Am nächsten Tage ging ich im Laufe des Vormittages zu einer Stunde, an welcher ich meinen Gastfreund weniger beschäftigt wußte, in gewähltem Anzuge in seine Stube und dankte ihm innig für das Vertrauen, welches er mir geschenkt habe, und für die Achtung, welche er mir dadurch erweise, daß er mich würdig erachte, Nataliens Gatte zu werden.
»Was das Vertrauen anbelangt«, erwiderte er, »so ist es natürlich, daß man nicht jeden, der uns ferne steht, in unsere innersten Angelegenheiten einweiht; aber eben so natürlich ist es, daß derjenige, der für die Zukunft einen Teil, ich möchte sagen unserer Familie ausmachen wird, auch alles wisse, was diese Familie betrifft. Ich habe euch das Wesentlichste gesagt, einzelne kleine Umstände, die der Vorstellungskraft nicht immer gegenwärtig sind, ändern wohl an der Sachlage nichts. Was die Hochachtung anbelangt, die darin liegt, daß ich euch zu Nataliens Gatten geeignet erachte, so habt ihr vor allen Männern dieser Erde den unermeßlichen Vorzug, daß euch Natalie liebt und euch und keinen andern will; aber auch trotz dieses Vorzuges würden Mathilde und ich, dem man hierin ein Recht eingeräumt hat, nie eingewilligt haben, wenn uns euer Wesen nicht die Zuversicht eingeflößt hätte, daß da ein dauernd glückliches Familienband geknüpft werden könne. Was die Hochachtung anbelangt, die ich euch, abgesehen von dieser Angelegenheit, schuldig bin, so habe ich meiner Meinung nach euch die Beweise derselben gegeben. Wenn ich auch gedacht habe, ihr dürftet Nataliens künftiger Gatte sein, so war der Eintritt dieses Ereignisses so unbestimmt, da es ja auf die Entstehung einer gegenseitigen Neigung ankam, daß der Gedanke daran auf mein Benehmen gegen euch keinen Einfluß haben konnte, ja im Verlaufe der Zeiten war der Gedanke erst der Sohn meiner Meinung von Euch.«
»Ihr habt mir wirklich so viele Beweise eures Wohlwollens und eurer Schonung gegeben«, antwortete ich, »daß ich gar nicht weiß, wie ich sie verdiene; denn Vorzüge von was immer für einer Art sind gar nicht an mir.«
»Das Urteil über den Grund, woraus Achtung und Neigung oder Mißachtung und Abneigung entsteht, muß immer Andern überlassen werden; denn wenn man zuletzt auch annähernd weiß, was man in einem Fache geleistet hat, wenn man sich auch seines guten Willens im Wandel bewußt ist, so kennt man doch alle Abschattungen seines Wesens nicht, in wie ferne sie gegen Andere gerichtet sind, man kennt sie nur in der Richtung gegen sich selbst, und beide Richtungen sind sehr verschieden. Übrigens, mein lieber Sohn, wenn es auch ganz in der Ordnung ist, daß man in der Gesellschaft der Menschen einen gewissen Anstand und Abstand in Kleidern und sonstigem Benehmen zeigt, so wäre es in der eigenen Familie eine Last. Komme also in Zukunft in deinen Alltagsgewändern zu mir. Und wenn ich auch kein Verwandter deiner Braut bin, so betrachte mich als einen solchen, wie etwa als ihren Pflegevater. Es wird schon alles recht werden, es wird schon alles gut werden.«
Er hatte bei diesen Worten die Hand auf mein Haupt gelegt, sah mich an, und in seinen Augen standen Tränen.
Ich hatte nie im Verkehre mit mir die Augen dieses Greises naß werden gesehen; ich war daher sehr erschüttert und sagte: »So erlaubt mir, daß ich in dieser ernsten Stunde auch meinen Dank für das ausspreche, was ich in diesem Hause geworden bin; denn wenn ich irgend etwas bin, so bin ich es hier geworden, und gewährt mir in dieser Stunde auch eine Bitte, die mir sehr am Herzen liegt: erlaubt, daß ich eure ehrwürdige Hand küsse.«
»Nun, nur dieses eine Mal«, erwiderte er, »oder höchstens noch einmal, wenn du mit Natalien, die ein Kleinod meines Herzens ist, von dem Altare gehst.«
Ich faßte seine Hand und drückte sie an meine Lippen; er legte aber die andere um meinen Nacken und drückte mich an sein Herz. Ich konnte vor Rührung nicht sprechen.
»Bleibe noch eine Weile in diesem Hause«, sagte er später, »dann gehe zu den Deinigen und leiste ihnen Gesellschaft. Dein Vater bedarf deiner Person auch.«
»Darf ich den Meinigen eure Mitteilung erzählen?« fragte ich.
»Ihr müßt es sogar tun«, antwortete er, »denn eure Eltern haben ein Recht, zu wissen, in welche Gesellschaft ihr Sohn durch Schließung eines sehr heiligen Bundes tritt, und sie haben auch ein Recht, zu wünschen, daß ihr Sohn nicht Geheimnisse vor ihnen habe. Ich werde übrigens wohl selber mit eurem Vater über dieses und viele andere Dinge sprechen.«
Wir beurlaubten uns hierauf, und ich verließ das Zimmer.
Den Rest des Vormittages verbrachte ich mit Abfassung eines Briefes an meine Eltern.
Am Nachmittage suchte ich Gustav auf, und er erhielt die Erlaubnis, mit mir einen weiteren Weg in der Gegend zu machen. Wir kamen in der Dämmerung zurück, und er mußte die Zeit, welche er am Tage verloren hatte, bei der Lampe nachholen.
Unter Arbeiten in meinen Papieren, in welche ich einige Ordnung zu bringen suchte, im Umgange mit meinem Gastfreunde, der mir leutselig manche Zeit schenkte, unter manchem Besuche im Schreinerhause, wo Eustach sehr beschäftigt war, oder bei seinem Bruder Roland, der jeden lichten Augenblick des Tages zu seinem Bilde benützte, und endlich unter manchem weiten Gange in der Umgebung, da dieser Winter der erste war, den ich so tief im Lande zubrachte, verging noch die Zeit bis gegen die Mitte des Hornung. Ich nahm nun Abschied, sendete meine Sachen auf die Post nach Rohrberg und ging zu Fuße nach, harrte dort der Ankunft des Wagens aus dem Westen, erhielt, da er gekommen war, einen Platz in ihm und fuhr meiner Heimat zu.
Ich wurde wie immer sehr freudig von den Meinigen gegrüßt und mußte ihnen von der Winterreise im Hochgebirge erzählen. Ich tat es, und erzählte ihnen in den ersten Tagen auch, was mir mein Gastfreund mitgeteilt hatte. Es war ihnen bisher unbekannt gewesen.
»Ich habe Risach oft nennen gehört«, sagte mein Vater, »und stets war der Ausdruck der Hochachtung mit der Nennung seines Namens verbunden. Von der Familie, welche Heinbach besaß, habe ich nur Alfred flüchtig gekannt. Mit Tarona war ich einmal in einer entfernten Geschäftsverbindung gestanden.«
Die Jugendbeziehungen meines Gastfreundes zu Mathilden mußten sehr geheim gehalten worden sein, da weder je der Vater noch irgend jemand aus seiner Bekanntschaft von dieser Sache etwas gehört hatte, obwohl über ähnliche Gegenstände die Sprechlust am regesten zu sein pflegt. Daß meine Mitteilungen an meine Angehörigen nach dem Bunde mit Natalien den größten Eindruck machten, ist begreiflich. Deßohngeachtet hatte ich doch auch dem Vater etwas gebracht, was ihn sehr freute. Ich war in den letzten Tagen meines Aufenthaltes in dem Rosenhause noch bei dem Gärtner gewesen und hatte ihn ersucht, mir die Vorschrift zur Bereitung des Bindemittels an den Gläsern des Gewächshauses zu verschaffen, wodurch das Hineinziehen des Wassers zwischen die Gläser und das dadurch bewirkte Herabtropfen verhindert wird. Er hatte die Vorschrift wohl nicht selber, ging aber zu meinem Gastfreunde, und durch diesen erhielt ich sie. Ich erzählte meinem Vater von der Sache und übergab ihm die Anleitung zur Bereitung.
»Das wird das für die Pflanzen so schädliche Herabtropfen des Winterwassers in unserem hiesigen Gewächshause also für die Zukunft verhindern«, sagte er, »noch mehr freue ich mich aber, es gleich neu in den neuen Gewächshäusern anwenden zu können, welche neben dem Landhause stehen werden, das ich bauen werde.«
Die Mutter lächelte.
»Bereitet euch einstweilen auf die Reise in den Sternenhof und in das Rosenhaus vor«, sagte der Vater, »alles Andere ist geschehen, der Schritt, der nun zu tun ist, liegt uns ob. In den ersten Tagen des Frühlings worden wir hinreisen, und ich werde für meinen Sohn werben. Ihr Weiber bereitet euch gerne auf solche Dinge vor, tut es und beeilt euch, ihr habt nicht lange Zeiten vor euch, zwei Monate und etwas darüber. Was mir bis dahin obliegt, wird nicht auf sich warten lassen.«
Daß diese Maßregel Beifall hatte, ging aus der Sachlage hervor; die Zeit zur Vorbereitung aber wollte man etwas kurz nennen. Der Vater sagte, es dürfe nicht das Geringste zugegeben werden, weil man es sonst der Wichtigkeit des Verhältnisses nähme. Das war einleuchtend.
Es ging nun an ein Arbeiten und Bestellen, und kein Tag war, dem nicht seine Last zugeteilt wurde. Die Mutter traf auch Vorbereitungen für den Fall, daß die neuen Ehegatten in ihrem Hause wohnen würden. Der Vater sagte ihr zwar, daß meiner Verbindung noch meine große Reise vorangehen werde; allein sie widerlegte ihn mit der Bemerkung, daß es keinen Schaden bringe, wenn Manches früher fertig sei, als man es eben brauche. Er ließ sofort ihrem hausmütterlichen Sinne seinen Lauf.
Zu Ende des Märzes brachte der Vater einen sehr schönen Wagen in das Haus. Es war ein Reisewagen für vier Personen. Er hatte den Wagen nach seinen eigenen Angaben machen lassen.
»Wir müssen unsere Freunde ehren«, sagte er, »wir müssen uns selber ehren, und wer kann wissen, ob wir den Wagen nicht noch öfter brauchen werden.«
Er verlangte, daß man ihn genau besehe und in Hinsicht seiner Bequemlichkeit, besonders für Reisegegenstände von Frauen, prüfe. Es geschah, und man mußte die Einrichtung des Wagens loben. Es war Festigkeit mit Leichtigkeit verbunden, und bei einer gefälligen Gestalt bot er Räumlichkeit für alle nötigen Dinge.
»Ich bin nun fertig«, sachte er, »sorgt, daß eure Vorbereitungen nicht zu lange dauern.«
Aber auch die Frauen waren zu der rechten Zeit in Bereitschaft. Der Vater hatte den Beginn der Baumblüte und des Blätterknospens als Reisezeit bestimmt, und zu dieser Zeit fuhren wir auch fort.
Ich fuhr nun einen Weg, den ich so oft allein oder mit Fremden in einem Wagen zurückgelegt hatte, mit allen meinen Angehörigen. Wir fuhren mit Pferden, die wir uns auf jeder Post geben ließen; allein wir fuhren zur Bequemlichkeit der Mutter und Klotildens, weshalb wir uns oft länger an einem Orte aufhielten und kleine Tagereisen machten. Ein sehr schönes Wetter und eine Fülle von weißen und rotschimmernden Blüten begleitete uns.
Am vierten Tage vormittags fuhren wir in dem Sternenhofe ein. Mathilde war von unserer Ankunft unterrichtet worden. Wir hatten das Wagendach zurückgelegt, und alle Blicke meiner Angehörigen hafteten schon von weiter Entfernung her auf dem Blütenhügel, auf dem das Schloß stand, sie richteten sich jetzt auf die Gestalt des Bauwerkes, endlich auf das Sternenschild über dem Tore, auf die Wölbung des Torweges und zuletzt auf Mathilden und Natalien, die da standen, um uns zu empfangen. Wir stiegen aus. Natalie wechselte die Farben zwischen Blaß und Purpurrot. Man wartete nicht weiter mit dem Gruße. Klotilde und Natalie lagen sich an dem Halse und weinten. Meine ehrwürdige Mutter war von Mathilden umfaßt und an das Herz gedrückt. Dann wurde der Vater von ihr anmutsvoll und herzlich gegrüßt, sie reichte ihm beide Hände und sah ihn mit ihren Augen, die noch immer so schön waren, auf das Innigste an. Natalie hatte indessen die Hand meiner Mutter gefaßt und sie geküßt. Diese gab den Kuß auf die Stirne des schönen Mädchens zurück. Der Vater wollte wahrscheinlich etwas Heiteres oder gar Scherzhaftes zu Natalien sagen; aber als er sie näher anblickte, wurde er sehr ernst und beinahe scheu, er grüßte sie anständig und sehr fein. Wahrscheinlich hatte ihn ihre Schönheit überrascht oder er erinnerte sich, wie es auch mir ergangen war, an die Pracht seiner geschnittenen Steine. Klotilde wurde von Mathilden auch an das Herz gedrückt. Auf mich dachte beinahe niemand. Ob dieser Empfang der strengen Umgangssitte oder irgend einer Rangordnung gemäß war, darnach fragte niemand. Wir gingen unter einander gemischt die Treppe hinan und wurden in Mathildens Gesellschaftszimmer geführt. Dort lieh man den Grüßen erst lebhaftere Worte und einen geregelten Ausdruck.
»So lange haben wir uns gekannt und erst jetzt sehen wir uns«, sagte Mathilde zu meinen Eltern, als sie dieselben zum Niedersitzen auf ihre Plätze veranlaßt hatte.
»Es war ein Wunsch von vielen Jahren«, entgegnete mein Vater, »daß wir die Menschen sähen, die gegen meinen Sohn so wohlwollend waren und die sein Wesen so sehr gehoben hatten.«
»Das ist nun Natalie, meine teure Klotilde«, sagte ich, indem ich beide Mädchen einander vorstellte, »das ist Natalie, die ich so sehr liebe, so sehr wie dich selbst.«
»Nein, mehr als mich, und so ist es auch recht«, erwiderte Klotilde.
