6

»Riechst du es?« fragte Ulafi.

»O ja«, erwiderte ich. »Zimt und Gewürznelken, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Ulafi. »Und viele andere Gewürze.«

Die Sonne strahlte hell, und wir wurden von einem frischen achterlichen Wind angetrieben. Die Segel standen prall über unseren Köpfen, und das Wasser des Thassa strömte zischend an den Schiffsflanken entlang.

»Wie weit noch bis Schendi?« fragte ich.

»Fünfzig Pasang«, lautete die Antwort.

Land war noch nicht in Sicht.

Die beiden Mädchen, mit einer glänzenden Halskette aneinandergefesselt, hockten am Boden. In der rechten Hand hielt jede einen glatten weißen Deckstein, mit dem sie die Planken scheuerte. Auch die Mädchen hoben jetzt den Kopf und nahmen den Geruch der Gewürze wahr.

»Das sind Schendi-Möwen«, sagte Ulafi und deutete auf einige Vögel, die hoch über dem Hauptmast kreisten. »Sie übernachten an Land.«

»Das freut mich«, sagte ich. Es war eine lange Reise gewesen. Ich war begierig, in Schendi an Land zu gehen.

Ich blickte zu den Mädchen hinüber. Sasi hob den Kopf und blickte mich lächelnd an. Auch die blonde Barbarin hatte den Kopf gehoben. Sie wußte, daß wir uns dem Land näherten.

Ulafi betrachtete die blonde Barbarin. »Schendi ist nahe«, sagte er und deutete auf die Möwen.

»Ja, Herr«, sagte sie und senkte zitternd den Kopf. Als Sklavin wußte sie nicht, was sie in Schendi erwartete.

Shoka trieb die Mädchen zur Arbeit an.

Ich blieb an der Backbordreling stehen. Nach einiger Zeit bemerkte ich eine bräunliche Verfärbung des Wassers, ein Fleck, der sich mit dem Grün des Thassa vermengte.

Ich atmete tief ein und genoß den Gewürzgeruch, der stärker geworden war.

»Ein halber Strich Backbord!« rief Ulafi seinen Steuerleuten zu. Langsam wendete sich die Schendi-Palme ein wenig aus dem Kurs, und die mächtigen Segelbäume wurden von geschickten Seeleuten mit quietschenden Flaschenzügen verstellt, bis sie beinahe quer zum Deck standen. Der Wind, der uns eben noch von achtern angetrieben hatte, stützte jetzt unseren südöstlichen Kurs.

Wieder betrachtete ich die bräunliche Verfärbung des Wassers. Noch immer war das Land nicht aufgetaucht. Es mußte sich jedoch ganz in der Nähe befinden, denn schon jetzt waren im Wasser Spuren von Ablagerungen zu bemerken, die vermutlich von den Flüssen Kamba und Nyoka stammten. Die bräunlichen Stellen erstreckten sich viele Pasang weit ins Meer hinaus.

»Segel ahoi!« rief der Ausguck. »Zwei Strich Backbord voraus!«

Männer eilten an die Backbordreling, und Ulafi erstieg die Heckaufbauten. Ich kletterte ein Stück an dem Knotenseil empor, das am Hauptmast hing. Die Segel waren noch nicht zu erkennen. Ulafi drehte nicht bei und änderte auch sonst den Kurs nicht.

Ich drückte die Füße zusammen und sicherte meine Position, indem ich den Arm um den Mast legte.

Ulafis Männer eilten nicht an die Ruder. Es wurde kein Meerwasser an Bord geschöpft. Man holte keine Eimer mit Ballast-Sand an Deck. Der Erste Offizier beaufsichtigte keine Waffenausgabe.

Es stimmte mich unbehaglich, daß die Masten nicht gesenkt werden konnten. Wie verwundbar erschien mir doch das Schiff mit den hohen Aufbauten und den schrägen Riesensegeln! Am Bug befand sich ein leichtes Katapult, das jedoch noch nicht schußklar gemacht worden war. Wenn Ulafi über Brandpfeile verfügte, so traten sie nicht in Erscheinung.

