Colonel Dean Wharton nahm das Solidobild behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger und starrte auf die blanke Fläche. Langsam färbte sich sein Gesicht dunkel. Das Solido zeigte ein Raumschiff von unzweifelhaft fremder Bauart, das Anstalten traf, auf dem unbewohnten Planeten zu landen, der auf den Karten der Erde die Bezeichnung Bartlett V trug. Bartlett V diente der Erde als ständiger Beobachtungsvorposten. Eine fremde Landung auf ihm stellte einen Angriff auf die Souveränität der Erde dar.
Colonel Wharton legte die Stirn in Falten; das bleiche, unbehagliche Gesicht Leutnant Crosleys musternd, fragte er: »Wann wurde diese Aufnahme gemacht?«
»Vor etwa einer Stunde, Sir. Aber Sie waren im Tiefschlaf, und wir dachten nicht…«
»Natürlich dachten Sie nicht«, sagte Wharton bissig. »Okay, lassen Sie den Rest der Geschichte hören. Ich hoffe, Sie haben dem Schiff eine Warnung zukommen lassen.«
Crosley nickte. »Wir riefen sie auf Breitband auf Terranisch, Galaktisch, Dormirani, Leesor und Fawd an. In jeder Sprache ging ihnen die gleiche Meldung zu, die ihnen befahl, sofort wieder zu starten, da eine Landung ohne vorherige Genehmigung verboten ist. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie die Landung bereits ausgeführt. Ihre Position ist schätzungsweise einhundertzwanzig Meilen nordöstlich, auf dem Creston Plateau.«
»Bekamen Sie eine Antwort?«
»Vor wenigen Minuten. In einer Sprache, die Breckenridge für einen fawdesischen Dialekt hält. Sie teilten uns mit, daß sie einmal die Erdoberhoheit über diesen Planeten nicht anerkennen, zum anderen, daß sie gewisse wissenschaftliche Beobachtungen zu machen gedächten. Sie sagten weiter, daß sie in einer oder zwei Wochen den Planeten verlassen würden. Nach der Beendigung ihrer Beobachtungen.«
»Was haben Sie darauf erwidert?« fragte Wharton.
Crosley schüttelte den Kopf. »Nichts, Sir. Ich hörte, daß Sie aus dem Tiefschlaf kämen und dachte…«
»… und dachte, daß ich Ihnen die Verantwortung wieder zuschieben könnte«, fuhr der Colonel fort. »Das war es doch, was Sie sagen wollten, nicht wahr? In Ordnung, Leutnant, wahrscheinlich hätte ich an Ihrer Stelle das gleiche getan. Holen Sie Breckenridge.«
»Ja, Sir.«
Leutnant Crosley grüßte zackig und verließ den Raum. Wharton, allein zurückgeblieben, schüttelte den Kopf. Das kam also beim hundertjährigen Frieden in der Milchstraße heraus. Junge Burschen wie Crosley wußten nicht einmal, was Krieg bedeutete. Und eine Gruppe von Fremden glaubte, einfach auf einem Vorposten der Erde landen zu können, ohne sich die Erlaubnis dazu zu holen. Wharton seufzte. Er spürte das Alter und gab zu, sich gewünscht zu haben, daß er die letzten Jahre ohne Zwischenfälle auf seinem Posten verbrachte. Er war nahe der 125-Jahr-Grenze; die Zwangspensionierung kam im Alter von 130 Jahren. Und er brauchte täglich nur eine halbe Stunde Tiefschlaf, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Gut, es würde also einen Zwischenfall geben, mochte er es wünschen oder nicht. Colonel Wharton richtete sich auf und reckte die Schultern.
Captain Breckenridge betrat den Raum. Der Fremdsprachler war mittelgroß und breitschultrig. Über einer hohen Stirn leuchtete brandrotes Haar.
»Sir?«
»Breckenridge, Sie behaupten, das fremde Schiff habe zu Ihnen in Fawd gesprochen?«
»In einem fawdesischen Dialekt, Sir.«
»Das möchte ich mit Sicherheit wissen. Woher kommt das Schiff? Die Fawd-Konföderation wird kaum das Risiko eingehen, mit einem Schiff auf einem von der Erde besetzten Planeten zu landen. Es sei denn, sie wollten einen Krieg provozieren.«
Breckenridge sagte: »Es sind keine Fawds, Sir. Sie sprechen nur einen verwandten Dialekt. Viele Völker im Fawd-Sektor sprechen Fawdesisch, ohne der Konföderation anzugehören.«
»Was Sie sagen, ist mir bekannt«, sagte der Colonel. »Ich will wissen, wo diese Leute herkommen.«
»Ich könnte bestenfalls eine Vermutung aussprechen.«
»Schießen Sie los!«
»Sie kommen vom westlichen Zipfel des fawdesischen Sprachsektors. Das geht klar aus den Vokaländerungen hervor. Dort draußen gibt es drei Rassen, die fawdesisch sprechen: die Cyross, die Halivanu und die Dortmuni.«Breckenridge zählte sie an den Fingern ab. »Die Cyross sind ein Volk mit wenig entwickelter Technik. Sie würden nie Schiffe über diese Entfernung schicken. Die Dortmuni verhalten sich passiv und sind nicht kriegerisch veranlagt. Auch sie würden keinen Streit vom Zaun brechen. Bleiben die Halivanu, denen man es zutrauen kann, daß sie mit einem Schiff auf dem Plateau landen. Sie wissen natürlich, was man über sie erzählt…«
»Legenden, sonst nichts«, sagte Wharton wegwerfend.
