3

Eines Morgens dachte ich zurück an all die Dinge, die früher geschehen waren. Ich stellte mir meine Brüder und Schwestern vor, als spielten sie Karten, was natürlich nicht stimmte. Ich dachte an das Krankenhaus, in dem ich erwacht war, an den Kampf um Amber, an meinen Marsch durch das Muster in Rebma und an meine Zeit mit Moire, die jetzt vielleicht in den Armen Erics lag[2]. Meine Gedanken schweiften an jenem Morgen zu Bleys und Random, Deirdre, Caine, Gérard und Eric. Es war der Morgen vor der großen Schlacht, und wir lagerten in den Bergen in der Nähe des Kreises. Unterwegs waren wir mehrfach angegriffen worden, doch die Scharmützel waren nur kurz gewesen. Wir hatten die Angreifer zurückgeschlagen oder vernichtet und waren weitergezogen. Als wir das vorher festgelegte Gebiet erreicht hatten, schlugen wir unser Lager auf, stellten Wachen aus und legten uns hin. Unsere Nachtruhe blieb ungestört. Ich erwachte und stellte mir die Frage, ob meine Brüder und Schwestern wohl dieselbe Meinung von mir hatten wie ich von ihnen. Es war ein trauriger Gedanke.

In der Abgeschlossenheit eines kleinen Hains, den Helm voller Seifenwasser, rasierte ich mir den Bart ab. Dann kleidete ich mich an, legte meine ureigenen mitgenommenen Farben an. Wieder einmal war ich hart wie Stein, düster wie der Erdboden und zornig wie die Hölle – wie früher. Heute war der entscheidende Tag. Ich setzte den Helm auf, zog das Kettenhemd über, schloß den Gurt um meine Hüfte und legte Grayswandir an. Dann schloß ich den Umhang vor meinem Hals mit einer Silberrose und wurde schließlich von einem Melder entdeckt, der mir mitteilen sollte, daß alles bereit sei.

Ich küßte Lorraine, die sich nicht hatte davon abbringen lassen, uns zu begleiten. Dann stieg ich auf mein Pferd, einen Braunen namens Star, und ritt in die vorderste Reihe.

Dort stieß ich auf Ganelon und Lance. »Wir sind fertig«, sagten sie.

Ich rief meine Offiziere zusammen und gab meine Befehle. Sie salutierten, machten kehrt und ritten davon.

»Bald«, sagte Lance und zündete seine Pfeife an.

»Wie geht es Eurem Arm?«

»Wieder sehr gut«, erwiderte er, »nach dem Kampf, den Ihr mir gestern geliefert habt. Ausgezeichnet.«

Ich öffnete mein Visier und zündete mir ebenfalls eine Pfeife an.

»Ihr habt Euch ja den Bart abrasiert!« sagte Lance. »Damit seid Ihr Euch gar nicht mehr ähnlich.«

»Ohne Bart sitzt der Helm besser«, sagte ich.

»Das Glück sei mit uns allen«, warf Ganelon ein. »Ich kenne zwar keine Götter, doch wenn sich welche auf unsere Seite stellen wollen, heiße ich sie willkommen!«

»Es gibt nur einen Gott«, sagte Lance. »Ich bete, daß Er uns beisteht.«

»Amen«, sagte Ganelon und hielt eine Flamme an seinen Pfeifenkopf. »Für heute.«

»Der Sieg wird uns gehören.«

»Ja«, sagte ich, als die Sonne im Osten höher stieg und die Vögel des Morgens sich in die Luft schwangen. »Es fühlt sich so an.«

Als wir fertig waren, klopften wir unsere Pfeifen aus und steckten sie in die Gürtel. Dann zogen wir zum letztenmal die Schnallen und Schnüre unserer Rüstungen nach, und Ganelon sagte: »Also los. Gehen wir ans Werk.«

Meine Offiziere machten Meldung. Meine Abteilungen waren bereit.

In langer Kolonne ritten wir den Berg hinab und versammelten uns außerhalb des Kreises. Drinnen rührte sich nichts; Truppen waren nicht zu sehen.

