13

Glücklicherweise kehrte Reejaaren erst viele Tage später zurück. Die Bewacher blieben auf ihrem Posten; vier bis sechs Flugzeuge kreisten ständig über dem Fluß, die übrigen standen auf den Hügeln vor ihren Katapulten. Barlennan und sein Maat hatten die Beobachter auf Toorey in ihren Plan eingeweiht und begeisterte Zustimmung gefunden.

Einige Besatzungsmitglieder waren geistig zu unbeweglich und wurden deshalb nur teilweise eingeweiht, aber der Kommandant zweifelte nicht daran, daß sie ebenfalls zum Gelingen des Plans beitragen würden. In der Zwischenzeit waren sie völlig damit ausgelastet, die geknickten Masten instand zu setzen und die Takelage zu entwirren.

Lange bevor der Dolmetscher zurückkehrte, machten Barlennan und Dondragmer sich eines Morgens auf den Weg, um die Probe aufs Exempel zu machen. Sie erstiegen den nächsten Hügel, auf dem ein halbes Dutzend Segelflugzeuge standen, deren Tragflächen im leichten Wind ruckartige Bewegungen machten, so daß die Besatzungen sie festhalten mußten. Der Kommandant und sein Maat näherten sich den Flugzeugen, bis sie angehalten wurden. Sie blieben in dreißig oder vierzig Meter Entfernung stehen, betrachteten die Flugzeuge und kümmerten sich nicht weiter um den feindseligen Blick des Postens, der sie aufgehalten hatte.

»Was gibt es da zu gaffen, Barbaren?« erkundigte der Flieger sich mürrisch.

»Von euren Maschinen ist nicht viel zu lernen«, versicherte Barlennan ihm. »Ihr könntet euch zum Beispiel viel Arbeit sparen, indem ihr die Vorderkante der Flächen nach unten biegt – weshalb b eschäftigt ihr statt dessen so viele Leute damit?« Er hatte das englische Wort für ›Flächen‹ gebraucht, weil er kein anderes kannte; der Posten ließ sich die Bedeutung erklären und starrte ihn verblüfft an.

»Du hast also schon früher Segelflugzeuge gesehen? Wo?«

»Ich habe noch nie Flugzeuge dieser Art zu Gesicht bekommen«, antwortete Barlennan wahrheitsgemäß, aber mit irreführender Betonung. »Ich kann mir allerdings vorstellen, daß die leichten Konstruktionen unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen würden, wenn sie weiter nach Süden fliegen sollten.«

»Wie…« Der andere schwieg betroffen, als ihm einfiel, daß er es schließlich mit Barbaren zu tun hatte. Er überlegte kurz und beschloß dann, das Problem auf dem Dienstweg weiterzugeben. »Reejaaren hört sich eure Verbesserungsvorschläge b estimmt gern an. Vielleicht ermäßigt er sogar euer Hafengeld, wenn sie wertvoll genug sind. Aber bis dahin verschwindet ihr gefälligst wieder, sonst muß ich euch als Spione festnehmen.«

Barlennan und sein Maat zogen sich wortlos z urück, waren jedoch mit dem Erfolg ihrer Bemühungen sehr zufrieden und schilderten Lackland das Gespräch in allen Einzelheiten.

»Wie hat er darauf reagiert, als ihr angedeutet habt, es könnte Segelflugzeuge geben, die wesentlich, größere Belastungen aushalten?« fragte Lackland.

»Er hat uns fortgeschickt, bis Reejaaren zurückkommt«, berichtete Dondragmer. »Ich habe allerdings das Gefühl, daß die Saat auf fruchtbaren Boden gefallen ist.«

Dieser Verdacht konnte zutreffen, aber der Dolmetscher ließ sich nichts anmerken, als er zurückkam, obwohl der Posten offensichtlich den Inhalt des Gesprächs mit den Barbaren wiedergegeben hatte.

»Der Kontrolleur der Äußeren Häfen hat beschlossen, euch vorläufig als harmlos zu betrachten«, erklärte Reejaaren. »Er erkennt an, daß ihr nicht absichtlich gegen unsere Gesetze verstoßen habt, und will deshalb Gnade vor Recht ergehen lassen. Er hat mich ermächtigt, eure Ladung zu inspizieren, damit ich Bußgeld und Hafengebühren festsetzen kann.«

»Würde der Kontrolleur uns nicht das Vergnügen machen, die Fracht selbst zu inspizieren und eine kleine Aufmerksamkeit für seine Rücksichtnahme in Empfang zu nehmen?« fragte Barlennan höflich.

