»Auf! Auf!« rief Robinson, kaum daß Karl früh die Augen öffnete. Der Türvorhang war noch nicht weggezogen, aber man merkte an dem durch die Lücken einfallenden, gleichmäßigen Sonnenlicht, wie spät am Vormittag es schon war. Robinson lief eilfertig mit besorgten Blicken hin und her, bald trug er ein Handtuch, bald einen Wasserkübel, bald Wäsche- und Kleidungsstücke, und immer, wenn er an Karl vorüberkam, suchte er ihn durch Kopfnicken zum Aufstehen aufzumuntern und zeigte durch Hochheben dessen, was er gerade in der Hand hielt, wie er sich heute noch zum letztenmal für Karl plage, der natürlich am ersten Morgen von den Einzelheiten des Dienstes nichts verstehen konnte.
Aber bald sah Karl, wen Robinson eigentlich bediente. In einem durch zwei Kasten vom übrigen Zimmer abgetrennten Raum – den Karl bisher noch nicht gesehen hatte, fand eine große Waschung statt. Man sah den Kopf Bruneldas, den freien Hals – das Haar war gerade ins Gesicht geschlagen – und den Ansatz ihres Nackens über den Kasten ragen, und die hie und da gehobene Hand des Delamarche hielt einen weit herumspritzenden Badeschwamm, mit dem Brunelda gewaschen und gerieben wurde. Man hörte die kurzen Befehle des Delamarche, die er dem Robinson erteilte, der nicht durch den jetzt verstellten eigentlichen Zugang des Raumes die Dinge reichte, sondern auf eine kleine Lücke zwischen einem Kasten und einer spanischen Wand angewiesen war, wobei er überdies bei jeder Handreichung den Arm weit ausstrecken und das Gesicht abgewandt halten mußte.
»Das Handtuch! Das Handtuch!« rief Delamarche. Und kaum erschrak Robinson, der gerade unter dem Tisch etwas anderes suchte, über diesen Auftrag und zog den Kopf unter dem Tisch hervor, hieß es schon: »Wo bleibt das Wasser, zum Teufel!« und über dem Kasten erschien hochgereckt das wütende Gesicht des Delamarche. Alles, was man sonst nach Karls Meinung zum Waschen und Anziehen nur einmal brauchte, wurde hier in jeder möglichen Reihenfolge viele Male verlangt und gebracht. Auf einem kleinen elektrischen Ofen stand immer ein Kübel mit Wasser zum Wärmen, und immer wieder trug Robinson die schwere Last zwischen den weit auseinandergestellten Beinen zum Waschraum hin. Bei der Fülle seiner Arbeit war es zu verstehen, wenn er sich nicht immer genau an die Befehle hielt und einmal, als wieder ein Handtuch verlangt wurde, einfach ein Hemd von der großen Schlafstätte in der Zimmermitte nahm und in einem großen Knäuel über die Kasten hinüberwarf.
Aber auch Delamarche hatte schwere Arbeit und war vielleicht nur deshalb gegen Robinson so gereizt – in seiner Gereiztheit übersah er Karl glattwegs –, weil er selbst Brunelda nicht zufriedenstellen konnte. »Ach!« schrie sie auf, und selbst der sonst unbeteiligte Karl zuckte zusammen. »Wie du mir weh tust! Geh weg! Ich wasche mich lieber selbst, statt so zu leiden! Jetzt kann ich schon wieder den Arm nicht heben. Mir ist ganz übel, wie du mich drückst. Auf dem Rücken muß ich lauter blaue Flecke haben. Natürlich, du wirst es mir nicht sagen. Warte, ich werde mich von Robinson anschauen lassen oder von unserem Kleinen. Nein, ich tue es ja nicht, aber sei nur ein wenig zarter. Nimm Rücksicht, Delamarche, aber das kann ich jeden Morgen wiederholen, du nimmst und nimmst keine Rücksicht. – Robinson!« rief sie dann plötzlich und schwenkte ein Spitzenhöschen über ihrem Kopf. »Komm mir zu Hilfe, schau, wie ich leide, diese Tortur nennt er Waschen, dieser Delamarche! Robinson, Robinson, wo bleibst du, hast auch du kein Herz?« Karl machte schweigend dem Robinson ein Zeichen mit dem Finger, daß er doch hingehen möge, aber Robinson schüttelte mit gesenkten Augen überlegen den Kopf, er wußte es besser. »Was fällt dir ein?« sagte Robinson, zu Karls Ohr gebeugt. »Das ist nicht so gemeint. Nur einmal bin ich hingegangen und nicht wieder. Sie haben mich damals beide gepackt und in die Wanne getaucht, daß ich fast ertrunken wäre. Und tagelang hat mir die Brunelda vorgeworfen, daß ich schamlos bin, und immer wieder hat sie gesagt: ›Jetzt warst du aber schon lange nicht im Bad bei mir‹ oder ›Wann wirst du mich denn wieder im Bade anschauen kommen?‹ Erst als ich ihr einigemal auf den Knien abgebeten habe, hat sie aufgehört. Das werde ich nicht vergessen.«
Und während Robinson das erzählte, rief Brunelda immer wieder: »Robinson! Robinson! Wo bleibt denn dieser Robinson!«
