1 Die Einladung

AC. 288, Vorfrühling

»Flint Feuerschmied aus Solace, Zwerg und Schmiedemeister, auf Einladung der Stimme der Sonne!« ertönte eine Stimme.

Flint spähte mißtrauisch durch die vergoldeten Türen, die sich vor ihm auftaten, doch dann weiteten sich seine stahlblauen Augen vor Erstaunen, als sein Blick nach oben wanderte – und immer weiter nach oben. Er bestaunte die weißen Marmorwände, die sich ohne die Hilfe von Säulen, Stützen oder Verstrebungen fast sechshundert Fuß bis zur gewölbten Decke erhoben. In Flints Augen wirkte die Kuppel fast so fern wie der Himmel selbst, und dieser Eindruck wurde auch noch durch ein glitzerndes Mosaik in der Kuppel verstärkt, das auf der einen Seite die Nacht, auf der anderen den Tag darstellte. Die beiden Bereiche waren durch einen durchscheinenden Regenbogen getrennt. Schon beim Anblick des enormen Turms wurde ihm schwindlig. Flint fiel die Kinnlade herab, und seine Augen tränten, als er sie zusammenkniff und das Mosaik dort oben genauer betrachtete, bis ihn das höfliche Hüsteln des Dieners, der ihn angekündigt hatte, wieder in die Gegenwart zurückrief.

»Feuerschmied, benimm dich nicht wie ein Tourist«, schalt der Zwerg sich leise. »Alles wird denken, daß du noch nie aus Hügelheim herausgekommen bist.« Das winzige Dorf seiner Geburt lag weit im Süden des Elfenlands. Er richtete sich auf, strich die blaugrüne Tunika glatt und ging weiter in den Saal hinein. Ein Dutzend Höflinge in knielangen, braunen, grünen und rostroten Tuniken mit Silbergürtel drehte sich nach ihm um, als seine eisenbeschlagenen Stiefel, die im Kampf so praktisch waren, über den Marmorboden donnerten. Die weichen Schuhe seines Begleiters glitten dagegen fast geräuschlos über den Marmor. Flint versuchte, auf Zehenspitzen zu gehen, was in Stiefeln ein schwieriges Unterfangen ist. Er merkte, wie sich auf dem Gesicht seines Begleiters ein leises Grinsen abzeichnete. Die mandelförmigen, braunen Augen schauten freundlich. Ein paar Höflinge lächelten, doch die meisten Elfen verzogen keine Miene, als wäre ihr Gesicht aus dem Eis der Polkappe im Süden geschnitzt.

Die Qualinesti-Elfen im Westen stammten von den Silvanesti-Elfen ab, die viele Wochen entfernt im Osten lebten. Vor fast zweitausendfünfhundert Jahren hatten sich die westlichen Elfen von ihren östlichen Verwandten getrennt und waren unter der Führung des Helden Kith-Kanan in einen abgelegenen Wald an der Grenze des Zwergenkönigreichs Thorbardin gezogen. Die Qualinesti-Elfen hatten sich mit den Zwergen von Thorbardin zusammengetan, um den Sonnenturm zu bauen. Auch beim Bau von Pax Tarkas, einer mächtigen Festung zwischen den beiden Königreichen, hatten sie zusammengewirkt und die Festung über eintausendfünfhundert Jahre lang gemeinsam bemannt, bis sich die Elfen zur Zeit der Umwälzung vor drei Jahrhunderten – zu Lebzeiten von Flints Großvater – nach Qualinost zurückgezogen hatten.

Seitdem hatte kein Nichtelf die Hauptstadt von Qualinesti betreten.

Ein Zischen rief Flints Gedanken in die Gegenwart zurück. »Die Umgebung ist etwas gewaltig für einen Zwerg.« Die Worte, die Flint aufmerken ließen, stammten von einem hochgewachsenen Elfen, der links von dem Zwerg an einem Pfeiler stand. Die silbergraue Robe des Elfen paßte perfekt zu seinem weißen Haar, das ein starres Gesicht umrahmte; seine Lippen hatte der alte Elf verächtlich geschürzt.

Flint blieb stehen, überlegte und sprach den Elfen an, der ihn so empört anblickte, wie es mitunter Leute tun, die aufgrund ihres hohen Alters glauben, daß sie jederzeit ungestraft ihre Ansichten kundgeben dürfen. »Sind wir uns schon einmal begegnet, Sir?« erkundigte sich Flint mit leiser Stimme. »Wenn nicht, dann kommt es mir so vor, daß Eure Ansicht auf mangelndem Wissen beruht.« Er legte die Hand auf die Streitaxt an seinem Gürtel.

