Jacob Welse lachte, als Gregory ihm am anderen Tag die Geschichte erzählte.

»So ist dies knurrige alte Biest; genauso verrückt, wie es aussieht. Er ist mehr Jahre im Lande, als er Menschen kennengelernt hat. Ich glaube, daß er in ganz Alaska keinen einzigen Freund hat, nicht einmal unter den Indianern, mit denen er viel zusammen ist. Sie nennen ihn: >Jonny Halbverdrehtc, aber ebensogut könnten sie ihn >Jonny Schlagzu< nennen. Er ist jähzornig und hat eine schwere Tatze. Stellen Sie sich vor, wozu der Kerl imstande ist. Einmal hatte er eine Meinungsverschiedenheit mit meinem Faktor in Arctic City. Er hatte absolut recht, aber bei dem Faktor war es nur ein Irrtum, kein böser Wille. Was tut der Rübezahl? Erklärt meiner ganzen Unternehmung seinen Boykott und lebt ein volles Jahr lang ausschließlich von Fleisch. Dann traf ich ihn zufällig und erklärte ihm die ganze Sache, und dann hat er wieder bei uns gekauft.«

»Und das Mädel?«

»Das hat er sich irgendwo aus dem höchsten Norden heruntergeholt. Ich beneide sie nicht. Dem sein Bettschatz zu sein, das ist kaum ein Vergnügen.«

Gregory St. Vincent kümmerte sich nicht viel um seine Wirte. Die meiste Zeit verbrachte er auf »Split-up-Island« mit Frona und ihrem Vater. Aber eines Abends kam es doch zu einem Zusammenstoß. Als St. Vincent nach Hause kam, saß der Alte im letzten dünnen Licht der Sonne vor seiner Hütte, und nahe bei ihm stand Bella an einer Waschwanne. Es war ein klobiges, selbstgezimmertes Ding und, wenn sie halb voll Wasser war, viel zu schwer, als daß eine Frau sie heben konnte. Als Bella das Wasser wechseln wollte, sprang St. Vincent herbei, um zu helfen. Sie nahmen die Wanne zwischen sich und gingen ein paar Schritte weit zu einem Abflußrohr. Zuerst rutschte St. Vincent im halbaufgetauten Schnee aus, und das Seifenwasser übersprudelte ihn. Dann glitt Bella aus, und ein paar Schritte weiter fielen sie beide um. Es tat nicht weh, sie fanden es lustig; Bella kicherte laut, und St. Vincent lachte mit. In der Luft und in ihrem Blut war Frühling. An diesem Tag war alles zum Lachen. Aber sie hatten nicht bemerkt, daß Borg die Ohren spitzte. Als sie die Wanne zurücktrugen, passierte es abermals, daß Bella mit beiden Füßen zugleich ausglitt und sich mit einem hörbaren Plumps auf den Boden setzte. Jetzt klang ihr Lachen schon wie Jubeln, Gregory reichte ihr beide Hände zum Aufstehen, aber da war mit einem Satz und wildem Gebrüll Borg über ihnen. Er riß die vier Hände auseinander und schleuderte St. Vincent auf die Seite, daß er ein halbes Dutzend Meter weit taumelte. Dann wiederholte sich der seinerzeitige Auftritt. Bella warf sich winselnd vor ihrem Herrn zur Erde, in den Schmutz, aber es geschah ihr nichts. »Hör zu, Bursche«, sagte Borg mit tiefem Schnauben zu St. Vincent. »Du schläfst in meiner Hütte und kochst deinen Fraß auf meinem Ofen! Das genügt! Mein Weib läßt du in Ruh!«

Der Frühling war gekommen wie ein Wunder, streichelte die Welt mit sanften Händen und wiegte sie in Träume ein, ehe der Sommer mit seiner Blumenpracht kam. Schnee lag nur noch auf den eisschründigen Zinnen, aus Schluchten und Tälern war er verschwunden; die Gletscher begannen zu schmelzen, und jeder Fluß war ein brüllender Strom. Jeder Tag wurde länger als der vergangene; jetzt begann die kühle Morgendämmerung schon um drei Uhr, und es wurde neun Uhr, ehe der Abend kam. Bald sollte sich ein goldener Kreis rings um den Himmel ziehen und die Mitternachtsstunde strahlend sein wie der Mittag. Weide und Esche hatten schon Kätzchen getragen. Jetzt schmückten sie sich mit Laub, und die Kiefern standen hoch im Saft.

Mutter Natur war mit einem Seufzer erwacht und hatte sich an ihre kurze Sommerarbeit gemacht. Die Grillen sangen nachts um stille Hütten, im Mondschein krochen Moskitos aus hohlen Baumstämmen, es waren große, lärmende, unschädliche Geschöpfe, die den ganzen Winter hindurch wie Eisstücke gelegen hatten und jetzt vergnügt einem neuen Tod entgegensummten. Alles kriechende, krabbelnde und flatternde Leben kam aus der warmen Erde hervor, um zu reifen, zu zeugen und zu sterben. Uferschwalben gruben ihre Niststollen in die weichen Lehmgänge, Rotkehlchen sangen von den Kiefern. Über ihnen pochte unaufhörlich der Specht, in der Tiefe des Waldes schwirrten jählings Rebhuhnweibchen auf, während die Hähne in der Pracht ihres Männerkleides auf und ab stolzierten.

Nur der Yukon kümmerte sich nicht um dies große Erwachen. Viele Meilen weit lag er noch immer kalt da, unbeweglich und tot. Wildgänse, die, vom Süden kommend, in keilförmigen Zügen den Wind spalteten, machten halt, spähten nach offenem Wasser aus und flogen enttäuscht weiter nach Norden. Hier und da brach das Wasser durch und überschwemmte das unerbittliche Eis, aber in der nächsten kalten Nacht gefror es wieder zu einer einzigen festen Masse. Man erzählte sich, daß das Eis auf diesem Strom einmal drei lange Sommer hindurch nicht gewichen war. Für diesen Sommer hoffte man auf besondere Wärme. Noch war der Fluß nicht willens, seinen Griff zu lockern, noch wollten die Eismassen nicht hinab ins Beringmeer schwimmen, aber jede Stunde konnte Erlösung bringen.

Im Lager auf »Split-up-Island« war alles bereit, um die Eisschmelze auszunützen. Wasserstraßen sind in jedem wilden Land die ersten Landstraßen gewesen. Hier war der Yukon die einzige Straße. Die Leute, die darauf warteten, sie benutzen zu können, pichten ihre Boote aus und beschlugen ihre Bootsstangen mit frischem Eisen. Mit großen Messern schnitzten sie sich neue Steuerriemen zurecht.

Jacob Welse genoß das Nichtstun, das er sich im Leben so selten gegönnt hatte, und Frona sah, wie gut es ihm tat. Eines Nachmittags saß man zusammen vor dem Zelt; St. Vincent und sein Freund, der Baron Courbertin, waren zu Gast, und man berechnete, wie lange diese erzwungene Ruhe noch dauern könnte, als Jacob Welse witternd den Kopf hob.

»Da drüben, südlich von der Klippe! Könnt ihr etwas erkennen? Da bewegt sich was.«

»Ein Hund!«

»Für einen Hund bewegt es sich zu langsam. Frona, sei so gut, meinen Feldstecher.«

Die beiden jungen Männer liefen um die Wette. St. Vincent wußte, wo der Feldstecher lag, und kam wie ein Sieger damit zurück. Jacob Welse hielt das Glas lange an die Augen und suchte die Klippe ab. Es war eine ganze Meile von der Insel bis zum anderen Ufer; das Sonnenlicht lag blendend auf dem Eis, und es war schwer, etwas auszumachen.

»Es ist ein Mensch«, sagte er endlich und reichte dem Baron seinen Feldstecher. »Etwas ist da drüben nicht geheuer.«

»Er kriecht!« rief der Baron. »Ein Mann, der auf Händen und Knien kriecht. Sehen Sie nur, sehen Sie!«

Zitternd reichte er Frona das Glas. Als Fronas Augen sich an das leuchtende Weiß gewöhnt hatten, erkannte sie ein winziges dunkles Etwas, das sich kaum von einem ebenso dunklen Hintergrund aus Erde und Buschwerk abzeichnete. Es war ein Mann. Jetzt erkannte sie jede seiner Bewegungen! Er kroch mühselig an eine vom Winde gefällte Kiefer heran und versuchte, dies große Hindernis zu überwinden. Zweimal war es ihm schon mißglückt. Beim dritten Versuch, der unsägliche Mühe zu kosten schien, gelang es ihm, hinüberzukommen. Hilflos taumelte er weiter, dann fiel er, das Gesicht nach unten, in wirres Gebüsch.

»Ich glaube, er hat keine Kraft mehr«, sagte sie und reichte Gregory das Glas.

Der alte Welse sprang erregt auf und holte sein Gewehr aus dem Zelt: »Wir müssen ihm ein Zeichen geben. Paßt auf, ob er reagiert!« Sechs Schüsse knallten in kurzen Abständen in die Luft hinaus.

»Er bewegt sich!«

Alle verfolgten in entsetzlicher Spannung, was der Unglückliche unternahm.

»Er kriecht ans Ufer. Ah! Nein. Er liegt auf der Erde und hebt seinen Hut oder so etwas Ähnliches auf einen Stock! Jetzt winkt er!«

Jacob Welse steckte einen neuen Rahmen in sein Gewehr und gab noch einmal sechs Schüsse ab.

»Er winkt wieder! Mein Gott, jetzt hat er den Stock fallen lassen. Jetzt liegt er ganz still da!«

Alle drei sahen Jacob Welse an, als müßte er genau wissen, wie es um den Menschen stand. Der zuckte die Achseln.

»Ein Weißer oder ein Indianer? Wahrscheinlich Hunger. Vielleicht hat er auch einen Knochenbruch.«

»Aber vielleicht stirbt er!« sagte Frona, und ihre Stimme bettelte, als könnte ihr Vater dies Schicksal wenden.

Der Baron rang die Hände: »Insuppertable! Oh, das sein terrible, das! Entsetzlik! Direkt vor unsere Augen, und wir könne nicht elfen!« Dann rief er plötzlich: »Nein! Das darf nicht passiere! Ich gehe ibber die Eis!«

Er wollte den Abhang hinunterspringen, aber Welse hielt ihn am Arm fest.

»Nicht zu hitzig, Baron! Helfen müssen wir, aber was braucht der Mann? Nahrung, Medizin, was sonst? Überlegen wir einen Augenblick, dann wollen wir einen Versuch machen.«

»Auf mich können Sie zählen«, erklärte St. Vincent schnell, und Fronas Augen leuchteten stolz.

Sie ging ins Zelt und packte Proviant zusammen. Die Männer besorgten ein zwanzig Meter langes Seil. Jacob Welse und St. Vincent wanden sich die Enden um den Leib, der Baron kam in die Mitte. Er wollte den Proviant tragen und schnallte sich den Rucksack auf. Frona sah vom Ufer aus, wie die Kolonne abmarschierte. Aber sonst schien niemand im Lager darauf zu achten.

Die ersten fünfzig Schritte ging alles gut, dann spürten die Männer, daß das feste Küsteneis sich veränderte. Welse führte sicher und ruhig; er tastete vor jedem Schritt ringsum das Eis ab und wechselte beständig die Richtung. St. Vincent brach zuerst ein, aber im Sturz hielt er seinen Stock quer, so daß er auf das Eis zu liegen kam. Sein Kopf kam nicht unter Wasser, aber die Strömung saugte an seinem Körper, und die beiden Männer mußten gewaltig ziehen, um ihn herauszuholen. Frona sah, daß sie einen Augenblick ratlos stehenblieben. Der Baron zeigte und gestikulierte eifrig, dann löste St. Vincent sich von den beiden anderen und kam ans Ufer zurück.

»Es ist unmöglich.«

»Aber warum kommen dann die anderen nicht zurück?«

»Dieser Courbertin ist ein schrecklicher Draufgänger. Sie wollen noch einen letzten Versuch wagen.«

»Und mein Vater ist auch ein schrecklicher Draufgänger«, sagte Frona mit einem bitteren Lächeln.

Dann fragte sie: »Willst du nicht ins Zelt gehen und warme Sachen von meinem Vater anziehen?«

Er warf sich neben sie auf den Boden: »Laß nur, die Sonne trocknet.«

Eine Stunde lang saßen sie da; Frona ließ das Glas nicht von den Augen. Die beiden Männer hatten jetzt die Mitte des Flusses erreicht; sie waren nur noch zwei schwarze Punkte in dem weißen Feld. Manchmal verschwanden sie völlig hinter Eismauern.

»Es ist nicht recht von ihnen«, beklagte sich St. Vincent. »Sie haben gesagt, sie wollen’s nur noch einmal versuchen, sonst wäre ich doch nicht umgekehrt! Aber sie müßten längst wissen, daß es unmöglich ist.«

»Doch. Nein. Ja! Sie kehren um!« rief Frona. »Aber hör? Was ist das?«

Ein dumpfes Poltern kam wie ferner Donner vom Eise her. Frona sprang auf.

»Vincent! Vincent! Der Fluß bricht auf!«

»Nein, nein! Gewiß nicht! Es ist schon vorbei.«

Das Dröhnen hatte sich flußabwärts verzogen.

»Aber dort! Dort!«

Ein neues Poltern, noch dumpfer und unheilvoller als zuvor, machte die Schwalben und Rotkehlchen schweigen. Es lief über den Fluß, auf die Inseln zu, und zuletzt klang es wie das Poltern eines Eisenbahnzuges auf einer fernen Brücke.

Dann war eine Minute Stille.

Dann drohte es zum drittenmal aus dem Eis, noch fürchterlicher und länger andauernd als zuvor.

»Warum machen sie nicht schnell?«

Die beiden Punkte waren stehengeblieben; es schien, daß die Männer sich berieten. Frona suchte durch ihr Glas den Fluß hinauf und hinab. Es zeigte sich keine Bewegung im Eise.

Aber jetzt begannen die Rotkehlchen wieder zu singen, und die kleinen Eichhörnchen spielten.

St. Vincent legte seinen Arm um das Mädchen: »Hab’ keine Angst, Frona! Wenn Gefahr wäre, wüßten sie es besser als wir. Aber sie lassen sich Zeit.«

Das Getöse kam und ging mit bald kürzeren, bald längeren Pausen, aber sonst verriet nichts, daß das Eis im Aufbrechen war, und allmählich kamen die Männer der Küste wieder näher. Sie troffen von Wasser und zitterten vor Kälte, als sie den Hang erreichten. Frona griff nach den Händen ihres Vaters, die halb erstarrt waren, rieb und küßte sie.

»Ich hab’ geglaubt, du kommst nicht wieder.«

»War ja ganz ungefährlich, Mädel. Lauf jetzt hinein und schau, daß wir etwas zu essen kriegen.«

»Was war denn nur?«

»Der Stuart ist aufgebrochen. Sein Eis schiebt sich unter die Yukon-Eisdecke. Wir haben es deutlich scheuern hören.«

»Es war skreckerlick!« gestand der Baron. »Aber skreckerlicker noch, daß wir nicht könne retten diese unglücklike Mensch! Le miserable!«

»Sobald wir etwas gegessen haben, versuchen wir es mit den Hunden«, erklärte Welse. »Mach schnell, Frona!«

Aber die Hunde versagten; Sie wählten die Leithunde als die klügsten aus, bepackten sie mit Proviant und schickten sie auf den Fluß hinaus. Jedesmal, wenn sie umzukehren versuchten, wurden sie mit Erdklumpen und Flüchen wieder aufs Eis getrieben. Aber sie verstanden gar nicht, was man von ihnen verlangte. Sobald sie außer Reichweite waren, blieben sie stehen, hoben die nassen, kalten Pfoten und heulten kläglich. Zuletzt fingen sie an, einer des anderen Proviantlast aufzureißen und leer zu fressen. Da gab man den Versuch auf.

Von Stunde zu Stunde wuchs das Getöse. Während der Nacht wurde es ein ununterbrochenes Donnern; gegen Morgen ließ es nach. Der Fluß war um zwei Meter gestiegen. An vielen Stellen stand das Wasser auf dem Eise. Es knurrte und krachte unaufhörlich; in allen Richtungen bildeten sich Risse. Als es heller wurde, hielten sie nach dem Mann am anderen Ufer Ausschau. Er regte sich nicht. Aber als sie ihre Gewehre abschossen, winkte er schwach.

»Es ist nichts zu machen, ehe das Eis aufbricht«, erklärte Welse. »Dann müssen wir es mit dem Boot versuchen. St. Vincent, holen Sie sich Ihre Decken und schlafen Sie heute nacht hier! Wir müssen zu dreien paddeln, Sie und ich. ich denke, daß wir den alten Phillips noch dazukriegen können.«

*

»Steht auf, die Vöglein zwitschern schon! Die Sonne scheint! Wacht auf!«

Es war erst drei Uhr morgens und noch tiefdunkle Nacht, als Del Bishop mit gurgelndem Baß diesen Ruf ausstieß. Frona fuhr aus dem Schlafsack, streckte ihre bloßen Füße in die Mokassins und warf sich einen Rock über. Im selben Augenblick hatte auch schon ihr Vater, der auf der anderen Seite eines Vorhanges schlief, die Zeltzipfel zurückgeschlagen und war hinausgetaumelt.

Der Strom war aufgebrochen! Seine Flut scheuerte gegen den höchsten Rand des Ufers. Er war mächtig im Steigen, und von Minute zu Minute konnte er die Insel überfluten. Manchmal schleuderte er gewaltige Eisschollen ins Land hinein. Als das erste Tageslicht matt erwachte, sah man auf hundertfünfzig Schritt Abstand das weiße Feld des Stromes mit dem grauen Himmel verschmelzen, das Plätschern seiner Wellen mischte sich mit dem Scheuern der gesprengten Eismassen, Del Bishop war weitergelaufen, um die Leute auf »Split-up-Island« zu wecken.

»Holen Sie den Phillips!« befahl Jacob Welse. »Er soll sich bereithalten, in spätestens einer Stunde brechen wir auf!« Dann wandte er sich an Frona: »Es wäre Zeit, daß St. Vincent über den Kanal kommt. Wir nehmen das Kanu vom Baron. Es ist das beste.«

Der Baron, barfüßig und vor Kälte zitternd, sagte: »Sie wollen mit meine Bott fahren? Warum mik nikt mitnemme? Man braukt dann keine Vincent!«

»Weil Sie nicht paddeln können!« antwortete Welse. »Zum Üben ist das heute kein Tag.«

»Jedenfalls hätten Sie Zeit, sich die Mokassins anzuziehen«, ergänzte Frona. »Sonst retten wir den Burschen da drüben vorm Verhungern, und inzwischen gehen Sie uns am Schnupfen ein.«

»Serr schade, daß mik nikt nemmen! Das bisken Rudern ik ätte schonn gelernt.« Damit sprang er auf eine große Eisscholle, die geräuschlos vorbeiglitt.

