Wilhelm Hauff wurde am 29. November 1802 in Stuttgart geboren. Er entstammte einer in Württemberg zu hohem Ansehen gelangten Familie, die sich in den Religionskriegen und Wirren des 17. Jahrhunderts zum protestantischen Glauben bekannt hatte, deshalb ihren Landadelssitz in Niederösterreich verlassen mußte und im protestantischen Württemberg Zuflucht fand. In der neuen Heimat hatten die rechtlichen, freidenkenden Männer der Familie Hauff in den „altherkömmlichen Kämpfen“ um die ständische Verfassung „zwischen dem Fürsten und der Landschaft des Herzogtums verdienstvollen Anteil“ (Prof. Adolf Stern). Der Großvater Wilhelms, Johann Wolfgang Hauff (1721 -1801), war Landschaftskonsultent: Ihm setzte der Enkel in seiner Novelle „Jud Süß“ in der Person des Lanbek ein Denkmal. Hauffs Vater Friedrich August (1772 bis 1809) hatte sich 1799 als Regierungssekretär mit Hedwig Wilhe lmine Elsäßer vermählt. Diese phantasiebegabte Frau war die Tochter des berühmten Juristen und Professors in Erlangen, der später an der Karlsschule und zuletzt als Rat am Obertribunal in Tübingen wirkte. Dem jungen, glücklichen Paar wurden vier Kinder geboren: zwei Söhne, der um zwei Jahre ältere Hermann und Wilhelm, sowie zwei Mädchen. Hermann hat nach Wilhelm Hauffs frühem Tod dessen redaktionelle Tätigkeit fortgesetzt.
Das Familienglück trübte sich, als der politisch sehr großzügig denkende Vater Wilhelms sich der württembergischen Regierung verdächtig machte. Er wurde eines Nachts verhaftet und neun Monate lang auf dem Asperg unschuldig gefangengehalten; nach seiner Rechtfertigung wurde er 1806 Sekretär am königlichen Oberappellationstribunal in Tübingen, wohin er nun mit der Familie übersiedelte. 1808 kehrte er wieder mit Frau und Kindern nach Stuttgart zurück: Er war auf den Posten eines Geheimen Ministerialsekretärs im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten berufen worden. Ein Jahr später starb er; Witwe und Kinder zogen zum zweitenmal nach Tübingen, wo der Großvater Elsäßer und der Bruder Wilhelms, Hermann, lebten. Liebevoll wurden dort beide von der alten Haushälterin, Jungfer Sitzlerin, betreut.
Hier kam nun Ruhe in das Leben des siebenjährigen Wilhelm, der schwächlich war und weniger begabt schien als der ältere Bruder. Sorgfältig wurde er von der früh verwitweten Mutter erzogen, einer geistvollen Frau, die an Goethes Mutter erinnert. In der großväterlichen Bibliothek war es, wo Wilhelm „Hütten und Ställe aus den Folianten erbaute für sich und sein Vieh“, wo der Grundstein für seinen Geschichtsroman „Lichtenstein“ zu finden ist. Hier empfing er auch die Eindrücke von Jugendlust und Schmerz, die sich in den „Phantasien im Bremer Ratskeller“ wiederfinden.
In Tübingen kam Wilhelm Hauff bis 1817 aufs Gymnasium, die Schola Anatolica, doch er war kein guter Schüler; er sagte selbst von sich, „daß er einen harten Kopf besaß“; „… ich ging lieber aufs Feld, hörte die Vögel singen, als daß ich mich oben ni der Dachkammer (mit den Aufgaben) abmarterte“ und „… ich hatte in meinem elften Jahr den größten Teil der Ritter- und Räuberromane meines Vaterlandes gelesen“.
Vom Herbst 1817 an besuchte er die im Tal der Blau herrlich gelegene Klosterschule zu Blaubeuren: Auf Wunsch der Mutter sollte er Theologe werden. Hier fühlte er sich glücklich, seine Phantasie fand reiche Nahrung, er entwickelte eine besondere Kunst im Erzählen seiner einfallsreichen Geschichten. Er war „hinter Goethe und Schiller geraten“, er verschlang sie, „ohne alles zu verstehen“. Seine Gesundheit kräftigte sich, aber in den Schulfächern blieb er im Gegensatz zu seinem Bruder schwach, ja lässig. Im Zeugnis zur Aufnahme in das Theologieseminar wird bescheinigt: „… daß Wilhelm in litteris… sehr mittelmäßig prädiziert
sei, doch sei auf das überraschende Deklamationstalent aufmerksam gemacht, das ihn als dereinstigen geistlichen Redner empfehle.“
Im Jahre 1820 bezog Wilhelm Hauff die Universität in Tübingen. Er wohnte im „Stift“, widmete sich sehr regelmäßig den theologischen Seminararbeiten und betrieb ein geordnetes Philologiestudium. Führte doch sehr oft der Weg zur Landpfarre über den Posten eines Gymnasiallehrers. Er verkehrte in den Häusern seiner Lehrer, zeigte sich aber auch begeistert für das studentische Leben aufgeschlossen, ohne Exzesse mitzumachen. Im Gegensatz zu Kommilitonen trat er zu dieser Zeit noch nicht schriftstellerisch hervor.