Obwohl ihr aber niemand zu Hilfe kam und nicht einmal eine Antwort erfolgte – Robinson hatte sich zu Karl gesetzt und beide sahen schweigend zu den Kasten hin, über denen hie und da die Köpfe Bruneldas oder Delamarches erschienen –, trotzdem hörte Brunelda nicht auf, laut über Delamarche Klage zu führen. »Aber Delamarche!« rief sie. »Jetzt spüre ich ja wieder gar nicht, daß du mich wäschst. Wo hast du den Schwamm? Also greif doch zu! Wenn ich mich nur bücken, wenn ich mich nur bewegen könnte! Ich wollte dir schon zeigen, wie man wäscht. Wo sind die Mädchenzeiten, als ich dort drüben auf dem Gut der Eltern jeden Morgen im Colorado schwamm, die beweglichste von allen meinen Freundinnen. Und jetzt! Wann wirst du denn lernen, mich zu waschen, Delamarche; du schwenkst den Schwamm herum, strengst dich an und ich spüre nichts. Wenn ich sagte, daß du mich nicht wund drücken sollst, so meinte ich doch nicht, daß ich dastehen und mich erkälten will. Du wirst sehen, daß ich aus der Wanne springe und weglaufe, so wie ich bin!«
Aber dann führte sie diese Drohung nicht aus – was sie ja auch an und für sich gar nicht imstande gewesen wäre –, Delamarche schien sie aus Furcht, sie könnte sich erkälten, erfaßt und in die Wanne gedrückt zu haben, denn mächtig klatschte es im Wasser.
»Das kannst du, Delamarche«, sagte Brunelda ein wenig leiser. »Schmeicheln und immer wieder schmeicheln, wenn du etwas schlecht gemacht hast.« Dann war es ein Weilchen still. »Jetzt küßt er sie«, sagte Robinson und hob die Augenbrauen.
»Was kommt jetzt für eine Arbeit?« fragte Karl. Da er sich nun einmal entschlossen hatte hierzubleiben, wollte er auch gleich seinen Dienst versehen. Er ließ Robinson, der nicht antwortete, allein auf dem Kanapee und begann das große, von der Last der Schläfer während der langen Nacht noch immer zusammengepreßte Lager auseinanderzuwerfen, um dann jedes einzelne Stück dieser Masse ordentlich zusammenzulegen, was wohl schon seit Wochen nicht geschehen war.
»Schau nach, Delamarche«, sagte da Brunelda, »ich glaube, sie zerwerfen unser Bett. An alles muß man denken, niemals hat man Ruhe. Du mußt gegen die beiden strenger sein, sie machen sonst, was sie wollen.« »Das ist gewiß der Kleine mit seinem verdammten Diensteifer!« rief Delamarche und wollte wahrscheinlich aus dem Waschraum hervorstürzen, Karl warf schon alles aus der Hand, aber glücklicherweise sagte Brunelda: »Nicht weggehen, Delamarche, nicht weggehen. Ach, wie ist das Wasser heiß, man wird so müde. Bleib bei mir, Delamarche.« Jetzt erst merkte Karl eigentlich, wie der Wasserdampf hinter den Kasten unaufhörlich emporstieg.
Robinson legte erschrocken die Hand an die Wange, als habe Karl etwas Schlimmes angerichtet. »Alles in dem gleichen Zustand lassen, in dem es war!« erklang die Stimme des Delamarche. »Wißt ihr denn nicht, daß Brunelda nach dem Bade noch immer eine Stunde ruht? Elende Mißwirtschaft! Wartet, wenn ich über euch komme! Robinson, du träumst wahrscheinlich schon wieder! Dich, dich allein mache ich für alles verantwortlich, was geschieht. Du hast den Jungen im Zaum zu halten, hier wird nicht nach seinem Kopf gewirtschaftet. Wenn man etwas will, kann man nichts von euch bekommen; wenn nichts zu tun ist, seid ihr fleißig. Verkriecht euch irgendwohin und wartet, bis man euch braucht!«
Aber sogleich war alles vergessen, denn Brunelda flüsterte, ganz müde, als werde sie von dem heißen Wasser überflutet: »Das Parfüm! Bringt das Parfüm!« »Das Parfüm!« schrie Delamarche. »Rührt euch!« Ja, aber wo war das Parfüm? Karl sah Robinson an. Robinson sah Karl an. Karl merkte, daß er hier alles allein in die Hand nehmen müsse, Robinson hatte keine Ahnung, wo das Parfüm war, er legte sich einfach auf den Boden, fuhr immerfort mit beiden Armen unter dem Kanapee herum, beförderte aber nichts anderes als Knäuel von Staub und Frauenhaaren heraus. Karl eilte zuerst zum Waschtisch, der gleich bei der Türe stand, aber in seinen Schubladen fanden sich nur alte englische Romane, Zeitschriften und Noten vor, und alles war so überfüllt, daß man die Schubladen nicht schließen konnte, wenn man sie einmal aufgemacht hatte. »Das Parfüm«, seufzte unterdessen Brunelda, »wie lange das dauert! Ob ich heute noch mein Parfüm bekomme!« Bei dieser Ungeduld Bruneldas durfte natürlich Karl nirgends gründlich suchen, er mußte sich auf den oberflächlichen ersten Eindruck verlassen. Im Waschkasten war die Flasche nicht, auf dem Waschkasten standen überhaupt nur alte Fläschchen mit Medizinen und Salben, alles andere war jedenfalls schon in den Waschraum getragen worden. Vielleicht war die Flasche in der Schublade des Eßtisches. Auf dem Weg zum Eßtisch aber – Karl dachte nur an das Parfüm, sonst an nichts – stieß er heftig mit Robinson zusammen, der das Suchen unter dem Kanapee endlich aufgegeben hatte und in einer aufdämmernden Ahnung vom Standort des Parfüms wie blind Karl entgegenlief. Man hörte deutlich das Zusammenschlagen der Köpfe, Karl blieb stumm, Robinson hielt zwar im Lauf nicht ein, schrie aber, um sich den Schmerz zu erleichtern, andauernd und übertrieben laut.
