5. Auf der Straße von Kaol

Selbstverständlich ist das Schicksal oft grausam zu mir, doch es gibt ganz bestimmt auch eine gütige Vorsehung, die über mir wacht. Als ich zu stürzen begann, hielt ich mich schon für tot. Das hat ganz sicher auch Thurid getan, denn er schaute nicht einmal hinter mir drein, sondern muß sich sofort wieder umgedreht und den Flieger bestiegen haben.

Ich fiel alles in allem etwa drei Meter, und dann fing sich einer meiner kräftigen Waffenriemen an einem der Steinzapfen der Turmmauer und hielt! Selbst als ich schon dort hing, konnte ich noch immer nicht an das geschehene Wunder glauben, das mich vom Tod errettet hatte, und da brach mir kalter Entsetzensschweiß aus allen Poren meines Körpers.

Endlich gelang es mir, wieder festen Halt zu finden; ich zögerte, erneut hinaufzuklettern, weil ich ja nicht wissen konnte, ob mich Thurid nicht oben erwartete.

Aber dann vernahm ich das Propellerschwirren eines Fliegers, und da dieses Geräusch ständig an Lautstärke zunahm, dann aber sehr viel schwächer wurde, konnte ich annehmen, daß Matai Shang mit seiner Begleitung den Flug nach dem Süden angetreten hatte, ohne sich um mein Schicksal weiter zu kümmern.

Vorsichtig stieg ich also wieder weiter nach oben, und ich muß zugeben, daß ich mit sehr gemischten Gefühlen meine Nase über die Dachkante schob. Zu meiner großen Erleichterung war jedoch niemand mehr zu sehen, und einen Moment später stand ich sicher auf dem breiten flachen Dach.

Es war denn ein Kinderspiel, zum Hangar zu gelangen und den anderen darin befindlichen Flieger herauszuziehen. Und in dem Augenblick, da die beiden Thern-Krieger, die Matai Shang zurückgelassen hatte, um gerade diese Möglichkeit zu verhüten, aus dem Turminnern auf das Dach kamen, da stieg ich auf und flog laut lachend über sie hinweg.

Dann tauchte ich aber schnell in den Innenhof hinunter, wo ich meinen Wula zuletzt gesehen hatte. Zu meiner grenzenlosen Erleichterung fand ich das treue Tier auch noch vor.

Die zwölf großen Banths lagen unter den Türen ihrer Zwinger, funkelten ihn an und knurrten, aber gegen Thuvias Befehl hatten sie nicht verstoßen. Ich war dem Schicksal sehr dankbar, das sie zur Wärterin dieser Tiere in den Goldenen Klippen bestimmt hatte, denn in ihrer mitfühlenden, freundlichen Art hatte sie die Zuneigung dieser wilden Tiere gewonnen.

Wula tat einen Freudensprung, als er mich sah, und der Flieger brauchte nur für einen Moment leicht aufzusetzen; schon war er an Bord gesprungen, und um ein Haar wäre er in seiner unbeschreiblichen Freude die Ursache dafür gewesen, daß der Schweber an der Mauer zerschellte. Im allerletzten Moment riß ich ihn noch hoch. Unter dem lauten Protestgeschrei der Thernwächter erhoben wir uns hoch über die Festung und rasten dann weiter in nordöstlicher Richtung nach Kaol, denn das war Matai Shangs Ziel.

Am Spätnachmittag erkannte ich weit voraus einen winzigen Punkt; es war ein Flieger, und es konnte kein anderer sein als der, in dem sich meine verlorene Liebe und meine Feinde befanden.

Während der Nacht war ich gut und schnell vorangekommen. Ich vermutete, daß sie mich gesehen hatten und daher nachts keine Positionslichter setzten, und deshalb stellte ich meinen Destinationskompaß auf sie ein. Das ist ein wundervolles kleines Gerät auf dem Mars, das man nur einmal auf einen Zielgegenstand einzustellen braucht, und dann zeigt es immer auf ihn, egal wie oft dieser auch die Richtung wechseln mag.

Die ganze Nacht hindurch rasten wir durch die schwarze Leere, überflogen niedere Hügelketten und tote Seegründe, lange verlassene Städte und dichtbevölkerte Siedlungen der Roten Marsmenschen entlang den globusumspannenden Wasserwegen, welche die Erdenmenschen Marskanäle nennen. An diesen Wasserwegen liegen die kultiviertesten Länder des ganzen Planeten.

