»Wie gesagt: Du hast eine gewaltige Beule am Kopf«, grinste Ben.

»Als du michHerrgenannt hast, hast du mir irgendwie besser gefallen«, knurrte Mike, während er stöhnend die Handflächen gegen die Schläfen presste und darauf wartete, dass der dröhnende Kopfschmerz ein wenig nachließ.

»Du hast wohlwirklicheins auf die Rübe bekommen, wie?«, fragte Ben fröhlich.

Mike entschloss sich, nicht mehr darauf zu antworten. Bens Anblick entschädigte ihn halbwegs für seine gehässigen Worte, denn auch er sah ziemlich ramponiert aus. Abgesehen von ihm und Mike selbst war der Salon vollkommen leer -und vollkommen verwüstet. Die Regale und Schränke hatten ihren gesamten Inhalt über den Boden verteilt, etliche Möbel und alles, was aus Glas oder anderen empfindlichen Materialien bestand, war zerbrochen. Aber wenigstens stand der Raum nicht mehr auf dem Kopf. »Was ist passiert?«, fragte Mike. »Wo sind die anderen?«

»Sie inspizieren das Schiff«, antwortete Ben, »um nach Schäden zu suchen. Ich fürchte, sie werden mehr finden, als ihnen lieb ist.« »So schlimm?«, fragte Mike.

»Schlimmer«, antwortete Ben ernst. »Wir haben tonnenweise Lava auf dem Rumpf. Die NAUTILUS ist ungefähr so manövrierfähig wie eine Badewanne voller Ziegelsteine. Es grenzt wahrlich an ein Wunder, dass wir es überhaupt geschafft haben, aufzutauchen.«

»Aufzu ...?« Mike drehte mit einem Ruck den Kopf und starrte mit weit aufgerissenen Augen aus dem Fenster. Draußen herrschte vollkommene Dunkelheit, die immer wieder von lodernden roten Lichtblitzen durchdrungen wurde.

»Mein Gott, wie ... wie lange war ich bewusstlos?«, murmelte er.

»Über eine Stunde«, antwortete Ben. »Eine Stunde?! Aber dann müsste hier heller Tag herrschen!« »Das ist der Vulkanausbruch«, sagte eine Stimme von der Tür aus. »Die Staub- und Rauchwolken verdunkeln den Himmel.«

Mike drehte den Kopf und erkannte Delamere, der zusammen mit Trautman, Chris und Ben gerade in diesem Moment hereinkam.

»Der Vulkanausbruch? Soll das heißen, wir ... Sie haben es geschafft?«

»Wirwar schon ganz richtig«, verbesserte ihn Delamere. »Ohne eure Hilfe und vor allem ohne euer fantastisches Schiff wäre es wohl nicht ganz so einfach gewesen. Ich kann es immer noch nicht fassen!

Wir sind tatsächlich auf einem Fluss ausLavagefahren!« »Ja«, knurrte Trautman und trat an sein Kontrollpult. »Aber ich möchte es ungern zu einer schlechten Angewohnheit werden lassen. Ich weiß nicht, wie oft die NAUTILUS so etwas noch mitmacht! Sorgen macht mir vor allem die Tauchkammer.« »Was ist damit?«, fragte Mike. »Sie ist voller Lava«, antwortete Trautman. »Sie ist hereingeflossen, als ich die Schleuse geöffnet habe, aber leider nicht mehr hinaus. Und mittlerweile ist sie natürlich erstarrt.« Er machte ein finsteres Gesicht. »Unsere Tauchkammer besteht im Moment aus einem kompakten Lavablock. Ich hoffe, wir bekommen das Zeug jemals wieder heraus!« Mike sah ihn noch einen Moment lang ernst an, dann stand er auf und trat an das große Aussichtsfenster heran. Nachdem sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, stellte sich die Dunkelheit als nicht mehr ganz so total heraus, wie er im ersten Moment angenommen hatte. Er konnte die dünne, gerade Linie des Horizonts erkennen, vor der sich nur manchmal im flackernden roten Feuerschein eine gezackte Silhouette abhob. Der Himmel darüber war nicht schwarz, wie er im ersten Augenblick angenommen hatte, sondern von einem sehr dunklen Braun, auf dem nicht ein einziger Stern zu sehen war. Das musste die Aschewolke sein, von der Delamere gesprochen hatte. Erst danach fragte er sich, wo sie überhauptherkam.»Ich dachte, der Vulkan bricht auf dem Meeresboden aus!«, sagte er.

»Das hatte ich gehofft«, korrigierte ihn Delamere. »Aber die Lava hat sich einen anderen Weg gesucht... keine Sorge. Ich kenne diese Insel dort hinten. Sie war unbewohnt. Und genau genommen ist es so besser.« »Wieso?«

»Sie liegt noch einmal fast zwanzig Meilen von Hathi entfernt«, antwortete Delamere. »Außerdem hätte ein Ausbruch auf dem Meeresboden vielleicht eine gewaltige Springflut zur Folge gehabt. So bekommen sie allenfalls ein bisschen Asche ab.« »Das da sieht nicht gerade harmlos aus«, sagte Mike. Jacques zuckte nur mit den Schultern. »Wir sind über sechzig Seemeilen von Hathi entfernt«, sagte er. »Das sind fast hundert Kilometer. Ich glaube nicht, dass sie in Gefahr sind.«

»In ein paar Stunden wissen wir es«, antwortete Trautman.

»Die Maschinen laufen wieder. Wir werden zwar nicht unsere Höchstgeschwindigkeit erreichen, aber in ein paar Stunden müssten wir zurück sein.«

In einem Punkt irrte sich Delamere: Der Vulkanausbruch, dessen unmittelbarer Zeuge sie geworden waren, war nicht die letzte Eruption. Ungefähr auf halbem Weg nach Hathi beobachteten sie eine weitere, lodernde Feuersäule, die weit im Westen nach dem Himmel griff, und ein paar Mal erbebte das Meer und legte auf diese Weise Zeugnis von weiteren, unterseeischen Ausbrüchen ab. Keiner von ihnen wagte es, den Gedanken laut auszusprechen, nicht nach allem, was sie hinter sich hatten, aber Mike las auf den Gesichtern der anderen einschließlich Trautmans -, dass sie sich ebenso wie er allmählich zu fragen begannen, ob Delameres Plan vielleicht nicht aufgegangen war und möglicherweise alles umsonst gewesen sein mochte.