Ein blaues und ein braunes Augenpaar begegneten sich einen Moment lang und rangen miteinander, dann bemerkten Elf und Zwerg, daß die anderen Höflinge sie angafften. Der Elf machte auf dem Absatz kehrt und verließ lautlos den Turm.

»Wer war das?« fragte Flint seinen Begleiter in etwas zu lautem Flüsterton.

Die Stimme des Dieners war kaum hörbar. »Lord Xenoth, der die Stimme der Sonne schon länger berät, als du oder ich leben. Manche sagen, daß er schon hier war, als Kith-Kanan und seine zwergischen Verbündeten den Turm erbaut haben«, kam die Antwort. Der Diener war erstaunlich gewandt darin, leise zu sprechen, fand Flint, und anscheinend bemühte sich der Elf darum, gewisse Gefühle zu verbergen – seine Lippen zuckten irgendwie unkontrolliert.

Flint war der erste Zwerg, der das Innere des Turms seit seiner Erbauung vor über zweitausend Jahren zu Gesicht bekam. Nicht übel, dachte er. Seine Mutter würde stolz sein.

Noch vor wenigen Wochen hatte er gemütlich in Solace gesessen und im Wirtshaus »Zur Letzten Bleibe« Bier getrunken. Er drehte sich zu seinem Begleiter um, weil er wissen wollte, ob Qualinesti-Elfen Bier tranken, doch der sah woanders hin.

Der Zwerg wußte, daß er angesichts der Schönheit des Turms und der Anmut der Elfen eine komische Figur abgab. Obwohl er höchstens halb so groß war wie sie, hatte er eine Brust wie ein Faß, und seine am Amboß kräftig gewordenen Arme waren doppelt so stark wie die der stärksten Elfen. Zu seiner blaugrünen Tunika trug er rostrote Hosen mit einem dicken Ledergürtel und hatte einen grauen, von der Reise schmutzigen Mantel umgelegt. Das Ende seines langen Bartes hatte er in den Gürtel gesteckt, das schwarze Haar hatte er mit einem Lederband am Hinterkopf zusammengebunden. Unglücklicherweise hatte Flint keine Ahnung, wie man sich zu kleiden hatte, wenn man dem Herrscher eines Elfenkönigreichs vorgestellt wurde, und obwohl er sein Bestes gegeben hatte, wuchs in ihm die Vermutung, daß das bei weitem nicht genug gewesen war. Nur leider hatte der Zwerg wenig golddurchwirkte Tuniken im Schrank hängen. Seine Reisekleidung würde reichen müssen, dachte er seufzend.

Sie waren schon merkwürdig, diese Elfen, fand er, als er zwischen ihnen hindurchlief. Vor und hinter ihm wurde geredet, aber wenn er vorbeikam, schwiegen sie. Sie waren zwar groß, ansonsten aber schmal und glänzend wie junge Espen – und dazu sehr schön in goldenes Licht gehüllt. So zumindest wirkte es auf den Zwerg. Vielleicht war das nur ein Lichteffekt. Vor langer Zeit, beim Bau des Turms, hatten Zwergenhandwerker Tausende von Spiegeln so ausgerichtet, daß immer Sonnenlicht in den Turm fiel, ganz gleich zu welcher Tageszeit.

Die schweigenden Elfen beobachteten den bärtigen Zwerg mit höflicher Neugier, und nach einer halben Ewigkeit fand sich Flint schließlich vor dem niedrigen Podest in der Mitte des Raums wieder.

»Willkommen, Meister Feuerschmied«, sagte der Elf, der dort stand. Die Stimme der Sonne von Qualinesti war hochgewachsen, selbst für einen Elfen, und seine Position auf dem Podest ließ ihn noch größer erscheinen. Flint fühlte sich regelrecht erschlagen. Die Stimme der Sonne, ein Nachfahre des Helden Kith-Kanan persönlich, ließ ihn vor Ehrfurcht erstarren.

Die Stimme lächelte, woraufhin Flints Magen sich etwas beruhigte. Solostarans Lächeln kam von Herzen und strahlte aus seinen weisen Augen, die so grün waren wie der grünste Wald. Flint seufzte. Jetzt fühlte er sich ein wenig wohler. Die kühlen Blicke der Höflinge waren nun nur noch halb so wichtig. »Ich nehme an, Eure Reise ist ohne Zwischenfälle verlaufen«, sagte die Stimme.

»Ohne Zwischenfälle! Reorx!« wiederholte der Zwerg empört.