»Sei meine Schwester«, sagte Natalie, »ich werde dich lieben wie eine Schwester, ich werde dich lieben, so sehr es nur mein Herz vermag.«
»Ich nenne dich auch du«, erwiderte Klotilde, »ich liebe meinen Bruder wie mein eigenes Herz, und werde dich auch so lieben.«
Die beiden Mädchen umarmten sich wieder und küßten sich wieder.
Als wir uns um den Tisch gesetzt hatten, sagte ich zu Natalien: »Und mich grüßt ihr beinahe gar nicht.«
»Ihr wißt es ja doch«, erwiderte sie, indem sie mich freundlich ansah.
Das Gespräch dauerte nun allgemeiner über denselben Gegenstand fort.
Die zwei Frauen konnten sich kaum genug betrachten und nahmen sich immer wieder bei den Händen.
Als man endlich auf andere Gegenstände übergegangen war und über die Reise und ihre Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten gesprochen hatte, sagte mein Vater, daß wir noch sämtlich in Reisekleidern seien, daß wir ans verabschieden müßten, und er fragte, wann er die Ehre haben könnte, sich Mathilden wieder vorstellen zu dürfen.
»Nicht Vorstellung«, erwiderte sie, »Besuch, wann ihr immer wollt.«
»Also in zwei Stunden«, entgegnete mein Vater.
Wir gingen in unsere Zimmer, und mein Vater wies uns an, uns in Festkleider zu kleiden. Nach zwei Stunden ging er allein mit der Mutter, beide wie an einem hohen Festtage geschmückt, zu Mathilden, welche sie zu sprechen verlangten. Mathilde empfing sie in dem großen Gesellschaftszimmer, und mein Vater warb um die Hand Nataliens für mich.
Nach wenigen Augenblicken wurden Natalie, Klotilde und ich hineingerufen, und Mathilde sagte: »Der Herr und die Frau Drendorf haben für ihren Sohn Heinrich um deine Hand geworben, Natalie.«
Natalie, welche in einem so festlichen Kleide da stand, wie ich sie nie gesehen hatte, weshalb sie mir beinahe fremd erschien, blickte mich mit Tränen in den Augen an. Ich ging auf sie zu, faßte sie an der Hand, führte sie vor ihre Mutter, und wir sprachen einige Worte des Dankes. Sie entgegnete sehr freundlich. Dann gingen wir zu meinen Eltern und dankten ihnen gleichfalls, die gleichfalls freundlich antworteten. Klotilde war in ihrem Festanzuge sehr befangen, was auch fast bei allen Andern der Fall war. Mein Vater löste die Stimmung, indem er zu einem Tische schritt, auf welchem er ein Kästchen niedergestellt hatte. Er nahm das Kästchen, näherte sich Natalien und sagte: »Liebe Braut und künftige Tochter, hier bringe ich ein kleines Geschenk; aber es ist eine Bedingung daran geknüpft. Ihr seht, daß ein Faden um das Schloß liegt und daß der Faden ein Siegel trägt. Schneidet den Faden nicht eher ab als nach eurer Vermählung. Den Grund meiner Bitte werdet ihr dann auch sehen. Wollt Ihr sie freundlich erfüllen?«
»Ich danke für eure Güte innig«, antwortete Natalie, »und ich werde die Bedingung erfüllen.«
Sie empfing das Kästchen aus der Hand des Vaters. Auch die Mutter und Klotilde gaben ihr Geschenke, so wie Mathilde und Natalie Gegenstände aus den benachbarten Zimmern herbeiholten, um die Mutter, Klotilden und den Vater zu beschenken. Natalie und ich gaben uns nichts. Dann setzten wir uns um einen Tisch nieder, und es begannen herzliche Gespräche. Am Schlusse sagte Mathilde: »So wäre denn der Bund, den die Herzen unserer Kinder geschlossen haben, auch durch die Beistimmung der Eltern bekräftigt. Der Tag der ewigen Verbindung mag nach ihrem Wunsche und unserer Meinung festgesetzt werden. Wir wollen darüber jetzt nicht sprechen, sondern es der Beratung und Vereinbarung anheimgeben.«
Nach diesen Worten trennten wir uns und begaben uns in unsere Zimmer.
Die festlichen Kleider wurden nun abgelegt, und es begann das Besuchsleben, wie es in ähnlichen Verhältnissen und namentlich, wenn man in so nahe Beziehungen getreten ist, der Fall zu sein pflegt. Mathilde führte nach und nach den Vater und die Mutter in alle Teile des Schlosses, des Gartens, des Meierhofes, der Felder, der Wiesen und der Wälder. Sie zeigte ihnen alle Zimmer des Hauses: ihre Wohnzimmer, die Zimmer mit den alten Geräten, sie zeigte ihnen die Bilder und was sich nur immer in dem Schlosse befand. Sie ging mit ihnen in den Garten: zu den Linden, zu allen Obstbäumen, zu den Blumenbeeten, in die Grotte mit der Brunnennymphe, auf die Eppichwand und in jede Anlage, die in dem Garten enthalten war. Ebenso wurde alles, was sich auf die Landwirtschaft bezog, auf das Genaueste durchgenommen. Gegen den Abend, wenn die Sonnenstrahlen milde auf die blühende Erde leuchteten, wurde ein gemeinschaftlicher Gang durch irgend einen Teil der Gegend gemacht. Wiederholt gingen wir die ganze Länge des Berührweges durch, und die Eltern fanden Gefallen an dieser Bahn, die eine freie und rüstige Bewegung in trüben Tagen so wie im Winter auf eine angenehme Weise gestatte. Der Vater konnte über alles der Freude und des Lobes kein Ende finden. Mathilde und die Mutter sprachen oft lange und immer sehr freundlich mit einander, sie tauschten wahrscheinlich ihre Ansichten über Häuslichkeit und Verwaltung des Zugehörigen aus. Natalie und Klotilde waren fast unzertrennlich, sie schlossen sich an einander an, bezeugten sich jede Innigkeit, und oft, wenn wir alle in das Schloß zurückgekehrt waren, gingen sie noch auf einem einsamen Wege des Gartens oder auf einem Pfade des nächstgelegenen Feldes herum.
»Siehst du, Klotilde«, sagte ich, »ich konnte dir kein Bild von Natalie bringen, weil keins da war, jetzt hast du sie selber.«
»Um wie viel lieber als jedes Bild«, antwortete sie, »aber ein Bild muß doch ausgeführt werden, damit man später wisse, wie sie in diesen Jahren ausgesehen habe.«
Acht Tage entließ uns Mathilde nicht von dem Sternenhofe, und jeder Tag fand seine freundliche Beschäftigung. Am neunten wurden die Anstalten gemacht, daß wir alle in das Rosenhaus abreisen konnten. Mathilde und die Eltern fuhren in unserem Reisewagen. Natalie, Klotilde und ich in dem Wagen Mathildens.
Als wir den Hügel hinanfuhren, konnte mein Vater seine Neugierde kaum mehr bemeistern. Ich sah ihn öfter in dem Wagen aufstehen und herumblicken. Es war ein wolkig heiterer Tag, Strichregen gingen auf entferntere Wälder nieder, Sonnenblicke schnitten goldne Bilder auf den Hügeln und Ebenen aus, und das Haus meines Gastfreundes schaute sanft von seiner Anhöhe hernieder. Obwohl, da wir von der Stadt abfuhren, dort bereits alles in Blüte stand, war in der Umgebung des Rosenhauses trotz der Zeit, die wir auf der Reise und in dem Hause Mathildens zugebracht hatten, doch noch die Baumblüte nicht vorüber, sondern sie war erst in ihrer vollen Entfaltung. Denn das Land hier lag um ein Bedeutendes höher als die Stadt. Ein Teil des Wintergetreides stand auf dem Hügel in üppigstem Wuchse, ein Teil schickte sich dazu an, das Sommergetreide keimte hie und da, und hie und da war noch die braune Erde zu sehen.
Mein Gastfreund hatte durch Mathilden Nachricht von unserer Ankunft erhalten. Als wir bei dem Gitter anfuhren, stand er mit Gustav, Eustach, Roland, mit der Haushälterin Katharine, mit dem Hausverwalter, mit dem Gärtner und anderen Leuten auf dem Sandplatze vor dem Gitter, um uns zu empfangen. Wir stiegen aus, und da standen sich nun mein Vater und mein Gastfreund gegenüber. Der letztere hatte schneeweiße Haare, mein Vater etwas minder weiße, aber liebe, ehrwürdige Männer waren beide. Sie reichten sich die Hand, sahen sich einen Augenblick an und schüttelten sich dann ihre Rechte herzlich.
»Seid mir gegrüßt, seid mir tausendmal gegrüßt an meiner Schwelle«, sagte mein Gastfreund, »selten ist hier einer eingegangen, der so willkommen gewesen wäre wie ihr, und selten habe ich mich nach jemandem so gesehnt wie nach euch. Wir sind nun so lange in Verbindung und ich habe euch schon so lange in der Liebe eures Sohnes geliebt.«
»Ich euch in der Liebe eures jungen Freundes«, erwiderte mein Vater, »es ist einer meiner liebsten Tage, der mich unter dieses Dach bringt. Ich komme in das Haus des Mannes, den ich durch meinen Sohn kenne, obgleich ich auch den Staatsmann hochachten muß. Ich komme mit der Schuld des Dankes belastet. Ihr habt mich ausgezeichnet, ehe ich es nur im geringsten Maße um euch verdient hatte.«
»Laßt das jetzt, es machte mir ja selber Freude«, entgegnete mein Gastfreund, »aber seht, so begeht man Fehler, wenn man von einer Leidenschaft befangen ist, besonders, wenn zwei alte Altertumsfreunde zusammentreffen. Ich habe versäumt, eurer verehrtest Gattin meinen ersten Gruß darzubringen, wie es Pflicht gewesen wäre. Aber, teure Frau, ihr werdet es, wenn auch nicht ganz entschuldigen, doch als ein geringeres Vergehen ansehen, als eine andere Frau, da ihr euren Gatten und seine Beziehungen zu seinen Schätzen kennt. Seid mir gegrüßt, und wenn ich sage, daß ich euch nicht minder als euren Gatten hieher gewünscht habe, so sage ich die Wahrheit, und euer eigener Sohn ist gegen euch Zeuge, wenn ihr meine Worte bezweifeln wolltet. Es freut mich, euch in mein Haus führen zu können, erlaubt, daß ich eure Hand fasse. Mathilde, Natalie, Heinrich, ihr müsset heute etwas Nebensache sein, und dieses Fräulein, das ich wohl schon als Klotilde kenne, wird erlauben, daß ich sie auch ein wenig liebe und um Gegenneigung bitte. Gustav, führe das Fräulein.«
»Gönnt mir die Gnade, euch führen zu dürfen«, sagte Gustav zu Klotilden.
Sie sah den Jüngling sanft an und sagte: »Ich bitte um die Gefälligkeit.«
»Ehe wir gehen«, sagte mein Gastfreund noch, »sehet noch hier meine zwei ausgezeichneten Künstler Eustach und Roland, die mit mir in unserem Besitze leben, den ich Sorgenfrei nennen würde, wenn er nicht voll von Sorgen steckte. Sie wollen euch vor dem Hause begrüßen. Seht da auch meine Katharine, die das Haus zusammenhält, und dann meinen Hausverwalter und Gärtner und Andere, welche die Lust des Empfanges nicht missen wollten.«
Mein Vater reichte jedem die Hand, und die Mutter und Klotilde verbeugten sich auf das Artigste.
Hierauf nahm mein Gastfreund den Arm meiner Mutter, mein Vater den Mathildens, ich Nataliens, Gustav Klotildens, und so gingen wir bei dem Eisengitter in den Garten und in das Haus. Die Wägen fuhren in den Meierhof. In dem Hause wurden wir gleich in unsere Zimmer geführt. Mathilde und Natalie gingen in ihre gewöhnliche Wohnung. Für meinen Vater und für meine Mutter war ein Aufenthalt von drei Zimmern eigens gerichtet worden. Sie hatten sehr schöne Wandbekleidungen und vorzügliche Geräte. Für alle und jede Bequemlichkeit war gesorgt. Klotilde hatte ein zierliches blaßblaues Zimmerchen daneben. Ich ging von der Wohnung meiner Eltern in meine Zimmer, welche die gewöhnlichen waren. Gustav besuchte mich hier in dem ersten Augenblicke, und umschlang mich mit der größten Freude und Liebe.
»Nun ist doch alles sicher und gewiß«, sagte er.
»Sicher und gewiß«, entgegnete ich, »wenn Gott sein Vollbringen gibt. Jetzt bist du mein teurer, vielgeliebter Bruder in der Tat, wenn du es auch der Fassung nach erst in einiger Zeit wirst.«
»Darf ich auch du sagen?« fragte er.
»Von ganzem Herzen«, erwiderte ich.
»Also du, mein geliebter, mein teurer Bruder«, sagte er.
»Auf immer, so lange wir leben, was auch, sonst für Zwischenfälle kommen mögen«, sagte ich.
»Auf immer«, antwortete er, »aber jetzt kleide dich schnell um, damit du nicht zu spät kommst. Man wird in dem Besuchsaale zu ebener Erde noch einmal zu einem Gruße zusammenkommen, ehe man zum Mittagessen geht. Ich muß mich selber zurecht richten.«
Es war so, wie Gustav gesagt hatte, und es war an alle die Einladung ergangen. Er verließ mich, und ich kleidete mich um.
Wir versammelten uns in dem Besuchzimmer zu ebener Erde, in welchem ich, da ich das erste Mal in diesem Hause war, allein gewartet hatte, während mein Gastfreund gegangen war, ein Mittagessen für mich zu bestellen. Ich hatte damals den Gesang der Vögel hereingehört. Der eingelegte Fußboden war heute mit einem sehr schönen Teppiche ganz überspannt. Auch Eustach und Roland waren zu der Versammlung eingeladen worden.
