Der Wurm antwortete nicht.

»Geht das in Ordnung?« fragte Azzie.

»Geht was in Ordnung?«

»Daß du mir Bescheid sagst, wenn du dich entschieden hast.«

»Das scheint mir in Ordnung zu sein«, sagte der Wurm. »Aber setz nicht alle Hoffnung darauf.«

»Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich werde warten.«

Und so wartete Azzie und drehte weiter das Rad. Er konnte hören, wie sich der Wurm leise in der Höhle bewegte, mal auf der Oberfläche, mal unter Erde und Geröll. Die Zeit verstrich. Azzie wußte nicht, wie lange es dauerte. Es kam ihm furchtbar lange vor. Außerdem störte ihn, daß er einen Juckreiz an der Brust verspürte. Ein Jucken ist äußerst ärgerlich, wenn man an den Händen gefesselt ist. Mit der Zeit fand Azzie heraus, daß er seine Brust mit dem Schwanz erreichen konnte, wenn er den Oberkörper weit nach hinten krümmte. Er kratzte sich behutsam, da sein Schwanzende sehr spitz war.

Es war ein herrliches Gefühl. Ärgerlicherweise aber war ihm irgend etwas im Weg, so daß er sich nicht ausgiebig kratzen konnte. Vorsichtig tastete er mit der Schwanzspitze nach dem Hindernis. Ja, da war es. Er zog es mit dem Schwanz unter seiner Kleidung hervor und hob es langsam an, bis er es sehen konnte. Es war ein paar Zentimeter lang und schien aus Metall zu bestehen.

»Ich denke immer noch nach«, meldete sich der Wurm wieder.

»Das ist gut«, erwiderte Azzie. Er senkte den Kopf und hob das Band, an dem der Gegenstand hing, darüber hinweg. Dann führte er es seitlich zu einer seiner gefesselten Hände und berührte es mit den Fingerspitzen, nachdem er vorsorglich die Klauen eingezogen hatte. Es schien ein Schlüssel zu sein. Ja, es war ein Schlüssel! Jetzt erinnerte er sich wieder. Er hatte sich einen Ersatzschlüssel des Anwesens um den Hals gehängt, um ihn nicht verlieren zu können, wie oft er auch die Kleidung wechselte. Es war ein gewöhnlicher Schlüssel, in dessen Griff ein kleiner roter Edelstein eingearbeitet war. Und in diesem Edelstein, fiel ihm jetzt wieder ein, befand sich ein kleiner Zauber, den er dort plaziert und später vergessen hatte.

»Wie heißt du, und was kannst du tun?« fragte er den Zauber.

»Ich heiße Dirigan«, klang ein leises Stimmchen aus dem roten Edelstein auf. »Ich öffne, was verschlossen ist.«

»He, das ist großartig«, sagte Azzie. »Wie steht’s damit, meine Fesseln zu lösen?«

»Laßt mich einen Blick darauf werfen«, erwiderte Dirigan.

Azzie führte den Schlüssel mit der Schwanzspitze über seine gefesselten Hände. Das Licht in dem Edelstem pulsierte sanft und sandte einen rötlichen Schimmer aus.

»Ich denke, das kann ich erledigen.« Der Stein glühte heller und erlosch dann wieder. Die Handfesseln lösten sich.

Azzies Hände waren frei. »Und jetzt führ mich hier raus«, verlangte er.

Der Wurm hob seinen plumpen Kopf und sagte: »Ich denke immer noch nach.«

»Ich habe nicht mit dir gesprochen«, erwiderte Azzie.

»Oh, auch gut. Ich habe mich nämlich noch nicht entschieden.«

»Womit auch?« murmelte Azzie. Nachdem seine Hände wieder frei waren, fühlte er sich stark und unternehmungslustig. Er trat aus dem Laufrad. Sollte die Drachenscheiße herabregnen! Sie würde ihn nicht mehr treffen.

»Und jetzt«, sagte er, »suchen wir einen Ausgang. Zauber, gib mir Licht!«

Der Edelstein pulsierte heller und warf Schatten an die Höhlenwände. Azzie marschierte los, bis er zu einer Gabelung kam, an der fünf Gänge in ebensoviele verschiedene Richtungen abzweigten.

»Welchen Weg soll ich nehmen?« fragte er den Edelstein.

»Woher soll ich das wissen?« fragte der Stein zurück. »Ich bin nur ein unbedeutender kleiner Zauber. Und jetzt bin ich aufgebraucht.«

Das Licht verdämmerte, bis es vollständig erloschen war.

Azzie hatte schon von diesen unterirdischen Weggabelungen der Zwerge gehört. Sie stellten eine große Gefahr dar, denn oft waren die Tunnelböden untergraben, so daß man in sie einbrechen konnte. Darunter befanden sich schmutzige Gruben voller widerlicher Dinge. Wenn er in eins dieser Löcher fiel, würde er vielleicht nie mehr herauskommen. Und das schlimmste daran war, daß Azzie wie die meisten Dämonen praktisch unsterblich war. Er könnte Jahrhunderte oder sogar für alle Ewigkeit in der tiefsten Grube feststecken, lebendig, aber zu Tode gelangweilt, wenn niemand erschien, um ihn herauszuholen. Man erzählte sich Geschichten über Dämonen, die durch das eine oder andere Mißgeschick verschüttet worden waren. Einige waren angeblich seit Anbeginn der Zeiten unter der Erde gefangen.

Als sich Azzie wieder in Bewegung setzte, hörte er, wie der Wurm über den Boden schabte und sagte: »Das ist nicht der richtige Weg.«

Azzie machte kehrt und fragte: »Welche Richtung soll ich einschlagen?«

»Ich habe mich immer noch nicht entschieden, ob ich dir helfen soll«, erwiderte der Wurm.

»Dann solltest du es dir lieber ganz schnell überlegen«, riet ihm Azzie, »denn mein Angebot gilt nicht ewig.«

»Oh, na schön«, sagte Tom Wurmbrut. »Ich denke, ich helfe dir. Nimm den Tunnel ganz rechts.«

Azzie hatte den Tunnel kaum betreten, als der Boden unter seinen Füßen nachgab. Er brach ein und fand gerade noch die Zeit zu brüllen: »Aber du hast gesagt, dieser Tunnel wäre sicher!«

»Ich habe gelogen!« schrie der Wurm zurück. »Ha, ha!«

Azzie stürzte, doch es war nur ein kurzer Sturz, kaum zwei Meter tief. Und als er gelandet war, sah er eine Metalltür rechts neben sich, auf der in schwach phosphoreszierenden Buchstaben AUSGANG stand.

Er öffnete sie fluchend und schob sich hindurch.

KAPITEL 13

In Augsburg rang Frike die Hände und lief ruhelos im Vorhof des Anwesens auf und ab, während er den Himmel nach einem Anzeichen für die Rückkehr seines geliebten Gebieters absuchte. Schließlich entdeckte er einen winzigen dunklen Punkt, der schnell größer wurde und sich als Azzie entpuppte.

»O Meister, endlich seid Ihr zurückgekehrt!«

»So schnell ich konnte«, sagte Azzie. »Ich bin von einer Zwergenfamilie, einer Ladung Drachenmist, einem Arbeitsrad und einem schizophrenen Wurm aufgehalten worden. Ich hoffe, du hast deine Zeit ebenso angenehm verbracht und auf den Märchenprinzen aufgepaßt.«

Frike verzog bekümmert das Gesicht. »Ich habe auf ihn so gut ich konnte aufgepaßt. Drachenmist?«

»Drachenmist? Hat er gegen mein Verbot verstoßen, das abgeschlossene Zimmer zu betreten?«

»Das hat er, Gebieter.«

»Und hat er die kleine verschlossene Truhe in der obersten Schublade meines Schreibtischs in dem Geheimzimmer gefunden?«

»Er ist zielstrebig darauf zugegangen, Meister.«

»Hat er sie geöffnet und das Miniaturgemälde von Prinzessin Rosenrot entdeckt?«

»Auch das hat er getan, Gebieter.«

»Warum erzählst du mir dann nicht endlich mit deinen eigenen unbeholfenen Worten, was anschließend passiert ist?«

»Nun, Herr, der Prinz hat das Gesicht der Prinzessin betrachtet, den Blick abgewandt und es dann wieder betrachtet. Er hat das Bild in der linken Hand gehalten und sich nachdenklich mit der rechten an den Lippen gezupft. Er hat sich geräuspert und ›äh-hm, äh-hm‹ gemacht, wie ein Mann, der das Bedürfnis verspürt, irgend etwas zu sagen, aber nicht weiß, was er sagen soll. Dann hat er das Bild ganz vorsichtig hingelegt, sich umgedreht und ist ein oder zwei Schritte weit gegangen, bevor er umgekehrt ist und es wieder aufgehoben hat. Danach hat er es wieder weggelegt, das Gesicht abgewandt und ganz leicht an seiner Oberlippe gezupft, diesmal mit der linken Hand…«

»Das ist eine wundervoll genaue Beschreibung, Frike«, unterbrach ihn Azzie, »aber könntest du langsam mal auf den Punkt kommen?«

»Gewiß doch, Herr. Nachdem er sich das Bild der genannten jungen Dame noch mehrmals angesehen hatte – oder vielleicht sollte ich besser sagen, es mit etlichen flüchtigen Blicken bedacht hatte –, hat er sich zu mir umgedreht und gesagt: ›Frike, dieses Mädchen ist ein echter Hammer.‹«

»Waren das seine Worte?«

»Wortwörtlich, Herr. Ich wußte nicht, was ich darauf antworten sollte, also habe ich nur ein dumpfes knurrendes Geräusch tief in der Kehle gemacht, weil ich mir gedacht habe, daß der junge Mann es auslegen konnte, wie er wollte. War das richtig, Gebieter?«

»Sehr klug, Frike. Und was ist dann passiert?«

»Nun, Meister, er ist eine Weile herumgelaufen, dann hat er sich an mich gewandt und gefragt: ›Warum hat Onkel Azzie das vor mir versteckt?‹«

»Aha«, sagte Azzie.

»Wie, bitte, Herr?«

»Schon gut, das war nur ein bedeutungsloser Einwurf. Was hast du ihm geantwortet?«

»Ich habe gesagt: ›Aus Gründen, die nur er kennt, junger Prinz‹, und dann habe ich wieder das tiefe knurrende Geräusch in der Kehle hervorgebracht.«

»Das hast du gut gemacht, Frike. Und was ist danach geschehen?«

»Nachdem er das Gemälde noch ein paarmal angestarrt, sich an der Lippe herumgefummelt und verschiedene Bewegungen ausgeführt hat, auf die ich der Kürze halber nicht näher eingehen werde, hat er gesagt: ›Frike, ich muß sie haben.‹«

»Ich wußte, daß mein Plan aufgehen würde!« rief Azzie. »Was hat er sonst noch gesagt?«

»Am ersten Tag war das alles«, berichtete Frike. »Am zweiten Tag wurde er ungeduldig. Er wollte wissen, wo Ihr wäret. Da er ein gehorsamer Bursche ist, wollte er Eure Erlaubnis einholen, bevor er sich auf die Suche nach Prinzessin Rosenrot machte.«

»Guter Junge«, sagte Azzie. »Wo ist er jetzt?«

»Fort«, erwiderte Frike. »Kurz darauf hat er entschieden, nicht länger warten zu können.«

»Aber wohin ist er gegangen?«

»Nun, natürlich auf die Suche nach der Prinzessin. Genau wie Ihr es von ihm erwartet habt. Er hat fünf Tage lang gewartet, Gebieter, dann konnte er der lodernden Leidenschaft, die das Bild in ihm geweckt hat, nicht länger widerstehen. War es nicht das, was Ihr Euch gewünscht habt?«

»Natürlich, aber vorher hätte er noch Anweisungen und eine besondere Ausrüstung für sein Abenteuer gebraucht. Was hat er mitgenommen?«

»Er ist in die Kammer mit der schweren Ausrüstung gegangen und hat sich ein Schwert und eine Rüstung von den Haken an der Wand genommen. Außerdem hat er sich noch etwas von dem Geld eingesteckt, das Ihr in der Kommodenschublade zurückgelassen hattet, und gesagt, daß er sich auf den Weg machen würde. Ich soll Euch ausrichten, daß er mit der Prinzessin zurückkommen würde und hofft, daß Ihr nicht wütend auf ihn sein werdet.«

»Tod und Verdammnis!« schrie Azzie. Er stampfte unbeherrscht mit dem Fuß auf, worauf er bis zur Hüfte in die Erde einsank. Es kostete ihn einige Mühe, sich wieder herauszuarbeiten.

Babriel war gleich nach Azzies Ankunft aus dem Haus gekommen. Er hatte das Gespräch wortlos verfolgt und fragte jetzt: »Wo liegt das Problem? Er tut doch genau das, was Sie von ihm erwartet haben, oder?«

»Ja, aber er hätte noch nicht aufbrechen dürfen«, erklärte Azzie. »Ich habe dieses Abenteuer schwierig und gefährlich gestaltet. Nur so wird es die Aufmerksamkeit der Hohen Mächte erregen. Der Prinz wird gegen große magische Gefahren antreten müssen, von denen sich jeder gewöhnliche Mensch lieber fernhalten sollte. Und er verfügt über keine der magischen Schutzvorrichtungen, die ich für ihn zusammengetragen habe.«

»Und was nun?« wollte Babriel wissen.

»Ich muß ihm die Sachen bringen, die er braucht«, erwiderte Azzie, »und zwar schnell.« Er wandte sich wieder an Frike. »Hat er dir gesagt, wo er seine Suche beginnen wollte?«

»Nicht ein Wort, Sire.«

»Also gut, in welche Richtung ist er gegangen?«

»Er ist genau in diese Richtung geritten«, sagte Frike und streckte den Arm aus.

Azzie folgte dem ausgestreckten Arm mit den Augen. »Nach Norden«, murmelte er. »Er ist nach Norden geritten. Ein böses Omen. Frike, wir müssen ihn aufspüren, bevor es zu spät ist.«

IM ZAUBERWALD

KAPITEL 1

Der Märchenprinz ritt allein in den großen grünen Wald jenseits der vertrauten Felder und Hügel, hinein in eine Terra incognita. Sein Weg führte ihn nach Norden, und während er dahinritt, dachte er über Schwerter nach. Er wußte, daß ein Glücksschwert nicht so gut wie ein richtiges Zauberschwert war, aber es war allemal besser als eine gewöhnliche Waffe. Er hielt sein Glücksschwert hoch und betrachtete es. Es war ein außerordentlich schönes Exemplar mit einem hübsch gebogenen Knauf und Parierstangen über dem Griff, eins der schönsten Schwerter, das er jemals gesehen hatte, bedeutend kleiner als die derzeit in Mode gekommenen großen Breitschwerter. Außerdem hatte es eine gerade Klinge und war keins dieser verschnörkelten türkischen Krummschwerter, mit denen er sich überhaupt nicht anfreunden konnte. Es war zweischneidig, beidseitig scharf geschliffen und nadelspitz. Allein das machte es schon zu einer ganz besonderen Waffe, da die meisten gewöhnlichen Schwerter nur auf einer Seite geschliffen waren und selten eine richtige Spitze hatten.

Das Glücksschwert war eine gute Waffe, aber es brachte gewisse Probleme mit sich. Es gibt eine allgemeine Klasse verzauberter Schwerter, und in seiner Eile, eine magische Waffe für seinen Schützling zu finden, hatte Azzie nicht auf die Kiste geachtet, der er das Schwert entnommen hatte. Vielleicht hatte er geglaubt, alle verzauberten Schwerter seien gleich. Ihm war nicht bewußt gewesen, daß ›verzaubert‹ nur eine allgemeine Gattungsbezeichnung für einen bestimmten Schwerttyp darstellte, mit anderen Worten: ein Schwert bezeichnete, das auf die eine oder andere Weise verzaubert war.

Zauberschwerter unterscheiden sich sehr deutlich in ihrer Wirksamkeit. Es gibt (oder gab) unzerbrechliche Schwerter und solche, die niemals stumpf werden. Schwerter, die ihren Gegner mit unfehlbarer Sicherheit töten, sind außerordentlich selten, obwohl das die Qualität ist, die jeder Waffenschmied seiner Klinge zu verleihen versucht. Von Zeit zu Zeit findet man Schwerter, die in jedem Duell siegreich sind, aber diese machtvollen Waffen verlängern in der Regel nicht das Leben ihrer Besitzer, die, da sie nicht im Schwertkampf von Mann zu Mann besiegt werden können, für gewöhnlich von einem engen Freund, ihrer Frau oder der Frau eines engen Freundes vergiftet werden. Selbst mit einem perfekten Schwert verläßt kein Mensch diese Welt lebendig.

Der Märchenprinz ritt durch den dichten Wald, der natürlich verzaubert war. Magische Bäume ragten dunkel und drohend auf und bildeten eine grüne Welt voller schwarzer huschender Schemen. Es war wie ein Wald aus der Alten Zeit, in dem sich Horden von Ungeheuern verbargen.

Endlich stieß der Prinz auf eine Lichtung, eine helle kleine Wiese, die auf allen Seiten von bedrohlicher Dunkelheit umgeben war. Am anderen Ende entdeckte er ein Zelt aus grünem und orangefarbenem Stoff. An einem Baum in der Nähe war ein großes schwarzes Pferd festgebunden, ein schönes und kräftiges Tier, ein richtiges Schlachtroß.

Der Prinz ritt auf das Zelt zu. Davor lagen Waffen und eine schwere schwarze Rüstung, prächtig gearbeitet und hier und da mit Perlen besetzt. Wem auch immer sie gehörte, er mußte reich und zweifellos mächtig sein.

An einem Ständer vor dem Zelt erblickte der Märchenprinz ein Schneckenhorn. Er setzte es an die Lippen, blies hinein und entlockte ihm einen lauten Ton. Noch bevor das Echo verklungen war, regte sich etwas im Zelt, und ein Mann kam heraus. Er war groß und dunkelhaarig, blickte finster drein und schleifte eine blonde Maid hinter sich her.

»Wer wagt es, in mein Horn zu stoßen?« fragte der Ritter. Er trug hellgestreifte Unterwäsche. Als er den Märchenprinzen erblickte, wurde seine Miene noch finsterer.

»Gemach, edler Herr, ich bin der Märchenprinz«, erwiderte der Jüngling. »Und ich bin auf der Reise, um die Prinzessin Rosenrot aus ihrem verzauberten Schlaf zu erlösen.«

»Ha!« machte der Ritter.

»Wieso macht Ihr ›ha‹?« wollte der Prinz wissen.