Reejaaren schien ehrlich überrascht zu sein. »Lobenswert, sehr lobenswert«, murmelte er vor sich hin. »Ich bin davon überzeugt, daß wir sehr gut miteinander auskommen werden. Leider hat der Kontrolleur auf den entferntesten Inseln zu tun und wird erst in vielen Tagen zurückerwartet. Solltet ihr dann noch hier sein, wird er dein freundliches Angebot bestimmt gern annehmen. Aber inzwischen kommen wir lieber zur Sache.«

Während der Inspektion von Schiff und Ladung verlor Reejaaren nichts von seiner arroganten Überlegenheit, gab Barlennan jedoch einige Informationen, die er vermutlich nie freiwillig und absichtlich preisgegeben hätte. Er bemühte sich selbstverständlich, alles herunterzusetzen, was er sah, und sprach immer wieder von Marrenis ›Gnade‹, der die Besatzung ihr Leben zu verdanken schien. Andererseits beschlagnahmte e r verschiedene Früchte, die Barlennans Leute während der Landreise gesammelt hatten, wodurch das Bußgeld abgegolten war.

Diese Früchte mußten jedoch verhältnismäßig leicht zu beschaffen sein, denn die Flugzeuge konnten ohne weiteres zum Festland hinüberfliegen – aber die ›Barbaren‹ schienen den kultivierten I nselbewohnern überlegen zu sein, die ihrerseits keineswegs die Herren der Schöpfung waren, die sie zu sein vorgaben.

Sobald die Inspektion beendet war, strömten die Zuschauer von den Hügeln auf die Bree zu, und der Kommandant stellte zu seiner Überraschung fest, daß sich unter ihnen auch Händler befanden, die zum Teil seltsame Waren anzubieten hatten. Dazu gehörten die dehnbaren Seile und das fast durchsichtige Tuch der Flugzeuge, für die Barlennan sich am meisten interessierte. Der Kommandant untersuchte den unglaublich dünnen und trotzdem unwahrscheinlich kräftigen Stoff eingehend, um sich davon zu überzeugen, daß es sich wirklich um das Material der Tragflächen handelte. Reejaaren stand in seiner Nähe, so daß er vorsichtig sein mußte, aber Barlennan erfuhr trotzdem, daß mit diesem Tuch ganze Flugzeuge bespannt wurden.

»Es ist also winddicht?« fragte er den Händler.

»Dann läßt es sich zu Hause bestimmt gut verkaufen. Für praktische Zwecke ist es nicht fest genug, aber zur Ausschmückung scheint es recht gut geeignet zu sein – besonders die farbigen Ballen. Als kluger Händler dürfte ich das nicht zugeben, aber dieses Material ist die beste Ware, die ich bisher hier gesehen habe.«

»Nicht fest genug?« warf Reejaaren anstelle des Händlers ein. »Dieses Tuch wird nur auf unseren Inseln hergestellt und ist das einzige Material, das gleichzeitig fest und leicht genug ist, um als B espannung unserer Flugzeuge zu dienen. Wenn du es kaufen willst, bekommst du es nur in kleinen Ballen, die für diesen Zweck zu klein sind – nur ein Narr würde die Bespannung aus einzelnen Stücken zusammennähen.«

»Selbstverständlich«, stimmte Barlennan zu. »Ich nehme an, daß dieses Material sich hier verwenden läßt, wo es fast nichts wiegt. Aber ich versichere dir, daß es in unseren Breiten wertlos wäre; Tragflächen der erforderlichen Größe würden beim ersten Windstoß zerbrechen.« Diese Erklärung stammte von Lackland, aber Barlennan brachte sie wie seine eigene Überzeugung vor.

»Unsere Flugzeuge werden natürlich nicht sehr belastet«, antwortete Reejaaren. »Wir bauen sie auch nicht stärker als unbedingt notwendig, denn dadurch sparen wir wieder Gewicht.«

Der Kommandant sah seine Oberzeugung bestätigt, daß der andere nicht übermäßig intelligent sein konnte. »Das versteht sich von selbst«, antwortete er. »Ich nehme an, daß eure Schiffe stärker sind, wenn sie diese Stürme aushalten müssen. Werden sie manchmal wie die Bree an Land geschwemmt?