Ich blickte am Bug entlang, beinahe genau auf Kurs. Dort waren die Segel jetzt zu erkennen. Ich zählte elf. Es waren Einmaster, Rammschiffe. Trotzdem atmete ich auf. Von meiner niedrigen Position aus konnte ich die Segel sehen; folglich vermochten die Ausgucke hoch in den Masten der anderen Schiffe die Schendi-Palme zu erkennen. Trotzdem refften die Schiffe keine Segel, sie ließen nicht erkennen, daß sie den Kurs wechseln wollten. Es hätte sich um einen stattlichen Konvoi von Handelsschiffen handeln können – dabei waren es Kriegseinheiten. Ulafi oder seine Männer schienen sich wegen der Flotte keine Sorgen zu machen. Offenbar wußten sie, welche Schiffe vor Schendi unterwegs sein würden.

»Entbietet der Flotte unseren Gruß!« rief Ulafi vom Heck und senkte das Fernglas der Hausbauer. Bunte Flaggenreihen wurden am Backbordheck aufgezogen.

Hand über Hand ließ ich mich wieder auf das Deck hinab.

Auf der Steuerbordseite des Bugs suchte ich mir einen Aussichtsposten. Links und rechts von uns glitten die Schiffe der Flotte vorbei, sechs auf der einen, fünf auf der anderen Seite – schmale, elegant geschnittene Umrisse mit geradem Kiel und niedrigem Tiefgang. Ich sah, wie sich die Ruder im Gleichgewicht hoben und senkten.

»Ihr scheint ja ganz unbesorgt zu sein«, sagte ich zu Shoka, Ulafis Zweitem Offizier, der sich in meiner Nähe aufgestellt hatte.

»Wir kommen aus Schendi«, sagte er nur.

»Plötzlich habe ich das seltsame Gefühl, geschwommen zu sein, um dann unversehens in die Gesellschaft von Haien zu geraten, die stumm an mir vorbeigleiten und mich dabei anstarren.«

»So etwas kann schon beängstigend sein«, sagte Shoka.

»Gehen sie denn nie gegen Schendi-Schiffe vor?« fragte ich.

»Ich nehme es nicht an«, antwortete er. »Wenn sie es tun, dann werden Schiff und Besatzung vermutlich auf hoher See vernichtet. Man erfährt nie davon.«

»Ich finde das nicht besonders beruhigend.«

»Wir befinden uns in den Gewässern Schendis«, fuhr Shoka fort. »Wenn sie überhaupt gegen Schendi-Schiffe vorgehen, dann bestimmt nicht im Hoheitsgebiet dieses Freihafens.«

»Das klingt schon besser«, meinte ich.

Die dunklen Schiffe glitten an uns vorbei. Hier und dort gewahrte ich die schwarzen Gesichter von Besatzungsmitgliedern. Die Ruderer auf unserer Seite konnte ich nicht ausmachen, denn sie wurden durch das Schanzkleid verdeckt. Wenn die Schiffe sich in der Dünung neigten, zeigten sich kurz die Ruderer auf der gegenüberliegenden Seite. Dabei handelte es sich zweifellos um freie Männer. Es ist unmöglich, Sklaven an die Ruder von Kriegsschiffen zu setzen.

Ich beobachtete die Schiffe, die einen prächtigen Anblick boten.

Shoka bedeutete den beiden Mädchen mit einer Handbewegung, an die Reling zu kommen und sich die Flotte anzuschauen.

»Ist das klug?« fragte ich. »Man sollte sie eher unter eine Plane legen, damit sie keine Aufmerksamkeit erregen. Warum zeigen, daß man zwei hübsche Sklavinnen an Bord hat?«

»Egal«, sagte Shoka, »die Sklavinnen sollen sich das anschauen!«

»Aber sie werden ebenfalls gesehen!« rief ich.

»Macht nichts«, entgegnete Shoka. »In zwei Monaten werden diese Schiffe Hunderte von Mädchen in den Laderäumen haben.«

Die beiden Sklavinnen standen neben uns an der Reling.

Ich sah, wie Ulafi einen schwarzhäutigen Kapitän mit erhobener Hand grüßte. Der andere erwiderte die Geste.

»Ihr scheint keinerlei Vorsichtsmaßnahmen zu treffen«, sagte ich zu Shoka.

»Was hätte das genützt?« fragte er.

Ich zuckte die Achseln. Da hatte er recht – ein einzelnes Handelsschiff wie die Schendi-Palme hätte gegen die schnellen Rammschiffe nichts ausgerichtet.

»Und was wäre gewesen, wenn sie ein solches Vorgehen als feindlich ausgelegt hätten?« fragte Shoka.

»Da hast du recht.«

»Unsere Verteidigung besteht darin, daß wir aus Schendi stammen.«

»Aha!« sagte ich.