»Statt das Parfüm zu suchen, kämpfen sie«, sagte Brunelda. »Ich werde krank von dieser Wirtschaft, Delamarche, und werde ganz gewiß in deinen Armen sterben. – Ich muß das Parfüm haben«, rief sie dann, sich aufraffend, »ich muß es unbedingt haben! Ich gehe nicht aus der Wanne, ehe man es mir bringt, und müßte ich hier bis zum Abend bleiben.« Und sie schlug mit der Faust ins Wasser, man hörte es aufspritzen.
Aber auch in der Schublade des Eßtisches war das Parfüm nicht, zwar waren dort ausschließlich Toilettengegenstände Bruneldas, wie alte Puderquasten, Schminktöpfchen, Haarbürsten, Löckchen und viele verfilzte und zusammengeklebte Kleinigkeiten, aber das Parfüm war nicht dort. Und auch Robinson, der, noch immer schreiend, in einer Ecke von etwa hundert dort aufgehäuften Schachteln und Kassetten eine nach der anderen öffnete und durchkramte, wobei immer die Hälfte des Inhalts, meist Nähzeug und Briefschaften, auf den Boden fiel und dort liegenblieb, konnte nichts finden, wie er zeitweise Karl durch Kopfschütteln und Achselzucken anzeigte.
Da sprang Delamarche in Unterkleidung aus dem Waschraum hervor, während man Brunelda krampfhaft weinen hörte. Karl und Robinson ließen vom Suchen ab und sahen den Delamarche an, der, ganz und gar durchnäßt – auch vom Gesicht und von den Haaren rann ihm das Wasser –, ausrief: »Jetzt also fangt gefälligst zu suchen an!« – »Hier!« befahl er zuerst Karl zu suchen und dann »Dort!« dem Robinson. Karl suchte wirklich und überprüfte auch noch die Plätze, zu denen Robinson schon kommandiert worden war, aber er fand ebensowenig das Parfüm wie Robinson, der eifriger als er suchte, seitlich nach Delamarche ausschaute, der, so weit der Raum reichte, stampfend im Zimmer auf und ab ging und gewiß am liebsten sowohl Karl wie Robinson durchgeprügelt hätte.
»Delamarche!« rief Brunelda. »Komm mich doch wenigstens abtrocknen! Die beiden finden ja das Parfüm doch nicht und bringen nur alles in Unordnung. Sie sollen sofort mit dem Suchen aufhören. Aber gleich! Und alles aus der Hand legen! Und nichts mehr anrühren! Sie möchten wohl aus der Wohnung einen Stall machen. Nimm sie beim Kragen, Delamarche, wenn sie nicht aufhören! Aber sie arbeiten ja noch immer, gerade ist eine Schachtel gefallen. Sie sollen sie nicht mehr aufheben, alles liegenlassen, und aus dem Zimmer hinaus! Riegle hinter ihnen die Tür zu und komm zu mir. Ich liege ja schon viel zu lange im Wasser, die Beine habe ich schon ganz kalt.«
»Gleich, Brunelda, gleich!« rief Delamarche und eilte mit Karl und Robinson zur Tür. Ehe er sie aber entließ, gab er ihnen den Auftrag, das Frühstück zu holen und womöglich von jemandem ein gutes Parfüm für Brunelda auszuborgen.