Ich habe noch nie eine Flutwelle dieser Art erlebt.«

»Wir sind immer darauf vorbereitet, wenn ein Sturm heraufzieht«, erklärte Reejaaren. »Unsere Schiffe sind deinem recht ähnlich, aber anders bewaffnet, wie ich sehe. Eure Waffen sind mir unbekannt – unsere Kriegsphilosophen haben vermutlich festgestellt, daß sie in unseren Breiten nicht verwendbar wären. Habt ihr sehr unter dem Sturm gelitten, der euch hier hergebracht hat?«

»Sehr«, log Barlennan. »Wie sind eure Schiffe bewaffnet?« Er erwartete nicht, daß Reejaaren diese Frage beantworten würde, aber der Dolmetscher rief zu seiner Verblüffung einen der Flieger heran, der eine seltsame Waffe mitbrachte.

Barlennan hatte noch nie eine Armbrust gesehen und war deshalb ehrlich beeindruckt, als Reejaaren nacheinander drei zwanzig Zentimeter lange Bolzen über vierzig Meter hinweg in den nächsten Baumstamm schoß. Gleichzeitig wurde jedoch auch klar, weshalb. Reejaaren diese Waffe so b ereitwillig vorführte – die Armbrust war nur hier zu gebrauchen und besau weiter südlich bestenfalls Andenkenwert. Barlennan wollte Reejaaren auf die Probe stellen und erkundigte sich nach dem Preis der Waffe; der Dolmetscher überreichte sie ihm als Geschenk und fügte noch ein Dutzend Bolzen hinzu. Der Kommandant war mit dieser Entwicklung sehr zufrieden; als Händler freute er sich, für dumm gehalten zu werden, denn daraus ließ sich meistens Gewinn ziehen.

Er kaufte unglaubliche Mengen Bespannstoff – Reejaaren schien vergessen zu haben, daß nur kleine Ballen abgegeben werden sollten, oder hielt es nicht mehr für notwendig –, mehrere elastische Seile und verschiedene Werkzeuge. Schließlich hatte er alles verkauft und hätte nur noch die Flammenwerfer anbieten können. Er überlegte schon, ob er Reejaaren Flammstaub schenken sollte, aber dann fiel ihm ein, daß er in diesem Fall die Waffe vorführen mußte. Das wollte er möglichst vermeiden, denn diese Leute schienen nicht zu wissen, wie die Flammenwerfer funktionierten, und brauchten es auch nicht zu erfahren.

Als die Inselbewohner sahen, daß Barlennan ausverkauft war, zogen sie sich allmählich zurück, so daß nur Reejaaren und seine Leute in der Nähe des Schiffes blieben. Der Kommandant beobachtete amüsiert, daß der Dolmetscher sich alle Mühe gab, die Besatzung unauffällig auszuhorchen, die ihrerseits ›zufällig‹ Bemerkungen machte, die auf b eträchtliche aerodynamische Kenntnisse schließen ließen. Barlennan war davon überzeugt, daß Reejaaren inzwischen der Meinung sein mußte, seine Leute könnten ebenfalls fliegen.

»Ich habe nichts mehr zu verkaufen«, sagte der Kommandant, als Reejaaren wieder vor ihm stand, »und wir haben alle notwendigen Gebühren entrichtet, glaube ich. Können wir jetzt abfahren?«

»In welche Richtung?«

»Nach Süden«, antwortete Barlennan. »Wir kennen dieses Meer nur aus Berichten einzelner Händler, die vor langer Zeit hier gewesen sind. Ich möchte mich noch etwas umsehen.«

»Ausgezeichnet. Ihr könnt jederzeit abfahren.

Vielleicht begegnen wir uns später nochmals – ich reise selbst gelegentlich nach Süden. Nehmt euch vor den Stürmen in acht.« Reejaaren wandte sich ab, fügte aber noch hinzu: »Wir treffen uns an der Küste wieder. Ich muß die Bucht inspizieren, in der ihr gelandet seid – vielleicht läßt sie sich als Hafen ausbauen.« Er ging auf die wartenden Flugzeuge zu.

Barlennan wollte schon den Befehl zur Weiterfahrt geben, als ihm auffiel, daß die Sperre nicht beseitigt waren. Er überlegte schon, ob er den Dolmetscher zurückrufen und ihre Beseitigung verlangen sollte; dann fiel ihm jedoch ein, daß er kein Recht darauf hatte, und Reejaaren würde vermutlich nur hochmütig ablehnen, wenn er darauf bestand. Die Besatzung würde auch dieses Hindernis überwinden.

Der Kommandant befahl seinen Leuten, sie sollten sich erneut an die Arbeit machen und die Sperre durchsägen, aber Dondragmer unterbrach ihn.

»Ich habe eine andere Idee«, sagte er.