»Legenden, die dokumentarisch belegt sind, Sir. Es ist bewiesen, daß…«
»Nichts ist bewiesen, Breckenridge! Hören Sie mich? Nichts über die Halivanu ist bewiesen worden.«Wharton stand auf und packte den Rand der Schreibtischplatte. Es kam ihm zu Bewußtsein, daß seine Knie zitterten. Er ballte die Fäuste und sagte: »Ich bin nicht daran interessiert, mir Märchen über die übernatürlichen Kräfte anzuhören, mit denen die Halivanu ausgestattet sein sollen. Ich bin nur daran interessiert, sie von diesem Planeten zu verjagen. Kommen Sie mit in den Funkraum. Ich werde dafür sorgen, daß diese Halivanu verschwinden.«
Es gab alle möglichen Legenden über die Halivanu, gestand Wharton sich widerstrebend ein, als er mit Breckenridge den Funkraum betrat. Raumfahrer, die den fawdesischen Sektor betreten hatten, hatten sonderbare Erzählungen mitgebracht. Es hieß, daß die Halivanu fähig seien, Gedanken zu lesen und anderen Mumpitz. Der Beweis war bis jetzt noch nicht erbracht worden. Die Halivanu waren Wesen, die wenig mit dem übrigen Universum zu tun hatten. Sie hielten sich abseits und suchten keine Kontakte. Diese Haltung mußte der Nährboden für die Erzählungen sein, dachte Wharton. Er schüttelte sein Unbehagen ab. Seine Aufgabe war es, die Grenzen der Erdsphäre zu schützen, Grenzen, die die Halivanu — wenn es wirklich Halivanu waren — offensichtlich mißachtet hatten.
»Stellen Sie die Verbindung mit dem Schiff her«, befahl Wharton.
Funker Marshall nickte und begann an der Einstellung zu hantieren. Nach kurzer Zeit blickte er auf und sagte: »Ich kann sie nicht dazu bringen, mir den Empfang zu bestätigen, Sir.«
»Schon gut. Sie werden uns zuhören, lassen Sie das meine Sorge sein. Breckenridge, Sie kennen sich besser mit diesem Dialekt aus als ich. Nehmen Sie das Mikrophon und sagen Sie ihnen, daß sie verbotenen Boden betreten und daß sie genau drei Stunden Zeit haben, den Planeten zu verlassen. Weigern Sie sich, so müssen wir ihre Landung als einen kriegerischen Akt betrachten.«
Breckenridge nickte und begann zu sprechen. Wharton war in der Lage, das meiste zu verstehen. Er beherrschte natürlich die Grundzüge der Fawdsprache, da sie eine der fünf großen Sprachstämme der Milchstraße war, und die Halivanusprache unterschied sich nur geringfügig von ihr.
Nachdem Breckenridge geendet hatte, herrschte lange Stille.
»Wiederholen Sie den Befehl«, sagte Wharton.
Breckenridge schickte das Ultimatum zum zweitenmal in den Äther hinaus. Wieder antwortete ihm Schweigen. Fast zwei Minuten vergingen. Wharton wollte gerade den Befehl geben, die Meldung noch einmal zu wiederholen, als der Lautsprecher zum Leben erwachte. Eine rauhe Stimme sagte: »Eritomor…«
Es war das Fawdwort für Erdenbewohner. Kurz darauf kamen andere, langsam gesprochene Worte, und Whartons Miene wurde hart. Der Halivanusprecher erklärte, daß er keinen Grund sähe, den Planeten zu verlassen, da die Freie Welt von Halivanu die Erdansprüche auf diese unbewohnte Welt nicht anerkenne. Sie hätten jedoch nicht die Absicht, ihrerseits Ansprüche geltend zu machen, sondern wünschten nur, während der Dauer von neun bis zehn Tagen gewisse Sonnenbeobachtungen anzustellen. Danach wären sie bereit, den Planeten zu verlassen.
Als die Stimme verklungen war, sagte Breckenridge: »Sie erklären, daß sie unseren Anspruch nicht anerkennen und…«
Wharton brachte ihn mit einer ungeduldigen Geste zum Schweigen.
»Ich habe die Nachricht verstanden, Leutnant.«Er nahm selbst das Mikrophon auf und sagte langsam in Fawd: »Hier spricht Colonel Dean Wharton. Wenn Sie die Absicht haben, hier Sonnenbeobachtungen zu machen, so müssen Sie die Erlaubnis auf dem üblichen diplomatischen Weg einholen. Ich bin nicht befugt, eine Landung zu gestatten. Daher muß ich Sie auffordern…«
Er wurde durch eine Stimme aus dem Lautsprecher unterbrochen. »Eritomor — vor held d’chayku kon derinilak…«
Es waren die gleichen Worte, die der Sprecher der Halivanu zuvor gebraucht hatte. Wharton wartete, bis die Botschaft vorüber war und versuchte, sich wieder zum Wort zu melden, aber er hatte kaum den ersten Satz beendet, als die Stimme erneut zu sprechen begann.
