Ein bitteres Ende

Fast unmittelbar, nachdem sie in Sandy Hook vor Anker gegangen waren, wurde der Sparrow und ihrer Mannschaft eine kurze und wohlverdiente Pause zum Überholen des Schiffes gegönnt. Unter dem wachsamen Auge eines älteren Dockoffiziers ließ man sie trockenfallen, der dichte Bewuchs wurde abgekratzt und entfernt. Bolitho konnte Lock an Land senden, wo dieser durch sorgfältig verteilte Trinkgelder neuen Proviant und Ersatz für einige faulig gewordene Fässer mit Fleisch ergattern konnte.

Trotz dieser regen Tätigkeit, die von der Morgendämmerung bis zum Dunkelwerden dauerte, bekam er gelegentlich Besuch von einem wißbegierigen Leutnant aus dem Stab des Flottenchefs. Er schrieb Stellungnahmen von Bolitho und Tyrell auf und verglich sie sowohl mit den Eintragungen im Logbuch der Fawn als auch mit den Befehlen, die zu dem Angriff führten.

Buckle mußte jeden Teil der benutzten Karten ausbreiten und erklären und wurde bei dem fachmännischen Verhör des Leutnants recht verwirrt. Als aber ein Tag auf den anderen folgte und die Sparrow wieder ihr ursprüngliches schmuckes Aussehen zurückgewann, wurden die bitteren Erinnerungen an den Verlust der Fawn und an seinen Wutausbruch in der Kajüte Colquhouns schwächer, wenn nicht sogar aus Bolithos Gedanken verdrängt.

Er war ständig mit den Angelegenheiten des Schiffes beschäftigt, da er nie wußte, wann seine nächsten Befehle eintreffen würden, und er verbrachte jede freie Minute damit, den Fortgang des Krieges auf dem Festland zu studieren. Als er die Vorladung vors Kriegsgericht erhielt, war es so etwas wie ein Schock für ihn.

Drei Wochen waren vergangen, seitdem er Colquhoun in der Kajüte der Bacchante gegenübergestanden hatte, und fast jeder Tag war ausgefüllt gewesen.

Nur bestimmte Einzelheiten standen ihm noch mit aller Klarheit vor Augen: das Bild der Gewalt und Verzweiflung auf dem zerschossenen Deck der Fawn. Maulbys Gesicht, die Fliegen, die über seine schmerzverzerrten Züge krochen. Der sichtliche Stolz des jungen Heyward, als er die Aufgabe bekam, die Kapitulation des Feindes entgegenzunehmen. Der einzige überlebende Fawn-Offizier, der das Kommando über den Feind übernommen hatte, bis die Marinesoldaten kamen. Maulbys Leutnant sah aus wie ein Mann, der aus dem Schatten des Todes entkommen war. Seine Bewegungen waren schwerfällig, sein Gesicht gezeichnet von den Anblicken und Geräuschen, die er hatte ertragen müssen.

Am Morgen der Gerichtsverhandlung stand Bolitho mit Tyrell und Buckle auf dem Achterdeck der Sparrow. Er war sich der vielen Augen bewußt, die ihn beobachteten, an Bord und auf den in der Nähe ankernden Schiffen. Tyrell trat unruhig von einem Bein aufs andere.»Ich mag nur als Zeuge vernommen werden, aber ich fühle mich weiß Gott mitschuldig!«murmelte er.

Bolitho beobachtete die Gig, die auf die Schanzkleidpforte zuhielt, und bemerkte, daß Stockdale und seine Rudergänger ihre besten Kleider angelegt hatten. Wahrscheinlich waren auch sie sich des Augenblicks bewußt.

Und sie hatten Grund dazu, dachte er grimmig. Zwar war Colquhoun angeklagt, aber es war auch bekannt, daß ein Ertrinkender oft noch andere mit sich in die Tiefe zog.

Sein Blick schweifte hinüber zu dem Schiff, das ungefähr drei Kabellängen entfernt vor Anker lag: die Parthian, auf der er Befehl erhalten hatte, die Soldaten und die Goldbarren General Blundells am Delaware zu retten. Wie lange das schon her zu sein schien. Eine Ewigkeit.

Die Gig wurde festgemacht, und Tyrell sagte abrupt:»Der Bastard verdient, gehängt zu werden!»

Bolitho folgte den anderen zur Schanzkleidpforte und versuchte wieder einmal, sich über seine wahren Gefühle klar zu werden. Es war schwierig, Colquhoun weiterhin zu hassen. Seine Schwäche war vielleicht allzu menschlich gewesen, was es nach dem ersten Ärger nicht leichter machte, ihn zu verdammen.

Als es acht Uhr war und die Glocken von jedem ankernden Kriegsschiff erklangen, krachte ein einzelner Kanonenschuß von der Parthian, gleichzeitig wurde die Kriegsgerichtsflagge an ihrer Gaffel gehißt. Es war Zeit.

Graves stand mit ausdruckslosem Gesicht bei den anderen, als sie in die Gig kletterten. Er war nicht betroffen, und Bolitho fragte sich, ob er vielleicht beim Anblick der Kriegsgerichtsflagge an Chancen für seine Beförderung dachte.

Sobald er die vergoldete Schanzkleidpforte der Parthian durchschritten hatte und an der Wache und der versammelten Menschenmenge vorbeigegangen war, spürte Bolitho ein Gefühl des Ekels in sich aufsteigen. Das Achterdeck des Zweideckers war mit Besuchern vollgestopft. Höhere Offiziere, einige von ihnen Militärs, verschiedene wohlhabend aussehende Zivilisten und ein einzelner Maler erweckten den Eindruck eines sorglosen Ausfluges und nicht den eines Gerichts. Der Maler, ein bärtiger, geschäftiger kleiner Mann, hielt Skizzen aus jedem Blickwinkel fest, betonte jedes Detail der Uniform und des Ranges, gönnte sich kaum eine Pause.