»Was mag mit Corwin sein?« wandte sich Ganelon an mich.

»Er ist bei uns«, erwiderte ich, und er sah mich seltsam an, schien zum erstenmal die Rose an meinem Hals wahrzunehmen. Er nickte abrupt.

»Lance«, sagte er, als wir uns formiert hatten, »gebt den Befehl!«

Und Lance zog seine Klinge. Sein Schrei »Angriff!« wurde ringsum wiederholt.


Wir waren eine halbe Meile weit in den Kreis eingedrungen, ehe etwas geschah. Fünfhundert Berittene bildeten unsere Vorhut. Eine dunkelgekleidete Kavallerie erschien, die wir in einen Kampf verwickelten.

Nach fünf Minuten brach der Widerstand zusammen, und wir ritten weiter.

Dann hörten wir den Donner. Blitze zuckten, Regen rauschte hernieder. Das seit langer Zeit über dem Kreis lauernde Gewitter brach endlich los.

Eine dünne Kette Fußsoldaten, zumeist Lanzenträger, versperrte uns den Weg, wartete in stoischer Ruhe. Vielleicht ahnten wir die Falle, trotzdem griffen wir an.

Gleich darauf bestürmte die feindliche Kavallerie unsere Flanke. Wir wirbelten herum, und der Ernst des Soldatenlebens begann.

Etwa zwanzig Minuten später . . .

Wir hielten durch, warteten auf die Hauptmacht unserer Armee.

Schließlich ritt unsere zweihundertköpfige Gruppe weiter . . .

Menschen. Wir töteten Menschen an diesem Ort, Menschen, die die Unsrigen töteten – graugesichtige Menschen mit ausdruckslosen starren Mienen. Ich wollte mehr. Noch einen mehr . . .

Die logistischen Probleme des Gegners mußten halb metaphysischer Art gewesen sein. Wie viele Kämpfer konnten durch dieses Tor geführt werden? Ich wußte es nicht genau. Kurz darauf . . .

Wir kamen über eine Anhöhe, und tief unter uns lag eine unheimliche Zitadelle.

Ich hob meine Klinge.

Als wir den Hang hinabsprengten, griffen sie an.

Sie zischten und krächzten und flatterten. Ihr Anblick verriet mir, daß er nicht mehr genug Kämpfer hatte. Grayswandir war eine Flamme in meiner Hand, ein Blitz. Ich tötete die Wesen, sobald sie in meine Nähe kamen, und im Sterben flammten sie auf. Zu meiner Rechten sah ich Lance ein ähnliches Chaos anrichten, dabei murmelte er unverständliche Worte vor sich hin. Waren es Gebete für die Toten? Zu meiner Linken hieb Ganelon um sich, und eine Kette von Bränden kennzeichnete den Weg, den er genommen hatte. Inmitten der aufzuckenden Blitze rückte die Zitadelle langsam näher, ragte immer höher vor uns auf.

Die etwa hundert Mann, die von uns noch übrig waren, stürmten weiter, und links und rechts sanken die scheußlichen Ausgeburten der Hölle zu Boden.

Als wir das Tor erreichten, stellte sich uns eine Infanterie aus Menschen und Ungeheuern entgegen. Wir griffen an.

Die Gegenseite war uns zahlenmäßig überlegen, doch wir hatten keine andere Wahl. Vielleicht hatten wir die Entfernung zu unserer eigenen Infanterie zu groß werden lassen. Aber ich nahm es eigentlich nicht an. Wie ich die Lage sah, war die Zeit nun allein entscheidend.

»Ich muß durch!« rief ich. »Er ist drinnen!«

»Er gehört mir!« sagte Lance.

»Ihr beide könnt mit ihm tun, was Ihr wollt!« sagte Ganelon und ließ seine Klinge kreisen. »Dringt ein, sobald Ihr könnt! Ich begleite Euch!«

Wir hieben um uns und töteten, doch dann schlug sich das Kriegsglück auf die Seite der anderen. Sie bedrängten uns, all die häßlichen Wesen, die nicht ganz Menschen waren oder nicht mehr, vermengt mit menschlichen Kämpfern. Wir wurden auf einen kleinen Kreis zusammengedrängt und mußten uns nach allen Seiten verteidigen, bis endlich unsere erschöpfte Infanterie eintraf und loszulegen begann. Wieder stießen wir auf das Tor zu und schafften es diesmal, alle vierzig oder fünfzig Mann.

