4 Berems Geschichte

»Tanis!« rief Caramon.

Berem! Plötzlich erinnerte sich Tanis, was er getan hatte, wandte sich um und stolperte auf Caramon und Tika zu, die entsetzt auf den blutverschmierten Stein starrten, an dem Berems Leichnam gelegen hatte. Während sie zusahen, begann Berem sich zu rühren, zu stöhnen – nicht vor Schmerz, sondern von der Erinnerung an den Schmerz. Mit einer zitternden Hand an seiner Brust erhob sich Berem langsam. Auch die Blutspuren an seinem Körper verschwanden allmählich.

»Er wird auch Ewigan genannt, erinnerst du dich?« fragte Tanis den aschgrauen Caramon. »Sturm und ich haben ihn in Pax Tarkas sterben gesehen, vergraben unter Tonnen von Steinen. Er ist schon unzählige Male gestorben, nur um wieder zum Leben zu erwachen. Und er behauptet, den Grund dafür nicht zu kennen.« Tanis trat dicht zu Berem, starrte den Mann an, der ihn widerspenstig und argwöhnisch musterte.

»Aber du weißt es, nicht wahr, Berem?« fragte Tanis. Die Stimme des Halb-Elfen war sanft und ruhig. »Du weißt es«, wiederholte er, »und du wirst es uns erzählen. Das Leben vieler kann davon abhängen.«

Berem senkte seinen Blick. »Es tut mir leid... wegen deines Freundes«, murmelte er. »Ich... ich habe versucht, ihm zu helfen, aber es gab nichts...«

»Ich weiß.« Tanis schluckte. »Es tut mir leid... was ich getan habe. Ich... konnte nicht sehen... Ich habe nicht verstanden...«

Aber während er diese Worte sprach, erkannte Tanis, daß er log. Er hatte gesehen, aber er hatte nur das gesehen, was er sehen wollte. Wie viele Situationen in seinem Leben waren so gewesen? Wieviel von dem, was er gesehen hatte, war von ihm verzerrt worden? Er hatte Berem nicht verstanden, weil er Berem nicht verstehen wollte! Berem verkörperte für Tanis tatsächlich all jene dunklen und geheimen Dinge, die er an sich selbst haßte. Er hatte Berem getötet, das wußte der Halb-Elf, aber in Wirklichkeit hatte er das Schwert in seinen eigenen Körper getrieben.

Und jetzt schien es, als ob diese Schwertwunde das schädliche, brandige Gift, das seine Seele verdarb, ausgespuckt hätte.

Jetzt konnte die Wunde heilen. Die Trauer um Flints Tod war wie ein lindernder Balsam, der ihn an die Rechtschaffenheit, an die höheren Werte erinnerte. Endlich fühlte Tanis sich von den dunklen Schatten seiner Schuld befreit. Was immer auch geschehen war, er hatte immer sein Bestes getan, um zu helfen und die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Er hatte Fehler begangen, aber er konnte sich jetzt vergeben.

Vielleicht sah Berem dies in Tanis' Augen. Gewiß sah er Trauer, sah Mitgefühl. Dann sagte Berem plötzlich: »Ich bin müde, Tanis.« Seine Augen waren auf die vom Weinen geröteten Augen des Halb-Elfen gerichtet. »Ich bin so müde.« Sein Blick fuhr zu dem schwarzen Steinbecken. »Ich... ich beneide deinen Freund. Er hat jetzt seine Ruhe. Er hat Frieden gefunden. Darf ich das niemals haben?« Berem ballte seine Fäuste, dann erschauderte er und vergrub seinen Kopf in seinen Händen. »Aber ich habe Angst! Ich sehe das Ende – es ist sehr nahe. Und ich habe Angst!«

»Wir haben alle Angst.« Tanis seufzte, rieb seine brennenden Augen. »Du hast recht – das Ende ist nahe, und es scheint voller Dunkelheit zu sein. Du trägst in dir die Antwort, Berem.«

»Ich... ich werde euch sagen... was ich weiß«, sagte Berem zögernd, als ob die Worte aus ihm herausgezogen würden.

»Aber ihr müßt mir helfen!« Seine Hand klammerte sich um Tanis'. »Ihr müßt versprechen, mir zu helfen!«

»Ich kann es nicht versprechen«, sagte Tanis streng, »bis ich nicht die Wahrheit weiß.«

Berem setzte sich und lehnte seinen Rücken an den blutverschmierten Stein. Die anderen setzten sich zu ihm, zogen ihre Umhänge enger um sich, da Wind aufkam und an den Gebirgsseiten herunterpfiff und zwischen den seltsamen Findlingen heulte. Sie hörten sich Berems Geschichte an, ohne ihn zu unterbrechen, nur Tolpan wurde gelegentlich von einem Weinanfall geschüttelt und schneuzte sich leise; sein Kopf ruhte an Tikas Schulter.