Der Himmel über ihnen blieb dunkel, auch als sie sich Hathi näherten. Trautman navigierte das Schiff nur nach seinen Instrumenten, und als sie die Insel endlich erreichten, da fuhr er so behutsam in die Bucht ein, wie Mike es selten zuvor erlebt hatte. Wie sich zeigte, mit Recht. Die NAUTILUS schrammte einoder zweimal an plötzlich aufgetauchten Hindernissen vorbei und sie mussten ein gutes Stück weiter von der Küste entfernt anhalten als beim letzten Mal.

»Das gefällt mir nicht«, sagte Trautman düster. »Diese Felsen waren vorher nicht da.« »Der Meeresboden hat sich verändert«, bestätigte Delamere.

»Ja«, fügte Trautman hinzu. »Und das bedeutet, dass es hier auch nicht unbedingt friedlich geblieben ist.« »Was haben Sie erwartet?«, fragte Delamere in scharfem Ton. »Sie haben dochgesehen,mit welchen Gewalten wir es zu tun haben! Außerdem habe ich nie behauptet, dass es funktioniert!« »Ich frage mich nur, was die Pahuma von der Situation halten«, sagte Ben. »Sie versprechen, ihre Götter zu beruhigen, und kaum ziehen Sie los um Ihr Versprechen einzulösen, da wird der Tag zur Nacht und das Meer fängt an zu beben. Ich hoffe, sie lassen ihre Enttäuschung nicht an ihren Gefangenen aus.« »Es war nichtmeineIdee«, antwortete Delamere ärgerlich, »sondern die deines Freundes.« »Und aus genau diesem Grund werde ich Sie auch begleiten«, sagte Mike.

Aus irgendeinem Grund schien Delamere dieser Vorschlag nicht zu gefallen. Er sah Mike auf sonderbare Weise an, druckste einen Moment herum und schüttelte heftig den Kopf. »Das ist nicht nötig«, antwortete er. »Wenn dieser alte Häuptling sein Wort hält, dann kann ich alles genauso gut allein erledigen. Und wenn nicht, gibt es keinen Grund, dein Leben auch noch in Gefahr zu bringen.«

Mike war nicht ganz sicher, was er von diesen Worten halten sollte. Ein solcher Edelmut passte gar nicht zu dem Belgier, so wie er ihn bisher kennen gelernt hatte. Und auch, wenn Jacques' Worte vernünftig klangen, so spürte er doch irgendwie, dass das nicht der einzige Grund war, aus dem er ihn nicht dabeihaben wollte. Plötzlich wünschte er sich nichts mehr, als dass Astaroth hier wäre.

Außerdem würde er niemals hier sitzen bleiben und in aller Ruhe abwarten ohne zu wissen, wie es Serena ging.

»Kommt nicht in Frage!«, sagte er entschieden. »Ich komme mit.«

»Und ich ebenfalls.« Trautman machte eine entschiedene Handbewegung, die jeden Widerspruch schon im Keim erstickte. »Kommt.«

Delamere sah für einen Moment regelrecht bestürzt drein, sagte aber nichts, sondern drehte sich herum und stampfte mit finsterem Gesicht aus dem Salon. Trautman sah ihm kopfschüttelnd nach, beließ es aber bei einem bloßen Achselzucken und einer entsprechenden Geste in Mikes Richtung, ihm zu folgen. Trotzdem war Mike klar, dass er Delamere ebenso wenig traute wie er selbst.

Sie verließen die NAUTILUS, ließen das Boot zu Wasser und ruderten zur Insel hinüber. Ein intensiver Brandgeruch lag in der Luft und vom Himmel fiel noch immer Asche in grauen Flocken wie heißer Schnee, der aber nicht schmolz, wenn er das Boot oder seine Insassen berührte, sondern eine schmierige, graue Schicht bildete, die in den Augen brannte und das Atmen schwer machte. Es war auch hier, Stunden vom Zentrum der Eruption entfernt, fast vollkommen dunkel. Trautman hatte den starken Scheinwerfer eingeschaltet, der im Bug des kleinen Ruderbootes befestigt war, aber der grellweiße Strahl erreichte nicht einmal das Ufer, sondern verlor sich schon nach wenigen Metern in tanzenden Flocken und absoluter Schwärze. Obwohl sie nur fünf Minuten brauchten um das Ufer zu erreichen, war das Boot fast zur Hälfte mit Asche gefüllt und seine drei Insassen mit einer grauen Schicht überpudert. Trautman und Mike zogen das Beiboot so weit auf den aschebedeckten Strand hinauf, wie sie konnten. Delamere stand nur dabei und sah ihnen zu, aber weder Trautman noch Mike verloren auch nur ein Wort darüber. Irgendetwas stimmte mit dem Vulkanologen nicht, das war jetzt kaum mehr zu übersehen. Aber sie würden später noch Zeit genug haben, sich den Kopf darüber zu zerbrechen - oder schlimmstenfalls Astaroth mit der Aufgabe zu betrauen, die Wahrheit herauszufinden. Jetzt war es Mike im Grunde nur wichtig, Serena und Singh zu holen und so schnell wie möglich wieder von hier zu verschwinden.