Als sich alle eingefunden hatten, stand mein Gastfreund, welcher so festlich angezogen war wie wir, auf und sprach: »Ich richte noch einmal an alle, welche gekomrnen sind, den Empfangsgruß innerhalb der Wände dieses Hauses. Es ist ein schöner Tag. Wenn gleich mancher liebe Freund und gewissermaßen Schlachtkamerade, den ich noch besitze, nicht hier ist, so kann eben nicht immer alles, was man liebt, versammelt sein. Das Eigentliche ist hier, ist aus einem lieben Anlasse hier, aus welchem ein noch schönerer Tag für Manche hervorgehen kann. Ihr, sehr hochgeehrte Frau, die Mutter des jungen Mannes, welcher zu verschiedenen Malen unter dem Dache dieses Hauses gewohnt hat, seid dem Hause willkommen. Es hat euren Namen oft gehört und die Namen eurer Tugenden, und wenn der Schall der Rede oft auch ganz Anderes zu verkünden schien, so gingen unbewußt eure Eigenschaften daraus hervor, sammelten sich hier und erzeugten Ehrerbietung und, erlaubt einem alten Manne das Wort, Liebe. Ihr, mein edler Freund — gönnt mir den Namen auch, den ich euch so gerne gebe —, ein graues Haupt wie ich, aber ehrwürdiger in der Verehrung seiner Kinder und darum auch in der anderer Leute, ihr habt mit eurer Gattin unsichtbar dieses Haus bewohnt und ehrt es, da es eure Gestalt nun selber in seinen Räumen sieht. Ihr, Klotilde, wandeltet mit euren Eltern hier und seid gleichfalls in eurem Eigentume. Zu dir, Mathilde, spreche ich erst jetzt, nachdem ich zu den Andern gesprochen habe, die nicht so oft die Schwelle dieses Hauses betreten haben wie du. Du bringst uns heute etwas, das allen lieb sein wird. Sei deshalb nicht mehr gegrüßt und willkommen, als du hier immer gegrüßt und willkommen gewesen bist. Sei willkommen, Natalie, und seid gegrüßt, Heinrich. Eustach, Roland, Gustav sind als Zeugen hier von dem, was da geschieht.«
Meine Mutter antwortete hierauf: »Ich habe immer gedacht, daß wir in diesem Hause werden herzlich empfangen werden, es ist so, ich danke sehr dafür.«
»Ich danke auch, und möge die gute Meinung von uns sich bewähren«, sagte der Vater.
Klotilde verneigte sich nur.
Mathilde sprach: »Sei bedankt für deinen Gruß, Gustav, und wenn du sagst, daß ich etwas bringe, das allen lieb sein wird, so berichte ich, daß Heinrich Drendorf und Natalie vor neun Tagen im Sternenhofe verlobt worden sind. Wir haben den Weg zu dir gemacht, um deine Billigung zu dieser Vornahme zu erwirken. Du hast immer wie ein Vater an Natalien gehandelt. Was sie ist, ist sie größtenteils durch dich. Daher könnte ein Band sie nie beglücken, das deinen vollen Segen nicht hätte.«
»Natalie ist ein gutes, treffliches Mädchen«, erwiderte mein Gastfreund, »sie ist durch ihr innerstes Wesen und durch ihre Erziehung das geworden, was sie ist. Ich mag ein Weniges beigetragen haben, wie alle nicht bösen Menschen, mit denen wir umgehen, zu unserem Wesen etwas Gutes beitragen. Du weißt, daß der geschlossene Bund meine Billigung hat, und daß ich ihm alles Glück wünsche. Weil du mich aber Vater Nataliens nennst, so mußt du erlauben, daß ich auch als Vater handle. Natalie erhält als meine Erbin den Asperhof mit allem Zubehör und allem, was darin ist, sie erhält auch, da ich gar keine Verwandten besitze, meine ganze übrige Habe. Die Ausfolgung geschieht in der Art, daß sie einen Teil des gesammten Vermögens an ihrem Vermählungstage empfängt nebst den Papieren, welche ihr das Anrecht auf den Rest zusprechen, der ihr an meinem Todestage anheim fällt. Einige Geschenke an Freunde und Diener werden in den Papieren enthalten sein, die sie gerne verabfolgen wird. Weil ich Vater bin, so werde ich auch meine liebe Tochter ausstatten, von ihrer Mutter kann sie nur Geschenke annehmen. Und einen Eigensinn müßt ihr mir gestatten, dessen Bekämpfung von eurer Seite mich sehr schmerzen würde. Die Vermählung soll auf dem Asperhofe gefeiert werden. Hieher ist der Bräutigam vor mehreren Jahren zuerst gekommen, hier habt ihr ihn kennen gelernt, hier ist vielleicht die Neigung gekeimt und hier endlich wohnt ja der Vater, wie er eben genannt worden ist. Vom Vermählungstage an wird im Asperhofe für die jungen Eheleute eine Wohnung in Bereitschaft stehen, es wird aber an sie nicht die Forderung gestellt werden, daß sie dieselbe benützen. Sie sollen nach ihrer Wahl ihre Wohnung aufschlagen: entweder im Asperhofe oder im Sternenhofe oder in der Stadt oder auch abwechslungsweise, wie es ihnen gefällt.«
Mathilde war während dieser ganzen Rede mit Würde und Anstand in ihrem Sitze gesessen, wie überhaupt in der ganzen Versammlung ein tiefer Ernst herrschte. Mathilde suchte ihre Haltung zu bewahren; allein aus ihren Augen stürzten Tränen, und ihr Mund zitterte vor starker Bewegung. Sie stand auf und wollte reden; aber sie konnte nicht und reichte nur ihre Hand an Risach. Dieser ging um den Tisch — denn eine Ecke desselben trennte sie —, drückte Mathilden sanft in ihren Sitz nieder, küßte sie sachte auf die Stirne und strich einmal mit seiner Hand über ihre Haare, die sie glatt gescheitelt über der feinen Stirne hatte.
Mein Vater nahm hierauf, da Risach wieder an seinem Platze war, das Wort, und sprach: »Es ist noch ein Vater da, welcher auch einige Worte reden und einige Bedingungen stellen möchte. Vor allem, Freiherr von Risach, empfanget den innigsten Dank von mir im Namen meiner Familie, daß ihr ein Mitglied derselben zu einem Mitgliede der eurigen aufzunehmen für würdig erachtet habt. Unserer Familie ist dadurch eine Ehre erzeigt worden, und mein Sohn Heinrich wird sich sicherlich bestreben, sich alle jene Eigenschaften zu erwerben, welche ihm zur Erfüllung seiner neuen Pflichten und zur Darstellung jener Menschenwürde überhaupt nötig sind, ohne welche man ein Teil der besseren menschlichen Gesellschaft nicht sein kann. Ich hoffe, daß ich hierin für meinen Sohn bürgen kann, und ihr selber hofft es, da ihr ihn in die Stellung aufgenommen habt, in der er ist. Mein Sohn wird in die neue Haushaltung bringen, was nicht für unbillig erachtet worden soll. In meinem Hause in der Stadt wird eine anständige Wohnung für die Neuvermählten immer in Bereitschaft stehen, und wenn ich das Landleben einmal vorziehen sollte, so werden sie auch in meiner neuen Wohnung einen Platz finden. Ihr eigenes ständiges Haus mögen sie nach Belieben aufschlagen. Daß die Vermählung in dem Asperhofe sei, ist nach meiner Meinung gerecht, und ich glaube, es wird niemand die Maßregel bestreiten. Und nun habe ich noch eine Bitte an euch, Freiherr von Risach, nehmt mich alten Mann und meine alte Gattin nebst unsrer Tochter nicht ungerne in euren Familienkreis auf. Wir sind bürgerliche Leute und haben als solche einfach gelebt; aber in jedem Verhältnisse unsere Ehre und unsern guten Namen aufrecht zu erhalten gesucht.«
»Ich kenne Euch schon lange«, antwortete Risach, »obwohl nicht persönlich, und habe euch schon lange hoch geachtet. Noch höher achtete und liebte ich euch, als ich euren Sohn kennen gelernt hatte. Wie sehr es mich freut, in eine nähere Umgangsverbindung mit euch zu kommen, kann euch euer Sohn sagen und wird euch die Zukunft zeigen. Was die Bürgerlichkeit anlangt, so gehörte ich zu diesem Stande. Vergängliche Handlungen, die man Verdienste nannte, haben mich auf eine Zeit aus ihm gerückt, ich kehre durch meine angenommene Tochter wieder zu ihm zurück, der mir allein gebührt. Ehrenvoller, würdiger Mann einer stetigen Tätigkeit und eines wohlgegründeten Familienlebens, wenn ihr mich, der ich Beides nicht habe, für wert erachtet, so kommt an mein Herz und laßt uns die letzten Lebenstage freundlich mit einander gehen.«
Beide Männer verließen ihre Plätze, begegneten sich auf halbem Wege zu einander, schlossen sich in die Arme und hielten sich einen Augenblick fest. Wie erschütternd das auf alle wirkte, zeigte die Tatsache, daß es totenstill im Zimmer war und daß manche Augen feucht wurden.
Meine Mutter war, da Risach Mathilden verlassen hatte, zu ihr gegangen, hatte sich neben sie gesetzt und hatte ihre beiden Hände gefaßt. Die Frauen küßten sich und hielten sich noch immer beinahe umfangen.
Ich und Natalie traten jetzt vor Risach und sagten, daß wir ihm für alles Liebe und Gute gegen uns aufs Tiefste danken und daß unser einziges Bestreben sein werde, seiner guten Meinung über uns immer würdiger zu werden.
»Ihr seid lieb und freundlich und ehrlich«, sagte er, »und alles wird gut werden.«
Wir gingen wieder an unsere Plätze, und Eustach, Klotilde, Roland, Gustav und selbst die Eltern wünschten uns nun alles Glück und allen Segen.
Hierauf nahm das Gespräch eine Wendung auf einfachere und gewöhnlichere Dinge. Man stand auch öfter auf und mischte sich durcheinander. Meine Mutter hatte heute einige der schönsten geschnittenen Steine meines Vaters als Schmuck an ihrem Körper. Mein Gastfreund hatte öfter darauf hingeblickt; allein jetzt konnten er und Eustach dem Reize nicht mehr widerstehen, sie traten zu meiner Mutter, betrachteten verwundert die Steine und sprachen über dieselben. Später kam auch Roland hinzu. Meinem Vater glänzten die Augen vor Freude.
Als das Gespräch noch eine Weile gedauert hatte, trennte man sich und bestellte sich auf einen Spaziergang, der noch vor dem Mittagessen statt finden sollte. Auf dem Sandplatze vor dem Rosengitter an dem Hause wollte man sich versammeln.
Wir kleideten uns in andere Kleider und kamen vor dem Hause zusammen.
Mein Vater, der wahrscheinlich sehr neugierig war, alles in diesem Hause zu sehen, hatte sich zu Risach gesellt, sie standen vor den Rosengewächsen, und mein Gastfreund erklärte dem Vater alles. Mathilde war an der Seite meiner Mutter, Klotilde und Natalie hielten sich an den Armen, und ich und Gustav so wie zu Zeiten auch Eustach und Roland hielten uns in der Nähe der alten Männer auf. Wir gingen von dem Sandplatze in den Garten, damit die Meinigen zuerst diesen sähen. Mein Gastfreund machte für meinen Vater den Führer und zeigte und erklärte ihm alles. Wo meine Mutter und Klotilde an dem Gesehenen Anteil nahmen, wurde es ihnen von ihren Begleiterinnen erläutert.
»Da sehe ich ja aber doch Faltern«, sagte mein Vater, als wir eine geraume Strecke in dem Garten vorwärts gekommen waren.
»Es wäre wohl kaum denkbar und möglich, daß meine Vögel alle Keime ausrotteten«, antwortete mein Gastfreund, »sie hindern nur die unmäßige Verbreitung. Einiges bleibt aber immer übrig, was für das nächste Jahr Nahrung liefert. Zudem kommen auch von der Ferne Faltern hergeflogen. Sie wären wohl auch die schönste Zierde eines Gartens, wenn ihre Raupen nicht so oft für unsere menschlichen Bedürfnisse so schädlich wären.«
»Bringen denn nicht aber auch die Vögel manchen Baumfrüchten Schaden?« fragte mein Vater.
»Ja, sie bringen Schaden«, entgegnete mein Gastfreund, »er trifft hauptsächlich die Kirschenarten und andere weichere Obstgattungen; aber im Verhältnisse zu dem Nutzen, den mir die Vögel bringen, ist der Schaden sehr geringe, sie sollen von dem Überflusse, den sie mir verschaffen, auch einen Teil genießen, und endlich, da sie neben ihrer natürlichen Nahrung von mir noch außerordentliche und mitunter Leckerbissen bekommen, so ist dadurch der Anlaß zu Angriffen auf mein Obst geringer.«
Wir gingen durch den ganzen Garten. Jedes Blumenbeet, jede einzelne merkwürdigere Blume, jeder Baum, jedes Gemüsebeet, der Lindengang, die Bienenhütte, die Gewächshäuser, alles wurde genau betrachtet. Der Tag hatte sich beinahe ganz ausgeheitert, und eine Fülle von Blüten lastete und duftete überall. Wir gingen bis zu dem großen Kirschbaume empor und sahen von ihm über den Garten zurück. Der Vater fühlte sich ganz glücklich, alles das sehen und betrachten zu können. Die Mutter mochte wohl ihren Umgebungen nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt haben wie der Vater, und sie mochte mit Mathilden mehr über das Wohl und Wehe und über die Zukunft ihrer Kinder gesprochen haben. Auch dürfte der Inhalt der Gespräche zwischen Klotilden und Natalien nicht vorherrschend der Garten gewesen sein. Sie konnten manche Fäden über andere Dinge anzuknüpfen gehabt haben.
Von dem großen Kirschbaume mußte wieder in das Haus zurückgegangen werden, weil die Zeit, welche noch bis zu dem Mittagessen gegeben gewesen war, ihren Ablauf genommen hatte. Man verfügte sich einen Augenblick in seine Zimmer und versammelte sich dann im Speisesaale.