In der Morgendämmerung hatte ich schon sehr weit aufgeholt. Der Flieger meiner Feinde war wesentlich größer als der meine und daher auch nicht ganz so schnell, doch auch er hatte während der Nacht eine unglaubliche Strecke zurückgelegt.

Die sich verändernde Vegetation unter mir zeigte an, daß wir uns sehr schnell dem Äquator näherten. Ich war dem anderen Flieger nun nahe genug, um mein Bogengewehr benützen zu können, doch ich wollte nicht auf den Flieger schießen, der meine geliebte Dejah Thoris an Bord hatte.

Thurid wurde von solchen Skrupeln jedoch nicht geplagt. Sicher konnte er sich nicht recht mit dem Gedanken anfreunden, daß ich es war, der ihm folgte, doch dem Zeugnis seiner eigenen Augen mußte er wohl vertrauen. Deshalb richtete er die Heckkanone persönlich auf meinen Flieger, und einen Moment später pfiff ein Explosiv-Radiumgeschoß über meinem Kopf hinweg.

Der nächste Schuß des Schwarzen war etwas genauer, traf meinen Flieger am Bug und riß damit die Tanks auf, so daß die Maschine keinen Treibstoff mehr bekam.

Mein Bug fiel nach diesem Schuß so schnell ab, daß ich kaum Zeit genug hatte, Wula an Deck festzubinden und meinen eigenen Harnisch an einem Ring im Schanzkleid zu befestigen, und dann schoß auch schon das Heck in die Höhe, und wir stürzten ab.

Die Hecktanks bewahrten uns vor einem beschleunigten Fall, aber Thurid feuerte ununterbrochen weiter, um auch die zu treffen, denn er wollte ja, daß mein Flieger zusammen mit mir vernichtend aufschlagen sollte.

Wie ein Wunder kam es mir vor, daß weder Wula noch ich getroffen wurden, und auch den Hecktanks passierte nichts. Natürlich wußte ich, daß ein solches Wunder nicht ewig währen konnte, denn Thurid wollte mich ja unter allen Umständen töten. Deshalb wandte ich eine Kriegslist an, auf die Thurid auch prompt hereinfiel. Als der nächste Schuß in den Flieger schlug, warf ich die Arme in die Höhe, ließ meinen Halt los und fiel in mich zusammen, so daß ich wie eine Leiche an dem Waffenriemen hing, der mich am Schanzkleidring festhielt. Thurid schoß nun nicht mehr auf uns. Dann wurde auch das Propellerschwirren leiser, und wir konnten uns also wieder einigermaßen sicher fühlen.

Wir sanken langsam zu Boden, und als wir uns aus dem Wrack des Fliegers befreit hatten, entdeckte ich, daß wir uns in einem natürlich gewachsenen Wald befanden. Das ist auf Barsoom eine sehr große Rarität, und einen solchen Wald habe ich außerhalb des Tales Dor an der Verlorenen See von Korus auf diesem Planeten nie gesehen. Aus Büchern und von Reisenden wußte ich einiges über das wenig erforschte Land Kaol, das sich östlich von Helium am Äquator entlang fast über den halben Planeten erstreckt.

Das Gebiet dieses Landes umfaßt tiefliegendes Land mit tropischer Hitze und ist bewohnt von einem Volk der Roten Rasse, das sich nur wenig in Aussehen, Sitten und Gebräuchen von den übrigen Menschen der Roten Rasse auf Barsoom unterscheidet.

Ich wußte auch, daß diese Menschen zu den wenigen Völkern gehörten, die noch immer an der so sehr in Mißkredit geratenen Religion der Heiligen Therns festhielten, und deshalb konnte Matai Shang dort mit einer herzlichen, ja begeisterten Aufnahme rechnen. John Carter hingegen hatte nichts anderes zu erwarten als einen würdelosen Tod.

Die Kaolianer sind auch deshalb von allen übrigen Völkern und Ländern isoliert, weil kein Wasserweg ihr Gebiet mit dem anderer Nationen verbindet. Sie brauchen auch keine Kanäle, denn ihr tiefliegendes Land ist sehr sumpfig und liefert soviel Wasser, daß sie prachtvolle tropische Ernten erzielen.