»Zum Teufel! Sind Sie wahnsinnig geworden?« rief Welse und streckte die Hand nach ihm aus, aber er war schon abgetrieben.

Die Bewegung im Eise wurde immer stärker, das scheuernde Geräusch immer lauter und drohender. Gewandt wie ein Zirkusreiter und kaltblütig wie ein Hurone ließ sich der Franzose am Ufer entlangwirbeln. Seine Eisscholle bockte und bäumte sich wie ein störrisches Pferd. Er trieb etwa dreißig Meter weit, dann kam er mit einem eleganten Sprung wieder ans Ufer. Lachend kehrte er zurück, aber sein Reiterstück trug ihm nur ein paar auserwählte Namen aus dem allermännlichsten Teil von Jacob Welses Wortschatz ein.

»Warum Sie nenne mik ein zehnmal vernageltes Nass-Orn?« fragte er beleidigt.

»Darum!« antwortete Welse und wies zornig auf den schimmernd dahingleitenden Strom. Dort hatte gerade eine große Scholle sich mit dem vorderen Ende in das Flußbett hineingejagt, und nun richtete sie sich senkrecht empor. Rings um sie kräuselte sich treibendes Eis wie Papier, dann kippte die festgeratene Scholle plötzlich hoch, bohrte sich mit dem Schwanzstück in den Grund und reckte die schmutzige Schnauze in die Luft. Weiter abwärts prallte sie auf die treibende Masse, zerschellte zu tausend Trümmern, und losgerissene Eisstücke flogen wie aus einer Explosion bis zu den Füßen der Menschengruppe.

»Sie abbe rekt!« Tiefe Andacht vor diesem ungeheuren Schauspiel lag in der Stimme des Barons.

Die ganze Fläche des ungeheuren Stromes bog und bäumte sich jetzt, als seien riesige Minen auf seinem Grunde zur Entladung gekommen. Es war wie ein Kampf zwischen den Eisbergen und Eisklötzen, ein Kampf, in dem jedes Partikel Natur gegen das andere wütete, und jedes organische Wesen, das in dieses Gewühl geriet, mußte verloren sein.

Je höher der Tag stieg, um so majestätischer wurde das Bild. Frona war hingerissen: »Ich hätte nie geahnt, daß es auf Erden so etwas Herrliches gibt!«

St. Vincent war noch immer nicht eingetroffen.

»Jetzt fällt der Fluß!« verkündete Welse eine gute Stunde später.

Die Eisschicht war gefallen, sie lag nunmehr zwei Meter tief unter dem Hang, und Baron Courbertin zeichnete die Stelle mit seinem Stock an. Nun war es auch hell genug, um wieder mit dem Feldstecher das ferne Dickicht abzusuchen. Dort lag der Verwundete, der sicher verloren war, wenn nicht heute noch Rettung kam.

»Er liegt noch da, aber er bewegt sich nicht mehr.«

Zwei Stunden später war unter der Gewalt eines Sonnenlichtes, wie diese Breiten es nur selten kannten, das Eis in Massen geschmolzen, und nun lag die Oberfläche des Flusses schon sechs Meter tiefer als beim Erwachen. Aber aus dem Stuart stießen immer noch Eisbarren vor, drängten in die Kanäle zwischen dem Split-up-Island und fuhren mit Krachen ineinander. Del Bishop erschien zum zweitenmal an diesem Tage, in fliegender Eile und schweißüberströmt, aber immer noch die gute Laune selbst. Er hörte, wie Frona und Courbertin sich auf französisch von Dingen unterhielten, die weitab von diesem Schauplatz lagen, vom Theater in Paris, dem letzten Roman von Anatole France.

»Würden die hochgebildeten Herrschaften nicht in dieses romantische Tal zurückkehren?« fragte er. »Kommen Sie mit mir! Es liegen ein paar Schwerkranke in der Hütte dort unten.«

Im Laufschritt verschwand er zwischen den Bäumen, und alle folgten ihm, so rasch sie konnten. Im Rennen stießen sie auf drei typische »Chechaquos«, die in einem Talkessel überwintert hatten. Ihr Lagerplatz war überschwemmt, hilflos standen sie vor ihrem Zelt, um ein Boot herum, das sie noch nicht flottkriegen konnten. Der Eisstoß war jetzt kaum fünf Meter von ihnen entfernt, er konnte plötzlich über die Insel hereinbrechen und alles zerstampfen.

»Schert euch hier weg, ihr Dummköpfe!« brüllte Jacob Welse und rannte weiter.

Sie verstanden ihn nicht. Sie hörten kaum. Einer sah sie mit ganz verständnislosen, verschreckten Augen an. Ein anderer lag unbeweglich bäuchlings quer über dem Steuersitz des Bootes, seine Kräfte schienen völlig erschöpft. Ein dritter, der wie ein Büroschreiber aussah, schwankte hin und her und jammerte eintönig: »Mein Gott! Mein Gott!« Der Baron blieb eine Sekunde stehen, um ihn zu schütteln. Frona rief: »Lassen Sie Gott aus dem Spiel, und machen Sie sich auf Ihre Beine! Weg vom Ufer! Lauft in den Wald, zwischen die Bäume! Irgendwohin, nur weg!«

Man versuchte, ihn mitzuziehen, aber der Mann schlug um sich und wollte nicht folgen. Sie eilten weiter und kamen an einen gerodeten, aber ganz überschwemmten Platz, auf dem eine Hütte stand. Auf dem flachen Rasendach lagen zwei in Decken gewickelte Männer. Jacob Welse, Courbertin und Bishop stürzten sich in die Hütte, in der die Flut wogte, um herauszufischen, was von der Habe dieser Männer noch brauchbar war.

»Passen Sie auf, zum Teufel, daß mein Tabak nicht naß wird«, bat einer der kranken Männer mit schwacher Stimme vom Dache.

»Was an dem Drecktabak schon liegt!« flüsterte sein Kamerad. »Aber mein Mehl und mein Zucker, das ist wichtig!«

»Weil der Bursche Nichtraucher ist, Fräulein«, erklärte der erste Mann. »Aber die anderen Burschen sollen doch auf meinen Tabak achtgeben.«

»Da hast du ihn, und damit Maul gehalten!« rief Del und warf dem Kranken, der danach griff, seinen Tabaksbeutel hin, als wäre es ein Beutel mit Goldstaub.

»Was kann ich für euch tun?« fragte Frona. »Wir haben so einige Medizinen mit uns, vielleicht haben wir das Richtige.«

»Uns kann nichts helfen, Fräulein, als das Land Gottes und rohe Kartoffeln. Wir haben Skorbut.«

»Also, was wollt ihr eigentlich hier? Marsch, aufs Trockene!«

In diesem Augenblick wurde mit Stöhnen und ungeheurem Krachen eine Eisscholle gegen die Hütte geschleudert. Die vorspringenden Eckpfähle zersplitterten, die Hütte schwankte. Courbertin und Jacob Welse waren darin. Dem Dröhnen folgte eine Sekunde tiefster Stille. Dann hörte man aus dem Innern die Stimme des Barons: »Nach Ihnen, wenn ich bitten darf, Monsieur!«

Welse erschien mit vergnügtem Lachen; ihm folgte der höfliche Franzose, als sie sich zwischen der Eisscholle und den Pfählen ins Freie zwängten.

»Noch ein solches Osterei, und wir zwei sind erledigt, Billi!« sagte der Mann mit dem Tabak zu seinem Kameraden.

»Lange kann’s nicht dauern«, antwortete Bill. »Nicht weit von hier, bei Nulatto, hab’ ich mal gesehen, wie eine Insel reingefegt worden ist, ratzekahl, wie der Küchenfußboden bei meiner alten Mutter.«

»Retten müssen wir die Leute.«

Jacob Welse kletterte auf das Hüttendach und blickte auf die große weiße Barre hinab.

»Wo ist Phillips?«

»Der sitzt seit einer Stunde wie versteinert im Zelt.«

Welse sah von seinem Dach wie von einem Aussichtsturm auf die Fläche des Stroms. Der Stuart hatte neue Eismassen als eine Reservearmee ins Gefecht geworfen, der Yukon stieg wieder, und rings an der Küste warfen sich Schollen gegen den Wald. Mit Krachen und Knirschen wurden die Bäume zermalmt oder samt der Wurzel ausgerissen.

Frona und Bishop packten Bill an Schultern und Beinen und schleppten ihn ab, in der Richtung von Phillips’ Hütte. Jacob Welse und der Baron wollten gerade seinen Kameraden über die Dachtreppe heben, als ein zweiter Eisstoß die Hütte von vorn berannte. Ihre Balken stürzten wie ein Kartenhaus zusammen. - Frona wandte sich um, und bei dem Anblick erstarrte ihr Blut. Während Courbertin und der Kranke von dem Hüttendach heruntergeschleudert wurden, war ihr Vater plötzlich verschwunden, zwischen den zerborstenen Balken vergraben. Sie sprang zurück, Bill blieb im eisigen Wasser liegen. Sie suchte, ohne einen Laut von sich zu geben, die Trümmerstätte ab, fand ihren Vater, der eingeklemmt lag, den Kopf unter Wasser. Sie zerrte an ihm, um wenigstens seinen Mund über Wasser zu bekommen, aber es glückte nicht. Sie ließ den geliebten Kopf los, warf sich selbst in die eiskalte Flut, fühlte rings und fand die Stelle, an der sein rechter Arm zwischen die Balken geklemmt war. Die Balken konnte sie nicht heben, aber sie fand eine handliche Dachlatte - alles dauerte nur Sekunden -, preßte sie zwischen die Balken und setzte mit der Kraft eines Mannes den Hebel an. Der erste Versuch mißglückte, die kostbare Latte bog sich und knirschte drohend. Sie fand eine andere Lücke, in der sie den Hebel ansetzen konnte, beugte sich darunter, stemmte und drückte mit aller Kraft ihres Körpers. Der Arm ihres Vaters wurde frei! Mit Schmutz und Erde bedeckt, kam sein Gesicht zum Vorschein.

Jacob Welse schöpfte mühsam Atem, minutenlang brach und spuckte er das Wasser aus. Dann rieb er seine Augen und erkannte, daß sein Leben gerettet war.

»Das war nicht schlecht für ein kleines Mädel!«

Mit seinem Mund voll Schmutz und Erde küßte er Frona, dann spien sie beide lachend die Erde aus.

Courbertin kam um die Ecke.

»Das sein eine Bursche!« rief er begeistert. »Eine ganz rabiate Bursche! Hat sik bei die Fall seine Schädel eingeslagen, und sein Tabak ist weg. Jetzt er lamentieren nur um die Tabak!«

»Wir müssen warten, bis die anderen wiederkommen. Ich kann leider nicht mehr tragen helfen«, sagte Jacob Welse und wies auf seinen rechten Arm, der schlaff herunterhing. »Nur ein bißchen verstaucht. Nichts gebrochen. Aber für heute taugt er nichts mehr.«

*

Der Fluß schob seine Eisfülle ruhig weiter. Er war wieder im Fallen, aber an der Küste war eine drei Meter hohe Mauer von Eisschollen zurückgeblieben. Die großen Blöcke hatten sich zwischen gestürzten und noch aufrechten Bäumen, über die schlammbedeckten Wiesen hin, in das Land gewälzt, als wären sie der Auswurf eines titanischen Ungeheuers.

Die Sonne schien, daß die Eisberge dampften, sie flammten wie ein Berg von Diamanten, manchmal, hier und dort, kalbten sie, dann stürzten Türme und Minaretts, die in allen Farben des Regenbogens leuchteten, mit Brausen in die Flut zurück.

An einer offenen Stelle lag Courbertins Kanu, dort hatten sich alle Bewohner des »Split-up-Island« mit Ausnahme der Chechaquos und der beiden Kranken versammelt. Man hatte endlich wieder Zeit, an die Rettung des Verunglückten zu denken.

»Zwei Mann sind mehr als genug«, erklärte der Schotte Phillips. »Wenn drei im Kanu sind, kann man den Mann nicht mehr laden!«

»Wir müssen drei Mann sein, das wissen Sie so gut wie ich«, erwiderte Corliss.

»Nein, zwei sind mehr als genug, sage ich!«

»Ich fürchte auch, daß wir es zu zweit schaffen müssen«, erklärte Del Bishop.

Der Schotte machte ein zufriedenes Gesicht. »Absolut richtig. Und ich hab’ keine Angst, daß ihr es nicht ausgezeichnet schaffen werdet, mein Junge!«

»Einer von den beiden werden Sie sein, Phillips«, fuhr Corliss ihn an.

»Denke nicht dran! Es sind genug andere da!«

»Das stimmt leider nicht. Courbertin hat keine Ahnung vom Paddeln. St. Vincent kann offenbar nicht über das dünne Eis kommen. Herr Welse kann nicht mit, weil er den Arm nicht gebrauchen kann. Also machen wir zwei es, Sie und ich!«

»So, und der Riesenbengel da, der Bishop? Der kann anders paddeln als ich.«

Aber Frona wußte es besser.

»Bishop ist ein tapferer Kerl!« erklärte sie. »Vielleicht hat er mehr Mut im kleinen Finger als Sie in Ihrem ganzen Leichnam. Ich bin mit ihm gereist. Aber ich weiß, daß er vom Rudern nichts versteht und vom Paddeln erst recht nichts, und auf dem Wasser ist er überhaupt nicht viel wert.«

Der Schotte wurde blaß: »Ich will nicht leugnen, daß ich leidlich paddeln kann, und aushalten tu ich schließlich auch, was ein anderer aushält. In Gottes Namen, dann wollen wir ein bißchen warten, bis der Fluß eisfrei ist.«

»Maul halten, du Feigling!«

Del war mit einer ledernen Zunge und einer Kehle aus Messing zur Welt gekommen. Als ihn jetzt die Wut packte, wurde der Schotte ängstlich und widersprach nicht mehr.

»Ich sehe offenes Wasser! Ich komme mit!« rief Frona. Im Augenblick riß Corliss sein dickes Flanellhemd herunter, um sich besser regen zu können. Frona warf Rock und Jacke ab und sah jetzt in ihren ledernen Reithosen wie ein junger, tüchtiger Bursche aus.

»Sie werden’s schaffen«, erklärte Del.

Jacob Welse trat besorgt an das Boot, um die Paddel zu untersuchen.

»Willst du wirklich.?«

Frona nickte.

»Ihr Mädel hat Mut!« fiel Phillips ihr ins Wort. »An mir sollte es auch nicht fehlen, aber ich hab’ ein Weib und drei Kinder zu Hause.«

Gleich darauf wurde das Boot von einer flachen Eisscholle aus zu Wasser gelassen.

»In den Bug mit dir, Phillips!« kommandierte Del Bishop. Der Schotte stöhnte, aber er hörte Del Bishops schweren Atem in seinem Genick und wußte seinem Schädel die eisernen Fäuste zu nahe. Er gehorchte.

Frona setzte sich in den Stern und ergriff ihr Ruder: »Steuern kann ich!«

»Sie? Frona.?« fragte Corliss, der jetzt erst bemerkte, daß sie mitkommen wollte. Er sah Jacob Welse zweifelnd an, aber der Alte verzog keine Miene.

»Los jetzt!« rief Del ungeduldig.

*

Der dunkle Strom, der jetzt mit reißender Schnelligkeit zwischen kristallenen Eismauern dahinschoß, bot ein erhabenes Bild. Im Hintergrund reckten sich grüne Wälder in den leichtbewölkten Sommerhimmel, und über allem lag die Sonne, deren Hauch heiß war, wie aus einem Schmelzofen. Bei diesem Anblick erinnerte sich Corliss an ein Bild im Wohnzimmer seiner Mutter. Er sah sie plötzlich in einer ihrer häufigen Teegesellschaften zwischen all den weißhaarigen Damen und Herren, hatte die bunten Teppiche vor Augen, die zierlichen Dienstmädchen, hörte die Kanarienvögel.

In seinem Rücken fühlte er eine Frau. die Frau, um die seine Gedanken kreisten. und nun zogen alle Frauen, denen er im Leben begegnet war, im Geiste an ihm vorüber. Sie schienen ihm blasse, schwach leuchtende Gespenster, alle, im Vergleich mit dieser zarten, schlanken Frona, die hinter ihm den Riemen führte, um das Boot durch Not und Tod zu steuern, einem Wildfremden zur Rettung.

An einer Eisscholle vorbei, die sich überstürzte, im Augenblick, als das Boot um einen Meter aus der Gefahr war, durch einen Kanal hindurch, so eng, daß man zu beiden Seiten die Eisstücke streifte, schoß das Kanu ins offene Wasser hinaus.

»Gut gemacht, Frona!« jubelte Corliss.

»Verrücktes Mädel!« knurrte der Schotte. »Hätten wir nicht noch ein bißchen warten können?«

Frona lachte leise und herausfordernd. Vance warf ihr über die Schulter einen Blick zu; über ihrem Gesicht lag ein frohlockendes Strahlen.

»Am liebsten möchte ich singen!« rief sie. »Aber ich darf die Puste nicht verschwenden.«

»So möchte ich immer mit Ihnen fahren«, unterbrach Vance.

Sie überhörte, was er sagte, und fuhr fort: »Vance, ich bin ja so froh, daß wir wieder Freunde sind.«

»Es ist nicht meine Schuld, daß wir nicht mehr sind als das.«

»Sie kommen aus dem Takt, mein Lieber!«

Die beiden Männer handhabten die Paddel, daß der Schweiß in Strömen floß. Durch Wirbel und Stromschnellen, an zackigen Eisblöcken hin, steuerte Frona mit nachtwandlerischer Sicherheit. Ihr Paddel stieß wie ein Schwert in die Flut, immer in der letzten Sekunde am Verderben vorbei, und haarscharf fand sie den Weg, wie nur der kaltblütigste Mann ihn gefunden hätte. Das Boot schoß wie ein Pfeil vorwärts und wollte sich an einem Eisberg vorbei drängen, der plötzlich kalbend mit Gedröhn in sich zusammenstürzte. Das Wasser schäumte in einem Riesenschwall hinter ihnen empor, sie entgingen den Blöcken, aber im Augenblick war ihr Kanu bis zum Rande gefüllt.

»Hab’ ich es euch nicht gesagt, ihr Dummköpfe!« schrie der Schotte.

Corliss kommandierte: »Sitzen Sie still und schöpfen Sie Wasser!« Dann drohte er warnend: »Sonst hatten Sie zum letztenmal im Leben mit Dummköpfen zu tun!«

Im Schatten überhängender Blöcke gelangte das Boot lautlos in den letzten Wirbel hinein. Jetzt näherte es sich dem Gestade, aber dort herrschte eine wütende Brandung.