Der Nachmittag war zur Besichtigung des Meierhofes, der Wiesen und Felder bestimmt. Wir gingen von dem großen Kirschbaume auf dem Getreidehügel hinaus und auf ihm fort bis zu der Felderrast. Wir gingen genau den Weg, welchen ich an jenem Abende mit meinem Gastfreunde gegangen war, als ich mich zum ersten Male in dem Asperhofe befunden hatte. Wir sahen von der Felderrast ein wenig herum. Die Esche hatte eben ihre ersten kleinen Blätter angesetzt und suchte sie auszubreiten. Wir konnten uns nicht niedersetzen, weil das Bänkchen dazu viel zu klein war. Von der Felderrast gingen wir in den Meierhof. Wir schlugen den Weg ein, welchen ich einmal mit Natalien allein gewandelt war. Nach der Besichtigung des Meierhofes, in welchem mein Gastfreund meinem Vater das Kleinste und Größte zeigte, und in welchem er ihm erklärte, wie alles früher ausgesehen hatte, was daraus geworden war und was noch werden sollte, gingen wir durch die Meierhofwiesen, durch die Felder am Abhange des Hügels des Rosenhauses, dann den Hügel herum, endlich in das Gehölze des Teiches und von ihn am dem Erlenbache zurück, so daß wir wieder zu dem großen Kirschbaume kamen und von ihm in das Haus zurückkehrten. Es war mittlerweile Abend geworden. Alles hatte die Bewunderung meines Vaters erregt.
Der nächste Tag war dazu bestimmt, das Innere des Hauses, seine Kunstschätze und alles, was es sonst enthielt, zu besehen. Mein Gastfreund führte meinen Vater zuerst in alle Zimmer des Erdgeschosses, dann über den Marmorgang die Treppe hinan zur Marmorgestalt. Wir waren alle mit, außer Eustach und Roland. Bei der Marmorgestalt hielten wir uns sehr lange auf. Von ihr gingen wir in den Marmorsaal, in welchem mein Gastfreund meinem Vater alle Marmorarten nannte und ihm die Orte ihres Vorkommens bezeichnete. Dann besuchten wir nach und nach die Wohnzimmer meines Gastfreundes, die Zimmer mit den Bildern, Büchern, Kupferstichen, das Lesezimmer, das Eckzimmer mit den Vogelbrettchen und endlich die Gastzimmer und die Wohnung Mathildens. Auch Rolands Gemach wurde besehen, in welchem auf einer Staffelei sein beinahe fertiges Bild stand. Den Beschluß machte der Besuch des Schreinerhauses und die Besichtigung seiner Einrichtung und alles dessen, was da eben gefördert wurde. War mein Vater schon gestern voll Bewunderung gewesen, so war er heute beinahe außer sich. Die Marmorgestalt hatte seinen Beifall so sehr, daß er sagte, er könne sich von seinen Reisen her nicht auf Vieles erinnern, was von altertümlichen Werken besser wäre als diese Gestalt. Sie wurde von allen Seiten besehen und wieder besehen, dieser Teil und jener Teil und das Ganze wurde besprochen. So etwas, sagte mein Vater, könne er nicht entfernt aufweisen, nur einige seiner alten geschnittenen Steine könnten neben dieser Gestalt noch besehen werden. Der Marmorsaal gefiel ihm sehr, und der Gedanke, ein solches Gemach zu bauen, erschien ihm als ein äußerst glücklicher. Er pries die Geduld meines Gastfreundes im Suchen des Marmors und lobte die, welche die Zusammenstellung entworfen hatten, daß etwas so Reines und Großartiges zu Stande gekommen sei. Die alten Geräte, die Bilder, die Bücher, die Kupferstiche beschäftigten meinen Vater auf das Lebhafteste, er sah alles genau an und sprach als Liebhaber und auch als Kenner über Vieles. Mein Gastfreund verständigte sich leicht mit ihm, ihre Ansichten trafen häufig zusammen und ergänzten sich häufig, in so ferne man überhaupt Ansichten in einer Gesellschaft, in welcher man sich kurz fassen mußte, aussprechen konnte. Meine Mutter freute sich innig über die Freude des Vaters. So war es denn also doch in Erfüllung gegangen, was sie so oft gewünscht hatte, daß mein Vater das Haus meines Gastfreundes besuchte, und es war auf eine liebe Art in Erfüllung gegangen, die sie sich gewiß einstens nicht gedacht hatte. Rolands Bild betrachtete der Vater sehr aufmerksam, er hielt es für höchst bedeutend, er sprach mit Risach über Verschiedenes in demselben und äußerte sich, daß, nach diesem Werke zu urteilen, Roland eine hoffnungsvolle Zukunft vor sich haben dürfte. Daß es meinen Gastfreund mit Vergnügen erfüllte, daß seine Schöpfungen mit solcher Anerkennung von einem Manne, aus dessen Worten die Berechtigung zu einem Urteile hervorging, betrachtet werden, ist begreiflich. Die zwei Männer schlossen sich immer mehr an einander und vergaßen zuweilen ein wenig die übrige Gesellschaft. In dem Schreinerhause, in welchem Eustach den Führer machte, wurden nicht nur alle Zeichnungen und Pläne durchgesehen, sondern die ganze Einrichtung und die Art, wie hier verfahren werde, sammt allen Werkzeugen, wurde einer genauen Beobachtung unterzogen. Der Vater war voll der Billigung darüber. Mit Besichtigung dieser Dinge war der ganze Tag verbraucht worden.
Am nächsten Tage fuhr man in den Alizwald, damit mein Gastfreund meinen Eltern den Forst zeigen konnte, welcher zu dem Asperhofe gehörte.
Die folgenden Tage waren für die Gesellschaft schon weniger vereinigend. Man zerstreute sich und ging dem nach, was eben die meiste Anziehungskraft ausübte. Zu mir und Natalien kamen nach und nach alle Bewohner des Rosenhauses und des Meierhofes, um uns Glück und Segen zu unserer bevorstehenden Vereinigung zu wünschen. Sie hatten jetzt erst, nach geschehener Verlobung, die Gewißheit davon erhalten, hatten es aber in früherer Zeit aus den Vorgängen, die sie sahen, gemutmaßt und geschlossen. Mein Vater holte Vieles wieder im Einzelnen nach, was er im Allgemeinen gesehen hatte, er war bald hier, bald dort und war viel mit dem Besitzer des Hauses beschäftigt. Die Frauen ließen sich das angelegen sein, was Sache des Hauswesens ist, und verkehrten manche Weile mit Katharinen. Wir jüngeren Leute gingen viel in dem Garten herum, besuchten manche Stelle und machten Spaziergänge. Wir waren mehrere Male bei den Gärtnerleuten, saßen einmal lange bei ihrem Tische und besahen einmal ausführlich für uns die Gewächshäuser und ließen uns das Vorhandene von dem Gärtner erklären. Eines Tages waren wir auch alle im Inghofe, und die Bewohner des Inghofes waren eines andern Tages im Asperhofe. Der Pfarrer von Rohrberg und mehrere der angeseheneren Bewohner der Gegend waren von nahe oder von ferne herzugekommen, um zu dem ihnen bekannt gewordenen Ereignisse ihren Glückwunsch darzubringen. Selbst Bauersleute der Nachbarschaft und Andere, die mich und Natalien kannten, kamen zu demselben Zwecke.
Wir mußten zwölf Tage in dem Asperhofe zubringen, dann aber wurde unser Reisewagen bepackt, und wir traten die Rückreise in unsere Vaterstadt an.
Da wir zu Hause angekommen waren, wurde sogleich daran gegangen, Zimmer in Bereitschaft zu setzen, daß wir den Gegenbesuch, wenn er eintreffen würde, anstandsvoll empfangen könnten. Ich rüstete mich indessen auch noch zu etwas Anderem, was noch vor der Verbindung mit Natalien statthaben mußte, zu meiner großen Reise. Ich suchte die Anstalten so zu treffen, daß ich glaubte, nichts Wesentliches außer Acht gelassen zu haben. Die Notwendigkeit, mir durch diese Reise noch Manches, was mir fehlte, anzueignen und in dieser Hinsicht nicht zu weit hinter Natalien zurückstehen zu müssen, war mir einleuchtend, und eben so einleuchtend war es mir, daß ich eine größere Reise allein machen müsse, ehe ich in künftiger Zeit mit Natalien eine Reise antreten könnte. Ich hatte auch vor, mich gleich nach der Zeit, in der uns der Gegenbesuch abgestattet sein würde, auf die Reise zu begeben.
Der Gegenbesuch kam drei Wochen nach dem Tage, an welchem wir in der Stadt angelangt waren. Ein Brief hatte ihn vorher angekündigt. Mathilde, Risach, Natalie und Gustav trafen in einem schönen Reisewagen ein. Sie wurden in die für sie in Bereitschaft gehaltenen Zimmer geführt. Nachdem sie sich umgekleidet hatten, kamen wir zum Gruße in unserem Besuchzimmer zusammen. Der Empfang in unserem Hause war so herzlich und innig, wie er nur immer in dem Sternenhofe und in dem Hause meines Gastfreundes gewesen war. In allen Mienen war Freude, und alle Worte setzten die begonnene Bekanntschaft und die sich entwickelnde Freundschaft fort. Selbst bis auf die Dienerschaft pflanzte sich das angenehme Gefühl über. Aus einzelnen Worten und aus den heitern Angesichtern entnahm man, wie sehr ihnen die wunderschöne Braut gefalle. Was unser Haus und die Stadt für die Gäste Angenehmes bieten konnte, wurde ihnen zur Verfügung gestellt. Wie auf den beiden Landsitzen wurde auch hier alles gezeigt, was das Haus enthält. Die Gäste wurden in die Zimmer geführt, besahen Bilder, Bücher, alte Schreine und geschnittene Steine. Sie kamen in das gläserne Eckhäuschen und in alle Teile des Gartens. In Hinsicht der Bilder meines Vaters sprach sich mein Gastfreund dahin aus, daß sie als Ganzes durchaus wertvoller seien als seine Sammlung, obwohl er auch einzelne Stücke besitze, welche dem Besten aus meines Vaters Sammlung an die Seite gestellt werden könnten. Meinen Vater freute dieses Urteil, und er sagte, er hätte ungefähr dasselbe gefällt. Die geschnittenen Steine, sagte mein Gastfreund, seien auserlesen, und denen hätte er nichts Gleiches entgegenzustellen, es müßte nur das Marmorstandbild sein.
»Das ist es auch, und das ist das Höchste, was in beiden Kunstsammlungen besteht«, erwiderte mein Vater.
Die Schnitzarbeiten im Glashäuschen waren meinem Gastfreunde aus meinen Abbildungen bekannt. Er beschäftigte sich aber doch mit ihrer genauen Besichtigung und erteilte ihnen mit Rücksicht auf die Zeit ihrer Entstehung viel Lob. Mein Einbeerblatt aus Marmor im Garten wurde einer Anerkennung nicht für unwürdig erachtet. Meinen Vater erquickte die Würdigung seiner Schätze von einem Manne, wie Risach war, sehr, und ich glaube, er hatte keine angenehmeren Stunden gehabt, seit er alle diese Dinge zusammen gebracht, als die Zeit, die Risach bei ihm gewesen war. Selbst jenen Augenblick dürfte er kaum vorgezogen haben, da sich zum ersten Male meine Augen für den Wert dessen geöffnet hatten, was er besaß. Bei mir war es damals nur Gefühl gewesen, bei Risach war jetzt es Urteil.
Zum Vergnügen außer dem Hause geschahen zwei Theaterbesuche, drei gemeinschaftliche Besuche in Kunstsammlungen und einige Fahrten in die Umgebung.
Bei dieser Zusammenkunft wurde auch die Vermählungszeit besprochen. Ich sollte meine angekündigte Reise unternehmen und nach der Zurückkunft sollte kein Aufschub mehr stattfinden. Der Tag werde dann festgestellt werden. Nach dieser Verabredung wurde Abschied genommen. Der Abschied war dieses Mal sehr schwer, weil er auf länger genommen wurde und weil unglückliche Zufälle in der Abwesenheit nicht unmöglich sein konnten. Aber wir waren standhaft, wir scheuten uns, vor Zeugen, selbst vor so lieben, einen Schmerz zu äußern, sondern trennten uns und versprachen, uns zu schreiben.
Als uns unsere Gäste verlassen hatten, zeigten wir in Briefen an einige uns sehr befreundete Familien meine Verlobung an. Zur Fürstin ging ich selbst, um ihr dieses Verhältnis zu eröffnen. Sie lächelte herzlich und sagte, daß sie sehr wohl bemerkt habe, daß ich einmal, da sie des Namens Tarona Erwähnung getan hatte, äußerst heftig errötet sei.
Ich erwiderte, daß ich damals nur errötet sei, weil sie mich auf einer inneren Neigung betroffen habe, den Namen Tarona habe ich in jener Zeit an Natalien noch gar nicht gekannt. Ich sprach auch von meiner Reise, sie lobte diesen Entschluß sehr und erzählte mir von den Verhältnissen verschiedener Hauptstädte, in denen sie in früheren Jahren zeitweilig gewohnt hatte. Sie erwähnte kurz auch Manches über das äußere Ansehen der Länder, da sie eine große Freundin landschaftlicher Schönheiten war. Sie hatte eben in dem Augenblicke vor, wieder an den Gardasee zu gehen, den sie schon öfter besucht hatte. Das war auch die Ursache, daß sie noch so spät im Frühlinge in der Stadt war. Sie ersuchte mich, nach meiner Zurückkunft wieder bei ihr auf ein Weilchen zu erscheinen. Ich versprach es.
Meine Reise wurde nun keinen Augenblick mehr verzögert. Ich nahm von den Meinigen Abschied und fuhr eines Tages zu dem Tore unserer Stadt hinaus.
Ich ging zuerst über die Schweiz nach Italien; nach Venedig, Florenz, Rom, Neapel, Syrakus, Palermo, Malta. Von Malta schiffte ich mich nach Spanien ein, das ich von Süden nach Norden mit vielfachen Abweichungen durchzog. Ich war in Gibraltar, Granada, Sevilla, Cordoba, Toledo, Madrid und vielen anderen, minderen Städten. Von Spanien ging ich nach Frankreich, von dort nach England, Irland und Schottland und von dort über die Niederlande und Deutschland in meine Heimat zurück. Ich war um einen und einen halben Monat weniger als zwei Jahre abwesend gewesen. Wieder war es Frühling, als ich zurückkehrte, die mächtige Welt der Alpen, der Feuerberge Neapels und Siciliens, der Schneeberge des südlichen Spaniens, der Pyrenäen und der Nebelberge Schottlands hatten auf mich gewirkt. Das Meer, vielleicht das Großartigste, was die Erde besitzt, nahm ich in meine Seele auf. Unendlich viel Anmutiges und Merkwürdiges umringte mich. Ich sah Völker und lernte sie in ihrer Heimat begreifen und oft lieben. Ich sah verschiedene Gattungen von Menschen mit ihren Hoffnungen, Wünschen und Bedürfnissen, ich sah Manches von dem Betriebe des Verkehrs, und in bedeutenden Städten blieb ich lange und beschäftigte mich mit ihren Kunstanstalten, Bücherschätzen, ihrem Verkehre, gesellschaftlichem und wissenschaftlichem Leben und mit lieben Briefen, die aus der Heimat kamen, und mit solchen, die dorthin abgingen.