»Sie brauchen unseren Hafen«, fuhr Shoka fort. »Selbst der Larl ist zuweilen müde, und auch der Tarn braucht gelegentlich ein Plätzchen, an dem er die Flügel einschlagen kann.«

Ich sah die Schiffe am Horizont verschwinden. Sie fuhren in den Norden. Wenn dort der Herbst anbrach, würden sie zurückkehren, um in Schendi ausgebessert und neu verproviantiert zu werden und anschließend nach Süden zu fahren, wo es dann Frühling war. Schendi, das in der Nähe des Äquators liegt, ist solchen Schiffen eine bequeme Basis für saisonale Vorstöße in beide Hemisphären. Es freute mich, daß ich die Schiffe gesehen hatte. Ich konnte mir keine angenehmere Art und Weise vorstellen, die Bekanntschaft dieser Flotte zu machen – denn es handelte sich um die Flotte der Schwarzen Sklavenhändler aus Schendi. Am Abend desselben Tages hatten wir beigedreht, nachdem wir Schendi schon ziemlich nahegekommen waren. Die Nacht hatten wir ohne Fahrt verbracht. Am Morgen war jetzt die Küste auszumachen, ein Sandstrand, hinter dem sich dichte grüne Vegetation erstreckte, dschungelähnlich, hier und dort durch Felder und Dörfer aufgebrochen. Das eigentliche Schendi lag noch ein wenig weiter im Süden und gruppierte sich um eine kleine Halbinsel, die Schendi-Spitze. Das Wasser war hier sattbraun gefärbt, eine Veränderung, die vordringlich auf die Mündung des Nyoka-Flusses zurückging.

Wir hatten die Nacht über gewartet, damit die Schendi-Palme am frühen Vormittag in den Hafen einlaufen konnte, wenn an den Piers große Geschäftigkeit herrschte.

Ich blickte mich um. Die Schendi-Palme funkelte vor Sauberkeit. Das Deck war weiß geglättet worden, die Taue lagen säuberlich zusammengerollt an Deck, alle Gerätschaften hatte man sorgfältig verstaut und außerdem die Luken gesichert. Sämtliche Messingbeschläge waren geputzt worden. Die Schendi-Palme, deren Heimathafen Schendi war, würde stilvoll einlaufen. Ulafi verstand sein Handwerk.

Die leichten Anker wurden gelichtet. Man hißte Segel, Ruder wurden durch die Öffnungen geschoben und bewegten sich auf Kommando Gudis, des Ersten Offiziers, im Takt durch das braune Wasser.

Die Mädchen knieten vor dem Heck. Man hatte sie auf besondere Weise gefesselt, denn ihnen sollte die große Ehre zuteil werden, vor den Bug gehängt zu werden.

Ich betrachtete die blonde Barbarin, die noch immer einen weiten Weg vor sich hatte, ihr Sklaventum auch vor sich selbst einzugestehen, während meine wohlgerundete kleine Sasi von den Piers der Hafenstadt Port Kar ein wahres Vergnügen war. Sie war auf Gor geboren und wußte, was es bedeutete, das Brandzeichen zu tragen. Kaum hatte sich der Kragen um ihren Hals geschlossen, war sie förmlich aufgeblüht, und das nicht nur auf den Fellen.

Die Schendi-Palme fuhr jetzt langsam um die Schendi-Spitze herum. Die Segel bewegten sich seitlich an den Masten und nutzten den Wind aus. Die Ruder hoben und senkten sich regelmäßig.

Wir waren noch etwa sieben Pasang von den ersten Bojenketten entfernt. Ich vermochte im Hafen Schiffe auszumachen.

Die uns leitenden Bojen würden an Backbord liegen, während sich Schiffe, die den Hafen verließen, nach Steuerbord orientieren mußten.

»Besitzt Ulafi ein eigenes Lagerhaus im Hafen?« fragte ich.

»Nein, er hat ein Gebäude vom Rat der Kaufleute gemietet«, antwortete Shoka, der wieder in meiner Nähe stand.

Im Hafen zählte ich vierzig bis fünfzig Segel. Die Gesamtzahl der ruhenden Schiffe mußte viel größer sein, denn natürlich nehmen die meisten Schiffe im Hafen die Leinwand herunter. Wer das Segel offen hatte, stand in der Regel im Begriff, in den Hafen einzulaufen oder ihn zu verlassen. Die meisten Einheiten waren nur klein, Küstenschiffe und leichte Galeeren. Außerdem würden sich im Hafen Flußschiffe befinden, mit denen der Verkehr auf dem Nyoka abgewickelt wurde.