»Weil es mir beliebt, einen geringschätzigen Laut angesichts Eurer harmlosen und völlig unbedeutenden Mission auszustoßen.«

»Darf ich daraus schließen, daß Eure Mission bedeutender ist?«

»Gewiß ist sie das!« entgegnete der Mann voller Überzeugung. »Denn wisset, junger Mann, daß ich Parzival bin, und meine Suche gilt nichts Geringerem als dem Heiligen Gral.«

»Ach, der Heilige Gral«, sagte der Märchenprinz. »Ist der wirklich in dieser Gegend?«

»Selbstverständlich ist er das. Dies ist der Zauberwald. In ihm existieren alle Dinge, und der Heilige Gral ist mit Sicherheit hier zu finden.«

»Was ist mit der Frau?« erkundigte sich der Prinz.

»Wie bitte?«

»Diese Frau, die Ihr da an den Haaren haltet.«

Parzival blickte an seiner Hand hinab. »Ach, die. Sie hat nichts zu bedeuten.«

»Aber was tut Ihr mit ihr?«

»Muß ich es Euch ganz genau erklären?«

»Natürlich nicht! Was ich meine…«

»Ich weiß, was Ihr meint«, fiel ihm Parzival ins Wort. »Sie ist hier, damit ich was zu spielen habe, bis der Gral auftaucht.«

»Ich verstehe«, sagte der Märchenprinz. »Übrigens, braucht Ihr Euer Pferd?«

»Mein Pferd?« fragte der Ritter.

»Ich dachte nur, es könnte nicht schaden zu fragen. Denn solltet Ihr es nicht benötigen, ich könnte es bestimmt gebrauchen. Es ist größer und stärker als das meine.«

»Das ist das Verrückteste, was ich seit langem gehört habe«, stellte Parzival fest. »Dieser Ritterjunge, der kaum trocken hinter den Ohren ist, kommt doch tatsächlich in mein Lager geritten und will wissen, ob ich mein Pferd brauche. Also, nein, gewiß nicht, Bursche. Wenn Ihr es wollt, könnt Ihr es haben.«

»Danke.« Der Märchenprinz glitt aus dem Sattel. »Das ist wirklich außerordentlich freundlich von Euch.«

»Aber zuerst«, fügte Parzival hinzu, »müßt Ihr mit mir darum kämpfen.«

»Ich hatte befürchtet, daß es mit einer Bedingung verknüpft sein würde.«

»Ja, das ist die Bedingung. Wie ich sehe, besitzt Ihr ein Glücksschwert.«

»In der Tat«, entgegnete der Märchenprinz, zog es aus der Scheide und hielt es dem anderen hin. »Hübsch, nicht wahr?«

»Hübsch«, stimmte ihm der Ritter zu, »aber natürlich ist es kein Zauberschwert wie das meine.« Er zog es und zeigte es dem Prinzen.

»Ich nehme nicht an«, vermutete dieser, »daß ein Schwert wie das meine viel gegen eins wie das Eure ausrichten könnte.«

»Nun, um ganz offen zu sein, das glaube ich kaum«, sagte Parzival. »Glücksschwerter sind nicht schlecht, aber im Kampf gegen ein echtes Zauberschwert könnt Ihr nicht viel von ihnen erwarten.«

»Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Hört mal, müssen wir wirklich kämpfen?«

»Ich fürchte, das müssen wir«, erwiderte Parzival und griff an.

Der Märchenprinz sprang zur Seite und schwang sein Glücksschwert. Die Klingen prallten mit einem unheimlichen Geräusch aufeinander, gefolgt von einem noch unheimlicheren Geräusch, als die Klinge des Prinzen zerbrach.

»Gewonnen!« schrie Parzival und holte mit seinem Zauberschwert zum tödlichen Schlag aus. »Gnarrg!«

Der Märchenprinz sah sein Ende gekommen, und so benutzte er die ihm verbleibenden Sekunden, um seine Erinnerungen noch einmal Revue passieren zu lassen, was in seinem Fall nicht allzu lange dauerte.

Aber seine Zeit auf Erden war noch nicht vorbei. Da sein Schwert ein Glücksschwert gewesen war, und zwar ein sehr gutes Exemplar seiner Gattung, hatte sich beim Zerspringen der Klinge ein scharfer schimmernder Metallsplitter gelöst, der auf Parzivals Kehle zuschoß und genau dort einschlug, wo die Halsberge einen winzigen Streifen seiner Kehle freiließ.

Das war der Grund für das »Gnarrg!« gewesen, das Parzival ausgestoßen hatte, bevor er mit einem dumpf widerhallenden Laut zu Boden stürzte.

»Tut mir leid, aber Ihr habt es ja so gewollt«, sagte der Märchenprinz. Er drehte sich um und ließ den Ritter zurück. Wahrscheinlich würde schon bald irgend jemand hier vorbeikommen, der den Mann begraben konnte.

»Nehmt das prächtige Schwert«, verlangte eine Stimme.

»Wer hat das gesagt?« fragte der Prinz.

»Ich«, antwortete Parzivals Schwert. »Und nehmt auch das Pferd.«

»Wer bist du?« wollte der Märchenprinz wissen.

»Man nennt mich Excalibur«, erwiderte das Schwert.

»Und was erzählt man sich über dich?«

»Lest meine Runen.«

Der Märchenprinz hob das Schwert auf und betrachtete die glänzende Klinge. Dort waren tatsächlich Runen eingraviert, die er allerdings nicht lesen konnte. Er sah das Schwert voller Respekt an und fragte: »Warum hast du mit mir gesprochen?«

»Eigentlich sollte ich das nicht tun«, gestand Excalibur, »aber ich konnte einfach nicht zulassen, daß Ihr davongeht und mich hier liegen laßt. Dann wäre ich arbeitslos, und ich Hebe meine Arbeit. Ihr werdet feststellen, daß ich sehr nützlich bin. Wenn Euch irgend jemand Ärger machen will, muß er es erst mit mir aufnehmen.«

»Haltet ein, edler Herr!« rief die Maid, als sich der Märchenprinz dem Pferd zuwandte, und richtete sich aus ihrer halb zusammengesackten Haltung auf. »Ich flehe Euch an, steht mir bei, wie es Euch der ritterliche Eid gebietet.«

»An welche Art des Beistands habt Ihr dabei gedacht?« erkundigte sich der Prinz, der sich an keinen ritterlichen Eid erinnern konnte.

»Ich bin ein Walküre«, erklärte die Frau. »Dieser Mann hat mich auf einem Schlachtfeld überwältigt, indem er seinen Tod vorgetäuscht hat, um mich anzulocken. Ich kann jetzt nur nach Hause ins Walhalla zurückkehren, wenn ich die Regenbogenbrücke herbeirufe und eine geeignete Trophäe mitbringe. Könnt Ihr mir helfen, mein Horn zu finden, das er mir entwendet hat?«

»Das dürfte sehr einfach sein«, erwiderte der Märchenprinz, »falls es sich um das Schneckenhorn handelt, in das ich bei meiner Ankunft geblasen habe. Ist es dasjenige, das dort an der Standarte neben dem Zelt hängt?«

»Das ist es tatsächlich«, sagte die Walküre. Sie ging zu dem Horn, setzte es an die Lippen und entlockte ihm einen unheimlichen Laut.

Im gleichen Moment fiel das Ende eines Regenbogens vom Himmel und verfehlte den Märchenprinzen nur knapp.

»Ich danke Euch, edler Herr«, sagte die Frau und begann, Parzivals Rüstung zusammenzuraffen.

»Wollt Ihr den toten Ritter denn nicht mitnehmen?« fragte der Märchenprinz. »Ich dachte, Walküren würden das tun.«

»Ich habe keine Verwendung für einen Ritter, der sich nicht an seinen Mythos halten kann«, stellte sie fest. »Andererseits sind gute Rüstungen nicht leicht zu finden.« Sie klopfte mit einem scharfgefeilten Fingernagel gegen den Brustpanzer, trug die Einzelteile zum Regenbogen und warf dem Prinzen einen Kuß zu. »Wir sehen uns wieder!« rief sie und verschwand in einem Lichtblitz.

Der Märchenprinz ritt auf dem Schlachtroß durch den Wald, das Schwert Excalibur auf den Rücken geschnallt, und zog sein altes Pferd am Zügel hinter sich her. Es war herrlich, das Schwert im Rücken zu spüren. Nach einer Weile hörte er ein leises Murmeln knapp unter seinem rechten Ohr und begriff, daß es Excalibur war, das Selbstgespräche führte.

»Was ist los?« fragte er.

»Nichts besonderes. Nur ein Anflug von Rost.«

»Rost!« Der Märchenprinz zog Excalibur aus der Scheide und untersuchte die glänzende Klinge. »Ich kann nichts entdecken.«

»Ich spüre sein Nahen«, behauptete das Schwert. »Ich muß geschmiert werden.«

»Ich habe kein Öl dabei.«

»Etwas Blut oder Jauche würden das Problem beseitigen.«

»Damit kann ich auch nicht dienen.«

»Dann macht Euch keine Gedanken darüber, Bürschlein. Laßt mich ein Nickerchen machen und von den alten Zeiten träumen.«

Diese Bemerkung kam dem Prinzen ziemlich seltsam vor, aber er ging nicht darauf ein und ritt weiter.

Kurze Zeit später schien das Schwert eingeschlafen zu sein, denn es gab leise schnarchende Geräusche von sich. Der Märchenprinz hatte keine Ahnung gehabt, daß sprechende Schwerter auch schnarchen konnten. Er versuchte, es zu ignorieren, und ritt weiter, bis er einem Mann in der Kutte eines Bettelmönches begegnete.

Der Mönch begrüßte den Reiter, und beide zogen weiter ihrer Wege.

»Habt Ihr seinen verschlagenen Gesichtsausdruck bemerkt?« erkundigte sich Excalibur.

»Mir ist nichts dergleichen aufgefallen.«

»Er hat Euren Tod geplant«, behauptete das Schwert. »Was für eine Unverschämtheit! Und diese Niederträchtigkeit!«

»Das glaube ich ganz und gar nicht«, widersprach der Märchenprinz.

»Nennt Ihr mich einen Lügner?« wollte das Schwert wissen.

»Auf gar keinen Fall!« beteuerte der Prinz, denn es ist ganz natürlich, vorsichtig zu sein, wenn man sich mit einem sprechenden Schwert unterhält, besonders mit einem, das Runen trägt.

»Ich hoffe, wir laufen dem Bettelmönch noch einmal über den Weg«, sagte Excalibur und stieß ein lang anhaltendes finsteres Lachen aus, das wie ein Röcheln klang.

Später am Tag begegneten sie einer Gruppe von Kaufleuten. Sie machten einen völlig harmlosen Eindruck, aber kaum waren sie außer Sicht, erklärte Excalibur dem Märchenprinzen, daß sie in Wirklichkeit Diebe wären, die vorhätten, ihn niederzuschlagen und auszurauben. Der Jüngling sagte, daß er das nicht glaubte, aber das Schwert hörte ihm gar nicht zu. Schließlich riß es sich los, rief: »Ich bin gleich wieder da!« und schoß in den Wald. Eine Stunde später kehrte es blutbefleckt und torkelnd zurück.

Danach fluchte und grölte es wie ein Betrunkener und begann schließlich damit, den Märchenprinzen zu beschuldigen, er würde heimtückische Pläne gegen es schmieden, wie zum Beispiel, es in der nächsten Schmiede einschmelzen zu lassen, auf die sie stießen. Es war offensichtlich, daß das Schwert ein Problem hatte.

An diesem Abend legte der Märchenprinz eine kurze Rast ein. Nachdem das Schwert eingeschlafen war, sprang er auf und rannte davon, so schnell ihn seine Beine trugen.

KAPITEL 2

Von der finsteren Gesellschaft Excaliburs befreit, setzte der Märchenprinz seine Suche nach Rosenrots Schloß fort. Leise durchquerte er den Wald. Überall ragten riesige Bäume auf, zwischen denen sich Schling- und Kletterpflanzen rankten. Es war wie eine Unterwasserwelt, grün und feucht, erfüllt von allerlei seltsamen Geräuschen.

Der Prinz ging zu Fuß. Unglücklicherweise war Parzivals Streitroß mit seinem alten Pferd weggelaufen, als er Excalibur zurückgelassen hatte.

In Augsburg eilte Azzie hektisch durch sein Anwesen und versuchte, die Sachen zusammenzuklauben, die er seinem Schützling geben wollte, sobald er ihn gefunden hatte.

»Schnell, Frike, pack eine Flasche mit magischer Wundsalbe ein.«

»Die für durch Klingen verursachte Schnittwunden, Herr, oder die für durch einen Schlag auf den Kopf hervorgerufene Platzwunden?«

»Pack am besten gleich beide ein. Wer weiß, in welche Lage sich der Junge gebracht hat.«

»Ylith ist wieder da, Gebieter«, teilte ihm Frike mit.

»So? Ich dachte, sie würde auf Rosenrot aufpassen… Mehr Verbandszeug.«

»Das tut sie auch, Herr. Aber sie fühlt sich verpflichtet, während Eurer Abwesenheit täglich einmal vorbeizuschauen, um den Beobachter an Eurer Stelle regelmäßig über den Stand der Dinge zu informieren.«

»Den Beobachter? Diesen Babriel, natürlich. Gutes Mädchen. Wo ist sie jetzt?«

»Ich glaube, sie trinkt im Wohnzimmer mit ihm Tee, während sie ihm berichtet… Hier ist das Verbandszeug.«

»Ich sollte lieber kurz reinschauen und hallo sagen, bevor ich aufbreche. Danke, Frike.«

Ylith und Babriel warfen sich verstohlene Blicke über die hohen Weinflaschen und das noch dampfende Gebäck zu. Sie schienen aneinander Gefallen gefunden zu haben, was man bei Ylith deutlich daran erkannte, daß sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Brust herausdrückte. Was Babriel betraf, kämpfte sich offenbar eine himmlische Version von Leidenschaft aus ihm heraus.

Azzie platzte grinsend oder eine Grimasse schneidend – je nachdem, wie man seinen Gesichtsausdruck interpretierte – in den Raum hinein, worauf Ylith aufsprang.

»Azzie, Schatz, ich dachte, du wärst immer noch fort!« rief sie. Sie eilte ihm entgegen und umarmte ihn. »Da ich schon einmal hier war, wollte ich die Gelegenheit für ein kleines Schwätzchen mit Babriel nutzen.«

»Und wieso bist du hier?«

»Nur, um zu sehen, wie dein Teil des Unternehmens läuft«, behauptete Ylith. »Wie kommt das Projekt voran?«

»Wir sind an einem kritischen Punkt angelangt«, erklärte Azzie und löste sich aus ihren Armen. »Ich werde vor Ort gebraucht. Ich denke, du solltest besser auf Rosenrots Schloß zurückkehren und die Entwicklung dort im Auge behalten. Hallo, Bab. Was macht das Gute in diesen Tagen?«

»Tja, also… Wir haben uns gerade ein sehr interessantes und anregendes Detail für unseren Beitrag einfallen lassen, das wir Buntglasfenster nennen. Ich würde es Ihnen gern irgendwann einmal zeigen.«

»Tut mir leid, aber ich habe es gerade ziemlich eilig. Buntglas?«

»Ja. Schon und moralisch förderlich.«

»Igitt! Klingt schrecklich. Tut mir leid, ich kann nicht bleiben, um ein wenig zu plaudern. Trinken Sie noch etwas, das tut Ihnen gut. Frike! Haben wir alles, was wir brauchen?«

»Hier, Meister, das hat noch gefehlt!« verkündete Frike und stapfte ins Wohnzimmer. Er hielt ein Paar hoher Reiterstiefel aus weichem roten Leder in der Hand. Abgesehen von zwei kleinen Anzeigen, die in die Absätze eingelassen waren, sahen die Stiefel ganz normal aus.

»Meine Siebenmeilenstiefel!« rief Azzie aus. »Frike, du bist ein Genie!«

Er schlüpfte in sie hinein und ergriff den Sack mit den Zaubermitteln, die Extraschwerter und die anderen Dinge. Dann aktivierte er die Stiefel, indem er die Hacken zweimal zusammstieß.

»Auf geht’s!« rief er, verschwand mit einem einzigen Schritt durch die Vordertür und erhob sich in die Luft.

Babriel und Ylith eilten zum Fenster, denn sie hatten noch nie zuvor Siebenmeilenstiefel im Einsatz gesehen. Azzies Paar war nicht mehr neu, aber es funktionierte immer noch perfekt. Er sauste dicht über die Dächer von Augsburg hinweg, wobei er ständig an Höhe gewann.

Die Siebenmeilenstiefel trugen ihn hoch in die Luft, und er konnte den großen Wald unter sich sehen, der sich wie ein endloses grünes Meer in alle Richtungen bis zum Horizont erstreckte. Ab und zu wurde die Eintönigkeit von Lichtungen durchbrochen, auf denen kleine Ansiedlungen standen. So verging eine geraume Zeit, bis Azzie nicht mehr wußte, wo er war, und beschloß, sich danach zu erkundigen. Er versuchte, die Stiefel nach unten zu lenken, aber sie weigerten sich, den einmal eingeschlagenen Kurs zu ändern. Das war das Problem mit Siebenmeilenstiefeln, sie nahmen ihre Bezeichnung sehr wörtlich und führten nur Schritte von genau sieben Meilen aus, keinen Zentimeter mehr oder weniger. Azzie bückte sich und hämmerte auf sie ein.

»Ich möchte hier landen!« schrie er, aber die Stiefel ignorierten ihn oder begriffen gar nicht, was er von ihnen wollte. Sie trugen ihn über den Wald und mehrere Flüsse hinweg und setzten schließlich außerhalb eines Dorfes auf.

Die verblüfften Bauern des Dorfs Vuden in der Ostwalachei erblickten einen Dämon, der eine perfekte Landung mitten auf dem Wochenmarkt hinlegte.

»Der verzauberte Wald!« rief Azzie. »Wo ist der?«

»Welcher verzauberte Wald?« riefen die Dorfbewohner zurück.

»Derjenige mit dem verwunschenen Schloß, in dem die Schlafende Prinzessin liegt!«

»Etwa zwei Meilen dort entlang!« riefen die Dorfbewohner und deuteten in die Richtung, aus der Azzie gerade gekommen war.

Azzie erhob sich erneut in die Luft, und wieder führten die Siebenmeilenstiefel einen Schritt von genau sieben Meilen Länge aus.

Es folgte ein nervenzermürbendes Spiel, in dessen Verlauf Azzie auszurechnen versuchte, welche Richtung er einschlagen mußte, um sein Ziel in exakt sieben Meilen messenden Schritten zu erreichen. Er benötigte eine Weile, um den richtigen Zickzackkurs festzulegen.