Ich kam auf meiner Rückreise früher in die Gegend des Asperhofes und des Sternenhofes als in meine Heimat. Ich sprach daher in beiden ein. Alles war sehr wohl und gesund und fand mich sehr gebräunt. Hier erfuhr ich auch eine Veränderung, die mit meinem Vater vorgegangen war und die sie mir in den Briefen verschwiegen hatten, damit ich überrascht würde. Alle seine Anspielungen, daß er plötzlich einmal in den Ruhestand treten werde, daß er sich, ehe man sichs versehe, auf dem Lande befinden werde, daß sich Vieles ereignen werde, woran man jetzt nicht denke, daß man nicht wisse, ob man nicht den Reisewagen öfter brauchen könne, waren in Erfüllung gegangen. Er hatte sein Handelsgeschäft abgetreten und hatte den auf einer sehr lieblichen Stelle zwischen dem Asperhofe und Sternenhofe gelegenen, verkäuflich gewordenen Gusterhof gekauft, den er eben für sich einrichten lasse. Man freute sich schon darauf, wie er sich in diesem neuen Besitztume häuslich und wohnlich niederlassen werde. Ich nahm mir nicht Zeit, diesen Hof, den ich von Außen kannte, zu besuchen, weil ich Natalien, die mir wie ein Gut wieder gegeben worden war, nicht noch unnötig länger von meiner Seite entfernt wissen wollte. Nach innigem Empfange und Abschiede reiste ich zu meinen Eltern, und reiste Tag und Nacht, um bald einzutreffen. Sie wußten von meiner Ankunft und empfingen mich freudig. Ich richtete mich sogleich in meiner Wohnung ein. Es war mir seltsam und wohltuend, den Vater jetzt immer zu Hause und ihn stets mit Plänen, Entwürfen, Zeichnungen umringt zu sehen. Er war während meiner Abwesenheit fünf Male in dem Gusterhofe und bei diesen Gelegenheiten öfter bei Mathilde oder Risach als Gast gewesen. Die Mutter und Klotilde hatten ihn zweimal begleitet. Er war in diesen zwei Jahren um ein gut Teil jünger geworden. Auch die Bewohner des Sternen- und Asperhofes hatten sich einmal im Winter bei meinen Eltern als Gäste eingefunden. Die Bande waren sehr schön und lieb geflochten.
Gleich am ersten Tage meiner Anwesenheit im elterlichen Hause führte mich meine Mutter in die Zimmer, die für mich und Natalien als Wohnung hergerichtet worden waren, wenn wir uns in der Stadt aufhalten wollten. Ich hatte gar nicht gedacht, daß in dem Hause so viel Platz sei, so geräumig war die Wohnung. Sie war zugleich so schön und edel angeordnet, daß ich meine Freude daran hatte. Ich sprach bei dieser Gelegenheit von dem Vermählungstage, und die Mutter antwortete, daß der Vater glaube, es sei nun keine Ursache einer Säumnis, und von uns, als von der Seite des Bräutigams, müsse die Anregung ausgehen. Ich bat um Beschleunigung, und am folgenden Tage gingen schon unsere Briefe in den Sternenhof und zu Risach ab. In Kurzem kam die Antwort zurück, und der Tag war nach unsern Vorschlägen festgesetzt. Der Sammelplatz war der Asperhof.
Meinem Versprechen getreu stellte ich mich nun auch bei der Fürstin. Sie war schon auf ihren Landsitz abgereist. Ich schrieb ihr daher einige Zeilen, daß ich zurück sei, und zeigte ihr meinen Vermählungstag an. In kurzer Zeit kam eine Antwort von ihr nebst einem Päckchen, welches ein Erinnerungszeichen an meine Vermählungsfeier von ihr enthalte. Sie könne es mir nicht persönlich übergeben, weil sie seit einigen Wochen kränklich sei und sich deshalb so früh auf das Land habe begeben müssen. Das Erinnerungszeichen liege schon seit länger in Bereitschaft. Ich öffnete das Päckchen. Es enthielt eine einzige, aber sehr große und sehr schöne Perle. Die Fassung war fast keine. Nur ein Stengel und ein Goldscheibchen hafteten an der Perle, daß sie eingeknöpft werden konnte. Ich freute mich außerordentlich über die Gesinnung der edlen Fürstin, über die Trefflichkeit des Geschmackes und über dessen Sinnigkeit; denn eine Perle ist es ja in meinen Augen, die ich mir als Geschenk an meine Brust zu heften im Begriffe war. Ich schrieb eine innige Dankantwort zurück.
Unsere Vorbereitungen waren bald gemacht, und wir reisten ab.
»Wir können ja unsere letzten Rüstungen in meinem Landhause machen«, sagte der Vater mit heiterem Lächeln.
Wir fuhren in den Gusterhof. Eine kleine, aber freundlich bestellte Wohnung, die der Vater vorläufig für solche Gelegenheiten hatte herrichten lassen, empfing uns. Es war ein liebliches Gefühl, in unserem eigenen, uns zugehörigen Landsitze zu sein. Der Vater schien dieses Gefühl am tiefsten zu hegen, und die Mutter freute sich dessen ungemein. Wir blieben hier so lange und vervollständigten unsere Vorbereitungen, daß wir zwei Tage vor der Vermählung in dem Asperhofe eintreffen konnten. Mathilde und Natalie waren schon anwesend, da wir ankamen. Wir begrüßten uns herzlich. Alles war in einer gewissen Spannung der Vorbereitungen. Ich konnte Natalien oft nur auf einige Augenblicke sehen. Klotilde wurde auch sofort hineingezogen. Botschaften kamen und gingen ab, Gäste und Trauzeugen trafen ein. Ich selber war in einer Art Beklemmung.
Am Nachmittage des ersten Tages fand ich einmal Mathilden, meinen Gastfreund und Gustav im Lindengange auf und ab wandeln. Ich gesellte mich zu ihnen. Gustav verließ uns bald.
»Wir sprachen eben davon, daß mein Sohn sich nun bald von hier entfernen und in die Welt gehen müsse«, sagte Mathilde, »habt Ihr ihn nach Eurer Reise nicht auch verändert gefunden?«
»Er ist ein vollkommener Jüngling geworden«, erwiderte ich, »ich habe auf meinen Reisen keinen gesehen, der ihm gleich wäre. Er war ein sehr kraftvoller Knabe und ist auch ein solcher Jüngling geworden, aber, wie ich glaube, gemilderter und sanfter. Ja, sogar in seinen Augen, die noch glänzender geworden sind, erscheint mir etwas, das beinahe wie das Schmachten bei einem Mädchen ist.«
»Es freut mich, daß Ihr das auch bemerkt habt«, sagte mein Gastfreund, »es ist so, und es ist sehr gut, wenn auch gefährlich, daß es so ist. Gerade bei sehr kraftvollen Jünglingen, deren Herz von keinem bösen Rauche angeweht worden ist, tritt in gewissen Jahren ein Schmachten ein, das noch holder wirkt als bei heranblühenden Mädchen. Es ist dies nicht Schwäche, sondern gerade Überfülle von Kraft, die so reizend wirkt, wenn sie aus den meistens dunkeln, sanftschimmernden Augen blickt und gleichsam wie ein Juwel an den unschuldigen Wimpern hängt. Solche Jünglinge dulden aber auch, wenn böse Schicksalstage kommen, mit einem Starkmute, der der Krone eines Märtyrers wert wäre, und wenn das Vaterland Opfer heischt, legen sie ihr junges Leben einfach und gut auf den Altar. Sie können aber auch zu falscher Begeisterung getrieben und mißbraucht werden, und wenn ein solches Jünglingsauge zu rechter Zeit in das rechte Mädchenauge schaut, so flammt die plötzlichste, heißeste, aber oft auch unglücklichste Liebe empor, weil der junge, unverfälschte Mann sie fast unausrottbar in sein Herz nimmt. Wir werden, wenn die jetzige Angelegenheit vorüber ist, weiter von dem sprechen, was etwa not tut.«
»Ich sehe ja das Gute und die Gefahr«, sagte Mathilde.
Wir gingen bald in das Haus zurück.
»Er muß in die Härte der Welt, die wird ihn stählen«, sagte mein Gastfreund auf dem Wege dahin.
Endlich war der Vermählungstag angebrochen. Die Trauung sollte am Vormittage in der Kirche zu Rohrberg stattfinden, in welche der Asperhof eingepfarrt war. Der Versammlungsort war der Marmorsaal, dessen Fußboden zu diesem Zwecke mit feinem grünen Tuche überspannt worden war. Gleiches Tuch lag auf allen Treppen. Ich kleidete mich in meinen Zimmern an, tat ein Gebet zu Gott und wurde von einem meiner Trauzeugen in den Marmorsaal geführt. Von unsern Angehörigen waren erst die Männer dort. Die Zeugen und die meisten Gäste waren zugegen. Risach war im Staatskleide und mit allen seinen Ehren geschmückt. Da tat sich die Tür, die von dem Gange hereinführte, auf und Natalie mit ihrer und meiner Mutter, mit Klotilden und mit noch andern Frauen und Mädchen trat herein. Sie war prachtvoll gekleidet und mit Edelsteinen gleichsam übersät; aber sie war sehr blaß. Die Edelsteine waren in mittelalterlicher Fassung, das sah ich wohl; aber ich hatte nicht die Stimmung, auch nur einen Augenblick darauf zu achten. Ich ging ihr entgegen und reichte ihr sanft die Hand zum Gruße. Sie zitterte sehr.
Mein Gastfreund sagte zu meinen Eltern: »Das Lieblingsgespräch eures Sohnes waren bisher seine Eltern und seine Schwester, wer ein so guter Sohn ist, wird auch ein guter Gatte werden.«
»Die schöneren Eigenschaften, die eine Zukunft gewähren«, sagte mein Vater, »hat er von euch gebracht, wir haben es wohl gesehen und haben ihn darum immer mehr geliebt, ihr habt ihn gebildet und veredelt.«
»Ich muß antworten wie bei Natalien«, erwiderte mein Gastfreund, »sein Selbst hat sich entwickelt und aller Umgang, der ihm zu Teil geworden, vorerst der eurige, hat geholfen.«
Ich wollte etwas sprechen, konnte aber vor Bewegung nicht.
Gustav, der in der Nähe der Frauen stand, sah mich an, ich ihn auch. Er war ebenfalls sehr blaß.
Indessen hatten sich alle nach und nach eingefunden, die bei der Trauung gegenwärtig sein sollten, die Stunde der Abfahrt war da und der Hausverwalter meldete, daß alles in Bereitschaft sei.
Mathilde machte Natalien das Zeichen des Kreuzes auf die Stirne, den Mund und die Brust, und diese beugte sich mit ihren Lippen auf die Hand der Mutter nieder. Dann faßten die Mädchen den Schleier, der wie ein Silbernebel von dem Haupte Nataliens bis zu ihren Füßen reichte, hüllten sie in ihn, und Natalie ging, von ihren Mädchen umringt und von den Frauen geleitet, die Treppe hinunter, auf welcher die Marmorgestalt stand. Wir folgten. Mit mir waren meine Zeugen und Risach und der Vater. Den ersten Teil der Wagenreihe nahmen die Frauen, die Braut und die Mädchen ein, den letzten die Männer und ich. Wir stiegen ein, der Zug setzte sich in Bewegung. Es war viel Volk gekommen, die Brautfahrt zu sehen. Darunter erblickte ich meinen Zitherspiellehrer, welcher mir mit einem grünen Hute, auf dem er Federn hatte, winkte. Die Bewohner des Meierhofes und die Diener des Hauses waren größtenteils vorausgegangen und harrten unser in der Kirche. Einige befanden sich auch in den Wägen. Der Zug fuhr langsam den Hügel hinab.
In der Kirche erwartete uns der Pfarrer von Rohrberg, wir traten vor den Altar, und die Trauung ward vollbracht.
Zum Zurückfahren kamen Natalie und ich allein in einen Wagen. Sie sprach nichts, der Schleier blieb zurückgeschlagen und Tropfen nach Tropfen floß aus ihren Augen.
Da wir wieder in dem Marmorsaale waren, wurden auf den langen Tisch, den man heute hier aufgerichtet und mit vielen Stühlen umgeben hatte, von Risach und von meinem Vater die Papiere niedergelegt, die sich auf unsere Vermählung und unser Vermögen bezogen. Ich aber nahm indessen Natalien an der Hand und führte sie durch das Bilder- und Lesezimmer in das Bücherzimmer, in welchem wir allein waren. Dort stellte ich mich ihr gegenüber und breitete die Arme aus. Sie stürzte an meine Brust. Wir umschlangen uns fest und weinten beide beinahe laut.
»Meine teure, meine einzige Natalie!« sagte ich.
»O mein geliebter, mein teurer Gatte«, antwortete sie, »dieses Herz gehört nun ewig dir, habe Nachsicht mit seinen Gebrechen und seiner Schwäche.«
»O mein teures Weib«, entgegnete ich, »ich werde dich ohne Ende ehren und lieben, wie ich dich heute ehre und liebe. Habe auch du Geduld mit mir.«
»O Heinrich, du bist ja so gut«, antwortete sie.
»Natalie, ich werde suchen, jeden Fehler dir zu Liebe abzulegen«, erwiderte ich, »und bis dahin werde ich jeden so verhüllen, daß er dich nicht verwunde.«
»Und ich werde bestrebt sein, dich nie zu kränken«, antwortete sie.
»Alles wird gut werden«, sagte ich.
»Es wird alles gut werden, wie unser zweiter Vater gesagt hat«, antwortete sie.
Ich führte sie näher an das Fenster, und da standen wir und hielten uns an den Händen. Die Frühlingssonne schien herein, und neben den Diamanten glänzten die Tropfen, die auf ihr schönes Kleid gefallen waren.