Wir kämpften uns durch, und nun stellten sich uns die Soldaten im Innenhof entgegen.

Das letzte Dutzend von uns, das es bis zum Fuß des düsteren Zitadellenturms schaffte, sah sich einer letzten Gruppe Wächter gegenüber.

»Ran!« rief Ganelon, als wir von unseren Pferden sprangen und zum Nahkampf vorstürmten.

»Ran!« brüllte Lance, und wahrscheinlich meinten beide mich – oder jeweils den anderen.

Ich löste mich aus dem Scharmützel und hastete die Treppe hinauf.

Ich wußte, daß er sich dort oben befand, im höchsten Turm; ich mußte mich ihm zum Kampf stellen und ihn besiegen. Ich wußte nicht, ob ein Sieg in meiner Macht lag, doch ich mußte es versuchen. Wußte ich doch als einziger, woher er wirklich kam und daß ich derjenige war, der ihn hierhergeführt hatte.

Oben an der Treppe stieß ich auf eine massive Holztür. Ich versuchte sie zu öffnen, doch sie war von innen verschlossen. Ich trat mit voller Kraft zu.

Krachend stürzte sie einwärts.

Und da sah ich ihn am Fenster stehen, einen menschenähnlichen Körper in leichter Rüstung, mit einem Ziegenkopf auf breiten Schultern.

Ich trat über die Schwelle und blieb stehen.

Als die Tür nachgab, war er herumgefahren und hatte die Augen aufgerissen – und jetzt versuchte er durch das Visier meinen Blick zu bannen.

»Sterblicher, du bist zu weit gegangen«, sagte er. »Oder bist du gar kein sterblicher Mensch?« In seiner Hand funkelte eine Klinge.

»Frag Strygalldwir«, sagte ich.

»Du also hast ihn getötet«, stellte er fest. »Hat er dich erkannt?«

»Vielleicht.«

Auf der Treppe hinter mir hallten Schritte herauf. Ich trat nach links in den Schutz des Türrahmens.

Ganelon stürmte ins Zimmer, und ich rief: »Halt!« Er blieb sofort stehen.

Er wandte sich in meine Richtung.

»Dies ist das Wesen«, sagte er. »Was ist es?«

»Meine Sünde gegen etwas, das ich einst geliebt habe«, sagte ich. »Laß es in Ruhe. Es gehört mir.«

»Oh, bitte sehr!«

Er rührte sich nicht.

»Hast du das wirklich ernst gemeint?« fragte das Geschöpf.

»Finde es doch heraus!« sagte ich und sprang vor.

Doch das Wesen stellte sich nicht zum Kampf. Statt dessen tat es etwas, das jeder sterbliche Kämpfer für töricht gehalten hätte.

Es schleuderte seine Klinge in meine Richtung, mit der Spitze voran, wie einen Blitz. Und die Bewegung wurde von einer Art Donnerschlag begleitet.

Die Elemente außerhalb des Turms stimmten in das Echo ein, eine ohrenbetäubende Reaktion.

Ich parierte den Angriff mit Grayswandir. Die Waffe bohrte sich in den Boden und begann sofort zu brennen. Draußen zuckten im gleichen Moment Blitze auf.

Einen Augenblick lang war das Licht so grell wie eine Magnesiumsfackel, und in dieser Sekunde fiel das Geschöpf über mich her.

Es drückte mir die Arme an die Flanken, und seine Hörner hieben gegen mein Visier, einmal, zweimal . . .

Dann richtete ich meine Kräfte gegen die mächtigen Arme, und ihr Griff begann sich zu lockern.

Ich ließ Grayswandir fallen und löste mich mit einer letzten gewaltigen Anspannung aus der Umarmung meines Gegners.

Doch im gleichen Augenblick begegneten sich unsere Blicke.