»Zeigt, was ihr könnt!« war der letzte Befehl, den Corliss geben konnte, denn in dem Getöse, in das sie jetzt stürzen mußten, wäre eine Männerstimme nur wie das Zirpen einer Grille im Gebrüll eines Erdbebens gewesen. Auf und nieder, auf und nieder gingen die Paddel, das zerbrechliche Kanu zitterte und bebte unter der furchtbaren Anstrengung. Nach rechts und links wollte es der fauchenden Brandung entgleiten, aber Frona hielt es fest in der Hand. So kamen die letzten fünf Minuten, deren jede wie eine Ewigkeit war. jetzt waren es nur noch Meter, die Zoll um Zoll mit wütender Anstrengung bezwungen werden mußten. Dann waren sie am Ziel! In diesem Augenblick versagten die Nerven des Schotten. Wie eine Vision sah er das Verderben: sah die Nußschale in wirren Schaummassen untergehen, sich selbst mit im Winde flatterndem Haar und Händen, die ins Leere griffen, fühlte, wie die geifernde Flut ihn verschlang. Einen Augenblick lang, mit weitaufgerissenem Mund, starrte er vor sich hin, rührte das Paddel nicht - da waren sie schon wieder um viele Meter zurückgeworfen, trieben abermals in dem Wirbel, dem sie eben entronnen waren.

Frona lag ins Boot zurückgeschleudert und schluchzte. Die Sonne brannte ihr prall ins Gesicht. Corliss lag in der Mitte des Schiffes, er stöhnte laut, und vorn saß der Schotte, nach Luft ringend, das Gesicht in den Händen begraben.

Die Betäubung dauerte nur Minuten, dann ermannte sich Corliss: »Wir müssen raus!«

Über ihm hing regenbogenfarbig eine Eismauer, ein Märchenschloß! Silbernes Geäder rieselte durch die Wände, in den klaren Tiefen schienen alle Geheimnisse von Leben und Tod zu schlafen.

»Vorwärts! Noch einmal! Los!«

Der Schotte hob den Kopf und sah sich um: »Geben wir lieber auf!«

»Los!« wiederholte Corliss.

Sie landeten an einem steilen Ufer, brachten mit letzter Kraft sich selbst und das Boot wieder aufs Trockene. Als sie endlich festen Boden unter den Füßen hatten, nach Todesängsten ohne Maß ihr Leben wieder gleichsam in Händen hielten, und auf die Hölle zurücksahen, durch die sie geschifft waren, sprach Frona:

»Ach, Vance!«

»Frona! Ja, Frona!«

»Hätte ich dumme Gans doch mehr gegessen heut morgen! Einen Wolfshunger hab’ ich.«

Sie ließen sich in der Sonne nieder, reckten die Glieder und schlugen ihre Zähne wie wilde Tiere in schwammig gewordenes Brot, in zähes Dörrfleisch; sie hätten sie in Lederriemen geschlagen, wäre kein Proviant dagewesen.

»Langsamer!« rief mit plötzlichem Schrecken Corliss. »Wir fressen ja dem Unglücklichen das Futter weg.«

Jetzt hatte die Wirklichkeit sie wieder. Sie sahen einander an und lachten selig. In dieser Stunde vergaßen sie schon, wieviel Verzweiflung hinter ihnen lag.

»Weiter«, sagte Frona und versuchte aufzustehen.

»Erst muß ich Sie verbinden, Frona.«

Corliss wies auf ihre Füße. Beim Klettern über den rissigen Hang hatte sie sich die Sohlen der Mokassins zerfetzt, das Eis hatte tiefe Risse in ihre Füße geschnitten. Die Sohlen und alle Zehen bluteten.

»Die zarten Füßchen«, spottete Phillips. »Man sollte nicht glauben, daß so ein süßes Mädel zwei starke Männer geradewegs in die Hölle jagen kann.«

»Vielleicht sind Sie schon auf dem Weg zur Hölle!« antwortete Corliss zornig.

»Jawohl, mein Junge! Mit vierzig Meilen Geschwindigkeit in der Stunde!« antwortete der Schotte, der um jeden Preis das letzte Wort haben wollte.

»Geben Sie mir eins Ihrer Hemden!« verlangte Corliss.

»Ich hab’ ja nur eins an. Es macht auch nichts, wir müssen weiter.«

»Keinen Schritt, ehe ich sie verbunden habe!«

Im Augenblick hatte Vance Corliss sein Hemd über den Kopf gezogen und fing an, es in breite Streifen zu zerreißen.

Frona lachte: »Was Sie für ein Kerl geworden sind! Wie Sie dastehen, mit zerzaustem Haar, eine Mordwaffe zur Seite und nackt bis zum Gürtel! Wie ein Seeräuber, ein Berserker, der in den Kampf zieht. Ich wollte, ich hätte meinen Photoapparat bei mir; dann könnte ich später sagen: So sah Vance Corliss, der große arktische Forscher, am Ende seiner berühmten Reise aus.«

Er kniete vor ihr nieder, um ihre Füße zu verbinden. Plötzlich fragte er: »Was ist aus Ihren Hosen geworden?«

Sie sah an sich herab, das Leder war zerfetzt. Aber immerhin war es noch eine Hose, und sie rief: »Schämen Sie sich!«

»Ich bedauere nur, daß ich keinen Apparat bei mir habe. Ich könnte sonst später sagen: Diese junge Dame hier, der der Wind durch die Hosen pfeift, ist.«

*

Zehn Minuten später erkletterten sie den Hang, auf dem immer noch das Notsignal flatterte. Dort lag, auf die Erde hingestreckt, ein regloser Mann.

»Tot. Wir kommen zu spät.«, flüsterte Frona mit Entsetzen.

Aber da bewegte sich der Kopf, und der Fremde stöhnte ganz leise. Seine derben Kleider waren zerfetzt, aus den zerschlissenen Mokassins sah zerschundenes Fleisch heraus. Eigentlich war er kein Mensch mehr, nur noch ein Gerippe. Seine Knochen schienen die gestraffte Haut zu sprengen.

Corliss legte die Hand auf seine Stirn. Da schlug er die glasigen Augen auf und versuchte zu sprechen.

»Das ist scheußlich«, murmelte Phillips und ließ seine Hand über den skelettierten Arm gleiten. Das Gerippe nahm ein wenig kondensierte Milch und heißen Tee auf. Dann schleppten sie zu dritt den elenden Rest eines Menschen über die Hänge hinab ins Boot. Eine Spur von Bewußtsein erwachte in dem Fremden. Er flüsterte heiser: »Jacob Welse. Wichtige Botschaft.«

Seine Finger tasteten kraftlos an dem offenen Hemd nach dem Lederriemen, an den eine Brieftasche angeschnallt war. Das Kanu kam gut vom Ufer ab. Sie brauchten jetzt nur noch der Strömung zu folgen und hatten nicht mehr viel Anstrengung nötig. Corliss’ nackter Rücken färbte sich schnell, die Sonne brannte ihn tiefrot, und Frona griff ins Wasser, spritzte ihm Kühlung über den Rücken:

»Heute abend werden Sie mit Cold Cream behandelt, wie ein neugeborenes Baby! Darauf freue ich mich!«

»Wir haben heute eine gute Tat getan«, bemerkte der Schotte. »Das ist Gott wohlgefällig, einem Bruder in der Not zu helfen.«

»Besonders, wenn’s einem schwerfällt«, antwortete Corliss.

Sie landeten - auch die Heimfahrt hatte noch schwere Kämpfe gekostet, und öfter als einmal waren sie nur durch Wunder dem Tod entgangen - auf einer der »Split-up-Islands«, nicht auf der, wo Welses Lager war. Jetzt lagen sie unter alten Bäumen. Die Sonne schien spärlich durch die grünen Kiefernnadeln zu ihnen herein, Rotkehlchen sangen, und ein Riesenvolk von Grillen zirpte den Frühling an. Dort schliefen sie tief, viele Stunden lang, bis die tödliche Erschöpfung überwunden war. Am liebsten hätten sie für Tage und Nächte die Augen nicht wieder aufgetan. Aber der gerettete Indianer mußte Pflege haben. Noch eine Anstrengung, dann war das Werk getan. Frona und Corliss drangen auf zitternden Beinen in das Innere der Insel ein. Sie stießen bald auf ein großes Blockhaus, aber kein Mensch war zu sehen.

»Gehen Sie zu unserem Patienten zurück, Vance! Ich bin noch lange nicht so müde wie Sie. Schließlich ist Steuern nicht dasselbe wie Rudern.«

Auf der anderen Seite der Hütte pochte Frona an die Tür. Als keine Antwort kam, öffnete sie und trat ein. Sie hatte nicht erwartet, einen Menschen anzutreffen, und nun war der ganze Raum voll von Männern, alle so völlig in Anspruch genommen, daß keiner auf sie achtete. Sie saßen in zwei Reihen auf langen Schlafpritschen, dazwischen war ein schmaler Gang, an dessen Ende ein breiter Tisch stand. Auf diesen Tisch schien sich alle Aufmerksamkeit zu konzentrieren.

Frona kam aus dem blendenden Sonnenlicht und tastete anfangs wie durch Nacht, so daß sie das ganze Bild nur wie Schatten aufnahm und beinahe für einen Spuk hielt. Dann aber, als sie sich an das Halbdunkel gewöhnt hatte, erkannte sie, daß an dem Tisch ein bärtiger Amerikaner saß, der von Zeit zu Zeit mit einem leichten Hammer auf das Holz schlug. Ihm gegenüber kauerte auf einer Bank Gregory St. Vincent. Er sah erschöpft und so verzweifelt aus, als hätte er viele Stunden lang geweint. Sein hübsches Gesicht war vor Angst ganz verstört.

Der Mann mit dem Hammer hob die rechte Hand und sprach vor: »Schwören Sie, daß alles, was Sie hier vor Gericht erklären werden.« Er hielt plötzlich an und sah zornig auf einen Mann, der an der anderen Seite des Tisches stand.

»Nehmen Sie den Hut ab!« sagte er heiser und drohend.

Als der Mann gehorchte, lief ein breites Lachen durch die versammelte Menge. Dann begann der mit dem Hammer zum zweitenmal: »Schwören Sie, daß alles, was Sie hier vor Gericht erklären werden, die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit ist! So wahr Ihnen Gott helfen möge!«

Der Zeuge, der wie ein Schwede aussah, hob den Arm, um den Eid nachzusprechen.

»Halt! Einen Augenblick, meine Herren!« rief Frona und drängte durch den schmalen Gang nach vorn. St. Vincent hörte den Klang ihrer hellen Stimme, sprang auf und streckte ihr die bebenden Arme entgegen.

»Frona!« rief er, und in seinem Ton lag etwas wie Glück. »Frona! Du mußt mir glauben, daß ich unschuldig bin!«

Einen Augenblick war alles, was Frona in dem schwachen Licht wahrnahm, eine Masse weißer Gesichter mit vielen brennenden Augen, die wie eine gespenstische Drohung St. Vincent umgaben.

Unschuldig? Welcher Tat sollte er schuldig sein? Was wollten diese Menschen von ihm? Weswegen hatten sie ihn angeklagt? Gestern abend noch hatte er harmlos und hilfsbereit in ihrem Kreise gesessen, war nur auf eine kurze Rast, und um sich für die Rettungsexpedition zu rüsten, nach Hause gegangen. was konnte er während dieser wenigen Stunden verbrochen haben?

»Eine Freundin des Angeklagten«, sagte der Richter mit dem Hammer. »Will einer von euch einen Stuhl für sie holen?«

»Einen Augenblick.«

Sie schwankte auf den Tisch zu und legte die Hand darauf. »Ich habe einen Antrag zu stellen.«

Ihr Blick glitt an der eigenen Gestalt nieder, sie sah, daß ihre Füße in schmutzige Lumpen gewickelt waren, daß sie eine zerfetzte Hose trug, daß ihr Arm aus einem Riß im Ärmel hervorsah und daß das Haar ihr um die Ohren wehte. Ihre Wangen und die eine Seite ihres Halses waren von einem merkwürdig klebrigen Stoff überzogen. Sie kratzte mit der Hand daran, Brocken getrockneten Schlammes fielen zu Boden.

»Was geht hier vor.? Ich verstehe das alles nicht«, stotterte sie.

»Setzen Sie sich jetzt, Fräulein!« sagte der Vorsitzende freundlich. »Wir sind alle in derselben Lage wie Sie. Wir verstehen es auch nicht. Aber Sie können mir glauben, wenn ich Ihnen sage: Wir sind hier, um die Wahrheit zu finden. Und die werden wir finden. Setzen Sie sich!«

Sie hob die Hand: »Einen Augenblick.«

»Setzen Sie sich!« sagte der Mann mit dem Hammer streng. »Das Gericht darf nicht gestört werden.«

Mißbilligende Worte, ein drohendes Gemurmel kamen aus der Versammlung, der Mann schlug mit dem Hammer auf den Tisch, um Schweigen zu gebieten. Aber Frona blieb stehen.

»Herr Vorsitzender, wenn das hier ein Gericht ist.«

Der Mann nickte.

».dann habe ich ebensoviel Recht, gehört zu werden, wie jeder andere. Ich habe eine wichtige Mitteilung zu machen.«

»Aber Sie dürfen nicht unterbrechen, Fräulein - Fräulein. «

».Welse!« ergänzte ein Chorus tiefer, gedämpfter Stimmen.

»Fräulein Welse!« fuhr der Richter fort. Seine Haltung wurde sogleich ehrerbietiger. »Es tut mir leid, aber ich kann nicht dulden, daß Sie das Verhör unterbrechen. Nehmen Sie Platz.«

»Ich appelliere an die Versammlung! Die Verhandlung muß unterbrochen werden! Zehn Schritte von hier, gleich hinter dieser Hütte, liegt ein Mann, der am Verschmachten ist. Wir haben ihn vom anderen Ufer des Yukon herübergeholt. Der Mann braucht Hilfe, sofort, ohne jeden Verzug.«

»Vier Mann sofort hinaus! Die der Tür am nächsten sitzen«, befahl der Richter. »Und Sie gehen mit, Doktor! Ich danke Ihnen, Fräulein Welse. Sie hatten recht.« »Ich bitte. Verhandlung. unterbrechen«, flüsterte St. Vincent.

»Darum bitte ich auch, Herr Vorsitzender«, schloß Frona sich an. »Vertagen Sie das Verhör, bis für den Mann draußen gesorgt ist.«

»Weiterverhandeln! Keine Unterbrechung!« kam es aus dem Auditorium.

Frona verbeugte sich vor dem Richtertisch und nahm auf dem Stuhl neben Gregory Platz.

»Was geht hier vor? Was will man von dir?«

Er nahm ihre Hand und preßte sie mit schweißnassen Fingern.

»Glaub ihnen nicht, Frona! Sie wollen. sie wollen mich.«, er würgte, als säße die Faust des Todes schon an seiner Kehle, »sie wollen mich umbringen.«

Frona zog ihren Stuhl ganz nahe an den seinen heran und legte beide Hände auf seinen schlotternden Arm.

»Du mußt ganz ruhig sein, Vincent! Ganz ruhig. Es gibt solche Stunden, in denen darf ein Mann seine Nerven nicht verlieren, und dann ist auf einmal alles ganz anders, und alle Gefahr ist vorbei. Du kannst nichts Böses getan haben. Nichts, was gegen die anderen ist. Denn das sind ja alles unsere Kameraden, und du bist ein guter Kamerad. Und jetzt bin ich bei dir, und ich gehe mit dir durch Himmel und Hölle. Und jetzt, mein lieber Vincent, erzählst du mir alles.«

Er hatte sich, während sie zu ihm sprach, die Hand über die Augen gedeckt. Zwischen seinen Fingern rollten dicke Tränen herunter.

»Gestern abend«, begann er. Aber dann unterbrach er sich und horchte in verzweifelter Spannung auf die Aussage des Skandinaviers, der vor einem Augenblick seinen Eid abgelegt hatte und jetzt langsam auszusagen begann.

»Ich liege in meiner Hütte«, erzählte der Mann. »Ich schlafe und träume was, und auf einmal wache ich auf und weiß nicht, wovon, und dann bin ich gleich ganz wach. Das ist so bei mir, ich schlafe ganz fest, aber dann bin ich mit einemmal bei allem dabei, sozusagen mit einem Sprung. Da ist doch was los, sage ich mir, und ‘raus aus der Koje und an die Tür. Und richtig, da höre ich doch einen Schuß.«

Ein Mann mit rotem Gesicht unterbrach ihn.

»Wer, glauben Sie, hat da geschossen?«

»Was wollen Sie wissen?« fragte der Zeuge verständnislos. »Wer da geschossen hat, wollen Sie wissen?«

Der Richter nahm das Wort: »Was war Ihr erster Gedanke, als Sie in die Tür traten?«

»Ja, das war so mit meinem ersten Gedanken«, seufzte der Mann. »Ich hab’ doch nämlich keine Mokassins. Und wie ich so in Strümpfen hinaustrete, gerade aus der warmen Koje hinaus in die kalte Luft, da war mein erster Gedanke natürlich: Pfui Teufel, das ist ja eine Hundekälte!«

Dann wurde sein gespanntes Gesicht plötzlich sehr zufrieden, die reinste Sonne lag über seinem Mund, als er fortfuhr: »Na, jetzt hab’ ich aber wieder Mokassins, und nun ist das ja alles nicht mehr so schlimm.«

Ein großes Gelächter beendete seine Erklärung, aber er ließ sich nicht stören, sondern fuhr gelassen fort:

»Dann höre ich noch einen Schuß, und da bin ich dann gelaufen, immer den Weg hinunter, da, wo der Schuß hergekommen ist.«

In diesem Augenblick drängte Corliss sich durch die Menge bis zu Frona durch, und sie hörte nicht, was der Schwede weiter aussagte.

»Was gibt es?« fragte Corliss hastig. »Kann ich Ihnen helfen? Ich bin nur dazu auf der Welt, um Ihnen zu helfen, wenn Sie in Not sind!«

Sie ergriff seine Hand und drückte sie dankbar.

»Sofort, Corliss! Sofort, machen Sie sich auf den Weg, irgendwie müssen Sie über den Kanal kommen und zu meinem Vater! Versäumen Sie keine Minute! Bringen Sie ihn her! Sagen Sie ihm, man hat Gregory St. Vincent angeklagt, wegen.«

Plötzlich fiel ihr ein, daß sie noch immer nicht wußte, worum es ging.

»Weswegen bist du hier, Gregory? Weswegen bist du angeklagt?«

Ganz langsam kam zwischen seinen todblassen Lippen das entsetzliche Wort heraus, so langsam, als bedeutete es schon Verurteilung, wenn er es aussprach: »Mord.«

»Mord.?« fragte Corliss.