Er sah Bolitho und drängte sich durch die schwatzende Menge, den Skizzenblock schon gezückt.

«Kapitän Bolitho?«Der Bleistift verhielt und senkte sich dann.»Freut mich, Sie endlich zu sehen. Ich habe so viel von Ihren Heldentaten gehört. «Er hielt ein und lächelte scheu.»Ich wünschte, ich hätte an Bord Ihres Schiffes sein können, um Zeichnungen zu machen. Die Leute zu Hause müssen darüber unterrichtet werden.»

Tyrell murmelte:»Um Gottes willen!»

Ein Polizeioffizier öffnete die Tür, und die Besucher begannen, sich nach achtern in die große Kajüte zu begeben. Die Zeugen wurden auf dem Achterdeck zurückgelassen, sie fühlten sich isoliert und nicht ganz wohl in ihren besten Uniformen.

Bolitho sagte leise:»Vielleicht ein andermal.»

Er sah, wie ein Hauptmann der Seesoldaten mit gezogenem Säbel auf die Achterkabine zuging. Schon der Anblick verursachte ihm Übelkeit. Wie die Menschenmengen in Tyburn oder die hohnlachenden Dummköpfe, die stundenlang herumstanden, um zu sehen, wie so ein armer Teufel am Dorfgalgen sein Leben ließ.

Das Lächeln des Malers erstarb.»Verstehe. Ich dachte nur…»

Bolitho erwiderte:»Ich weiß, was Sie dachten. Daß es mir Vergnügen machen würde, zu sehen, wie ein Mann degradiert wird. «Er verbarg seine Verachtung nicht.

«Das auch. «Die Augen des Malers blitzten in der Sonne, als er rasch eine Änderung an seiner Skizze vornahm.»Ich dachte mir auch, daß Sie durch das Schicksal dieses Mannes bessere Chancen für Ihre eigene Zukunft sehen. «Er zuckte die Schultern, als Bolitho ihm ärgerlich den Rücken kehrte.»Daß ich mich in beiden Punkten getäuscht habe, macht mich zum Narren und Sie zu einem Menschen, der noch besser ist als sein Ruf.»

Bolitho sah ihn traurig an.»Der Ruf wird heute nicht viel zählen.»

Ein Leutnant rief:»Hier entlang, meine Herren.»

Sie folgten ihm in der Reihenfolge ihres Dienstalters in die Offiziersmesse.

Der Maler verschwand rasch in Richtung der großen Kajüte. Tyrell brummte:»Was, um alles in der Welt, geschieht mit der Welt? Werden sie auch noch vom Tag des Jüngsten Gerichts Bilder machen?»

Den ganzen Vormittag ging es ermüdend langsam weiter. Zeugen wurden aufgerufen und Aussagen gemacht. Ob es sich um Fakten oder Gerüchte handelte, um technische Vorstellungen oder Einbildung, es schien in jedem Fall eine Ewigkeit zu dauern, bis man es zu Papier gebracht hatte. Gelegentliche Pausen gestatteten es den Besuchern, sich zu erfrischen und sich die Beine auf dem Achterdeck zu vertreten.

Während des ganzen Vormittags sprach Bolitho kaum ein Wort. Um ihn herum warteten die anderen Zeugen, bis sie an die Reihe kamen: Odell vom Schoner Lucifer, dessen hastige Bewegungen die Spannung noch verstärkten. Der Erste Leutnant und der Steuermann der Bacchante. Der überlebende Leutnant von der Fawn und ein geblendeter Seemann, der neben Maulby gestanden hatte, als dieser niedergeschlagen wurde. Vertrauen oder auch Unsicherheit spiegelte sich in ihren Gesichtern.

Dem Range nach, oder wie es ihre Wichtigkeit erforderte, wurden die Zeugen aufgerufen, bis nur noch Bolitho und Tyrell übrigblieben. Durch die offenen Pforten sah Bolitho Boote zwischen den Schiffen und der Küste hin- und herfahren und den leichten Rauch von einer nahen Landzunge, wo ein Mann Treibholz verbrannte.

Es war drückend heiß, der erste Maitag. Er stellte sich vor, wie es zu Hause in Falmouth sein mußte. Manchmal dachte er, daß er es nie wiedersehen würde: kleine blasse Tupfer von Schafen auf Hügeln und Wiesen. Lärmende Kühe in dem Sträßchen vor dem Haus, immer neugierig im Vorübergehen, als ob sie die Gatter noch nie gesehen hätten. Und auf dem Marktplatz, wo die Wagen nach Plymouth beladen wurden oder die Pferde für die Route nach Westen gewechselt, würde sicherlich Lachen und gute Laune herrschen. Obwohl der Krieg eine Gefahr war, so war der Winter auch eine, und diese lag nun bis zum nächstenmal hinter ihnen. Jetzt konnten die Fischerboote sicher auslaufen, und die Felder und Märkte würden bald den Lohn für geleistete Arbeit bringen.

«Mr. Tyrell. «Der Leutnant öffnete die Tür.»Hier entlang.»

Tyrell hob seinen Hut auf und schaute ihn an.»Jetzt dauert es nicht mehr lange, Sir. «Dann war Bolitho allein.

Es dauerte wirklich nicht lange. Tyrells Aussage war rein sachlich und bezog sich vor allem auf die Zeit, in der sie die Sandbank überquerten, und auf den Beginn des Angriffs. In allen Dingen hatte er nur seinen Befehlen gehorcht. Er war rehabilitiert.