Wir hieben beide zu, gerieten ins Taumeln.

»Lord von Amber«, sagte das Wesen nun. »Warum bekämpft Ihr mich? Ihr wart es doch selbst, der uns diese Passage eröffnet hat, diesen Weg . . .«

»Ich bereue eine voreilige Handlung und versuche sie rückgängig zu machen.«

»Dazu ist es nun zu spät – und dies ist ein seltsamer Ort, um damit zu beginnen.«

Wieder hieb das Wesen zu, so schnell, daß es meine Deckung durchbrach. Ich wurde gegen die Wand geschleudert. Das Geschöpf war gefährlich schnell.

Und dann hob es die Hand und machte ein Zeichen, und ich hatte eine Vision der Gerichte des Chaos vor Augen – eine Vision, die mir die Nackenhaare sträubte, die meine Seele einem kalten Wind aussetzte, in der Erkenntnis, was ich getan hatte.

». . . Seht Ihr?« fragte mein Gegner. »Ihr habt uns dieses Tor aufgetan. Wenn Ihr uns jetzt helft, verschaffen wir Euch, was Euch rechtmäßig gehört.«

Einen Augenblick lang war ich in Versuchung. Durchaus möglich, daß das Wesen sein Versprechen wahrmachen konnte, daß es mir helfen würde, wenn ich ihm half.

Aber danach würde es immer eine Gefahr für mich sein. Für kurze Zeit verbündet, würden wir uns später wieder bekämpfen, sobald wir das Gewünschte erhalten hatten – und die Kräfte der Finsternis waren dann weitaus stärker. Trotzdem – wenn ich Herrscher über die Stadt war . . .

»Machen wir das Geschäft?« lautete die scharfe, fast schrille Frage.

Ich dachte an die Schatten und die Orte jenseits der Schatten . . .

Langsam hob ich den Arm und löste meinen Helm . . .

Ich schleuderte ihn, als das Wesen aufzuatmen schien. Ich glaube, Ganelon sprang im gleichen Augenblick vorwärts.

Ich warf mich quer durch das Zimmer und trieb das Wesen gegen die Wand.

»Nein!« brüllte ich.

Die menschenähnlichen Hände fanden meinen Hals – etwa in dem gleichen Augenblick, da sich meine Finger um seinen Hals schlossen.

Ich drückte mit voller Kraft, drehte die Hände zur Seite. Vermutlich tat die Kreatur das gleiche.

Ich hörte etwas brechen wie einen trockenen Ast. Ich fragte mich, wessen Hals da eben gebrochen sein mochte. Meiner tat jedenfalls fürchterlich weh.

Ich öffnete die Augen, und über mir wölbte sich der Himmel. Ich lag auf dem Rücken; eine Decke schützte mich vor der Kühle des Bodens.

»Ich fürchte, er schafft es«, sagte Ganelon, und ich drehte den Kopf mühsam in die Richtung, aus der ich seine Stimme gehört hatte.

Er saß am Rand der Decke, ein Schwert über den Knien. Lorraine war bei ihm.

»Wie steht der Kampf?« fragte ich.

»Wir haben gesiegt«, sagte er. »Ihr habt Euer Versprechen gehalten. Als Ihr das Ding umgebracht hattet, war alles vorbei. Die graugesichtigen Menschen sanken bewußtlos zu Boden, die Ungeheuer verbrannten.«

»Gut.«

»Ich habe hier gesessen und mich gefragt, warum ich Euch nicht mehr hasse.«

»Seid Ihr dabei zu Ergebnissen gelangt?«

»Nein, eigentlich nicht. Vielleicht liegt es daran, daß wir uns im Grunde sehr ähnlich sind. Ich weiß es nicht.«

Ich lächelte Lorraine an. »Ich bin froh, daß deine prophetischen Gaben nicht die besten sind«, sagte ich. »Der Kampf ist vorbei, und du lebst immer noch.«

»Der Tod hat bereits begonnen«, sagte sie, ohne mein Lächeln zu erwidern.