»Sagen Sie meinem Vater, daß er wegen Mordes angeklagt ist. Aber es muß alles ein Irrtum sein, und ich bin hier, und ich verteidige ihn. Aber ich weiß ja nicht, was es hier für Gesetze gibt, bei so einem Goldgräber-Gerichtshof, und ich bin ja auch so schwach gegen all diese Männer. Sie wollen gerecht sein, das weiß ich, aber mein Vater muß dabeisein, seine Klugheit, seine Ruhe, damit wirklich Recht gesprochen wird. Und sagen Sie ihm«, dabei fiel ihr Blick wieder auf die zerfetzte Hose, in der sie vor diesem hohen Gerichtshof erschienen war, »er soll mir etwas zum Anziehen mitbringen! Und seien Sie nicht zu tapfer, wenn Sie über den Kanal setzen! Es ist furchtbar wichtig, Vance, aber Sie müssen Ihr Leben schonen, Sie dürfen nicht leichtsinnig sein! Aber versuchen müssen Sie es! Es wäre schrecklich, wenn mein Vater nicht käme.«

»Verlassen Sie sich auf mich!«

Corliss warf zuversichtlich den Kopf zurück und drängte sich durch die Menge.

»Wer ist dein Verteidiger?« fragte Frona.

Gregory schüttelte den Kopf.

»Du hast keinen?«

»Sie wollen mir einen geben. Einen früheren Rechtsanwalt aus den Staaten, Bill Brown heißt er, aber den habe ich abgelehnt. Ich weiß zuviel von ihm. Und vielleicht weiß er auch viel von mir, was ihn nichts angeht. Jetzt macht er den Staatsanwalt. Ich hätte ihn doch nicht ablehnen sollen. Es ist ein Lynchgericht, weißt du, und sie sind alle parteiisch. Auf mich haben sie es abgesehen, ich bin verloren.«

»Wenn ich nur Zeit hätte, wenn du mir nur einmal alles erzählen könntest.«

»Frona, ich bin doch unschuldig, ich habe doch nichts getan, ich hab’ doch kein Blut vergossen.«

»Nimm dich zusammen! Ich beschwöre dich! Nimm dich zusammen!«

Sie legte die Hand wieder auf seinen Arm und preßte die Hand in seine Finger.

»Gregory, du hast verloren bei all diesen Männern, wenn du kein Mann bist. Du weißt ja gar nicht, wie sie das hassen, wenn ein Mann in der Gefahr weint. Sie glauben ja alle, das sei schlechtes Gewissen. Oder sie glauben noch viel Schlimmeres

- um Gottes willen, Vincent, wein’ doch nicht! Sie glauben ja dann, daß du ein Feigling bist. Diese Leute wissen ja nichts von Nerven! Sie wissen ja nicht, daß du nur weinst, weil du empfindlichere Nerven hast als sie.«

Inzwischen war der Zeuge in seiner Aussage schon sehr weit gekommen.

»Der fremde Doktor schlägt also mit Händen und Füßen um sich«, erzählte er. »Aber nun gehen wir ‘ran, ich und der Pierre, und packen ihn und ziehen ihn in die Hütte herein. Er schreit und schreit, wie ein angestochenes Schwein, und steht da und schreit.«

»Wer hat geschrien?« unterbrach ihn der Mann, der als Ankläger fungierte.

»Na, er natürlich! Der da.« Der Zeuge wies auf St. Vincent. »Und nun heißt’s also Licht machen. Das ist jetzt zum Beispiel gar nicht so einfach, denn erstens war die Lampe umgeworfen, und dann weiß ich ja auch gar nicht so Bescheid in dem Haus. Jetzt zeigt sich’s aber, wie gut das ist, wenn ein Mann immer eine Kerze in der Tasche hat. Und Streichhölzer natürlich auch. Ja, das kann manchmal sehr nützlich sein. Und dann hab’ ich Licht gemacht. Da liegt also mein Borg auf dem Fußboden, so tot, wie ein Mann nur sein kann, in seinem Alter und bei seiner Gesundheit. Und die Squaw, nämlich was dem Borg seine Frau war, die sagt, daß er es getan hat, und dann legt sie sich hin und stirbt auch.«

»Daß er es getan hat, hat sie gesagt? Wer? Wen hat sie genannt?«

»Na, er natürlich. Er, der fremde Doktor da.« Dabei wies er mit dem dicken, schmutzigen Finger auf St. Vincents Gesicht. »Wer soll’s denn auch sonst gewesen sein?«

»Hat sie das wirklich gesagt?« flüsterte Frona ihrem Geliebten zu.

»Ja«, keuchte er zurück. »Gesagt hat sie das. Sie muß verrückt gewesen sein. Der Wahnsinn über all das, was da geschehen war. Ich verstehe es nicht.«

Der zweite Zeuge, ein kleiner Mann mit rotem Gesicht, der schon vorher in die Verhandlung eingegriffen hatte, unterwarf den ersten Zeugen einem eingehenden Kreuzverhör. Es kam aber kein Widerspruch zutage, sosehr Frona auf jedes Wort lauerte.

»Wenn Sie jetzt Fragen an den Zeugen stellen wollen, bitte.«, sagte der Vorsitzende zu Gregory. Gregory schüttelte völlig entmutigt den Kopf.

»Frag doch! Wehr dich!« drängte Frona.

»Wozu? Ich bin im voraus für schuldig erkannt. Mein Urteil war schon gefällt, als all das angefangen hat.« »Einen Augenblick, bitte!« rief Frona mit heller fester Stimme. »Erlauben Sie, Herr Vorsitzender, erlaubt die Versammlung unserer ehrenwerten Kameraden, daß ich diesen Mann hier verteidige? Ich bin ein Mädchen, aber er hat keinen anderen Freund hier, und es gibt, glaube ich, kein Gesetz, das es verbietet.«

Es trat plötzlich eine Stille ein. Der Vorsitzende wartete auf irgendein Wort des Widerspruchs, aber da alles mit angehaltenem Atem dasaß und auf das tapfere Mädchen im Goldgräberanzug blickte, faßte er seinen Beschluß.

»Bitte, übernehmen Sie die Verteidigung, Fräulein Welse. Die Versammlung sowohl wie ich begrüßen es, daß der Angeklagte nicht mehr ohne Verteidiger ist.«

»Dann bleiben Sie noch einen Augenblick, Herr Zeuge! Wissen Sie nichts außer den letzten Worten der Indianerfrau, das zur Überführung des Mörders dienen könnte?«

Der Schwede stierte vor sich hin, als hoffte er, ihre Frage würde langsam in sein Begriffsvermögen eindringen. Er hatte sich seine ganze Aussage wohl zurechtgelegt, Schritt für Schritt und Punkt für Punkt. Aber auf Zwischenfragen, die eigenes Denken erforderten, war er nicht eingerichtet.

»Sie haben nicht mit eigenen Augen gesehen, wer es tat?« fragte sie wieder.

»Aber natürlich. Der fremde Doktor da.« Wieder hob er den anklagenden Finger. »Wenn sie doch gesagt hat, daß er es getan hat.«

Bei dieser Erklärung glitt ein Lächeln über alle Gesichter, und Frona spürte, daß sie jetzt schon Boden gewann. Immerhin war der anklagende Zeuge als ein ziemlich dummes und deshalb wenig brauchbares Instrument der Gerechtigkeit entlarvt.

»Gesehen haben Sie also nichts?«

»Schießen hab’ ich gehört.«

»Aber nicht gesehen, wer schoß?«

»Wenn ich Ihnen darauf jetzt antworten sollte, Fräulein, dann wüßte ich eigentlich nicht, was ich antworten soll. Wenn die Squaw nun einmal gesagt hat, was sie gesagt hat, dann ist doch für jeden die Sache klar?!«

»Ich danke Ihnen, das genügt«, sagte Frona freundlich, und der Mann zog sich zurück.

Der Vorsitzende sah in seine Aufzeichnungen: »Pierre La Flitche!« rief er.

Ein dunkelhäutiger Mann, schlank und geschmeidig, trat mit sicheren Schritten auf das Podium neben dem Tisch, das als Zeugenstand diente. Es war ein schöner Bursche, dessen schneller, beredter Blick furchtlos von einem Gesicht zum anderen wanderte. Einen Augenblick sah er in freimütiger Bewunderung Frona an. Er lächelte, und sie nickte leise, denn er gefiel ihr, und es kam ihr vor, als sei er ein alter Freund. Auf die ersten Fragen des Vorsitzenden erklärte Pierre La Flitche, er sei nach seinem Vater genannt, der von den alten Waldläufern Frankreichs stammte. Seine Mutter sei eine Mestizin, von einem weißen Vater und einer eingeborenen Mutter. Wo er geboren sei, wisse man nicht, irgendwo bei einer Jagd. Hier in Alaska sei er seit vielen Jahren, seit er denken könne.

»Erzählen Sie so kurz wie möglich, was Sie von der Mordsache wissen.«

Er bedachte sich einen Augenblick. der Anfang war schwer zu finden.

»Im Frühling schläft sich’s gut bei offener Tür«, sagte er. Seine Stimme war klar, es lag darin etwas von dem Vogellaut der indianischen Sprache, die ein Teil seiner Vorfahren gesprochen hatte. »So habe ich auch gestern bei offener Tür geschlafen. Ich bin mein Leben lang auf der Jagd gewesen, ich schlafe nicht sehr fest. Ich höre, wenn ein Blatt zu Boden fällt, ich höre, wenn ein Wind sich erhebt. Ich schlafe, aber meine Ohren flüstern mir zu, was draußen geschieht. Die ganze Nacht über flüstern meine Ohren. Da braucht nur der erste Schuß zu fallen, und schon bin ich draußen vor der Tür.«

St. Vincent flüsterte Frona zu: »Es war nicht der erste.«

Sie nickte, ohne den Blick von La Flitche abzuwenden, der seine Aussage höflich unterbrochen hatte.

»Ein Schuß, dann still. dann noch zwei Schüsse schnell nacheinander«, fuhr er fort. »So: bum.bum. >Borgs Hüttec, sage ich mir und laufe den Weg hinab. Borg macht Bella tot, habe ich gedacht und war sehr traurig. Bella ist ein schönes Mädchen gewesen«, vertraute er den Zuhörern mit traurigem Lächeln an, »ich habe Bella gern gehabt. Vielleicht kann ich helfen, habe ich zu mir gesagt, und bin so rasch gelaufen, wie man kann. Da kommt auch John aus seiner Hütte heraus, ein bißchen besoffen, meine Herren Richter, und mit viel Lärm. >Was gibt es?< sagt er, und ich sage: >Das werden wir gleich sehen.< Und da kommt etwas - hurr - aus dem Dunkel heraus, so >hurr< - und wirft John um und wirft mich beinahe auch um. Ich greife danach, und John, der auf dem Boden liegt, greift nach seinen Beinen, und dieser Mann da war es. Er ruft >Oh! Oh! Oh!<, genau so. Er ist nur halb angezogen - wir halten ihn fest, und dann kommt John auf die Beine, und dann sage ich: >Komm mit zurück!««

»War es wirklich dieser Mann da auf der Anklagebank?« La Flitche sah sich noch einmal Gregory St. Vincent an, als gäbe es auch für ihn nicht den geringsten Zweifel: »Dieser Mann war es!«

»Er will nicht mit uns zurückgehen. Aber John und ich sagen: >Du gehst.. .<, und er geht.«

»Sagte er etwas?«

»Ich fragte ihn, was geschehen ist - ich habe ihm viele Fragen gesagt. Aber er ruft nur immer: >Oh! Oh! Oh! Oh! Oh!< und weint.«

»Ist Ihnen noch etwas aufgefallen?«

»Ah, ja, Blut an seinen Händen.«

Durch die Reihen lief ein erregtes Gemurmel, aber der Zeuge fuhr fort zu erzählen. Seine Mienen und seine Gesten begleiteten die ganze Erzählung mit der Ausdruckskraft des Naturmenschen.

»John macht Licht mit der Kerze, die er in seiner Tasche hat, und da liegt Bella auf dem Boden! Bella stöhnt wie eine Robbe, wenn sie einen Schuß durch den Leib hat. Und in der Ecke liegt Borg. Ich sehe ihn an. er atmet gar nicht. Da schlägt Bella die Augen auf, und ich sehe hinein, und da weiß ich, daß sie mich erkennt. Sie hat gleich gewußt, daß ich der Pierre bin. >Wer hat es getan, Bella?< frage ich. Da dreht sie den Kopf herum und flüstert, ach, so leise, so langsam: >Ihn tot?< Ich weiß, daß sie Borg meint, und ich sage: >Ja.< Da stützt sie sich auf einen Ellenbogen und sieht sich um. Wie sie den Mann da sieht, sucht sie nicht mehr weiter und rührt sich nicht mehr. Nur immer angesehen hat sie ihn, immer nur ihn. Und dann hat sie noch einmal die Hand hochgehoben und hat auf ihn gezeigt und hat gesagt: >Ihn!<«

La Flitche ahmte jede Bewegung der sterbenden Bella nach. Als sein Finger jetzt auf den Angeklagten wies, zitterte er, wie die Hand der Sterbenden gezittert hatte. »Sie sagt nur: >Ihn! Ihn! Ihn!<, und ich frage wieder: >Bella, wer hat es getan?<, und sie sagt wieder: >Ihn! Ihn! Ihn!! St. Vincent ihn tun es getan.< Und dann.«

La Flitche ließ seinen Kopf kraftlos auf die Brust sinken und ahmte das Verröcheln Bellas nach, bis zum letzten matten Hauch. Dann richtete er sich plötzlich wieder auf, stand in seiner natürlichen, aufrechten Haltung da, und seine weißen Zähne blitzten, als er schloß: »Bella tot.«

Der Ankläger stellte die üblichen Fragen, die natürlich nur dazu dienen sollen, die Aussagen des Belastungszeugen zu erhärten.

»Was wissen Sie von dem Kampf, der vorausgegangen ist? Der schwere Tisch war doch zerschmettert, der Ofen umgeworfen?«

»Es sah schrecklich aus«, bekräftigte La Flitche. »Nie in meinem Leben hab’ ich so etwas gesehen.«

Brown überließ mit einer Verbeugung Frona das Verhör, und sie dankte ihm mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln. Es schien ihr gut, mit dem Gegner auf möglichst freundschaftlichem Fuß zu stehen, und sie wußte genau, was das Lächeln einer jungen Frau in dieser Versammlung bedeutete. Im Grunde wollte sie die Verhandlung nur hinziehen, bis ihr Vater kam. Ihr galt es bei jeder Frage nur, Zeit zu gewinnen. Zeit, Zeit, Zeit! Endlich mußte eine Vertagung eintreten, und dann konnte sie Gregory unter vier Augen sprechen. Er war so verängstigt, so bis in die letzten Nerven verstört, daß es jetzt unmöglich war, Einzelheiten aus ihm herauszuholen. So stellte sie an La Flitche eine unendliche Reihe von Fragen, aber nur bei zwei Antworten kam ein neues Moment an den Tag.

»Sie sprachen von einem ersten Schuß, Herr La Flitche. Aber die Wände einer Blockhütte sind sehr dick. Glauben Sie, Sie hätten bei geschlossener Tür einen Schuß gehört?«

Er schüttelte den Kopf. Seine dunklen Augen verrieten ihr, daß er schon wußte, wo sie ihn festzunageln trachtete.

»Also, Herr Zeuge, wenn Sie vom ersten Schuß sprechen, so meinen Sie nicht den ersten Schuß, der gefallen ist, sondern den ersten, den Sie gehört haben?«

Wieder nickte er. Sie hatte schon den Eindruck seiner Zuverlässigkeit um eine Spur geschwächt.

»Sie sagen, daß es sehr dunkel war?«

»Ah, ja, ganz dunkel!«

»Wie konnten Sie sofort wissen, daß es John war, den Sie zuerst trafen?«

»John macht viel Lärm, wenn er läuft. Ich kenne seinen Lärm genau.«

»Aber Ihre Augen haben Ihnen nicht gesagt, ob es John war oder ein anderer Mann, der beim Laufen Lärm macht.«

»O nein!«

»Dann frage ich Sie eins, Herr Zeuge, und ich bitte Sie, sich die Antwort sehr genau zu überlegen! Wie konnten Sie wissen, daß an den Händen von Herrn St. Vincent Blut war?«

Er zeigte mit einem Lächeln seine blendenden Zähne und dachte keine Sekunde über die Antwort nach.

»Wie? Ich fühle etwas Warmes an seinen Händen. Was kann das sein? Meine Nase sagt mir alles. Den Rauch vom Jagdlager weit fort. Das Loch, wo ein Kaninchen sich versteckt. Die Fährte, die ein Elch gezogen hat.« Er warf den Kopf zurück, mit einem gespannten Ausdruck, mit geschlossenen Augen und zitternden Nüstern zeigte er, wie alle anderen Sinne eines Jägers ruhen, der sich ganz auf die Wahrnehmungen seiner Nase verläßt. Dann öffnete er die Augen wieder und betrachtete Frona fast traurig.

»Ich rieche Blut an seinen Händen, warmes Blut, ich rieche das heiße Blut an seinen Händen.«

»Dafür kennen wir ihn! Die beste Nase von Klondike!« rief ein Mann aus der Versammlung.

Frona warf unwillkürlich einen Blick auf St. Vincents Hände und bemerkte mit Entsetzen rostbraune Flecken auf den Manschetten seines Flanellhemdes. Als der Zeuge abgetreten war, tat der Ankläger Bill Brown ein paar Schritte auf Frona zu und reichte ihr die Hand. »Ich freue mich, einen so sympathischen Verteidiger begrüßen zu dürfen.«

Sie zeigte ihm ihr liebenswürdigstes Lächeln, aber dann fragte sie rasch:

»Ist das vornehm, wie man uns behandelt? Sagen Sie selbst, als Gegner, muß man uns nicht Zeit lassen, die Verteidigung vorzubereiten? Ich weiß doch nichts von der Sache, als was Ihre beiden Zeugen vorgebracht haben. Als gerechter und vornehmer Gegner, Herr Brown, finden Sie nicht, man müßte die Verhandlung bis morgen aussetzen? Wollen Sie Ihr Plädoyer gegen einen Mann führen, der keine Gelegenheit hatte, sich so zu verteidigen, wie es jedes Gesetz verlangt?«

Er sah auf die Uhr und sagte nachdenklich: »Das ist keine schlechte Idee. Außerdem ist es schon fünf Uhr, wir müssen alle an unser Nachtessen denken.«

Wie sie ihm dankte! So kann, ohne ein Wort zu sprechen, nur eine Frau danken. Er sah ihr in die Augen und fühlte sich mehr belohnt als durch viele Worte. Dann trat er auf seinen Platz zurück und wandte sich an die Versammlung: »Nach Beratung zwischen Ankläger und Verteidiger, in Anbetracht der vorgerückten Zeit, angesichts der Tatsache, daß die Verhandlung heute zu keinem gerechten Abschluß mehr gebracht werden kann, beantrage ich die Vertagung auf morgen vormittag.«

»Dem Antrag wird stattgegeben«, erklärte der Vorsitzende, als kein Protest sich erhob. Dann stieg er von seinem Richterstuhl herab und machte sich eilig daran, das Feuer zu schüren und Kessel zuzusetzen. Er war ein Bewohner dieser Hütte und hatte an diesem Tag Küchendienst.