Als er aufgerufen wurde, folgte Bolitho dem Leutnant in die Kajüte, ohne daß er sich daran erinnern konnte, wie sein Name angekündigt worden war.

Sie war mit sitzenden Personen vollgestopft, und ganz achtern, hinter einem Tisch, der fast von einer Wand zur anderen reichte, sah er die Offiziere des Gerichts. Im Zentrum saß der Vorsitzende, Sir Evelyn Christie, flankiert von zehn Kapitänen verschiedenen Dienstalters und Ranges, von denen keiner Bolitho bekannt war.

Konteradmiral Christie blickte ihn kühl an.»Ihre Aussagen unter Eid wurden verlesen und zur Beweisführung vorgelegt. «Seine Stimme klang so schroff und formell, daß Bolitho plötzlich an ihr letztes Zusammentreffen erinnert wurde. Der Unterschied zu jetzt kam fast Feindseligkeit gleich.

«Wir haben von dem Plan gehört, den Franzosen zu erobern, von den Ereignissen, die zu seiner Entdeckung führten, einschließlich der Aussage des Kapitäns der Lucifer und Ihrer eigenen Offiziere. «Er hielt inne und raschelte mit Papieren.»In Ihrer Aussage gaben Sie an, daß Sie sich vor Ihrem Vorgesetzten gegen eine Aktion, wie sie dann auch durchgeführt wurde, ausgesprochen haben.»

Bolitho räusperte sich.»Ich dachte, daß unter den gegebenen Umständen…»

Der am nächsten sitzende Kapitän fragte scharf:»Ja oder nein?»

«Ja. «Bolitho blickte immer noch den Admiral an.»Ich äußerte meine Meinung.»

Der Admiral lehnte sich langsam zurück.»Der Angeklagte hat jedoch ausgesagt, daß dies nicht der Fall war. Er gab Ihnen die Befehle erst, als Sie darauf bestanden, daß Ihr Schiff nördlich der Sandbank eine bessere Position hätte.»

In der plötzlichen Stille konnte Bolitho sein Herz hämmern hören. Er wollte sich umdrehen und Colquhoun ansehen, aber er wußte, daß jeder derartige Versuch sofort als Schuldbewußtsein ausgelegt würde.

Der dienstälteste Kapitän am Tisch sagte schroff:»Gab es Zeugen, als diese Entscheidungen getroffen wurden?»

Bolitho sah ihn an.»Nur Kapitän Maulby, Sir.»

«Ich verstehe.»

Bolitho fühlte, wie die Kajüte um ihn immer enger wurde, sah, daß die Gesichter der Nächstsitzenden ihn beobachteten wie ein Schwarm gieriger Vögel.

Der Admiral seufzte.»Ich fahre fort. Nachdem Sie die anderen Schiffe verlassen hatten, segelten Sie zu der angegebenen Position?»

«Ja, Sir.»

Der Admiral sah mit schiefem Lächeln auf.»Warum haben Sie dann die Sandbank überquert?«Er schlug mit einer Hand auf die Papiere, was Verwirrung unter den Zuschauern hervorrief.»War es Schuldgefühl? War Ihnen endlich klar geworden, daß Kapitän Colquhoun recht gehabt hatte, und daß er Ihre Unterstützung im Süden benötigte?»

«Nein, Sir. «Er fühlte seine Hände zittern und den Schweiß wie eisigen Reif zwischen den Schultern.»Ich habe meine Gründe bereits genannt. Wir hatten keinen Wind mehr, mir blieb zu diesem Zeitpunkt keine andere Möglichkeit als zu wenden. «Bilder schossen ihm durch den Kopf: Heyward, der sich schämte, die Kontrolle über das Schiff verloren zu haben. Buckle, zweifelnd und besorgt um ihre Sicherheit… Er hörte sich ruhig hinzufügen:»Kapitän Maulby war mein Freund.»

Das älteste Mitglied des Gerichts betrachtete ihn kalt.

«Wirklich?»

Bolitho drehte sich um und sah Colquhoun zum erstenmal an, entsetzt über die Veränderung an ihm. Er war sehr blaß, und im reflektierenden Licht sah seine Haut wie Wachs aus. Er stand mit herabhängenden Armen da, schwankte nur geringfügig mit den Bewegungen des Decks. Aber seine Augen waren am allerschlimmsten. Sie starrten in Bolithos Gesicht, auf seinen Mund, wenn er sprach, und loderten in solch unaussprechlichem Haß, daß Bolitho ausrief:»Sagen Sie endlich die Wahrheit!»

Colquhoun wollte einen Schritt nach vorn machen, aber seine Wache, der Hauptmann der Seesoldaten, berührte seinen Arm, und er entspannte sich wieder.

Der Admiral sagte scharf:»Das genügt, Kapitän Bolitho! Ich dulde keine Wortwechsel vor Gericht!»

Der dienstälteste Kapitän hüstelte diskret und fuhr fort:»Den Rest kennen wir. Die Falle der Franzosen, Ihre Zerstörung des Gegners, dies alles ist über jeden Zweifel erhaben. Sie haben trotz großer Gefahren die Rettung einiger Leute der Fawn ermöglicht, und einige der Verwundeten sind am Leben und erholen sich, dank Ihrer Bemühungen.»

Bolitho sah ihn mit blicklosen Augen an. Er hatte seine Pflicht getan, aber die Lügen, die Colquhoun bereits über seinen Charakter erzählt hatte, und die Aussage, die nur Maulby hätte widerlegen können, machten dies wertlos. Er sah Colquhouns Degen auf dem Tisch. Vielleicht würde sein eigener auch bald dort liegen. Er stellte fest, daß ihm das wenig ausmachte, nur auf seinem Namen konnte er keinen Schandfleck ertragen.