Es war mir nicht bewußt gewesen, wie groß der Hafen Schendis war. Insgesamt muß er etwa acht Pasang breit und zwei oder drei Pasang tief sein. Am Ostende ergießt sich der Nyoka-Fluß hinein – von Steinmauern gelenkt, die etwa zweihundert Meter voneinander entfernt sind. Wegen dieser Eindämmung strömt der Nyoka an dieser Stelle viel schneller als anderswo; im allgemeinen ist er ein breiter, gemächlich dahinfließender Strom. Etwa zwei Pasang vor Schendi rücken die befestigten Ufer enger zusammen. Damit soll der Fluß gelenkt und der Hafen geschützt werden. Da sich die Wassermenge nicht verändert, führt die Verengung des Flußbettes natürlich zu einer erheblichen Beschleunigung. Für den flußaufwärts laufenden Schiffsverkehr gibt es daher Nebenkanäle, die über Schleusen für einen ruhigen Weg sorgen, bis die Boote in den eigentlichen Nyoka geleitet werden. Diese Umgehung, auch ›Haken‹ genannt, schließt sich dem Fluß nicht gegen die Strömung an, sondern im weiten Bogen mit der Wasserbewegung. Hat man den Kanal verlassen, muß man das Boot wenden und sich mit Windoder Ruderkraft flußaufwärts bewegen.

Der Gewürzgeruch war inzwischen noch stärker geworden – besonders taten sich Zimt und Gewürznelken hervor. Von Fischen war dagegen recht wenig zu riechen. Viele Fischarten dieser tropischen Gewässer sind eher ungenießbar oder sogar giftig, eine Folge gewisser Algenformen, von denen sie sich ernähren. Den Fischen schaden diese Pflanzen nicht, doch befinden sich darin bestimmte Stoffe, die für Menschen ungenießbar sind. Soweit ich weiß, waren dagegen die Flußfische für den Verzehr durchwegs geeignet. An den Flüssen Kamba und Nyoka sowie an den Ufern des Ushindi-Sees gab es sogar viele Dörfer, die sich im wesentlichen vom Fischfang ernährten. Allerdings werden die Fänge aus Schendi nicht exportiert. Meine Nase roch dagegen Gerbsäuren und Farben, wie sie in den Werkstätten der Lederarbeiter verwendet wurden. In Schendi wird viel Kailiaukleder verarbeitet, ein Material, das nicht nur aus dem Binnenland nach Schendi gebracht wird, sondern auch aus dem Norden und Süden, von Sammelstellen, die sich hier und dort an der Küste befinden. Am eindrucksvollsten machte sich für mich jedoch der Geruch des Dschungels bemerkbar, der hinter Schendi begann. Dieser Duft wurde merkwürdigerweise nicht so weit auf das Meer hinausgetragen wie die schärferen Gerüche der Gewürze. Es war ein Geruch nach feuchtem, dampfendem Grün, nach unvorstellbaren Blumen, nach endlosen Weiten süßlichfauliger Vegetation.

An Backbord glitt eine Dau vorbei, die ein rot-weißgestreiftes Segel hatte.

Der Bug der Schendi-Palme glitt langsam herum, die Schendi-Spitze genannte Halbinsel blieb hinter uns zurück. Die aufgemalten Augen mit den weißen und schwarzen Pupillen, die zu dem riesigen braunen Kailiauk-Kopf am Bug gehörten, blickten jetzt gelassen in den Hafen Schendis, der noch etwa vier Pasang entfernt war.

Die blonde Sklavin wandte sich seitlich an Sasi, die ihr als Erstes Mädchen übergeordnet war. »Herrin!« flüsterte sie.

»Ja, Sklavin«, sagte Sasi.

Die Blonde hob die gefesselten Handgelenke, von denen ein Tau zu den Ohren des Kailiauk-Kopfes am Bug führte. »Warum sind wir so gefesselt?« fragte sie.

»Weißt du das nicht, du kleine Närrin?« fragte Sasi. Ich mußte lächeln, denn in Wirklichkeit war Sasi ein Stück kleiner als die Barbarin. »Du kannst dich freuen, denn man findet dich hübsch genug, an den Bug gehängt zu werden!«

»Oh«, antwortete das blonde Mädchen unsicher.

Wir standen noch etwa drei Pasang vor Schendi.

Ein gutes Stück von uns entfernt, an Backbord, verließ eine zweimastige Galeere mit gelben Segeln den Hafen.