»Das ist eine Unordnung und ein Schmutz bei euch«, sagte Karl draußen auf dem Gang, »sobald wir mit dem Frühstück zurückkommen, müssen wir zu ordnen anfangen.«
»Wenn ich nur nicht so leidend wäre!« sagte Robinson. »Und die Behandlung!« Gewiß kränkte sich Robinson darüber, daß Brunelda zwischen ihm, der sie doch schon monatelang bediente, und Karl, der erst gestern eingetreten war, nicht den geringsten Unterschied machte. Aber er verdiente es nicht besser, und Karl sagte: »Du mußt dich ein wenig zusammennehmen.« Um ihn aber nicht gänzlich seiner Verzweiflung zu überlassen, fügte er hinzu: »Es wird ja nur eine einmalige Arbeit sein. Ich werde dir hinter den Kasten ein Lager machen, und wenn nur einmal alles ein wenig geordnet ist, wirst du dort den ganzen Tag liegen können, dich um gar nichts kümmern müssen und sehr bald gesund werden.«
»Jetzt siehst du es also selbst ein, wie es mit mir steht«, sagte Robinson und wandte das Gesicht von Karl ab, um mit sich und seinem Leid allein zu sein. »Aber werden sie mich denn jemals ruhig liegenlassen?«
»Wenn du willst, werde ich darüber selbst mit Delamarche und Brunelda reden.«
»Nimmt denn Brunelda irgendeine Rücksicht?« rief Robinson aus und stieß mit der Faust eine Tür auf, zu der sie eben gekommen waren, ohne daß er Karl darauf vorbereitet hätte.
Sie traten in eine Küche ein, von deren Herd, der reparaturbedürftig schien, geradezu schwarze Wölkchen aufstiegen. Vor der Herdtüre kniete eine der Frauen, die Karl gestern auf dem Korridor gesehen hatte, und legte mit den bloßen Händen große Kohlestücke in das Feuer, das sie nach allen Richtungen hin prüfte. Dabei seufzte sie in ihrer für eine alte Frau unbequemen, knienden Stellung.
»Natürlich, da kommt auch noch diese Plage«, sagte sie beim Anblick Robinsons, erhob sich mühselig, die Hand auf der Kohlenkiste, und schloß die Herdtüre, deren Griff sie mit ihrer Schürze umwickelt hatte. »Jetzt um vier Uhr nachmittags« – Karl staunte die Küchenuhr an – »müßt ihr noch frühstücken? Bande! – Setzt euch«, sagte sie dann, »und wartet, bis ich für euch Zeit habe.«
Robinson zog Karl auf ein Bänkchen in der Nähe der Türe nieder und flüsterte ihm zu: »Wir müssen ihr folgen. Wir sind nämlich von ihr abhängig. Wir haben unser Zimmer von ihr gemietet, und sie kann uns natürlich jeden Augenblick kündigen. Aber wir können doch nicht die Wohnung wechseln, wie sollen wir denn wieder alle die Sachen wegschaffen, und vor allem ist doch Brunelda nicht transportabel.«
»Und hier auf dem Gang ist kein anderes Zimmer zu bekommen?« fragte Karl.
»Es nimmt uns ja niemand auf«, antwortete Robinson. »Im ganzen Haus nimmt uns niemand auf.«
So saßen sie still auf ihrem Bänkchen und warteten. Die Frau lief immerfort zwischen zwei Tischen, einem Waschbottich und dem Herd hin und her. Aus ihren Ausrufen erfuhr man, daß ihre Tochter unwohl war und sie deshalb alle Arbeit, nämlich die Bedienung und Verpflegung von dreißig Mietern, allein besorgen mußte. Nun war noch überdies der Ofen schadhaft, das Essen wollte nicht fertig werden, in zwei riesigen Töpfen wurde eine dicke Suppe gekocht, und wie oft die Frau sie auch mit Schöpflöffeln untersuchte und aus der Höhe herabfließen ließ, die Suppe wollte nicht gelingen, es mußte wohl das schlechte Feuer daran schuld sein, und so setzte sie sich vor der Herdtüre fast auf den Boden und arbeitete mit dem Schürhaken in der glühenden Kohle herum: Der Rauch, von dem die Küche erfüllt war, reizte sie zu einem Husten, der sich manchmal so verstärkte, daß sie nach einem Stuhl griff und minutenlang nichts anderes tat als hustete. Öfters machte sie die Bemerkung, daß sie das Frühstück heute überhaupt nicht mehr liefern werde, weil sie dazu weder Zeit noch Lust habe. Da Karl und Robinson einerseits den Befehl hatten, das Frühstück zu holen, andererseits aber keine Möglichkeit, es zu erzwingen, antworteten sie auf solche Bemerkungen nicht, sondern blieben still sitzen wie zuvor.