Der Admiral blickte sich in der übervollen Kajüte um.»Ich bin der Ansicht, daß wir genug gehört haben. Ziehen wir uns zurück, meine Herren?»

Bolitho schwankte. Eine lange Mittagspause. Noch mehr Verzögerungen. Es war eine Tortur.

Wie die meisten Anwesenden fuhr er herum, als im Hintergrund ein Stuhl mit lautem Gepolter umfiel. Eine heisere Stimme schrie:»Nein, verdammt, ich bin nicht ruhig! In Gottes Namen, ich habe meine Augen für den König gegeben! Darf ich denn nicht einmal die Wahrheit sagen?»

Der Admiral krächzte:»Ruhe da hinten! Oder muß ich die Wache rufen?»

Aber es nützte nichts. Die meisten Besucher waren aufgestanden, redeten und riefen durcheinander. Bolitho sah, daß einige sogar auf ihre Stühle gestiegen waren, um zu sehen, was vorging. Der Admiral saß sprachlos da, während die anderen Mitglieder des Gerichts wie versteinert darauf warteten, daß er seine Drohung wahrmache.

Die Stimmen erstarben, und die Menschenmenge wich auseinander, um den kleinen Maler nach vorn an den Tisch zu lassen. Er führte den Seemann, der an Bord der Fawn geblendet worden war und er schon kurz ausgesagt hatte, was er vom Kappen des Ankers und der Flucht vor französischem Beschuß wußte. Jetzt kam er in seiner zerlumpten Hose und einem geborgten blauen Uniformrock, mit schiefgestelltem Kopf nach vorn zum Tisch.

Der Admiral sagte ernst:»Nun gut, Richards. «Er wartete, bis die Leute sich wieder gesetzt hatten.»Was möchten Sie uns sagen?»

Der Seemann streckte die Hand aus und klammerte sich an die Tischkante, seine verbundenen Augen hoben sich über den Kopf des Admirals.

«Ich war dort, Sir. Auf dem Achterdeck mit Kapitän Maulby!»

Niemand rührte sich oder sprach, mit Ausnahme des blinden Seemannes namens Richards.

Bolitho beobachtete, wie seine Hand sich vage durch die Luft bewegte, wie schwer er atmete, als er diese letzten schrecklichen Augenblicke nochmals durchlebte.

Richards sagte heiser:»Die Franzosen hatten sich auf uns eingeschossen. Wir hatten nur noch einen Mast, und mehr als die Hälfte unserer tapferen Kameraden war gefallen.»

Der älteste Kapitän machte Anstalten, ihn zu unterbrechen, aber eine Bewegung des Admirals brachte ihn zum Schweigen.

«Die Riemen waren weggeschossen, aber die ganze Zeit schrie und fluchte Kapitän Maulby in seiner bekannten Art. «Unter der Bandage verzog sich der Mund des Mannes zu einem Lächeln.»Er konnte manchmal ziemlich fluchen, Sir. «Das Lächeln erstarb.»Ich war Steuermannsmaat und stand allein am Ruder. Mein Steuermann lag am Boden, auch der Maat, beide waren getötet. Der Erste Leutnant war unten, sein Arm war weggeschossen worden, in diesem Augenblick drehte sich der Kapitän zu mir um und schrie: >Gott verdamme diesen Colquhoun, Richards! Er hat uns zugrunde gerichtet!<»

Sein Kopf fiel vornüber, und seine Finger rutschten von der Tischkante ab, als er gebrochen wiederholte:»Das hat er gesagt: >Er hat uns zugrunde gerichtet<»

Der Admiral fragte ruhig:»Und was geschah dann?»

Richards wartete einige Momente, um sich wieder zu beruhigen. Noch immer wagte niemand, sich zu bewegen oder zu flüstern. Hinter den Heckfenstern schienen die Möwen zu laut, um wirklich zu sein.

Dann sagte er:»Mr. Fox, der Zweite Leutnant, war gerade nach vorn gegangen, um Leute für die Pumpen zu suchen. Kugeln von den Geschützen der Franzosen an Land töteten den Fähnrich Mr. Vasey. Er war nur vierzehn Jahre alt, aber ein guter Junge. Als er fiel, schrie der Kapitän mir zu: >Wenn Richard Bolitho heute bei uns wäre, wie er gewollt hat, dann würden wir es ihnen zeigen, Artillerie oder nicht!<»

Der Admiral fragte scharf:»Sind Sie ganz sicher? Sagte er genau diese Worte?»

Richards nickte.»Aye, Sir. Ich werde sie nie vergessen. Denn gerade dann wurden wir wieder getroffen, und die Rah kam herunter und tötete Kapitän Maulby. Er konnte nicht einmal mehr schreien. «Er nickte wieder, sehr langsam.»Er war ein guter Kapitän, auch wenn er mehr fluchte als die meisten.»

«Ich verstehe. «Der Admiral blickte seinen dienstältesten Kapitän an. Dann fragte er:»Können Sie sich noch an mehr erinnern?»

«Wir liefen auf das Riff, Sir. Der Besanmast kam herunter, und eine verfluchte Drehbasse, verzeihen Sie, Sir, explodierte an der Reling und nahm mir das Augenlicht. Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern, bis ich an Bord der Sparrow kam.»

«Danke. «Der Admiral winkte einer Marinewache.»Ich werde dafür sorgen, daß man nach Ihnen sieht. «Richards tastete mit der Hand nach oben, um zu grüßen, dann sagte er:»Danke, Sir. Ich hoffe, daß Sie mir vergeben, aber ich mußte einfach sagen, was ich wußte.»

Er wurde zwischen den gespannt beobachtenden Gesichtern durchgeführt, und als sich die Kajütentür schloß, erhob sich ein Gemurmel, das ärgerlich anwuchs.