Und dann lag der Gipfel des magischen Berges vor ihm. Er erkannte ihn an dem Nebelschleier, der ihn einhüllte. Aber wo befand sich jetzt der Märchenprinz?

KAPITEL 3

Der Märchenprinz wanderte den ganzen Tag lang durch den Wald. Der Untergrund war einigermaßen eben, es gab etliche glitzernde Bäche, und von Zeit zu Zeit kam er an einem Obstbaum vorbei, von dem er sich sein Essen pflücken konnte. Die Sonnenstrahlen fielen schräg durch das Laubdach und vergoldeten die Blätter und Zweige. Irgendwann erreichte er eine Lichtung, auf der er Rast machte.

Als er erwachte, war der Abend hereingebrochen. Irgend etwas bewegte sich im düsteren Zwielicht. Der Prinz rappelte sich auf, verkroch sich im Gebüsch und wollte schon nach seinem Schwert greifen, als er sich wieder erinnerte, Excalibur zurückgelassen zu haben. Also zog er ein Messer, spähte durch die Zweige des Brombeerstrauchs und sah, wie ein kleines struppiges Pony auf die Lichtung trat.

»Hallo, junger Mann!« rief das Pony, blieb stehen und starrte auf den Busch.

Es überraschte den Märchenprinzen nicht, daß das Pony sprechen konnte, schließlich befand er sich in einem verzauberten Wald.

»Hallo«, erwiderte er den Gruß.

»Wohin wollt Ihr?« fragte das Pony.

»Ich suche ein verwunschenes Schloß, das irgendwo hier in der Nähe sein soll«, antwortete der Prinz. »Es ist meine Aufgabe, eine Maid namens Prinzessin Rosenrot zu retten, die dort in einem Zauberschlaf liegt.«

»Ach, mal wieder die alte Schlummernde-Prinzessin-Kiste«, sagte das Pony. »Nun, Ihr seid nicht der erste, der in dieser Gegend nach ihr sucht.«

»Wo sind die anderen?«

»Sie sind alle umgekommen«, erwiderte das Pony. »Abgesehen von einigen wenigen, die immer noch auf der Suche sind, aber demnächst ebenfalls umkommen werden.«

»Oh… Nun, das tut mir leid für sie«, sagte der Märchenprinz, »aber ich nehme an, daß die Dinge so laufen müssen. Die Geschichte hätte keinen Sinn, wenn der falsche Bursche die Prinzessin aufwecken würde.«

»Also seid Ihr der richtige Mann?« erkundigte sich das Pony.

»Der bin ich.«

»Wie heißt Ihr?«

»Man nennt mich den Märchenprinzen.«

»In Ordnung, dann seid Ihr der richtige. Man hat mich geschickt, um Euch zu suchen.«

»Wer hat dich geschickt?«

»Das darf ich jetzt noch nicht verraten«, entgegnete das Pony. »Ihr werdet später alles erfahren. Das heißt, wenn Ihr lange genug lebt.«

»Das werde ich auf jeden Fall«, versicherte der Prinz. »Schließlich bin ich der richtige.«

»Steigt auf meinen Rücken«, schlug das Pony vor. »Wir können alles weitere unterwegs besprechen.«

KAPITEL 4

Der Märchenprinz ritt auf dem Pony durch den Wald, bis sich die Bäume schließlich lichteten und er ein Feld sehen konnte, auf dem viele Zelte standen. Zwischen den Zelten schlenderten Ritter in Freizeitrüstungen umher, aßen gegrilltes Fleisch und schäkerten mit jungen Mädchen, die spitze Hüte mit zarten Schleiern trugen und Wein, Met und andere Getränke ausschenkten. Es gab sogar eine kleine Kapelle, die eine muntere Weise spielte.

»Das sieht mir nach einem freundlichen Haufen aus«, sagte der Märchenprinz.

»Glaubt das lieber nicht«, erwiderte das Pony.

»Warum nicht?«

»Vertraut mir einfach.«

Ein Teil seines Verstandes, der uraltes Wissen beherbergte, sagte dem Märchenprinzen, daß auf den Rat von struppigen kleinen Ponys, die auf geheimnisvolle Weise in Wäldern erschienen, Verlaß war. Andererseits aber wußte er auch, daß man diesem Rat nicht folgen sollte, da man nie etwas Interessantes erleben würde, wenn man immer auf die Stimme der Vernunft hörte.

»Aber ich bin hungrig«, wandte er ein. »Und außerdem kennen diese Ritter vielleicht den Weg zum verwunschenen Schloß.«

»Werft mir später nicht vor, ich hätte Euch nicht gewarnt«, sagte das Pony.

Der Prinz stieß ihm die Fersen in die Weichen, und es trottete weiter.

»Ho, da!« rief er, als er sich den Rittern näherte.

»Auch Euch ho!« riefen die Ritter zurück.

Der Märchenprinz kam noch näher.

»Seid Ihr ein Ritter?« fragte einer der Gesellen.

»Allerdings.«

»Wo ist dann Euer Schwert?«

»Das ist eine ziemlich merkwürdige Geschichte«, erwiderte der Märchenprinz.

»Wollt Ihr sie uns nicht erzählen?«

»Ich bin einem Schwert namens Excalibur begegnet«, berichtete der Jüngling. »Ich habe es zuerst für ein gutes Schwert gehalten, aber kaum hatten wir uns gemeinsam auf die Reise begeben, da sagte es mir Dinge, die Ihr nicht glauben würdet. Und es wurde immer merkwürdiger, bis ich schließlich fliehen mußte, weil es mich sonst getötet hätte.«

»Das ist also Eure Geschichte?« vergewisserte sich einer der Ritter.

»Das ist nicht meine Geschichte, das ist die Wahrheit.«

Der Ritter machte eine Geste, worauf zwei andere Ritter mit einem hellblauen Samtkissen aus einem weißen Zelt hervortraten. Auf dem Kissen lag ein Schwert. Es war zerbeult, mit Rost bedeckt, und die Parierstangen waren arg mitgenommen, aber es handelte sich unverkennbar um Excalibur.

»Ist das Euer Schwert?« fragte der Ritter.

»Ja«, bestätigte der Märchenprinz, »obwohl es nicht so ausgesehen hat, als ich es zuletzt gesehen habe.«

»Danke, Leute«, meldete sich Excalibur mit dünner, zitternder Stimme zu Wort. »Ich glaube, ich kann jetzt ohne Hilfe stehen.«

Es erhob sich von seinem Kissen, kippte dabei fast um und stand dann sicher auf der Spitze. Das helle Juwel in seinem Knauf starrte den Prinzen an, ohne zu blinzeln.

»Er ist es wirklich«, sagte Excalibur. »Das ist der Kerl, der mich auf dem Schlachtfeld zurückgelassen hat.«

Die Ritter wandten sich dem Märchenprinzen zu. »Das Schwert behauptet, Ihr hättet es auf dem Schlachtfeld im Stich gelassen. Ist das wahr?«

»So war es nicht«, widersprach der Märchenprinz. »Das Schwert phantasiert.«

Das Schwert schwankte kurz und fand dann das Gleichgewicht wieder. »Meine Freunde, sehe ich etwa nicht übel zugerichtet aus?« fragte es. »Ich sage Euch, er hat mich ohne jeden Grund fortgeworfen und mich dem Rostfraß überlassen.«

Der Märchenprinz tippte sich mit dem Finger an die Stirn, um anzudeuten, daß das Ding verrückt wäre.

Die Ritter schienen nicht überzeugt zu sein. Einer sagte mit absichtlich lauter Stimme zu einem anderen: »Vielleicht ein bißchen komisch, aber eindeutig nicht verrückt.«

Wieder ein anderer Ritter, ein großer graubärtiger Mann mit raubvogelartigen Augen und den schmalen Lippen eines Anführers, zückte ein liniertes Blatt Pergament und eine Schreibfeder.

»Name?«

»Märchenprinz.«

»Vorname?«

»Das ist der ganze Name.«

»Beruf?«

»Prinz.«

»Derzeitige Tätigkeit?«

»Mission.«

»Welche Art von Mission?«

»Mythisch.«

»Inhalt der Mission?«

»Erweckung Schlummernder Prinzessin.«

»Auf welche Weise?«

»Durch einen Kuß.«

Nachdem sie ihren Fragekatalog vervollständigt hatten, zogen sich die Ritter auf einen Abschnitt des Feldes zurück, wo sie ungestört waren, und berieten, was als nächstes zu tun sei. Sie ließen den Märchenprinzen an Händen und Füßen mit einem Seidenstrick gefesselt unter einer Hecke liegen.

Der Märchenprinz hatte mittlerweile den Eindruck gewonnen, daß es sich bei den Männern nicht um gewöhnliche Ritter handelte. Die Art der Befragung war anders ausgefallen, als er es erwartet hatte. Ihre Gesichter, knöchern, bleich und halb hinter verrottenden Helmen aus Eisen und Holz verborgen, waren nicht sehr ansprechend. Der Prinz konnte einen Teil ihrer Unterhaltung verfolgen, als sie sich entfernten.

»Was sollen wir mit ihm machen?«

»Ihn essen«, lautete eine Antwort.

»Das versteht sich von selbst. Aber wie?«

»Frikassee wäre nicht schlecht.«

»Wir hatten erst letzte Woche Ritterfrikassee.«

»Dann laßt uns zuerst das Pony essen.«

»Wie?«

»Wie wäre es mit feinen Kräutern gewürzt und gegrillt? Hat irgend jemand in der Nähe feine Kräuter entdeckt?«

Der Märchenprinz kam augenblicklich zu dem Schluß, daß (a) Ritter entweder ganz anders redeten, als er es vermutet hatte, oder aber daß dies hier (b) überhaupt keine Ritter, sondern Dämonen waren, die sich als Ritter verkleidet hatten.

Man einigte sich mehrheitlich auf Frikassee, aber die Ritter hatten Schwierigkeiten, ein Feuer zu entfachen. In diesem Teil des Waldes hatte es erst kürzlich geregnet, und es gab kaum trockenes Holz.

Schließlich fing einer der Ritter einen Feuersalamander. Nachdem sie feuchte Späne über dem Tier aufgeschichtet und ihm einen heftigen Nasenstüber versetzt hatten, als es davon kriechen wollte, brachten sie ein munteres Feuer zustande. Zwei Ritter widmeten sich der Zubereitung der Soße, und zwei andere kümmerten sich um die Marinade, während der Rest sang.

Dem Märchenprinzen war klar, daß er in Todesgefahr schwebte.

KAPITEL 5

Azzie war wieder unterwegs, nachdem er die Siebenmeilenstiefel zugunsten seiner eigenen dämonischen Flugfähigkeiten abgelegt hatte. Als er suchend über den Wald flog, erblickte er in der Ferne ein Feuer. Er steuerte darauf zu, umkreiste es, stellte seine Augen auf die Lichtverhältnisse ein und entdeckte den Märchenprinzen, verschnürt wie ein Kapaun, der darauf wartete, mit feinen Kräutern zu Frikassee verarbeitet zu werden, während das Pony bereits briet und schrie.

»Das könnt ihr mir doch nicht antun!« brüllte es. »Ich habe ihn noch nicht vollständig über alles unterrichtet, was er wissen muß!«

Die Dämonenritter sangen weiter.

Azzie landete eilig in einem Gebüsch in der Nähe. Er überlegte gerade, wie er die Ritter ablenken und den Märchenprinzen befreien könnte, als Babriel unvermittelt neben ihm in seiner schimmernden weißen Rüstung mit flatternden blendendweißen Flügeln auftauchte.

»Sind Sie gekommen, um mit Ihrer Kathedrale anzugeben?« erkundigte sich Azzie.

Babriel sah ihn streng an. »Ich hoffe, Sie haben nicht vor, sich höchstpersönlich unter diese Leute zu begeben, alter Freund.«

»Was denn sonst?« gab Azzie zurück. »Glauben Sie etwa, ich werde zulassen, daß mein Held von abtrünnigen Dämonen aufgefressen wird?«

»Ich will mich nicht einmischen, aber es ist meine Pflicht, Sie im Auge zu behalten. Wie ich sehe, steckt Ihr Prinz in Schwierigkeiten, aber Sie kennen die Regeln ebensogut wie ich. Sie dürfen ihm nicht helfen, jedenfalls nicht direkt. Sie dürfen die Geschichte nicht dadurch beeinflussen, indem Sie selbst in das Geschehen eingreifen.«

»Ich habe nur ein paar Dinge für ihn mitgebracht«, sagte Azzie. »Einen Dolch und einen unsichtbaren Mantel.«

»Lassen Sie mich die Dinge sehen«, verlangte Babriel. »Hmm… Der Dolch scheint in Ordnung zu sein. Zu dem Mantel kann ich allerdings nicht viel sagen.«

»Das liegt daran, daß er unsichtbar ist«, erwiderte Azzie. »Aber Sie können ihn doch fühlen, oder?«

Babriel tastete ihn von oben bis unten ab. »Ich denke, er fühlt sich in Ordnung an«, meinte er schließlich.

»Und selbst wenn nicht, wer würde es schon merken?« fragte Azzie.

»Ich«, sagte Babriel. »Und ich würde es melden.«

Der Märchenprinz war wie ein Paket verschnürt und kam sich dumm vor. Warum hatte er nicht auf das geachtet, was das struppige Pony ihm zu erzählen versucht hatte? Jetzt konnte es ihm keine weiteren Anweisungen mehr für sein Abenteuer geben. Warum hatte er ihm nicht geglaubt? Wenn man einem weissagenden struppigen Pony nicht glauben will, wem wollte man dann überhaupt glauben? Allerdings roch es gut…

Plötzlich hörte er ein Geräusch. Es klang, als würde ihm irgend jemand zuflüstern: »He, du!«

»Wer ist da?« fragte er.

»Dein Onkel Azzie.«

»Ich bin froh, daß du hier bist, Onkel. Kannst du mich hier rausholen?«

»Nein, jedenfalls nicht direkt. Aber ich habe dir ein paar Sachen mitgebracht.«

»Was denn?«

»Zuerst einmal einen verzauberten Dolch. Er wird deine Fesseln durchtrennen.«

»Und sonst?«

»Einen Mantel, der unsichtbar macht. Mit ihm kannst du dich aus dem Schlamassel befreien, in dem du steckst.«

»Danke, Onkel. Ich würde das gleiche für dich tun.«

»Das bezweifle ich«, gab Azzie zurück. Er zielte sorgfältig und ließ den Dolch fallen. Die Klinge bohrte sich mit der Spitze in den Baumstamm, an dem der Prinz lehnte.

»Ich habe ihn«, sagte der Märchenprinz.

»Guter Junge. Jetzt kommt der unsichtbare Mantel. Du mußt unbedingt die Gebrauchsanweisung lesen, und es ist unter Strafandrohung verboten, sie zu entfernen! Viel Glück! Wir werden uns schon sehr bald wiedersehen.«

Der Märchenprinz hörte, wie irgend etwas mit einem leisen Rauschen ganz in der Nähe zu Boden fiel. Das mußte der Mantel sein. Nachdem die verzauberte Klinge seine Fesseln durchgeschnitten hatte, blickte er sich um, konnte den Mantel jedoch nicht entdecken. Das war auch nicht anders zu erwarten gewesen, erkannte er. Es würde nicht leicht sein, einen unsichtbaren Mantel zu finden, erst recht nicht in einer dunklen Nacht.

KAPITEL 6

Die Dämonenritter kehrten zurück und sangen dabei ein Lied mit folgendem Text:

Fairneß stinkt und Brot ist schnuppe tränkt sein Hirn mit Erbsensuppen stopft ihn voll mit Persimone bis man ihn hält für Al Capone.

Niemand hatte jemals die Bedeutung dieses Verses erklärt. Das Lied war sehr alt und stammte aus einer Zeit, als die Menschen Unverständlichkeit noch für eine bequeme Art gehalten hatten, das Leben zu meistern.

Nachdem sie gesungen hatten, legten sich die Ritter nieder, grunzten, streckten sich, rutschten hin und her und gähnten. Sie rülpsten, kratzten sich ausgiebig und kamen dann schnell zur Ruhe.

Der Märchenprinz suchte den Mantel. Er konnte ihn immer noch nicht sehen, aber dann entdeckte er das Etikett, ein kleines quadratisches Stoffstück, auf dem in phosphoreszierender Schrift geschrieben stand: ES IST UNTER ÜBERNATÜRLICHER STRAFE VERBOTEN, DIESES ETIKETT ZU ENTFERNEN. BITTE DIE ANWEISUNGEN AUF DER RÜCKSEITE BEACHTEN. Der Prinz versuchte, die Anweisungen auf der anderen Seite zu lesen, aber dort leuchtete die Schrift nicht.

Er wickelte sich, so gut er konnte, in den Mantel, und schlich vorsichtig durch die Reihen der liegenden Krieger. Eine kleine Unebenheit im Boden ließ ihn stolpern und einen der Ritter streifen.

»He, da!« Eine unsichere Hand tastete herum und schloß sich um den Knöchel des Märchenprinzen. »Jungs, wißt ihr, was ich hier erwischt habe?«

»Warum hast du die Hand so seltsam halb zur Faust geballt, Angus?« riefen die anderen.

»Weil, meine Freunde, ich damit einen unsichtbaren Spion festhalte.«

»Ich bin kein Spion!« rief der Märchenprinz.

»Aber du bist unsichtbar, oder willst du das etwa auch abstreiten?«

Der Märchenprinz riß sich los und rannte davon. Die Ritter sprangen auf, jagten hinter ihm her und weckten auch den Rest ihrer Gefährten mit ihrem lauten Gebrüll.

Ihre Schreie verfolgten den Märchenprinzen und wurden von anderen Schreien beantwortet, die vor ihm aufklangen. Zuerst hielt der Prinz sie für ein Echo, doch die Tatsache, daß sie immer lauter wurden, ließ ihn bald die Wahrheit erkennen. Die Dämonenritter befanden sich nicht nur hinter, sondern auch vor ihm. Sie mußten schnell vorausgeeilt sein, um ihm den Weg abzuschneiden. Ihm würde nichts anderes übrigbleiben, als durch ihre Reihen zu schlüpfen.

Als er kurz stehenblieb, um den Mantel fester um sich zu ziehen, sah er fasziniert, wie seine Hand unsichtbar wurde, als der Stoff sie bedeckte. Er konnte durch sie hindurch auf den Boden sehen.

Natürlich blieb der Teil der Hand, der nicht vom Stoff bedeckt wurde, auch weiterhin sichtbar. Die Tatsache, daß der Arm, an dessen Ende sie sich befand, unsichtbar war, machte sie sogar noch auffälliger.