Um die Schendi-Spitze kommend, etwa zwei Pasang hinter uns, tauchte ein Rundschiff auf. Es hatte die Farben Asperiches gesetzt. An Steuerbord machte ich zwei weitere Schiffe aus, ein mittelgroßes Rundschiff und eine schwere Galeere, letztere mit roten Masten. Beide kamen aus Ianda.

»Was wird in Schendi mit uns geschehen?« wandte sich das blonde Mädchen an Sasi.

»Ich weiß nicht, was aus mir wird«, sagte Sasi. »Du kommst jedenfalls auf den Markt.«

»Ich werde verkauft?«

»Selbstverständlich!«

Unbehaglich wand sich das Mädchen in ihren Fesseln.

»Keine Angst«, fuhr Sasi fort, »du wirst es lernen, den Männern zu gefallen. Dafür werden sie schon sorgen.«

»Ja, Herrin!« antwortete die Blonde. Sie warf mir einen kurzen Blick zu und wandte sich sofort wieder ab. Ich betrachtete sie. Sie, ein Mädchen von der Erde, wußte sich unter dem Blick eines goreanischen Mannes. Sie wagte es nicht, sich nicht gut zur Schau zu stellen. Soviel hatte sie schon begriffen.

Ich lächelte.

Schon war in Ansätzen erkennbar, daß die Sklavin, die in jeder Frau ruht, angstvoll und aufgeregt zu begreifen begann, daß sie sich hier auf einer Welt befand, auf der sie endlich frei hervortreten konnte.

»Hängt sie an den Bug!« rief Ulafi in diesem Augenblick.

Zwei Seeleute eilten herbei, um Shoka zu helfen.

Es waren noch etwa zwei Pasang bis Schendi. Der Verkehr wurde dichter.

Shoka hob das blonde Mädchen mühelos an und hievte es über Bord – sie baumelte an der Handfessel, die durch das Ohr des Bug-Kailiauk führte –, das Seil wurde angezogen, bis sie mit nach oben gestreckten Händen etwa einen Fuß unter dem goldenen Ring hing. Ein Seemann machte das Tau sodann an einem Deckshaken fest. Dasselbe wurde mit Sasi auf der anderen Seite wiederholt.

Eine schwere Galeere aus Tyros mit vierzig Rudern an jeder Flanke bewegte sich langsam an uns vorbei, die gelben Lateinersegel locker am Mast. Männer unterbrachen ihre Arbeit, um sich die Schönheit der ausgestellten Sklavinnen anzuschauen. Der Kapitän senkte sein Fernglas und hob mit geballter Faust grüßend die Hand, um Ulafi zu seinem Schiff und den am Bug hängenden Mädchen zu gratulieren. Ulafi erwiderte den Gruß mit erhobener offener Hand.

Schon erreichten wir die Hafeneinfahrt und hatten gleich darauf die Reihe der gelb-weiß-gestreiften Bojen nach Backbord genommen. Hinter uns reihten sich zwei Schiffe ein, während vor uns ein Boot in den Hafen einlief. Auf unserem Weg in das Hafenbecken kamen uns drei Schiffe entgegen, die Schendi verlassen wollten. Es gibt in diesem Hafen mehr als vierzig Kaufmannspiers, von denen jede an ihrer gesamten Länge auf jeder Seite vier Schiffe unterbringt. Die inneren Piers haben niedrigere Nummern, angefangen auf der Steuerbordseite des Hafens, wenn man in das Becken einfährt.