Der Admiral sagte scharf:»Ich werde Sie nicht nochmals zur Ruhe auffordern!»

«Sie werden doch diesem lügenden Hund nicht glauben?«Colquhouns Stimme war schrill.»Dieser — dieser — Halbidiot!»

Der Hauptmann machte einen Schritt nach vorn, um ihn zurückzuhalten, hielt aber ein, als der Admiral ruhig sagte:»Bitte fahren Sie fort, Kapitän Colquhoun.»

«Ich wußte Bescheid über Bolitho und Maulby! Sie hielten zusammen!«Colquhoun hatte sich umgedreht, die Arme ausgestreckt, als ob er das Gericht umarmen wollte.»Und ich war mir darüber klar, daß Bolitho den ganzen Ruhm für sich wollte. Deshalb sandte ich ihn nach Norden und gab Maulby die Chance, sich zu beweisen. «Er sprach sehr schnell, sein Gesicht glänzte vor Schweiß.»Ich durchschaute Bolithos Spielchen von Anfang an. Deshalb versucht er jetzt auch, mich zu verdammen. Ich wußte, daß er den Franzosen selbst erobern wollte, ohne mir Zeit zu lassen, meine eigene Angriffsstellung einzunehmen. Ein Angriff über Land und mit Booten!«Er brach ab, sein Mund stand vor Staunen offen.

Der Admiral sagte kalt:»Bolitho war also nicht mit Ihrem Angriffsplan einverstanden? Ihre Aussage war also ein Lüge?»

Colquhoun drehte sich um und starrte ihn an, den Mund noch immer offen, als ob ihn soeben eine Pistolenkugel getroffen hätte und er gerade anfinge, den ersten stechenden Schmerz zu fühlen.

«Ich. «Er wich vom Tisch zurück.»Ich wollte nur. «Aber er konnte nicht weiterreden.

«Bringen Sie den Angeklagten nach draußen, Hauptmann Reece!»

Bolitho beobachtete Colquhoun, als er an den versammelten Offizieren vorbeischlurfte, sein Schritt war noch unsicherer als der des blinden Seemanns. Es war unglaublich, aber er konnte weder Erleichterung noch Befriedigung empfinden. Scham, Mitleid, er wußte nicht, was er wirklich fühlte.

«Sie können wegtreten, Kapitän Bolitho. «Der Admiral sah ihn ruhig an.»Es wird im Bericht niedergelegt werden, daß Sie und Ihre Leute sich nach den besten Traditionen der Marine verhalten haben. «Er wandte sich an die ganze Kajüte.»Das Gericht wird sich in zwei Stunden wieder versammeln. Das ist alles.»

Außerhalb der dumpfen Kajüte fühlte man sich wie in einer anderen Welt. Gesichter verschwammen um ihn, man drückte ihm die Hand, und viele Stimmen beglückwünschten ihn.

Tyrell und Odell, mit Buckle als Nachhut, gelang es, ihn zu einem ruhigeren Teil des oberen Decks zu bringen. Bolitho sah den kleinen Maler und ging zu ihm hinüber.

«Ich danke Ihnen für das, was Sie getan haben. «Er streckte seine Hand aus.»Ich war vorhin hart zu Ihnen. «Er blickte sich um.»Wo ist dieser Richards? Es erforderte wirklichen Mut, so zu handeln, wie er es getan hat.»

«Er ist schon in ein Boot gegangen, Kapitän. Ich bat ihn zu warten, aber…«Er zuckte traurig die Schultern.

Bolitho nickte.»Ich verstehe. Wir alle hier beglückwünschen uns, während er nichts hat, worauf er sich freuen kann und keine Augen, um zu sehen, was ihn erwartet. «Der kleine Mann lächelte, während er Bolitho anblickte, als ob er etwas zu entdecken suchte.

«Mein Name ist Majendie. Ich möchte gern noch einmal mit Ihnen sprechen.»

Bolitho schlug ihm auf die Schulter und zwang sich zu einem Lächeln.»Dann kommen Sie mit auf mein Schiff. Wenn ich schon zwei Stunden warten muß, dann tue ich es lieber dort, wo ich ein gewisses Gefühl von Freiheit habe.»

Das Gericht trat pünktlich zusammen, und Bolitho stellte fest, daß es ihm kaum gelang, seine Augen von Colquhouns Degen zu lassen. Die Spitze zeigte auf ihn, der Griff lag auf der entgegengesetzten Seite des Tisches.

Auch die Stimme des dienstältesten Kapitäns ging in seinen verwirrten Gedanken und Erinnerungen unter. Er hörte Fragmente wie» das Leben der Männer unter Ihrem Kommando aufs Spiel gesetzt, die Schiffe zu Ihrem Zweck mißbraucht. «Später dann:…»falsches Zeugnis abgelegt, um den Namen eines Offiziers zu beflecken und dadurch dieses Gericht in Mißkredit zu bringen. «Es wurde noch viel mehr gesagt, aber Bolitho hörte andere Stimmen, die sich in diese kalte Aufzählung mischten: Maulby, Tyrell, sogar Bethune, sie alle waren dabei. Und vor allem der blinde Seemann, Richards. Er war ein guter Kapitän. Gab es einen besseren Nachruf für einen Mann?

Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als der Admiral sagte:»Das Urteil lautet, daß Sie das Kommando über Ihr Schiff verlieren und unter strengem Arrest stehen bis zu dem Zeitpunkt, da Sie nach England gebracht werden können.»

Colquhoun starrte auf den Offizier mit dem ernsten Gesicht, dann auf seinen Degen.

Sein Schiff verloren! Bolitho schaute weg. Sie hätten ihn lieber hängen sollen. Das wäre gnädiger gewesen.