»Eine Bandaufnahme«, murmelte Marshall. »Sie haben die Enden miteinander verbunden, so daß die gleiche Meldung unablässig wiederholt wird.«
»Nehmen wir sie eine Weile auf«, sagte Wharton.
Nach der zehnten Wiederholung, als es keinen Zweifel gab, daß Marshall recht hatte, gab er dem Funker ein Zeichen, das Gerät abzuschalten. Offensichtlich war durch ein gefunktes Ultimatum nichts zu erreichen. Die Halivanu wollten einfach nicht hören. Die einzige Möglichkeit, die noch blieb, bestand darin, einen Boten zu ihnen zu schicken, der das Ultimatum persönlich überbrachte. Wenn das auch erfolglos blieb…
Dann würden andere Schritte notwendig werden. »Geben Sie Alarm Rot«, befahl Wharton. »Es kann nicht schaden, wenn wir uns in Verteidigungszustand versetzen. Nur für den Fall…«
Die 37 Mann des Vorpostens Bartlett V hatten ihre Positionen eingenommen, ohne zu murren. Für die meisten von ihnen war eine Invasion durch ein fremdes Schiff eine willkommene Abweichung von der täglichen Routine. Niemand verbrachte gern seine Dienstzeit von drei Jahren auf einem leeren Planeten, der tausend Lichtjahre von der Heimat entfernt war.
Colonel Wharton dachte nicht daran, die Begeisterung zu teilen. Er war alt genug, um sich daran zu erinnern, was ein Krieg mit sich brachte. Als frischer Rekrut hatte er im Jahre 2716 am letzten Teil des Konfliktes zwischen Erde und Dormiran teilgenommen. Das lag hundert Jahre zurück, und seitdem hatte es keinen Krieg mehr gegeben. Da keiner seiner Untergebenen älter als neunzig Jahre war, war er der einzige, der sich die Schrecken eines bewaffneten Konflikts ausmalen konnte. Schiffe, die mitten im Weltraum wie Seifenblasen zerplatzten, ganze Kontinente, an denen die Methode der verbrannten Erde praktiziert wurde, eine ganze Generation junger Leute, die praktisch ausgelöscht wurde — nein, es gab nichts an einem Krieg, was erfreulich war. Aber vielleicht hatten hundert Jahre Frieden in der Milchstraße eine gefährliche Selbstzufriedenheit erzeugt, dachte Wharton. Sicher hätte kein fremdes Schiff im letzten Jahrhundert eine solche Landung gewagt. Wer hätte geglaubt, daß die Eindringlinge auf das Ultimatum eines Offiziers der Erdmacht in dieser Form reagieren würden?
Am unangenehmsten aber war, daß er die ganze Verantwortung allein trug. Die schnellste Subradiomeldung zur Erde würde einen Monat brauchen, ein weiterer Monat würde vergehen, bis die Antwort eintraf. Wenn er wartete, mochte die territoriale Integrität der Erde mehrfach verletzt worden sein. Also blieb die Verantwortung auf seinen Schultern. Wenn die Halivanu darauf bestanden, ihre Beobachtungen durchzuführen, konnte er zwischen zwei Möglichkeiten wählen. Es lag in seiner Macht, die Eindringlinge mit Waffengewalt zu vertreiben; dann bestand die Gefahr, daß er einen Krieg auslöste. Ließ er sie aber bleiben, so konnte das als offene Einladung an alle Welten aufgefaßt werden, sich in Zukunft über die Grenzen der Erde hinwegzusetzen. Es war keine beruhigende Wahl, vor die er gestellt war. Und es gab niemanden, zu dem er gehen konnte, um sich beraten zu lassen, wenn er von seinen eigenen Männern absah. Er würde die Entscheidung allein treffen müssen.
Breckenridge näherte sich, als Wharton die Umwandlung des Vorpostens in eine Festung beobachtete. Der Posten war gut bewaffnet, Wharton hatte Wert auf regelmäßigen Artilleriedrill gelegt. Aber in seinen kühnsten Träumen hätte er nicht daran gedacht, daß er auf dieser strategisch so unwichtigen Welt einmal einen Alarm Rot auslösen würde.
»Sir?«
»Was gibt es, Breckenridge?«
»Ich würde mich gern freiwillig melden, um den Halivanu Ihr Ultimatum zu übermitteln, Sir. Ich halte mich für den Mann, der am besten dazu geeignet ist.«
Wharton nickte. Insgeheim war seine Wahl schon auf Breckenridge gefallen.