Noch in seine Universitätsjahre fiel der Beginn einer herzlichen Liebe, die vier Jahre später zu seiner Vermählung führte. 1823 war er auf einer Herbstferienreise über Ulm und Donauwörth nach Nördlingen zu Besuch bei seiner Tante eingetroffen, die dort als wohlhabende Kaufmannswitwe lebte. Seine hübsche Cousine Luise und der junge, frohe Student mit dem gelockten Haar, der hohen Stirn, den schönen klaren Augen, dem scharfgeprägten Mund und Kinn - wie wir ihn von Stichen kennen - fanden sich in rasch entflammter Liebe, die zu einem erst heimlichen Briefwechsel und schon 1824 zur von der Tante gebilligten Verlobung führte. Um diese Zeit entstehen seine Lieder, Liebes- und Soldatengedichte. Berühmt wurden nur wenige, wie „Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod“ und „Steh’ ich in finstrer Mitternacht“.
Hauffs unvergängliche Jugendliebe, die seinen Lebensweg maßgeblich beeinflußte und ihn vom Pfarramt weg zur schriftstellerischen Laufbahn führte, ließ ihn 4 Jahre später, nach seiner Vermählung, ausrufen: „Wer hat mir diesen Stern der Liebe erhalten, der über meinem Leben wie eine Sonne leuchtet? Ich fühle es, ich wurzelte vorher nicht auf der Erde, die Liebe zu diesem liebenswürdigen Wesen hat mich gelehrt, über mich selbst zu denken, hat mir die Kraft gegeben, mir eine Bahn zu brechen, eine Kraft, die mir bis heute unerklärlich ist.“
So ändert er seinen Lebensplan, den er nunmehr in literarischer Betätigung, in schriftstellerischer Arbeit sah - weitab vom Pfarrberuf. Sein Studium schloß er trotzdem ordnungsgemäß ab. Er zeichnete sich in diesen Jahren als lebendiger Erzähler im Freundeskreise aus, der - nach Schwab - „den engeren Kreis seiner Freunde ergötzte“: „… durch seine glücklichen Einfälle, seine Gesprächigkeit und Munterkeit, seine Extravaganz und dabei seine Besonnenheit im Zustande burschikoser und geselliger Exaltation. Obgleich jugendlich eitel, reizbar und empfindlich, höre er doch mit seinem Humor nicht wie so viele Humoristen an sich selber auf, sondern er war der erste, der seine eigenen kleinen Schwachheiten zu bespötteln und in ihrer Beharrlichkeit als Karikatur an sich selbst darzustellen keine Bedenken trug.“
Als Magister und Doktor der Philosophie hatte Wilhelm Hauff seine Studien an der Tübinger Universität beendet, am 27. Oktober 1824 war er von der Universität geschieden. Die Meinung über seine Fähigkeiten hatten sich geändert, Konsistorialrat Klaiber riet seinem jungen Verwandten, sich auf Erlangung einer Professur vorzubereiten. Im Hause des württembergischen Generals und Kriegsratspräsidenten von Hügel in Stuttgart sollte er hierzu die nötige Zeit finden. Die Hochzeit mußte hinausgeschoben werden.
Im Hause Hügel wurde Hauff trotz seiner Hauslehrerstellung als Gleichberechtigter aufgenommen. Hier genoß er nicht nur die unbefangene Geselligkeit, sondern er erwarb auch die Umgangsformen und die Lebenssicherheit, die ihn später vorteilhaft auszeichneten. Seine Zöglinge beanspruchten nicht seine ganze Zeit; er bereitete sich auf die letzte höhere Prüfung vor, seine Predigten - mit Beifall aufgenommen - in der Schloßkirche gehörten dazu, die
Prüfung bestand er 1825. Aber auch die Zusammenstellung seiner Skizzen zu den „Memoiren des Satans“ - einer Satire über das Studentenleben - wurde beendet. Und in den Ferien seiner Zöglinge, die er auf den Gütern des Vaters der Frau von Hügel erbrachte, entstanden die Märchen, die im „Märchenalmanach für das Jahr 1826“ gesammelt sind.