Eine Stimme durchbrach die Stille:»Gefangener und Wache: abtreten!»

Es war vorüber.

Als die Ordonnanzen die durcheinanderredenden Zuschauer zum Achterdeck hinauswiesen, kam Konteradmiral Christie um den Tisch herum und streckte die Hand aus.

«Gut gemacht, Bolitho. «Er schüttelte ihm herzlich die Hand.»Ich setze große Hoffnungen auf junge Offiziere Ihres Schlages. «Er sah Bolithos Unsicherheit und lächelte.»Es tat mir weh, Sie so zu behandeln, wie ich es tat. Aber ich mußte diesen Schandfleck von Ihrem Namen tilgen. Recht oder Unrecht, er hätte Sie in jedem Fall für den Rest Ihrer Karriere gezeichnet. «Er seufzte.»Nur Colquhoun selbst konnte dies tun, und der arme Richards mußte kommen, damit der Funke zündete.»

«Ja, Sir. Ich verstehe das jetzt.»

Der Admiral nahm seinen Hut und betrachtete ihn.»Kommen Sie heute abend mit mir an Land. Der Gouverneur gibt einen Empfang. Eine schreckliche Angelegenheit, aber es schadet nichts, zu sehen, wie sie sich amüsieren. «Er schien Bolithos Stimmung zu erraten.»Nehmen Sie es als Befehl!»

«Danke, Sir Evelyn.»

Bolitho sah ihm nach, als er in seine angrenzende Kajüte ging. Eine Einladung an Land. Der Admiral hätte ihn auch zu Schimpf und Schande verurteilen können, wenn das Schicksal nicht eingegriffen hätte, um ihm zu helfen.

Er atmete tief aus. Wann würde man je aufhören, bei derartig komplizierten Angelegenheiten dazuzulernen?

Dann ging er hinüber, um unter den vielen Booten nach seiner Gig Ausschau zu halten.

Es zeigte sich, daß der Empfang am Abend noch atemberaubender und entnervender war, als Bolitho angenommen hatte. Als er seinen Hut einem Negerdiener mit Perücke überreicht hatte und auf Konteradmiral Christie wartete, der noch einige Worte mit einem anderen Flaggoffizier wechselte, blickte er sich in der großen, säulengetragenen Halle um, schaute auf die durcheinanderwogende Menge farbiger Figuren, die jeden Zentimeter des Bodens zu füllen schien und noch eine geräumige Galerie dazu. Die scharlachroten Röcke der Militärs waren weit in der Überzahl, unterbrochen vom Samt und Brokat ihrer Damen, dann das vertraute Blau der Seeoffiziere, obwohl Bolitho mit einiger Bestürzung bemerkte, daß die meisten der letzteren Admirale waren. Es waren auch Offiziere der Seesoldaten da — die weißen Aufschläge und silbernen Knöpfe unterschieden sie von den Soldaten und so viele Zivilisten, daß er sich fragte, weshalb New York nicht stillstand. An der Seite waren Neger und andere Diener an langen Tafeln beschäftigt, deren Speisen Bolitho glauben machten, er träume. Die Nation befand sich im Krieg, aber diese Tische bogen sich unter der Last von Speisen und Delikatessen aller Art. Verschiedene Fleischsorten, enorme Portionen Pastete, verlockende Früchte und eine glitzernde Anordnung silberner Punschbecher, die in dem Moment gefüllt wurden, als er hinblickte.

Christie kam zu ihm und murmelte:»Schauen Sie sich das gut an, Bolitho. Ein Mann muß wissen, wem er dient, genauso wie er seine Gründe kennen muß!»

Ein Diener in grüner Livree kam ihnen am oberen Ende der Marmortreppe entgegen und wandte sich nach einem vorsichtigen Blick an die versammelten Gäste, mit einer Stimme, die einem Vortoppsgast im Ausguck alle Ehre gemacht hätte.

«Sir Evelyn Christie, Ritter des Bathordens, Konteradmiral und Oberbefehlshaber. «Er machte sich nicht die Mühe, Bolitho anzukündigen, er nahm wahrscheinlich an, daß er ein Untergebener oder Verwandter sei.

Nicht daß es einen Unterschied machte. Es gab keine Pause in der Welle des Gelächters und der Unterhaltung, und kaum jemand drehte sich um, um die Neuangekommenen zu mustern.

Christie ging flink am Rande der Menge entlang, nickte hier jemandem zu, hielt dort inne, um eine Hand zu drücken, dort verbeugte er sich vor einer Dame. Es war schwer, ihn noch in der Rolle dieses Morgens zu sehen: Vorsitzender des Gerichts. Niemandem verantwortlich, wenn er sein Urteil sprach.

Bolitho folgte der schmalen Figur des Admirals, bis sie zu einem Tisch am anderen Ende der Halle kamen. Hinter ihm und den schwitzenden Dienern konnte er eine große Rasenfläche sehen, auf der ein Brunnen im Licht der Laternen glänzte.

«Nun?«Christie wartete, bis jeder von ihnen einen schweren Becher in der Hand hielt.»Was halten Sie davon?»

Bolitho drehte sich um, betrachtete die gedrängten Gäste, hörte die Weisen eines unsichtbaren Orchesters, das gerade eine muntere Quadrille spielte. Er vermochte sich nicht vorzustellen, wie jemand überhaupt Platz zum Tanzen finden konnte.

«Es ist wie im Märchen, Sir.»

Christie betrachtete ihn amüsiert.»Paradies der Dummköpfe ist eine bessere Beschreibung!»