Zwei Elfenwachen hatten ihn herrisch von seinem Lieblingsstuhl im Wirtshaus »Zur Letzten Bleibe« fortgerufen und ihn gebeten, sie zu der geheimnisvollen Elfenhauptstadt zu begleiten, die in den letzten Jahrhunderten so wenige Nichtelfen zu Gesicht bekommen hatten. Sie waren über geheime Treppen hinter Wasserfällen hochgestiegen, an Abgründen entlang und durch feuchte Tunnel gelaufen.

Die Aussage, die Stadt sei gut geschützt, war eine Untertreibung. Die zerklüfteten Gipfel im Süden von Qualinost erhoben sich so bedrohlich hoch, daß selbst der entschlossenste Gegner innehalten mußte. Im Westen, Norden und Osten war Qualinost von zwei Flüssen geschützt, deren fünfhundert Fuß tiefe Klammen sich im Norden vereinigten. Zwei schmale Brücken – die leicht einzureißen waren, sollten Feinde wirklich den Weg durch die Wälder um die eigentliche Stadt finden – stellten die einzigen Zugänge über die Schluchten dar.

Da merkte der Zwerg, daß die Stimme auf eine Antwort wartete. »Oh. Ich – äh – gut, danke Sir. Hoheit«, stammelte er, während er sich zu erinnern versuchte, was Solostaran ihn gefragt hatte. Sein Gesicht glühte, als die Höflinge um ihn herum näher kamen. Sein Begleiter verbeugte sich und trat zurück. Flint fühlte sich plötzlich im Stich gelassen.

»Und gefällt Euch unsere geliebte Stadt?« fragte die Stimme höflich.

Flint, der sich in seiner Schmiede wohler fühlte als in »gehobener Gesellschaft«, wie es seine Mutter genannt hätte, wußte wieder keine rechte Antwort. Wie beschreibt man seinen ersten Eindruck von einer Stadt, die vielleicht die schönste von Krynn ist? Die Qualinesti-Elfen ehrten ihre Waldheimat durch Gebäude, die einen an die Espen, die Eichen und den Wald erinnerten. Weil sie den rechten Winkel ablehnten, der an den zu analytischen menschlichen Verstand gemahnte, bauten die Elfen ihre Häuser so mannigfaltig wie die Natur selbst. Kegelförmige und baumartige Häuser und Geschäfte säumten die blaugepflasterten Straßen. Aber die Gebäude selbst waren nicht aus Holz, sondern aus Rosenquarz. Im Licht des Nachmittags hatte die Stadt geglitzert, als das Licht sich in den Facetten des Quarzes brach. Überall blühten Birnbäume, Pfirsichbäume und Apfelbäume in verschwenderischer Pracht. Der Duft der Blüten drang sogar bis in den Sonnenturm.

»Die Stadt ist wunderschön, Hoheit«, sagte Flint schließlich.

Ihm sank das Herz in die Hose, als mehrere Höflinge nach Luft schnappten. Was hatte er falsch gemacht? Die Stimme stieg von dem Podest und beugte sich zu dem Zwerg hinunter. Flint zeigte sich ungerührt, innerlich wand er sich jedoch.

»Nennt mich ›Stimme‹«, sagte Solostaran so leise, daß selbst die nächststehenden Elfen nichts hörten. Flint nickte, und Solostaran richtete sich wieder auf. Aber ein Paar gespitzte Ohren hatten die Worte der Stimme aufgeschnappt. Ein rasch unterdrücktes Kichern ließ den Zwerg hinter die Stimme blicken und brachte einen verärgerten Zug auf das Gesicht der Stimme. Hinter dem Podium standen drei junge Elfen – nein, erkannte Flint, der eine, ein trotzig wirkender Junge mit rotbraunen Haaren, war ein Halbelf. Die Stimme wies auf die beiden reinen Elfen. »Meine Kinder. Gilthanas. Und Lauralanthalasa, die eine Lektion in Benehmen bei Hof braucht.« Das Mädchen kicherte erneut.

Der Junge war eindeutig eine junge Ausgabe seines schlanken, eleganten Vaters. Und das Mädchen…! So etwas wie dieses Elfenmädchen hatte Flint noch nie gesehen. Sie hübsch zu nennen, wäre gewesen, als würde man die Sonne eine Kerze nennen, überlegte Flint, auch wenn er kein Dichter war. Sie war schlank wie eine Weide, ihre Augen besaßen die Farbe junger Blätter, und das Haar war so golden wie das Licht der Morgensonne. Die Stimme warf ihr einen strengen Blick zu, woraufhin das bildschöne Mädchen einen Schmollmund zog. Sie war die einzige im Raum, die kleiner war als Flint, und benahm sich wie ein fünf- oder sechsjähriges Menschenkind, doch er hätte wetten mögen, daß sie mindestens zehn war.