Wir erblickten Männer auf den Docks und den sich vorschiebenden Kaianlagen. Viele schienen die Schendi-Palme zu erkennen, der ein freudiger Empfang bereitet wurde. Wie gesagt, hatte ich nicht gewußt, daß Schendi so groß oder so belebt sein würde. Auf vielen Piers herrschte lebhaftes Treiben. Zahlreiche Schiffe wurden be- und entladen. An den Kais und in den Lagerhäusern, deren breite Türen meist offenstanden, befanden sich gewaltige Warenlager. Am häufigsten beobachtete ich Gewürztonnen und Fellballen, doch gab es auch viele andere Dinge, Frachten in den Lagern und am Kai einige im Zwischenlager, andere, die gerade befördert wurden, entweder an Bord eines Schiffes oder nach der Entladung weiter in die Stadt oder ins Binnenland. Die Schendi-Palme, die inzwischen die Segel gerefft und die Segelbäume parallel zum Deck ausgerichtet hatte, glitt an den Piers entlang – viele Männer unterbrachen kurz ihre Arbeit, setzten ihre Lasten ab und winkten uns freundlich zu. Den Leuten gefällt der Anblick eines schönen Schiffes. Die beiden Mädchen am Bug minderten diesen Eindruck nicht gerade, das muß man sagen. Sie bildeten herrliche Schmuckstücke. Wir kamen an den hohen Tischen von Pier-Praetoren vorbei. Hier und dort fiel mein Blick auch auf kurzberockte Sklavinnen; an einer Stelle entdeckte ich eine Gruppe Pagamädchen, die für ihren Herrn, einen Schenkenwirt, Gäste einzufangen versuchten. Viele Waren werden in Schendi umgeschlagen, wie es in jedem großen Hafen der Fall ist – dazu gehören Edelmetalle, Juwelen, Stoffe, Teppiche, Seidentuch, Horn und Hornprodukte, Arzneien, Zucker und Salz, Schriftrollen, Papiere, Tinten, Holz, Steine, Stoffe, Salben, Parfüme, getrocknete Früchte, ein wenig Trockenfisch, viele Arten von Wurzelgemüse, Ketten, Werkzeuge für die verschiedensten Handwerksberufe, landwirtschaftliches Gerät, etwa Hacken und metallene Pflugschare, dazu Weine und Pagasorten, bunte Vögel und Sklaven. Der wichtigste Exportartikel Schendis sind zweifellos die Gewürze und Felle, während Horn und Hornprodukte ebenfalls eine große Bedeutung haben. Zu den köstlichsten Artikeln, die hier zu haben sind, gehört der Palmwein. Zu den berühmtesten Gütern, die hier umgeschlagen werden, zählen die kleinen geschnitzten Schendi-Saphire. Im allgemeinen sind die Steine dunkelblau, einige funkeln jedoch purpurn und manche interessanterweise sogar weiß oder gelb. Sie werden normalerweise in der Form winziger Panther angeboten, manchmal stößt man aber auch auf andere Tiere, gewöhnlich kleine Landtiere oder Vögel. Seltener gibt es die Steine in der Form winziger Kailiauks oder Kailiauk-Zöpfe. Interessanterweise zählen Sklaven nicht zu den wesentlichen Exportartikeln Schendis, trotz der Tatsache, daß der Hafen das Hauptquartier der Liga der Schwarzen Sklavenhändler bildet. Die Sklavenhändler bringen ihre Beute gewöhnlich gleich direkt auf die besten Märkte im Norden und Süden. Am wichtigsten dürften dabei die Jahrmärkte am Sardargebirge sein, besonders der des Monats En’Kara, des wohl besten und ausgedehntesten Ereignisses dieser Art. Damit soll nicht gesagt sein, daß Schendi keine ausgezeichneten Sklavenmärkte besitzt. Immerhin ist es einer der wichtigsten goreanischen Häfen. Die Bevölkerung Schendis dürfte etwa eine Million Menschen zählen, die Mehrzahl davon dunkelhäutig. Schendi ist jedoch ein kosmopolitischer Hafen, so daß hier alle Rassen anzutreffen sind. Zahlreiche wichtige Kaufmanns-Organisationen aus Städten der ganzen Welt haben in Schendi ihre Niederlassungen oder Vertreter. Wegen des lebhaften Umschlags im Hafen befinden sich in der Stadt auch ständig zahlreiche Seeleute auf Landgang, von vielen hundert Schiffen aus allen möglichen fernen Städten. Die Äquatorgewässer rings um Schendi ermöglichen die Schiffahrt das ganze Jahr hindurch. Hier liegt einer der Gründe für die Bedeutung des Hafens, denn in Schendi gibt es keinen Winter. Da es ein Stück südlich des Äquators liegt, kennt es eine gewisse Trockenperiode, die zu der Zeit eintritt, wenn die südliche Hemisphäre des Planeten Winter hat. Läge Schendi nördlich des Äquators, würde diese Periode in die Zeit des nördlichen Winters fallen. Die Bauern rings um Schendi legen ihre Saat zu Beginn dieser ›Trockenzeit‹ aus. Für jemanden wie mich, der an die nördlichen Längengrade Gors gewöhnt ist, ist die geographische Definition einer Trockenzeit nicht gerade zufriedenstellend, denn es ist im Grund nicht trocken, vielmehr fällt nur weniger Regen. Während der eigentlichen Regenzeit kann es leicht passieren, daß das Saatgut aus dem Boden geschwemmt wird. Übrigens verlegen die Bauern der Äquatorzone ihre Felder ziemlich häufig, da der Boden durch die vielen Jahrhunderte schweren Regens vieler Mineralien und Nährstoffe beraubt ist und daher durch den Anbau schnell geschwächt wird. Entgegen der landläufigen Meinung ist der Boden in tropischen Gebieten im allgemeinen nicht sehr fruchtbar. Eine Dschungelvegetation, die sich an Flüssen oder im Umfeld von Flußsystemen entwickelt, vermag auf Böden zu gedeihen, die Nährgetreide nicht hervorbringen könnten. Auf eine Weise sind die Bauern rings um Schendi eher Gärtner als Bauern. Ist ein Feld erschöpft, rodet der Bauer ein neues Gebiet und beginnt von vorn. Ganze Dörfer ziehen weiter. Diese Unfruchtbarkeit des Bodens ist einer der Hauptgründe, warum sich in der Äquatorzone Gors keine Bevölkerungszentren gebildet haben. Das Land vermag ausgedehnte Dauersiedlungen nicht zu tragen. »Ruder einholen!« rief Gudi, der als Rudermeister fungierte.