Hastig wickelte sich der Märchenprinz so gut wie möglich in den Mantel, rannte weiter und stieß auf ein grasbewachsenes Feld. Reiter tauchten im Mondlicht am Rand der Wiese auf. Dann streckte einer von ihnen den Arm aus, fuchtelte damit herum und rief: »Er muß dort sein, wo das Gras niedergetrampelt ist!« Sofort preschte ein Trupp los.

Der Märchenprinz wich in den Wald zurück und fand eine kleine Höhle, in der er sich so lange versteckte, bis er das Futter des Mantels herausgerissen hatte. Wie er gehofft hatte, besaß es die gleichen Eigenschaften wie der Mantelstoff selbst, obwohl es sehr dünn war. Deshalb konnte er daraus eine Maske anfertigen, die seinen Kopf vollständig bedeckte und ebenfalls unsichtbar machte.

Allerdings konnte er nicht verhindern, daß er Spuren hinterließ, Fußabdrücke auf dem Boden, wo Laub, Gras und kleine Zweige zerquetscht worden waren. Aber dadurch, daß jetzt auch sein Kopf unsichtbar war, würde er noch schwerer zu entdecken sein.

Er rannte weiter, obwohl ihm klar war, daß er in seiner Hast eine deutliche Fährte legte und es klüger gewesen wäre, sich langsamer und vorsichtiger zu bewegen, solange er sich mitten unter seinen Verfolgern befand. So würde sich ein echter Märchenprinz verhalten, dachte er, aber das war ihm unmöglich. Seine langen Beine hoben und streckten sich wie im Rausch und flohen vor der Gefahr, aber die Pferde seiner Verfolger waren noch schneller. Sie näherten sich von allen Seiten, und die Reiter hatten keine allzu große Mühe, seinen Weg aufgrund des Zurückweichens und des Abknickens der Zweige auszumachen.

Sie schossen auf ihn zu, die Stahlspitzen ihrer Lanzen auf ihn gerichtet. Voraus konnte er jetzt eine Lichtung erkennen, aber er bezweifelte, sie noch rechtzeitig zu erreichen, was um so quälender war, als er dort einen langen Streifen aus Kalkgestein entdeckte, auf dem er keine Fußabdrücke hinterlassen würde. Es würde äußerst knapp werden.

Einer der Ritter zielte mit der Lanze direkt auf ihn und preschte los.

Die Rettung erfolgte genau in diesem Moment höchster Gefahr. Der Märchenprinz wußte nicht, ob sie natürlichen Ursprungs war oder ob Azzie irgendwie die Hände im Spiel hatte. Bisher hatte Windstille geherrscht, jetzt aber kam unvermittelt ein böiger Wind auf, ein ausgewachsener Sturm, der von eisigem Regen und Hagelschauern begleitet wurde.

Überall geriet das Laub in wilde Bewegung und verwischte die Spuren seiner Flucht.

Der Ritter, der ihm am nächsten war, verfehlte ihn um fast zwei Meter, der nächste kam nicht einmal in seine Nähe. Die Dämonen verteilten sich und versuchten, ihn einzukreisen, aber der Märchenprinz schlüpfte mit Leichtigkeit zwischen ihnen hindurch und gelangte auf den felsigen Untergrund, auf dem er keine Spuren mehr hinterließ. Als er endlich wieder anhielt, war der Wind eingeschlafen, und er hörte nichts mehr von seinen Verfolgern. Da wußte er, daß er ihnen entkommen war.

KAPITEL 7

Der Märchenprinz rannte weiter, bis seine Beine gefühllos wurden und seine Lungen brannten. Irgendwann brach er zusammen und schlief ein.

Als er erwachte, stellte er fest, daß er auf einer sonnenüberfluteten Wiese lag. Am anderen Ende ragte ein Berg in den Himmel, ein gewaltiges Matterhorn aus dem Reich der Phantasie, ein Berg aus buntem Glas wie aus einem Traum. Vor dem Berg erstreckte sich ein dichter Wald, der aus Metallbäumen zu bestehen schien und ihm den Weg versperrte. Der Märchenprinz ging weiter. Die Bäume waren aus Metallrohren mit dornenartigen Auswüchsen zusammengesetzt, und selbst die größten maßen nicht viel mehr als zwei Meter. Als er sich ihnen näherte, sonderten sie ein gelbliches Gas ab, das schnell Feuer fing, von unter der Erde gelegenen Mechanismen entzündet.

Normalerweise hätte der Märchenprinz nicht wissen können, worum es sich dabei handelte, aber er erinnerte sich daran, wie er einmal voller Neugier einen Blick auf ein Blatt Papier geworfen hatte, das Azzie zuvor gelesen und dann auf seinem Schreibtisch hatte liegen lassen. Es war eine Quittung der Überregionalen Spirituellen Gaswerke für die Lieferung von Gas zur Befeuerung von Flammenbäumen gewesen.

Wenn Onkel Azzie tatsächlich die Rechnung für den Treibstoff der Bäume bezahlte – und eine andere Schlußfolgerung konnte der Märchenprinz aus seiner Entdeckung nicht ziehen –, waren die Anzeichen für eine Manipulation unverkennbar. Der Prinz verspürte ein seltsames Gefühl in sich aufsteigen, als er die Konsequenzen dieses Gedankens weiterverfolgte, der in ihm den Eindruck erweckte, nicht mehr als eine Marionette zu sein, die man in eine künstliche Szenerie verpflanzt hatte. Es war eine beängstigende Vorstellung, aber sie stellte sich gerade zu einem Zeitpunkt ein, an dem sich die dringende Notwendigkeit erhob, den Wald zu durchqueren. Also verdrängte er den Gedanken vorerst. Er würde sich später damit befassen.

Wenn man etwas anstellen konnte, konnte man es auch wieder abstellen. Der Märchenprinz suchte fast eine Stunde lang, bevor er das Ventil in einem Graben entdeckte. Als er es schloß, erloschen die Bäume. Wie überaus merkwürdig, dachte er, überhaupt so eine Konstruktion zu installieren.

Er durchquerte den Wald.

Und so gelangte er nach Glasbergdorf, dem letzten Basislager der Etappe. Hier konnten sich diejenigen, die den im Sonnenlicht glitzernden Gipfel des großen Berges erklimmen wollten, auf dem angeblich das verwunschene Schloß der schlafenden Prinzessin Rosenrot thronte, mit Proviant, Reisezubehör und Souvenirs eindecken.

Die Haupteinnahmequelle des Dorfes bestand im Dienstleistungsgewerbe für die Bergsteiger. Hier trafen sich Forscher und Glasbergkletterer aus aller Welt. Die Anziehungskraft des Berges war einfach unwiderstehlich.

Der Märchenprinz schlenderte an den Läden vorbei, die die Hauptstraße von Glasbergdorf säumten. Viele Geschäfte hatten sich auf Zubehör für die Glasbergkletterei spezialisiert. Glas stellt eine anspruchsvolle Herausforderung für Bergsteiger dar. Hörte man den Einheimischen zu, konnte man glauben, daß sich die Eigenschaften des Glases jedesmal änderten, wenn eine Wolke vor der Sonne vorbeizog. Auf diesem Berg war angeblich jede Glassorte vertreten: schlüpfriges Glas, trügerisches Glas, Wanderglas und nasses Glas, tödliches Hochgebirgsglas wie Tieflandgletscherglas. Jede Glassorte (und der Glasberg genoß den Ruf, aus all den erwähnten Glassorten und noch etlichen mehr zu bestehen) beinhaltete ihren eigenen Schwierigkeitsgrad, und in den Geschäften waren Broschüren erhältlich, die Informationen zu jeder denkbaren Variante und Ratschläge für die entsprechende Ausrüstung enthielten.

Zwar glaubte die Mehrheit, daß dieser Glasberg der einzige seiner Art auf der Welt wäre, doch es gab auch Intellektuelle, die behaupteten, der andauernde menschliche Drang, Glasberge zu ersteigen, könne nur durch ein unterschwelliges historisches Generationsgedächtnis erklärt werden, das praktisch der gesamten Menschheit zueigen wäre und sie daran erinnerte, früher unzählige Male und an den unterschiedlichsten Orten Glasberge bestiegen zu haben. Diesen Theoretikern zufolge war der Glasberg ein Archetypus der menschlichen Erfahrungen, die sich vom Anbeginn der Zeiten bis zum letzten Augenblick der fernen Zukunft fortwährend auf unendlich vielen Ebenen entwickelten.

Die Buchläden von Glasbergdorf enthielten auch Sachbücher zu dem Thema, mit Hilfe welcher Techniken Glasberge in dem einen oder anderen Jahr bestiegen worden waren. Es gab historische Abhandlungen, Ratgeber und Bücher über Interviews mit Bergsteigern und Theoretikern. In einigen Geschäften wurden ausschließlich Steigeisen in jeder erdenklichen Ausführung verkauft, einschließlich solcher, die mit Diamantsplittern besetzt waren.

Über die Frage, ob man Pferde zum Besteigen des Glasberges benutzen sollte, gab es Kontroversen im Dorf. Ganz allgemein fällt es Pferden schwerer als Menschen, einen Glasberg zu erklimmen. Die Beine der Pferde sind nicht in der Lage, die erforderlichen Bewegungen auszuführen. Es sind edle Tiere, hervorragend geeignet für den Ritt über Prärien und Flachland. Sie können sich geschickt in Wäldern und sogar in nicht allzu dichten Dschungeln bewegen, doch das Erklimmen von Glasbergen bereitet ihnen erhebliche Schwierigkeiten. Deshalb hatte es sich eingebürgert, Ziegen zu benutzen, um auf den Berg zu reiten.

Für Traditionalisten war das inakzeptabel. Von Märchenprinzen wird allgemein erwartet, den Glasberg auf dem Rücken ihrer Pferde zu bezwingen. Generationen von Illustratoren, von denen einige behaupteten, durch höhere spirituelle Machte inspiriert worden zu sein, hatten Pferde dargestellt, die Glasberge mit Märchenprinzen auf ihren Rücken erklommen. Gelehrte gesellschaftliche Schichten wurden nie müde, darauf hinzuweisen, daß ein Pferd – selbst wenn es den Berg hätte bezwingen können – dabei Schaden an Geist und Seele davontragen und völlig ausgepumpt sein würde. Aber trotzdem konnte sich niemand so recht mit der Idee anfreunden, Ziegen dafür zu verwenden.

Dem Märchenprinzen erging es in dieser Beziehung nicht anders. »Soll das ein Witz sein?« fragte er empört, als man ihm vorschlug, eine Ziege zu reiten. »Nie und nimmer!«

»In diesem Fall«, erklärte man ihm, »müßt Ihr Steigeisen tragen und versuchen, den Gipfel aus eigener Kraft zu erreichen.«

»Ich soll Steigeisen tragen?« Der Prinz teilte das allgemeine abergläubische Mißtrauen gegenüber diesen nützlichen Hilfsmitteln.

»Alle Bergsteiger benutzen sie.«

»Nein danke. Ihr werdet mich nicht dazu bringen, mir diese Dinger anzuschnallen.«

»Aber ohne sie werdet Ihr es nie bis zum Gipfel schaffen. Der Berg besteht vollständig aus Glas und ist sehr rutschig.«

Wie so viele junge Männer seiner Zeit hatte auch der Märchenprinz Vorurteile sowohl gegen Ziegen als auch gegen Steigeisen. Seufzend entschied er sich schließlich für das, wie ihm schien, kleinere Übel.

»Also gut«, sagte er. »Sattelt mir eine Ziege.«

Nicht jede Ziege schafft es, den Glasberg zu bezwingen. Das sollten sich diejenigen vor Augen führen, die der irrigen Annahme sind, man brauchte nicht mehr als eine Ziege, um eine Prinzessin zu erringen. Eine Ziege ist lediglich ein Hilfsmittel, um überhaupt an dem Rennen teilnehmen zu können. Hat man sein Ziel schließlich erreicht, kann man seine Ziege wieder gegen ein Pferd eintauschen, um sich darauf porträtieren zu lassen, denn natürlich macht ein Pferd mehr als eine Ziege her.

Und so jagte der Märchenprinz auf einem Ziegenrücken den Glasberg empor, bis er den Zufahrtsweg eines großen Schlosses erreicht hatte, dessen Wehrtürme hoch in den Himmel ragten. Vor ihm lag eine Treppe. Daß er am Ziel war, erkannte er an einer Papptafel, die an einem Eisenpfosten befestigt war. Sie trug folgende Aufschrift: HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH. SIE HABEN DAS VERWUNSCHENE SCHLOSS ERREICHT. DIE SCHLAFENDE PRINZESSIN BEFINDET SICH IM ERSTEN GEMACH RECHTS AM ENDE DER TREPPE.

Mit zitternden Händen kletterte der Märchenprinz über die Außenmauer, schwamm durch den eiskalten Burggraben, durchquerte, vor Nässe tropfend, den Vorhof, ging zwischen den Wehrtürmen hindurch, betrat die Eingangshalle, in der verzauberte Diener dösten, stieg die Wendeltreppe hinauf, die sich in steilen Windungen in die Höhe schraubte, und erreichte das geflieste Vorzimmer.

Er öffnete die Tür und ging zwei Schritte weit in das Gemach hinein. In der Mitte des Raumes stand ein großes Bett, in dem die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte, mit geschlossenen Augen lag. Es war die gleiche Frau, in deren Miniaturporträt er sich verliebt hatte, aber als er ihr jetzt gegenüberstand, fand er, daß sie unvergleichlich viel schöner als ihr Gemälde war.

KAPITEL 8

Es hätte keiner besonderen Augen bedurft, um ihre Schönheit zu erkennen, aber die Drachenaugen des Märchenprinzen sahen noch mehr. Sie durchschauten Azzies Plan und entdeckten die Falle, die der Dämon aufgebaut hatte. Sie erkannten, daß der Märchenprinz das verhaßte Gesicht von Rosenrots Verführer besaß. Was würde sie tun, wenn sie es erblickte? Die Drachenaugen konnten den Schatten des drohenden Unheils wahrnehmen, aber der Märchenprinz ignorierte die Warnung und beugte sich tief über die Prinzessin.

Das war der Augenblick, auf den Azzie von Anfang an hingearbeitet hatte.

Der Kuß! Der tödliche Kuß!

Er hatte bereits den vergifteten Dolch griffbereit auf das kleine Nachtschränkchen gelegt, und diesen würde Rosenrot benutzen, wenn sie die Augen öffnete und erkannte, wer sie geküßt hatte – der verabscheuungswürdige Verführer!

Azzie stand hinter einem Vorhang und richtete sich an sein großes unsichtbares Publikum, das zusah, wie das Drama seinen Lauf nahm.

»Meine Damen und Herren, hochverehrte Geschöpfe des Lichtes und der Finsternis, Dämonenkollegen und Engelrivalen! Ich präsentiere Ihnen jetzt das Finale des uralten und höchst erbaulichen Dramas vom Märchenprinzen und Prinzessin Rosenrot. Achten Sie auf den Erweckungskuß und sein Ergebnis!«

Während seine Worte noch nachklangen, erkannte der Märchenprinz durch die Drachenaugen den weiteren Verlauf von Azzies Plan und begann mit folgendem Monolog:

»Aha, nun ist mir klar, daß ich ein Nichts bin, ein bloßes Flickwerk aus einzelnen Körperteilen, und daß mein sogenannter Onkel Azzie, der trotz seines freundlichen Gehabes in Wahrheit ein Dämon ist, mir das Gesicht von Rosenrots Verführer gegeben hat, damit sie mich umbringt, sobald ich sie aufgeweckt habe. Nun denn, wenn dem so ist, dann soll es so geschehen. Töte mich, meine schöne Prinzessin, wenn es das ist, was dich zufriedenstellt. Doch wenn ich auch ein Niemand bin, zusammengesetzt aus Einzelteilen und Körperresten und von einem Feind zum Leben erweckt, so schlägt doch ein echtes Herz in meiner Brust, und alles, was ich sagen kann, ist: ›Ich gehöre dir, Prinzessin, verfahr mit mir, wie es dir gefällt.‹«

Rosenrot fühlte die Lippen eines Mannes auf den ihren. Sie öffnete die Augen, konnte aber zuerst nichts erkennen, da der junge Mann, der sie küßte, ihrem Gesicht so nahe war. Wie herrlich ist es, so geweckt zu werden, war ihr erster Gedanke.

Und dann sah sie sein Gesicht. Dieses Gesicht! O ihr Götter! Sie erkannte es sofort. Es war das Gesicht des Mannes, der sie verführt und dann verlassen hatte.

Ihre Augen weiteten sich. Eine weiße Hand flatterte wie eine von Heras verlorenen Tauben auf ihre Brust. Er! Er war es! Ihre andere Hand tastete hinter ihr herum und berührte den Griff eines Dolchs, der auf dem kleinen Nachtschränkchen lag. Sie hob ihn hoch…

Diese Szene hatte Azzie akribisch ausgearbeitet. Er wußte, daß der Dolch wie von selbst in Rosenrots Hand gleiten würde. Die Zuschauer, unsichtbar aber trotzdem anwesend, würden sich jetzt gespannt vorbeugen. Die Mitglieder des Preiskomitees würden sehen, wie Rosenrot ausholte und dann den Dolch in den Rücken des Märchenprinzen stieß und ihn durch sein Herz bohrte! Und wenn der Prinz dann seinen letzten Atemzug auf dem Boden ihres Gemachs aushauchte, würde Azzie aus seinem Versteck hervortreten. »O weh, kleine Prinzessin«, würde er sagen (er hatte die Rede oft geübt), »du hast den einzigen Mann getötet, den du jemals hättest lieben können, den Mann, der dich hätte erlösen können!« Und danach, fand Azzie, wäre es ein hübsches Finale, wenn Rosenrot den Dolch gegen sich selbst richten und sich so zu ewigen Qualen in den Gruben der tiefsten Hölle verdammen würde. Er hatte sogar erwogen, den Märchenprinzen noch einmal gerade lange genug ins Leben zurückzurufen, um ihm die Möglichkeit zu geben, Rosenrots Tod zu verfolgen und derartige Blasphemien auszustoßen, daß er sich ebenfalls die ewige Verdammnis verdiente. Das wäre ein schönes Ende für jemanden, der es mochte, keine ungelösten Fragen offenzulassen.