Die Insel selbst bot einen fast noch unheimlicheren Anblick als das Meer. Auch hier herrschte eine solche Dunkelheit, dass sie nur wenige Schritte weit sehen konnten -und das Wenige, was in dieseraschedurchsetzten Düsternis überhaupt zu erkennen war, schien kaum noch Ähnlichkeit mit dem tropischen Inselparadies zu haben, als das sich ihnen das Eiland vor kaum vierundzwanzig Stunden noch präsentiert hatte. Der Dschungel war grau, ohne Farben und fast ohne Schattierungen. Die Blätter der großen Palmbäume bogen sich unter dem Gewicht der Asche, die auf ihnen lastete, und selbst zwischen den Bäumen bedeckte eine knöcheltiefe, warme Schicht den Boden. Die Luft roch so intensiv verbrannt, dass Mike eigentlich erwartete, nur noch verkohlte Strünke und zu Lava erstarrtes Erdreich zu sehen, was aber nicht der Fall war; auch später nicht, als sie tiefer in den Dschungel eindrangen. Der Brandgeruch schien einzig von den beiden aktiven Vulkanen zu kommen, die hundert Kilometer entfernt immer noch Feuer in den Himmel spien. Mike sah nicht auf die Uhr, aber er war sicher, dass sie viel länger als beim ersten Mal brauchten, um den Dschungel zu durchqueren. Der Trampelpfad, dem sie gestern gefolgt waren, war verschwunden. Alles, was sie sahen, war wirbelnde graue Asche, die in ihren Augen und Lungen brannte, sodass sie bald ununterbrochen husteten und sich die tränenden Augen rieben.

Als sie den Fuß des Vulkanberges erreichten, sahen sie zum ersten Mal wieder Licht: Einen flackernden, roten Schein, der vom Gipfel des Berges zu ihnen herabstrahlte. Im ersten Moment durchfuhr Mike ein eisiger Schrecken, denn er nahm an, dass auch dieser Vulkan ausgebrochen war und sie den Widerschein der Lava sahen; dann begriff er seinen Irrtum und atmete erleichtert auf. Der Feuerschein stammte nicht aus dem Krater, sondern strahlte aus halber Höhe des Berghanges zu ihnen herab. Im Dorf der Pahuma brannten Fackeln, das war alles. Die Asche machte es noch schwieriger, auf der erstarrten Lava zu gehen, die den Berghang bedeckte. Der Trampelpfad, den Millionen Pahuma-Füße in Tausenden von Jahren in den Berghang gegraben hatten, war ebenso unter der grauen Schicht verschwunden wie der Weg durch den Wald, sodass sie mehr als einmal unter der darunter verborgenen spiegelglatten Lava ausglitten und stürzten. Der Weg zu dem Plateau auf halber Höhe des Berges hinauf kostete sie fast alle Kraft, die sie noch hatten. Mike taumelte mehr, als er ging, zwischen den ersten Häusern hindurch.

Das Erste, was ihm auffiel, war die unheimliche Stille. Auch das Dorf der Pahuma war über und über mit Asche bedeckt, die hier sogar noch höher lag als unten im Dschungel; Mike versank zum Teil bis über die Waden in der pulvrigen, grauen Masse.

Hier und da brannte ein Feuer oder eine Fackel, mit der die Pahuma versucht hatten, die künstliche Nacht zu erhellen, aber nirgends zeigte sich auch nur die geringste Spur von Leben und sie hörten auch nichts. Nach ein paar Schritten blieb Mike stehen und sah sich mit wachsender Beunruhigung um. Auch Trautman blieb stehen, ging schließlich schweigend zu einer der Hütten und sah hinein. Schon nach einem Augenblick kam er zurück, betrat ohne ein weiteres Wort das nächste Gebäude und dann noch eines und noch eines. Schließlich schüttelte er den Kopf und sagte: »Nichts. Hier ist niemand mehr.« »Aber wo sind sie denn?«, murmelte Mike. Gleichzeitig rief er in Gedanken nach Astaroth, so intensiv er nur konnte. Auf dem Weg hier herauf hatte er das schon ein paar Mal getan, ohne eine Antwort zu bekommen, und er bekam auch jetzt keine. »Dort!«, rief Jacques plötzlich. Er deutete nach vorne, anscheinend auf den runden Kratersee, der das Dorf an einer Seite begrenzte. Erst nach einer Sekunde sah Mike, dass er etwas auf der anderen Seite meinte.

Trotzdem hätte er die Menschenansammlung dort drüben wahrscheinlich kaum bemerkt, hätten sich nicht einige von ihnen in diesem Moment bewegt. Auch am anderen Ufer des Sees brannten mehrere Fackeln, aber die drei oder vier Dutzend Gestalten, die Mike mit einiger Mühe in ihrem Licht ausmachte, waren so mit grauer Asche bedeckt, dass sie sich kaum vom Boden unterschieden.

»Was ... was tun die da?«, murmelte Delamere stockend.

Sie flehen ihren Vulkangott um Hilfe an,flüsterte eine Stimme in Mikes Kopf.Und ich würde euch nicht raten, das Zeremoniell zu stören. Darauf reagieren sie ziemlich übel.

»Astaroth?«, murmelte Mike. Etwas lauter und an die anderen gewandt sagte er: »Bleibt stehen!« Delamere, der bereits dazu angesetzt hatte, auf die Insulaner zuzugehen, verhielt tatsächlich mitten im Schritt, sah Mike aber eindeutig ärgerlich an: »Wieso?«

»Tun Sie einfach, was er sagt«, knurrte Trautman. »Mike weiß schon, was er tut.« Delamere blieb tatsächlich stehen, starrte Mike aber so finster an, dass die lautlose Stimme in seinem Kopf gar nicht nötig gewesen wäre:Sagt dir der Begriffeingebildeter Rotzlöffeletwas?Mike zog es vor, nichts dazu zu sagen, sondern konzentrierte sich lieber auf die Geschehnisse am anderen Ufer des Sees. Gute fünf Minuten lang geschah scheinbar nichts und auch Astaroth rührte sich nicht mehr. Doch gerade als sich auch Mikes Geduld allmählich ihrem Ende zuzuneigen begann, kam Bewegung in die aschefarbene Gruppe. Zuerst eine, dann zwei Gestalten und schließlich ein knappes Dutzend löste sich aus den bisher reglos dastehenden Reihen und kam langsam um den See herum und auf sie zu. Etwas, das wie eine zu groß geratene Aschenflocke aussah, folgte ihnen in geringem Abstand. »Das sind Serena und Ah'Kal«, sagte er. »Und ein halbes Dutzend seiner Krieger ... Sie sind nicht besonders gut gelaunt, fürchte ich.« »Woher willst du das wissen?«, fragte Jacques. »Ich weiß es eben«, antwortete Mike. Es erschien ihm wenig ratsam, Delamere zu verraten, dass es jemanden unter ihnen gab, der die Gedanken eines Mensehen lesen konnte wie ein offenes Buch. Auch als Astaroth in seinen Gedanken hinzufügte:Sag mal, was heißt

eigentlich dämlicher Hosenscheißer? Schluss damit,antwortete Mike auf dieselbe lautlose Art, aber so scharf er konnte.Ich will nichts mehr hören!