»Was meinst du damit?«

»Noch heute werden Geschichten erzählt über den grausamen Lord Corwin, der meinen Großvater öffentlich vierteilen ließ, weil er einen der ersten Aufstände gegen ihn angezettelt hatte.«

»Das war nicht ich«, sagte ich, »sondern einer meiner Schatten.«

Doch sie schüttelte den Kopf. »Corwin von Amber«, sagte sie, »ich bin, was ich bin.« Mit diesen Worten stand sie auf und entfernte sich.

»Was war das für ein Wesen?« fragte Ganelon, ohne sich um ihren Abgang zu kümmern. »Was war das für ein Geschöpf im Turm?«

»Es war mein Geschöpf«, erwiderte ich. »Eins von den Dingen, die entfesselt wurden, als ich Amber meinen Fluch auferlegte. Ich gab den Elementen, die jenseits der Schatten lauern, den Weg frei in die reale Welt. Die Wege des geringsten Widerstands zeichnen sich in diesen Erscheinungen ab, durch die Schatten nach Amber. Hier war der Kreis dieser Weg. Woanders mag sich der Vorgang anders äußern. Den Weg durch diesen Schatten habe ich nun versperrt. Ihr könnt aufatmen, Ihr habt Eure Ruhe.«

»Seid Ihr deshalb zu uns gekommen?«

»Nein«, sagte ich. »Eigentlich nicht. Ich war unterwegs nach Avalon, als ich Lance fand. Ich konnte ihn nicht liegen lassen, und als ich ihn zu Euch gebracht hatte, wurde ich in diesen Aspekt meines üblen Tuns verwickelt.«

»Avalon? Es war also eine Lüge, als Ihr sagtet, es wäre vernichtet worden?«

Ich schüttelte den Kopf.

»O nein. Unser Avalon wurde zerstört, doch in den Schatten mag sich durchaus ein Avalon finden, das dem alten gleicht.«

»Nehmt mich mit Euch!«

»Seid Ihr verrückt?«

»Nein, ich möchte das Land meiner Geburt wiedersehen, so groß die Gefahr auch sein mag.«

»Ich gedenke dort nicht zu verweilen«, sagte ich, »sondern mich lediglich zum Kampf zu rüsten. In Avalon gibt es ein rosafarbenes Pulver, welches Juweliere verwenden. Ich habe einmal eine Handvoll davon in Amber angezündet. In Avalon will ich mir nur dieses Pulver beschaffen und dann Gewehre bauen, mit denen ich Amber belagern will, um den Thron zu erringen, der rechtmäßig mir gehört.«

»Was ist mit den Elementen außerhalb der Schatten, die Ihr erwähntet?«

»Um die kümmere ich mich später. Wenn ich vor Amber unterliege, sind sie Erics Problem.«

»Ihr sagtet, er hätte Euch geblendet und in ein Verlies geworfen.«

»Das ist wahr. Mir sind neue Augen gewachsen. Dann konnte ich fliehen.«

»Ihr seid wirklich ein Dämon.«

»Das hat man schon oft von mir behauptet. Jetzt leugne ich es nicht mehr.«

»Nehmt Ihr mich mit?«

»Wenn Ihr wirklich wollt? Unser Ziel wird sich allerdings von dem Avalon unterscheiden, das in Eurer Erinnerung lebt.«

»Nach Amber!«

»Ihr seid ja wirklich verrückt!«

»Nein. Seit langem ersehne ich die Rückkehr in die sagenhafte Stadt. Wenn ich Avalon wiedergesehen habe, möchte ich einmal etwas Neues probieren. Habe ich mich nicht als guter General erwiesen?«

»Ja.«

»Dann unterweist mich an den Gebilden, die Ihr eben Gewehre nanntet – und ich helfe Euch bei Eurem größten Kampf. Ich habe nicht mehr allzu viele gute Jahre zu erwarten, das weiß ich. Nehmt mich mit.«

»Es mag dazu kommen, daß Eure Knochen am Fuße Kolvirs bleichen – neben den meinen!«