1826 erschien „Der Mann im Monde“, nicht unter seinem Namen, sondern dem von H. Clauren, der mit seinen süßlichen, der damaligen Mode gerecht werdenden Erzählungen die deutschen Leser und damit Verleger entzückte. Bewußt persiflierte Wilhelm Hauff die Merkmale des Geheimen Hofrats Carl Heun, der sich hinter dem Pseudonym Heinrich Clauren verbarg; bewußt wollte er seinen Ekel vor der literarisch gestalteten Sentimentalität, der platten Alltäglichkeit, dem „Mimilismus“ - nach Claurens Roman „Mimili“ wurde die Art so benannt - zum Ausdruck bringen: „Der Mann im Monde wollte den Erfinder der Mimilimanier zu Nutz und Frommen der Literatur und des Publikums, zur Ehre der Vernunft und Sitte lächerlich machen“ (Wilhelm Hauff in der „Kontroverspredigt“, 1826). Heun-Clauren protestierte heftig gegen das ihm für Hauffs Werk gespendete Lob. Und der nunmehr gegen die Stuttgarter Verlagsbuchhandlung vom mystifizierten Autor Heun angestrengte Prozeß brachte Hauffs Name und schriftstellerisches Ansehen zu jungem Ruhm und weiter Verbreitung.
Inzwischen hatte Hauff seine historische Erzählung „Lichtenstein“ - erst in drei Teilen - erschienen - noch im Hause Hügel vollendet (1826). Die Honorare für seine schriftstellerischen Erfolge ermöglichten es Hauff, seine Stellung als Hauslehrer aufzugeben. Bitten um Beiträge für Zeitschriften und Taschenbücher bestärkten Hauff in seiner Absicht, sich nun völlig der Schriftstellerei zu widmen. Auf dieser Basis wollte er nach seiner Vermählung seinen Hausstand gründen. 1826 besuchte er im Mai seine Braut, dann führte ihn die Reise zur „Erweiterung seiner Kenntnisse“ über Frankfurt und Mainz nach Paris, wo er nach anfänglicher Begeisterung sich bald nicht mehr wohl fühlte. Ende Juni steht in einem Brief an den befreundeten Referendar Moritz Pfaff in Ellwangen: „Diese Herrlichkeiten fangen an, nachdem ich sie fünf Wochen genossen, zu langweilen.“ In dieser Pariser Zeit entstand die „Kontroverspredigt“: „Ich fing sie in Paris an, setzte sie in Brüssel fort, schrieb daran in Antwerpen und Gent und vollendete sie in Kassel.“ (Aus einem Brief an seinen Bruder Hermann.)
Mitte Juli reiste Hauff von Paris ab, besuchte die in seinem Brief an den Bruder genannten Städte, reiste von Kassel nach Göttingen sowie nach Bremen und Hamburg und traf im September zu fünfwöchigem Aufenthalt in Berlin ein; er wurde gefeiert und in Schriftstellerund Künstlerkreise eingeführt. In der literarischen Mittwochsgesellschaft erlebte seien Vorlesung der „Kontroverspredigt“ Triumphe. Doch seine Gedanken beschäftigten sich bereits mit dem Vorschlag des berühmten deutschen Verlegers Cotta, die Redaktion des „Morgenblattes für gebildete Stände“ zu übernehmen. Ein kurzer Besuch in Leipzig folgte; in Dresden machte er die Bekanntschaft Tiecks, der in Hauff das junge Talent erkannte. In einem Brief an Tieck, den Hauff nach seiner Heimkehr an den Meister in Dresden richtete, schrieb er: „Wie gerne ich immer kam, haben Sie vielleicht gesehen, war es mir doch, als ich von Dresden wegging, als sei ich nur in Ihrem Hause gewesen.“
Mitte November traf er bei seiner Braut in Nördlingen ein. Der Termin für die Hochzeit wurde festgelegt.
Kurz nach seiner Heimkehr schrieb er die „Phantasien im Bremer Ratskeller“ und mehrere Novellen, darunter „Die Bettlerin vom Pont des Arts“.