Zuerst war Berems Stimme leise, seine Worte kamen widerstrebend. Manchmal sahen sie, wie er mit sich kämpfte, dann wieder stieß er die Worte aus, als ob sie schmerzen würden.

Aber allmählich sprach er schneller und schneller, die Erleichterung, nach all den Jahren endlich die Wahrheit zu erzählen, überflutete seine Seele.

»Als... als ich sagte, ich würde verstehen, wie du«, er nickte Caramon zu, »dich fühlst... einen Bruder verloren zu haben, meinte ich es ernst. Ich... ich hatte eine Schwester. Wir... wir waren keine Zwillinge, aber wir waren vermutlich so verbunden wie Zwillinge. Sie war nur ein Jahr jünger als ich. Wir lebten abgeschieden auf einem kleinen Bauernhof außerhalb von Neraka. Keine Nachbarn. Meine Mutter brachte uns zu Hause Lesen und Schreiben bei, es reichte, um durchzukommen. Wir haben überwiegend auf dem Hof gearbeitet. Meine Schwester war mein einziger Gefährte, mein einziger Freund. Und ich war es für sie.

Sie hat schwer gearbeitet – zu schwer. Nach der Umwälzung blieb uns nichts anderes übrig, damit wir etwas zu essen hatten.

Unsere Eltern waren alt und krank. Im ersten Winter wären wir beinahe verhungert. Egal, was ihr über die Hungerzeiten gehört habt, ihr könnt es euch nicht vorstellen.« Seine Stimme erstarb, seine Augen verdunkelten sich. »Ausgehungerte Rudel wilder Bestien und herumirrende Haufen von Männern streiften durch das Land. Da wir abgeschieden lebten, hatten wir mehr Glück als manch andere. Aber viele Nächte blieben wir auf, Prügelstöcke in unseren Händen, wenn die Wölfe um das Haus schlichen und warteten... Ich beobachtete meine Schwester, ein hübsches kleines Ding, wie sie alt wurde, bevor sie zwanzig Jahre alt war. Ihr Haar war so grau wie meines jetzt, ihr Gesicht verhärmt und runzlig. Aber sie hat sich nie beklagt.

In jenem Frühling wurde es nicht viel besser. Aber zumindest hatten wir Hoffnung, so sagte jedenfalls meine Schwester. Wir konnten Samen setzen und ihnen beim Wachsen zusehen. Wir konnten auf die Jagd gehen, da das Wild mit dem Frühling zurückgekehrt war. Es würde genug zu essen geben. Sie liebte die Jagd. Sie konnte gut mit Pfeil und Bogen umgehen, und sie war alles andere als ein Stubenhocker. Wir gingen oft gemeinsam weg. An jenem Tag...«

Berem stockte. Er schloß die Augen, schüttelte sich, als ob ihm eiskalt wäre. Dann biß er seine Zähne zusammen und fuhr fort.

»An jenem Tag gingen wir weiter als üblich. Ein durch ein Blitz entstandenes Feuer hatte das Unterholz weggebrannt, und wir stießen auf einen Pfad, den wir niemals zuvor gesehen hatten. Wir hatten beim Jagen kein Glück gehabt und folgten dem Pfad, hofften, Wild zu finden. Aber nach einer Weile sah ich, daß es kein Tierpfad war. Es war ein uralter Pfad, von Menschen geschaffen; er war seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Ich wollte umkehren, aber meine Schwester wollte weitergehen, neugierig, wohin er uns führen würde.«

Berems Gesicht verkrampfte sich zunehmend. Einen Moment lang befürchtete Tanis, daß er mit seiner Geschichte aufhören würde, aber Berem fuhr wie im Fieber, wie angetrieben, fort.

»Er führte uns zu einem... einem seltsamen Platz. Meine Schwester sagte, daß dort früher ein Tempel gestanden haben müßte, ein Tempel für die bösen Götter. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß dort zerbrochene Säulen herumlagen, überwuchert von Unkraut. Sie hatte recht. Dieser Platz hatte etwas Verruchtes, und wir hätten umkehren sollen. Wir hätten diesen bösen Platz verlassen sollen...« Berem wiederholte diesen Satz mehrere Male. Dann fiel er in Schweigen.