Nach allen Richtungen hin ist ihr Land darüber hinaus von rauhen Bergen und toten Seegründen umgeben, die dem Handel und Verkehr auf dem kriegerischen Planeten Barsoom nicht gerade förderlich sind. Jede Nation erzeugt also auch im großen und ganzen die Güter, die sie benötigt, und man muß sich eben mit dem begnügen, was das eigene Land hervorbringt. Es ist daher nicht sehr viel bekannt über den Hof des Jeddaks von Kaol und die merkwürdigen, interessanten Völker, die er regiert.

Ab und zu verirrte sich eine Jagdgesellschaft in diese Gegend, doch in der Regel brach über diese Leute wegen der Feindseligkeit der Bewohner nur schreckliches Unheil herein. Deshalb gibt es in den Dschungeln von Kaol auch noch viele wilde Tiere, die überall sonst die Jäger in Scharen anziehen würden.

Ich befand mich am Rand des Landes der Kaolianer, hatte aber natürlich keine Ahnung, in welche Richtung ich mich auf der Suche nach meiner geliebten Prinzessin wenden sollte, oder wie weit ich in das Herz dieses Urwaldes vordringen mußte.

Mit Wula war es ganz anders.

Er hatte sich kaum aus dem Wrack herausgearbeitet, als er auch schon die Nase in die Luft streckte und am Rand des Waldes herumstreifte. Einmal blieb er stehen und sah zu mir zurück, als wolle er mich auffordern, ihm zu folgen. Dann lief er weiter in das Dickicht hinein, und zwar genau in jene Richtung, die wir eingehalten hatten, ehe Thurids Schuß meinen Bug getroffen hatte.

Wieder einmal verließ ich mich auf Wulas Instinkt und stolperte hinter ihm einen steilen Felshang hinunter, der unmittelbar hinter dem Waldrand begann.

Riesige Bäume streckten ihre Wipfel hoch in die Luft. Sie waren so dicht belaubt, daß kein Stückchen Himmel mehr zu sehen war. Nun verstand ich recht gut, weshalb man in Kaol keine Flotte brauchte. Ihre Städte lagen versteckt in diesen ungeheuren Wäldern und waren von oben her nicht zu entdecken. Nur die kleinsten Flieger konnten hier landen und auch die nur unter größten Gefahren.

Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Thurid und Matai Shang hier landen wollten; später erfuhr ich dann, daß es in jeder Stadt von Kaol einen schlanken Wachtturm gibt, der sich ein wenig über die Wipfel erhebt, von wo aus Kaolianer bei Tag und Nacht den Himmel nach feindlichen Flotten absuchen. Einem solchen Turm konnte sich der Hekator der Heiligen Therns gefahrlos nähern, denn man lotste ihn sicher auf den Boden herunter.

Als ich mit Wula den Fuß des Felshanges erreichte, wurde der Boden weich und sumpfig, so daß wir nur unter Schwierigkeiten vorankamen. Überall wuchsen schlanke purpurne Gräser und gelbe Farne, deren Wedel sogar einige Meter hoch meinen Kopf überragten. Unzählige Kriechtiere hingen in zarten Schlingen von den Bäumen. Sehr viele hatten am Körper eine Art Spinndrüse, mit der sie jedoch nicht nur dünne Seidenfäden, sondern relativ breite Bänder spinnen konnten, die sie von Baum zu Baum spannten. Unter den Urwaldlianen gab es auch einige Arten, die man ›Menschenblumen‹ nennt. Ihre Blüten haben Augen und Hände, mit denen sie die Beuteinsekten, die ihnen zur Nahrung dienen, sehen und greifen können.

Auch den häßlichen Kalotbaum gab es reichlich. Das ist eine Menschenfresserpflanze etwa von der Größe eines mächtigen Beifußbusches, der auf den westlichen Ebenen Nordamerikas das häufigste Unkraut ist. Jeder Zweig endet in starken Kiefern, die sogar, wie man sich glaubhaft erzählte, große, kräftige Tiere festhalten und auffressen konnten.

Ein paarmal entkamen wir diesen Baumungeheuern nur mit knapper Not.