»Natalie, bist du glücklich?« sagte ich nach einer Weile.
»Ich bin es in hohem Maße«, antwortete sie, »mögest du es auch sein.«
»Du bist mein Kleinod und mein höchstes Gut auf dieser Erde«, erwiderte ich, »es ist mir noch wie im Traume, daß ich es errungen habe, und ich will es erhalten, so lange ich lebe.«
Ich küßte sie auf den Mund, den sie freundlich bot. In ihre feinen Wangen war das Rot zurückgekehrt.
In diesem Augenblicke hörten wir Tritte in dem Nebenzimmer, und Mathilde, meine Mutter, Risach, mein Vater und Klotilde, die uns gesucht hatten, traten ein.
»Mutter, teure Mutter«, sagte ich zu Mathilden, indem ich allen entgegen ging, Mathildens Hand faßte und sie zu küssen strebte. Mathilde hatte sich nie die Hand von irgend jemandem küssen lassen. Dieses Mal erlaubte sie, daß ich es tue, indem sie sanft sagte: »Nur das eine Mal.«
Dann küßte sie mich auf die Stirne und sagte: »Sei so glücklich, mein Sohn, als du es verdienst und als es die wünscht, die dir heute ihr halbes Leben gegeben hat.«
Risach sagte zu mir: »Mein Sohn, ich werde dich jetzt du nennen, und du mußt zu mir wie zu deinem ersten Vater auch dies Wörtchen sagen — mein Sohn, nach dem, was heute vorgefallen, ist deine erste Pflicht, ein edles, reines, grundgeordnetes Familienleben zu errichten. Du hast das Vorbild an deinen Eltern vor dir, werde, wie sie sind. Die Familie ist es, die unsern Zeiten not tut, sie tut mehr not als Kunst und Wissenschaft, als Verkehr, Handel, Aufschwung, Fortschritt oder wie alles heißt, was begehrungswert erscheint. Auf der Familie ruht die Kunst, die Wissenschaft, der menschliche Fortschritt, der Staat. Wenn Ehen nicht beglücktes Familienleben werden, so bringst du vergeblich das Höchste in der Wissenschaft und Kunst hervor, du reichst es einem Geschlechte, das sittlich verkommt, dem deine Gabe endlich nichts mehr nützt und das zuletzt unterläßt, solche Güter hervor zu bringen. Wenn du auf dem Boden der Familie einmal stehend — viele schließen keine Ehe und wirken doch Großes —, wenn du aber auf dem Boden der Familie einmal stehst, so bist du nur Mensch, wenn du ganz und rein auf ihm stehst. Wirke dann auch für die Kunst oder für die Wissenschaft, und wenn du Ungewöhnliches und Ausgezeichnetes leistest, so wirst du mit Recht gepriesen, nütze dann auch deinen Nachbarn in gemeinschaftlichen Angelegenheiten und folge dem Rufe des Staates, wenn es not tut. Dann hast du dir gelebt und allen Zeiten. Gehe nur den Weg deines Herzens wie bisher und alles wird sich wohl gestalten.«
Ich reichte ihm die Hand, er zog mich an sich und küßte mich auf den Mund.
Natalie war indessen in den Armen meiner Mutter, meines Vaters und Klotildens gewesen.
»Er wird gewiß bleiben, wie er heute ist«, sagte sie, wahrscheinlich auf einen Wunsch für die Zukunft antwortend.
»Nein, mein teures Kind«, sagte meine Mutter, »er wird nicht so bleiben, das weißt du jetzt noch nicht: er wird mehr werden, und du wirst mehr werden. Die Liebe wird eine andere, in vielen Jahren ist sie eine ganz andere; aber in jedem Jahr ist sie eine größere, und wenn du sagst, jetzt lieben wir uns am meisten, so ist es in Kurzem nicht mehr wahr, und wenn du statt des blühenden Jünglings einst einen welken Greis vor dir hast, so liebst du ihn anders, als du den Jüngling geliebt hast; aber du liebst ihn unsäglich mehr, du liebst ihn treuer, ernster und unzerreißbarer.«
Mein Vater wandte sich ab und fuhr sich mit der Hand über die Augen.
Meine Mutter küßte Natalien noch einmal und sagte: »Du liebe, gute, teure Tochter.«
Natalie gab den Kuß zurück und schlang die Arme um den Hals meiner Mutter.
»Kinder, jetzt müssen wir zu den Andern gehen«, sagte Risach.
Wir gingen in den Saal. Dort gab Risach Papiere in die Hände Nataliens. Sie legte sie in die meinigen. Mein Vater gab mir auch Papiere. Alle Anwesenden wünschten uns nun Glück, vor allem Gustav, den ich die letzte Zeit her gar nicht gesehen hatte. Er fiel der Schwester um den Hals und auch mir. In seinen schönen Augen perlten Tränen. Dann beglückwünschten uns Eustach, Roland, die vom Inghofe, der Pfarrer von Rohrberg, der mich auf unser erstes Zusammentreffen in diesem Hause an jenem Gewitterabende erinnerte, und alle Andern.
Risach sagte, daß jetzt jedem zwei Stunden zur Verfügung gegeben seien, dann müsse sich alles in dem Marmorsaale zu einem kleinen Mahle versammeln.
Natalie wurde von ihren Trauungsjungfrauen in die Gemächer ihrer Mutter geführt, daß sie dort die Trauungsgewänder ablege. Ich ging in meine Wohnung, kleidete mich um und verschloß die Papiere, ohne sie anzusehen. Nach einer geraumen Zeit ging ich in das Vorzimmer zu Mathildens Wohnung und fragte, ob Natalie schon in Bereitschaft sei, ich ließe bitten, mit mir einen kurzen Gang durch den Garten zu machen. Sie erschien in einem schönen, aber sehr einfachen Seidenkleide und ging mit mir die Treppe hinab. Sie reichte mir den Arm und wir wandelten eine Zeit unter den großen Linden und auf anderen Gängen des Garten herum.
Nachdem die zwei Stunden verflossen waren, wurde mit der Glocke das Zeichen zum Mahle gegeben. Alles begab sich in den Saal und erhielt dort seine Sitze angewiesen. Das Mahl war, wie gewöhnlich bei Risach, einfach, aber vortrefflich. Für Kenner und Liebhaber standen sehr edle Weine bereit. Es war nie in dem Saale ein Mahl abgehalten worden, und der Ernst des Marmors, bemerkte mein gewesener Gastfreund, dürfe nur in den Ernst des edelsten Weines nieder blicken. Trinksprüche wurden ausgebracht und sogar Reime auf ewiges Wohl hergesagt.
»Habe ich es gut gemacht, Natta«, sagte mein einstiger Gastfreund, »daß ich dir den rechten Mann ausgesucht habe? Du meintest immer, ich verstände mich nicht auf diese Dinge, aber ich habe ihn auf den ersten Blick erkannt. Nicht bloß die Liebe ist so schnell wie die Electricität, sondern auch der Geschäftsblick.«
»Aber Vater«, sagte Natalie errötend, »wir haben ja über diesen Gegenstand nie gestritten, und ich konnte dir die Fähigkeit nicht absprechen.«
»So hast du dir es gewiß gedacht«, erwiderte er, »aber richtig habe ich doch geurteilt: er war immer sehr bescheiden, hat nie vorlaut geforscht und gedrängt und wird gewiß ein sanfter Mann werden.«
»Und du, Heinrich«, sagte er nach einer Weile, »werde darum nicht stolz. Verdankst du mir nicht endlich ganz und gar Alles? Du hast einmal, da du zum ersten Male in diesem Hause warst, in der Schreinerei gesagt, daß der Wege sehr verschiedene sind und daß man nicht wissen könne, ob der, der dich eines Gewitters wegen zu mir herauf geführt hat, nicht ein sehr guter Weg gewesen ist, worauf ich antwortete, daß du ein wahres Wort gesprochen habest und daß du es erst recht einsehen werdest, wenn du älter bist; denn in dem Alter, dachte ich mir damals, übersieht man erst die Wege, wie ich die meinigen übersehen habe. Wer hätte aber damals geglaubt, daß mein Wort die Bedeutung bekommen werde, die es heute hat? Und alles hing davon ab, daß du hartnäckig gemeint hast, ein Gewitter werde kommen, und daß du meinen Gegenreden nicht geglaubt hast.«
»Darum, Vater, war es Fügung, und die Vorsicht selber hat mich zu meinem Glücke geführt«, sagte ich.
»Die alte Frau, die in dem dunkeln Stadthause unsere Wohnungsnachbarin und zuweilen unser Gast war«, sagte mein Vater, »hat dir, Heinrich, die Weissagung gemacht, es werde recht viel aus dir werden: und nun bist da bloß, wie du selber sagst, glücklich geworden.«
»Das Andere wird kommen«, riefen mehrere Stimmen.
»Eine gute Eigenschaft habe ich an deiner Gattin zu ihren andern Tugenden entdeckt«, fuhr mein Vater fort, »sie ist nicht neugierig; oder hast du, liebe Tochter, das Kästchen schon eröffnet, welches ich dir gegeben habe?«
»Nein, Vater, ich wartete auf deinen Wink«, antwortete Natalie.
»So lasse das Kästchen bringen«, entgegnete mein Vater.
Es geschah. Der Faden mit dem Siegel wurde entzwei geschnitten, das Kästchen geöffnet, und auf weißem Sammt lag ein außerordentlich schöner Schmuck von Smaragden. Ein allgemeiner Ruf der Verwunderung machte sich hörbar. Nicht nur waren die Steine an sich, obwohl nicht zu den größten ihrer Art gehörend, sehr schön, sondern die Fassung, die Steine nicht drückend, war doch so leicht und so schön, daß das Ganze wie ein zusammengehöriges, in einander gewachsenes Werk, wie ein wirkliches Kunstwerk, erschien. Selbst Eustach und Roland sprachen ihre Verwunderung aus, und vollends Risach. Sie versicherten, daß sie keine neue Arbeit gesehen hätten, die dieser gliche.
»Dein Freund, mein Heinrich, hat diesen Schmuck fertigen lassen«, sagte mein Vater, »wir haben Smaragde gewählt, weil er eben sehr schöne und in erforderlicher Anzahl hatte, weil Smaragde unter allen farbigen Steinen den Ton des weiblichen Halses und Angesichtes am sanftesten heben, und weil du tief gefärbte und reine Smaragde so liebst. Und alle hier sind tief und rein. Wir haben gesucht, nach deinen Grundsätzen die Steine fassen zu lassen. Es sind viele Zeichnungen gemacht, gewählt, verworfen und wieder gewählt worden. Es dürfte der beste Zeichner unserer Stadt sein, der endlich das Vorliegende zusammen gestellt hat. Es wurde hierauf beinahe Tag und Nacht gearbeitet, um zu rechter Zeit fertig zu sein. Geöffnet sollte das Kästchen darum nicht werden, damit meine Tochter nicht etwa bloß mir zu Liebe diesen Schmuck an ihrem Trauungstage nehmen und einen schöneren und kostbareren, den sie besitze, zu ihrem Leidwesen ruhen lasse.«
»Sie besitzt keinen schöneren«, erwiderte Risach, »wir haben den, welchen sie heute trug, nach Zeichnungen, die wir aus mittelalterlichen Gegenständen frei zusammen trugen, ebenfalls bei Heinrichs Freunde verfertigen lassen. Mathilde, laß doch den Schmuck herbei bringen, daß wir beide vergleichen.«
Mathilde reichte an Natalien ein Schlüsselchen, und diese holte selber das Fach, in welchem der Schmuck lag. Er war eine Zusammensetzung von Diamanten und Rubinen. Er sah so zart, rein und edel aus, wie ein in Farben gesetztes mittelalterliches Kunstwerk. Ein wahrer Zauber lag um diese Innigkeit von Wasserglanz und Rosenröte in die sinnigen Gestalten verteilt, die nur aus den Gedanken unserer Vorfahren so genommen werden können. Und dennoch stand nach einstimmigem Urteil der Smaragdschmuck nicht zurück. Der Künstler der Gegenwart kam zu Ehren.
»Es ist aber auch keiner in unserer Stadt und vielleicht in weiten Kreisen, der so zeichnen kann«, sagte mein Vater, »er huldigt keinem Zeitgeschmacke, sondern nur der Wesenheit der Dinge, und hat ein so tiefes Gemüt, daß der höchste Ernst und die höchste Schönheit daraus hervorblicken. Oft wehte es mich aus seinen Gestalten so an wie aus den Nibelungen oder wie aus der Geschichte der Ottone. Wenn dieser Mann nicht so bescheiden wäre und statt den Dingen, womit man ihn überhäuft, lieber große Gemälde machte, er würde seines Gleichen jetzt nicht haben und nur mit den größten Meistern der Vergangenheit zusammengestellt werden können.«
»Ein Schmuck in seinem Fache«, sagte eine Stimme, »ist doch wie ein Bild ohne Rahmen, oder noch mehr wie ein Rahmen ohne Bild.«
»Freilich ist es so«, entgegnete Risach, »man kann jedes Ding nur an seinem Platze beurteilen, und da mein Freund als mein Nebenbuhler aufgetreten ist, so wäre es nicht zu verwerfen — Natta, bist du mein liebes Kind?«
»Vater, wie gerne!« antwortete diese.
Sie stand von ihrem Stuhle auf, entfernte sich und kam so gekleidet wieder, daß man ihr einen kostbaren Schmuck umlegen konnte. Es geschah zuerst mit den Diamanten und Rubinen. Wie herrlich war Natalie, und es bewährte sich, daß der Schmuck der Rahmen sei. Am Vormittage, in beklemmenden und tieferen Gefühlen befangen, konnte ich dem Schmucke keine Aufmerksamkeit schenken. Jetzt sah ich die schönen Gestaltungen wie von einem sanften Scheine umgeben. Im Mittelpunkte aller Blicke errötete die junge Frau, und die Rosen ihrer Farbe gaben den Rubinen erst die Seele und empfingen sie von ihnen. Der Ausdruck der Bewunderung war allgemein. Hierauf wurde der Smaragdschmuck umgelegt. Aber auch er war vollendet. Der dunkle, tiefe Stein gab der Oberfläche von Nataliens Bildungen etwas Ernstes, Feierliches, fremdartig Schönes. War der Diamantschmuck wie fromm erschienen, so erschien der Smaragdschmuck wie heldenartig. Keiner erhielt den Preis. Risach und der Vater stimmten selber überein. Natalie nahm ihn wieder ab, beide Schmuckstücke wurden in ihre Fächer gelegt, Natalie trug sie fort und erschien nach einer Zeit wieder in ihrem früheren Anzuge.