»Was hast du vor?« fragte Barlennan. »In den letzten vierzig oder fünfzig Tagen hast du irgend etwas ausgebrütet, aber ich war zu beschäftigt, um danach zu fragen.«

»Ich habe die Flieger gefragt, ob sie eine Maschine wüßten, die Pfähle ausziehen könnte – und die nicht zu kompliziert für uns wäre. Ich zeige dir gleich, wie sie funktioniert.« Der Maat holte einige Rollen, durch die ein langes Tau lief, unter einer Decksklappe hervor.

»Was ist das?« fragte Barlennan erstaunt.

»Die Flieger nennen es ›Flaschenzug‹ – ich kann mit dem Wort nichts anfangen, aber das Ding funktioniert, wie ich dir gleich beweisen werde.« Barlennan stellte zufrieden fest, daß ständig vier oder fünf Segelflugzeuge über ihnen kreisten, und hoffte nur, daß die Eingeborenen sahen, mit welcher Maschine die Fremden das Hindernis beseitigten.

Sobald die Sperre überwunden waren, dauerte es nur noch wenige Tage, bis die Bree die Flußmü ndung erreichte, dort zusammengebaut wurde und wenig später in tiefem Wasser schwamm. Die Beobachter auf Toorey seufzten erleichtert auf; diese Erleichterung war jedoch verfrüht.

Am Ufer der Bucht lag ein Dutzend Segelflugzeuge, mit denen Reejaarens Begleiter gekommen waren, und Barlennan konnte der Versuchung nicht widerstehen, dem Dolmetscher vorzuführen, daß seine Besatzung die Speere unbeschädigt herausgezogen hatte. Reejaaren begrüßte sie, als das Schiff wenige Meter vom Strand entfernt ankerte.

»Das Schiff ist also wieder seetüchtig, was? An eurer Stelle würde ich in Zukunft nicht mehr an Land Schutz suchen, wenn ein Sturm droht.«

»Richtig«, stimmte Barlennan zu. »In einem unbekannten Meer weiß man nur nicht, wo man Land zu erwarten hat. Könntest du uns vielleicht einige Hinweise geben oder uns eine Karte überlassen?

Ich hätte schon früher danach fragen sollen.«

»Unsere Karten sind selbstverständlich geheim«, antwortete Reejaaren. »Ich kann dir nur sagen, daß die nächsten Inseln ziemlich weit von hier entfernt im Süden vor dem Festland liegen. Da ich nicht weiß, wie schnell dein Schiff ist, kann ich nicht beurteilen, wie lange ihr dorthin unterwegs sein werdet. Die Bewohner dieser Inseln sind nicht u nbedingt feindselig – aber sie nehmen gern, was sie bekommen können, ohne gleich an Gegenleistungen zu denken.«

»Besten Dank für die erschöpfende Auskunft«, erwiderte Barlennan. Er ließ die Anker lichten, aber in diesem Augenblick wurde Reejaaren auf das Kanu aufmerksam, das wieder beladen im Schlepptau der Bree hing.

»Das hätte ich früher sehen sollen«, stellte der Dolmetscher fest. »Dann wäre mir sofort klar gewesen, daß ihr wirklich aus Norden kommt. Wie habt ihr es den Eingeborenen abgehandelt?«

Barlennan hatte bisher richtig taktiert, aber nun machte er den ersten großen Fehler.

»Oh, das Kanu haben wir von zu Hause mitgenommen«, behauptete er. »Wir benützen Boote dieser Art, um zusätzliche Vorräte zu transportieren. Wie du siehst, ist es seiner Form wegen leicht zu schleppen.« Dieses Wissen verdankte er Lackland, der ihm die Vorteile der Stromlinienform erklärt hatte.

»Das Boot ist also eine eigene Erfindung?« fragte Reejaaren neugierig. »Darf ich es aus der Nähe sehen, oder habt ihr keine Zeit mehr dazu? Wir haben uns nie mit Booten dieser Art abgegeben.«

Barlennan zögerte und überlegte sich dann, daß der andere auch aus der Nähe nicht mehr als vom Ufer aus sehen konnte. Schließlich war die äußere Form des Kanus entscheidend, die deutlich genug zu erkennen war. Er ließ die Bree dichter ans Ufer treiben und gab dem Boot einen Stoß. Reejaaren schwamm ihm entgegen, betastete das Holz der Bordwände, stellte fest, daß es unter leichtem Druck nachgab und stieß einen lauten Schrei aus, der die Flugzeuge in der Luft und seine Begleiter am Strand alarmierte.

»Spione!« kreischte er. »Komm sofort ans Ufer, Barlennan – wenn du wirklich so heißt. Du bist ein guter Lügner, aber diesmal hast du zuviel gelogen!«

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