*

»Ich kann dir nichts erklären, Frona«, sagte Vincent, als sie jetzt unter vier Augen waren. »Ich fühle, daß mein Verstand stillsteht. Du mußt mir einfach glauben, daß ich unschuldig bin. Schwöre mir, Frona, daß du mir glaubst!« In ihrem Gesicht flammte das Blut auf.

»Du bist ein Mann und mußt dich wehren! Was nützt es dir, wenn ich an deine Unschuld glaube? Du mußt mir Waffen geben, um dich zu verteidigen! Vor allem mußt du dich selbst verteidigen! Nicht einen Schritt darfst du freigeben ohne Kampf!«

»Mit mir ist es aus, Frona!«

»Nichts ist aus, solange man kämpft! Erzähle mir alles!«

»Sie hat gelogen, Frona. Diese Unglückliche, diese Bella, sie hat gelogen! Vielleicht ist sie wahnsinnig gewesen. Aber wie konnte sie mich beschuldigen! Ich habe doch für sie und Borg gekämpft und wie ich gekämpft hab’! Nein, sie war wahnsinnig.«

»Fang beim Anfang an, Vincent! Ruf dir alles ins Gedächtnis zurück! Jeden Schritt muß ich wissen. Da. ich hol’ dir Wasser.dreh dir eine Zigarette, komm, Lieber, das wird dir guttun. Daß deine Lippen nicht mehr so beben! Jetzt brauchst du alle Kraft. Nimm dich zusammen!«

Er setzte sich zurück und rauchte. Fronas machtvollem Zuspruch war es wirklich gelungen, seine Gedanken wieder in klarere Bahnen zu bringen.

»Es muß gegen ein Uhr nachts gewesen sein. Ich schlief. Auf einmal bin ich aufgewacht. Jemand hat die Lampe angezündet. Ich dachte, daß es Borg wäre. Das geht mich nichts an, dachte ich, und wollte wieder einschlafen. Auf einmal waren zwei fremde Männer in der Hütte. Beide trugen Masken. Sie hatten die Ohrenklappen heruntergezogen. Ich konnte nichts sehen als ihre Augen. Da ist eine Gefahr, dachte ich. Das war alles, was ich im ersten Augenblick dachte. Eine Sekunde lang blieb ich ganz still liegen und überlegte. Borg hatte sich meine Pistole geliehen, ich hatte keine Waffe. Mein Gewehr stand an der Tür. Ich muß zu meinem Gewehr, das war mir klar. Ganz leise setze ich den Fuß auf den Boden, aber da dreht der eine Mann sich zu mir um und knallt seinen Revolver ab. Das war der erste Schuß, weißt du, der, den La Flitche nicht gehört hat. Dann ging der Kampf los, dabei wurde die Tür aufgerissen, und so kam es, daß er die drei letzten Schüsse gehört hat. Der Mann stand mir ganz nah; ich bin so plötzlich aus der Koje herausgesprungen, so unerwartet, daß sein Schuß fehlging. Dann haben wir einander gepackt, dann wälzten wir uns auf der Erde. Plötzlich war Borg dabei, aber der andere Mann griff ihn und Bella an. Dieser andere Mann, der war es, der sie beide ermordet hat. Mein Gegner hatte mit mir genug zu tun, und ich. ich. Himmel, war das ein Kampf! Du hast gehört, was der eine Zeuge gesagt hat, wie die Hütte zerstört war. Wir haben uns gewälzt und getobt, bis der Tisch und die Stühle und alles zerschlagen war. Ach, Frona, es war schrecklich. Dieser Borg hat sein Leben auch nicht billig verkauft, und Bella hat ihm tapfer geholfen. Sie war sogleich verwundet und hat laut gestöhnt. Aber ich konnte ihnen nicht beistehen. Der Kerl, mit dem ich zu tun hatte, war nicht so leicht unterzukriegen. Aber endlich war ich doch der Stärkere. Ich hatte ihn auf den Rücken gekriegt, mit meinen Knien lag ich fest auf seinen Armen und hatte die Hand an seiner Kehle, fest, fest genug! Aber da war der andere Mann mit seiner Arbeit fertig geworden, und jetzt fiel er auch über mich her. Was sollte ich tun? Einer gegen zwei! Und ich war doch ganz am Ende, keine Luft mehr in der Lunge, ganz am Ende. Sie schmetterten mich in eine Ecke, daß mir der Schädel dröhnte, und dann sind sie entkommen. Ein paar Minuten habe ich gebraucht, bis ich wieder zu mir kam. Ich war so von Sinnen, daß ich ihnen dann nachgerannt bin, ohne Waffe, wie ein Selbstmörder. Daß ich selbst in Verdacht kommen könnte, daran habe ich ja gar nicht gedacht. Aber ich wollte diese Verbrecher nicht entfliehen lassen. Sie sollten ihre Strafe finden. Dabei bin ich auf La Flitche und John gestoßen, und dann. dann weißt du ja alles. Nur das.«, stieß er heraus, halb brüllend, halb schluchzend, und dabei schlug er sich mit der Faust vor die Stirn - »nur das begreife ich nicht, und das werde ich nie begreifen: warum Bella mich angeklagt hat! Mich! Mich!!«

Er sah sie flehend an, sie rang die Hände. Es war ihr, als tastete sie mit verbundenen Augen durch eine Wildnis.

»Denk nach, Gregory! Denk nach! Es muß dir noch etwas einfallen. Das sind ja alles keine Beweise. Ich glaube dir’s, aber sie glauben dir nicht.«

»Frona, ich bin doch unschuldig! Ich bin kein Heiliger gewesen, mein Leben lang. Oft bin ich kein guter Mensch gewesen, das weiß ich. Ein Sünder! Ein Sünder!. Aber schau dir diese Hände an: Glaubst du, daß diese Hände mit Blut befleckt sind? Frona, du kannst doch nicht denken, daß ich ein Mörder bin!«

»Das Blut auf deinem Ärmel spricht gegen dich.«

»Bedenk doch, die ganze Hütte hat von Blut gedampft! Ich sag’ dir, von Blut gedampft! Ich habe um mein Leben gekämpft. Wir haben uns durch die ganze Hütte gewälzt, aus einer Ecke in die andere, aus einer Blutlache in die andere! Wenn du mir auf mein heiliges Ehrenwort nicht glauben kannst.«

»Gregory, wenn ich es wäre, die das Urteil über dich zu sprechen hätte, dann wärst du jetzt schon frei und rein von jedem Verdacht und könntest von dannen gehen. Aber diese Männer. Du hast keine Zeugen. Die Worte einer sterbenden Frau sind ihnen tausendmal heiliger als die eines lebenden Mannes und noch dazu eines Fremden, eines Mannes, der nicht zu ihnen gehört. Du mußt doch einen Grund dafür finden, daß die unglückselige Frau mit einer Lüge auf den Lippen gestorben ist.

Hat sie dich gehaßt? Hast du ihr oder ihrem Manne etwas zuleide getan?«

Der Mann sank mutlos in sich zusammen, mit eingefallener Brust und hängenden Schultern. Angstbebend klebte er wieder an seinem Stuhl.

»Dann bin ich verloren. Dann werden sie mir morgen den Strick um den Hals legen, Frona, ich bin verloren!!«

»Sie werden dich nicht hängen! Ich erlaub’ es nicht!«

»Was kannst du tun? Was kannst du denn tun? Du kannst gar nichts tun. Sie haben das Gesetz an sich gerissen, mit Gewalt, sie haben die Macht.«

»Gregory, das Eis auf dem Fluß ist aufgebrochen. Man kann wieder fort. Man kann fliehen! Diese Insel ist kein Gefängnis mehr! Und dann, der Gouverneur oder der Bezirksrichter. sie können jeden Augenblick eintreff en, mit einer Abteilung Polizei! Sie werden einschreiten. Das ist ja alles kein richtiges Gericht. Das darf ja nicht sein. Aber auch wenn sie nicht kommen. Flucht! Flucht!«

»Es ist unmöglich. Es ist unmöglich! Wir sind zwei, und sie sind viele!«

»Aber mein Vater! Und der Baron Courbertin! Wir sind vier

- vier tapfere Menschen, die zusammenhalten, die sind stärker als die ganze Welt, Vincent! Verlaß dich auf mich! Verlaß dich auf uns!«

Sie küßte ihn und weinte über sein Gesicht, ihre Tränen tropften in seinen offenen Mund. Sie flüsterte ihm all ihre Leidenschaft und ihre Liebe und ihre Kraft zu. Aber er war ein zerbrochener Mensch, und kein Strahl von Hoffnung regte sich in seinem Herzen.

»Verloren, Frona, verloren.«

Lange vor Eintritt der Dunkelheit kamen sie über den Kanal, alle, auf die Frona hoffte: ihr Vater, Corliss, der tapfere Baron und der tapfere Del. Sie war gerade in einer der kleinen Hütten, um sich zu erfrischen und ihre Kleider zu wechseln. Die ersten Minuten benutzte ihr Vater, um nach dem geretteten Indianer zu sehen. Der Mann hatte wichtige Nachrichten gebracht, so wichtig, daß Jacob Welses Gesicht düster und ganz verändert war, nachdem er die Depeschen zweimal nacheinander gelesen hatte. St. Vincent war in einer benachbarten Hütte eingesperrt, erhielt aber die Erlaubnis, seine Freunde zu sprechen. Jacob Welse verhandelte lange mit ihm. Beim Abschiednehmen sagte er: »Es steht schlecht um Sie, Gregory. Die Verhandlung wird schlecht ausgehen. Aber hier, meine Hand darauf, daß Sie nicht gehängt werden, selbst wenn das Urteil dahin ergeht! Ich weiß so gut, als wenn ich bei alldem dabeigewesen wäre, daß Sie Borg nicht getötet haben.«

»Das war ein langer Tag«, sagte Corliss zu Frona. »Soviel Gefahr, soviel Kampf, soviel Verzweiflung an einem Tag!«

»Das war ein herrlicher Tag!« antwortete Frona. »Aber morgen. Erst morgen werden wir unsere Kraft wirklich brauchen. Morgen früh beginnt der Schicksalstag.«

»Ich stehe zu euch«, versprach Corliss. »Ich wünsche diesem Burschen, der mir Ihr Herz gestohlen hat, nichts Gutes. Aber bis er von diesem Verdacht gereinigt ist, bis er frei ist, solange will ich alles vergessen. Und ich bin auch stark genug, wirklich alles zu vergessen. Wenn ich nicht Angst vor großen Worten hätte, würde ich sagen: Ich stehe zu euch bis zum Tod.«

»Wie Sie sind, Vance! Ich kann es Ihnen nie vergelten.«

»Vergelten? Liebe kann man nicht vergelten. Lieben heißt: dienen. So verstehe ich es.«

Bei diesen Worten schoß Frona alles durch den Kopf, was sie mit Vance erlebt, was sie von ihm erfahren, und jedes Wort, das sie von ihm gehört hatte.

»Wir müssen so echte, so gute Freunde sein und immer bleiben, Vance, daß nie wieder ein falscher Gedanke zwischen uns treten kann. Es gibt dumme Menschen, die nicht glauben wollen, daß es Freundschaft zwischen Mann und Frau gibt. Aber wie ich Sie liebe, wie ich Sie verehre, als Kameraden, als Mann, als Freund, davon wissen diese Menschen nichts!«

»Kameradschaft?« fragte er. »Jetzt sind Sie grausam, Frona. Denn Sie wissen doch, daß ich Sie - liebe?«

»Ja«, sagte sie leise.

Sie waren eigentlich zum Sterben müde, Frona und Corliss; sie hatten an einem Tag erlebt, was den Inhalt eines Jahres bilden konnte. Mit ihren Muskeln wie mit ihrem Hirn, mit ihren Armen wie mit ihrem Herzen hatte die junge Frona bis zur Verzweiflung gerungen und gekämpft, fast ohne Pause, mit wenig Schlaf, mit wenig Nahrung. Aber in tiefer Nacht rief sie noch die Vertrauten zusammen, entwarf ihren Kriegsplan für den nächsten Tag und wies jedem seine Rolle zu. Wenn der Gerichtshof ein gerechtes Urteil sprach, war alles gut. Fällte er einen Fehlspruch, dann galt Gewalt gegen Justizmord und Flucht gegen ungerechte Verfolgung.

»Es ist abenteuerlich, mein Kind, vielleicht ist es Wahnsinn«, urteilte Jacob Welse. »Aber für den Augenblick schaffen wir dem armen Burschen Luft. Ich glaube auch, daß es gelingen wird. Wir werden dafür sorgen, daß er dann vor ein wirkliches Gericht kommt, denn die Gerechtigkeit darf nicht betrogen werden. Die Leute hier im Wald sollen nicht glauben, daß sie außerhalb des Gesetzes stehen.«

»Eine ‘errlicke Staatscoup«, frohlockte der Baron, »‘errlick! ‘errlick! ‘ände ‘ock! Ick werden rufen - Skreckerlick streng! Und fürkterlick.«

»Aber wenn sie die Hände nicht hoch heben -?« fragte Jacob Welse.

»Dann schießen Sie, Courbertin!« rief Frona, hundertprozentig entschlossen. »Man darf nicht bluffen, wenn man ein Leben zu retten hat.«

»Ick ssießen, Mademoiselle! Ick ssießen und treffen!«

»Und Sie stehen mit dem Boot bereit, Vance! Sie warten den ganzen Tag, wir werden Ihnen keine Botschaft geben können. Wenn Gregory angestürzt kommt, springt er zu Ihnen ins Boot, und dann fort mit ihm, nach Dawson!«

Dann sackte sie ab, sie fiel vom Stuhl und blieb, ohne Decken, ohne Kissen, steif auf dem Boden liegen. Die Müdigkeit hatte sie plötzlich überfallen wie ein feindlicher Riese.

Jacob Welse wurde von den Goldgräbern mit aller Hochachtung empfangen, an die er gewöhnt war, und als er das Wort ergriff, herrschte tiefes Schweigen im Saale. »Meine Herren«, verkündete er. »Die Versammlung ist wider das Gesetz, und was Sie beschließen wollen, kann niemals ein Richterspruch sein. Es hat Zeiten gegeben, in denen dies Land ohne Regierung war und ohne Gesetze, und damals hatten wir das Recht, ja sogar die Pflicht, Übeltäter aus unseren Reihen zu stoßen oder selbst Gericht über sie zu halten. Heute aber haben wir eine Regierung. Dieser Mann gehört vor die Richter, die das Gesetz ihm zuweist, und wenn Sie ihn verurteilen, wenn Sie ihn hinrichten, begehen Sie ein Verbrechen, das man als Mord bezeichnen wird. Ich - und mir werden Sie glauben, daß meine Worte kein leerer Klang sind -, ich selbst werde der erste sein, der jeden, der sich hier das Amt eines Richters anmaßt oder gar das Amt eines Scharfrichters anmaßen möchte, der Strafe zuführen wird, die er verdient. Der Angeschuldigte ist in Haft zu nehmen. so weit reicht unsere Befugnis. Er ist in Haft zu halten, bis der Staat sich seiner bemächtigt. Ich habe gesprochen.«

»Ich beantrage Abstimmung über den Antrag des Herrn Jacob Welse«, sagte der Vorsitzende, ohne selbst Stellung zu nehmen.

»Das war kein Antrag, über den Sie abzustimmen haben!« unterbrach Welse mit furchtbarem Ernst. »Sie haben die Verhandlung aufzuheben und dieses rechtsbrecherische Verfahren zu schließen!«

»Sie haben gesprochen, Herr Welse. Jetzt sprechen wir!«

Damit hatte der Vorsitzende seine eigene Stellung gekennzeichnet, und im Augenblick wurde die Frage entschieden. Alle Hände flogen empor, als er die Versammlung fragte, ob sie sich befugt glaubte, ein Urteil zu fällen. Mit allen Stimmen war Welses Antrag abgelehnt.

»Du siehst, ich bin verloren«, flüsterte St. Vincent Frona zu. »Für mich gibt es keine Hoffnung.«

Aber Welse riß zum zweitenmal das Wort an sich und donnerte den Leuten zu, was er auf dem Herzen hatte: daß ein Lynchgericht mit dem Tode bestraft würde, daß ein ungeheurer Prozeß und maßlose Katastrophen über die Beteiligten hereinbrechen würden. Schrecken über Schrecken, wie Klondike sie noch nicht erlebt hatte. Er fand einige Anhänger, aus der Verhandlung wurde ein Chaos wild diskutierender und drohender Menschen, und in diesem Tohuwabohu von Stimmen gelang es Frona, ihrem Schützling mitzuteilen, was sie sich am Abend zuvor zu seiner Rettung ausgedacht hatte.

»Sie werden alle >Hände hoch< machen, wenn sie auf einmal in drei Revolvermündungen sehen! In diesem Augenblick kannst du fliehen. Das Boot liegt bereit. kümmere dich nicht um uns, nicht um meinen Vater, nicht um mich, Vincent! Sie werden die Hand nicht an uns legen! Und selbst wenn! In dieser Stunde bist du dir selbst der Nächste.«

»Das ist Wahnsinn«, hauchte er, grau das Gesicht und mit gesträubtem Haar.

»Aber es ist doch keine andere Rettung für dich!«

»Ich kann nicht, Frona.«

»Kämpfen sollst du, für dein Leben kämpfen!«

»Laß mich, laß mich!«

Die nächsten Zeugen, zwei Schweden, hatten aus geringer Entfernung jenen Auftritt beobachtet, als Borg einen Wutanfall bekam, weil St. Vincent und Bella zusammen gelacht hatten. Es war ein lächerlich kleines Begebnis, das sie ausführlich schilderten, aber es ließ doch Schlüsse auf die ganze Situation in Borgs Hütte zu. Dann folgte ein halbes Dutzend Zeugen, die im Auftrag des Richters den Schauplatz des Verbrechens und die ganze Insel untersucht hatten. Von den beiden geheimnisvollen Männern, die nach der Angabe Gregorys den Mord begangen haben sollten, hatten sie nicht die geringste Spur gefunden.

Nach ihnen betrat zu Fronas Entsetzen Del Bishop den Zeugenstand. Sie wußte, daß er Vincent haßte, aber sie begriff nicht, was er zur Sache aussagen konnte. Immer hatte sie ihn für einen groben, aber ehrlichen Burschen gehalten. Einen niedrigen Racheakt traute sie ihm nicht zu. Was würde er sagen? Als er den Eid abgelegt hatte, fragte ihn der Richter nach seiner Beschäftigung.

»Ich suche >Goldtaschen

Goldtaschensuchen ist eine besondere Art der Goldgräberei, an die nur wenige glauben.