Bei dem Smaragdschmucke hatte sich etwas Auffälliges ereignet. Von ihm waren die Ohrgehänge im Fache zurückgeblieben. Der Diamantschmuck enthielt keine Ohrgehänge. Mathilde und Natalie trugen Ohrgehänge nicht, weil nach ihrer Meinung der Schmuck dem Körper dienen soll. Wenn aber der Körper verwundet wird, um Schmuck in die Verletzung zu hängen, werde er Diener des Schmuckes.
Als noch immer von den Steinen gesprochen wurde, was ihre Bestimmung sei und wie sie sich auf dem Körper ganz anders ansehen lassen als in ihrem Fache, sagte Eustach etwas, das mir als sehr wahr erschien: »Was die innere Bestimmung der Edelsteine ist«, sprach er, »kann nach meiner Meinung niemand wissen: für den Menschen sind sie als Schmuck an seinem Körper am schönsten, und zwar zuerst an den Teilen, die er entblößt trägt, dann aber an seinem Gewande und an allem, was sonst mit ihm in Berührung kommt, wie Königskronen, Waffen. An bloßen Geräten, wie wichtig sie sind, erscheinen die Steine als tot, und an Tieren sind sie entwürdigt.«
Man sprach noch länger über diesen Gegenstand und erläuterte ihn durch Beispiele.
»Da heute unser Wettkampf unentschieden geblieben ist«, sagte Risach zu meinem Vater, »so wollen wir nun sehen, wer mit geringerem Aufwande seinen Sitz zu einem größeren Kunstwerke machen kann, du deinen Drenhof, oder wenn du ihn lieber Gusterhof nennen willst, oder ich meinen Asperhof.«
»Du bist schon im Vorsprunge«, entgegnete mein Vater, »und hast gute Zeichner bei dir: ich fange erst an, und mein Zeichner liefert mir wahrscheinlich keine Zeichnung mehr.«
»Wenn es uns im Asperhofe an Arbeit fehlt, so worden wir in den Drenhof hinüber geliehen«, sagte Eustach.
»Auch dann, wenn wir hier Arbeit haben«, erwiderte Risach, »ich will dem Feinde Waffen liefern.«
Der Nachmittag war ziemlich vorgerückt und es fehlte nicht mehr viel zum Abende. Das Mahl war schon längst aus und man saß nur mehr, wie es öfter geschieht, im Gespräche um den Tisch.
Mir war schon länger her das Benehmen des Gärtners Simon aufgefallen; denn er, so wie die vorzüglicheren Diener des Hauses und Meierhofes, war zu Tische geladen worden. Die Andern hatten in dem Meierhofe ein Mahl. Ich hatte ihm am Morgen zur Erinnerung an den heutigen Tag eine silberne Dose mit meinem Namen in dem Deckel gegeben. Diese Dose hatte er bei sich auf dem Tische und sprach ihr unruhig zu. Manches Mal flüsterte er mit seinem Weibe, das an seiner Seite saß, und öfter ging er fort und kam wieder. Eben trat er nach einer solchen Entfernung wieder in den Saal. Er setzte sich nicht und schien mit sich zu kämpfen. Endlich trat er zu mir und sprach: »Alles Gute belohnt sich, und euch erwartet heute noch eine große Freude.«
Ich sah ihn befremdet an.
»Ihr habt den Cereus peruvianus vom Untergange gerettet«, fuhr er fort, »wenigstens hätte er leicht untergehen können, und ihr seid Ursache gewesen, daß er in dieses Haus gekommen ist, und heute noch wird er blühen. Ich habe ihn durch Kälte zurück zu halten gesucht, selbst auf die Gefahr hin, daß er die Knospe abwerfe, damit er nicht eher blühe als heute. Es ist alles gut gegangen. Eine Knospe steht zum Entfalten bereit. In mehreren Minuten kann sie offen sein. Wenn die Gesellschaft dem Gewächshause die Ehre antun wollte…«
»Ja, Simon, ja, wir gehen hin«, sagte mein Gastfreund.
Sofort erhob man sich von dem Tische und rüstete sich zu dem Gange in die Gewächshäuser. Simon hatte alles Andere um die Stelle des Peruvianus, der in ein eigenes Glashäuschen hinein ragte, entfernt und Platz zum Betrachten der Pflanze gemacht. Die Blume war, da wir hinkamen, bereits offen. Eine große, weiße, prachtvolle, fremdartige Blume. Alles war einstimmig im Lobe derselben.
»So viele Menschen den Peruvianus haben«, sagte Simon, »denn gar selten ist er eben nicht, so mächtig groß sie auch seinen Stamm ziehen, so selten bringen sie ihn zur Blüte. Wenige Menschen in Europa haben diese weiße Blume gesehen. Jetzt öffnet sie sich, morgen mit Tagesanbruch ist sie hin. Sie ist kostbar mit ihrer Gegenwart. Mir ist es geglückt, sie blühen zu machen — und gerade heute. — Es ist ein Glück, das die wahrste Freude hervorbringen muß.«
Wir blieben ziemlich lange und erwarteten das völlige Entfalten.
»Es kommen auch nicht viele Blumen, wie bei gemeinen Gewächsen, hervor«, sagte Simon wieder, »sondern stets nur eine, später etwa wieder eine.«
Mein Gastfreund schien wirklich Freude an der Blume zu haben, ebenso auch Mathilde. Natalie und ich dankten Simon besonders für seine große Aufmerksamkeit und sagten, daß wir ihm diese Überraschung nie vergessen werden. Dem alten Manne standen die Tränen in den Augen. Er hatte Lampen um die Blume angebracht, die bei hereinbrechender Dämmerung angezündet worden sollten, wenn etwa jemand die Blume in der Nacht betrachten wolle. Bei längerem Anschauen gefiel uns die Blume immer mehr. Es dürften in unsern Gärten wenige sein, die an Seltsamkeit, Vornehmheit und Schönheit ihr gleichen. Von den Anwesenden hatte sie nie einer gesehen. Wir gingen endlich fort, und der eine und der andere versprach, im Laufe des Abends noch einmal zu kommen.
Da wir auf dem Rückwege waren und an dem Gebüsche, das sich in der Nähe des Lindenganges befindet, vorbeigingen, ertönte dicht am Wege in den Büschen ein Zitherklang. Risach, welcher meine Mutter führte, blieb stehen, ebenso mein Vater und Mathilde und dann auch die Andern, die sich eben in unserer Nähe befanden. Ich war mit Natalien mehr gegen den Busch getreten; denn ich erkannte augenblicklich den Klang meines Zitherspiellehrers. Er trug eine ihm eigentümliche Weise vor, dann hielt er inne, dann spielte er wieder, dann hielt er wieder inne, und so fort. Es waren lauter Weisen, die er selber ersonnen hatte oder die ihm vielleicht eben in dem Augenblicke in den Sinn gekommen waren. Er spielte mit aller Kraft und Kunst, die ich an ihm so oft bewundert hatte, ja er schien heute noch besser als je zu spielen. Es war, als wenn er nichts auf Erden liebte als seine Zither. Alles, was sich in der Nähe befand, lauschte unbeweglich, und nicht einmal ein Zeichen eines Beifalles wurde laut. Nur Mathilde sah einmal auf Natalien hin, und zwar so bedeutsam, als wollte sie sagen: das haben wir nicht gehört, und das vermögen wir nicht hervorzubringen. Die Zither war ein lebendiges Wesen, das in einer Sprache sprach, die allen fremd war und die alle verstanden. Als die Töne endlich nicht mehr wieder beginnen zu wollen schienen, trat ich mit Natalien ins Gebüsch, und da saß mein Zitherspiellehrer an einem Tischchen und hatte seine Zither vor sich. Sein Anzug war graues Tuch und sehr abgetragen, sein grüner Hut lag neben der Zither auf dem Tische.
»Joseph, bist du wieder in der Gegend?« fragte ich ihn.
»So recht nicht«, antwortete er, »ich bin gekommen, Euch auf der Hochzeit einmal gut aufzuspielen.«
»Das hast du getan und das kann keiner so«, sagte ich, »du sollst dafür eine Freude haben, und ich weiß dir eine zu verschaffen, welche dir die größte ist. Bessere Hände können das, was ich dir geben will, nicht fassen als die deinen. Das Rechte muß zusammenkommen. Ich bin dir ohnehin auch noch einen Dank schuldig für dein eifriges Lehren und für deine Begleitung im Gebirge.«
»Dafür habt ihr mich bezahlt, und das Heutige tat ich freiwillig«, sagte er.
»Warte nur einige Tage hier, dann wirst du empfangen, was ich meine«, sprach ich.
»Ich warte gerne«, erwiderte er.
»Du sollst gut gehalten sein«, sagte ich.
Indessen waren alle Andern auch herbeigekommen und überschütteten den Mann mit Lob. Risach lud ihn ein, eine Weile in seinem Hause zu bleiben. Er spielte noch einige Weisen, er vergaß beinahe, daß ihm jemand zuhöre, spielte sich hinein und hörte endlich auf, ohne auf die Umstehenden Rücksicht zu nehmen, genau so, wie er es immer tat. Wir entfernten uns dann.
Ich rief sogleich den Hausverwalter herbei, sagte ihm, er möge mir einen Boten besorgen, welcher auf der Stelle in das Echerthal abzugehen bereit sei. Der Hausverwalter versprach es. Ich schrieb einige Zeilen an den Zithermacher, legte das nötige Geld bei, versprach noch mehr zu senden, wenn es nötig sein sollte, und verlangte, daß er die dritte Zither, welche die gleiche von der meinigen und der meiner Schwester sei, in eine Kiste wohlverpackt dem Boten mitgebe, der den Brief bringt. Der Bote erschien, ich gab ihm das Schreiben und die nötigen Weisungen, und er versprach, die heutige Nacht zu Hilfe zu nehmen und in kürzester Frist zurück zu sein. Ich hielt mich nun für sicher, daß nicht etwa im letzten Augenblicke die Zither wegkomme, wenn sie überhaupt noch da sei.
Indessen war es tief Abend geworden. Ich ging mit Natalien und Klotilden noch einmal zu dem Cereus peruvianus, der im Lampenlicht fast noch schöner war. Simon schien bei ihm wachen zu wollen. Immer gingen Leute ab und zu. Joseph hörten wir auch noch einmal spielen. Er spielte in der großen unteren Stube, wir traten ein, er hatte guten Wein vor sich, den ihm Risach gesendet hatte. Das ganze Hausvolk war um ihn versammelt. Wir hörten lange zu, und Klotilde begriff jetzt, warum ich im Gebirge so gestrebt habe, daß sie diesen Mann höre.
Ein Teil der Gäste hatte noch heute das Haus verlassen, ein anderer wollte es bei Anbruch des nächsten Tages tun und einige wollten noch bleiben.
Im Laufe des folgenden Vormittages, da sich die Zahl der Anwesenden schon sehr gelichtet hatte, kamen noch einige Geschenke zum Vorscheine. Risach führte uns in das Vorratshaus, welches neben dem Schreinerhause war. Dort hatte man einen Platz geschafft, auf welchem mehrere mit Tüchern verhüllte Gegenstände standen. Risach ließ den ersten enthüllen, es war ein kunstreich geschnittener Tisch und hatte den Marmor als Platte, welchen ich einst meinem Gastfreunde gebracht hatte, und über dessen Schicksal ich später in Ungewißheit war.
»Die Platte ist schöner als tausende«, sagte Risach, »darum gebe ich das Geschenk meines einstigen Freundes in dieser Gestalt meinem jetzigen Sohne. Keinen Dank, bis alles vorüber ist.«
Nun wurde ein großer, hoher Schrein enthüllt.
»Ein Scherz von Eustach an dich, mein Sohn«, sagte Risach.
Der Schrein war von allen Hölzern, welche unser Land aufzuweisen hat, in eingelegter Arbeit verfertigt. Eustach hatte die Zusammenstellung entworfen. Die Sache sah außerordentlich reizend aus. Ich hatte bei meinem Winterbesuche im Asperhofe an diesem Schreine arbeiten gesehen. Ich hatte damals die Ansammlung von Hölzern seltsam gefunden, auch hatte ich den Zweck des Schreines nicht erkannt. Er war in mein Arbeitszimmer für meine Mappen bestimmt.
Zuletzt wurden mehrere Gegenstände enthüllt. Es waren die Ergänzungen zu meines Vaters Vertäflungen. Das war gleich auf den ersten Blick zu erkennen und erregte Freude; aber ob sie die rechten oder nachgebildete seien, war nicht zu entscheiden. Risach klärte alles auf. Es waren nachgebildete. Zu diesem Behufe hatte man von mir die Abbildungen der Vertäflungen des Vaters verlangt. Roland hatte vergeblich nach den echten geforscht. Er hatte Messungen nach den vorhandenen Resten vorgenommen und nach Orten gesucht, auf welche die Messungen paßten. In einem abgelegenen Teile der Holzbauten des steinernen Hauses hatte er endlich Bohlen gefunden, welche den Messungen genau entsprachen. Die Bohlen waren teils vermorscht, teils zerrissen und trugen die Verletzungen, wie man die Schnitzereien von ihnen herab gerissen hatte. Es war nun fast gewiß, daß die Ergänzungen verloren gegangen seien. Man machte daher die Nachbildungen. In demselben Winterbesuche hatte ich auch das Bohlenwerk zu diesen Schnitzereien gesehen. Mein Vater erklärte die Arbeit für außerordentlich schön.
»Sie hat auch lange gedauert, mein lieber Freund«, sagte Risach, »aber wir haben sie für dich zu Stande gebracht, und sie wird genau in dein Glashäuschen passen oder leicht einzupassen sein; außer du zögest vor, die Schnitzereien in den Drenhof bringen zu lassen.«
»So wird es auch geschehen, mein Freund«, sagte mein Vater.