»Und das?« fragte Flint mit einem Nicken zu dem Halbelf, der rot wurde und sich zur Seite drehte. Plötzlich erschien es dem Zwerg so, als hätte er den Jungen in eine furchtbar peinliche Lage gebracht, indem er auf ihn aufmerksam machte. Er war älter als die beiden anderen, und Flint glaubte nicht, daß er mit ihnen verwandt war. Im Gegensatz zu den gertenschlanken Elfen war sein Körper etwas kräftiger, weniger feingliedrig, und seine Gesichtszüge waren nicht ganz so ebenmäßig. Er erinnerte Flint eher an einen der Menschen aus dem fernen Solace.

Die Stimme antwortete ungerührt: »Das ist mein Mündel, Tanthalas oder auch Tanis.«

Wieder wußte Flint nichts zu sagen. Der Junge fühlte sich offensichtlich unwohl, weil er aufgefallen war. In diesem Moment tauchte der Berater, den Flints Begleiter als Lord Xenoth bezeichnet hatte, aus einem Raum hinter dem Podium auf und stellte sich vor den Halbelfen. Tanis trat beiseite. Von dem Jungen strahlte Trotz aus wie Hitze von einem Lagerfeuer, doch gegen wen dieses Gefühl sich richtete, hätte Flint nicht sagen können.

Die Stimme zeigte auf einen anderen Elfen, der weiter rechts unter einem der geschnitzten Marmorbalkone stand. Der Elfenlord hatte dunkelblonde Haare und regelmäßige, eckige Gesichtszüge. Bis auf seine engstehenden, unter tiefsitzenden Brauen verborgenen Augen konnte man ihn gutaussehend nennen, dachte Flint. Sein Gesicht wirkte wahrscheinlich selbst dann finster, wenn er glücklich war, befand der Zwerg. Der Elfenlord stand mit drei anderen, ebenso stolzen Elfen zusammen, zwei Männern und einer Frau.

»Mein ältester Sohn, Porthios«, sagte Solostaran stolz. Der Elfenlord neigte etwas den Kopf. Oho, dachte Flint, das ist aber ein Stolzer und wahrscheinlich auch nicht besonders glücklich, andere als reinrassige Elfen – mit Blut, dessen Reinheit man bis zu den Sippenmord-Kriegen zurückverfolgen kann – in seinem kostbaren Turm zu haben.

Die Stimme wartete wieder. Flint beschloß, daß er mit Ehrlichkeit am weitesten kommen würde.

»Ich fürchte, ich weiß nur sehr wenig vom Hof und noch weniger von Elfen, auch wenn ich hoffe, daß letzteres sich bald ändern wird«, sagte er, wobei sich seine Schultern etwas entspannten.

»Warum seid Ihr meinem Ruf gefolgt?« fragte Solostaran. Seine grünen Augen waren so tiefgründig, und Flint kam es einen Augenblick so vor, als sei er allein mit der Stimme im Raum. Der Zwerg erhaschte einen Hauch der Macht, die die Stimme seit Kith-Kanan besaß. Besser, ich verärgere ihn nicht, dachte er.

»Während der Reise der letzten Wochen hatte ich Zeit, darüber nachzudenken«, sagte Flint. »Ich muß sagen, mein Hauptgrund ist die Neugier.« Lord Xenoth verzog die geschürzten Lippen und drehte sich wieder zur Seite, wobei seine Silberrobe das Podium streifte. »Neugier tötete den Kender«, flüsterte der alte Berater den Kindern hörbar zu, die die Stimme als Gilthanas und Lauralanthalasa vorgestellt hatte. Gilthanas kicherte höhnisch. Das Mädchen sah den alten Elfen befremdet an, blickte betont zur Seite und stellte sich neben den Halbelfen, Tanis. Dieser stand reglos da und bemerkte die Nähe des bezaubernden jungen Mädchens scheinbar nicht.

Solostaran warf Xenoth einen Blick zu, der den alten Elfen blaß werden ließ, worauf der Halbelf dünn lächelte. Als die Stimme sich wieder Flint zuwandte, waren ihre Augen jedoch freundlich. »Neugier«, wiederholte er.