Ringsherum, auf Sesseln und Fußbänkchen, auf und unter den Tischen, ja selbst auf der Erde in einem Winkel zusammengedrängt, stand noch das ungewaschene Frühstücksgeschirr der Mieter. Da waren Kännchen, in denen sich noch ein wenig Kaffee oder Milch vorfinden würde, auf manchen Tellerchen gab es noch Überbleibsel von Butter, aus einer umgefallenen großen Blechbüchse waren Keks weit herausgerollt. Es war schon möglich, aus all dem ein Frühstück zusammenzustellen, an dem Brunelda, wenn sie seinen Ursprung nicht erfuhr, nicht das geringste hätte aussetzen können. Als Karl das bedachte und ein Blick auf die Uhr ihm zeigte, daß sie nun schon eine halbe Stunde hier warteten und Brunelda vielleicht wütete und Delamarche gegen die Dienerschaft aufhetzte, rief gerade die Frau aus einem Husten heraus – während dessen sie Karl anstarrte –: »Ihr könnt hier schon sitzen, aber das Frühstück bekommt ihr nicht. Dagegen bekommt ihr in zwei Stunden das Nachtmahl.«
»Komm, Robinson«, sagte Karl, »wir werden uns das Frühstück selbst zusammenstellen.« »Wie?« rief die Frau, mit geneigtem Kopf. »Seien Sie doch, bitte, vernünftig«, sagte Karl, »warum wollen Sie uns denn das Frühstück nicht geben? Nun warten wir schon eine halbe Stunde, das ist lang genug. Man bezahlt Ihnen doch alles, und gewiß zahlen wir bessere Preise als alle anderen. Daß wir so spät frühstücken, ist gewiß für Sie lästig, aber wir sind Ihre Mieter, haben die Gewohnheit, spät zu frühstücken, und Sie müssen sich eben auch ein wenig für uns einrichten. Heute wird es Ihnen natürlich wegen der Krankheit Ihres Fräulein Tochter besonders schwer, aber dafür sind wir wieder bereit, uns das Frühstück hier aus den Überbleibseln zusammenzustellen, wenn es nicht anders geht und Sie uns kein frisches Essen geben.«
Aber die Frau wollte sich mit niemandem in eine freundschaftliche Aussprache einlassen, für diese Mieter schienen ihr auch noch die Überbleibsel des allgemeinen Frühstücks zu gut; aber andererseits hatte sie die Zudringlichkeit der beiden Diener schon satt, packte deshalb eine Tasse und stieß sie Robinson gegen den Leib, der erst nach einem Weilchen mit wehleidigem Gesicht begriff, daß er die Tasse halten sollte, um das Essen, das die Frau aussuchen wollte, in Empfang zu nehmen. Sie belud nun die Tasse in größter Eile zwar mit einer Menge von Dingen, aber das Ganze sah eher wie ein Haufen schmutzigen Geschirrs, nicht wie ein eben zu servierendes Frühstück aus. Noch während die Frau sie hinausdrängte und sie gebückt, als fürchteten sie Schimpfwörter oder Stöße, zur Tür eilten, nahm Karl die Tasse Robinson aus den Händen, denn bei Robinson schien sie ihm nicht sicher genug.
Auf dem Gang setzte sich Karl, nachdem sie weit genug von der Tür der Vermieterin waren, mit der Tasse auf den Boden, um vor allem die Tasse zu reinigen, die zusammengehörigen Dinge zu sammeln, also die Milch zusammenzugießen, die verschiedenen Butterüberbleibsel auf einen Teller zu kratzen, dann alle Anzeichen des Gebrauches zu beseitigen, also die Messer und Löffel zu reinigen, die angebissenen Brötchen geradezuschneiden und so dem Ganzen ein besseres Aussehen zu geben. Robinson hielt diese Arbeit für unnötig und behauptete, das Frühstück hätte schon oft noch viel ärger ausgesehen, aber Karl ließ sich durch ihn nicht abhalten und war noch froh, daß sich Robinson mit seinen schmutzigen Fingern an der Arbeit nicht beteiligen wollte. Um ihn in Ruhe zu halten, hatte ihm Karl gleich, allerdings ein für allemal, wie er ihm dabei sagte, einige Keks und den dicken Bodensatz eines früher mit Schokolade gefüllten Töpfchens zugewiesen.
Als sie vor ihre Wohnung kamen und Robinson ohne weiteres die Hand an die Klinke legte, hielt ihn Karl zurück, da es doch nicht sicher war, ob sie eintreten durften. »Aber ja«, sagte Robinson, »jetzt frisiert er sie ja nur.« Und tatsächlich saß in dem noch immer ungelüfteten und verhängten Zimmer Brunelda mit weit auseinandergestellten Beinen im Lehnstuhl, und Delamarche, der hinter ihr stand, kämmte mit tief hinabgebeugtem Gesicht ihr kurzes, wahrscheinlich sehr verfilztes Haar. Brunelda trug wieder ein ganz loses Kleid, diesmal aber von blaßrosa Farbe, es war vielleicht ein wenig kürzer als das gestrige, wenigstens sah man die weißen, grobgestrickten Strümpfe fast bis zum Knie. Ungeduldig über die lange Dauer des Kämmens, fuhr Brunelda mit der dicken, roten Zunge zwischen den Lippen hin und her, manchmal riß sie sich sogar mit dem Ausruf: »Aber Delamarche!« gänzlich von Delamarche los, der mit erhobenem Kamm ruhig wartete, bis sie den Kopf wieder zurücklegte.