Azzie war sich dieses Ablaufs so sicher, daß er jetzt hinter dem Vorhang hervortrat, zu Rosenrot ging und mit triefender Ironie sagte: »Der Himmel findet Mittel und Wege, deine Leidenschaft durch Liebe zu töten; doch die Welt ist dir nicht freundlich gesonnen, noch sind es deine weltlichen Gesetze.«

Man stritt sich noch lange Zeit später darüber, warum dem Plan kein Erfolg beschieden gewesen war. Nach Azzies Ansicht, was die Wechselwirkung zwischen seinen Protagonisten betraf, hätte Rosenrot zwangsläufig den Dolch ergreifen und in den ungeschützten Rücken des jungen Prinzen rammen müssen. Doch die wunderbare Unberechenbarkeit des Lebens machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

Was Azzie nicht einkalkuliert hatte, war die Auswirkung, die Rosenrots Augen mit sich brachten. Wenn sie auch nicht wie die Augen des Märchenprinzen die Fähigkeit besaßen, die Wahrheit zu erkennen, konnten sie doch Trivialität und Künstlichkeit sehen. Und die erkannte Prinzessin Rosenrot, als sie sich vorstellte, was für ein Bild sie, der Märchenprinz und der vergiftete Dolch abgaben. Ihre Künstleraugen sahen die Künstlichkeit der Komposition. Das war keine gute Szene für einen Maler, der seine Bilder dem wirklichen Leben entlehnt. Sie rebellierte aus künstlerischen Gründen dagegen, den Dolch in das vorgesehene Ziel zu stoßen, und danach folgten ihre Gefühle ihrem ästhetischen Empfinden.

»Wovon sprichst du?« fragte sie.

»Du hättest ihn nicht töten dürfen«, erwiderte Azzie. »Du hast dich gerade selbst zu ewigen Höllenqualen verdammt, junge Dame.«

Rosenrot brach in Gelächter aus.

»Du wagst es, mich auszulachen? Ich werde dir zeigen…«

Eine zweite Stimme fiel in das Gelächter ein. Sie gehörte dem Märchenprinzen, der neben der Prinzessin stand und einen Arm um ihre Hüfte gelegt hatte.

Der Märchenprinz war nicht tot! Der Dolch hatte seine verderbliche Aufgabe nicht erfüllt! Azzie wich verwirrt zurück.

Die beiden lebten, und irgendwie hatte die Liebe über Azzies Fluch triumphiert. Als das aus Engeln und Dämonen bestehende Publikum diese beiden schönen jungen Menschen so vereint sah, war es gerührt, und kein Auge blieb tränenleer.

»Das ist es nicht, was ich vorgesehen habe!« schrie Azzie unbeherrscht. »Das ist überhaupt nicht so, wie ich es gewollt habe!«

Aber genau das war es, was er geschaffen hatte: eine fröhliche kleine Geschichte über Liebe und Erlösung, die überall Gefallen fand und so dafür sorgte, daß das Gute und nicht das Böse den Sieg davontrug und damit das Recht errang, für die nächsten tausend Jahre über das Schicksal der menschlichen Seelen zu bestimmen.

FEIERN

KAPITEL 1

Yliths schlanke Finger klopften an die Tür zu Azzies alchemistischem Labor.

»Azzie? Ich weiß, daß du da drinnen bist.«

Keine Antwort. Babriel, der neben ihr stand, sagte: »Ich denke, wir sollten es lieber noch einmal probieren.«

Ylith war der gleichen Meinung. »Azzie, komm schon! Laß mich rein! Babriel und ich sind hier. Wir wissen, daß du eine schwere Enttäuschung erlebt hast. Wir sind deine Freunde und wollen bei dir sein.«

Es folgte ein rauhes schabendes Geräusch, als das Stahlrohr, das als Türriegel diente, zurückgezogen wurde. Die verstärkte Holztür öffnete sich einen schmalen Spalt weit, und Frikes langnasiges Gesicht lugte hervor.

»Ist dein Gebieter da, Frike?« fragte Ylith.

»O ja. Er ist hier. Aber ich würde an Eurer Stelle lieber nicht in seine Nähe kommen. Er ist ziemlich übler Laune. In diesem Zustand wäre es nicht undenkbar, daß er jemandem etwas antut.«

»Unsinn!« entgegnete Babriel energisch. »Ich möchte mit ihm sprechen!« Er schob sich gewaltsam durch die Tür.

Azzie saß auf einem kleinen Thron, den er in einer Ecke des Labors aufgestellt hatte. Er trug seinen purpurfarbenen Umhang und eine orangenfarbene Baskenmütze, die er über ein Auge herabgezogen hatte. Das andere Auge war blutunterlaufen. Er sah furchtbar aus. Jauchekannen und Flaschen lagen überall auf dem Boden verstreut herum. In bequemer Reichweite standen noch etliche volle Flaschen auf einem Regal.

»Kommen Sie, Azzie«, sagte Babriel. »Sie haben einen sehr guten Wettkampf bestritten. Denken Sie daran, es zählt nicht, ob man gewinnt oder verliert. Es kommt nur darauf an, wie man das Spiel spielt.«

»Das haben Sie völlig falsch verstanden«, gab Azzie zurück. »Was zählt, ist der Sieg. Wie man das Spiel spielt, ist absolut bedeutungslos.«

Babriel zuckte die Achseln. »Tja, andere Regeln, andere übernatürliche Schwerpunkte, nehme ich an. Aber Sie sollten jetzt wirklich mit dem Trinken aufhören, Alter. Lassen Sie mich Ihnen helfen.« Er streckte Azzie die Hand entgegen.

Azzie ergriff sie mit einer Hand und versuchte, sie mit der anderen zu zerkratzen. Babriel wehrte ihn geschickt ab und zog ihn hoch.

»Was spielt es denn letztendlich für eine Rolle, wer gewinnt, Alter?« fragte er.

Der Dämon starrte den Engel an. »Habe ich gerade richtig gehört?«

»Ja, natürlich. Ich meine, als Kreaturen des Lichtes und der Finsternis müssen wir in langfristigen Bahnen denken. Wir alle dienen dem Leben, dem Tod, der Intelligenz und all den anderen übernatürlichen Mächten.«

»Ich hätte nicht verlieren dürfen«, beschwerte sich Azzie. »Das lag nur daran, daß ich keine vernünftige Unterstützung von den Mächten der Finsternis bekommen habe. Selbst Sie, Babriel, mein Gegenspieler, haben mir mehr geholfen als meine eigenen Leute. Das ist das Problem mit dem Bösen. Es ist nicht kooperativ, nicht einmal in seinen eigenen Reihen.«

»Nehmen Sie es nicht so schwer«, sagte Babriel. »Kommen Sie mit uns, Azzie. Wir gehen zum Preisverleihungsbankett und amüsieren uns ein bißchen.«

»O ja, natürlich«, knurrte Azzie. »Das verfluchte Bankett. In Ordnung, ich werde gleich kommen. Gehen Sie schon einmal voraus. Ich muß vorher noch ein paar Kleinigkeiten erledigen. Wie geht es mit dieser gotischen Wie-auch-immer-das-Ding-heißen-mag voran?«

»Der Glockenturm wird gerade fertiggestellt«, erwiderte Babriel.

»Wissen Sie, wir sollten wirklich irgend etwas Nettes für den Märchenprinzen tun«, sagte er im Hinausgehen zu Ylith, »ich meine, als Anerkennung dafür, wie wunderbar er seine Rolle gespielt hat.«

»Das ist eine hübsche Idee«, stimmte ihm Ylith zu.

Azzie knirschte mit den Zähnen.

Nachdem die beide verschwunden waren, rief er Frike zu sich. »Hast du schon mal so einen Schwachsinn gehört?« fragte er.

»Was für einen Schwachsinn, Meister?«

»Wie den, den meine sogenannten Freunde da verzapfen. Hast du gehört, was sie gesagt haben? So ein Blödsinn! Kannst du dir das vorstellen? Sie wollen den Märchenprinzen dafür belohnen, daß er seine Sache so gut gemacht hat.«

»Ja, Herr«, sagte Frike. »Wirklich sehr lustig, ha, ha.«

»Ganz meine Meinung«, knurrte Azzie. »Also, ich denke, wir sollten dem guten Prinzen ebenfalls eine kleine Anerkennung für seinen Beitrag daran zukommen lassen, mein Drama verpfuscht zu haben, indem wir ihm das Leben nehmen, das mein Geschenk an ihn war. Allerdings kann ich ihn nicht selbst töten, jedenfalls nicht direkt. Es gibt da gewisse Regeln, dämliche Regeln zwar, aber sie existieren nun einmal und verbieten es einem Dämon, grundlos über Menschen herzufallen und sie abzuschlachten.«

»Oh, das ist wirklich zu schade, Meister«, sagte Frike.

»Das habe ich auch immer so gesehen«, stimmte ihm Azzie zu. »Aber ich glaube, wir können das Verbot umgehen.«

»O Herr, wie können wir das tun?«

»Frike, wie würde es dir gefallen, zur Abwechslung mal ein furchteinflößender Krieger der Rache anstatt ein kriecherischer Diener zu sein?« fragte Azzie.

»Klingt nicht schlecht«, meinte Frike. »Und wie soll das gehen, Gebieter?«

»Wir haben noch eine Menge Körperteile übrig«, erklärte Azzie, »und ich bin ein Meister in der Erschaffung menschlicher Skulpturen. Komm mit. Leg dich auf die Marmorplatte dort drüben.«

»Herr, ich bin mir nicht sicher, ob das eine so wunderbare Idee ist.«

»Halt den Mund!« herrschte Azzie ihn an. »Widersprich mir nicht. Denk daran, daß ich deine Persönlichkeit genauso leicht wie deinen Körper austauschen kann.«

»Ja, Meister.« Frike legte sich gehorsam auf den Tisch. Azzie ergriff ein Skalpell und wetzte es an seinem Absatz.

»Wird es weh tun?« wollte Frike wissen.

»Selbstverständlich wird es weh tun«, erwiderte Azzie. »Die Anästhesie ist noch nicht erfunden worden.«

»Wer, habt Ihr gesagt, ist noch nicht erfunden worden? Anne wer?«

»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, und beiß die Zähne fest zusammen. Ich beginne jetzt zu schneiden.«

KAPITEL 2

Der Märchenprinz lehnte sich aus einem der hohen Fenster des verwunschenen Schlosses. Er war guter Laune, fühlte sich entspannt und zufrieden. Das bewirkt die Liebe bei einem Mann, zumindest eine Zeit lang, und der Prinz erlebte gerade den ersten Taumel.

Trotzdem war es beunruhigend zu beobachten, wie Teile und Stücke des Zauberschlosses verschwanden.

Er betrachtete die Ställe. Sie waren zur Hälfte verschwunden, während er in die andere Richtung gesehen hatte. Er rief sich ins Gedächtnis zurück, daß sie das Schloß möglichst bald verlassen mußten. Es würde nicht mehr lange existieren, wenn die Schutzzauber weiterhin so schnell nachließen.

»Liebling! Komm runter! Unsere Gäste möchten dich kennenlernen!«

Rosenrots Stimme schwebte die Treppe hinauf in das Schlafzimmer, wo der Prinz eigentlich seine Tunika anlegen sollte. Er wollte makellos gekleidet sein, denn er wußte, daß dieses Fest ein großes Ereignis für Rosenrot darstellte. Diesmal war sie es gewesen, die Aschenbrödel und andere Märchenfreunde hatte einladen können. Der Prinz war sich nicht ganz sicher, wie es ihm gefallen würde, daß all seine Freunde fiktive Gestalten aus Märchenerzählungen waren, aber bisher schien es sich ganz gut anzulassen.

Es interessierte ihn sehr, wie das verwunschene Schloß funktionierte. Von seinem Fenster aus konnte er einen Abschnitt des Zufahrtwegs sehen, der zum Schutzwall führte. Plötzlich verschwand ein Teil der Mauer. Ein steinerner Wasserspeier an einer der Zinnen löste sich ebenfalls in Nichts auf.

»Schatz!« rief Rosenrot wieder. »Wo bleibst du?«

Ein etwas ungehaltener und anmaßender Tonfall klang in ihrer Stimme mit… Dem Märchenprinzen wurde bewußt, daß er seine Süße nicht allzu gut kannte. Bisher war er davon ausgegangen, daß sich das ihnen im Märchen versprochene Glück ganz von selbst einstellen würde und er nichts dazu beitragen müßte. Nun gut…

Er warf einen letzten prüfenden Blick in den hohen Spiegel und stieg dann die Treppe hinab. Im großen Ballsaal unter ihm gab ein Orchester in schwarzen Krawatten und weißen Perücken ein Potpourri verschiedener Melodien zum besten. Die Gäste standen unter großen Kristallüstern herum, tranken Champagner und knabberten an belegten Schnittchen.

Da war Rosenrot, Arm in Arm mit Aschenbrödel, die ihre beste Freundin geworden war. Aschenbrödel hatte auch die Idee gehabt, ein Aufweckungsfest für Rosenrot zu veranstalten, das gleichzeitig die Verlobungsfeier für den Märchenprinzen und seine Prinzessin sein sollte.

Der Prinz erkannte zwei berühmte Iren unter den Gästen, Cuchulain und Finn McCool. Als er sich umsah, entdeckte er weitere Helden aus Frankreich, Deutschland und dem Orient – Roland, Siegfried und Aladin.

Sie sahen ihn ebenfalls, und allgemeiner Applaus brandete auf. »Gut gemacht, Alter!« und ähnliche Sprüche erklangen, was man immer gern hörte, wenn man gerade eine Schlummernde Prinzessin aufgeweckt hatte. Die Gäste sangen lautstark: »For he’s a Jolly Good Hero.«

Ja, das Leben konnte gar nicht mehr viel besser werden, fand der Märchenprinz. Auch wenn ihm Teile seines verwunschenen Schlosses abhanden kamen, auch wenn Prinzessin Rosenrot etwas nörglerischer war, als er es sich vorgestellt hatte, war der Augenblick des Triumphs doch süß.

Deshalb fühlte er sich um so unbehaglicher, als ein lautes Klopfen am Hauptportal ertönte. Es hallte durch das ganze Schloß. Alle Gäste blieben reglos stehen und starrten in Richtung des Eingangs.

Mist, sagte sich der Märchenprinz. Gute Ereignisse kündigten sich gewöhnlich nicht mit so viel Nachdruck an.

»Wer ist da?« rief er.

»Jemand, der einen Gefallen erbittet«, erwiderte eine gedämpfte Stimme.

Im ersten Moment wollte der Märchenprinz den Unbekannten abweisen, doch dann wurde ihm klar, daß er an diesem Tag des Triumphs für alles offen sein mußte. Sagenhelden, die im Begriff sind, eine Schlummernde Prinzessin zu heiraten, verweigern niemandem den Zutritt ins verwunschene Schloß, wie schlecht die Vorzeichen auch sein mögen.

»Tja«, sagte er, »ich habe im Augenblick wirklich keine Zeit für einen großen Gefallen, aber vielleicht ein kleiner Gefallen…«

Er entriegelte die Tür. Der Mann, der daraufhin eintrat, erinnerte ihn an irgend jemanden. Wo konnte er diesem großen Krieger mit dem grimmigen Gesicht und dem bis tief über die Ohren gezogenen Bronzehelm schon einmal begegnet sein?

»Wer seid Ihr?« fragte er.

Der Krieger schob den Helm zurück, und der Märchenprinz blickte in das bärtige und halb wahnsinnige Gesicht Frikes.

»Frike!« rief er. »Du bist’s! Aber irgend etwas an dir hat sich verändert… Laß mich einen Moment lang überlegen… Ja, jetzt hab’ ich’s! Du warst früher eher klein und bucklig, und jetzt bist du ziemlich groß, muskulös und hinkst auch nicht mehr.«

»Ihr seid ein aufmerksamer Beobachter«, erwiderte Frike mit einem blutrünstigen Lächeln.

»Was verschafft mir das Vergnügen deines Besuchs?«

»Mein Gebieter, Azzie, hat mich geschickt«, antwortete Frike.

»Ich hoffe, es geht ihm gut.«

»Das tut es. Er hat mich geschickt, um etwas für ihn zu besorgen, das ich hier hineinstecken soll.« Er öffnete eine Ledertasche, der ein scharfer Geruch entströmte.

»Essig!« entfuhr es dem Märchenprinzen.

»Richtig erkannt«, bestätigte Frike.

»Und warum bringst du eine mit Essig gefüllte Tasche in dieses verzauberte Schloß mit?«

»Der Essig dient dem Zweck, das zu konservieren, was ich mitnehmen soll.«

Dem Märchenprinzen behagte der Verlauf,, den das Gespräch nahm, nicht sonderlich, aber er erkundigte sich trotzdem: »Und was sollst du, in Essig eingelegt, von hier zurückbringen?«

»Ah, Bursche. Es ist dein Kopf, den zu holen ich gekommen bin.«

»Mein Kopf?« schrie der Märchenprinz. »Aber wieso sollte Onkel Azzie mir so etwas antun wollen?«

»Er ist wütend auf dich, Junge, weil Prinzessin Rosenrot dich nicht wie vorgesehen getötet hat. Dadurch hat er den Wettkampf verloren, der am Vorabend jeder Jahrtausendwende zwischen den Mächten der Finsternis und des Lichtes ausgetragen wird. Er ist der Meinung, daß du verschlagen und unzuverlässig bist, und er fordert deinen Kopf.«

»Aber es war nicht mein Fehler, Frike! Und selbst wenn, warum sollte Azzie einen Groll gegen mich nur wegen des Versuchs hegen, mein Leben zu retten?«

»Es ist unlogisch, das gebe ich zu«, entgegnete Frike, »aber was kann ich tun? Er ist ein Dämon, und er ist böse, sehr böse. Er will deinen Kopf, und ich bin hier, um ihn zu holen. Ich sage es dir nur äußerst ungern ausgerechnet an deinem Hochzeitstag, aber ich habe keinen Einfluß auf die Zeitplanung. Sag deiner Prinzessin Lebewohl. Hoffentlich hast du genießen können, was sie zu bieten hat, denn du wirst keine weitere Gelegenheit mehr dazu bekommen, nachdem ich mir deinen Kopf geholt habe.«

»Du meinst das wirklich ernst, nicht wahr?« vergewisserte sich der Märchenprinz.

»Davon solltest du lieber ausgehen. Tut mir leid, Kleiner, aber so läuft das nun mal im Märchenland. Bist du bereit?«

»Warte!«

»Nein, ich werde auf gar nichts warten!«

»Aber ich habe kein Schwert!«

»Kein Schwert?« fragte Frike und ließ seine Waffe sinken. »Aber du brauchst ein Schwert! Wo ist es?«

»Ich muß es erst holen.«

»Man erwartet von dir, jederzeit ein Schwert bei dir zu haben.«

»Sei ein bißchen nachsichtig, schließlich ist es mein Hochzeitstag.«

»Na schön, dann hol dein Schwert, aber beeil dich.«

»Frike, du warst praktisch wie ein Vater zu mir. Wie kannst du so etwas tun?«

»Nun, ich spiele eine ziemlich traditionelle Rolle in diesem Stück«, erklärte Frike, »die des verkrüppelten Dieners, der eine recht mitfühlende Seele, aber auch einen fatalen Hang zum Bösen hat. Es ist nichts Persönliches, aber wir müssen die Sache mit dem Schwert ausfechten.«

»Mist, also gut«, sagte der Märchenprinz. »Warte hier. Ich hole mein Schwert.«

»Ich werde warten«, versicherte Frike und ging zum Büfett, um die Appetithäppchen zu probieren.