»Dann wirst du lang herumwühlen müssen, mein Junge«, höhnte ein Mann im Auditorium. »Wenn du nicht vorher verhungerst.«

Del bekam einen roten Kopf: »Herr Vorsitzender«, sagte er, »ich weiß auch, was die Würde des Gerichts ist. Aber das möchte ich ganz bescheiden zu verstehen geben, wenn die Verhandlung vorbei ist, dann kriegt jeder, der sich hier gegen mich was herausnimmt, einen Nasenstüber, daß er bis >zehn< zu Boden geht und vielleicht noch ‘n bißchen länger liegenbleibt.«

»Sprechen Sie zur Sache!« befahl der Vorsitzende und schlug mit dem Hammer auf den Tisch. »Also Goldtaschensucher sind Sie?« Dabei lief über das Gesicht des sonst so sachlichen Mannes dasselbe breite Lachen, wie die meisten Gesichter im Saal es zeigten.

»Den ersten Nasenstüber, der auch aus Versehen in dem werten Brotladen sitzen könnte, Herr Vorsitzender, den verspreche ich Ihnen. Sie wollen nicht glauben, daß ich Goldtaschen finde? Na, warten Sie! Fünf Minuten, nachdem der Jüngling da drüben baumelt, können Sie Ihre kostbaren Knochen sortieren, Herr Vorsitzender. Das nur nebenbei, damit Sie Bescheid wissen. Mein Name ist Bishop.«

»Das ist zuviel!«

Der Richter warf den Rock ab und krempelte die Ärmel hoch.

»Jetzt nur ‘ran, du Lümmel!«

Bishop ging sofort in Positur, und Frona durfte einen Augenblick hoffen, daß das ganze Gerichtsverfahren sich in einer jener Massenkeilereien auflösen würde, bei der einmal zuschauen zu dürfen sie sich schon lange wünschte.

Vielleicht war es gerade das, was der brave Bishop erreichen wollte, um aus dem ganzen Lynchgericht eine Farce, aus der Tragödie eine Komödie zu machen? Mit flammenden Augen schaute Frona auf die beiden Männer, die in prachtvoller Boxhaltung einander gegenüberstanden. Aber schrecklich! Da warf Bill Brown sich dazwischen.

»Muß ich Sie bitten, die Würde des Gerichts wahrzunehmen, Herr Vorsitzender? Es ist ein Skandal, es ist unglaublich! Nehmen Sie die Verhandlung auf! Wir sind hier nicht in der Bar! Außerdem scheinen Sie beide zu vergessen, daß in diesem Saal eine Dame sich aufhält!«

Im Augenblick war die Ruhe wiederhergestellt, und Bishop sagte aus, als wenn nichts geschehen wäre:

»Jetzt will ich Ihnen mal so einiges über den Herrn darbieten, den Doktor, so, was man ein Charakterbild nennt. Das ist nämlich ein sauberer Patron, Sie werden sich wundern!«

Zum erstenmal packte St. Vincent die Wut und überwältigte fast seine Verzweiflung.

»Halten Sie den Mund!« brüllte er zitternd. »Herr Vorsitzender, das ist ein Verrückter! Soll dieser Kerl, den ich einmal in meinem Leben gesehen habe, über meinen Charakter aussagen?«

»Ach so, du kennst mich nicht, mein Junge?« fragte höhnisch der Goldtaschensucher. »Na, da werden wir einmal deinem Gedächtnis ein bißchen nachhelfen.«

»Ich bin dem Mann einmal im Leben begegnet, nur für ein paar Augenblicke, und das war in Dawson«, erklärte St. Vincent fest.

»Ist das so sicher, Herr Doktor Gregory St. Vincent? Denken Sie einmal nach - stellen Sie sich einmal vor, ich hätte hier so eine lange Klosettbürste ums Kinn herum und hieße nicht Bishop, sondern Joe Brown! Und dann denken Sie einmal an das gesegnete Jahr 1884 zurück. Hatten Sie da nicht so einen jungen Seemann namens Joe Brown, der von seinem Schiff desertiert war, in Lohn und Brot genommen? Ja, mein Junge, jetzt fällt dir ja wohl so manches ein?«

Das Wiedererkennen zeichnete sich auf Gregorys Gesicht so deutlich ab, daß ringsum höhnisches Lachen ertönte. Man sah, daß in diesem Augenblick Gregorys ganzes Lebensgerüst zerfiel. So wie er konnte nur ein ertappter Spitzbube aussehen.

»Ja, sehr gut sind wir ja wohl nicht miteinander gefahren, Sie und der arme Junge, den Sie da in Dienst hatten und der heute Bishop heißt. Sie mit Ihren Weibern, immer hinter den Weibern her, und überall Krach und Stunk, und immer soll der gute Joe Brown Sie aus allem Salat wieder herausziehen! Ja, so war das ja wohl?«

»Ich protestiere!« rief Frona. »Ob Herr Dr. St. Vincent Liebesgeschichten gehabt hat oder nicht, das hat mit dieser Sache gar nichts zu tun.«

Bill Brown erhob sich: »Herr Vorsitzender, Bishop ist unser Hauptzeuge, und seine Aussage ist wichtig. Da wir keine Tatzeugen haben, kommt alles auf Indizien an, und der Charakter des Angeklagten muß bis in die letzte Falte geprüft werden. Ich beabsichtige, zu beweisen, daß der Angeklagte ein Lügner und jedes Verbrechens fähig ist. Ich will Faden zu Faden flechten, bis wir einen Strick in der Hand haben, lang und stark genug, um ihn daran aufzuknüpfen. Ich bitte, den Zeugen fortfahren zu lassen.«

Und Del fuhr fort: »Einmal mußten wir da die Stromschnellen hinunter, meine Herren, das war gerade keine Heldentat, aber ein Vergnügen kann man das auch nicht nennen. St. Vincent versteht was vom Rudern, aber ich lern’s in meinem Leben nicht, ich bin überhaupt nicht fürs Wasser geboren. Obwohl ich immer wieder mit dem Wasser zu tun hab’, davon abgesehen. das ist nun einmal so Schicksalstücke. Läßt der Kerl mich nicht allein im Boot? Läßt mich die ganze gottverfluchte Höllenfahrt machen und geht selbst am Ufer spazieren, warm, gesund und trocken? Ja, und wie dann mein Boot glücklich kentert und die halbe Ausrüstung verlorengeht und mein ganzer Tabak und ich gerade noch mit knapper Not das nackte Leben rette, zwei Knochen kaputt und die Nase ein einziger Brei, schimpft er mich einen >Chechaquo< und einen >Taugenichts< und zieht mir zehn Dollar vom Lohn ab! Ja, so ist der feine Herr da drüben! Und jetzt kommen wir an die Geschichte mit den Schwarzfußindianern. Ja, da hat auch nicht viel gefehlt, und ich hätte für den gottverfluchten Lümmel mein süßes, junges Leben hergeben müssen.«

»Wie war das? Erzählen Sie das genauer!« verlangte der Ankläger.

»Na, wegen so einer Squaw war das eben. Was soll’s denn sonst sein? Da hab’ ich ihn mit genauer Not aus der Bredouille herausgebracht und mich schließlich auch. Dann hat er mir versprochen, daß er sich bessern will. Aber vier Wochen später hat er schon wieder die Pfoten an den Indianerweibern, und ich hab’ für ihn die Prügel bezogen. Wie ich ihm danach väterlich zusprechen will, ist er wieder frech geworden, und da ist mir dann nichts übriggeblieben, als einmal ein bißchen an den Fluß hinunterzugehen! Und dann hab’ ich meinem Herrn Chef eine Portion gegeben. Aber nicht zu knapp! Können Sie sich jetzt vielleicht erinnern, Herr Chef? Solche Hiebe haben Sie seitdem nur noch einmal bekommen wie damals in der idyllischen Mondscheinlandschaft am >Windigen Arm

»Es genügt, Herr Zeuge«, unterbrach ihn der Vorsitzende. »Wir haben genug von den Squaws gehört.«

»Diesmal bitte ich, den Zeugen nicht zu stören!« protestierte Frona und sah dabei ganz sorglos aus. »Jetzt scheint mir das Thema wichtig zu sein.«

»Immer das Unterbrechen!« knurrte Bishop. »So einen Vorsitzenden habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Und Sie können mir schon glauben, daß ich in ein paar Weltteilen mit dem Gericht so die eine oder andere kleine Bekanntschaft gemacht hab’. Ich könnte schon lange fertig sein, aber immer fährt mir da irgend so ein Grünschnabel dazwischen. Ich bitte auch um Verzeihung, Herr Vorsitzender, natürlich will ich Ihrer Würde nicht zu nahe treten. Also da hatte mein Gregory ja wohl eine Wut auf mich, wegen der väterlichen Züchtigung, wenn ich so sagen darf. Und außerdem hat er vielleicht gedacht, eine hübsche Squaw im Boot ist besser als ein borstiger Junge mit dem Fußsack am Kinn. Auf einmal krieg’ ich da von hinten eines mit dem Gewehrkolben über das Köpfchen, ‘rein die Squaw ins Kanu, mich liegengelassen und los. Wie das Yukonland damals war, das wißt ihr ja, Leute! Stellt euch da einmal einen vor, ohne Ausrüstung, mutterseelenallein, tausend Meilen tief in der Wildnis. Ist das ein Wunder, daß ich nicht gut auf den werten Herrn zu sprechen bin? Gerettet habe ich mich ja, sonst könnte ich euch das alles nicht erzählen. Aber eine Vergnügungsreise war es nicht, und daß ich nicht verhungert und erfroren bin, das begreife ich selbst noch nicht ganz. Und nun hab’ ich hier auch so ein Buch in der Hand, das hat mir die Frau von Peter Whipple verkauft, und das ist ein sehr interessantes Buch, wenn’s auch auf russisch geschrieben ist, und wenn ich auch kein Russisch lesen kann. Aber wenn hier einer Russisch lesen könnte, dann wär’ das schön. Denn da steht auch so einiges drin, was den feinen Herrn ins richtige Licht setzt.«

»Courbertin! Der kann Russisch!« tönte eine Stimme aus der Menge. Man machte dem Franzosen Platz. Trotz seines Zögerns wurde er in die vorderste Reihe geschoben.

»Sie können die Sprache?«

»Sehr sleckt! Ick ‘abe vergessen!«

»Nur los! Wir kritisieren nicht.«

Del gab dem Baron das Buch und schlug das vergilbte Titelblatt auf.

»Großartig, daß wir Sie haben, Herr Baron. Also los!«

Courbertin begann zögernd: »Dieses Buch, geschrieben von Pater Jakonsk, ist ein kurzer Bericht über sein Leben im Benediktinerkloster zu Obidorski und eine ausführliche Beschreibung seiner wunderbaren Abenteuer unter den Hirschmännern in Ostsibirien.«

»Sagen Sie uns, wann das hübsche kleine Buch gedruckt worden ist, Herr Baron?« verlangte Del.

»Warschau, 1807.«

Der Goldtaschengräber triumphierte: »Aufpassen, Leute! Nasen gespitzt! 1807!«

Der Baron las die Einleitung: »Es war alles Tamerlans Schuld«, begann er. Bei diesen Worten wurde Frona leichenblaß, sie kroch förmlich in sich zusammen. Einmal sandte sie ihrem Vater einen verstohlenen Blick zu, als bäte sie um Verzeihung. St. Vincent starrte sie an, sie fühlte es, aber sie gab ihm keinen Blick zurück.

Alles, was er sah, war ein weißes, völlig ausdrucksloses Gesicht.

»Als Tamerlan mit Feuer und Schwert durch Ostasien zog«, ging die Vorlesung weiter, »wurden Staaten vernichtet, Städte zerstört und Stämme wie Staub in alle Winde zerstreut. Ein ungeheures Volk wurde zum Lande hinausgejagt.«

»Überspringen Sie ein paar Seiten«, verlangte Bill Brown, »wir können nicht die ganze Nacht hier sitzen bleiben.«

»Die Bevölkerung der Küste bestand aus Eskimos, das sind heitere und gutartige Menschen«, buchstabierte Courbertin. Plötzlich wurde sein Vortrag flüssiger:

».sie nennen sik selber Ukilions, das ‘eißt Meeresleute. Ich kaufte ihnen Hunde und Proviant ab, wir kamen gut miteinander aus. Aber die Ukilions waren einem Binnenlandstamm Untertan, den Tschautschuins, das ‘eißt in unserer Sprache >Hirschmenschen<. Die Tschautschuins sind ein wildes, unbezwingbares Volk, grausam und bos’aft, wie nur Mongolen werden können. Kaum ‘atte ich die Küste ‘inter mir, da überfielen sie mik.«

Ein paar Seiten später erklärte Bill Brown: »Danke, das genügt. Wollen Sie uns noch einmal sagen, wann das Buch erschienen ist?«

»Warschau, 1807.«

In der Versammlung war kaum ein Mann, der den ganzen Bericht von St. Vincents Sklavenzeit, von seinem Aufstieg unter den Hirschmännern und seiner Flucht nicht schon oft gehört hatte oder mindestens vom Hörensagen kannte. Aus dem Flüstern und Kopfschütteln, mit dem der Anfang von Courbertins Vorlesungen aufgenommen worden war, wurde langsam heiteres Lachen, und zuletzt konnte man glauben, in einem Theater zu sein, auf dessen Bühne die lustigste Posse vorgeführt wurde. Die Männer schlugen sich auf die Schenkel, stießen einander in die Seiten, und zuletzt wurde ihr Lachen ein Gebrüll fassungsloser Heiterkeit.

»Willst du lieber nichts mehr mit der Geschichte zu tun haben?« fragte Welse leise seine Tochter. Ihr Gesicht hing voll von Tränen, aber sie schüttelte den Kopf.

»Ich muß ihn trotz allem verteidigen, Vater. Es ist meine Pflicht.«

St. Vincent war erstaunlich tapfer, als er endlich das Wort bekam, um sich zu verteidigen. Vielleicht hatte er nach diesem ungeheuren Ausbruch von Lachen das Gefühl, ganz ernst sei die Verhandlung nicht mehr. Jedenfalls sprach er klar und männlich und faßte sich kurz. Sein Bericht widersprach in keinem Punkt dem, was La Flitche und John vorgebracht hatten. Auch die Geschichte mit dem Waschzuber stellte er genauso dar, wie die schwedischen Zeugen es getan hatten. Er gab zu, daß Bella mit seiner Waffe getötet worden war, und behauptete, er habe sie Borg schon einige Tage zuvor geliehen. Die Anklage Bellas sei unbegreiflich, ganz sicher war die arme Frau verwirrt. Sicher sei sie nicht mit einer bewußten Lüge auf den Lippen gestorben. Er wolle der Toten keinen Stein ins Grab nachwerfen. Über die Aussage Del Bishops wolle er sich gar nicht äußern. Das sei kindisch, boshaftes Geschwätz eines Burschen, den man als Großmaul und Raufbold kannte. Der Mann sei mit ihm nach Alaska gekommen, alles andere sei Erfindung, zu töricht, um vor ernsten Männern darauf zu antworten. Ein Zeuge, der den Vorsitzenden zum Boxen herausfordert und bedroht, sei kein Zeuge.

Jetzt erhob sich Bill Brown: »Sie wollen, Angeklagter, mit zwei geheimnisvollen Männern einen furchtbaren Kampf bestanden haben?«

»Jawohl.«

»Wie kommt es dann, daß Sie ohne jede Wunde, ja selbst ohne eine Schramme aus diesem Kampf hervorgegangen sind, während der Körper des ermordeten John Borg eine ganze Reihe furchtbarer Wunden trägt? Dieselben Mordbuben, die John Borg so schrecklich zugerichtet haben, haben mit Ihnen gekämpft, ohne Sie auch nur zu verletzen?«

»Das weiß ich nicht, das kann ich auch nicht erklären. Jedenfalls beweist es nicht, daß ich John Borg oder seine Frau getötet habe.«

Damit schloß das Verhör.

Dann griff Frona ein. Sie wußte, daß die beste Parade der Hieb ist, und packte den Stier bei den Hörnern:

»Ihre Fragen beweisen doch absolut, was der Angeklagte zu seiner Verteidigung sagt. John Borg war - dies mindestens hat die Verhandlung klar ergeben - ein eifersüchtiger Wüterich -immer im Angriff - bewaffnet - zehn Zentimeter größer, zwanzig Kilogramm schwerer als der Angeklagte! Wie denken Sie sich die Nacht, wenn Gregory der Mörder oder besser gesagt der Totschläger war? Ein Schuß von hinten, ein meuchlerischer Stoß mit dem Dolch gegen den Besitzer einer Sklavin, nach der ihm der Sinn stand, das wäre möglich. Aber

- meine Herren - eine Reihe furchtbarer Verletzungen, von denen keine tödlich war. wie soll er sie dem riesenstarken Borg zugefügt haben, ohne selbst verwundet zu werden? Und Bella? Bella sollte zugesehen haben, wie die beiden Männer miteinander kämpften, wie ihr Herr von dem Fremden zuschanden geschlagen wurde, ohne einzugreifen, ohne die Tür aufzureißen und gellend um Hilfe zu schreien? Die Tatsachen, Herr Staatsanwalt, auf die Sie Ihre Anklage stützen, schlagen Ihnen ja selbst ins Gesicht! Nie hätte ich gedacht, daß ein Mann, ein Jurist, an strenges logisches Denken gewöhnt, so erstaunliche Schlüsse ziehen könnte! Natürlich müssen Dritte auf dem Kampfplatz gewesen sein, ob es ein Mann oder zwei Männer, wie der Angeklagte sagt, ob es vielleicht eine ganze Schar von Mordbuben war, darauf kommt es nicht an! Es kommt nur darauf an, daß die Schlacht sich nicht zwischen dem Mörder und seinem Opfer allein abgespielt haben kann. Mag St. Vincent gesündigt haben, mag er ein Lügner und Renommist sein, ein Weiberjäger. der Mörder John Borgs und Bellas kann er nicht sein! Und das Blut an seinen Händen? Man hat so lächerlich viel Aufhebens von diesem Blut gemacht und dabei übersehen, daß La Flitches eigene Mokassins mit Blut befleckt sind! Haben wir daraus den Schluß gezogen, Herr La Flitche müsse in den Handel verwickelt sein? Haben wir behauptet, er sei der Mörder, weil seine Füße durch Blut gewatet sind? Diese Behauptung haben wir nicht erhoben, weil sie wahnsinnig wäre, weil trotz aller Blutspuren auf Herrn La Flitche auch nicht ein Schatten von Verdacht liegt.«

»Sehr richtig!«

»Gut gesprochen!«

»Ich danke Ihnen, meine Herren! Und ebenso richtig, ebenso unleugbar ist es, daß auf Herrn Gregory kein Schatten von Verdacht liegt. Er hat das Unglück gehabt, in eine Angelegenheit voll geheimnisvoller Vorgänge verwickelt zu werden. Er hat das Unglück gehabt, in einer Hütte zu schlafen, in der Entsetzliches geschah, in der es von Blut dampfte und grauenhafte Wunden geschlagen wurden, an denen er aber kein Teil hatte. Das ist alles. Das Leben jedes Menschen ist heilig, hier in der Einöde von Alaska so gut wie in New York oder in Stockholm, meine Herren! Sie werden die eigenen Hände nicht mit dem Blut eines Menschen beschmutzen, gegen den kein Schuldbeweis zu erbringen ist. Sie werden Ihr Gewissen rein halten, meine Herren Geschworenen!«

Frona hatte unerhört plädiert, mit Wucht und Feuer, aber der Beifall, der sich nun erhob, war so rasend, daß sie selbst spürte: Er galt der tapferen Frau, der hübschen Frau, nicht ihren Argumenten. Zornig wandte sie sich noch einmal an die Versammlung:

»Ich habe nicht um Ihren Beifall gebuhlt, meine Herren. Klatschen Sie nicht in die Hände, als ob ich eine Schauspielerin wäre, sondern gehen Sie in sich und bereuen Sie, daß Sie einem Menschen, der nichts verbrochen hat, die qualvollsten Stunden bereitet haben!«

Bill Brown gab seine Sache nicht verloren. Das Pathos, das manchmal aus seinen Worten gesprochen hatte, ließ er zunächst freilich fallen, sein Plädoyer begann mit spitzfindiger Bosheit und überlegenem Hohn.