Niemand bewegte sich oder sprach, und nach einem Moment redete er so leise weiter, daß die anderen gezwungen waren, näherzurücken, um ihn zu verstehen. Und da wurde ihnen allmählich bewußt, daß er vergessen hatte, daß sie da waren oder wo er überhaupt war. Er war in jene Zeit zurückgekehrt.

»Aber in diesen Ruinen gibt es einen wunderschönen, wunderschönen Gegenstand: den Sockel einer umgestürzten Säule, mit Juwelen übersät!« Berems Stimme wurde vor Ehrfurcht leise. »Niemals habe ich solch eine Schönheit gesehen! Oder solch einen Reichtum! Wie kann ich das zurücklassen? Nur ein Juwel! Ein Juwel wird uns reich machen! Wir könnten in die Stadt ziehen! Meine Schwester wird Freier haben, so wie sie es verdient. Ich... ich falle auf die Knie und hole mein Messer hervor. Da ist ein Juwel – ein grüner Juwel -, der so hell in der Sonne glänzt! So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen! Den will ich. Ich stoße die Messerklinge in den Stein unterhalb des Juwels und fange an, ihn herauszugraben. Meine Schwester schreit mich an, aufzuhören. ›Dieser Ort ist heilig‹, bittet sie. ›Die Juwelen gehören einem Gott. Das ist Entweihung, Berem!‹«

Berem schüttelte den Kopf, sein Gesicht verdüsterte sich in der Erinnerung an die Wut.

»Ich ignoriere sie, obgleich ich eine Eiseskälte im Herzen spüre, als ich den Juwel herausschneide. Aber ich sage ihr, ›Wenn er den Göttern gehört, so haben sie ihn verlassen, so wie sie uns verlassen haben!‹ Aber sie hört nicht zu.«

Berems Augen flackerten auf, sie waren nun kalt und beängstigend anzusehen. Seine Stimme kam aus weiter Ferne.

»Sie packt mich! Ihre Fingernägel graben sich in meinen Arm. Es tut weh!

›Hör auf, Berem!‹ befiehlt sie mir – mir, ihrem älteren Bruder! ›Ich werde dich nicht entweihen lassen, was den Göttern gehört!‹

Wie kann sie es wagen, so mit mir zu reden? Ich tue es doch für sie! Für unsere Familie! Sie soll mir nicht in die Quere kommen! Sie weiß, was passieren kann, wenn ich rasend werde. Etwas bricht in meinem Kopf entzwei, durchflutet mein Gehirn.

Ich kann weder denken noch sehen. Ich schreie sie an, ›Laß mich in Ruhe!‹ Aber ihre Hand greift nach meiner Hand, in der ich das Messer halte, so daß die Klinge verrutscht und den Juwel kratzt.«

Berems Augen blitzten in einem wahnsinnigen Licht auf. Caramon legte verstohlen seine Hand an seinen Dolch, als sich die Hände des Mannes zu Fäusten zusammenballten und seine Stimme zu einem fast hysterischen Ton anstieg.

»Ich... ich schubse sie... nicht grob.... ich wollte sie nicht grob schubsen! Sie fällt! Ich will sie auffangen, aber ich kann nicht. Ich bewege mich zu langsam, zu langsam. Ihr Kopf... prallt gegen die Säule, direkt in einen scharfgeschnittenen Stein«, Berem berührte seine Schläfe, »Blut bedeckt ihr Gesicht, breitet sich über die Juwelen aus. Sie glänzen nicht mehr. Ihre Augen glänzen auch nicht mehr. Sie starren mich an, können mich aber nicht sehen. Und dann... dann...«

Sein Körper bewegte sich zuckend. »Es ist ein entsetzlicher Anblick, ich sehe es immer wieder, sobald ich meine Augen zum Schlafen schließe. Es ist wie bei der Umwälzung, nur da wurde alles zerstört! Dies ist eine Schöpfung, aber eine schauderhafte, verruchte Schöpfung! Der Boden spaltet sich! Riesige Säulen beginnen sich vor meinen Augen zu bilden. Ein Tempel steigt aus einer entsetzlichen Dunkelheit unterhalb des Bodens hervor. Aber es ist kein schöner Tempel – er ist schrecklich und verunstaltet. Vor mir erhebt sich Dunkelheit, eine Dunkelheit mit fünf Köpfen, alle verzerrt und verkrümmt. Die Köpfe sprechen zu mir mit einer Stimme, die kälter als das Grab ist.