Gelegentlich gelangten wir auf Flecken festen Grasbodens, auf denen wir uns dann von der anstrengenden Arbeit des Querens sumpfigen Landes ausruhen konnten. Es war wirklich eine sehr beschwerliche Reise, und dazu herrschte ja ununterbrochen nur schwaches Zwielicht. Mein Chronometer sagte mir dann, daß die Nacht bald hereinbrechen würde, und so beschloß ich, auf einem dieser Rasenflecken für die Nacht zu lagern.

Um uns herum gab es Früchte in Hülle und Fülle, und da die Marshunde Allesfresser sind, hatte Wula nicht die geringste Schwierigkeit, satt zu werden, nachdem ich etliche Ranken für ihn heruntergebogen hatte. Dann aß auch ich von den Früchten, legte meinen Rücken an die Flanke meines treuen Tieres und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Es herrschte undurchdringliches Dunkel, als ein lautes Knurren Wulas mich aufweckte. Ich vernahm das leise Tappen großer, weichsohliger Pfoten, und dann und wann glühten grüne Augen durch das Dunkel. Ich stand auf, zog mein Langschwert und wartete. Plötzlich kam aus einer wilden Kehle in meiner unmittelbaren Nähe ein tiefes, dröhnendes Röhren. Welch ein Narr war ich doch gewesen, weil ich für Wula und mich nicht ein sicheres Nachtquartier auf einem der Bäume gesucht hatte!

Bei Tageslicht wäre es einfach gewesen, Wula und mich selbst auf einen der breiten Äste zu heben, doch jetzt war es zu spät. Wir konnten jetzt nichts anderes tun, als uns behaupten und uns so gut wie möglich gegen alle Angreifer zu wehren. Das erste Röhren schien allerdings nur ein Signal gewesen zu sein, denn was ihm folgte, war ein unbeschreiblicher Höllenlärm. Wir mußten uns mitten in einer Herde aus Hunderten, wenn nicht Tausenden wilder Dschungeltiere befinden.

Und dieses infernalische Heulen währte die ganze Nacht. Warum sie uns nicht angriffen, ahnte ich damals nicht und kann es mir auch heute noch nicht vorstellen; ich weiß nur, daß ich niemals ein wildes Tier auf einem der orangeroten Rasenflecke im Sumpf gesehen hatte, auch später nicht.

Als der Morgen heraufdämmerte, waren sie immer noch da und gingen immer am Rand des Grasfleckens im Kreis herum. Man kann sich nicht eine wildere, blutrünstigere Meute vorstellen als diese. Nach Sonnenaufgang – im Wald wurde nur die Dämmerung ein wenig heller – verschwanden die Tiere einzeln und in Paaren zwischen den Bäumen. Als das letzte weg war, machte ich mich mit Wula auf den Weiterweg.

Gelegentlich sahen wir im Lauf des Tages von weitem eines dieser schrecklichen Tiere, aber zum Glück entfernten wir uns niemals weit von diesen orangefarbenen Rasenflecken, und selbst wenn sie uns erblickten, endete die Verfolgung regelmäßig an deren Rand. Gegen Mittag kamen wir zu einer gut gebauten Straße, die in jene Richtung lief, welcher wir folgten. Sie war das Werk geschickter Ingenieure und schien ziemlich alt zu sein, wenn auch in ausgezeichnetem Zustand und offenbar häufig befahren. Ich nahm daher an, daß sie zu einer der größeren Städte von Kaol führte.

Als wir von einer Seite her die Straße betraten, erschien aus dem Dschungel auf der anderen ein ungeheuer großes Tier, das sofort auf uns losstürmte.

Man stelle sich einmal eine kahlgesichtige Hornisse von der Größe eines preisgekrönten Herefordbullen vor, dann hat man in etwa ein Bild dessen, was wir sahen. Und dieses Untier, das mit Riesenflügeln ausgestattet war, drang nun auf mich ein.

Angesichts der entsetzlichen Kiefer vorne und eines mächtigen, giftigen Stachels hinten war mein Langschwert kaum mehr als ein unnützes Kinderspielzeug. Wie sollte ich mich damit auch nur verteidigen können? Und diese riesigen Augen mit den Myriaden Facetten bewegten sich blitzschnell, sowie ich mich auch nur ein wenig rührte. Mit diesen schrecklichen Augen konnte das Untier in alle Richtungen sehen, und zwar gleichzeitig und ohne den Kopf zu drehen. Sogar mein starker, furchtloser Wula war vor diesem grauenhaften Wesen hilflos wie ein neugeborenes Kätzchen. Flucht wäre nutzlos gewesen. Außerdem habe ich einer Gefahr noch nie den Rücken zugewandt. Also blieb ich stehen, Wula neben mir. Er knurrte zornig. Ich konnte nur hoffen, daß ich so sterben konnte, wie ich immer gelebt habe – als Kämpfer.