»Wie die meisten habe ich Qualinesti noch nie gesehen«, erklärte Flint. »Es ist allgemein bekannt, daß die Wälder von Qualinesti für gewöhnliche Leute fast undurchdringlich sind. Daß mir eine Eskorte angeboten wurde – und zwar von der Stimme der Sonne höchstpersönlich –, ist wahrlich eine große Ehre.« Keine schlechte Rede, dachte der Zwerg, und das langsame Nicken der Stimme machte ihm Mut, fortzufahren. »Die Handwerkskunst der Qualinesti-Elfen ist in ganz Ansalon bekannt. Eure Produkte werden in Haven, Thorbardin, Solace und anderen Städten der Gegend teuer gehandelt. Ehrlich gesagt, habe ich gehofft, ein paar gute Tips für meine eigene Arbeit zu bekommen.«

Und außerdem, fügte der Zwerg im stillen hinzu, hatten die Gesandten der Stimme im Wirtshaus »Zur Letzten Bleibe« so viele Runden Bier für Flints Freunde ausgegeben, daß sich dem Zwerg alles gedreht hatte. Als er am nächsten Morgen aufwachte, war sein Gepäck schon auf dem Rücken eines Maultiers festgezurrt. Und ihn hatte man mit baumelndem Kopf und baumelnden Füßen gleich neben das Gepäck geschnallt.

»Meint Ihr Eure Worte ernst, Meister Feuerschmied?« fragte die Stimme ihn gelassen, und Flint zwinkerte.

»Ich – ich bin nicht sicher, was Ihr meint«, brachte er stotternd heraus.

»Ihr sagtet, Ihr wüßtet wenig über Elfen und würdet das gern ändern. Ist das wirklich so?«

Flint sah sich um, betrachtete den luftigen Turm, die goldhaarigen Elfen und die königliche Gestalt der Stimme in ihrer prächtigen grünen, mit Gold bestickten Robe. Der Duft der Frühlingsblüten war etwas zu schwer, aber selbst das war einzigartig. So seltsam das alles war, besonders für einen Hügelzwerg, der sich auf Schlachtfeldern und in Tavernen besser auskennt als in vergoldeten Türmen – Flint stellte fest, daß er nur nicken und ja sagen konnte.

»Ich muß gestehen, daß in jüngster Zeit auch unser Wissen über die Zwergenrasse abgenommen hat«, sagte die Stimme. »Einst waren unsere Völker Freunde. Gemeinsam haben sie die große Festung Pax Tarkas gebaut – und diese Stadt. Für uns selbst schlage ich kein so gewaltiges Unterfangen vor, Meister Feuerschmied. Ich wäre zufrieden, wenn wir zwei einfach eine Freundschaft schließen könnten.«

Ein paar der Elfenhöflinge murmelten zustimmend. Zahlreiche andere, einschließlich Lord Xenoth und dem Grüppchen um Porthios, schwiegen. Flint merkte, daß er nur dämlich grinsen konnte, wobei er die Hände in die Taschen steckte. »Reorx!« brach es plötzlich aus ihm heraus, und seine Augen weiteten sich. »Ahm, ich bitte um Verzeihung, ahm… Stimme.«

Solostaran versuchte nicht länger, sein Lächeln zu verbergen. »Ich nehme an, Ihr wundert Euch, warum ich Euch gerufen habe, mein Zwergenfreund«, sagte er. Dabei hob er seine goldberingte Hand, und ein Armband aus Silber und Moosachat rutschte vom Handgelenk auf den Unterarm. Flint sperrte die Augen auf, als er seine eigene Arbeit erkannte. Dann trat ein Diener mit einem Silbertablett vor, das mit dem Abbild eines Silberdrachen verziert war. Auf dem Tablett standen zwei Kelche aus dünn gehämmertem und glänzend poliertem Silber. Drei Espenblätter »wuchsen« aus dem Stiel und umrankten die Weinkelche.

»Das ist ja…«, brach Flint los, hielt dann aber inne. Der Diener wartete, bis die Stimme und der Zwerg jeder einen Kelch vom Tablett genommen hatten. Dann erhob Solostaran seinen Kelch.

»Ich trinke auf den Künstler, der dieses Armband und diese Kelche geschaffen hat, und ich hoffe, daß er uns die Ehre zukommen läßt und eine Weile an diesem Hof lebt, um ein paar Dinge speziell für uns herzustellen.« Er nahm einen Schluck und betrachtete Flint dabei aus seinen grünen Mandelaugen.

»Aber das ist…«, setzte Flint wieder an.