Seeleute warfen Männern auf der Pier Taue zu, die um die schweren Poller gelegt wurden. Taurollen, die man über die Reling gehängt hatten, dämpften den Anprall des Schiffes, damit seine Wandung nicht an der Kaimauer beschädigt wurde. Männer suchten ihre Sachen zusammen. Durch eine Öffnung in der Steuerbordreling wurde der Steg geschoben. Die Pier trug die Nummer acht.

Zwei Sklavenhändler blieben an der Pier stehen und blickten zu den Mädchen empor, die an den Ringen hingen. »Wenn ihr die verkaufen wollt, bringt sie zum Markt des Kovu!« rief einer der beiden, ein häßlicher Bursche, der auf der rechten Wange eine tiefe Narbe hatte.

Shoka hob die Hand zum Zeichen, daß er die Worte verstanden hatte.

Zwei Männer vom Tisch des nächsten Pier-Praetors, der für die Kais sechs bis zehn verantwortlich war, ein Schreiber und ein Arzt, betraten das Schiff. Der Schreiber trug eine Akte unter dem Arm. Er würde Ulafis Papiere überprüfen, die Registrierung des Schiffes, die Vereinbarungen hinsichtlich der Hafennutzung, die Unterlagen, die die Fracht betrafen. Der Arzt mußte sich um die Gesundheit von Besatzung und Sklaven kümmern. Vor einigen Jahren war weiter im Norden, in Bazi, die Pest ausgebrochen. Dieser Hafen war von den Kaufleuten daraufhin zwei Jahre lang geschlossen gewesen. In einem Zeitraum von etwa achtzehn Monaten hatte sich die schlimme Krankheit totgelaufen und war nach Süden und Osten ausgewandert. Von dem wirtschaftlichen Rückschlag hatte sich Bazi jedoch bis heute noch nicht erholt. Man konnte es dem Rat der Kaufleute Schendis sicher nicht verübeln, wenn er dieser Stadt ein ähnliches Schicksal ersparen wollte.

Der Schreiber und Ulafi begannen ihre Arbeit. Ich stellte mich zusammen mit den Besatzungsmitgliedern der Untersuchung des Arztes. Er beschränkte sich mehr oder weniger darauf, uns in die Augen und auf die Unterarme zu blicken. Doch unsere Augen waren nicht gelb, und unsere Haut zeigte keine Spuren jener geplatzten Pusteln, die von allen gefürchtet werden.

Zwei weißhäutige Sklavinnen, barfuß, in zerlumpter brauner Kleidung und mit goldenen Ringen in den Ohren, blieben in der Nähe unseres Bugs auf dem Kai stehen. »Wie häßlich ihr seid!« rief eine der beiden zu den Mädchen am Bug empor.

»Bist du jemals am Bug ausgestellt worden?« rief Sasi verächtlich zurück.

Darauf erhielt sie keine Antwort.

Die blonde Barbarin, die an ihrem Ring baumelte, erbebte plötzlich. Sie schien etwas verstanden zu haben, etwas, das einen bisher unbekannten Stolz in ihr weckte.

»Kann sich euer Herr nicht mal anständige Kleidung für euch leisten?« fragte Sasi die Mädchen am Kai verächtlich und blickte mich erfreut an. Ich mußte zugeben, daß sie mit den beiden richtig umgesprungen war.