»Es hat lange gedauert«, sagte Brunelda im allgemeinen, und zu Karl insbesondere sagte sie: »Du mußt ein wenig flinker sein, wenn du willst, daß man mit dir zufrieden ist. An dem faulen und gefräßigen Robinson darfst du dir kein Beispiel nehmen. Ihr habt wohl schon inzwischen irgendwo gefrühstückt; ich sage euch, nächstens dulde ich das nicht.«
Das war sehr ungerecht, und Robinson schüttelte auch den Kopf und bewegte, allerdings lautlos, die Lippen, Karl jedoch sah ein, daß man auf die Herrschaft nur dadurch einwirken könne, daß man ihr zweifellos Arbeit zeige. Er zog daher ein niedriges japanisches Tischchen aus einem Winkel, überdeckte es mit einem Tuch und stellte die mitgebrachten Sachen auf. Wer den Ursprung des Frühstücks gesehen hatte, konnte mit dem Ganzen zufrieden sein, sonst aber war, wie sich Karl sagen mußte, manches daran auszusetzen.
Glücklicherweise hatte Brunelda Hunger. Wohlgefällig nickte sie Karl zu, während er alles vorbereitete, und öfters hinderte sie ihn, indem sie vorzeitig mit ihrer weichen, fetten, womöglich gleich alles zerdrückenden Hand irgendeinen Bissen für sich hervorholte. »Er hat es gut gemacht«, sagte sie schmatzend und zog Delamarche, der den Kamm in ihrem Haar für die spätere Arbeit steckenließ, neben sich auf einen Sessel nieder. Auch Delamarche wurde beim Anblick des Essens freundlich, beide waren sehr hungrig, ihre Hände eilten kreuz und quer über das Tischchen. Karl erkannte, daß man hier, um zu befriedigen, nur immer möglichst viel bringen mußte, und in Erinnerung daran, daß er in der Küche noch verschiedene brauchbare Eßware auf dem Boden liegengelassen hatte, sagte er: »Beim ersten Mal habe ich nicht gewußt, wie alles angerichtet werden soll, nächstes Mal werde ich es besser machen.« Aber noch während des Redens erinnerte er sich, zu wem er sprach, er war zu sehr von der Sache selbst befangen gewesen. Brunelda nickte Delamarche befriedigt zu und reichte Karl zum Lohn eine Handvoll Keks.
Eines Morgens schob Karl den Krankenwagen, in dem Brunelda saß, aus dem Haustor. Es war nicht mehr so früh, wie er gehofft hatte. Sie waren übereingekommen, die Auswanderung noch in der Nacht zu bewerkstelligen, um in den Gassen kein Aufsehen zu erregen, das bei Tag unvermeidlich gewesen wäre, so bescheiden auch Brunelda mit einem großen grauen Tuch sich bedecken wollte. Aber der Transport über die Treppe hatte zu lange gedauert, trotz der bereitwilligsten Mithilfe des Studenten, der viel schwächer als Karl war, wie sich bei dieser Gelegenheit herausstellte. Brunelda hielt sich sehr tapfer, seufzte kaum und suchte ihren Trägern die Arbeit auf alle Weise zu erleichtern. Aber es ging doch nicht anders, als daß man sie auf jeder fünften Treppenstufe niedersetzte, um sich selbst und ihr die Zeit zum notwendigen Ausruhen zu gönnen. Es war ein kühler Morgen, auf den Gängen wehte kalte Luft wie in den Kellern, aber Karl und der Student waren ganz in Schweiß und mußten während der Ruhepausen jeder ein Zipfel von Bruneldas Tuch, das sie ihnen übrigens freundlich reichte, nehmen, um das Gesicht zu trocknen. So kam es, daß sie erst nach zwei Stunden unten anlangten, wo schon vom Abend her das Wägelchen stand. Das Hineinheben Bruneldas gab noch eine gewisse Arbeit, dann aber durfte man das Ganze für gelungen ansehen, denn das Schieben des Wagens mußte dank den hohen Rädern nicht schwer sein, und es blieb nur die Befürchtung, daß der Wagen unter Brunelda aus den Fugen gehen würde. Diese Gefahr mußte man allerdings auf sich nehmen, man konnte nicht einen Ersatzwagen mitführen, zu dessen Bereitstellung und Führung der Student halb im Scherz sich angeboten hatte. Es erfolgte nun die Verabschiedung vom Studenten, die sogar sehr herzlich war. Alle Nichtübereinstimmung zwischen Brunelda und dem Studenten schien vergessen, er entschuldigte sich sogar wegen der alten Beleidigung Bruneldas, die er sich bei ihrer Krankheit hatte zuschulden kommen lassen, aber Brunelda sagte, alles sei längst vergessen und mehr als gutgemacht. Schließlich bat sie den Studenten, er möge zum Andenken an sie einen Dollar freundlichst annehmen, den sie mühselig aus ihren vielen Röcken hervorsuchte. Dieses Geschenk war bei Bruneldas bekanntem Geiz sehr bedeutungsvoll, der Student hatte auch wirklich große Freude davon und warf die Münze hoch in die Luft. Dann allerdings mußte er sie auf dem Boden suchen, und Karl mußte ihm helfen, schließlich fand Karl sie auch unter dem Wagen Bruneldas. Der Abschied zwischen dem Studenten und Karl war natürlich viel einfacher, sie reichten einander nur die Hand und sprachen die Überzeugung aus, daß sie einander wohl noch einmal sehen würden und daß dann wenigstens einer von ihnen – der Student behauptete es von Karl, Karl vom Studenten – etwas Rühmenswertes erreicht haben würde, was bisher leider nicht der Fall war. Dann faßte Karl mit gutem Mut den Griff des Wagens und schob ihn aus dem Tor. Der Student sah ihnen so lange nach, als sie noch zu sehen waren, und winkte mit einem Tuch. Karl nickte oft grüßend zurück, auch Brunelda hätte sich gerne umgewandt, aber solche Bewegungen waren für sie zu anstrengend. Um ihr doch noch einen letzten Abschied zu ermöglichen, führte Karl am Ende der Straße den Wagen in einem Kreis herum, so daß auch Brunelda den Studenten sehen konnte, der diese Gelegenheit ausnutzte, um mit dem Tuch besonders eifrig zu winken.