Ich dachte nur, es würde dich interessieren, dass er -Schluss!donnerte Mike.Keinen Ton mehr!Astaroth wäre natürlich nicht Astaroth gewesen, hätte er nicht das letzte Wort zu einer patzigen Bemerkung genutzt. Trotzdem gehorchte er und hüllte sich in beleidigtes Schweigen.

Es dauerte noch eine geraume Weile, bis Serena und die Pahuma den See umrundet hatten und näher kamen. Trotz der dicken Ascheschicht auf ihren Gesichtern konnte Mike an den Bewegungen der Insulaner erkennen, wie zornig sie waren, und ihm entgingen auch keineswegs die Waffen, die Ah'Kals Begleiter in den Händen trugen. Trotzdem hielt er es schließlich nicht mehr aus, sondern rannte los und stürmte Serena auf den letzten Metern entgegen. Ohne auf ihren halbherzigen Protest zu achten, drückte er sie überschwänglich an sich und hielt sie fast eine Minute lang fest, ehe es Serena gelang, sich mit schon etwas mehr als sanfter Gewalt loszumachen.

»He, he!«, keuchte sie atemlos. »Ich freue mich ja auch, dich wieder zu sehen, aber ist das ein Grund, mich gleich zu erwürgen?«

Wenn sie wüsste, was du stattdessen jetzt lieber tun würdest,sagte Astaroth in seinen Gedanken. Mike

stieß mit dem Fuß nach ihm und Astaroth brachte sich mit einem hastigen Schritt in Sicherheit und verschwand in einer gewaltigen Staubwolke. »Wie geht es dir?«, fragte Mike Serena hastig. »Haben sie euch etwas angetan?« Anstelle der Atlanterin antwortete Ah'Kal: »Ich habe euch mein Wort gegeben, dass nicht wir über das Schicksal deiner Freunde entscheiden«, sagte er. »Ihnen wurde kein Haar gekrümmt.« »Entschuldige«, sagte Mike. »Es war nur -« Ah'Kal brachte ihn mit einer entsprechenden Geste zum Verstummen. »Ich weiß, dass es nur die Sorge um deine Freundin war, der diese Worte entsprangen«, sagte er. »Deshalb will ich sie dir verzeihen. Und ich muss gestehen, dass auch ich an euch gezweifelt habe.«

»Du hast geglaubt, wir würden nicht wiederkommen«, sagte Mike.

»Ogdy zürnt«, erwiderte Ah'Kal. Seine Hand deutete auf die beiden Flammen speienden Vulkane am Horizont, dann in die brodelnde Schwärze hinauf, die den Himmel verschlungen hatte. »Wir dachten, er hätte euch verschlungen.«

Mike wollte antworten, aber Jacques kam ihm zuvor. »Wir haben dir unser Wort gegeben«, sagte er in einem Ton, den offensichtlich nicht nur Mike nicht für ganz angemessen hielt. »Ich habe eure Götter erzürnt, indem ich an einem Ort war, den ich nicht betreten durfte. Das tut mir Leid. Aber wir waren dort draußen, an einem Ort tief unter dem Meer. Dort, wo eure Götter wohnen.« »Sind Sie wahnsinnig, Delamere?«, keuchte Trautman.

Jacques hob unwillig die Hand und fuhr zu Ah'Kal gewandt fort: »Wir haben mit ihnen geredet. Du hast Recht, Ah'Kal. Sie waren zornig, weil ich aus Unwissenheit etwas getan habe, was ich nicht hätte tun dürfen. Und doch haben sie mir verziehen und sie haben mir versprochen, dass dir und deinem Volk nichts geschehen wird.«

Mike war vollkommen fassungslos. Was hatte Jacques vor? Wusste er nicht, dass er alles nur noch viel schlimmer machen würde, wenn auch nur die winzigste Kleinigkeit geschah, die Ah'Kal bloß die Vermutung gab, dass er sein Versprechen nicht einlösen würde?

»Wenn du die Wahrheit sprichst«, sagte Ah'Kal, »warum zürnt Ogdy dann noch?«

»Er ist ein gewaltiger Gott«, antwortete Delamere ernst. »Und auch sein Zorn ist gewaltig. Er wird sich beruhigen, aber es wird noch einige Tage dauern. Doch ihr müsst keine Angst haben. Die Sonne wird die Dunkelheit wieder besiegen und niemandem wird ein Leid geschehen.«

Ah'Kal schwieg dazu. Der Panzer aus grauer Asche auf seinem Gesicht machte es unmöglich, darin zu lesen, aber Mike konnte sich lebhaft vorstellen, was in dem alten Mann vorging. Delameres Behauptung war haarsträubend. Kein Mensch auf der Welt konnte voraussagen, ob die Aktivität der Vulkane in den nächsten Stunden oder auch Tagen aufhörte, gleich blieb oder gar zunahm.

Und als wären seine Gedanken das Stichwort gewesen, trug der Wind plötzlich ein dumpfes Grollen an ihr Ohr, und als sie sich alle erschrocken herumdrehten, sahen sie einen großen, blendend weißen Feuerball, der den halben Himmel in Flammen zu setzen schien.

Das musste der große Ausbruch sein, von dem Delamere gesprochen hatte. Er war gekommen -mit einigen Stunden Verspätung zwar, aber er war gekommen.