Nachdem fast eine halbe Stunde verstrichen und der Prinz immer noch nicht zurückgekommen war, machte sich Rosenrot auf die Suche nach ihm. Sie fand ihn in den noch verbliebenen Überresten des Stalls. Er war gerade damit fertig geworden, die schnellste Ziege zu satteln, die er auftreiben konnte.

»Was fällt dir eigentlich ein?« fragte Rosenrot. »Wo willst du hin?«

»Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll«, erwiderte der Märchenprinz, »aber ich glaube, ich muß von hier verschwinden.«

»Feigling!« zischte Rosenrot.

»Flittchen!« fauchte der Märchenprinz.

»Aber unser neues gemeinsames Leben hat kaum begonnen!«

»Was habe ich von einem neuen Leben, wenn ich viel zu tot bin, um es genießen zu können?«

»Vielleicht kannst du Frike besiegen!«

»Das glaube ich nicht«, sagte der Prinz. »Aber ganz ehrlich, ich bin auch nicht glücklich darüber, einfach so wegzulaufen. Ich brauchte jetzt wirklich dringend den Rat eines weisen Geistes.«

Es gab einen Lichtblitz.

»Ich dachte schon, du würdest niemals fragen«, klang eine Stimme auf.

Es war Hermes Trismegistus.

KAPITEL 3

Der Halbgott hatte nie attraktiver ausgesehen. Sein dunkler Umhang, den er kunstvoll um seinen kräftigen marmorweißen Körper geschlungen hatte, war überirdisch schön. Jede Strähne seines hyazinthfarbenen Haars saß perfekt. Seine Augen, die einen leichten orientalischen Einschlag aufwiesen, vervollkommneten die Herrlichkeit seiner Erscheinung und verliehen ihm eine Aura unaussprechlicher Weisheit, wozu sein leerer Blick – seine Augen besaßen der klassischen Mode gemäß keine Pupillen – nicht unmaßgeblich beitrug. Selbst seinen Sandalen haftete die Ausstrahlung von Weisheit an.

»O Hermes«, klagte der Märchenprinz, »was Azzie tut, ist nicht fair! Frike auszuschicken, um meinen Kopf zu holen, und das alles nur, weil sein Plan, mich von Prinzessin Rosenrot ermorden zu lassen, fehlgeschlagen ist.«

»Das erscheint allerdings unfair«, bestätigte Hermes. »Aber wer hat jemals behauptet, Dämonen wären fair?«

»Hat er denn nach den übernatürlichen Gesetzen überhaupt das Recht, seinen Diener damit zu beauftragen, meinen Kopf zu holen?«

»Mal sehen«, sagte Hermes. Er zog eine umfangreiche Schriftrolle aus den Falten seines Umhangs hervor und warf sie in die Luft. Sie entrollte sich, während sie weiter in die Höhe stieg.

Hermes schnippte mit den Fingern. Eine kleine gefleckte Eule erschien.

»Such mir die entsprechende Passage über die Gesetze heraus, die das Verhalten von Dämonenassistenten regeln«, befahl er.

»Wird gemacht«, erwiderte die Eule und flatterte über die endlos lange Schriftrolle. Schließlich schoß sie auf einen bestimmten Abschnitt zu, packte ihn mit dem Schnabel und brachte ihn Hermes.

Der Halbgott las den Eintrag und schüttelte bedauernd den Kopf. »Es ist, wie ich es befürchtet habe. Da er dich erschaffen hat, darf Azzie mittels eines Dieners alles mit dir machen, was er will. Genaugenommen hat er dich zwar nicht erschaffen, sondern dich zusammengebastelt, aber das läuft auf das gleiche hinaus.«

»Und wieso gibt ihm das das Recht, über mein Leben und meinen Tod zu entscheiden?«

»So läuft das nun mal im Erschaffungsspiel. Aber du brauchst es dir nicht tatenlos gefallen zu lassen.«

»Was kann ich tun?«

»Töte Frike.«

»Glaubt Ihr, daß ich eine Chance hätte? Er scheint mir furchtbar stark zu sein.«

»Ja, aber du bist ein Held. Vielleicht, wenn du ein gutes Schwert hättest…«

»Ich hatte Excalibur, aber wir haben uns getrennt. Es wollte mich töten.«

»Du mußt es dir wiederbesorgen. Es bedarf eines magischen Schwertes, um den mit übernatürlichen Kräften versehenen Assistenten eines Dämons zu töten.«

»Ich glaube, ich sollte vielleicht noch erwähnen, daß ich mich außerdem sehr fürchte«, sagte der Märchenprinz.

»Das liegt daran, daß Azzie dir das Herz eines Feiglings gegeben hat. Aber mach dir deswegen keine Sorgen. Alle Menschen fürchten sich.«

»Alle?«

»Diejenigen, die zu mutig sind, um sich zu fürchten, sterben zu früh, als daß man sich ihrer erinnern würde. Feigheit ist nichts, weswegen man sich schämen müßte, Prinz. Sie ist wie die Masern – die meisten Menschen erwischt es mindestens einmal im Leben. Ignorier sie einfach, und sie wird verschwinden. Mach ohne sie weiter. Die Metapher ist vielleicht etwas unklar, deine Pflicht dagegen nicht. Mach dich auf den Weg und finde das Schwert. Befiehl deinem feigen Herz, nicht mehr zu zittern, vernichte diesen Schurken namens Frike und bleib für immer bei deiner Prinzessin. Sie ist übrigens sehr hübsch.«

»Ja, das ist sie«, sagte der Märchenprinz. »Aber ich fürchte, sie ist etwas zickig.«

»Das sind die guten Frauen immer«, erwiderte Hermes. »Komm, laß uns das Schwert holen.«

KAPITEL 4

Dem Märchenprinzen und Hermes blieb nicht viel Zeit, Excalibur zu finden. Ihr erster Weg führte sie in das Amt für verschollene Schwerter auf dem Planeten Oaqsis IV. Dort gab es ein Zentralregister mit den Schwingungsabdrücken sämtlicher jemals geschmiedeter Schwerter. Hermes entdeckte eine Spur von Excalibur und verfolgte sie zurück auf die Erde, den Märchenprinzen im Schlepptau.

Dort fand sich der Prinz in einer Taverne wieder. Er folgte Hermes in eine Küche, wo er ein Schwert voller Kerben und Scharten erblickte, das aber unverkennbar sehr scharf war und von einem Küchenjungen dazu benutzt wurde, Rettiche und Rüben zu enthaupten, Kohlköpfe auszuweiden, Karotten niederzumetzeln und all die anderen unwürdigen Arbeiten zu erledigen, die im Leben von häuslichem Stahl so anfallen. Und trotzdem erkannte das Schwert den Märchenprinzen auf den ersten Blick wieder.

»Gebieter, ich bin hier!« rief es mit brechender Stimme. »Euer verlassenes Schwert!«

»Was ist mit dir geschehen?« fragte der Prinz. »Mußtest du wirklich Gemüse schneiden?«

»Das ist nicht meine Schuld«, verteidigte sich das Schwert. »Wie kann ich mich gegen die Aufgaben wehren, die man von mir verlangt? Nehmt mich wieder bei Euch auf, Gebieter, und ich werde Euch gute Dienste leisten.«

»Dann komm«, sagte der Märchenprinz, Das Schwert hechtete in seine Hand. Ein Tavernenknecht erweckte den Eindruck, als wolle er einen Streit vom Zaum brechen, aber ein flüchtiger Blick auf den schimmernden Stahl in der Hand des Märchenprinzen genügte, ihn eines Besseren zu belehren. Und so geschah es, daß der Prinz durch Hermes’ magische Hilfe mit Excalibur in der Hand in das verwunschene Schloß zurückkehren konnte.

Als Frike ihn erblickte, legte er ein mit gehackter Hühnerleber bestrichenes Plätzchen beiseite, an dem er herumgeknabbert hatte, um sich die Wartezeit zu verkürzen, wischte sich den Mund mit dem Hemdsärmel ab und fragte: »Bist du bereit?«

»Aye, das bin ich!«

»Dann nichts wie los!«

Die Schwerter klirrten aufeinander, der Kampf entbrannte.

KAPITEL 5

Excalibur ächzte unter der Wucht von Frikes Hieb. Die Klinge bog sich wie ein Weidenzweig zurück und peitschte dann vor. Sie fuhr hart auf Frikes Helm hinab und zwang ihn zum Rückzug. Frike machte zwei Ausfallschritte, dann hatte er das Gleichgewicht wiedergefunden, stürmte erneut vor, und sein Schwert vollführte einen verwirrenden Wirbel aus Angriffsschlägen und Finten. Excalibur erwiderte die Hiebe und Stöße mit der gleichen Vehemenz und mit unerschrockener Geschicklichkeit. Die Gäste, die sich auf der Treppe und der Balustrade versammelt hatten, um den Kampf zu verfolgen, keuchten und hielten den Atem an.

Und dann huschte ein Grinsen über Frikes Gesicht, denn er kannte Excaliburs Schwachstelle. Es war ein wahnsinniges Dämonenschwert, das auf ein bestimmtes Signal eines höllischen Meisters hin diesem gehorchte. Frike, auf den diese Bezeichnung mittlerweile hundertprozentig zutraf, wartete, bis sich die Schwerter wieder gekreuzt hatten, und rief dann: »Komm zu deinem Herrn und Meister, o mächtiges Excalibur! Komm zu mir!«

»Ich denke nicht daran!« knurrte Excalibur und schlug ihm den rechten Arm ab.

»Ich befehle es dir!« schrie Frike, der in seiner berserkerhaften Raserei keinen Schmerz verspürte und mit seiner intakten – oder besser gesagt, mit seiner noch verbliebenen – Hand, der linken und finsteren, eine Streitaxt über seinen Kopf wirbeln ließ.

»Aber Ihr habt es nicht auf Runisch gesagt«, erwiderte Excalibur und hackte, der kühnen Ausholbewegung des Märchenprinzen gehorsam folgend, Frike auch den anderen Arm ab.

»Erspar mir diese dämlichen Spitzfindigkeiten!« brüllte Frike, der jetzt mit beiden Füßen angriff, die mit tückisch scharfen, sichelförmig gebogenen Klingen bewehrt waren. »Im Namen der Alten Bösen beschwöre ich dich, komm jetzt zu mir, und zwar auf der Stelle und ohne jedes weitere Palaver!«

»Nun, wenn es das ist, was Ihr begehrt«, rief Excalibur, »dann soll es so geschehen!« Und das große schimmernde Schwert sprang dem Märchenprinzen aus der Hand, beschrieb einen kunstvollen Bogen durch die Luft, schoß mit der Spitze voran auf Frike zu und hielt erst wieder inne, als es seine Rüstung durchbohrt hatte und auf der anderen Seite wieder hervorgetreten war. , »O weh, ich bin erledigt«, seufzte Frike.

Der Märchenprinz wirbelte herum, sah die Prinzessin mit flammenden Augen an und beschloß, alle Zweifel endgültig aus der Welt zu schaffen.

»So gib mir denn noch einen letzten Kuß!« rief er. »Und dann erdolche mich nach Herzenslust, wenn du noch immer diesen Wunsch in dir verspürst. Denn kein Tod kann süßer sein als der, den die Geliebte bringt im Augenblick, der höchstes Glück versprechen würde, wenn das Geschick nur einen anderen Verlauf genommen hätte.«

»Ich werde dich mit Küssen überschütten und dann mit tausend Küssen mehr, um dich für alle Küsse zu entschädigen, die wir bisher getauscht!« erwiderte Rosenrot. »Sprich nicht vom Tod. Das ist vergangen und vorbei. Jetzt werden wir für immer glücklich sein.«

Und so geschah es.

KAPITEL 6

Mondtau war ein junger Geist, dessen Sexualität noch nicht erwacht war. Auch wenn man ihn als »er« bezeichnete, war er in geschlechtlicher Hinsicht ein Neutrum. Agrippa dagegen war ein alter Geist, der schon ziemlich viel erlebt hatte und mehr als nur ein bißchen ausgelaugt war. Allerdings mochte er junge Geister, und vielleicht war es ein wenig sportlicher Ehrgeiz gewesen, der ihn dazu veranlaßt hatte, Mondtau einzuladen. Ihm gefiel die naive Art, wie junge Geister reagierten. Das gab ihm so etwas wie ein Gefühl der Überlegenheit.

Sie erreichten den Nordeingang des Limbus’ pünktlich zum Beginn der Jahrtausendpreisverleihungsfeier. Gemeinsam stiegen sie die Wolkentreppe empor, die zu dem Gebäude führte, in dem das Bankett stattfand. Es ist nicht einfach, auf Wolken zu gehen, nicht einmal für einen Dämon. Schon nach kürzester Zeit begann Mondtau, sich zu beklagen.

»Ich habe die Lauferei satt«, sagte er. »Laß uns fliegen.«

»Das ist nicht gestattet«, erwiderte Agrippa.

»Aber wir fliegen doch immer! Erinnerst du dich noch an dieses Flugspiel, das du mir beigebracht hast?«

»Bitte, laß uns hier nicht davon sprechen. Es heißt, daß wir heute zu Ehren Adams, des Urahnen unserer Opfer, zu Fuß gehen sollen.«

»Adam, Schmadam«, nörgelte Mondtau. »Ich möchte meine neuen Klamotten nicht verschwitzen.«

»Hör auf, dich zu beschweren«, sagte Agrippa.

Vor ihnen lag eine große Wolkenwiese, die sich endlos wie eine Metapher auszudehnen schien. Korinthische Säulen unterstrichen das klassische Aussehen.

Die beiden Geister traten vor das Eingangstor. Ein Dämon mit einer weißen Perücke und beigen Seidenstrümpfen überprüfte Agrippas Einladung, indem er sie gegen das Licht hielt, um sich zu vergewissern, daß sie auch das richtige Wasserzeichen hatte. Die Jahrtausendpreisverleihung war ein derart wichtiges gesellschaftliches Ereignis, daß viele spirituelle Wesen versuchten, sich mit Lügen und gefälschten Papieren hineinzuschmuggeln. Zum Glück besaß Agrippa hervorragende Verbindungen zum Hohen Dämonenrat, für dessen Mitglieder er Parties schmiß und literarische Soireen veranstaltete, und so hatte er für sich und seinen Freund Plätze für das Bankett organisieren können.

Der Türsteher hatte sich von Gültigkeit der Einladung überzeugt und ließ die beiden passieren.

Im Bankettsaal kamen sie zu einem Tisch, der so lang war, daß sein Anfang und Ende außer Sichtweite lagen. Glücklicherweise befanden sich ihre Plätze halbwegs in der Mitte, durch kleine Namensschilder in Form von Papierfähnchen gekennzeichnet, die in Pampelmusen steckten.

Sie setzten sich und nickten ihren Tischnachbarn zu. Die Ansprachen hatten bereits begonnen. Agrippa saß neben einem nubischen Engel mit einem ebenholzschwarzen Heiligenschein. Mondtau blickte sich um, noch immer ziemlich überwältigt, und sah, daß Speisen herumgereicht wurden.

»Darf ich jetzt essen?« fragte er Agrippa leise.

»Ja, aber benimm dich nicht wie ein Schwein.«

Mondtau knurrte etwas Unverständliches und spießte eine Truthahnkeule von einem Tablett auf, das die Runde machte. Dazu schnappte er sich ein Glas Meskaljauche. Ein Drachenembryo auf dem Grund des Glases bürgte für die Echtheit des Getränks. Mondtau kaute, ließ seine Blicke wandern und starrte das hochgewachsene blonde Geschöpf mit den großen blauen Augen an, das ihm schräg gegenübersaß. »Verdammt heiß«, sagte er zu Agrippa. »Das nenne ich sexy.«

»Schlag dir das aus dem Kopf«, erwiderte Agrippa. »Das ist ein Engel und nichts für deinesgleichen.«

Es war allgemein bekannt, daß Dämonen ständig scharf auf Engel waren, die sich, wie behauptet wird, von der ihnen entgegengebrachten Aufmerksamkeit geschmeichelt fühlten. Die Bankette im Rahmen der Preisverleihungen gehörten zu den wenigen Gelegenheiten, bei denen beide Seiten die Möglichkeit hatten, ungehindert miteinander zu verkehren.

Kellner eilten geschäftig mit Tabletts voller Speisen und Getränke hin und her. Viele von ihnen trugen ethnische Masken, die in himmlischen Kreisen so beliebt waren. Die Masken paßten zu den servierten Speisen. Italienische Engel brachten winzige Pizzae, vietnamesische Engel Eierteigrollen und Phosuppe, und arabische Geister trugen Silberteller, auf denen sich Kebabs türmten.

Das Essen war selbstverständlich gut, aber Mondtau war mehr an starken Getränken interessiert. »Reich mir mal die Jauche rüber«, bat er einen großen dürren Geist, der auf der anderen Seite des Tisches saß. Auch Agrippa kam allmählich in Stimmung. Mondtau überlegte, ob er sich zu einer Gruppe von Teufeln gesellen sollte, die sich in eine Ecke zurückgezogen hatten, wo sie einander unter unablässigem Kichern Jauche aus ihren Schuhen einflößten. An einem anderen Abschnitt des Tisches zerteilte ein dicker Dämon in einem Clownskostüm eine riesige Torte, aus der 24 Amseln emporstiegen, die über den Köpfen der Gäste herumflatterten.

»Amüsierst du dich gut?« erkundigte sich Agrippa bei Mondtau.

»Es ist nicht schlecht«, gab Mondtau zurück. »Wer ist denn das dort drüben, der so mit den Händen herumfuchtelt?«

»Das ist Asmodeus«, sagte Agrippa. »Er ist für diese Sektion des Banketts verantwortlich.«

»Und die dunkle Dame neben ihm?«

»Das ist Hekate, die Königin der Nacht. Falls sie in deine Richtung sehen, dann lächle nur und heb dein Glas. Sie sind sehr wichtige Persönlichkeiten.«

»Du brauchst mir nicht vorzuschreiben, wie ich mich benehmen muß. Was macht Asmodeus da? Er scheint etwas zu lesen. Ich wußte gar nicht daß Dämonenfürsten lesen können.«

»Sehr witzig«, sagte Agrippa. »Wenn er dich solche Sprüche klopfen hört, wirst du schon herausfinden, wie lustig er das findet.« Er sah genauer hin. »Anscheinend liest er die Notizen zu seiner Rede.«

»Was für eine Rede?« wollte Mondtau wissen. »Du hast mir nichts von Reden erzählt.«

»Ich dachte, du hättest begriffen, worum es hier geht.«

»Nur um irgendeine große Feier, oder?«

»Es ist sehr viel mehr als das«, erklärte Agrippa. »Heute wird der Gewinner des Jahrtausendwettkampfs bekanntgegeben, der festlegt, welche Seite die Geschicke der Menschheit während der nächsten tausend Jahre bestimmt.«

»Ist das denn so wichtig, das Schicksal der Menschheit?« fragte Mondtau.