»Welcher Kampfausgang ist schon gewiß? Das Risiko gehe ich ein.«

»Wie Ihr wollt. Ihr dürft mitkommen.«

»Vielen Dank, Lord.«

In jener Nacht blieben wir in unserem Lager an Ort und Stelle und ritten am nächsten Tag in die Burg zurück. Dort machte ich mich auf die Suche nach Lorraine. Ich erfuhr, daß sie mit einem ihrer früheren Liebhaber geflohen war, einem Offizier namens Melkin. Obwohl sie ziemlich bestürzt gewesen war, mißfiel mir der Umstand, daß sie mir keine Gelegenheit gegeben hatte, Dinge zu erläutern, die sie lediglich als Gerüchte kannte. Ich beschloß den beiden zu folgen.

Ich bestieg Star, drehte meinen schmerzenden Hals in die Richtung, die sie angeblich eingeschlagen hatten, und nahm die Verfolgung auf. In gewisser Weise konnte ich ihr nicht gram sein. Mein Empfang in der Burg war nicht so ausgefallen, wie es der Sieger über den Gehörnten hätte erwarten können, wäre er ein anderer gewesen als ich. Die Geschichten vom hiesigen Corwin hatten sich ziemlich hartnäckig gehalten, und jede dieser Geschichten hatte etwas Dämonisches. Die Männer, mit denen ich gearbeitet hatte, die mit mir im Kampf gewesen waren, musterten mich nun mit Blicken, in denen mehr lag als Angst – kurze Blicke nur, denn sie senkten immer wieder hastig die Augen und richteten sie auf etwas anderes. Vielleicht hatten sie Angst, daß ich zu bleiben und sie zu beherrschen wünschte. Als ich aus der Burg ritt, waren sie womöglich erleichtert – mit Ausnahme Ganelons. Ganelon mochte annehmen, daß ich nicht wie versprochen zurückkehren würde, um ihn abzuholen. Dies war meinem Gefühl nach der Grund, warum er sich erbot, mich auch bei der Verfolgung Lorraines zu begleiten. Aber dies war eine Sache, die ich allein erledigen mußte.

Wie ich jetzt zu meiner Überraschung erkannte, hatte mir Lorraine einiges bedeutet – ihre Handlungsweise kränkte mich ziemlich. Ich war der Meinung, sie müsse mich zumindest anhören, ehe sie ihres Weges zog. Wenn sie sich dann immer noch für ihren sterblichen Offizier entschied, konnte sie auf meinen Segen rechnen. Wenn nicht, dann wollte ich sie bei mir behalten – das machte ich mir nun klar. Das schöne Avalon mußte warten, bis ich diese Angelegenheit geregelt hatte – und zum Ende oder Neubeginn.

Ich folgte der Spur, und in den Bäumen ringsum sangen die Vögel. Der Tag war hell, erfüllt von einem himmelblauen, baumgrünen Frieden, denn die Plage war vom Land gewichen. In meinem Herzen regte sich so etwas wie Freude, daß ich zumindest einen kleinen Teil des Übels getilgt hatte, welches auf meinem Gewissen lastete. Übel? Hölle und Verdammnis, ich habe in meiner Zeit mehr Böses angerichtet als die meisten Menschen, doch ich hatte mit der Zeit auch ein Gewissen entwickelt, irgendwie, und diesem Gewissen gönnte ich nun einen der seltenen Augenblicke der Zufriedenheit. Sobald ich Amber beherrschte, konnte ich ihm wieder etwas mehr die Zügel schießen lassen, meinte ich. Ha!

Die Spur führte mich nach Norden, und die Gegend war mir fremd. Ich folgte einem gutausgetretenen Weg, auf dem sich die frischen Spuren zweier Reiter abzeichneten. Ich folgte diesen Spuren den ganzen Tag lang, durch die Abenddämmerung bis in die Dunkelheit. Von Zeit zu Zeit stieg ich ab und untersuchte den Weg. Schließlich begannen mir die Augen Streiche zu spielen, und ich suchte mir eine kleine Senke einige hundert Meter links vom Weg und schlug dort mein Nachtlager auf. Zweifellos war es auf meine Halsschmerzen zurückzuführen, daß ich von dem Gehörnten träumte und den ganzen Kampf noch einmal durchfechten mußte. »Helft uns, dann verschaffen wir Euch, was Euch rechtmäßig gehört«, sagte das Geschöpf. An dieser Stelle erwachte ich abrupt, und ein Fluch lag auf meinen Lippen.