»Fremde Männer, die keine Spur zurückgelassen haben, von deren Kommen und Gehen niemand etwas gehört hat, sind in Borgs Hütte eingedrungen, Angeklagter? Ihr Hausherr und seine Frau sind in Ihrer Gegenwart ermordet worden, in langem Kampf, wie die Verteidigung bewiesen hat, und an Ihrem Körper ist keine Schramme zu sehen? Von der armen Indianerin hat man erwartet, daß sie eingriff, daß sie mindestens die Tür aufriß und mit gellendem Geschrei Hilfe herbeiholte?

Aber Sie!

Ein Mann, der sich so vieler Heldentaten rühmt, Sie haben nicht gekämpft, Sie haben nicht einmal gewagt, um Hilfe zu rufen? Es mag vieles dunkel sein, was in dieser dunklen Hütte in der verhängnisvollen Nacht geschehen ist, aber Ihr Verhalten ist nicht dunkel! Ob Sie gemordet oder stillschweigend zugesehen haben, wie gemordet wurde, das geht uns wirklich nichts an! Auf jeden Fall liegt Ihre Schuld klar zutage, Sie haben mindestens das scheußlichste Verbrechen begangen, das man in diesem Lande kennt: das Verbrechen nichtswürdiger Feigheit! Und deshalb hat die sterbende Bella ihren letzten Atem verströmt, um Sie anzuklagen. >Mörder! Mörder !< hat sie Ihnen zugerufen, und die zitternde Stimme dieser Frau soll jetzt in unserem Mund noch einmal tönen, mit solcher Wucht und mit solcher Kraft, daß sie Ihnen bis zur letzten Minute Ihres Lebens in den Ohren dröhnt: >Mörder! Dreimal feiger Mordbube!<«

St. Vincent fiel in sich zusammen und lag in seinem Stuhl wie ein Haufen leerer Kleider.

»Ich. bin unschuldig. ich. habe es nicht getan.«

»Abstimmen, meine Herren!« rief der Vorsitzende und rührte den Hammer. »Offene Abstimmung - wir sind Männer, von denen jeder seinen Spruch vertritt. Ich frage Sie: Ist der Angeklagte Dr. Gregory St. Vincent, den Sie hier vor sich sehen, schuldig, den Mord an dem Goldgräber, unserem Kameraden John Borg, durch eigene Handlung oder stillschweigendes Gewährenlassen verschuldet zu haben oder nicht? Wer ihn für schuldig hält, der hebe.«

»Hände hoch!« dröhnte in diesem Augenblick Jacob Welses Stimme aus einer Ecke des Saales, und von dem anderen Ende des Saales hörte man Baron Courbertins helles, scharfes Organ:

»‘ände ‘ock! Oder ick ssiessen!«

Jeder der beiden Männer hielt zwei sechsschüssige Revolver auf die Geschworenen gerichtet, Feuerschlünde starrten den Männern entgegen, und es gab keinen, der nicht wußte, daß mindestens Jacob Welse Ernst machen würde. Alle Hände flogen zugleich in die Höhe, nichts rührte sich. Der Vorsitzende hatte nicht einmal Zeit gefunden, den Hammer beiseite zu legen. Er hielt ihn in der hochgestreckten Hand. In diesem Saal wurde nicht mehr gesprochen, in diesem Saal galt nur noch die Gewalt. Aber es war die Gewalt, wie Jacob Welse sie verstand, im Dienste des Rechtes und des Friedens.

»Jetzt los! Am Südkanal liegt das Boot! Rasch! ! Fort! Du bist gerettet!« keuchte Frona. »Hier ist Geld. Das nimm mit auf den Weg! Und fort! Fort! Laß dich nie wieder hier sehen!«

Sie drückte St. Vincent einen geladenen Revolver in die Hand. »Du bist frei! Worauf wartest du? Fort! Fort!«

Er ächzte: »Das ist - Wahnsinn.« Wie ein Gelähmter hing er auf seinem Stuhl. Sie preßte ihm die Waffe in die Hand, aber seine Finger gaben nach, mit schwerem Poltern fiel der Revolver vor ihm auf den Boden. Sie zog und zerrte an ihm, wie man einen Mann aus schwerem Schlaf erweckt, aber in sein leichenblasses Gesicht kam keine Bewegung; er rührte sich nicht. In dem ganzen Saal war kein Laut als das schwere Atmen der vielen Männer. Plötzlich war La Flitche an den Stuhl des Angeklagten getreten und hatte seinen Fuß auf den Revolver gesetzt. Frona bückte sich hastig, sie stieß gegen den Mann und wollte sich des Revolvers wieder bemächtigen. La Flitche stand mit erhobenen Händen und sah scheinbar teilnahmslos Jacob Welse an. Aber sein Fuß regte sich nicht. Es entstand zwischen diesem eisenharten, unbeweglichen Männerbein und Fronas wütenden Händen eine Art stillen Ringens, und Jacob Welse, der nicht begriff, warum Gregory noch immer dort saß, verlor auf eine Sekunde die Aufmerksamkeit. Einen Blick wandte er von der Menge ab, die er schon minutenlang wie ein Tierbändiger im Zaum hielt, nur einen Atemzug lang war sein Revolver nicht mehr im Anschlag, und dieser Augenblick entschied alles. Aus hochgehobener Hand sauste der Hammer des Vorsitzenden gegen Welses Schädel, mit sicherstem Schwung geworfen. Der alte Welse reckte sich, Frona stieß einen gellenden Schrei aus, Jacob Welse brach zusammen und lag jetzt zu Füßen der Masse, die er gezähmt hatte. Im Fall ging sein Revolver los, der Schwede John stieß ein Gebrüll aus: »Mein Bein! Mein Knie!«, und in diesem Augenblick versagten auch Courbertins Nerven. Im Handumdrehen war er übermannt. Es waren Del Bishops Tatzen, die ihn gepackt hatten, und aus denen gab es kein Entrinnen. La Flitche griff nach Frona, sein Griff war nicht hart, aber unwiderstehlich. Er nahm sie in seine Indianerarme wie ein Liebender, in diese geschmeidigen, sehnigen Arme, und damit war ihr letzter Mut gebrochen.

Der Vorsitzende donnerte mit der Faust auf den Tisch und beendete den unterbrochenen Satz: »Wer ihn für schuldig hält, der hebe die rechte Hand!« Gleich darauf verkündete er: »Schuldig mit allen Stimmen!«

*

Am nächsten Morgen sollte das Urteil vollstreckt werden. In dieser Nacht war das letzte Eis getaut. Jetzt lag die Fläche des Yukon sonnenüberspült da, wie die ebene Fläche eines großen, friedlichen Sees, die kleinen Kanälchen zwischen den »Split-up-Islands« blinkten grün und plätscherten mit ihren Wellen gegen die von Blumen übersäten Gestade. Nahe dem Strand war ein Baum zum Galgen hergerichtet; an einem zwei Meter hohen Ast baumelte die Schlinge, und darunter stand ein leeres Faß. Mehr war nicht nötig, um einen Mann, der sich gegen die Landesgesetze der Kameradschaft vergangen hatte, vom Leben zum Tode zu befördern.

Ein Goldgräber, der vor langen Jahren als Indianermissionar ins Land gekommen war und nebenamtlich als Seelsorger diente, wenn eine Hochzeit oder eine Taufe zu vollziehen war, hatte die Nacht mit St. Vincent verbracht. Frona hatte nur die eine Hoffnung, Gregory würde tapferer sterben, als er gelebt hatte. Dann wollte sie verzeihen, daß er sie so tief enttäuscht hatte, wie ein Geliebter das Herz einer Liebenden nur enttäuschen kann. Dann, glaubte sie, würden die Male seiner Küsse nicht mehr wie Schandmale auf ihren Lippen brennen, und sie würde sich einst nicht schämen, wenn man sie nach der einen, großen, brennenden Liebe ihrer Jugend fragte.

Vincent enttäuschte sie auch diesmal.

Wie er die Nacht verbracht hatte, danach zu fragen, wagte sie nicht. Aber was da auf der Richtstätte erschien, nicht am Arm des Missionars schreitend, sondern von vier handfesten Männern gezerrt und geschleppt, war nicht der Mann, dem sie vor wenigen Tagen noch durch Himmel und Hölle gefolgt wäre. Es war ein schlotterndes, knochenloses Etwas, wimmernd und willenlos.

Um den Galgen hatte sich in weitem Kreise die ganze Goldgräbergemeinschaft versammelt, alle vierzig Männer, die gestern als Geschworene amtiert hatten, der Richter, der Ankläger, Jacob Welse, dessen verbundenes Haupt tiefer als tags zuvor ergraut schien.

»Ehe wir dir die Schlinge um den Hals legen und dich an diesem Baume hängen lassen, bis das Leben aus dir gewichen ist, darfst du noch einmal zu uns sprechen, Gregory St. Vincent!« verkündete der Richter.

»Sag nichts! Bettle nicht um dein Leben!« flüsterte Frona dem Delinquenten zu. Er lag unter dem Galgen wie leblos, auf ihren Knien lag sie neben ihm. »Sei tapfer! Das Leben ist nichts, nur Mut gilt!«

Aber bei dem Gedanken, noch einmal sprechen, noch einen Versuch der Verteidigung machen zu dürfen, erkannte der im Innersten Zerbrochene plötzlich, daß das Leben immer noch lockte, daß er unter dieser lachenden Sonne und beim Zwitschern der Rotkehlchen, mitten in diesem Frühlingsgrün nicht sterben konnte. Durch alle Poren drang ihm die Ahnung, daß nichts vorbei war, solange man atmete, und wenn er je in seinem Leben tapfer gewesen, dann wurde er es in dieser Minute.

Er richtete sich auf. In sein schneeweißes Gesicht trat wieder eine Spur von Farbe. Jetzt kauerte er wie ein zu schwer beladenes Lasttier auf allen vieren, jetzt kam er auf die Knie und stützte sich mit beiden Armen auf das Faß, von dem er in den Tod befördert werden sollte.

Anfangs tat er nur den Mund auf, mit verzerrten Lippen, aber kein Ton wollte sich in seiner Kehle bilden. Dann wurde aus dem unartikulierten Keuchen und Heulen eine menschliche Stimme, er formte Worte, und plötzlich stand er aufrecht, nur noch auf die Schultern des Missionars gestützt, und sprach: Worte, richtige Sätze. So gewaltig war sein Wille zum Leben, daß er, die grausige Angst im Genick, dennoch imstande war, ein Bekenntnis zu formen und eine Rede zu halten.

»Ich will mich nicht schonen, ihr Männer«, sagte er. »Ich will alles bekennen, die ganze Wahrheit. Ich bin ein Feigling gewesen, ich habe gelogen, aber auf Feigheit und Lüge steht auch nach euren Gesetzen nicht der Tod. Es sind nicht zwei Männer in John Borgs Hütte gekommen in jener Nacht, es war nur ein Mann.

Borg hatte ihn immer erwartet.

Jede Nacht band er an seine Tür einen Blecheimer. Den nannte er die Mörderfalle. Wenn ein Fremder von außen in die Hütte eintreten wollte, mußte er den Alarm auslösen. Borg schlief immer mit dem Revolver im Gürtel. Aber in seiner letzten Nacht hatte er zuviel Whisky getrunken, denn in seiner steten Angst vor Verfolgern mußte er manchmal Betäubung suchen. Ich wachte auf von leisen Schritten, die um die Hütte schlichen, aber er schnarchte tief. Die Lampe war tief herabgeschraubt. Ich sah Bella an der Tür hantieren; sie hatte den Blecheimer geräuschlos heruntergeholt und beiseite gestellt. Ganz leise ging die Tür auf, und ein Mensch schlich herein. Er kam der Lampe nahe, ich sah sein Gesicht. Es war ein Indianer, und ich werde sein Gesicht nie vergessen. Quer über seiner Stirn, in der Höhe der Augenbrauen, trug er eine breite rote Narbe.

Und wenn ihr mir dreitausend Indianer vorführt, werde ich diesen Mann auf den ersten Blick erkennen!«

»Und was tatest du?«

»Ich tat nichts. Ich lag in meine Decken gewickelt und tat nichts.«

»War der Mann bewaffnet?«

»Er trug ein breites Messer in der Hand und schritt geräuschlos auf Borgs Lager zu. Bella stand da und wies ihm den Weg. Es war kein Zweifel, daß die beiden Mord planten.«

»Und du tatest nichts?«

»Seid doch nicht so sinnlos grausam in euren Fragen!« heulte Gregory. »Könnt ihr denn nicht begreifen, daß es Menschen gibt, die aus Fleisch und Blut sind, nicht aus Stahl und Eisen, wie man es in diesem Lande sein soll?! Natürlich tat ich nichts.was sollte ich denn tun? Ich lag in meinem Schweiß, und mir war, als ob siedendes Öl über meinen Kopf rann. Ich habe mich so gefürchtet, daß ich das Ganze für einen gräßlichen Traum hielt. Ich habe mich so gefürchtet, daß ich dachte, meine Haare werden weiß. Ich habe mich so gefürchtet, daß ich nicht einmal heulen konnte vor Furcht. Ich bin beinahe gestorben vor Furcht. Was fällt euch denn ein? Was wollt ihr von mir? Könnt ihr von einem Menschen verlangen, daß er ein Held ist? Ich bin kein Held. Und das ist mein ganzes Verbrechen.

Dann begann der Kampf im Halbdunkel. Der Indianer stieß mit seinem Messer auf den schnarchenden Borg ein. Aber das Licht war zu schwach, er hatte nicht den Mut gehabt, ihm die Pecken wegzureißen. Borg fuhr auf, er war gleich bei voller Besinnung und fuhr dem Indianer an die Gurgel. Er schnellte sich aus dem Bett und fiel mit seinem ganzen Gewicht auf den Mann. Sie rangen um das Messer, Borg hatte es schon fast an sich gerissen, da biß der Mörder ihm in die Faust. Er bekam die bewaffnete Hand frei und stieß immer wieder zu. Sie wälzten sich gegen Tische und Stühle, daß das Holz zusammenkrachte, und dann fiel der erste Schuß.«

»Und du?«

»Ich wollte mich aufraffen, wollte um Hilfe brüllen oder mit einem Stuhlbein den Mörder erschlagen, aber ich konnte nicht. Wie an Händen und Füßen gefesselt lag ich da, Gott helfe mir! Bella hatte den ersten Schuß abgefeuert, auf Borg, aber er lebte immer noch. Er lebte noch und kämpfte noch, als wenn er drei Leben hätte. Er schrie sogar nach mir >Hilfe! Helft mir doch, St. Vincent!< Aber dann war plötzlich keine Hilfe mehr nötig. Er hatte mit seiner eisernen Faust den Indianer knockout geschlagen, und dann lag Bella plötzlich wieder vor ihm, wie ich es oft gesehen hatte, wie ein Hund, der die Peitsche erwartet. Borg riß ihr den Revolver aus der Hand und schoß zweimal auf den Indianer. Seine Augen waren von strömendem Blut geblendet, er traf ihn nicht. Die Kugeln pfiffen scharf an meinem Kopf vorbei in die Wand. Ihr könnt sie dort noch finden. Ich glaube, er wollte den Indianer und mich zugleich erschießen, aber er verfehlte uns beide. Den dritten Schuß gab er auf Bella ab, und der traf.

Alles andere war so, wie ihr es von den Zeugen hörtet.«

Es entstand eine lange Pause. Kein Mensch wagte zu sprechen, aber wie zum Hohn dieses Lynchgerichtes, wie zum Triumph des Lebens, das nach jedem Grauen und zu jedem Entsetzen dennoch das letzte Wort spricht, schmetterte ein Rotkehlchen aus der Krone des Baumes herab, der eben noch als Galgen dienen sollte.

»Hängt ihn auf! Hängt ihn, daß Schluß wird! So eine feige Bestie hat kein Recht mehr zu leben!« riefen aus der Masse ein paar grimmige Stimmen. Aber die meisten der Männer waren jetzt ganz stumm und beklommen. Gestern noch hätte es ihnen nichts ausgemacht, St. Vincent am Galgen zu sehen. Aber in diese Morgenpracht hinein schien das Bild gräßlich, und zudem war ihnen klar, daß auf ein Versagen der Nerven, selbst auf die erbärmlichste Feigheit, nach keinem menschlichen Gesetz der Tod steht.

In diesem Augenblick lenkte ein großes Floß, das an jedem Ende von einem Steuerruder geführt wurde, in geräuschloser Fahrt in den Kanal ein. Als es der Richtstätte gerade gegenüberlag, wandte das vordere Ende sich dem Ufer zu, eine Leine wurde ans Land geworfen, dann kam mit gewaltigem Satz ein weißer Mann an den Strand, der die Leine ein paarmal um den Galgenbaum schlang.

»Laßt euch nicht stören, Leute!« sagte der Mann, der mit einem Blick die ganze Situation erfaßt hatte. »Wird schon richtig sein, was ihr da macht! Nur haben wir da einen Burschen an Bord, der auch nicht mehr lange zu leben hat. Vielleicht haben ein paar von euch Zeit, sich auch um den zu kümmern?«

Als ob die Goldgräber glücklich gewesen wären, einen anderen Gegenstand für ihre Aufmerksamkeit zu finden, wandten aller Augen sich jetzt dem Floß zu. Auch Jacob Welse, dessen Kopf verbunden war, der aber jetzt frischer und tatkräftiger aussah als am Tage zuvor, folgte den unerwarteten Vorgängen.