»Angenommen, Captain. Smithson soll Ihnen gleich einen Jetschlitten bereitstellen. Sie rücken ab, sobald Sie Ihre Vorbereitungen getroffen haben.«
»Irgendwelche besonderen Instruktionen, Sir?«
»Fangen Sie mit der Wiederholung des Ultimatums an. Machen Sie ihnen klar, daß wir automatisch das Feuer eröffnen, wenn sie nicht in zwei Stunden den Planeten verlassen haben. Weisen Sie darauf hin, daß wir nicht anders handeln können und daß die Verantwortung für den eventuellen Ausbruch eines Krieges auf ihnen lastet.«
»Verstanden, Sir.«
»Gut. Toben Sie nicht, drohen Sie nicht — überzeugen Sie sie lediglich, daß uns die Hände gebunden sind. Verdammt, ich will nicht auf sie schießen, aber ich werde es tun, wenn es sein muß. Und es muß sein, wenn sie sich weigern, den Planeten zu verlassen. Sagen Sie ihnen, daß sie soviel Sonnenbeobachtungen machen können, wie sie wollen — mit der auf vorgeschriebenem Wege eingeholten Genehmigung.«
Breckenridge nickte. Auf seiner Stirn stand Schweiß. Er schien sich nicht sehr wohl in seiner Haut zu fühlen.
Wharton sagte: »Sie brauchen sich nicht freiwillig zu melden, Captain. Ich habe andere Männer, die ich schicken kann, wenn…«
»Es ist meine Pflicht. Ich habe nicht die Absicht, meine Meldung zurückzuziehen, Sir.«
»Ich weiß, was in Ihnen vorgeht. Sie machen sich Sorgen wegen der Erzählungen, die Sie gehört haben…«
»Die Erzählungen sind nichts als Erzählungen, Sir«, sagte Breckenridge unbewegt. »Darf ich mich dann abmelden?«
Wharton lächelte. »Sie sind ein guter Mann, Breckenridge. Zeigen Sie den Brüdern die Zähne — hinter der vorgehaltenen Hand.«
Mit dem Jetschlitten würde Breckenridge eine Stunde brauchen, um das fremde Raumschiff zu erreichen. Eine halbe Stunde für die Unterredung, dachte Wharton, eine weitere Stunde für die Rückfahrt. Sagen wir alles in allem drei Stunden. Wenn Breckenridge Erfolg hatte, würde das Schiff um die gleiche Zeit starten, in der Breckenridge auf den Vorposten zurückkehrte. Wenn, dachte Wharton. Er stand fast eine halbe Stunde lang vor dem Radarschirm und starrte auf die weiße Blase, die das 120 Meilen entfernte Schiff darstellte, und auf den hellen Punkt des nach Nordosten rasenden Schlittens.
Dann wandte Wharton sich ab und widmete sich den Routineangelegenheiten, aber seine Gedanken kehrten immer wieder zu dem Zwischenfall zurück. Er fühlte sich müde. Nichts ersehnte er mehr, als in die Tiefschlafanlage kriechen zu können und sich von der therapeutischen Flüssigkeit in den Schlaf wiegen zu lassen. Er mußte sich zu dem Gedanken zwingen, daß er für diesen Tag bereits seinen Tiefschlaf genossen hatte. Er hatte die Zeit dafür reduziert — anderthalb Stunden pro Tag und nicht mehr. Er mußte also trotz seiner Müdigkeit auf den Beinen bleiben.
Die Nachmittagsschatten wurden länger. Bartlett V war eine mondlose Welt, und die Nacht kam schnell. Die kleine Sonne sank zusehends auf den Horizont zu und verbreitete ein orangefarbenes Licht über die weite, kahle Wüste. Der Radarschirm zeigte, daß Breckenridge sich auf dem Rückweg befand.
Vier Stunden nach seiner Abfahrt erschien er.
Nach dem Schirm war das Halivanuschiff noch immer auf dem Plateau. Breckenridge meldete sich bei Wharton zurück.
»Nun?«
Der Captain lächelte mild. »Es ist alles in Ordnung, Sir. Sie verlassen Bartlett V in der nächsten Woche, sobald sie ihre Beobachtungen beendet haben.«
Wharton mußte sich setzen.
»Was sagen Sie da?«
»Ich habe ihnen die Genehmigung zum Bleiben gegeben, Sir.«
Wharton fühlte sich, als hätte er einen Schlag auf den Schädel bekommen. Mit mühsam beherrschter Stimme sagte er: »Sie haben ihnen die Genehmigung zum Bleiben erteilt, Breckenridge? Wie höflich von Ihnen! Aber ich bin der Meinung, Sie wurden dorthin geschickt, um ein Ultimatum zu übergeben — nicht um Zugeständnisse zu machen.«
»Natürlich, Sir. Aber ich besprach die Sache mit ihnen, und wir kamen überein, daß es unvernünftig wäre, sie fortzutreiben, bevor sie ihre Arbeit beendet hatten. Sie führen bestimmt nichts Böses im Schilde. Sie waren nicht einmal bewaffnet, Sir.«
»Breckenridge, haben Sie den Verstand verloren?« fragte Wharton entgeistert.
»Sir?«
»Wie können Sie vor mir stehen und mir solchen Unsinn erzählen? Ihre Meinung, daß sie unbewaffnet und darum harmlos sind, interessiert mich nicht. Sie wurden mit einem Ultimatum fortgeschickt, auf das ich eine Antwort erwartete.«
»Aber wir haben es besprochen, Sir. Es schadet unserem Ruf nicht, wenn wir eine kleine Konzession machen.«
»Breckenridge, haben diese Fremden Ihnen etwas eingegeben? Sie reden wie ein Verrückter. Wer gab Ihnen das Recht…«
»Sie sagten selbst, daß Sie lieber nachgeben, als einen Krieg vom Zaun brechen würden, Sir. Und da sie darauf bestanden, zu bleiben, folgte ich Ihren Instruktionen und gab zu verstehen, daß wir einverstanden wären, vorausgesetzt, sie verließen…«
»Folgten meinen Instruktionen?« brüllte Wharton. Seine Faust hämmerte auf die Schreibtischplatte. »Wann hätte ich je dergleichen gesagt?«
»Vor meinem Abrücken, Sir«, sagte Breckenridge unschuldig.