»Auf Euch«, endete die Stimme. »Ich habe Aufträge für Euch, wenn Ihr unsere Gastfreundschaft annehmen wollt. Aber darüber können wir auch morgen noch reden. Jetzt trinkt bitte.«

Flint drehte sich der Kopf bei dem Gedanken, daß der Herrscher aller Elfen von Qualinesti, einem Volk, das selbst für seine kunstvollen Gold- und Silberschmiedearbeiten berühmt war, die Bemühungen eines Zwerges pries. Darum kippte er den ganzen Inhalt des Kelchs hinunter, den er vor einem Jahr gemacht hatte. Auf dem Boden des Trinkgefäßes würde er sein Zeichen sehen, dazu das Wort »Solace« und das Jahr. Er wunderte sich über…

Der Gedanke ging verloren, als er den Elfenwein schmeckte. Seine Augen benebelten sich, und seine Zunge verkrampfte sich. »Bei Reorx’ Hammer!« brachte Flint heraus.

Er hatte schon von Elfenblütenwein gehört, der für sein betäubendes Bouquet von Obstblüten und die hammerartige Wirkung seines Alkoholgehalts bekannt war. Nur jemand mit Elfenblut konnte das süße Zeug vertragen, hatte er gehört, und es war in etwa dasselbe Gefühl, als hätte einem ein Zentaur gegen den Kopf getreten. Der Geruch von Apfel- und Pfirsichblüten schien seinen Körper von innen und außen zu durchströmen; Flint kam sich so vor, als wäre er bei lebendigem Leibe einbalsamiert worden. Zwei oder drei Stimmen schwankten vor ihm, die drei Elfen um Porthios wurden zu einer Versammlung von fünfzehn oder sechzehn. Lauralanthalasas Kichern erhob sich aus dem Chor der abanasinischen Nachtigallen, der plötzlich in seinem Kopf erklang. Flint schnappte nach Luft und wollte sich auf das Podium der Stimme setzen – Protokoll hin oder her –, aber dem Podium waren anscheinend Rollen gewachsen; er konnte es einfach nicht einholen.

Plötzlich war noch ein Elf an seiner Seite. Durch einen Tränenschleier sah Flint in Augen, die so blaß waren, daß sie wie durchsichtig wirkten. Das neue Gesicht wurde von ebenso farblosem Haar und der Kapuze einer scharlachroten Robe umrahmt. »Durch die Nase einatmen, durch den Mund aus«, sagte die Gestalt heiser.

»Aah«, krächzte Flint. »Uff!«

»Durch die Nase ein…«, wiederholte der Elf. Da der Zwerg sich sicher war, daß er sowieso sterben würde, folgte er einfach den Anweisungen des Elfen. »Haahh«, holte er Luft.

»… durch den Mund aus.«

»Puuuhh!« antwortete der Zwerg. Der Elf verstreute ein paar Kräuter und sagte Worte, die entweder Altelfisch waren oder Magie – oder beides. Flint ging es sofort besser. Mit dem leeren Kelch in der Hand lag er ausgestreckt auf den Stufen des Podiums. Im Saal befanden sich nur noch die Stimme, Lauralanthalasa, der junge Halbelf und der Zauberkundige, der den Zwerg gerettet hatte.

»Bei allem Respekt, Stimme, ich möchte meinen, daß unser Gast wohl kein zweites Glas wünscht«, erklärte der Elf, während er Flint auf die Beine half. »Elfenblütenwein ist wirklich nichts für normale Zungen.« Der Zwerg taumelte, und der Halbelf sprang vor und stützte ihn. Flint nickte ihm dankbar zu.

»Vielleicht würde Meister Feuerschmied diese Unterhaltung lieber zu anderer Zeit fortsetzen, Stimme«, meinte der Elf in der Robe höflich.

Solostaran zog die Augenbrauen hoch und betrachtete den Zwerg. »Vielleicht hast du recht, Miral«, erwiderte die Stimme.

»Umpf«, stieß Flint aus. »Es geht mir gut.« Er hustete und spürte, wie sein Gesicht blaß wurde. Der Zauberer schnipste mit den Fingern, und in seiner ausgestreckten Hand erschien dünn geschnittenes Quith-Pa. Flint kaute eine Scheibe Brot, während die Stimme das Elfenmädchen herbeiwinkte. Jetzt, wo nicht mehr Hof gehalten wurde, war Solostaran lockerer.

Das Mädchen, dessen Ohrenspitzen durch das feine, goldene Haar kaum zu sehen waren, nahm eine dünne Kette vom Hals. An einem Ende baumelte ein einzelnes, perfektes Espenblatt, das in dem goldenen Licht grün und silbern glitzerte. Obwohl es so natürlich wirkte, als hätte man es gerade erst von einem lebenden Baum gepflückt, bestand dieses Blatt aus Silber und Smaragd, die so kunstvoll verarbeitet waren, daß nur die Reflexe des Lichts darauf, die über das entzückte Gesicht des kleinen Mädchens tanzten, es von einem echten Blatt unterschieden.