Erst dann begriff er, dass ihnen diese Verspätung das Leben gerettet hatte. Wäre die NAUTILUS in den Mahlstrom dieser Gewalten geraten, wäre sie in Bruchteilen von Sekunden einfach zerfetzt worden. »Ogdy!«, flüsterte Ah'Kal. Sekundenlang starrte er aus weit aufgerissenen Augen in die weiße Glut, die sich immer noch höher und höher dem Himmel entgegenwälzte, dann flüsterte er noch einmal den Namen seines Feuergottes und sank langsam auf die Knie. Hinter ihm taten seine Krieger dasselbe und Mike sah aus den Augenwinkeln, wie sich auch die Pahuma auf der anderen Seite des Sees auf die Knie fallen ließen und ihren Gott um Gnade anflehten. Trautman sah die Situation etwas pragmatischer. Er griff unter die Jacke, zog das Sprechgerät heraus und versuchte Kontakt mit der NAUTILUS aufzunehmen. Im ersten Moment hörte Mike nur die schon bekannten Stör-und Pfeifgeräusche, aber dann konnte er in all dem Krachen und Piepsen doch ganz leise und verzerrt Bens Stimme erkennen. »Wir haben es gesehen«, schrie Ben. »Kommt herunter! Um Gottes willen, schnell!«

»Dazu ist keine Zeit mehr!«, antwortete Trautman. »Bringt die NAUTILUS in Sicherheit! Auf die andere Seite der Insel!« »Und was ist mit euch?«

»Uns passiert nichts«, behauptete Trautman mit einer Überzeugung, die Mike nicht annähernd teilte. »Aber es kommt eine Flutwelle! Wenn sie die NAUTILUS in der Bucht erwischt, werdet ihr zerschmettert. Bringt das Schiff aufs Meer hinaus!« »Sie sollen sich beeilen«, fügte Delamere hinzu. »Sie haben wahrscheinlich nicht einmal eine halbe Stunde Zeit.«

»Ich habe es verstanden«, sagte Ben, ehe Trautman Jacques' Worte wiederholen konnte. »Dann verliert keine Zeit mehr«, sagte Trautman. »Wir treffen uns unten am Strand, wenn alles vorbei ist.«

»Wenn es dann noch einen Strand gibt«, murmelte Delamere.

»Ihr Pessimismus kommt ein bisschen spät«, sagte Mike. »Haben Sie nicht gerade behauptet, dass uns nichts geschehen könnte?« »Und was hätte ich sagen sollen?«, fauchte Jacques.

»Dass wir es versucht haben, es aber nicht funktioniert hat? Dann hätten uns diese Wilden doch gleich umgebracht!«

Er sprach so laut, dass Ah'Kal eine gute Chance hatte, seine Worte zu verstehen. Mike sah den Pahuma erschrocken an, aber der alte Insulaner reagierte nicht, sondern fuhr fort seine Götter um Gnade anzuflehen.

»Außerdem hat es funktioniert«, fuhr Delamere fort. Er klang jetzt trotzig. »Das da hinten hätte genauso gut auch hier passieren können!« »Sagen Sie mir nur eins«, sagte Trautman. »Sind wir hier in Sicherheit oder nicht?«

»Vielleicht«, antwortete Jacques und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Der Ausbruch ist weit entfernt, aber so etwas habe ich noch nie erlebt.« »Wie beruhigend«, murmelte Mike. Er sah wieder nach Norden. Aus dem Weiß war ein unheimliches, mit Gelb durchsetztes Rot geworden, das sich immer und immer noch höher in den Himmel emporwälzte. Der Ausbruch war weit entfernt. Und trotzdem ...Die Höhlen,sagte Astaroth in seinen Gedanken. »Höhlen?«

Es gibt große Höhlen oben im Inneren des Vulkankraters,erklärte Astaroth.Groß genug für euch alle.Delamere hatte das Wort gehört, das er versehentlich laut ausgesprochen hatte. Jetzt erschien ein verblüffter Ausdruck auf seinem Gesicht. »Die Höhlen«, murmelte er. »Natürlich! Die Höhlen!« Aufgeregt fuhr er zu Ah'Kal herum und sprudelte regelrecht los: »Die Höhlen, Ah'Kal! Wir müssen in die Höhlen, oben im Heiligen Krater!« Ah'Kal unterbrach sein gemurmeltes Gebet und sah mit undeutbarem Gesicht zu ihm hoch. Er sagte nichts, aber Jacques fuhr noch aufgeregter fort: »Ogdys Zorn wird diese Insel treffen, aber er bietet seinen Kindern auch Schutz! Wir müssen in die Höhlen hinauf! Ogdy selbst wird uns vor dem Zorn der Elemente beschützen!«

Der Pahuma dachte noch eine Sekunde lang angestrengt nach, dann kam er sichtlich zu einem Entschluss. Er stand auf, sagte einige Worte in seiner Muttersprache zu seinen Männern und wandte sich dann wieder an Mike und die anderen. »Folgt mir!« »Schnell«, fügte Delamere hinzu. Mike schenkte ihm einen bösen Blick, sagte aber nichts, sondern ergriff Serenas Arm und schloss sich Ah'Kal und den anderen an, die ein überraschend hohes Tempo vorlegten, sodass sie beinahe rennen mussten um mit ihnen Schritt zu halten.

Sie umrundeten den See zur Hälfte und schon von weitem rief Ah'Kal seinem Stamm etwas zu und gestikulierte dabei zum Gipfel des Vulkanberges hinauf, woraufhin die Pahuma ihr Gebet unterbrachen und sich ebenfalls in aller Hast auf den Weg machten. Zusammen mit Singh und den restlichen Gefangenen machten sie sich an den Aufstieg.

Wie sich zeigte, hatte sich Delamere gleich in zweifacher Hinsicht geirrt: Sie hatten sehr viel weniger Zeit als eine halbe Stunde und sie befanden sichkeineswegsin Sicherheit.