Die Kreatur war nun direkt über uns, und nun sah ich, daß wir doch eine winzige Chance hatten, das Biest zu besiegen. Wenn ich die schreckliche Drohung des Giftstachels beseitigen konnte, der von großen Giftsäcken gespeist wurde, dann war der Kampf ein wenig aussichtsreicher.

Ich befahl also Wula, den Kopf des Tieres anzugreifen und sich fest anzuhängen. Als sich Wulas mächtige Kiefer in dieses abstoßend häßliche Gesicht schlugen und die Fangzähne sich tief in eines der Facettenaugen bohrten, tauchte ich unter dem riesigen Tier durch, das sich gleichzeitig in die Höhe hob und Wula damit in die Luft zerrte, um das unbequeme Wesen mit dem Giftstachel zu töten.

Es konnte meinen sofortigen Tod bedeuten, wenn ich mich in die Stoßrichtung dieses speergleichen Giftstachels begab, doch mir blieb nichts anderes übrig, als gerade das zu tun. Als der Giftspeer mir mit Blitzesschnelle entgegensauste, schwang ich mein Langschwert und trennte mit einem gewaltigen Hieb dieses Mörderglied unmittelbar am kräftig gezeichneten Körper des Tieres ab.

Dann traf mich aber eines der mächtigen Hinterbeine wie ein Rammbock in die Brust, und ich flog atemlos und halb betäubt quer über die breite Straße in das Randgebüsch der anderen Seite. Zum Glück prallte ich nicht an einen Baumstamm, denn dann wäre ich mindestens schwer verletzt, wenn nicht tot gewesen, mit solcher Wucht hatte mich das riesige Hinterbein über die Straße katapultiert. Taumelnd kam ich auf die Beine, und taumelnd eilte ich auch Wula zu Hilfe, der sich im Kopf der Riesenhornisse festgebissen hatte und mindestens zehn Fuß über dem Boden schwebte. Unablässig versuchte das Untier mit allen sechs kräftigen Beinen meinen Wula zu t r e f f e n .

Zum Glück hatte ich auch während des Fluges mein Schwert nicht losgelassen, und so rannte ich auf das Tier zu und stach mit der scharfen Spitze immer wieder auf das Ungeheuer ein.

Offensichtlich verstand dieses Tier wenig von einem strategischen Rückzug, denn es hätte leicht mit Wula davonschwirren können, sondern es ließ sich auf mich herunter, und ehe ich noch entrinnen konnte, hatte es meine Schulter zwischen seinen gewaltigen Kiefern. Immer wieder stieß der Stummelstachel gegen meinen Körper, nur konnte er nicht mehr stechen; doch schon die Schläge waren etwa so wirksam wie ein kräftiger Pferdetritt, und allmählich hätte mich der Stummel sicher zu einer formlosen Masse zerschlagen.

Viel hätte dazu nicht mehr gefehlt, aber da wurde das Untier zum Glück für mich daran gehindert – für immer.

Ich hing ein paar Fuß hoch über der Straße und konnte ihr ein paar hundert Yards weit mit den Augen bis zu einer Biegung nach Osten folgen. Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, diesem Biest je entrinnen zu können, als ich um die Kurve einen Roten Krieger kommen sah.

Er ritt eines jener schönen, kleinen Thoats, die von den Roten Marsbewohnern bevorzugt werden und hatte in der Hand eine lange, glänzende, sehr schlanke Lanze.

Erst ritt er ganz gemächlich dahin, doch dann sah er uns, und nun trieb er sein Tier zu einem etwas schlenkernden Galopp an. Die lange Lanze senkte sich ein wenig, und als Thoat und Reiter vorbeijagten, durchbohrte die Lanze den Körper unseres Gegners.

Das Ding schüttelte sich ein wenig und versteifte sich; die Kiefer erschlafften und ließen mich auf die Straße fallen. Dann knallte das Untier mit dem Kopf voran auf die Straße, begrub aber dabei Wula unter sich, der diesen scheußlichen Kopf nicht eine Sekunde losgelassen hatte.

