblich bemüht, die klaffende Wunde, die sie ihm zugefügt hatte, mit den Händen zusammenzupressen. Er fiel zappelnd zu Boden, und die Prinzessin stieß ihn mit dem Fuß zur Seite, während sie sich durch den schmalen Tortunnel zu der Stelle vorkämpfte, wo Rupert zu Boden gestürzt war. Der König war neben ihr und hieb mit seinem Zauberschwert einen breiten Pfad durch die Angreifer, aber ein rascher Seitenblick verriet Julia, dass er am Ende seiner Kräfte war. Sie zwangen die Gegner Schritt für Schritt zurück auf die Zugbrücke, bis sie auf die kleine Gruppe von Dämonen stießen, die sich auf Rupert geworfen hatte. Die Monster flohen in alle Richtungen, als Julia und der König auf sie eindrangen.

Eine hoch gewachsene, blutüberströmte Gestalt richtete sich mühsam auf und wankte ihnen entgegen. Der linke Arm hing schlaff herunter, aber mit der rechten Hand hielt Rupert immer noch das Schwert umklammert. Er wischte sich das Blut aus dem Gesicht und bedachte Julia mit einem leicht verzerrten Grinsen.

»Das hat aber gedauert«, meinte er vorwurfsvoll und durchbohrte einen Dämon, der sich zwischen ihn und die Prinzessin schob.

Julia trat lachend neben ihn und schwang ihre Klinge mit wildem Ungestüm, ohne auch nur eine Sekunde an die eigene Sicherheit zu denken. Der Strom der Dämonen riss nicht ab, während Rupert, Julia und der König sich Schritt für Schritt durch den Korridor des Bergfrieds zurückzogen. Blut spritzte gegen die Mauersteine und lief die Wände entlang zu Boden.

Julia drehte sich kein einziges Mal nach dem Burgtor um. Sie glaubte zwar nicht, dass die Wachen die Torflügel verrammeln würden, ehe sich der König ins Innere der Burg gerettet hatte, aber falls sie es doch getan hatten, wollte sie es lieber nicht wissen. Sie hatte beschlossen, weiter zu kämpfen, so lange noch ein Funke Hoffnung bestand. Es gibt schlimmere Todesarten, als bei einer Rettungsaktion f ür den Geliebten zu sterben, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf, und sie merkte, dass sie wie eine Torin grinste, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Rupert, mein Freund, wir haben zu viel gemeinsam durchgestanden, als dass ich dich jetzt verlieren möchte!

Zauberfeuer erhellte plötzlich die Nacht, explodierte inmitten der Dämonen und trieb sie auseinander. Blitze zuckten und züngelten über das Mauerwerk des Bergfrieds und versengten die Angreifer, die nicht schnell genug die Flucht ergriffen. Rupert drehte sich um und sah eine einsame, hell erleuchtete Gestalt in dem schmalen Spalt zwischen den fast geschlossenen Torflügeln stehen. Das Licht war so gleißend, dass er sich abwenden musste, doch er spürte ringsum das Pulsieren der Hohen Magie und wusste, wer sich hinter dem Glanz verbarg. Julia umklammerte seinen unversehrten Arm und schob ihn zum Tor.

»Der Champion«, murmelte er mit belegter Stimme.

»Er ist tot, mein Junge«, sagte der König, der ihn von der anderen Seite zu stützen versuchte. »Wir können ihn nicht einmal begraben, weil die Dämonen nichts von ihm übrig ließen.«

Gemeinsam schleppten Julia und der König Rupert zurück zum inneren Tor, während das grelle Zauberfeuer die Dämonenhorde immer wieder zurückwarf. Schmutziger Rauch stieg von den toten Angreifern auf, die sich vor dem Bergfried türmten und den Eingang blockierten. Julia und der König zerrten Rupert durch den schmalen Spalt in den Burghof. Die gleißende Gestalt folgte ihnen, und mit einem lauten Dröhnen schloss sich das schwere Eichentor. Harald und die Wachleute schoben die Eisenriegel vor und errichteten in aller Hast Barrikaden.

Rupert brach an der Ostmauer zusammen, und Julia hatte nicht mehr die Kraft, ihn festzuhalten. Er blieb reglos auf dem Kopfsteinpflaster liegen. Blut strömte aus seinen Wunden und sammelte sich in einer Pfütze, die immer größer wurde. Julia kauerte auf dem Boden nieder, bettete seinen Kopf in ihrem Schoß und ließ ihren Tränen freien Lauf. König Johann saß in ihrer Nähe, den Rücken gegen die Mauer gepresst, und ließ müde den Kopf nach vorn sinken. Felsenbrecher lag unbeachtet neben ihm. Die helle Gestalt kam langsam auf sie zu, und als ihr Gleißen erlosch, erkannten sie den Großen Zauberer. Seine Züge waren von Erschöpfung gezeichnet, seine Haare vollkommen grau.

Draußen hämmerten die Dämonen gegen die Eichenbohlen, bis sie wie eine riesige, unirdische Kesselpauke dröhnten.

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