»Was habt ihr da für eine Ladung?« fragte er und wies auf einen Haufen Tannenzweige, mit denen das Floß beladen war.

Der andere Floßschiffer trat an die Fracht heran und warf ein paar von den Zweigen beiseite.

»Frisches Elchfleisch, Leute!« rief er mit der Stimme eines Verkäufers auf dem Jahrmarkt. »Ausgezeichnete Ware! Frisches Fleisch, ihr Männer! Wenn wir bis Dawson fahren, reißen sie es uns aus den Händen, für 10 Unzen Goldstaub das Kilo! Aber weil ihr’s seid, und weil man sich den Weg nach Dawson auch sparen möchte, sollt ihr es billiger haben!«

»Und das ist, wie gesagt, die Fracht Nummer zwei«, sprach der erste Mann und wies auf die Umrisse einer Männergestalt, die mit vielen Decken verhüllt war.

»Den haben wir erst heute morgen aufgelesen, so ungefähr 30 Meilen flußaufwärts.«

»Der braucht einen Doktor«, erzählte der zweite. »Muß eine Meinungsverschiedenheit mit einem Grizzlybären gehabt haben, und der Bär hat das letzte Wort behalten. Aber wir haben keine Zeit. Entweder kauft ihr gleich oder gar nicht!«

Frona und St. Vincent sahen zugleich, wie der Verwundete die Böschung hinauf und durch die Menge getragen wurde. Eine bronzefarbene Hand hing schlaff von der rohgezimmerten Bahre herab, ein bronzefarbenes Gesicht kam zwischen den Decken zum Vorschein. Die Männer, die ihn trugen, machten in der Nähe des improvisierten Galgens halt, um zu beschließen, wohin sie ihn tragen wollten. Plötzlich fühlte Frona einen rasenden Griff an ihrem Arm. St. Vincent bohrte seine Nägel in ihr Fleisch.

»Sieh doch!« St. Vincent bebte an allen Gliedern, sein Gesicht mit den lodernden Angstaugen war in diesem Augenblick noch weißer als zuvor.

»Schau hin! Die Narbe!«

Der Indianer schlug die Augen auf, sein leergeblutetes Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Erkennens.

»Das ist der Mann! Das ist der Mörder!« brüllte St. Vincent der Menge zu, mit einem ganz zerborstenen Organ. »Schaut ihn euch an, schaut die Narbe an! Das ist der Mann, der John Borg überfallen hat!«

Gleich darauf hätte man nicht mehr glauben können, daß so viele Menschen zusammengekommen waren, um über einen der Ihren hochnotpeinliches Gericht zu halten. Nur die Schlinge, die aus der Krone des Baumes herniederbaumelte, erinnerte noch an den Anlaß zu dieser Versammlung. Aber St. Vincent selbst lag jetzt am Fuß des Baumes. Er streckte sich in der Sonne, und wahrscheinlich schlief er. Die Angst war von ihm genommen, nach achtundvierzig Stunden des Zitterns und Zagens, nach einer Kette übermenschlicher Anstrengungen schlief er, wie jedes Wesen sich in den Schlaf flüchtet, um neue Kräfte zum Leben zu sammeln, auch unter dem Galgen.

*

Der verwundete Indianer war in eine Hütte getragen worden. Bei ihm saßen Jacob Welse, der Vorsitzende des Gerichtes und La Flitche. Sie versuchten in vielen Indianersprachen, ihn zum Sprechen zu bringen. Mit seinem letzten Atem sollte er die Wahrheit bekennen. Nach langem Suchen probierte La Flitche es mit einem Dialekt, den er in Kindertagen einmal gelernt und beinahe wieder vergessen hatte. Bei den ersten Lauten fuhr über das Gesicht des Sterbenden ein frohes Aufleuchten.

Am Ufer wurde wacker gehandelt, die Goldwaage war in Tätigkeit, Mann um Mann brachte eine gewaltige Elchlende oder einen Schlegel, eingehandelt gegen eine Summe von Gold, mit der man in anderen Ländern zumindest ein paar Rinder kaufen konnte, in Sicherheit. Frona saß nicht weit von Corliss. Ihre verweinten, erstaunten Augen faßten dieses ganze Bild nicht. Sie bewachte den Schlaf des Unglücklichen. Durch ihr Herz tobten wilde Stürme. Haß und Liebe zu diesem schönen, verführerischen, elenden Menschen rangen in ihr.

Noch wußte sie nicht, ob sie ihn tief genug verachten konnte, um ihn nicht mehr lieben zu müssen.

Ein paar Stunden später wurde die Verhandlung wieder aufgenommen. Bill Brown rief die Männer, die sich selbst zu Geschworenen ernannt hatten, im Kreise um den Galgen zusammen. Er sprach:

»Kameraden! Männer von Klondike und Alaska! Ihr werdet sogleich aus dem Munde von La Flitche hören, was der sterbende Indianer ihm gebeichtet hat, und ihr werdet dann entscheiden, wieviel Schuld diesen Mann unter dem Galgen trifft. Nur eine Frage will ich zuvor noch an Sie richten, Gregory St. Vincent! Warum haben Sie nicht früher gesprochen? Sie hatten das Wort, sooft Sie es wünschten. Wir haben Ihren Fall geprüft, wie kein Gerichtshof in den Staaten ihn besser hätte prüfen können. Wir haben gewußt, daß unser Spruch vor den höchsten Behörden des Landes bestehen muß, und es hätte Herrn Welses Warnung nicht bedurft, um uns zu sagen, welche Verantwortung wir trugen!

Denn Sie hatten unrecht, Herr Welse! Es gibt ein Notgesetz für Alaska, unter dessen Schutz unser Gerichtshof tagt. Fünfhundert Meilen im Kreis von der nächsten Behörde ist ein Gericht wie das unsere befugt, Urteile zu fällen und zu vollstrecken, wenn die Gefahr besteht, daß ein Verbrecher sich der gerechten Strafe entzieht. Wie groß in unserem Fall die Gefahr war, das haben gerade Sie, Herr Welse, und der französische Baron uns bewiesen.

Was Sie getan haben, das war ein Eingriff in die Maschinerie der Justiz. Aber darum handelt es sich jetzt nicht. Wir wissen, daß auch Sie glaubten, der Gerechtigkeit zu dienen, und ich jedenfalls werde keine Anklage gegen Sie erheben. Ich komme auf meine Frage zurück:

Warum haben Sie, Gregory St. Vincent, der Wahrheit nicht früher die Ehre gegeben? Die Ohren Ihrer Richter standen offen für Ihre Verteidigung! Sie waren nicht allein, nicht verlassen, denn neben Ihnen wachte in Fräulein Welse ein Anwalt, wie Sie ihn besser sich nicht wünschen konnten!«

»Deshalb gerade!. Weil Fräulein Welse mich verteidigte, nur deshalb habe ich die Wahrheit nicht gesprochen.«

In diesem Augenblick war Gregory St. Vincent keine schlotternde Memme und kein weinendes Kind mehr, zum erstenmal bekannte er wie ein tapferer Mann:

»Weil ich in ihren Augen kein Feigling sein wollte.«

La Flitche sagte aus, der sehnige, zungengewandte Halbindianer, der der Natur so nahe war wie ein Tier des Landes, und dessen Verstand scharf war wie der eines weißen Mannes.

»Der Mann heißt Gau«, verkündete er. »Er spricht die Wahrheit. Er kommt vom Weißen Fluß. Er versteht nichts - er wundert sich sehr über all die weißen Männer. Er hat nie geglaubt, daß es so viele weiße Männer auf der Welt gebe. Er stirbt bald, und sein Name ist Gau.

Vor langer Zeit - es ist ganze drei Jahre her - kommt John Borg in das Land dieses Mannes. Er jagt, er bringt viel Fleisch ins Lager, und deshalb haben die Sticks am Weißen Fluß ihn gern.

Gau hat eine Frau, Pisk-ku. Nach einiger Zeit trifft John Borg Anstalten zur Abreise. Es geht zu Gau, und er sagt: >Gib mir deine Frau! Wir wollen einen Handel machen. Ich will dir viele Dinge für sie geben.< Aber Gau sagt nein. Pisk-ku sei eine gute Frau, und keine Frau könne Mokassins nähen wie sie. Sie sei auch tüchtig im Gerben von Elchhäuten und mache das weichste Leder. Er habe Pisk-ku gern. Da sagt John Borg, das sei ihm einerlei, er wolle Pisk-ku haben. Dann prügeln sie sich, eine richtige Prügelei, und Pisk-ku geht weg mit John Borg. Pisk-ku wollte nicht gehen, tut es aber doch. Borg nennt sie Bella und gibt ihr viele gute Sachen, aber sie hat nur Gau lieb.«

La Flitche zeigte auf die Narbe, die quer über Stirn und Augen des Indianers lief. »Das hat John Borg getan. Lange ist Gau sehr nahe am Sterben gewesen. Dann wird er gesund, aber sein Kopf ist krank. Er erkennt niemand, ist ganz wie ein kleines Kind, genau so. Da, eines Tages, eins zwei drei, springt etwas in seinem Kopfe, und er wird gesund. Er erkennt seinen Vater und seine Mutter; er erinnert sich an Pisk-ku. Er erinnert sich an alles. Sein Vater sagt, daß John Borg den Fluß hinabgefahren ist. Da fährt Gau auch den Fluß hinab. Es ist Frühling, und das Eis ist sehr schlecht. Er fürchtet sich sehr vor all den weißen Männern, und als er hierher kommt, reist er nachts. Niemand sieht ihn, aber er sieht alle Menschen. Er ist wie eine Katze und kann im Dunkeln sehen. Dann kommt er geradewegs nach Borgs Hütte. Er weiß nicht, wie er es gemacht hat. Er weiß nur, daß er ein Werk zu verrichten hat, ein gutes Werk.«

St. Vincent drückte Frona die Hand, aber sie riß sich los.

»Er sieht, wie Pisk-ku die Hunde füttert, und er spricht mit ihr. In der Nacht kommt er, und sie öffnet ihm die Tür. Was nachher geschieht, wißt ihr selbst. Borg tötete Bella; Gau tötete Borg. Borg tötete Gau, denn Gau stirbt bald. Borg hat einen starken Arm. Gau ist innen krank - ganz kaputtgeschlagen. Gau ist alles einerlei. Pisk-ku ist tot. Dann geht er über das Eis ans Ufer. Ich sage, daß ihr anderen alle sagt, es ist unmöglich, daß jemand zu dieser Zeit hinausgehen kann. Er lacht und sagt, daß es so ist, und was so ist, daß muß sein. Er ist krank inwendig, und schließlich kann er nicht mehr gehen, er kriecht. Es dauert lange, bis er an den Stuart kommt. Er kann nicht mehr gehen, und so legt er sich nieder, um zu sterben. Zwei weiße Männer finden ihn und bringen ihn hierher. Ihm ist es einerlei; er muß auf alle Fälle sterben.«

La Flitche schwieg, aber keiner sagte etwas. Da fügte er hinzu: »Ich finde, daß Gau ein verdammt guter Mann ist!«

Frona trat zu Jacob Welse. »Bring mich fort, Vater!« sagte sie. »Ich bin so müde.«

*

Am nächsten Morgen hackte Jacob Welse, Millionär und Goldkönig, vor seinem Zelt das Holz, das im Laufe des Tages gebraucht wurde. Dann steckte er sich eine Zigarre an und ging Baron Courbertin besuchen. Frona wusch das Frühstücksgeschirr auf, hängte die Schlafsäcke in die Sonne und fütterte die Hunde. Danach nahm sie ein Buch und setzte sich auf zwei umgestürzte Kiefernstämme, die eine Art Bank bildeten. Aber sie öffnete das Buch nicht. Ihr Blick schweifte über den Yukon hin, suchte den Stromwirbel und den Felsen, den zu erreichen sie drei Tage früher mit Corliss und dem Schotten so verzweifelt gekämpft hatte.

Wieviel seitdem geschehen war! Wie fern dieser Tag heute schon lag! War sie es wirklich selbst gewesen, die den Tod schon auf der Schulter gefühlt, den schäumenden Tod im eisigen Wasser? Um ein Nichts war es doch gegangen, um das Leben eines fremden Indianers. Hier hatten Mord und Wut getobt, hier hatte man die Schlinge schon um den Hals eines Unschuldigen gelegt, während sie und zwei Männer, drei junge, starke, nützliche Menschen, ihr Leben einsetzten für das eines Unbekannten.

Der Vater hatte ihr mitgeteilt, welche Nachricht der von ihr gerettete Indianer gebracht hatte. Es waren wichtige Entscheidungen in Dawson zu treffen, Fragen, die sich brieflich nicht erledigen ließen. Noch dieser eine Tag, dann sollte sie mit ihm aufbrechen, dann würde all dieses Inselleben hinter ihr liegen, ihr Kampf mit dem Eis, ihr Kampf gegen den Richter Lynch. Es würde alles in der Erinnerung verschmelzen und bald nicht mehr wahr sein.

Wie stand sie zu St. Vincent? Instinktiv wehrte sie sich dagegen, an ihn zu denken. Etwas Dunkles, Furchtbares verband sie noch immer mit diesem Manne. Einmal mußte sie sich mit ihm auseinandersetzen, aber sie wollte die Stunde hinausschieben. Steif und wund waren ihre Glieder, ihre Seele war müd und krank. Sie hatte Angst vor neuen Qualen, sie hatte Angst vor dem Wort, das ihr eigenes Herz sprechen würde.

Das Geräusch von leichten Schritten auf dem trocknen Waldboden näherte sich. Sie sah auf, und St. Vincent stand vor ihr. Er hatte sich völlig erholt, als wären die schrecklichen Stürme, denen ein Mensch begegnen kann, an ihm abgeglitten. Sein Gesicht war fast heiter und so schön, wie es ihr immer erschienen war. Keine Spur hatte sich in diese frischen knabenhaften Züge gegraben.

»Du bist eine Heldin, Frona!« begann er, und es schien, als wollte er sich vor ihr in die Knie werfen. »Du hast um mich gekämpft, und es gibt kein Wort, mit dem ich dir danken könnte. Vielleicht kann ein ganzes Leben voll Dankbarkeit. Aber ich weiß nicht, ob ich es dir anbieten darf. Nur das weiß ich: Ohne deine Tapferkeit, ohne deine Treue, ohne deine Liebe wäre ich nicht mehr. Der schimpflichste Tod war mir gewiß. ohne dich, Frona!«

»Was soll ich sagen?« dachte Frona. »Ich hasse ihn, ich verabscheue ihn!«

Sie hatte die Hände ineinandergepreßt, ihre zitternden Hände, und über ihre Wangen liefen Tränen.

Dann auf einmal brach sie in ein grelles schluchzendes Lachen aus.

»Du hast furchtbar gelitten, Frona!« flüsterte er mit einer Zärtlichkeit, so weich und gut, wie sie nur ihm gegeben war.

»Jetzt erst weiß ich, wie furchtbar du gelitten hast.«

Sie lachte noch heftiger, sie lachte wie eine Kranke.

»Es ist ja alles vorbei, Frona. Ich lebe, du fühlst mich, ich liebe.«

Dabei legte er den Arm um sie. Ganz nahe waren ihr seine Lippen, von denen es kein Entrinnen gab, wenn sie noch einmal die ihren fanden. In einer Todesangst, die sie in den reißenden Strudeln und zwischen den kalbenden Eisbergen nicht empfunden hatte, stieß sie ihn mit beiden Fäusten von sich.

»Du hast mich schmutzig gemacht! Meine Lippen sind schmutzig von deinen Küssen! Nie wieder! Nie wieder!«

Er starrte sie an, er verstand nichts.

»So sprichst du mit mir?«

»Ein Feigling.«, hauchte sie und rieb ihren Mund, rieb ihre Hände. Jeder Fleck ihrer Haut ekelte sie, den er einmal berührt hatte.

»Du nennst mich Feigling? Und das ist alles, was du mir zum Vorwurf machst? Aber diese andern, die mit Messern und Revolvern aufeinander losgehen, all diese Burschen, in denen ein Henkersknecht steckt und danach brüllt, sich einmal austoben zu dürfen. all diese andern sind Helden?« Er ließ sich zu ihren Füßen nieder, und jetzt weinte auch er.

»Ich habe ihre Nerven nicht, Frona. Ich kann nicht töten. Ich kann keine Wunden schlagen. Meine Kraft gilt anderen Zielen. Aber ich glaube, daß ich besser lieben kann als diese Helden. Ist das nichts, Frona?«

»Wenn du doch gestorben wärst, Vincent! Wenn du in der Nacht in Borgs Hütte gestorben wärst, meinetwegen vor Angst gestorben wärst, wenn auch nicht im Kampf. Ja selbst, wenn du am Galgen gestorben wärst, ich hätte dich grenzenlos geliebt. Ich hätte dich für mein ganzes Leben geliebt. Jetzt geh von mir!«

»Und wenn ich jetzt vor deinen Augen sterbe? Dazu bin ich nicht zu feig, Frona! Wirst du mich dann wieder lieben können?«

»Es ist zu spät, Vincent. Einen schwachen, armen, kleinen Menschen hätte ich lieben können. Ich will kein Heldenweib sein. Ich will nie wieder versuchen, etwas anderes zu sein als eine Frau, wie alle Frauen sind. Aber du hast etwas zerstört, und das kann nicht wieder werden.«

»Was habe ich zerstört?«

»In dir habe ich den tapfersten aller Männer gesehen. Alle Träume, die ein Mädchen träumt, waren in dir Körper geworden. Und das ist vorbei. Das kommt nie wieder. Aber du würdest mich immer daran erinnern. Geh fort!« schrie sie mit so furchtbarer Energie, mit so haßerfüllten Augen, daß er plötzlich nicht mehr zweifeln konnte: hier war sein Spiel ausgespielt.

»Gut, ich gehe. Du wirst nie wieder von mir hören. Vielleicht wirst du einmal lesen und lernen, daß du einen Menschen von dir gestoßen hast, der mehr wert ist als all deine Eisenfresser. Auch mehr als der, der mich verdrängt hat. Denn das laß dir sagen, mein letztes Wort: Ich weiß, daß alles gelogen war! Du hättest mich weitergeliebt, du wärst durch Jammer und Elend mit mir gegangen ohne den, der von da drüben kommt.«

Dabei zeigte er auf ein Kanu, in dem Del Bishop und Corliss herangepaddelt kamen.

»Ich weiß, daß deine Verachtung und dein Heldenglaube nichts ist als Pose! Aber der Mann, mit dem du eine gewisse Nacht, eine ganze Nacht, von der wir nicht sprechen wollen, in Happy Camp verbracht hast, in seinem Zelt, in seinen Decken, der.«

»Vance!« schrie Frona hinaus auf den Fluß: »Komm her und schütze mich!«

Bei diesem Schrei, dessen Echo die Flut widerhallte, verschwand Gregory St. Vincent wie ein Schatten.

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