›Vor langer Zeit wurde ich von dieser Welt verbannt, aber mir wurde gestattet, durch einen Teil der Welt wieder einzutreten. Diese mit Edelsteinen versehene Säule war für mich eine verschlossene Tür, die mich gefangen hielt. Du hast mich befreit, Sterblicher, und darum erfülle ich deinen Wunsch – der grüne Edelstein gehört dir!‹

Dann ertönt ein schreckliches, höhnisches Gelächter. Ich spüre einen starken Schmerz in meiner Brust. Als ich hinabsehe, ist der grüne Juwel in mein Fleisch eingebettet, so wie ihr ihn jetzt seht. Entsetzt über das fürchterliche Unheil, gelähmt durch meine ruchlose Tat, kann ich nichts weiter tun, als zu starren, während die dunkle, schattige Form immer deutlicher wird. Es ist ein Drache! Ich kann ihn nun sehen – ein fünfköpfiger Drache, so wie ich es in Alpträumen erlebt habe, als ich noch ein Kind war!

Und dann weiß ich, daß wir alle dem Untergang geweiht sind, sobald der Drache die Welt betritt. Denn ich verstehe zumindest, was ich getan habe. Es ist die Königin der Finsternis! Vor langer Zeit von dem großen Huma verbannt, hat sie lange nach einer Rückkehr gesucht. Jetzt – durch meine Dummheit – wird sie wieder in der Lage sein, durch das Land zu gehen. Einer der riesigen Köpfe schlängelt sich zu mir, und ich weiß, ich werde sterben, denn sie darf niemanden dulden, der ihre Rückkehr bezeugen kann. Ich sehe die messerscharfen Zähne. Ich kann mich nicht bewegen. Ich wage es nicht.Und plötzlich steht meine Schwester vor mir! Sie lebt, aber als ich versuche, sie anzufassen, berühren meine Hände nichts. Ich schreie ihren Namen: ›Jasla!‹

›Lauf, Berem!‹ ruft sie. ›Lauf! Sie kann nicht an mir vorbei, noch nicht! Lauf!‹

Einen Moment stehe ich wie erstarrt da. Meine Schwester stellt sich zwischen mich und die Dunkle Königin. Entsetzt sehe ich, wie die fünf Köpfe vor Wut zurückschrecken, ihre Schreie reißen sich durch die Luft. Aber sie können nicht an meiner Schwester vorbei. Und während ich zusehe, beginnt die Gestalt der Königin zu schwanken und zu verblassen. Aber sie ist noch da, eine schattenhafte Gestalt des Bösen, aber nicht mehr. Trotzdem ist ihre Macht groß. Sie stürzt sich auf meine Schwester ... Und dann drehe ich mich um und laufe. Ich laufe und laufe, der grüne Juwel brennt wie ein Feuer in meiner Brust. Ich laufe, bis alles schwarz wird.«

Berem hatte aufgehört zu sprechen. Schweiß lief über sein Gesicht, als ob er wirklich tagelang gerannt wäre. Keiner der Gefährten sagte ein Wort. Es war, als ob diese düstere Geschichte sie alle in Steine verwandelt hätte, so wie die Findlinge um das schwarze Becken.

Schließlich holte Berem zitternd Luft.

»Es folgt eine lange Zeit in meinem Leben, über die ich nichts weiß. Als ich wieder zu mir kam, war ich gealtert, so wie ihr mich jetzt seht. Zuerst redete ich mir ein, daß alles nur ein Alptraum war, ein entsetzlicher Traum. Aber dann spürte ich den grünen Juwel in meinem Fleisch brennen, und ich wußte, es war Wirklichkeit. Ich hatte keine Vorstellung, wo ich war. Wahrscheinlich bin ich auf meinen Wanderungen kreuz und quer durch Krynn gereist. Ich sehnte mich so entsetzlich danach, nach Neraka zurückzukehren. Aber ich wußte, das war der Ort, zu dem ich niemals gehen würde. Ich hatte nicht den Mut.

Wieder wanderte ich lange Jahre, unfähig, Frieden zu finden, unfähig, zur Ruhe zu kommen. Ich starb, nur um wieder zum Leben zu erwachen. Überall, wo ich hinkam, hörte ich Geschichten über böse Dinge, die im ganzen Land geschahen, und ich wußte, daß es meine Schuld war. Und dann kamen die Drachen und die Drachenmänner. Ich allein wußte, was sie bedeuteten. Ich allein wußte, daß die Königin den Gipfel ihrer Macht erreicht hatte und versuchte, die Welt zu erobern. Aber etwas fehlt ihr noch, und das bin ich. Warum? Ich bin mir nicht sicher. Ich fühle mich wie jemand, der versucht, eine Tür zu schließen, die ein anderer mit Gewalt offenzuhalten versucht. Und ich bin müde...«

Berems Stimme versagte. »So müde«, sagte er, er ließ seinen Kopf in die Hände sinken. »Ich will dem ein Ende bereiten!«

Die Gefährten saßen lange Zeit schweigend da, versuchten, eine Geschichte zu verstehen, die sich wie eine Geschichte anhörte, die ein altes Kindermädchen in den düsteren Stunden der Nacht erzählt haben könnte.