»Vielleicht nicht für uns«, erwiderte Agrippa. »Für die Menschen allerdings bedeutet es eine ganze Menge.«

Ein Namenloses Grauen, das einen intensiven Reptiliengestank verströmte, ging vorbei. Sein Begleiter, ein Leichenfresser, fragte: »Hast du gehört, was mit dem Beitrag des Guten passiert ist?«

Das Namenlose Entsetzen knurrte verneinend.

»Das ganze verdammte Ding ist in sich zusammengestürzt! Hat einen schönen Trümmerhaufen gegeben, mit den Buntglasfenstern und allem anderen. Nur schade um die Wasserspeier.«

»Wie ist das passiert?« grollte das Namenlose Grauen.

»Es hatte irgendwas mit den Verstrebungen und Stützpfeilern zu tun, aber ich kenne mich mit der Statik nicht aus. Das Gute anscheinend auch nicht, har, har!«

»Ich möchte noch mehr trinken«, maulte Mondtau. »Du hast mir versprochen, daß ich viel Spaß haben würde.«

»Da kommt der Kellner mit der Jauche schon«, sagte Agrippa. »Bitte, sei nicht albern.«

»Ich werde so viel trinken, wie ich will«, entgegnete Mondtau und schnappte sich eine Flasche Jauche. »Und das wird bestimmt eine ganze Menge werden. Es ist nie albern, sich bis zum Exzeß zu besaufen.«

Im hinteren Bereich des Saales machte sich Unruhe breit. Gerade war ein fuchsgesichtiger Dämon eingetreten, der sich schwankend seinen Weg bahnte, wobei er mit Kellnern zusammenprallte, die Gäste anrempelte und die Speisen von den Tischen fegte, an denen er vorbeitorkelte. Gemurmel begleitete seinen Weg.

»Wie unhöflich!«

»Ist das nicht…?«

»Ist das…?«

»Sieht wie Azzie aus.«

»War der nicht mit einem Beitrag im Wettkampf?«

»Ich frage mich, was da passiert ist.«

»He, Azzie! Alles klar mit dir?«

»Ich habe gehört, daß er großen Mist gebaut haben soll.«

»Ich dachte, er wäre immer noch in den Gruben.«

»Sieht aus, als wäre er bis zu den Ohren abgefüllt.«

»Eh, paß doch auf, Kerl!«

»Was kann man schon anderes von einem betrunkenen Dämon erwarten?«

»Was wollte er überhaupt mit einem Glasberg?«

»Heiz ihnen richtig ein, Azzie!«

»Ja! Pech und Schwefel und das ganze Zeugs!«

Mondtau wurde widerspenstig. Agrippa fand ihn längst nicht mehr so anziehend wie vorher. Und jetzt war das Bankett voll in Fahrt gekommen. Unablässig wurde Essen gereicht, von Dämonen in schwarzen Smokings auf Silbertabletts herbeigeschafft. Darunter waren einige außergewöhnliche Gerichte, wie beispielsweise Milchchimären. Alle möglichen Speisen waren mit handgeschriebenen Zetteln versehen, die den Gästen verrieten, was sie sich aussuchten. Einige Gerichte konnten sich sogar selbst anpreisen. »Hallo«, sagten die geschmorten Rüben, »wir schmecken köstlich.«

Der Lärm all der plappernden Geschöpfe nahm allmählich eine ohrenbetäubende Lautstärke an. Wer sich mit einem Gast unterhalten wollte, der mehr als zwei oder drei Sitze entfernt saß, mußte sich der Seemuscheltelefone bedienen, die neben jedem Platz standen.

Auf einer Art Laufsteg, der sich über die gesamte Länge des Festtisches erstreckte, wurden Abbildungen der größten Sensationen aus der Vergangenheit präsentiert, Höhepunkte des Makabren und künstlerischer Glanzleistungen. Die Abstammungslinie und die Verdienste eines jeden Gastes, der neu eintraf, mußten von dem Zeremonienmeister im weißen Pelz verkündet werden.

Azzie drängelte sich weiter vor, wobei er eine Kielwelle des Chaos hinter sich herzog.

Schließlich erhob sich Asmodeus. Er war dick, seine weiße Haut hatte einen Stich ins Grünliche. Seine Unterlippe ragte so weit vor, daß ein Unterteller bequem darauf Platz gefunden hätte. Er trug ein flaschengrünes Smokingjackett, und als er sich umdrehte, konnte man seinen gekringelten Schweineschwanz erkennen.

»Hallo, Freunde«, begann er. »Ich denke, wir alle wissen, warum wir hier sind, nicht wahr?«

»Um uns zu besaufen!« rief ein häßlicher Geist.

»Sicher, deswegen natürlich auch«, erwiderte Asmodeus. »Aber heute abend betrinken wir uns aus einem ganz bestimmten Anlaß, und zwar, um den Vorabend der Jahrtausendwende zu feiern und den Gewinner des Wettkampfs bekannt zugeben. Ich weiß, Sie alle warten bereits ungeduldig darauf, zu erfahren, wer es ist, aber Sie werden sich noch etwas gedulden müssen. Vorher wollen wir noch einige besondere Ehrengäste begrüßen.«

Azzie arbeitete sich in den vorderen Bereich des Saales vor.

Asmodeus begann, Namen aufzurufen, worauf sich verschiedene Geister erhoben und verbeugten. Sie lächelten und grinsten, vollführten Kratzfüße und verneigten sich vor dem begeisterten Publikum. Der Rote Tod wurde vorgestellt und stand auf. Er war hochgewachsen und von Kopf bis Fuß in einen blutroten Umhang gehüllt. Über der Schulter trug er eine Sense.

»Wer ist das Pärchen dort drüben?« erkundigte sich Mondtau. »Der große blonde Engel und die kleine dunkle Hexe.«

»Der Engel heißt Babriel«, antwortete Agrippa. »Die Hexe ist Ylith, eine gute Freundin von Azzie, einem unserer interessanteren und aktiveren Dämonen. Ich glaube, er ist gerade vorbeigegangen.«

»Ich habe von ihm gehört«, sagte Mondtau. »Er hat irgend etwas Besonderes für die diesjährigen Feierlichkeiten vorbereitet, nicht wahr?«

»So heißt es. Da ist er gerade, dort vorne. Sieht so aus, als hätte er einen ziemlich großen Vorsprung vor uns. Ich frage mich, was er vorhat.«

Azzie kletterte auf einen Tisch, sehr zum Befremden der Gäste, die dort saßen. Er schwankte, atmete Rauchwolken aus, und unter seinen Füßen sprühten Funken hervor.

Er setzte mehrfach an, etwas zu sagen, brachte jedoch keinen Laut hervor. Schließlich riß er einem Gast eine Flasche aus den Klauen, hob sie an die Lippen und leerte sie.

»Trottel! Schweine! Bastarde!« brüllte er dann. »Ihr mehr als nur hirnloses Pack! Ich wende mich besonders an meine sogenannten Brüder der Finsternis, deren Vertreter in diesem Wettstreit ich gewesen bin und die mich durch ihre Gleichgültigkeit schändlichst verraten haben. Wir hätten gewinnen können, Jungs und Mädels! Wir hatten die Chance. Mein Konzept war glorreich und einzigartig, und es hätte funktionieren können!«

Er legte eine kurze Pause ein und hustete. Irgend jemand reichte ihm eine weitere Flasche, und er trank einen Schluck. Im Saal war es mittlerweile ruhig geworden.

»Aber habe ich Unterstützung erhalten?« fuhr Azzie fort. »Kein bißchen! Die Idioten in der Abteilung für Ausrüstung und Zubehör haben sich so verhalten, als würde ich das alles nur zur Förderung meiner eigenen Karriere tun und nicht im Interesse und zur weitaus größeren Ehre von uns allen. Ach, verdammt! Ich habe mehr Hilfe von diesem Trottel Babriel erhalten, dem Beobachter mit dem dämlichen Gesichtsausdruck von den Mächten des Lichtes, als von irgend jemandem von euch. Und ihr wagt es, euch übel zu nennen! Ihr seid der lebende Beweis für die Banalität des Bösen, jeder einzelne von euch! Und jetzt sitzt ihr hier, feiert und wartet auf die Bekanntgabe des Siegers. Ich sage euch, Freunde, das Böse ist in letzter Zeit langweilig und dumm geworden. Wir von den Mächten der Finsternis haben die Möglichkeit verspielt, die Geschicke der Menschheit zu lenken.«

Azzie blickte sich um. Alle warteten schweigend darauf, daß er fortfuhr. Er stolzierte über den Tisch, trank noch einen tiefen Zug und schwankte erneut, bevor er das Gleichgewicht wiederfand.

»Darum rufe ich euch zu, zur Hölle mit euch allen! Ich werde mich jetzt zurückziehen, um mich auszuruhen und nachzudenken. Diese ganze Veranstaltung war äußerst ermüdend. Aber ich möchte euch allen versichern, daß das noch nicht mein Ende ist. Ganz und gar nicht. Ich habe immer noch ein paar Tricks auf Lager, Herrschaften! Wartet ab und seht selbst, was ich als nächstes zu eurer Belustigung veranstalte!«

Er schleuderte einen doppelten Reisezauber hervor und verschwand mit einem Donnerschlag. Die versammelten Dämonen und Engel warfen einander besorgte Blicke zu. »Was hat er wohl damit gemeint?« murmelten einige leise.

Sie mußten nicht lange auf die Antwort warten.

Bevor irgend jemand etwas tun konnte, fegte ein Tornado aus der äußeren Realität in den Saal. Er brüllte, riß und zerrte an der Festhalle, begleitet von einem schweren Regenguß. Den älteren Dämonen und Engeln wurden die mit viel Mühe verfaßten Redemanuskripte aus den Händen gerissen und in alle Richtungen zerstreut. Als nächstes regneten Tausende und Millionen von Fröschen herab. Die Wände begannen Blut zu schwitzen, und unangenehme Lichterscheinungen machten sich breit. Und über allem schwebte ein leises dämonisches Gelächter – Azzies Gelächter –, während er den Festsaal mit Gefahren, Scheußlichkeiten und Schrecken heimsuchte.

Alles in allem war es ein höchst denkwürdiger Nachtisch.

KAPITEL 7

Brigitte spielte gerade mit ihrem Puppenhaus, als sie ein Geräusch hinter sich hörte. Sie drehte sich langsam um und wollte schon eine Frage stellen, die aber sofort einem freudigen Quietschen Platz machte, als sie sah, wer dort stand, groß, mit rotem Pelz und einem grausamen Lächeln auf den Lippen.

»Oh, hallo, Azzie! Wie geht es dir?«

»Sehr gut, Brigitte, danke«, erwiderte Azzie. »Und du siehst auch gut aus. Ich kann das Kratzen eines Stifts in einem der oberen Zimmer hören. Deshalb schätze ich, daß Thomas Scrivener seinem Namen gerecht wird und etwas von den Ereignissen aufschreibt, die ihm in letzter Zeit widerfahren sind.«

»Das macht er tatsächlich«, bestätigte Brigitte. »Aber er hat mir auch gesagt, daß er das Ende der Geschichte noch nicht kennt.«

»Es könnte ihn durchaus überraschen«, sagte Azzie. »Ich glaube sogar, daß das Ende uns alle überraschen könnte. Ha, ha, ha.«

»Du kicherst aber finster, Azzie«, stellte Brigitte fest. »Warum bist du gekommen?«

»Um dir ein Geschenk zu bringen, Kind«, antwortete Azzie.

»Ohhh! Zeig es mir!«

»Da ist es.« Azzie zog eine Schachtel aus wertvoller Pappe hervor, öffnete sie und zeigte dem Mädchen die kleine Guillotine.

»Oh, wie schön!« rief Brigitte freudig aus. »Es sieht wie das richtige Gerät aus, um meinen Puppen die Köpfe abzuhacken.«

»Das ist es auch«, versicherte Azzie. »Aber das solltest du wirklich nicht tun, weil du deine Puppen doch liebst und bestimmt furchtbar traurig wärst, wenn sie keine Köpfe mehr hätten.«

»Du hast recht«, sagte Brigitte und begann, über die Vorstellung dieses Verlusts zu schniefen. »Aber wie soll ich denn mit meiner neue Guillotine spielen, wenn ich meinen Puppen nicht die Köpfe abschneiden kann?« Sie sah sich um. »Vielleicht könnte ich einen der frischgeborenen Welpen nehmen…«

»Nein, Brigitte«, fiel ihr Azzie ins Wort. »Ich bin böse, aber ich bin nicht grausam zu Tieren. Für Tierquäler ist eine ganz besondere Hölle reserviert. Siehst du, mein Schatz, diese Spielzeuge müssen sehr vorsichtig und mit dem nötigen Ernst behandelt werden.«

»Es macht aber keinen Spaß, wenn ich niemandem damit den Kopf abhacken kann«, beschwerte sich Brigitte.

Bisher entwickelte sich sein Plan perfekt, der auf der Spielart des Bösen beruhte, die man als niederträchtig bezeichnet.

»Hör auf zu plärren«, sagte Azzie. »Ich werde dir etwas ganz Besonderes bringen.«

»Was denn?«

»Etwas, dem du den Kopf abhacken kannst.«

»Oh, Onkel Azzie!« Brigitte rannte zu ihm und umarmte ihn stürmisch. »Wann bekomme ich das?«

»Bald, mein Liebes, schon sehr bald. Und jetzt sei ein braves Mädchen und spiel weiter. Es wird nicht lange dauern, dann bringt dir Onkel Azzie dein neues Geschenk.«

AUSZEICHNUNGEN

KAPITEL 1

Der Märchenprinz und Prinzessin Rosenrot richteten sich in einem bescheidenen Schloß ein, das Aschenbrödel ihnen empfohlen hatte. Es lag in einer Gegend von großer Naturschönheit am Rhein. Wilde Rosen rankten sich um die Mauern. Der Märchenprinz verwandelte seinen Schild in eine Blumenschale für duftende Kräuter. Geister des Guten tanzten um ihren Herd. Erotische Geister wohnten in ihrem Schlafzimmer.

»Liebling?« klang Rosenrots Stimme auf. »Könntest du mal kurz kommen?«

Der Prinz blickte von seinem Garten auf, in dem er sich um das biologisch gezogene Gemüse kümmerte.

»Wo bist du, Liebste?«

»Im Schlafzimmer.«

»Bin schon unterwegs.«

Hoch oben in der nordwestlichen Ecke des Zimmers öffnete sich verstohlen ein Auge und sah zu, wie der Prinz seine Prinzessin in die Arme schloß, sie küßte und liebkoste. Und als sie auf das große Daunenbett sanken, bewacht von sanftmütigen Geistern des Guten, die ihren Beitrag der glorreichen Jahrtausendwende feierten, beobachtete das Auge die Liebenden noch eine Weile. Es schloß sich erst, als der Prinz Rosenrots Bluse aufschnürte und sie ihr über den Kopf streifte.

KAPITEL 2

In seinem Anwesen in Augsburg schaltete Azzie sein allsehendes Auge ab, einen der letzten Gegenstände, den er sich aus der Abteilung für Ausrüstung und Zubehör besorgt hatte.

Plötzlich hörte er draußen ein Geräusch. Als er aus dem Fenster sah, erblickte er ein Namenloses Grauen, das die Auffahrt entlangging. Es hatte annähernd menschliche Gestalt, trug einen Arm in einer Schlinge und eine Augenklappe.

»Heil, Azzie«, grüßte das Namenlose Grauen.

»Heil auch dir, Namenloses Grauen«, erwiderte Azzie. »Du hast ungefähr fünf Sekunden Zeit, mir zu sagen, warum du mich in meiner ehrfurchtgebietenden Einsamkeit störst, bevor ich dich mit einem Tritt in deinen formlosen Arsch hier raus befördere.«

In den Augenhöhlen der Erscheinung glühte es. Ihr Mund verzog sich zu der Annäherung eines Lächelns.

»Ah, ehrwürdiger Azzie, Sie sprechen genau so, wie ich es erwartet hatte! Wie sehr ich mich danach gesehnt habe, Sie kennenzulernen!«

»Was, zum Teufel, soll das alles?« wollte Azzie wissen.

»Ich bin Ihr größter Bewunderer«, sagte das Grauen, »und ich hoffe, große Taten in der Welt vollbringen zu können. Im Augenblick bin ich bloß ein einfacher Dämonenlehrling, der namenlos grauenhafte Hilfsarbeiten verrichten muß, aber ich weiß, daß diese Zeit vorbeigehen und mir der Status eines Volldämons verliehen werden wird. Und dann hoffe ich, genau wie Sie zu sein!«

»Das ist ja wohl ein Witz«, knurrte Azzie. Er lachte sardonisch, obwohl er sich gegen seinen Willen geschmeichelt fühlte. »Ausgerechnet ich, der Versager, der Verlierer.«

»Sie sind nicht mehr ganz auf dem laufenden«, widersprach das Ding und verfestigte sich ein wenig, um seine Aussprache zu verbessern. »Die Mächte der Finsternis haben beschlossen, Ihnen einen Sonderpreis zu verleihen.« Es übergab Azzie eine kleine Schachtel. Der Dämon öffnete sie und entdeckte darin die kleine stilisierte Statuette eines Dämons, die in scheußlichem Orangerot angefertigt war. Nur die Augen waren grün gefärbt.

»Was für ein Stück Schrott soll das sein?« fragte er.

»Es ist der Sonderpreis für die Beste Böse Tat des Jahrtausends.«

»Aber wofür?«

Das Namenlose Grauen zog eine Schriftrolle irgendwo aus den Tiefen seiner formlosen Kleidung hervor und begann vorzulesen: »Dieser Preis wird als Anerkennung für eine meisterhafte Leistung während des Banketts zum Anlaß der Jahrtausendpreisverleihung vergeben, mit der besagter Azzie Elbub den Ablauf der Feierlichkeiten durch Abscheuliche Heimsuchungen störte und durcheinander brachte und so bewies, daß er trotz des verlorenen Hauptpreises, nämlich des Rechts, die Geschicke der Menschheit während der nächsten tausend Jahre zu bestimmen, die Unverfrorenheit und Dreistigkeit besitzt, die den wahren Arbeiter in den Weinbergen des Bösen auszeichnen.«

Azzie nahm den Preis entgegen und wendete ihn hin und her. Er war wirklich sehr hübsch. Zwar war es nicht der Hauptpreis, den die Mächte des Guten trotz des Fiaskos mit ihrer Kathedrale außer Konkurrenz gewonnen hatten, aber er würde sich sehr gut auf seinem Kaminsims machen.