Bolitho kostete den Wein. Genau wie der Becher war auch er perfekt. Er entspannte sich etwas. Die Frage hatte ihn vorsichtig gemacht, aber die Antwort des Admirals hatte ihm gezeigt, daß er nicht die Absicht hatte, ihn auf die Probe zu stellen.

Christie fügte hinzu:»Eine Stadt unter Belagerung ist immer unwirklich. Sie ist vollgestopft mit Flüchtlingen und Betrügern, Händlern, die auf schnellen Gewinn aus sind und sich wenig darum kümmern, mit welcher Seite sie Handel treiben. Und wie immer in solchen Fällen gibt es zwei Armeen.»

Bolitho sah ihn an und vergaß den Lärm und die Geschäftigkeit um sich, die Verzweiflung und die Besorgnis von heute und morgen. Wie er von Anfang an angenommen hatte, verbarg Christies nüchterne Erscheinung einen messerscharfen Verstand. Einen Verstand, der jede Anklage und jedes Problem genau untersuchte und gegeneinander abwog, alles Überflüssige aufdeckte.

«Zwei Armeen, Sir?»

Der Admiral verlangte zwei neue Becher.»Trinken Sie aus. Sie werden nirgends einen solchen Wein finden. Ja, wir haben die Militärs, die jeden Tag dem Feind ins Auge blicken, seine schwachen Stellen aufspüren oder versuchen, seinen Angriffen standzuhalten. Soldaten, die immer auf den Beinen sind, keine sauberen Betten und kein gutes Essen kennen. «Er lächelte traurig.»So wie diejenigen, die Sie in der Delaware Bay gerettet haben. Wirkliche Soldaten.»

«Und die anderen?»

Christie schnitt eine Grimasse.»Hinter jeder großen Armee gibt es eine Organisation. «Er zeigte auf die Menge.»Die Militärregierung, das Sekretariat, und Kaufleute, die von den Kämpfen leben wie Blutsauger.»

Bolitho betrachtete die durcheinanderwogenden Menschen vor dem Alkoven mit wachsender Unsicherheit. Er hatte schon immer Menschen der beschriebenen Art mißtraut, aber es schien unmöglich, daß alles so widerlich, so unehrlich sein sollte, wie der Admiral gesagt hatte. Und doch… Er dachte an die fröhlich durcheinanderredenden Besucher beim Kriegsgericht. Zeugen der Schande eines Mannes, die dies jedoch nur als Mittel betrachteten, der Langeweile ihrer eigenen Welt zu entfliehen.

Christie beobachtete ihn nachdenklich.»Gott allein weiß, wie dieser Krieg enden wird. Wir bekämpfen zu viele Feinde auf einem zu großen Teil der Welt, um einen spektakulären Sieg erhoffen zu können. Sie aber, und solche wie Sie, müssen gewarnt werden, wenn wir noch die Chance der Ehre haben sollen.»

Der Wein war stark, und die Hitze in der Halle trug dazu bei, daß Bolitho alle Vorsicht fahren ließ.

«Sir Evelyn, sicherlich müssen doch hier in New York, nach allem was seit der Rebellion geschehen ist, alle sich über die wirklichen Tatsachen im klaren sein?»

Christie zuckte müde die Schultern.»Der Generalstab ist zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um sich darum zu kümmern, was hier geschieht. Und der Gouverneur, wenn wir ihn so nennen dürfen, verbringt zuviel Zeit damit, kichernde junge Mädchen zu jagen und sich über seinen wachsenden Reichtum zu freuen, so daß er nicht den Wunsch hat, die Dinge zu ändern. Er war früher Quartiermacher bei der Armee, also ein ausgebildeter Dieb, und er wird gekonnt unterstützt von einem Gouverneursleutnant, der früher Zollbeamter in einer Stadt war, die man nur für ihren Schmuggel kannte!«Er kicherte.»Diese beiden haben New York zu ihrem eigenen Nutzen mit Beschlag belegt. Kein Händler oder Kapitän eines Handelsschiffes kann kommen oder gehen ohne Erlaubnis. New York ist vollgestopft mit Flüchtlingen, und der Gouverneur hat bestimmt, daß die Gelder der Stadt, der Kirche und der Schulen in einem Fonds gesammelt werden sollen, um ihnen ihr Los zu erleichtern.»

Bolitho runzelte die Stirn.»Aber das war doch sicherlich in gutem Glauben gehandelt?»

«Vielleicht. Aber das meiste davon ist vertan worden. Bälle und Tanzveranstaltungen, Empfänge wie dieser, Geliebte und Huren, Schmarotzer und Favoriten. Dies alles kostet eine Menge Geld.«»Ich verstehe.»

In Wirklichkeit verstand er nicht. Wenn er an sein Schiff dachte, das tägliche Risiko von Verletzung oder Tod und den geringen Komfort, die Art und Weise, mit der jeder kämpfende Mann dem Feind ins Auge sah, dann war er entsetzt.

Christie sagte:»Bei mir steht die Pflicht an allererster Stelle. Ich würde jeden hängen, der anders handelt. Aber diese…«Er verbarg seine Verachtung nicht.»Diese Schmarotzer verdienen keine Loyalität. Wenn wir schon einen Krieg durchkämpfen müssen, dann sollten wir uns wenigstens vergewissern, daß sie keinen Gewinn aus unserem Opfer ziehen!»

Dann lächelte er, die plötzliche Entspannung der Linien um seine Augen und den Mund veränderte ihn aufs Neue.

«Nun, Bolitho, haben Sie die nächste Lektion gelernt? Zuerst verschaffen Sie sich Respekt, dann ein Kommando. Dann erhalten Sie den Befehl über mehr und größere Schiffe. Das ist der Ehrgeiz, ohne den für mich kein Offizier einen Pfifferling wert ist. «Er gähnte.»Ich muß jetzt gehen. «Er hielt ihm die Hand hin.»Bleiben Sie noch ein bißchen, und setzen Sie Ihre Erziehung fort.»