»Holt die Sklavinnen herein!« sagte der Arzt jetzt und überprüfte schließlich auch die Mädchen, die vor ihm auf dem Deck abgelegt wurden.

Schließlich richtete er sich auf. »Alles in Ordnung«, sagte er. »Das Schiff kann anlegen. Alle dürfen an Land.«

»Ausgezeichnet!« sagte Ulafi.

Der Schreiber hielt die Feststellung des Arztes in seinen Unterlagen fest, eine Eintragung, die von diesem gegengezeichnet wurde.

»Ich wünsche dir viel Glück bei deinen Unternehmungen in Schendi«, sagte Ulafi daraufhin zu mir.

»Ja, vielen Dank, Kapitän!« gab ich zurück. »An dich meinen Dank für eine gute Reise!«

Er nickte. »Vielen Dank auch, daß ich deine hübsche Sklavin mit an den Bug hängen durfte.«

»Keine Ursache«, sagte ich.

»Ich wünsche dir alles Gute.«

»Ich dir auch«, erwiderte ich.

Ich bückte mich über Sasi und nahm ihr die Fesseln ab.

»Die da«, sagte Ulafi zu einem Seemann und deutete auf die blonde Barbarin, »kommt mir in Sirik und Kette an einen Ring auf der Pier. Sie darf uns nicht noch einmal fortlaufen.«

»Jawohl, Kapitän!« sagte der Mann.

Dichtauf gefolgt von Sasi, ging ich zu meinem Seesack und warf ihn mir über die Schulter.

Die blonde Sklavin wurde unterdessen an Land gebracht und angekettet. Nackt und gefesselt blickte sie zu mir auf, als ich das Schiff verließ.

Einen Augenblick lang stand in ihren Augen wieder der seltsame Ausdruck der Erkenntnis. »Nein, nein!« flüsterte sie dann auf Englisch vor sich hin. »Ich bin keine Sklavin.«

»Wirst du mich in Schendi verkaufen?« fragte mich Sasi.

»Vielleicht – wenn mir danach ist.«

»Ja, Herr«, sagte sie.

Die blonde Barbarin hörte die Worte, reagierte aber nicht darauf. Zitternd blickte sie mich an.

Ja, man würde sie zur Frau machen, im denkbar schönsten Sinn des Wortes, zur Liebessklavin für einen Mann.

Ich wandte mich zum Gehen.

»Herr!« rief sie.

Ich drehte mich noch einmal zu ihr um.

»Geh nicht!« flehte sie. »Geh noch nicht! Kauf mich!«

»Er hat doch schon ein Mädchen!« sagte Sasi ärgerlich.

»Sei still!« sagte ich zu Sasi.

»Ja, Herr.«

»Bittest du mich, dich zu kaufen?« fragte ich das blonde Mädchen.

»Ja, Herr«, gab sie zurück.

»Das tut aber nur eine echte Sklavin«, stellte ich fest. In diesen Worten wurde allgemein eine Bestätigung des Sklavendaseins gesehen.

»Ich bin Sklavin«, sagte sie.

»Ja, aber im Grunde deines Herzens verstehst du das noch nicht.«

Sie blickte mich nur an.

»Du hast deinen Kragen noch nicht richtig begriffen«, fuhr ich fort.

»Kauf mich!« sagte sie. »Bring mir bei, den Kragen zu tragen!«

»Du bringst mich in Versuchung, kleine Schlampe!«

Sie neigte sich vor mir.

»Ein anderer wird dich kaufen«, fuhr ich fort und wandte mich ab. »Wir müssen uns eine Unterkunft suchen«, sagte ich zu Sasi.

»Ja, Herr«, sagte das Mädchen.

Ich hörte das andere Mädchen hinter uns bedrückt aufschreien. Und obwohl wir uns nicht umdrehten, rief sie auf Englisch: »Ich hasse dich, Herr! Und ich bin keine Sklavin! Ich bin keine Sklavin!«

Ich war durchaus der Meinung, daß das Mädchen ganz nützlich sein würde. Unabsichtlich würde sie mich zu dem Geographen Shaba führen, dem Entdecker des Ngao-Sees und des Ua-Flusses. Ohne es zu wissen, würde sie mich zum Tahari-Ring leiten.

Diesen Ring wollte ich – und vielleicht auch das Blut Shabas, der die Priesterkönige verraten hatte.

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