»Also, vielen Dank, junger Dämon«, sagte Azzie. »Ich nehme an, es ist so eine Art Trostpreis, aber ich freue mich trotzdem. Und du bewunderst mich tatsächlich?«

»Das ist richtig«, bestätigte das Namenlose Grauen, und dann sang es ein paar Strophen einer vollkommen überzogenen Lobeshymne, die jedem anderen Geschöpf peinlich gewesen wäre. Azzie jedoch, der sich nicht von Selbstzweifeln stören ließ – nur von den Unzulänglichkeiten anderer –, war darüber sehr erfreut.

»Ich danke dir, Namenloses Grauen«, sagte er. »Ich nehme den Preis an. Bitte richte dem Komitee aus, daß ich mich geschmeichelt fühle. Und nun geh und tu Böses!«

»Ich habe gehofft, daß Sie das sagen würden«, erwiderte das Ding und machte sich auf den Weg.

KAPITEL 3

Es war sehr schön, den Preis verliehen bekommen zu haben, aber das sollte noch nicht alles gewesen sein. Kurz darauf begann das Licht um das Anwesen in Augsburg heller zu strahlen.

»Was, zur Hölle, ist das nun schon wieder?« murmelte Azzie. Er war gar nicht glücklich über all diese Störungen, die ihn daran hinderten, sich in eine wirklich miese Stimmung zu versetzen.

Die Erscheinung ließ sich Zeit damit, Gestalt anzunehmen. Azzie mußte ziemlich lange warten, bis sie sich schließlich zu Babriel verfestigte.

»Heil, Azzie!« rief Babriel. Er war noch genauso groß und blond und sah nicht weniger dämlich als bei ihrer letzten Begegnung aus.

»Ja, ja, Heil und so weiter und so fort«, erwiderte Azzie. »Ich nehme an, Sie wollen noch ein bißchen auf der Sache rumreiten, richtig?«

»Ganz und gar nicht. Wir sind nie schadenfroh.«

»Stimmt«, sagte Azzie, »und das macht Sie um so unausstehlicher.«

»Sie sind ein großer Witzbold«, gab Babriel zurück. »Aber lassen Sie mich Ihnen erklären, warum ich hier bin.«

»Wenn Sie wollen«, knurrte Azzie. »Das ist mir allerdings ziemlich egal.«

»Auf Grund der mir vom Komitee der Mächte des Lichtes übertragenen Vollmacht«, begann Babriel, der den Text von einer Schriftrolle ablas, die er aus den Falten seines weißen Gewandes hervorgezogen hatte, »verleihen wir hiermit einen Sonderpreis der Mächte des Lichtes an Azzie Elbub, seines Zeichens Dämon, aber nicht endgültig verdammt, für die guten Dienste, die er den Mächten des Lichtes geleistet und mit denen er dazu beigetragen hat, daß wir das Recht erringen konnten, die Geschicke der Menschheit während der nächsten tausend Jahre zu bestimmen.«

Mit diesen Worten zog er eine kleine Abbildung eines Engels von seiner Brust, die einen kränklichen weißgelben Farbton, glitzernde blaue Augen und niedliche kleine Flügel hatte.

»Tja«, sagte Azzie, gegen seinen Willen gerührt, »das ist sehr nett von den Mächten des Lichtes. Wirklich sehr nett.« Er mühte sich redlich ab, noch irgend etwas Widerwärtiges hinzuzufügen, doch dazu war er im Augenblick viel zu überwältigt. Er hatte Preise von den Mächten des Lichtes und der Finsternis bekommen, und er war sich ziemlich sicher, daß er der erste war, dem gleich beide Seiten Auszeichnungen verliehen hatten.

Nachdem Babriel wieder verschwunden war, begann Azzie zu grübeln. Er stellte seine beiden Preise auf einen Tisch und betrachtete sie. Sie waren ziemlich ansehnlich, und ob es ihm nun gefiel oder nicht, er freute sich darüber. Trotzdem kochte noch immer die Wut in ihm, wenn er daran dachte, wie nahe er seinem Ziel gewesen war, den richtigen Preis zu gewinnen, den großen, den Jahrtausendwettkampfpreis. Aber es hatte keinen Sinn, sich noch länger deswegen den Kopf zu zerbrechen.

Was er jetzt brauchte, war ein wenig Ruhe und – merkwürdig, daß ausgerechnet ihm so ein Gedanke kommen sollte – Häuslichkeit, bevor er seine Feinde einschrumpfte und sie Brigitte und ihrer Guillotine übergab. Seine Gedanken wanderten weiter zu Ylith. Er hatte sie in letzter Zeit ziemlich vernachlässigt, weil er so sehr damit beschäftigt gewesen war, seinen Beitrag für den Wettkampf zu organisieren. Aber der war jetzt vorbei.

Azzie dachte nach. Er könnte einen Urlaub vertragen. Es gab da einen hübschen Flecken in Indien, an den er sich erinnerte, wo Generationen von Meuchelmördern gearbeitet und jedes Jahr tausende Opfer getötet hatten. Ihr Trick bestand darin, sich unter die großen Pilgerzüge zu mischen. Die Meuchelmörder hatten einen besonderen Freizeitpark auf dem flachen Gipfel eines niedrigen Berges irgendwo nördlich des Ganges eingerichtet. Azzie war überzeugt davon, ihn wiederfinden zu können. Es würde Spaß machen, dort mit Ylith hinzufahren. Er erinnerte sich an das Freizeitangebot, das dort beim letzten Mal gemacht worden war: Kegeln mit Menschenschädeln, Krocket mit Giraffenhälsen, Tischtennis mit Augäpfeln.

Ja, es wurde Zeit, daß er Ylith etwas Gutes tat.

KAPITEL 4

Genau in diesem Moment läutete die Türglocke. Es war der Postbote. Er lieferte einen riesigen Sack aus Pferdeleder ab, der etwa einen Meter lang war. Der Sack bewegte sich, und ein mitleiderregendes Stöhnen drang aus ihm hervor.

»Wer ist das?« fragte Azzie.

»Ich bin es, Gebieter«, erklang Frikes erstickte Stimme aus dem Sack. »Meister, ich wäre Euch wirklich sehr dankbar, wenn Ihr mich wieder zusammensetzen könntet.«

»Das werde ich auch tun«, versprach Azzie, »aber vorher habe ich noch etwas zu erledigen. Hast du Ylith gesehen?«

»Ich kann von hier drinnen aus überhaupt nichts sehen«, erwiderte Frike. »Könntet Ihr mich – bitte – wiederherstellen?«

Irgend jemand sang in den oberen Stockwerken.

»Alles zu seiner Zeit«, sagte Azzie. »Ich glaube, ich habe Ylith gerade gehört.«

Er eilte die Treppe hinauf. Ja, Ylith sang ein Hexenlied, das schon beim Baubeginn der Pyramiden alt gewesen war. »Bist du da, Ylith?« rief er.

»Am Ende des Flurs!« rief sie zurück.

Azzie lief zum zweiten Schlafzimmer, aus dem ihre Stimme gekommen war, und trat ein. Ylith war dabei, ihren Koffer zu packen. Sie sah blendend aus, aber irgend etwas an ihr schien sich verändert zu haben. Vielleicht ihr Teint? Ja, sie war eindeutig blasser geworden. Und ihre Augen, bisher schwarz wie die Nacht und köstlich finster, waren jetzt kornblumenblau.

»Ylith, was ist dir zugestoßen?« rief Azzie. »Hast du dich an etwas Gutem infiziert? Ich kenne mehrere Zauber und Mittel, um es zu heilen…«

»Mit mir ist alles in Ordnung, Azzie«, erwiderte Ylith. »Was du siehst, sind die sichtbaren Auswirkungen von Glückseligkeit.«

»Aber was hat dich so glücklich gemacht?«

»Mein Lieber, ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll…«

»Dann tu es lieber nicht«, sagte Azzie. »Wenn jemand mit diesen Worten anfängt, bedeutet das mit Sicherheit schlechte Nachrichten, und ich habe vorläufig mehr als genug schlechte Nachrichten gehabt.«

»Was hältst du da in den Händen?« wollte Ylith wissen.

»Oh, das sind zwei Preise. Die eine von den Mächten des Lichtes, die andere von den Mächten der Finsternis. Man war wohl der Meinung, ich hätte sie verdient.«

»Azzie, das ist wunderbar!«

»Ja, sehr nett. Aber hör mir zu, Ylith. Ich habe nachgedacht. Ich habe dich in letzter Zeit nicht besonders gut behandelt, aber du weißt ja, wie das ist, wenn man sich ernsthaft bemüht, Böses zu tun. Ständig im Streß. Also, ich habe dich zu lange links liegen lassen. Deshalb möchte ich jetzt mit dir in ein sehr schönes kleines Hotel in Indien fahren. Zu dieser Jahreszeit ist es herrlich in Indien. Wir könnten faulenzen, uns vergnügen und eine großartige Zeit miteinander verbringen. Was sagst du dazu?«

»Ach, Azzie«, hauchte Ylith. »Wenn du wüßtest, wie sehr ich mich danach gesehnt habe, so etwas von dir zu hören.«

»Schön, jetzt hast du es gehört. Gut, daß du schon packst. Wir können sofort aufbrechen.«

»Schatz, ich sage es dir nicht gerne, aber ich liebe einen anderen.«

»Autsch!« stieß Azzie hervor und setzte sich, stand aber gleich wieder auf. »Nun, wer auch immer es ist, ich denke, er könnte uns begleiten. Es liegt doch in der Natur des Bösen, teilen zu müssen, wenn man nicht teilen will, oder?«

»Ich fürchte, das ist unmöglich«, sagte Ylith. »Babriel wäre damit niemals einverstanden.«

»Babriel?«

»Ja, er ist es, den ich liebe. Er hat mich eingeladen, ihn zu einem hübschen kleinen Ort zu begleiten, wo es grüne Wiesen, verspielte Lämmer und überall leuchtende Frühlingsblumen gibt.«

»Klingt ekelhaft«, kommentierte Azzie. »Was geht nur in dir vor, Ylith? Es liegt nicht in der Natur des Bösen, Gefallen an Lämmern zu finden, es sei denn in Form von gegrillten Koteletts mit etwas Rosmarin und Minzsoße.«

»Immer noch derselbe alte Azzie«, stellte Ylith fest. »Du hast nicht verstanden. Ich bin konvertiert. Ich habe beschlossen, gut zu sein.«

»Nein! Nicht du, Ylith! Du brauchst sofort einen Exorzismus!«

»Das hat überhaupt nichts damit zu tun«, erwiderte sie. »Ich habe mich in Babriel verliebt. Ich möchte mit ihm gehen und jemand sein, den er lieben und respektieren kann.«

Azzie riß sich zusammen und stellte die entscheidende Frage. »Bist du dir sicher, daß du das wirklich willst?«

»Vollkommen. Sieh her!« Sie drehte sich um, und Azzie entdeckte die rudimentären Flügel, die aus ihrem Rücken wuchsen. Sie waren weißer als Schnee, weißer als der Schaum auf der offenen See. Noch waren sie winzig, aber sie würden wachsen. Ylith war ein Geschöpf des Lichtes geworden.

»Das ist abstoßend«, sagte Azzie. »Du wirst es noch bereuen, das verspreche ich dir.«

Er ließ die Tür hinter sich offen, als er aus dem Zimmer stolzierte.

KAPITEL 5

Der Märchenprinz und Prinzessin Rosenrot! Und ihr Glück! Azzie war gegen seinen Willen fasziniert. Er kehrte zu dem magischen Spiegel in seinem Arbeitszimmer zurück. Der Spiegel war groß und hatte einen schwachen bläulichen Farbton. Azzie stolperte auf ihn zu, eine Flasche Jauche in der Hand, und blieb davor stehen. Er starrte in den Spiegel und befahl: »Zeig sie mir!«

»Wen soll ich zeigen?« fragte der Spiegel.

»Das weißt du verdammt genau!« fauchte Azzie.

»Einen Moment Geduld, bitte, während ich die Verbindung herstelle«, erwiderte der Spiegel.

Azzie wartete wutentbrannt. In dem Leder sack neben ihm wanden sich Frikes Körperteile. Er ignorierte sie. Von dämonischer Besessenheit und unheiligem Tatendrang erfaßt, sah er zu, wie der Spiegel zuerst verschwommen, dann wieder langsam klar wurde und den Märchenprinzen und Prinzessin Rosenrot zeigte. Wie hübsch sie waren! In Seide gekleidet, schienen sie ein Symbol all dessen zu sein, was in der Welt gut war. Azzie konnte hören, wie sie mit leisen und wohlklingenden Stimmen Belanglosigkeiten austauschten.

»Bist du mein süßer Schnuckiputz?« fragte Rosenrot.

»Ich bin auf ewig dein«, erwiderte der Märchenprinz. »Ich weiß, daß man in diesen Dingen gewöhnlich nicht an das Ende denkt. Ich weiß, daß die tiefen Spuren des Alters später sagen werden, ich hätte dich schlecht behandelt und du hättest ständig an mir herumgenörgelt. Aber was kümmern uns solche zynischen Betrachtungen? Wir sind jung, verliebt und schön, und im Gegensatz zur landläufigen Erwartung werden wir es noch sehr lange bleiben und uns aufrichtig und herrlich lieben.«

»Wie schön du das gesagt hast!« säuselte Rosenrot und glitt wieder in seine Arme.

»Seid ihr glücklich, ihr zwei?« fragte Azzie. »Das werden wir ja noch sehen. Es muß doch irgend etwas geben, das ich tun kann.«

»Das gibt es, Herr!« erklang es aus dem Leder sack.

»Was denn?« wollte Azzie wissen.

»Ach, Gebieter, nehmt Euch die Zeit, mich wieder zusammenzusetzen, und ich werde es Euch mit Freuden verraten.«

»Es sollte lieber eine gute Idee sein«, murmelte Azzie mürrisch. »Besser als ein schneller Schwerthieb.«

Er öffnete den Ledersack, breitete Frikes Einzelteile auf dem Tisch aus und setzte sie schnell zusammen. In seiner Eile und Trunkenheit pfuschte er ein wenig bei den Armen, aber alles in allem war es eine ansehnliche Arbeit.

»Danke, Herr«, sagte Frike.

»Sprich schon, raus damit!«

»O Gebieter, Ihr könnt Euch noch immer an diesen abscheulich hübschen und glücklichen jungen Leuten rächen. Die unbegrenzte Kreditkarte Herr! Ihr habt sie noch immer!«

»Was für eine gute Idee, Frike! Ich werde ihnen schon bald die Rechnung für ihren Spaß präsentieren!«

Er zog die Karte aus seiner Westentasche und schlug damit zweimal auf eine dazu geeignete widerwärtige Unterlage. Ein kleiner Spalt tat sich für einen Sekundenbruchteil auf, und dann erschien der Angestellte der Abteilung für Ausrüstung und Zubehör.

»Ja, Sie wünschen?«

»Ich habe einen besonderen Wunsch«, sagte Azzie und lächelte bösartig, ein Gesichtsausdruck, den er häufig geübt, aber bisher nie richtig benutzt hatte. Er hatte ihn für eine Gelegenheit wie diese aufgehoben.

»Und der wäre?«

»Erst einmal eine hübsche Katastrophe. Ich möchte das Schloß des Märchenprinzen und seiner Gattin zum Einsturz bringen. Dann brauche ich eine besondere Hölle, in die ich die beiden für ein paar tausend Jahre sperren kann, um ihnen zu beweisen, daß es sich nicht auszahlt, sein Glück vor den Augen eines Dämons zu feiern.«

»Was für eine Katastrophe?« fragte der Angestellte und griff nach Stift und Auftragsformular.

»Nehmen wir ein Erdbeben.«

»Ein Erdbeben wird geliefert«, erwiderte der Angestellte. »Und danach zeige ich Ihnen unsere Kollektion besonderer Höllen.« Er schlug ein großes Buch auf. Plötzlich hob er den Kopf. Eine große Glocke hatte zu läuten begonnen. Azzie hörte es ebenfalls. Auch im Dorf in der Nähe seines Anwesens läuteten die Glocken.

»Was soll das?« fragte er. »Es ist doch nicht Sonntag, oder?«

Frike war zum Fenster geeilt. »Nein, Herr, es ist der Beginn der Feierlichkeiten zur Jahrtausend wende. In den Straßen tanzen die Menschen! O Gebieter, welch Anblick unangebrachter Freude bietet sich da meinen Augen!«

»Zur Hölle damit«, knurrte Azzie. »Worauf warten Sie noch?« fragte er den Angestellten.

Der Mann lächelte niederträchtig und schlug das Buch zu. »Tut mir leid, aber Ihr Auftrag wurde storniert.«

»Was wollen Sie damit sagen? Wenn Sie nicht sofort tun, was ich von Ihnen verlange, mache ich mir aus Ihren Därmen eine Halskette!«

»Nein, das werden Sie nicht tun«, erwiderte der Angestellte. »Es ist der Glockenschlag zum Mittag. Der Jahrtausendwettkampf ist vorüber. Die Hohen Mächte der Finsternis haben Ihre unbegrenzte Kreditkarte gelöscht.«

»Nein, das dürfen sie nicht! Noch nicht! Ich muß noch diese letzte Sache erledigen!«

Er hielt die Karte hoch und wedelte hektisch damit herum. Der Mitarbeiter der Abteilung für Ausrüstung und Zubehör grinste mit böser Befriedigung und machte eine Handbewegung. Die Karte zerschmolz Azzie zwischen den Fingern.

Azzie stieß einen gellenden Schrei aus, in dem Wut, Verwirrung und Wahnsinn mitschwangen. Frike stahl sich davon und versteckte sich in einem kunstvoll geschnitzten Kleiderschrank. Azzie stampfte mit dem Fuß auf. Der Boden unter ihm öffnete sich, und er sank in die Tiefe, immer tiefer und tiefer in einen abgelegenen, finsteren kalten Tunnel, in dem er eine Weile herumwandern und seine Fassung wiederfinden würde. Frike eilte zu dem Loch und spähte hinab. Er konnte Azzie sehen, der unaufhaltsam hinab sank und noch immer Rauchwolken ausstieß.

Und im ganzen Land läuteten die Glocken von Dorf zu Dorf die Jahrtausendwende ein.

Ende

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