»Nun weiß ich, daß Sie den Verstand verloren haben. Ich habe mit keinem Wort erwähnt, daß ich zu Konzessionen bereit wäre. Ich befahl Ihnen, den Halivanu auszurichten, daß ich gezwungen sein würde, sie zu vernichten, wenn sie sich nicht an mein Ultimatum hielten. Kein Wort von Konzessionen. Und…«
»Ich bitte, Ihnen widersprechen zu dürfen, Sir, aber…«
Wharton seufzte und rief nach seinem Ordonnanzoffizier. Sekunden später steckte der Mann seinen Kopf durch die Tür. Wharton sagte: »Rogers, bringen Sie Captain Breckenridge ins Revier, damit er einer psychiatrischen Untersuchung unterzogen wird. Und schicken Sie Smithson zu mir.«
Smithson trat nach wenigen Minuten ein. Der Gefreite blieb an der Tür stehen.
Wharton sagte: »Erzählen Sie mir genau, was sich zwischen Captain Breckenridge und den Halivanu abspielte.«
Smithson schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Colonel, aber ich kann nichts darüber sagen. Captain Breckenridge befahl mir, draußen beim Schlitten zu warten.«
Wharton hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Gut, Smithson. In diesem Fall können Sie natürlich nicht zur Aufklärung beitragen. Sie können gehen.«
»Jawohl, Sir.«
Wharton wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte. Dann stützte er den Kopf in die Hände und ließ die Schultern hängen.
Er hatte Breckenridge keine Vollmacht zum Verhandeln gegeben. Doch der Captain war bereit, jeden Eid darauf zu schwören. Was konnte einen so verläßlichen Offizier wie Breckenridge veranlassen, einen klaren Befehl so zu mißachten?
Wharton schüttelte den Kopf. Geschichten über die Halivanu machten immer wieder die Runde, Geschichten, die von übernatürlichen Kräften berichteten. Aber das war alles Geschwätz, dessen war auch Breckenridge gewiß gewesen. Phantasiebegabte Raumfahrer neigten dazu, wenig bekannten Rassen geheimnisvolle Fähigkeiten anzudichten.
Wharton holte tief Atem und drückte den Knopf auf seinem Schreibtisch. Die Ordonnanz erschien.
»Schicken Sie Leutnant Crosley zu mir. So schnell es geht.«
Crosley trat nach fünf Minuten in den Raum. Inzwischen war es fast Nacht geworden. Der Leutnant wirkte noch bleicher als sonst. Er war erst kürzlich von der Akademie gekommen und nicht viel älter als dreißig.
Wharton beugte sich vor und sagte: »Es hat Komplikationen gegeben, Leutnant. Zu Ihrer Orientierung — ich mache eine Bandaufnahme von diesem Gespräch.«
Crosley nickte. »Komplikationen?«
»Ich habe Breckenridge heute nachmittag mit einem Ultimatum zu den Fremden geschickt. Er sollte ihnen ausrichten, daß ich das Feuer eröffne, wenn sie den Planeten nicht innerhalb von drei Stunden verließen. Statt dessen gab er ihnen die Erlaubnis zu bleiben, bis sie ihre Beobachtungen gemacht haben. Nun behauptet er, daß er ihnen diese Genehmigung auf Grund meines Befehls gab.«
»Ich habe mich schon gewundert, daß er in die psychiatrische Abteilung eingewiesen wurde.«
»Nun wissen Sie, warum. Ich behaupte nicht, daß ich wüßte, warum er so versagte, aber ich weiß, daß wir sofort einen anderen Mann zu den Halivanu schicken müssen, der Breckenridges Entscheidung rückgängig macht und sie zum Verlassen des Planeten auffordert.«
»Ich verstehe, Sir.«
»Ich möchte, daß Sie gehen, Crosley. Und zwar sofort. Nehmen Sie einen Mann mit und trennen Sie sich in keiner Sekunde von ihm, besonders dann nicht, wenn Sie das fremde Schiff betreten. Erklären Sie ihnen, daß Ihr Vorgänger ohne den Befehl seines Vorgesetzten handelte und daß wir sie mit Waffengewalt verjagen werden, wenn sie bei Sonnenaufgang Bartlett V nicht verlassen haben.«
Crosley wurde noch bleicher, beherrschte sich aber. »Ich werde sofort abrücken, Sir.«
»Bevor Sie gehen — wiederholen Sie den Auftrag.«
Crosley wiederholte ihn.