Als ich noch nicht richtig auf den Beinen stand, kam der Reiter schon zu uns zurück. Ich befahl Wula, den toten Feind loszulassen, und er kroch auch richtig unter dem schweren Kadaver heraus. Miteinander stellten wir uns dem Krieger, der von der Höhe seines Reittieres zu uns heruntersah.

Ich begann dem Fremden für seine rechtzeitige Hilfe zu danken, doch er schnitt meine Worte entschieden ab.

»Wer bist du, und wie kannst du es wagen, das Land Kaol zu betreten und in den königlichen Forsten des Jeddak zu jagen?« fragte er. Dann bemerkte er unter der Kruste aus Blut und Schmutz, die mein Gesicht bedeckte, meine weiße Haut, und seine Augen wurden ganz groß vor Ehrfurcht. »Ist es möglich, daß du ein Heiliger Thern bist?« flüsterte er.

Sicher hätte ich den Mann für eine ganze Weile täuschen können, wie ich auch andere vor und nach ihm getäuscht habe, aber ich hatte in Gegenwart von Matai Shang die gelbe Perücke und das Diadem weggeworfen und wußte außerdem, daß mein neuer Bekannter früher oder später doch entdecken mußte, daß ich gar kein Thern war.

»Ich bin kein Thern«, erwiderte ich also, schlug alle Vorsicht in den Wind und fuhr fort: »Ich bin John Carter, Prinz von Helium, dessen Name dir sicher nicht gänzlich unbekannt ist.«

Erst waren seine Augen riesig groß geworden, und jetzt drohten sie ihm aus dem Kopf zu fallen, da er nun wußte, daß ich John Carter war. Ich griff ein wenig fester um mein Langschwert, denn nun mußte ich mit einem Angriff rechnen. Zu meinem grenzenlosen Erstaunen blieb er jedoch aus.

»John Carter, Prinz von Helium«, wiederholte er langsam, als könne er den Gedanken nicht fassen. »John Carter, der mächtigste Krieger von Barsoom!«

Dann stieg er von seinem Thoat ab und legte mir zum freundlichsten Gruß, den man auf dem Mars kennt, die Hand auf die Schulter.

»Es wäre meine Pflicht und müßte auch mein größtes Vergnügen sein, dich zu töten«, sagte er, »aber in meinem innersten Herzen habe ich immer deine Tapferkeit bewundert, John Carter, und ich glaube auch deiner Aufrichtigkeit, während ich den Therns und ihrer Religion schon seit sehr langer Zeit mißtraue.

Würde Kulan Tith meine häretischen Gedanken auch nur ahnen, würde das meinen sofortigen Tod bedeuten. Doch ich will dir zu Dienst sein, Prinz. Du hast Torkar Bar, Dwar der Straße von Kaol, nur zu befehlen.«

Des Kriegers ehrliches Gesicht und seine noble Haltung drückten eindeutige Ehrlichkeit aus, und ich vertraute ihm daher, wenngleich er auch mein Feind hätte sein müssen. Daß er Captain der Straße von Kaol war, erklärte seine Anwesenheit im tiefsten Urwald, denn auf Barsoom wird jede der großen Straßen von edlen, tüchtigen und furchtlosen Kriegern überwacht. Es gibt keinen ehrenhafteren Dienst als den in den einsamsten Gebieten eines Landes, denn er kann nur von aufrechten, unerschrockenen Männern versehen werden.

»Torkar Bar hat schon eine große Dankesschuld auf meine Schultern geladen«, erwiderte ich und deutete auf den Kadaver der Riesenhornisse, aus dem noch immer der lange Speer ragte.

Der Rote Krieger lächelte. »Es war ein glücklicher Zufall, daß ich rechtzeitig kam«, antwortete er. »Ein Sith kann nur mit diesem vergifteten Speer schnell genug getötet werden, um seine Beute zu retten. In diesem Gebiet von Kaol sind wir alle mit diesen Speeren ausgerüstet, denn dessen Spitze ist mit dem Gift präpariert, mit dem das Untier tötet. Kein Gift wirkt nämlich bei diesem Tier so schnell wie das eigene.«

Er zog den Speer heraus, nahm einen Dolch vom Gürtel und machte etwa in Fußhöhe über der Wurzel des Stachels einen tiefen Einschnitt. Er zog zwei Säcke heraus, deren jeder mindestens eine Gallone der tödlichen Flüssigkeit enthielt.