Nun ging es erst an ein Danksagen und an ein Ausdrücken der Freude. Die Geber lehnten jeden Dank von sich ab. Man beschloß, die Gegenstände in kurzer Zeit auf ihren Bestimmungsort zu bringen.
An diesem Tage und in den folgenden verließen uns nach und nach alle Fremden, und erst jetzt begann ein liebes Leben unter lauter Angehörigen. Risach hatte für mich und Natalien eine sehr schöne Wohnung herrichten lassen. Sie konnte nicht groß sein, war aber sehr zierlich. In den zwei Jahren meiner Abwesenheit waren ihre Wände bekleidet und waren neue, ausgezeichnete Geräte für sie angeschafft worden. Wir beschlossen aber, unsere regelmäßige Wohnung so lange in dem Sternenhofe aufzuschlagen, bis ihn Gustav würde übernehmen können, damit Mathilde in der Zwischenzeit nicht zu vereinsamt wäre. Dabei würde ich oft in den Asperhof kommen, um mit Risach zu beratschlagen oder zu arbeiten, oft würden auch die Andern kommen, und oft würden wir uns da oder im Gusterhofe oder im Sternenhofe oder in der Stadt besuchen und zeitweilig dort wohnen. Mit Natalien hatte ich eine größere Reise vor. Für den Fall, daß ich in was immer für Angelegenheiten abwesend sein sollte, nahm jedes Haus das Recht in Anspruch, Natalien beherbergen zu dürfen. Der Zitherspieler spielte täglich und oft ziemlich lange vor uns. Am fünften Tage kam die Zither. Ich überreichte sie ihm, und er, da er sie erkannte, wurde fast blaß vor Freude. Dieses Geschenk durfte das beste für ihn genannt werden; von diesem Geschenke wird er sich nicht trennen, während es von jedem andern zweifelhaft wäre, ob er es nicht verschleudere. Als er die Zither gestimmt und auf ihr gespielt hatte, sahen wir erst, wie trefflich sie sei. Er wollte fast gar nicht aufhören zu spielen. Risach ließ ihm noch über ihr Fach ein wasserdichtes Lederbehältnis machen. Nach mehreren Tagen nahm er Abschied und verließ uns.
Wir machten alle eine kleine Reise in das Ahornwirtshaus, und ich stellte Kaspar und alle Andern, die mit mir in Verbindung gewesen waren, Risach, Mathilden, meinen Eltern und Natalien vor. Wir blieben sechs Tage in dem Ahornhause. Von da gingen wir in den Sternenhof. Die Tünche war nun überall von ihm weggenommen worden, und er stand in seiner reinen, ursprünglichen Gestalt da. Auch hier wurden wir in die Wohnung eingeführt, die während meiner Abwesenheit für uns hergestellt worden war. Sie konnte in dem weitläufigen Gebäude viel größer sein als die im Asperhofe. Sie war zu einer vollständigen Haushaltung hergerichtet.
Von dem Sternenhofe gingen wir in die Stadt. Dort machten wir alle Besuche, welche in den Kreisen meiner Eltern und in denen Mathildens notwendig waren. Risach stellte manchem Freunde seine angenommene und neuvermählte Tochter nebst ihrem Gatten und ihrer Mutter vor. Ich erfuhr, daß meine Vermählung mit Natalie Tarona Aufsehen errege; ich erfuhr, daß insbesondere einige meiner Freunde — sie hatten sich wenigstens immer so genannt — geäußert haben, das sei unbegreiflich. Nataliens Neigung zu mir war mir stets ein Geschenk und daher unbegreiflich; da aber nun diese es aussprachen, begriff ich, daß es nicht unbegreiflich sei. Ich besuchte meinen Juwelenfreund, der wirklich ein Freund geblieben war. Er hatte die innigste Freude über mein Glück. Ich führte ihn in unsere Familien ein. Bekannt war er mit allen Teilen schon lange gewesen. Ich dankte ihm sehr für die prachtvolle Fassung der Diamanten und Rubinen und des Smaragdschmuckes. Er fühlte sich über Risachs und meines Vaters Urteil sehr beglückt.
»Wenn wir solche Kunden in großer Zahl hätten, wie diese zwei Männer sind, teurer Freund«, sagte er, »dann würde unsere Beschäftigung bald an die Grenzen der Kunst gelangen, ja sich mit ihr vereinigen. Wir würden freudig arbeiten, und die Käufer würden erkennen, daß die geistige Arbeit auch einen Preis habe wie die Steine und das Gold.«
Ich nahm bei ihm eine sehr wertvolle und mit Kunst verzierte Uhr als Gegenscherz für Eustachs Mappenschrein. Klotilde hatte sie ausgewählt. Für Roland ließ ich einen Rubin in einen Ring fassen, daß er ihn zur Erinnerung an mich trage und meine Dankbarkeit für seine Bemühungen zur Auffindung der Ergänzungen der Pfeilerverkleidungen anerkenne.
»Er ist ohnehin ein Nebenbuhler von mir«, sagte ich, »er hat Natalien oft lange und bedeutend angesehen.«
»Das hat einen sehr unschuldigen Grund«, entgegnete mein Gastfreund, »Roland erwarb sich ein Liebchen mit gleichen Augen und Haaren, wie sie Natalie besitzt. Er hat uns das öfter gesagt. Das Mädchen ist die Tochter eines Forstmeisters im Gebirge und ihm äußerst zugetan. Da nun der Arme ihren Anblick oft lange entbehren muß, so sah er zur Erquickung Natalien an. Es hat Schwierigkeiten mit diesem jungen Manne, ich wünsche sein Wohl. Er kann ein bedeutender Künstler werden oder auch ein unglücklicher Mensch, wenn sich nehmlich sein Feuer, das der Kunst entgegen wallt, von seinem Gegenstande abwendet und sich gegen das Innere des jungen Mannes richtet. Ich hoffe aber, daß ich alles werde ins Gleiche bringen können.«
Da alle notwendigen Dinge in der Stadt abgetan waren, wurde die Rückreise angetreten, und zwar in den Asperhof. Die Zeit der Rosenblüte war herangerückt, und heuer sollte sie von den vereinigten Familien als ein Denkzeichen der Vergangenheit und aber auch als eins der Zukunft zum ersten Male in dieser Vereinigung und mit besonderer Festlichkeit begangen werden. Mein Vater sollte sehen, welche Gewalt die Menge und die Mannigfaltigkeit auszuüben im Stande ist, wenn diese Menge und Mannigfaltigkeit auch nur lauter Rosen sind. Nach Verlauf der Rosenblüte sollte alles und jedes, das durch diese Vermählung unterbrochen worden war, in das alte Geleise zurückkehren.
Da wir in dem Asperhofe angekommen waren, gelangte ich erst zu einiger Ruhe. Da sah ich auch gelegentlich die Papiere an, die uns Risach und der Vater gegeben hatten, und erstaunte sehr. Beide enthielten für uns viel mehr, als wir nur entfernt vermutet hatten. Risach wollte bis zu seinem Tode das Haus in der Art wie bisher fort bewirtschaften, damit, wie er sagte, er seinen Nachsommer bis zum Ende ausgenießen könne. Unser Rat und unsere Hilfe in der Bewirtschaftung wird ihm Freude machen. Einen namhaften Teil seiner Barschaft hatte er uns übergeben. Und weil öfter zwei Familien in dem Asperhofe sein können, so lagen den Papieren Pläne bei, daß auf einem schönen Platze zwischen dem Rosenhause und dem Meierhofe, hart am Getreide, ein neues Haus aufgeführt und sogleich zum Baue geschritten werden möge. Aber auch das von dem Vater uns Übergebene war der gesammten Habe Risachs ebenbürtig und übertraf weit meine Erwartungen. Als wir unsern Dank abstatteten und ich mein Befremden ausdrückte, sagte der Vater: »Du kannst darüber ganz ruhig sein; ich tue mir und Klotilden keinen Abbruch. Ich habe auch meine heimlichen Freuden und meine Leidenschaften gehabt. Das geben verachtete bürgerliche Gewerbe eben, bürgerlich und schlicht betrieben. Was unscheinbar ist, hat auch seinen Stolz und seine Größe. Jetzt aber will ich der Schreibstubenleidenschaft, die sich nach und nach eingefunden, Lebewohl sagen und nur meinen kleineren Spielereien leben, daß ich auch einen Nachsommer habe wie dein Risach.«
Als wir einige Zeit in dem Rosenhause verweilt hatten, traten eines Tages Natalie und ich zu unserem neuen Vater und baten ihn, er möge ein Versprechen von uns annehmen, dessen Annahme uns sehr freuen wurde.
»Uns was ist das?« fragte er.
»Daß wir, wenn du uns dereinst in dieser Welt früher verlassen solltest als wir dich, keine Veränderung in allem, wie es sich in dem Hause und in der Besitzung vorfindet, machen wollen, damit dein teures Andenken bestehe und forterbe«, sagten wir.
»Da tut ihr zu viel«, antwortete er, »ihr verspreche etwas, dessen Größe ihr nicht kennt. Diese Bande darf ich nicht um euren Willen und eure Verhältnisse legen, sie könnten von den übelsten Folgen sein. Wollt ihr mein Gedächtnis in mannigfachem Bestehenlassen ehren, tut es und pflanzt auch euren Nachkommen diesen Sinn ein, sonst ändert, wir ihr wünscht und wie es not tut. Wir wollen, so lange ich lebe, selber noch mit einander ändern, verschönern, bauen; ich will noch eine Freude haben, und mit euch zu ändern und zu wirken ist mir lieber, als wenn ich es allein tue.«
»Aber der Erlenbach muß als Denkmal der schönen Geräte bestehen bleiben.«
»Setzt eine Urkunde auf, daß ihm nichts angetan werde von Geschlecht zu Geschlecht, bis seine Reste vermodern oder ein Wolkenguß ihn von seiner Stelle feget.«
Er küßte Natalien, wie er gerne tat, auf die Stirne, mir reichte er die Hand.
Als die Rosenzeit wirklich recht innig und zum Staunen meiner Angehörigen, welche so etwas nie gesehen hatten, vorüber gegangen war, nahmen wir Abschied, die Vereinigung, welche nun so lange bestanden hatte, löste sich und die Tage kehrten in ihren gewöhnlichen Abfluß zurück. Meine Eltern gingen mit Klotilden in den Gusterhof, wo sie bis zum Winter bleiben wollten, und ich siedelte mit Natalien in unsere ständige Wohnung in den Sternenhof über. Wir sollten nun die eigentliche Familie desselben sein, Mathilde werde bei uns wohnen und mit an unserem Tische speisen. Die Bewirtschaftung des Gutes sollte ebenfalls ich leiten. Ich übernahm die Pflicht und bat um Mathildens Beihilfe, so ausgedehnt sie dieselbe leisten wolle. Sie sagte es zu.
So rückte nun die Zeit in ihr altes Recht, und ein einfaches, gleichmäßiges Leben ging Woche nach Woche dahin.
Nur im Herbste fand eine Abwechslung statt. Die Vettern aus dem Geburtshause des Vaters besuchten meine Eltern in dem Gusterhofe. Wir fuhren zu ihnen hinüber. Der Vater ließ sie reichlich beschenkt in einem Wagen in ihre Heimat zurückführen.
Mit Beginn des Winters war Rolands Bild fertig. Es war seiner Größe willen zu rollen, hatte einen großen Goldrahmen, der zu zerlegen war, und wurde in dem Marmorsaale auf einer Staffelei aufgestellt. Wir reisten alle in den Asperhof. Das Bild wurde vielfach betrachtet und besprochen. Roland war in einer gehobenen, schwebenden Stimmung; denn was auch die Meinung seiner Umgebung war, wie sehr sie auch das Hervorgebrachte lobte und wohl auch Hindeutungen gab, was noch zu verbessern wäre: so mochte ihm sein Inneres versprechen, daß er einmal vielleicht noch weit Höheres, ja ein ganz Großes zu Stande zu bringen vermögen werde. Risach sagte ihm die Mittel zu, reisen zu können und ordnete die Zubereitung zu einer baldigen Abreise nach Rom an. Gustav mußte noch den Winter im Asperhofe zubringen. Im Frühlinge sollte er endlich in die Welt gehen.
So waren nun mannigfaltige Beziehungen geordnet und geknöpft.
Mathilde hatte einmal, da ich sie im Sternenhofe besuchte, zu mir gesagt, das Leben der Frauen sei ein beschränktes und abhängiges, sie und Natalie hätten den Halt von Verwandten verloren, sie müßten Manches aus sich schöpfen wie ein Mann und in dem Widerscheine ihrer Freunde leben. Das sei ihre Lage, sie daure ihrer Natur nach fort und gehe ihrer Entwicklung entgegen. Ich hatte mir die Worte gemerkt und hatte sie tief ins Herz genommen.
Ein Teil dieser Entwicklung, glaubte ich nun, war gekommen, der zweite wird mit Gustavs Ansiedlung eintreten. An mir hatten die Frauen wieder einen Halt gewonnen, daß sich ein fester Kern ihres Daseins wieder darstelle; ein neues Band war durch mich von ihnen zu den Meinigen geschlungen, und selbst das Verhältnis zu Risach hatte an Rundung und Festigkeit gewonnen. Den Abschluß der Familienzusammengehörigkeit wird dann Gustav bringen.
Was mich selber anbelangt, so hatte ich nach der gemeinschaftlichen Reise in die höheren Lande die Frage an mich gestellt, ob ein Umgang mit lieben Freunden, ob die Kunst, die Dichtung, die Wissenschaft das Leben umschreibe und vollende oder ob es noch ein Ferneres gäbe, das es umschließe und es mit weit größerem Glück erfülle. Dieses größere Glück, ein Glück, das unerschöpflich scheint, ist mir nun von einer ganz anderen Seite gekommen als ich damals ahnte. Ob ich es nun in der Wissenschaft, der ich nie abtrünnig werden wollte, weit werde bringen können, ob mir Gott die Gnade geben wird, unter den Großen derselben zu sein, das weiß ich nicht; aber eines ist gewiß, das reine Familienleben, wie es Risach verlangt, ist gegründet, es wird, wie unsre Neigung und unsre Herzen verbürgen, in ungeminderter Fülle dauern, ich werde meine Habe verwalten, werde sonst noch nutzen, und jedes, selbst das wissenschaftliche Bestreben, hat nun Einfachheit, Halt und Bedeutung.