Der Aufstieg zum Krater hinauf dauerte nicht sehr lange, aber schon eine ganze Weile, bevor sie dessen Rand erreichten, stürzte ein roter Feuerball vom Himmel und schlug wie eine Bombe auf der Flanke des Berges tief unter ihnen ein. Er war weit entfernt, sodass sie nicht in Gefahr waren, aber dem ersten Lavabrocken folgte ein zweiter, ein dritter und vierter und schließlich begannen vom Himmel regelrecht brennende Steine zu regnen, die überall auf dem Berg einschlugen und dabei rot glühende Lavatropfen verspritzten. Trotz der Gefahr, auf dem schlüpfrigen Untergrund auszugleiten und zu stürzen, begannen sie zu rennen, um dem immer dichter werdenden Bombardement zu entgehen. Dann und wann stürzte tatsächlich einer von ihnen und einmal schlug ein Lavabrocken in ihrer unmittelbaren Nähe ein und explodierte in einem Funkenschauer, dem ein Chor gellender Schmerzensschreie folgte. Mike warf im Laufen einen gehetzten Blick über die Schulter zurück. Das Dorf der Pahuma brannte. Offensichtlich hatten glühende Gesteinsbrocken die einfachen Palmhütten getroffen und in Brand gesetzt, und gerade in diesem Moment schlug eines der himmlischen Geschosse in den See ein und ließ eine zwanzig Meter hohe Wassersäule aufsteigen. »Schneller!«, schrie Delamere. »Das Schlimmste kommt erst noch!«

Mike fragte sich, was denn noch schlimmer kommen konnte, versuchte aber trotzdem schneller zu laufen. Der Regen aus Lavabrocken wurde immer dichter und es kam Mike mittlerweile fast wie ein Wunder vor, dass noch niemand ernsthaft verletzt oder gar getötet worden war.

Der Kraterrand lag nur noch wenige Meter über ihnen, als Mike ein unheimliches Grollen und Rumoren hörte. Er warf erneut einen Blick über die Schulter zurück, und was er sah, das ließ ihn innerlich vor Entsetzen aufstöhnen: Der Himmel war nicht mehr vollkommen schwarz, es herrschte nun ein trübgraues, Farben fressendes Zwielicht, sodass er die gigantische Wasserwand sehen konnte, die sich der Insel von Norden her näherte.»Schnell!«,brüllte Jacques.

Mike beschleunigte seine Schritte noch einmal, setzte mit einem Sprung über den Kraterrand hinweg und schlitterte auf der Innenseite wieder hinunter. Kaum hatte er es geschafft, da war es, als ob die gesamte Insel unter einem gewaltigen Schlag erbebte. Ein unvorstellbar lautes Brüllen und Heulen hob an, und als Mike nach oben blickte, sah er, wie einer von Ah'Kals Kriegern, der den Abschluss bildete, wie von einer unsichtbaren Hand ergriffen und in die Höhe gerissen wurde. Hilflos wie ein Blatt im Sturm wurde er davongeschleudert, bis er schließlich fast in der Mitte des Kratersees ins Wasser stürzte. Die ungeheure Druckwelle, die der Vulkanausbruch verursacht hatte, hatte die Insel getroffen. Ein unvorstellbarer Sturmwind tobte über den Krater hinweg und rüttelte wie mit unsichtbaren Riesenfäusten am Fels. Sie waren nicht einmal hier drinnen in Sicherheit. Der Vulkan schützte sie vor der unmittelbaren Wucht der Druckwelle, aber trotzdem bildeten sich gefährliche, ungemein starke Wirbel und Soge, die sie alle von den Füßen fegte. Faustgroße Steine wurden in die Höhe gerissen und prasselten wie todbringender Hagel auf sie nieder und der ganze Berg zitterte und bebte immer heftiger. Mike schlitterte hilflos wie die anderen in den Krater hinab, schlug unsanft auf seinem Grund auf, schlitterte noch ein Stückchen weiter und rutschte bis über die Hüften ins Wasser, ehe es ihm endlich gelang, seinen Sturz zu bremsen.

Hastig rappelte er sich auf. Sein erster Blick galt Serena, aber sie hatte mehr Glück gehabt als er. Sie war zwar ebenso gestürzt wie alle anderen, stand aber bereits wieder auf den eigenen Beinen und schien nur ein paar harmlose Kratzer abbekommen zu haben.

Ein mehr als kopfgroßer Lavabrocken stürzte fast senkrecht vom Himmel und schlug in den Kratersee ein. Nur eine Handbreit neben Mike traf ein Spritzer rot glühenden, halbflüssigen Gesteins den Boden. Mike keuchte vor Schrecken, sprang hastig hoch und rannte geduckt los. Der Regen aus glühender Lava und Felstrümmern wurde immer dichter. Verzweifelt hielt er nach dem Höhleneingang Ausschau, von dem Astaroth und Jacques gesprochen hatten. Er war nicht einmal sehr weit entfernt, aber so schmal, dass er ihn wahrscheinlich glatt übersehen hätte, wäre er nicht einfach den Pahuma gefolgt, die einer nach dem anderen in der kaum meterbreiten Spalte verschwanden.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis auch er an der Reihe war, aber sie kamen ihm vor wie eine Ewigkeit. Der Berg unter ihren Füßen zitterte immer noch. Kreisförmige Wellen peitschten die Oberfläche des Sees in immer rascherer Folge. Die Druckwelle, die die Insel in ihren Grundfesten erschüttert hatte, war vorüber, aber nun raste ein wahrer Höllensturm über den Krater hinweg, der jede Verständigung einfach unmöglich machte, und der Regen tödlicher Lavabrocken wurde immer dichter. Aber sie hatten Glück. Zwei Pahuma und einer von Delameres Männern trugen leichtere Verletzungen davon und auch Mike musste sich einmal mit einem gewaltigen Satz in Sicherheit bringen, als ein Klumpen rot glühender Lava unangenehm nahe auseinander spritzte, aber schließlich befand auch er sich im Schutz der Höhle.