»Sie werden keinen Versuch machen, sich auf Verhandlungen einzulassen, Leutnant?«
»Nein, Sir.«
»Sie übermitteln das Ultimatum und kommen zurück. Es ist nicht notwendig, auf die Antwort zu warten. Wenn sie morgen früh noch hier sind, eröffnen wir das Feuer.«
»Ja, Sir.«
»Sie haben verstanden, was ich sagte? Sie werden später nicht behaupten, ich hätte Ihnen einen anderen Auftrag erteilt?«
»Natürlich nicht, Sir.«Crosley lächelte.
»Gut. Machen Sie sich auf den Weg.«
Die Stunden vergingen. Der Zapfenstreich wurde geblasen, aber Wharton blieb wach. Unruhig marschierte er in seinem Dienstzimmer auf und ab. Das Licht der Sterne, die hell in der mondlosen Dunkelheit flimmerten, fiel durch das Fenster herein. Wharton ballte die Fäuste und starrte in die Nacht hinaus.
Er empfand Mitleid mit Breckenridge. Es war eine verteufelte Sache, wenn man nicht mehr zwischen Phantasie und Wirklichkeit unterscheiden konnte. Zu behaupten, etwas sei wahr, wenn es den Stempel der Falschheit trug. Die psychiatrischen Tests hatten nichts erwiesen; Breckenridge behauptete steif und fest, er habe den Auftrag zum Verhandeln gehabt. Schizophrenie — so hatte der Arzt es genannt. Aber Schizophrenie war keine Krankheit, die man sich plötzlich zuzog. Schizophrenie baute sich langsam auf, sie hatte Vorboten, die auch dem Nichtmediziner im Laufe der Zeit auffielen. Breckenridge hatte immer den Eindruck eines ausgeglichenen, verläßlichen Offiziers gemacht.
Kein Wunder, daß Wharton zu der Überzeugung kam, die Halivanu hätten etwas mit Breckenridge angestellt. Aber Breckenridge leugnete es, und die EEG-Tests erbrachten keinen Beweis, daß er unter der Einwirkung von Rauschgiften oder Hypnose stand. Aber das EEG war nie hundertprozentig zuverlässig…
Wharton musterte sein verschwommenes Spiegelbild, das ihm aus der Scheibe entgegenblickte. Er war sicher, daß die Halivanu nicht über übernatürliche Kräfte verfügten. Sie waren lediglich eine sich gegen die Umwelt abschließende Rasse, und es bestand kein Anlaß, ihnen magische Fähigkeiten zuzuschreiben.
Ein Licht bewegte sich durch die Dunkelheit. Wharton hörte das Röhren des Jetschlittens. Crosley kehrte zurück.
Ungeduldig stürmte Wharton hinaus. Die Nachtluft war klar und kalt. Crosley und sein Fahrer, ein Unteroffizier namens Rodriguez, entstiegen dem Schlitten. Sie nahmen Haltung an, als sie ihn sahen.
»Hat es Schwierigkeiten gegeben?« fragte Wharton.
»Nein, Sir. Aber wir haben ihn nicht gefunden«, erwiderte Crosley. »Wir haben stundenlang gesucht, aber…«
»Wovon, zum Henker, reden Sie?« fragte Wharton mit einer Stimme, die halb erstickt klang. »Wen haben Sie nicht gefunden?«
»Breckenridge natürlich, Sir«, sagte Crosley. »Wir haben in großen Kreisen gesucht, wie Sie es befahlen, aber…«
Wharton blinzelte verdutzt. »Was heißt das, daß Sie nach Breckenridge suchten, Crosley?«
»Haben Sie uns nicht ausgeschickt, um nach ihm zu forschen? Er hatte sich doch auf der Rückfahrt von dem fremden Schiff in der Ebene verirrt, und Sie gaben uns den Befehl, nach ihm Ausschau zu halten. Fühlen Sie sich nicht wohl, Sir?«
Eine kalte Faust schien sich um Whartons Herz zu klammern. »Kommen Sie zu mir herein, Leutnant. Sie ebenfalls, Rodriguez.«
Er ging in sein Dienstzimmer voraus und spielte ihnen das Band vor, das sein Gespräch mit Crosley enthielt. Je länger die beiden Männer zuhörten, um so sichtbarer wurde ihre Verwirrung.
Als das Band abgelaufen war, sagte Wharton: »Wollen Sie immer noch behaupten, ich hätte Sie ausgeschickt, um nach Breckenridge zu suchen?«
»Aber — ja…«
»Breckenridge schläft in der psychiatrischen Abteilung. Er hat sich nie verirrt. Er kam vor Stunden zurück. Ich habe Sie ausgeschickt, um ein Ultimatum zu übergeben. Haben Sie Ihre eigene Stimme nicht erkannt, Crosley?«
»Sie klang wie meine Stimme, zugegeben, Sir. Aber ich erinnere mich nicht — das heißt…«
Die weitere Befragung lief immer auf das gleiche hinaus. Das Anhören des Tonbandes trug nur dazu bei, die Verblüffung Crosleys zu steigern. Sein Gesicht wirkte geisterhaft bleich. Er war sicher, daß sie nur in weiten Kreisen nach Breckenridge gesucht hatten, was Rodriguez bestätigte. Selbst als Wharton ihnen erklärte, daß er ihre Fahrt zum Schiff der Halivanu auf dem Radarschirm verfolgt habe, schüttelten sie die Köpfe.