»Was mußt du tun, um diese Tür zu schließen?« fragte Tanis.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Berem leise. »Ich weiß nur, daß es mich nach Neraka zieht, obwohl es der einzige Ort auf Krynn ist, den ich nicht zu betreten wage! Darum... darum bin ich fortgelaufen.«

»Aber du wirst Neraka betreten«, sagte Tanis langsam und entschlossen. »Du wirst mit uns Neraka betreten. Wir werden bei dir sein. Du wirst nicht allein sein.«

Berem erschauerte und wimmerte kopfschüttelnd. Dann plötzlich hörte er auf und sah mit gerötetem Gesicht auf. »Ja!« schrie er. »Ich kann es nicht mehr ertragen! Ich gehe mit euch! Ihr werdet mich beschützen...«

»Wir werden unser Bestes tun«, murmelte Tanis, während er zu Caramon sah, der seine Augen verdrehte und dann wegschaute. »Wir sollten hier lieber den Ausgang suchen.«

»Ich habe ihn gefunden.« Berem seufzte. »Ich war fast durch, als ich den Zwerg schreien hörte. Dieser Weg.« Er zeigte zu einem weiteren schmalen Spalt in den Felsen. Caramon seufzte, blickte trübselig auf seine Kratzer an den Armen. Wieder krochen die Gefährten einzeln durch die Öffnung.

Tanis ging als letzter. Er drehte sich um und warf noch einmaleinen Blick auf den verlassenen Ort. Die Dunkelheit brach schnell herein, der azurblaue Himmel färbte sich purpurn und dann schwarz. Die seltsamen Findlinge wurden in die zunehmende Finsternis eingehüllt. Das dunkle Steinbecken, in dem Fizban verschwunden war, konnte er längst nicht mehr erkennen.

Es war ein merkwürdiger Gedanke, daß Flint tot war. Er spürte in sich eine tiefe Leere. Er erwartete immer, die murrende Stimme des Zwerges zu hören, die sich über unzählige Schmerzen und Wehwehchen beklagte oder mit dem Kender stritt.

Einen Moment lang kämpfte Tanis mit sich, hielt seinen Freund fest, solange er konnte. Dann ließ er Flint los. Er drehte sich um, kroch durch den schmalen Spalt in den Felsen und verließ die Heimat der Götter, die er niemals wiedersehen sollte.

Als sie wieder draußen waren, folgten sie einem Pfad, bis sie auf eine kleine Höhle stießen. Hier kauerten sie sich zusammen, wagten kein Feuer anzuzünden, da sie sich in der Nähe von Neraka befanden, dem Machtzentrum der Drachenarmeen. Eine Zeitlang sprach keiner, dann begannen sie alle über Flint zu reden – ließen ihn los, wie Tanis es getan hatte. Es waren gute Erinnerungen an Flints reiches, abenteuerliches Leben.

Sie lachten herzlich, als Caramon die Geschichte des verheerenden Ausflugs erzählte – wie er ein Boot bei dem Versuch umgekippt hatte, einen Fisch mit den Händen zu fangen, und Flint dabei ins Wasser gefallen war. Tanis erinnerte sich, wie Tolpan und der Zwerg sich kennengelernt hatten, als Tolpan »zufällig« mit einem Armband weggegangen war, das Flint angefertigt hatte und auf einem Jahrmarkt verkaufen wollte. Tika erinnerte sich an die wundervollen Spielsachen, die er für sie gemacht hatte. Sie erinnerte sich an seine Herzensgüte, als ihr Vater verschwunden war, wie er das junge Mädchen in sein Haus aufgenommen hatte, bis Otik ihr einen Platz zum Leben und zum Arbeiten gegeben hatte.

All diese und noch mehr Erinnerungen erzählten sie sich, biszum Ende des Abends der bittere Stachel ihrer Trauer verschwunden war und nur noch der Schmerz des Verlustes zurückblieb.

Das heißt – für die meisten von ihnen.

Später, in den stillen Stunden der Nacht, saß Tolpan draußen am Höhleneingang und starrte in die Sterne. In seinen kleinen Händen hielt er Flints Helm, während Tränen über sein Gesicht liefen.

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