»So ergänzen wir unsere Vorräte«, fuhr er fort. »Wir hätten davon eigentlich genug, denn der Sith ist fast ausgerottet; doch das Gift wird auch kommerziell genützt.

Nur gelegentlich treffen wir noch auf ein solches Tier. Früher kamen diese schrecklichen Untiere jedoch in Herden von zwanzig oder dreißig, überfielen unsere Städte und trugen Frauen und Kinder und sogar Krieger weg.«

Blitzschnell überlegte ich mir, was ich diesem Mann über die Mission sagen konnte, die mich in dieses Land geführt hatte, doch seine folgenden Worte lösten dieses Problem schon, und ich war froh, nichts gesagt zu haben.

»Und jetzt zu dir selbst, John Carter«, sagte er. »Ich werde dich nicht fragen, in welchen Geschäften du hier bist, und ich will davon auch nichts hören. Ich habe Augen, Ohren und eine durchschnittliche Intelligenz, und gestern früh sah ich auch die Gruppe, die vom Norden her in einem kleinen Flieger zur Stadt Kaol kam. Ich bitte dich nur um eines – um das Wort von John Carter, daß er keine feindselige Tat gegen die Nation von Kaol oder seinen Jeddak plant.«

»Darauf hast du mein Wort, Torkar Bar«, erwiderte ich.

»Mein Weg führt mich die kaolinische Straße entlang, weg von der Stadt Kaol«, fuhr er fort. »Ich habe keinen Menschen gesehen, am allerwenigsten John Carter. Und du hast keinen Torkar Bar gesehen und nicht einmal von ihm gehört. Hast du verstanden?«

»Perfekt«, sagte ich.

Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Diese Straße führt auf dem kürzesten Weg zur Stadt Kaol. Ich wünsche dir Glück.«

Damit schwang er sich auf sein Thoat und trottete davon, ohne auch nur einen einzigen Blick zurückzutun.

Es war schon dunkel, als ich durch die Randbäume des riesigen Forstes die hohe Mauer erspähte, welche die Stadt Kaol umgibt. Wir waren ohne weitere Zwischenfälle oder Abenteuer weitergewandert, und wenn wir einmal auf das eine oder andere Tier trafen, so beäugte es Wula nur neugierig; ich selbst hatte mir den ganzen Körper mit roter Pflanzenfarbe eingeschmiert.

Es war eine Sache, das Land zu durchqueren, eine andere jedoch, die bewachte Stadt des Kulan Tith, Jeddak von Kaol, zu betreten. Kein Mensch kann auf dem Mars eine Stadt betreten, ohne haargenau Auskunft über sich selbst zu geben; und sie muß recht zufriedenstellend sein. Ich redete mir auch nicht ein, auch nur einen Moment lang die Offiziere der Wache täuschen zu können, vor die man mich sofort führte, wenn ich an eines der Tore kam.

Meine einzige Hoffnung schien die zu sein, im Schutz der Dunkelheit in die Stadt zu kommen; war ich erst einmal drinnen, dann konnte ich mich auf meinen Verstand verlassen und mich in einem dicht bevölkerten Viertel verstecken, wo man mich kaum entdecken würde. Mit dieser Absicht folgte ich der Stadtmauer im Schutz des Waldes, in den parallel zur Mauer eine breite Schneise geschlagen war, damit kein Feind sich unbemerkt nähern konnte.

Ein paarmal versuchte ich die Mauer an verschiedenen Stellen zu bezwingen, doch nicht einmal meiner irdischen Muskelkraft gelang es, den sehr klug angelegten Wall zu meistern. Bis zu einer Höhe von dreißig Fuß neigte sich nämlich die Mauer nach außen; in etwa der gleichen Höhe war sie dann senkrecht, und die letzten fünfzehn Fuß bis zur Mauerkrone waren wieder nach außen überhängend. Und wie glatt sie war! Poliertes Glas hätte auch nicht glatter sein können. Ich mußte also schließlich zugeben, daß ich eine barsoomische Festung entdeckt hatte, in die auch ich nicht eindringen konnte.

Ziemlich entmutigt zog ich mich in den Wald neben der breiten Straße zurück, die vom Osten her zur Stadt führt, und legte mich neben Wula schlafen.

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