Der Zwerg holte erstaunt Luft. Diese Bewegung ließ einen Pfirsichrülpser aufsteigen, was weiteres Gekicher von Lauralanthalasa zur Folge hatte. »Dieses Blatt habe ich vor sechs Monaten gemacht!« rief Flint aus und schluckte dann die letzten Krümel Quith-Pa herunter. »Ich habe es einem Elfen verkauft, der durch Solace kam.«

»Mein Gesandter«, sagte die Stimme. Flint wollte etwas sagen, aber die Stimme hielt eine Hand hoch. »Das Blatt ist in jeder Hinsicht perfekt. Kein Baum steht dem Herzen der Elfen näher als die Espe. Ich war entschlossen, den Künstler zu finden, der ein solches Gefühl mit seiner Arbeit umsetzen konnte. Und ich fand heraus, daß dieser Künstler kein Elf war, sondern ein Zwerg.«

Die Stimme hielt einen Moment lang inne. »Ihr müßt müde sein von der langen Reise«, sagte er. »Miral wird Euch Eure Zimmer zeigen.«

Solostaran sah zu, wie der Zwerg und der Zauberer den Raum verließen. Lange hatte man keinen Zwerg mehr in Qualinost gesehen. Zu lange. Die letzte Zeit war dunkel gewesen. Es schien immer noch wie gestern zu sein – nicht dreißig Jahre her –, daß man seinen Bruder Kethrenan ermordet hatte. Und das war nicht der letzte Überfall gewesen.

»Freundschaft…«, wiederholte Solostaran. Die Welt konnte ein bißchen mehr Freundschaft gebrauchen.

Die Straßen der Elfenstadt breiteten sich vor Flints Füßen aus. Bevor Miral ihn in sein Zimmer führen würde, hatte Flint darum gebeten, daß er ihm einen Ort zeigte, von wo aus er mehr von der Stadt sehen konnte. Der Elf hatte ihn durch die gepflasterten Straßen geführt, an Gebäuden aus Marmor und Rosenquarz vorbei, deren Kristalle das Licht brachen, so daß alles in berauschenden Farben erstrahlte.

Espen, Eichen und Fichten umgaben die Gebäude, und die Häuser von Qualinost sahen dazwischen richtig lebendig aus, als würden sich ihre Wurzeln tief in die Erde bohren. In den Höfen, wo sich Frauen in hauchdünnen, silbernen Kleidern und Männer in moosgrünen Westen leise unterhielten oder wo sie der Musik von Zymbal und Flöte lauschten, sprudelten Springbrunnen. Die Luft war warm und klar, ihre Berührung sanft wie zu Mittsommer, obwohl Flint wußte, daß der Winter gerade erst vergangen war.

Während er das alles betrachtete, senkte sich die Sonne im Westen, und der rote Sonnenuntergang verschmolz mit den rosigen Tönen des lebenden Steins und tauchte die Stadt in rosafarbenes Licht. Die blauen und weißen Pflastersteine auf den Straßen nahmen eine purpurne Tönung an. In der Luft hing der Duft von frischgebackenem Quith-Pa und Wildschmorbraten, und nur wenige Elfen hatten so viel zu tun, daß sie nicht vor die Haustür kamen und sich am Ende des Tages erfreuten.

Der Blütenduft bekam dem Zwerg noch immer nicht, aber er beschloß, ihn zu ignorieren.

Miral führte ihn zu einer Straße, die sich in Schleifen einen Hang in der Mitte der Stadt hochschlängelte. Die Straße endete auf einem großen Platz, dem Himmelssaal. Seine Wände waren nur die blassen Stämme der Espen, sein einziges Dach der blaue Dom des Himmels. »Das ist ein Saal?« fragte Flint, nachdem der Zauberer ihm den Namen genannt hatte. »Da fehlt doch das Dach.«

Miral grinste. »Der Himmel ist das Dach, sagen wir, auch wenn manche glauben, daß es hier einst einen Saal gab, der etwas unermeßlich Wertvolles beschützte. Der Legende nach hat Kith-Kanan das Bauwerk an den Himmel gehoben, um das zu schützen, was darin war.« Versonnen atmete er die Pfirsichblütenluft ein. »Es heißt, wer das Bauwerk findet, wird großen Erfolg haben.«

»Das ist nicht zu verachten«, stimmte Flint zu.