Dann aber sagte Karl, jetzt dürften sie sich keinen Aufenthalt mehr gönnen, der Weg sei lang, und sie seien viel später ausgefahren, als es beabsichtigt war. Tatsächlich sah man schon hie und da Fuhrwerke und, wenn auch sehr vereinzelt, Leute, die zur Arbeit gingen. Karl hatte mit seiner Bemerkung nichts weiter sagen wollen, als was er wirklich gesagt hatte, Brunelda aber faßte es in ihrem Zartgefühl anders auf und bedeckte sich ganz und gar mit ihrem grauen Tuch. Karl wandte nichts dagegen ein; der mit einem grauen Tuch bedeckte Handwagen war zwar sehr auffällig, aber unvergleichlich weniger auffällig, als es die unbedeckte Brunelda gewesen wäre. Er fuhr sehr vorsichtig; ehe er um eine Ecke bog, beobachtete er die nächste Straße, ließ sogar, wenn es nötig schien, den Wagen stehen, und ging allein ein paar Schritte voraus, sah er irgendeine vielleicht unangenehme Begegnung voraus, so wartete er, bis sie sich vermeiden ließ, oder wählte sogar den Weg durch eine ganz andere Straße. Selbst dann kam er, da er alle möglichen Wege vorher genau studiert hatte, niemals in die Gefahr, einen bedeutenden Umweg zu machen. Allerdings erschienen Hindernisse, die zwar zu befürchten gewesen waren, sich aber im einzelnen nicht hatten vorhersehen lassen. So trat plötzlich in einer Straße, die, leicht ansteigend, weit zu überblicken und erfreulicherweise vollständig leer war – ein Vorteil, den Karl durch besondere Eile auszunutzen suchte –, aus dem dunklen Winkel eines Haustores ein Polizeimann und fragte Karl, was er denn in dem so sorgfältig verdeckten Wagen führe. So streng er aber Karl angesehen hatte, so mußte er doch lächeln, als er die Decke lüftete und das erhitzte, ängstliche Gesicht Bruneldas erblickte. »Wie?« sagte er. »Ich dachte, du hättest hier zehn Kartoffelsäcke, und jetzt ist es ein einziges Frauenzimmer? Wohin fahrt ihr denn? Wer seid ihr?« Brunelda wagte gar nicht, den Polizeimann anzusehen, sondern blickte nur immer auf Karl mit dem deutlichen Zweifel, daß selbst er sie nicht werde erretten können. Karl aber hatte schon Erfahrungen genug mit Polizisten, ihm schien das Ganze nicht sehr gefährlich. »Zeigen Sie doch, Fräulein«, sagte er, »das Schriftstück, das Sie bekommen haben.« »Ach ja«, sagte Brunelda und begann in einer so hoffnungslosen Weise zu suchen, daß sie wirklich verdächtig erscheinen mußte. »Das Fräulein«, sagte der Polizist mit zweifelloser Ironie, »wird das Schriftstück nicht finden.« »O ja«, sagte Karl ruhig, »sie hat es bestimmt, sie hat es nur verlegt.« Er begann nun selbst zu suchen und zog es tatsächlich hinter Bruneldas Rücken hervor. Der Polizist sah es nur flüchtig an. »Da ist es also«, sagte der Polizist lächelnd. »So ein Fräulein ist das Fräulein? Und Sie, Kleiner, besorgen die Vermittlung und den Transport? Wissen Sie wirklich keine bessere Beschäftigung zu finden?« Karl zuckte bloß die Achseln, das waren wieder die bekannten Einmischungen der Polizei. »Na, glückliche Reise«, sagte der Polizeimann, als er keine Antwort bekam. In den Worten des Polizeimanns lag wahrscheinlich Verachtung, dafür fuhr auch Karl ohne Gruß weiter, Verachtung der Polizei war besser als ihre Aufmerksamkeit.