Sofort hielt er nach Serena Ausschau. Er entdeckte sie im hinteren Teil der niedrigen, aber erstaunlich geräumigen Höhle, wo sie sich mit Trautman und Singh unterhielt. Einige Pahuma hatten Fackeln entzündet, die zwar sofort die Luft zu verpesten begannen und das Atmen schwer machten, aber für hinlängliche Beleuchtung sorgten. Obwohl die Höhle recht groß war, hatte Mike alle Mühe, zu Serena und den anderen vorzudringen. Zusammen mit Delameres Leuten hielten sich über hundert Personen in der aus Lava geformten Höhle auf, von denen nicht wenige verletzt waren. Nur mit einiger Mühe gelang es Mike überhaupt, sich zu Serena und den anderen durchzukämpfen.

»Alles in Ordnung?«, fragte er. Trautman nickte. »Ja, auch wenn ich nicht weiß, wie lange noch.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe ja schon eine Menge verrückter Dinge erlebt, aber mich in einem Vulkankrater zu verstecken, um vor einem Vulkanausbruch in Sicherheit zu sein ... also das ist verrückt!«

»Hauptsache, es ist sicher«, sagte Singh. Er wirkte ein bisschen nervös. Wie um sich selbst zu beruhigen, fügte er hinzu: »Delamere wird schon wissen, was er tut. Immerhin ist er Spezialist auf diesem Gebiet.« »Wo ist er überhaupt?«, fragte Serena. Mike sah dorthin, wo sich Jacques' Frau und die übrigen Mitglieder seiner Expedition aufhielten. Delamere war jedoch nicht dort, sondern befand sich bereits wieder am Ausgang der Höhle. »Was macht er da?«, wunderte sich Trautman. Draußen schien die Welt unterzugehen. Der Sturm hatte die Wolken davongefegt und das Licht war jetzt eher rot als grau. Trümmer und Lavabrocken regneten vom Himmel und der Boden zitterte noch immer. »Sind wir hier sicher?«, fragte Mike und trat neben den Vulkanologen.

Delamere hob die Schultern, ohne ihn auch nur anzusehen. »Für eine Weile«, sagte er. »Das kommt darauf an.«

»Worauf?«, hakte Trautman nach. Delamere zuckte erneut mit den Schultern. Diesmal sagte er gar nichts.

Trautman schwieg ebenfalls und sah wie Delamere und Mike hinaus. Er wirkte nicht minder besorgt als Delamere, aber nach einigen Augenblicken erschien ein nachdenklicher Ausdruck auf seinem Gesicht. Mike konnte nicht genau sagen, wohin er blickte, aber seine Aufmerksamkeit schien nun nicht mehr allein dem Sturm und den Trümmerbrocken zu gelten, die vom Himmel regneten.

»Was haben Sie?«, fragte Mike alarmiert. »Ich weiß nicht«, gestand Trautman. »Aber irgendetwas ...« Er brach ab, zuckte mit den Schultern und trat wieder einen Schritt zurück. »Ich komme nicht darauf.«

»Das gefällt mir nicht«, murmelte Jacques. »Es müsste aufhören, aber es scheint immer schlimmer zu werden.«

»Was heißt das?«, fragte Mike erschrocken. »Dass der Vulkan ausbricht? Während wirhier drinnensind? « Bei den letzten Worten hatte seine Stimme eindeutig hysterisch geklungen, selbst in seinen eigenen Ohren.

»Wenn der Vulkan ausbricht«, sagte Delamere betont, »spielt es keine Rolle, wo wir sind. Dann bleibt nämlich von dieser Insel nichts mehr übrig. Aber das wird er nicht.«

Ogdys Zorn verschonte sie tatsächlich; zumindest für die nächste halbe Stunde. Der Sturm wurde für eine kurze Weile noch schlimmer und verlor dann allmählich an Kraft und der tödliche Steinregen hörte ebenfalls langsam, aber sicher auf. Mike hatte Delamere nicht noch einmal gefragt, wie er ihre Chancen einschätzte, lebendig hier herauszukommen, und auch von den anderen hatte keiner eine entsprechende Frage gestellt. Es war überhaupt fast unheimlich still in der Höhle geworden. Von draußen drang weiter das Heulen des Sturmes und das entfernte Grollen des Vulkans herein, aber niemand sprach. Selbst die Gebete der Pahuma waren zu einem gemurmelten Singsang herabgesunken, der sich fast wie ein natürliches Geräusch in das Heulen des Sturmes und das Grollen der protestierenden Erde einfügte.

Ob es nun Zufall war -das Ergebnis dessen, was die NAUTILUS getan hatte, oder die Antwort auf die Gebete der Insulaner -, nach und nach verebbte der Sturm. Der Lavaregen hörte auf und dann verstummte auch der Vulkan.

Schließlich wagten sie es, die Höhle am Ufer des Kratersees wieder zu verlassen und abermals zum Kraterrand hinaufzusteigen.

Es war ein unheimlicher Anblick. Mikes Herz klopfte bis zum Hals, als er neben Serena auf den Grat hinaustrat und nach unten blickte. Er wusste nicht, was er erwartet hatte -aber die Wirklichkeit war schlimmer.

Der Himmel hatte eine bleigraue, unangenehme Färbung angenommen und er schien so tief zu hängen, dass man fast meinte ihn anfassen zu können, wenn man den Arm ausstreckte. Das Meer, das noch vor einer halben Stunde in Aufruhr gewesen war, lag glatt und reglos wie ein zerkratzter matter Spiegel da und statt einer Flammenwand stieg nun im Norden eine gewaltige brodelnde Säule aus weißem Rauch in den Himmel.

Die Insel selbst hatte ihr Aussehen so vollkommen verändert, dass sich Mike im ersten Moment ernstlich fragte, ob sie den Krater vielleicht auf der falschen Seite verlassen hatten. Der Strand war buchstäblich leer gefegt. Wo vorhin noch Sand gewesen war, da erblickte er jetzt nackten, feucht glänzenden Fels, von dem die Flutwelle und der nachfolgende Vulkan auch noch den letzten Krümel Sand heruntergefegt hatten. Das Meer reichte jetzt ein gutes Stück weiter ins Innere der Insel als noch am Morgen und der Fluss und der kleine See an seinem Ende waren unter Tonnen von Sand und Felsgestein verschwunden. Der allergrößte Teil der Palmen dort unten war entwurzelt und umgestürzt; die wenigen Bäume, die stehen geblieben waren, zeigten nur noch nackte Stämme. An Dutzenden von Stellen stiegen schwarze oder graue Rauchsäulen in den Himmel, wo sich brennende Lavabrocken in den Boden gebohrt hatten. Und das Pahuma-Dorf selbst ... war verschwunden.