Miral warf ihm einen Blick zu. Nach einer Pause lachte er kurz. Die beiden betrachteten Qualinost, das zunehmend von Zwielicht verhüllt wurde. Überall gingen hinter den ungewöhnlichen Glasfenstern der Elfenhäuser die Lichter von Lampen an.

Vom Himmelssaal aus, dem Mittelpunkt von Qualinost, konnte Flint den größten Teil der alten Stadt sehen. Vier Türme erhoben sich in jeder Himmelsrichtung über die Baumkronen, und dazwischen erstreckte sich je ein zarter Metallbogen, eine Brücke, die die einzelnen Türme hoch über dem Erdboden in einem einzigen Bogengang verband. Die vier Bögen schimmerten selbst jetzt noch, wo die Sonne verschwunden war. Flint wußte, daß jeder stark genug war, das Gewicht einer ganzen Armee zu tragen, und ihm blutete das Herz, als er die Kunst der alten Zwerge bewunderte, die das gebaut hatten. Er fragte sich, ob Krynn jemals wieder etwas so Großartiges sehen würde. Genau im Norden, auf einem Hügel, noch höher als jener, auf dem sie gerade standen, erhob sich der Sonnenturm so hoch, daß Flint den Eindruck hatte, daß man von dort oben nur die Hand ausstrecken mußte, um den Himmel zu berühren. Der Turm war so hoch, daß seine goldenen Mauern die im Westen versunkene Sonne noch reflektierten, als die anderen Gebäude längst von den Schatten verschluckt waren.

»Seht Ihr die beiden Flüsse?« fragte ihn Miral und zeigte auf die tiefen Schluchten im Osten und Westen der Stadt. Flint knurrte. Ob er sie sah? Bei Reorx, er hatte einen von ihnen überqueren müssen, und das auf einer schwankenden Brücke, die höchstens stark genug für eine Felstaube sein konnte, aber nicht für einen kräftigen Zwerg. Der Gedanke an diesen tiefen, felsigen, klaffenden Abgrund unter ihm ließ ihn immer noch erschauern.

»Der im Osten heißt Ithal-Enatha, Fluß der Tränen«, fuhr Miral mit leiser Stimme fort. »Der andere ist der Ithal-Inen, der Fluß der Hoffnung. Hinter dem Turm fließen sie zusammen nach Norden zum Weißen Fluß und dann unten in den See.«

»Komische Namen«, schnaubte Flint.

Miral nickte. »Sie sind sehr alt. Die Flüsse haben sie erhalten, nachdem Kith-Kanan und sein Volk im Wald von Qualinesti angekommen waren. Die Namen stehen für die Tränen, die während der Sippenmord-Kriege vergossen wurden, und für die Hoffnung auf die Zukunft, als die Kriege schließlich ein Ende gefunden hatten.«

Der Begleiter des Zwergs wurde still, und Flint war damit zufrieden, eine Weile an diesem stillen Ort zu verweilen und die Stadt zu betrachten. Schließlich war es Zeit zu gehen.

Miral begleitete Flint zum Palast der Stimme westlich des Sonnenturms, wo Flint seine vorläufige Bleibe gezeigt wurde: eine Suite von Zimmern mit hohen Decken und Marmorfußboden, die dreimal so groß waren wie sein Haus im fernen Solace. Der Magier erklärte ihm, daß er sich ganz nach Belieben ausruhen und erfrischen dürfe, und zeigte ihm dann die Tür, die in einen kleinen Raum führte, wo ihn ein Waschzuber mit nach Zimt duftendem Wasser erwartete. Dann blieb er allein zurück. Essen und Bier – aber kein Elfenblütenwein – sollten bald eintreffen.

»Ein Zwerg in Qualinost!« sagte Flint ein letztes Mal leise schnaubend zu sich selbst. Während er darüber nachgrübelte, daß der Elfengeschmack bezüglich Duft und Wein nicht gerade seinem eigenen entsprach, zog er Tunika und Hosen aus und tauchte in das würzig riechende Badewasser, um den Staub und Schmutz der Straße abzuspülen.

Als nicht lange darauf ein Elfendiener kam, fand er den Zwerg in eine rostrote Robe gehüllt und lautstark schnarchend auf dem Bett vor. Leise stellte der Diener das Tablett mit rotem Bier, Braten und gewürfelten Kartoffeln ab, blies die wenigen Kerzen aus, die den Raum erhellten, und überließ den Zwerg der Dunkelheit und seinen Träumen.

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