Als der Morgen den Himmel bleichte, stieg ich auf und setzte meinen Weg fort. Es war eine kalte Nacht gewesen, und ein kühler Hauch aus dem Norden hielt mich nach wie vor in seinem Bann. Das Gras glitzerte von leichtem Frost, und mein Umhang war feucht, da er während der Nacht auf dem Boden unter mir gelegen hatte.

Gegen Mittag war etwas Wärme in die Welt zurückgekehrt, und die Spur war frischer. Ich holte langsam auf.

Als ich sie schließlich fand, sprang ich von meinem Reittier und rannte zu ihr. Sie lag unter einem Wildrosenbusch ohne Blüten, dessen Dornen sie an Wange und Schulter zerkratzt hatten. Sie war noch nicht lange tot. Dort, wo die Klinge eingedrungen war, schimmerte das Blut noch feucht auf ihrer Brust, ihre Haut fühlte sich noch warm an.

Es gab keine Felsbrocken, mit denen ich ihr ein Steingrab hätte bauen können; also hieb ich mit Grayswaridir auf den Boden ein und bettete sie in die flache Grube. Er hatte ihr Armbänder, Ringe und den juwelenbesetzten Aufsteckkamm abgenommen – ihr ganzes Vermögen. Ich mußte ihr die Augen schließen, ehe ich provisorisch meinen Mantel über sie legte und mit Zweigen bedeckte; dabei begannen meine Hände zu zittern, und mein Blick trübte sich. Ich brauchte lange, um darüber hinwegzukommen.

Ich ritt weiter, und es dauerte nicht lange, bis ich ihn einholte; er galoppierte dahin, als sei der Teufel hinter ihm her, was ja auch stimmte. Ich sprach kein Wort, als ich ihn vom Pferd holte, und auch hinterher nicht, und ich beschmutzte auch nicht meine Klinge, obwohl er die seine zog. Ich schleuderte seinen entstellten Leichnam in eine hohe Eiche, und als ich später zurückschaute, war die Baumkrone schwarz von Vögeln.

Ehe ich das Grab schloß, gab ich ihr die Ringe, Armbänder und Kämme zurück – und das war Lorraine. Ihr ganzes Leben, all ihre Wünsche, hatten hier gemündet, zu diesem Ort geführt – und das ist die ganze Geschichte unserer Begegnung und Trennung in jenem Land, das Lorraine heißt. Eine Geschichte, die wohl zu meinem Leben paßt, hat doch ein Prinz von Amber Anteil und Verantwortung an allem Übel, das in der Welt lauert – worin auch der Grund zu suchen ist, warum ein Teil meiner selbst mit einem spöttischen »Ha!« reagiert, sobald ich einmal von meinem Gewissen spreche. In vielen Urteilen über mich wird gesagt, meine Hände seien blutig. Ich bin ein Teil des Bösen, das in der Welt und in den Schatten existiert. Ich sehe mich zuweilen als ein Übel, dessen Daseinszweck es ist, sich anderen bösen Einflüssen entgegenzustellen. Ich vernichte Menschen wie Melkin, wenn ich sie aufspüren kann, und an jenem Großen Tag, von dem die Propheten sprechen, an den sie aber eigentlich gar nicht glauben, an jenem Tag, da die Welt gesäubert wird von allem Bösen, werde auch ich in die Düsternis hinabsinken, zähneknirschend und meine Flüche murmelnd. Neuerdings habe ich das Gefühl, daß es sogar schon vorher dazu kommen könnte. Wie dem auch sei . . . Bis zu jenem Augenblick werde ich mir nicht die Hände waschen und sie auch nicht nutzlos in den Schoß legen.

Ich wendete mein Pferd und kehrte zur Burg des Ganelon zurück, der dies alles wußte, aber nie begreifen würde.

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