«Werden Sie nicht bleiben, um den Gouverneur zu treffen, Sir?«Etwas wie Panik bei dem Gedanken, alleingelassen zu werden, ließ ihn seine Gefühle zeigen.

Christie lächelte.»Niemand wird ihn heute abend treffen. Er befaßt sich mit diesen Angelegenheiten nur, um alte Schulden zu bezahlen und um sein Süppchen am Kochen zu halten. «Er winkte einem Dienstmann.»Amüsieren Sie sich gut, Sie haben es verdient, obwohl ich glaube, Sie wären lieber in London, oder?»

Bolitho grinste.»Nicht in London, Sir.»

«Natürlich. «Der Admiral sah den Dienstmann mit seinem Hut und Mantel herankommen.»Ein Sohn der Erde. Das hatte ich vergessen. «Mit einem Nicken verschwand er durch die Tür und war schnell in den tiefen Schatten auf dem Rasen verschwunden.

Bolitho fand einen freien Platz am Ende des Tisches und versuchte sich schlüssig zu werden, was er essen sollte. Er mußte etwas essen, denn der Wein wirkte zu stark. Er fühlte sich ungewöhnlich leicht und beschwingt, daran war aber nicht nur der Wein schuld. Indem er ihn sich selbst überließ, hatte der Admiral ihm die Möglichkeit gegeben, zu handeln und zu denken, wie er wollte. Er konnte sich nicht daran erinnern, daß dies jemals vorher geschehen war.

Ein gedrungener Korvettenkapitän mit vor Hitze und Wein fleckigem Gesicht drängt sich an ihm vorbei und schnitt sich ein enormes Stück Pastete ab, das er zu verschiedenen anderen Sorten kalten Fleisches auf seinen Teller häufte, ehe ein Diener ihm helfen konnte. Bolitho dachte an Bethune. Dieser Teller hätte selbst dessen Appetit für einige Tage befriedigt.

Der ältere Kapitän drehte sich um und blickte ihn an.»Ah.

Welches Schiff?»

«Sparrow, Sir. «Bolitho sah, daß er schielte, als ob er eine Vision ve rtreiben müßte.»Nie von ihr gehört. «Er runzelte die Stirn.»Wie heißen Sie, eh?»

«Richard Bolitho, Sir.»

Der Kapitän schüttelte den Kopf.»Auch noch nie von Ihnen gehört. «Er watschelte in die Menge zurück und schmierte dabei etwas Pastete an einen Pfosten, ohne auch nur stehenzubleiben.

Bolitho lächelte. In dieser Umgebung wurde man sich bald der wirklichen Bedeutung seines Ranges bewußt.

«Nanu, Kapitän!«Die Stimme ließ ihn herumfahren.»Er ist es! Ich wußte einfach, daß Sie es sind!»

Bolitho starrte das Mädchen einige Sekunden an, ohne es wiederzuerkennen. Sie war hübsch, hübscher noch, als er sie seit dem lange zurückliegenden Tag in Erinnerung hatte: als sie sich gegen ihren Onkel, General Blundell, gewandt hatte, schrie und mit den Füßen strampelte, als seine Männer sie buchstäblich von Bord des Indienfahrers trugen, vor seinem Kampf mit der Bonaventure.

Und doch war sie dieselbe geblieben. Das Lächeln, halb amüsiert, halb spöttisch. Die violetten Augen, die ihn machtlos machten, in einen sprachlosen Bauern verwandelten.

Sie wandte sich an einen hochgewachsenen Offizier an ihrer Seite, im grünen Rock der Dragoner, und sagte:»Er war so jung, so ernst, ich glaube, alle Damen an Bord verliebten sich in den Ärmsten.»

Der Dragoner sah Bolitho kalt an.»Wir müssen uns beeilen, Susannah. Ich möchte, daß du den General kennenlernst. «Sie streckte den Arm aus und legte eine weißbehandschuhte Hand auf Bolithos Rockaufschlag.

«Ich freue mich, Sie wiederzusehen. Ich habe oft an Sie und Ihr kleines Schiff gedacht. «Ihr Lächeln erlosch, und sie wurde plötzlich ernst.»Sie sehen gut aus, Kapitän. Sehr gut. Vielleicht etwas älter. Ein bißchen weniger wie… «Das Lächeln kam wieder.»Wie ein als Mann verkleideter Junge.»

Er errötete, war sich aber dessen bewußt, daß das Vergnügen seine Verwirrung übertraf.

«Nun, ich nehme an…»

Aber sie hatte sich schon wieder umgewandt, als zwei weitere Begleiter aus der Menge auf sie zukamen.

Dann schien sie sich zu entscheiden.

«Werden Sie mit mir essen, Kapitän?«Sie betrachtete ihn nachdenklich.»Ich möchte Ihnen einen Diener mit der Einladung schicken.»

«Ja. «Die Worte platzten heraus.»Das würde ich sehr gern tun Danke.»

Sie machte einen Knicks und brachte damit die Erinnerung an ihr erstes Zusammentreffen schmerzhaft in sein Gedächtnis zurück.»Also abgemacht.»

Die Menge wogte hin und her und schien sie vollständig zu verschlucken.

Bolitho nahm sich noch einen Becher Wein und ging unsicher auf den Rasen zu.»Susannah «hatte der Dragoner sie genannt. Dieser Name paßte wunderbar zu ihr.

Er blieb neben dem Springbrunnen stehen und starrte mehrere Minuten hinein. Der Empfang war also doch noch ein Erfolg geworden, und der Vormittag schien ihm nur noch eine fade Erinnerung zu sein.

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