Kurz darauf hatte er eine womöglich noch unangenehmere Begegnung. Es machte sich nämlich an ihn ein Mann heran, der einen Wagen mit großen Milchkannen vor sich herschob und äußerst gern erfahren hätte, was unter dem grauen Tuch auf Karls Wagen lag. Es war nicht anzunehmen, daß er den gleichen Weg wie Karl hatte, dennoch aber blieb er ihm zur Seite, so überraschende Wendungen Karl auch machte. Zuerst begnügte er sich mit Ausrufen, wie zum Beispiel »Du mußt eine schwere Last haben!« oder »Du hast schlecht aufgeladen, oben wird etwas herausfallen!«. Später aber fragte er geradezu: »Was hast du denn unter dem Tuch?« Karl sagte: »Was kümmert's dich?« Aber da das den Mann noch neugieriger machte, sagte Karl schließlich: »Es sind Äpfel.« »Soviel Äpfel!« sagte der Mann staunend und hörte nicht auf, diesen Ausruf zu wiederholen. »Das ist ja eine ganze Ernte«, sagte er dann. »Nun ja«, sagte Karl. Aber sei es, daß er Karl nicht glaubte, sei es, daß er ihn ärgern wollte, er ging noch weiter, begann – alles während der Fahrt – die Hand wie zum Scherz nach dem Tuch auszustrecken und wagte es endlich sogar, an dem Tuch zu zupfen. Was mußte Brunelda leiden! Aus Rücksicht auf sie wollte sich Karl in keinen Streit mit dem Mann einlassen und fuhr in das nächste offene Tor ein, als sei das sein Ziel gewesen. »Hier bin ich zu Hause«, sagte er, »Dank für die Begleitung.« Der Mann blieb erstaunt vor dem Tor stehen und sah Karl nach, der ruhig daran ging, wenn es sein mußte, den ganzen ersten Hof zu durchqueren. Der Mann konnte nicht mehr zweifeln, aber um seiner Bosheit ein letztes Mal zu genügen, ließ er seinen Wagen stehen, lief Karl auf den Fußspitzen nach und riß so stark an dem Tuch, daß er Bruneldas Gesicht fast entblößt hätte. »Damit deine Äpfel Luft bekommen«, sagte er und lief zurück. Auch das nahm Karl noch hin, da es ihn endgültig von dem Mann befreite. Er führte dann den Wagen in einen Hofwinkel, wo einige große, leere Kisten standen, in deren Schutz er unter dem Tuch Brunelda einige beruhigende Worte sagen wollte. Aber er mußte lange auf sie einreden, denn sie war ganz in Tränen und flehte ihn allen Ernstes an, hier, hinter den Kisten, den ganzen Tag zu bleiben und erst in der Nacht weiterzufahren. Vielleicht hätte er allein sie gar nicht davon überzeugen können, wie verfehlt das gewesen wäre, als aber jemand am anderen Ende des Kistenhaufens eine leere Kiste unter ungeheuerem, im leeren Hof widerhallendem Lärm zu Boden warf, erschrak sie so, daß sie, ohne ein Wort mehr zu wagen, das Tuch über sich zog und wahrscheinlich glückselig war, als Karl, kurz entschlossen, sofort zu fahren begann.
Die Straßen wurden jetzt immer belebter, aber die Aufmerksamkeit, die der Wagen erregte, war nicht so groß, wie Karl befürchtet hatte. Vielleicht wäre es überhaupt klüger gewesen, eine andere Zeit für den Transport zu wählen. Wenn eine solche Fahrt wieder nötig werden sollte, wollte sich Karl getrauen, sie in der Mittagsstunde auszuführen. Ohne schwerer belästigt worden zu sein, bog er endlich in die schmale, dunkle Gasse ein, in der das Unternehmen Nummer 25 sich befand. Vor der Tür stand der schielende Verwalter mit der Uhr in der Hand. »Bist du immer so unpünktlich?« fragte er. »Es gab verschiedene Hindernisse«, sagte Karl. »Die gibt es bekanntlich immer«, sagte der Verwalter. »Hier im Hause gelten sie aber nicht. Merk dir das!« Auf solche Reden hörte Karl kaum mehr hin, jeder nützte seine Macht aus und beschimpfte den Niedrigen. War man einmal daran gewöhnt, klang es nicht anders als das regelmäßige Uhrenschlagen. Wohl aber erschreckte ihn, als er jetzt den Wagen in den Flur schob, der Schmutz, der hier herrschte und den er allerdings erwartet hatte. Es war, wenn man näher zusah, kein faßbarer Schmutz. Der Steinboden des Flurs war fast rein gekehrt, die Malerei der Wände nicht alt, die künstlichen Palmen nur wenig verstaubt, und doch war alles fettig und abstoßend, es war, als wäre von allem ein schlechter Gebrauch gemacht worden und als wäre keine Reinlichkeit mehr imstande, das wieder gutzumachen. Karl dachte gern, wenn er irgendwohin kam, darüber nach, was hier verbessert werden könne und welche Freude es sein müßte, sofort einzugreifen, ohne Rücksicht auf die vielleicht endlose Arbeit, die es verursachen würde. Hier aber wußte er nicht, was zu tun wäre. Langsam nahm er das Tuch von Brunelda ab. »Willkommen, Fräulein«, sagte der Verwalter geziert, es war kein Zweifel, daß Brunelda einen guten Eindruck auf ihn machte. Sobald Brunelda dies merkte, verstand sie das, wie Karl befriedigt sah, gleich auszunutzen. Alle Angst der letzten Stunden verschwand.