»Wir sind nie in die Nähe des Schiffes gekommen, Sir. Unser Befehl lautete…«
»Schon gut, Leutnant. Gehen Sie zu Bett. Sie auch, Rodriguez. Vielleicht hat sich Ihr Gedächtnis bis zum Morgen gebessert.«
Wharton konnte nicht schlafen. Zuerst Breckenridge, dann Crosley und Rodriguez. Alle drei kamen mit unsinnigen Geschichten von dem fremden Schiff zurück. Wharton fühlte, wie sein Selbstvertrauen zum erstenmal erschüttert wurde. War am Ende doch etwas an diesen sonderbaren Geschichten, die über die Halivanu erzählt wurden?
Nein. Es konnte nichts daran sein. Übersinnliche Fähigkeiten in einem durch kühle Technik beherrschten Zeitalter? Unsinn.
Wie war aber sonst zu erklären, was seinen Männern widerfahren war? Schizophrenie war doch keine ansteckende Krankheit? Die Tatsache, daß drei Männer nach ihrer Rückkehr von den Fremden verändert waren, ließ sich nicht leugnen. Crosley hatte sogar die Echtheit der Bandaufnahme angezweifelt.
Am Morgen wußte Wharton, was er zu tun hatte. Es ging ihm nicht mehr in erster Linie darum, die Souveränität der Erde zu schützen. Das mochte wichtig sein, aber nicht so wichtig wie die Aufgabe, herauszufinden, mit welchen Tricks die Halivanu drei seiner besten Männer beeinflußt hatten. Der einzige Weg, dies festzustellen, bestand darin, daß er sich selbst auf den Weg machte. Er konnte nicht weiter andere hinausschicken. Wenn er es tat, würde er bald keine Offiziere mehr zur Verfügung haben. Sie waren ohnehin grüne Jungen. Für diese Aufgabe wurde ein Mann gebraucht, ein Veteran aus dem Dormirankrieg, den nichts mehr erschüttern konnte.
Natürlich mußten gewisse Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. Nur für den Fall der Fälle.
Als der Morgen anbrach, ließ Wharton Captain Lowell, den ältesten seiner Offiziere, zu sich kommen.
»Lowell, ich werde selbst zu dem Schiff der Halivanu fahren«, erklärte Wharton. »Sie übernehmen das Kommando, bis ich zurück bin. Hören Sie gut zu. Ich werde den Halivanu vier Stunden geben, den Planeten zu verlassen. Am Ende dieser vier Stunden nehmen Sie sie mit allen Waffen unter Feuer, selbst wenn ich Ihnen den Befehl gebe, dies nicht zu tun. Verstanden? Mißachten Sie meinen Befehl, wenn es notwendig wird, aber feuern Sie aus allen Rohren, wenn die Frist um ist.«
Lowell sah völlig verwirrt aus. »Sir, ich verstehe Sie nicht…«
»Versuchen Sie gar nicht erst, mich zu verstehen. Es genügt, wenn Sie zuhören. Diese Unterhaltung ist auf Band aufgenommen worden. Spielen Sie sie mir vor, wenn ich zurückkomme.«
Einen völlig verstörten Lowell zurücklassend, machte sich Wharton mit dem Düsenschlitten auf den Weg. Smithson, der Breckenridge gefahren hatte, saß wieder am Steuer. Die Männer schwiegen. Schnell jagte der Schlitten über die weite Ebene. Langsam stieg die Sonne höher. Wharton hatte Sehnsucht nach einem Tiefschlaf, aber er wußte, daß dies warten mußte. In wenigen Stunden würde die Lage so oder so geregelt sein. Er hoffte, daß Lowell den Mut hatte, seinem Befehl zuwiderzuhandeln, wenn er zurückkam. Verändert zurückkam, wie es ihm drei Männer vorexerziert hatten. Wharton lächelte. Er war zuversichtlich, daß er mit klarem Kopf zurückkommen würde.
Eine Stunde später näherten sie sich dem Plateau, auf dem die Halivanu ihr Lager aufgeschlagen hatten. Wharton sah Zelte um das schlanke fremdartig aussehende Schiff. Ein halbes Dutzend Halivanu war damit beschäftigt, Geräte aufzustellen. Sie waren große, hagere Gestalten mit rauher, graugrüner Haut. Als der Schlitten sich näherte, sonderte sich einer der Fremden ab und kam Wharton entgegen.
»Ihr Terraner besucht uns gern«, sagte der Halivanu. »Nach meiner Zählung sind Sie der dritte.«
»Und der letzte«, nickte Wharton. Er fühlte sich seltsam unbehaglich. Dem Halivanu entströmte ein eigenartiger süßlicher Geruch. Wharton blickte zu der hohen Gestalt auf. Der Fremde überragte ihn um fast einen Kopf.
»Welche Nachricht bringen Sie?« fragte der Halivanu, und im gleichen Augenblick war Wharton, als berührte eine Feder seinen Hinterkopf.
»Ich — was tun Sie?« Er fuhr sich mit der Hand über den Hinterkopf, aber die Feder kitzelte ihn weiter.
Dann verschwand die Panik, die ihn ergriffen hatte, von einer Sekunde zur anderen.
»Nun?« fragte der Fremde.