Mit dem 1. Januar 1827 übernahm Hauff die Redaktion des 1807 gegründeten „Morgenblattes“. Zwar konnte Hauff mit Rücksicht auf Cotta die von ihm insgeheim entworfenen Reformpläne nicht verwirklichen, doch bewirkte sein Eifer, daß dieser Jahrgang des Blattes zu den besten seines Bestehens gehörte. Am 13. Februar feierte er Hochzeit, in der Gartenstraße in Stuttgart wurde der junge Hausstand begründet. Hier entstanden die späteren Erzählungen, die Märchen des Almanachs für 1828 sowie die Novellen „Jud Süß“ und „Das Bild des Kaisers“ (im „Taschenbuch für Damen“). Für Brockhaus in Leipzig („Blätter für literarische Unterhaltung“) schrieb er eine Rezension über W. Scotts „Leben Napoleons“. Im Sommer 1827 unternahm Hauff eine Reise nach Tirol, um den Stoff für eine größere Geschichtsnovelle im Stile seines Romans „Lichtenstein“ zusammenzutragen: „Ich möchte die Kämpfe in Tirol im Jahre 1809 in den Rahmen eines Romans fassen. Ich liebe Gegend und Volk jener Berge, und in neuer Zeit scheint mir kein Bild so interessant als dieser Streit zwischen reinem Patriotismus und dem Ehrgefühl einer stolzen Armee, zwischen redlichen, einfältigen Sitten und den Erfindungen und Künsten der Menschen.“
Das Werk wurde nicht mehr ausgeführt. Im August wieder zu Hause angekommen, erhielt er den Besuch des Dessauer Lyrikers Wilhelm Müller (1794 - 1827), eines Mitarbeiters seines „Morgenblattes“, zu dem er sich besonders hingezogen fühlte. Die Kunde vom Tode Müllers, der bald nach dessen Abreise erfolgte, erschütterte ihn zutiefst. Bei dem Begräbnis eines Stuttgarter Freundes hatte sich Hauff erkältet. Wegen seiner vielen Arbeit beachtete er seine Erkrankung nicht. Am
10. November wurde ihm und seiner Gattin Luise ein Töchterchen geschenkt. Zu dieser Zeit mußte er, schon schwer erkrankt, das Bett hüten. Seine Krankheit steigerte sich zu einem Nervenfieber. Er begeisterte sich noch an den Erfolgen der gegen die Türken aufgestandenen Griechen. Fieberdelirien umdüsterten seinen Geist. Noch einmal bei klarem Bewußtsein, nahm er Abschied von seinen Lieben. Am 18. November erlag er seiner tückischen Krankheit kaum fünfundzwanzig Jahre alt.
Für den so jung verstorbenen schwäbischen Dichter fand sich allgemeine Teilnahme. Ein Privilegium auf zwölf Jahre gegen den Nachdruck seiner Werke, die von Gustav Schwab in 36 Bändchen bei der Brodhagschen Verlagsbuchhandlung herausgebracht wurden, sollte gemäß dem Willen des Königs von Württemberg den Unterhalt der Witwe und des Töchterchens sichern. Ein Stich Holders und eine Büste Th. V. Wagners, auf Anregung von Hauffs Freunden hin angefertigt, bewahrten des Dichters Züge der Nachwelt.
Am 5. Dezember 1827 brachte das „Morgenblatt“ den Nachruf Ludwig Uhlands, dessen erste und letzte Zeilen lauten:
Dem jungen, frischen, farbenhellen Leben, Dem reichen Frühling, dem kein Herbst gegeben, Ihm lasset uns zum Totenopfer zollen Den abgeknickten Zweig - den blütenvollen. Die Asche ruht. - Der Geist entfleucht auf Bahnen Des Lebens, dessen Fülle wir nur ahnen, Wo auch die Kunst ihr himmlisch Ziel erreicht Und vor dem Urbild jedes Bild erbleicht.
Die vorliegende Rahmenerzählung „Das Wirtshaus im Spessart“ ist den „Märchen für Söhne und Töchter gebildeter Stände“ entnommen. Als Textgrundlage diente die Ausgabe von G. Schwab (1830/31), und die sechsbändige Ausgabe von Prof. Adolf Stern (o. J.). Verwendet
wurden die Ergebnisse der Forschung des Schwäb. Schillervereins, hrsg. von K. Stenzel, lexikalische und mehrere Literaturgeschichtsangaben sowie J. Arnaudoffs Dissertation, 1915.
Unter den deutschen Märchendichtern Fouqué, E. Th. A. Hoffmann, Gebrüder Grimm, Brentano u. a. hat sich Hauff einen festen Platz gesichert. Seine Märchen sind in ihrer Frische und ihrem volksverbundenen Humor nicht mehr wegzudenken aus dem großen Märchenschatz unseres Volkes.
Leo Winter