Wharton lächelte. »Ich bin der Kommandeur des Erdvorpostens. Ich bin gekommen, um Ihnen mitzuteilen, daß wir — daß wir damit einverstanden sind, wenn Sie bleiben, bis Sie Ihre Beobachtungen durchgeführt haben.«
»Danke«, sagte der Halivanu ernst. Dann lächelte er und zeigte seinen schwarzen Gaumen. »Ist das alles?«
»Ja, das ist alles«, sagte Wharton. Er blickte Smithson fragend an. »Hatten wir sonst noch etwas auszurichten?«
Smithson zuckte die Achseln. »Nicht daß ich wüßte, Sir.«
»Gut, dann können wir die Rückfahrt antreten.«
Lowell begrüßte ihn, als der Jetschlitten vor dem Dienstgebäude zum Stehen kam. »Ging alles glatt, Sir?«
»Großartig«, sagte Wharton. »Sorgen Sie dafür, daß Bailey die Tiefschlafanlage für mich vorbereitet. Himmel, ich kann ein paar Stunden Ruhe gebrauchen, habe mich seit Tagen nicht so müde gefühlt.«
»Die Halivanu rücken also ab?«
»Abrücken?« Wharton runzelte die Stirn. »Warum sollten sie abrücken? Sie haben gerade erst mit ihrer Arbeit begonnen.«
»Aber Colonel…«
»Ja, was gibt es noch?« fragte Wharton mürrisch.
»Sie ließen einen Befehl zurück, Sir. Sie sagten, daß wir nach dem Ablauf der vier Stunden das Feuer auf die Halivanu eröffnen sollten, wenn sie bis dahin das Feld nicht geräumt hätten.«
Wharton schüttelte den Kopf und ging weiter. »Das muß ein Irrtum gewesen sein, Lowell. Der Befehl ist widerrufen. Bailey! Bailey, ist die Anlage klar für mich?«
Lowell vertrat dem Colonel den Weg. »Es tut mir leid, Sir, aber Sie hinterließen die ausdrückliche Weisung, die ins Auge gefaßten Maßnahmen auch gegen Ihren Befehl durchzuführen.«
»Unsinn!«
»In Ihrem Dienstzimmer liegt eine Bandaufnahme, die…«
»Interessiert mich nicht. Die Halivanu haben die Erlaubnis, zu bleiben. Reden wir also nicht von Handlungen gegen meinen ausdrücklichen Befehl.«
Rote Flecken erschienen auf Lowells Gesicht. »Ich weiß, daß es sonderbar klingt, Colonel, aber Sie bestanden selbst darauf, daß…«
»Und ich widerrufe selbst meinen Befehl. Muß ich mich noch klarer ausdrücken, Captain? Bitte, gehen Sie aus dem Weg!«
Lowell stand wie angewachsen. Schweiß überströmte sein Gesicht. »Die Bandaufnahme…«
»Wollen Sie jetzt zur Seite treten?«
»Nein, Sir. Sie erklärten in aller Unmißverständlichkeit, daß ich einen Widerruf Ihres Befehls unbeachtet lassen sollte. Darum, Sir…«
»Ein kommandierender Offizier, der einen Befehl gibt, den er nicht widerrufen kann, muß den Verstand verloren haben«, sagte Wharton kühl. Er gab den beiden Wachen einen Wink. »Begleiten Sie den Captain in seine Unterkunft. Ich verhänge Stubenarrest über ihn. Ungehorsam kann ich nicht dulden.«
Trotz seines Protestes wurde Lowell abgeführt. Wharton setzte den Weg fort und betrat sein Dienstzimmer. Eine Spule befand sich auf dem Teller des Tonbandgerätes. Er schaltete das Gerät ein.
»… ich werde den Halivanu vier Stunden Zeit geben, den Planeten zu verlassen. Am Ende dieser vier Stunden nehmen Sie sie mit allen Waffen unter Feuer, selbst wenn ich Ihnen den Befehl gebe, dies nicht zu tun. Verstanden? Mißachten Sie meinen Befehl, wenn es notwendig wird, aber…«
Whartons dichte Brauen hoben sich fragend. Es stand außer jedem Zweifel, daß dies seine Stimme war. Warum aber sollte er dergleichen gesagt haben? Die Halivanu hatten jedes Recht, auf dem Planeten zu sein. Zum Teufel, die Genehmigung von der Erde mußte noch auf seinem Schreibtisch liegen. Er suchte zwischen den Papieren, fand das betreffende Dokument aber nicht. Er zuckte die Achseln. Wahrscheinlich hatte er es verlegt. Aber er wußte, daß es irgendwo sein mußte. Er hatte es ja mit eigenen Augen gesehen.
Was ist dann mit der Bandaufnahme? dachte er. Er schüttelte den Kopf und fragte sich, ob er alt würde. Wie konnte er Lowell einen so verrückten Befehl geben? Tief in seiner Erinnerung meldete sich eine leise Stimme, aber ihr Protest erreichte nie die Schwelle des Bewußtseins.
Müde gähnend betätigte Wharton den Knopf, der das Band löschte. Dann verließ er das Zimmer und schlug die Richtung zur Krankenstube ein. Er freute sich schon jetzt auf seine neunzig Minuten Tiefschlaf.