Mike hatte erwartet, es verwüstet oder vollkommen niedergebrannt vorzufinden, aber es wareinfach nicht mehr da.Nicht ein einziges Trümmerstück war zu sehen, kein Blatt, kein Holzsplitter, nichts. Die gesamte Flanke des Berges glänzte wie frisch poliert. »Wenigstens ist die Asche nicht mehr da«, sagte Serena.

Sie lächelte bei diesen Worten und Mike war klar, dass sie versucht hatte die Situation mit einem Scherz zu entspannen. Aber sie war nervös. Der Klang ihrer Stimme verdarb ihr den gewünschten Effekt und auch Mike war ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Und das lag nicht nur an dem furchtbaren Anblick.

Mike traute der unheimlichen Stille nicht. Es war keine normale Ruhe. In der Luft lag eine fast greifbare Spannung, so als ... als hielte die Natur selbst den Atem an.

Ganz langsam begannen sie den Abstieg zum Plateau. Auch die Pahuma verhielten sich sehr still. Vermutlich waren sie ebenso erschüttert wie Mike, ihre Heimat nicht einfach nur zerstört, sondern im wahrsten Sinne des Wortesausgelöschtzu sehen. Trotzdem registrierte Mike zugleich voller Erleichterung, dass die Insulaner ihm und den anderen Gefangenen nun keinerlei Beachtung mehr zu schenken schienen. Auf halbem Wege hinunter zum See zog Trautman das Sprechgerät unter seiner Jacke heraus und versuchte Kontakt zur NAUTILUS aufzunehmen, erntete aber nur die schon bekannten Störungen. Mike sagte nichts dazu, registrierte es aber mit einem Gefühl neuerlicher Sorge. Jacques hatte erklärt, dass die Störungen an irgendwelchen elektrischen Feldern lägen, die durch die Aktivität der Vulkane ausgelöst werden würden. Wenn sie anhielten, dann bedeutete das, dass vielleicht auch die Vulkane noch nicht ganz so erloschen waren, wie es den Anschein hatte.

Kurz bevor sie das Ufer des Sees erreichten, blieb Ah'Kal stehen und auch die anderen Pahuma hielten an und nahmen hinter ihm Aufstellung. Trautman, Mike und die beiden anderen wagten es nicht, den Häuptling anzusprechen, als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht sahen. Zum ersten Mal nach langer Zeit wieder hielt Mike nach Astaroth Ausschau, konnte ihn aber nirgendwo sehen. Delamere übrigens auch nicht.

Lange Zeit geschah gar nichts. Ah'Kal stand wie zur Salzsäule erstarrt da und blickte dorthin, wo seine Heimat gewesen war. Auf seinem Gesicht rührte sich kein Muskel. Er blinzelte nicht einmal. Schließlich räusperte sich Mike leise und sagte: »Es tut mir unendlich Leid, Ah'Kal. Ich ... ich wollte, ich könnte etwas für euch tun.«

»Es ist nicht eure Schuld«, antwortete Ah'Kal, ohne den Blick von der Stelle am anderen Ufer des Sees, an dem sein Dorf gestanden hatte, zu lösen. »Die Götter haben uns geprüft. Es war nicht das erste Mal und es wird nicht das letzte Mal sein. Sie haben uns das Leben gelassen, und das allein zählt.« Mike wusste im ersten Moment wirklich nicht, was er sagen sollte. Es lag ihm auf der Zunge, Ah'Kal zu sagen, dass das, was hier passiert war, nichts mit dem Wirken irgendwelcher Götter zu tun hatte, aber er tat es nicht. Trotz allem sprach aus den Worten des alten Mannes eine Weisheit, die ihn schaudern ließ. »Können wir euch irgendwie helfen?«, fragte Trautman.

Ah'Kal schüttelte den Kopf. »Ogdy wird uns beschützen«, sagte er überzeugt. »Wird er euch auch etwas zu essen geben?«, fragte Singh. »Es wird ein Jahr oder länger dauern, bis hier wieder irgendetwas wächst.«

»Dann wird uns das Meer ernähren«, antwortete Ah'Kal. »Ich danke euch für euer Angebot, doch wir brauchen es nicht.«

Singh setzte dazu an, erneut zu widersprechen, kam jedoch nicht dazu, weil Serena in diesem Moment wie zufällig einen Schritt zur Seite trat und ihm dabei so kräftig auf die Zehen stieg, dass sich seine Augen weiteten. Mike warf ihr einen dankbaren Blick zu und Ah'Kal, der das Manöver aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, lächelte flüchtig. Mike sah wieder in den Himmel. Die Wolkendecke war dichter geworden und sie schien jetzt noch niedriger über der Insel zu hängen. Die Spannung, die er die ganze Zeit über schon zu spüren glaubte, hatte zugenommen; fast wie das elektrische Knistern, das manchmal vor einem besonders schweren Gewitter zu spüren war.

Ah'Kal löste sich endlich aus der Erstarrung, in der er die ganze Zeit über dagestanden hatte, und begann mit gemessenen Schritten den See zu umrunden. Mike fiel an dem Wasser des kreisrunden Sees etwas auf, aber er wusste nicht, was es war nur eben, dass etwas nicht stimmte.

Erst als sie den See zur Hälfte umrundet hatten, wurde ihm klar, was es war. Das Wasser. Es hatte seine Farbe geändert. Bisher war grau gewesen, manchmal mit einem Schimmer von Blau oder Türkis, je nachdem, welche Farbe der Himmel hatte, den es widerspiegelte. Jetzt hatte es einen intensiven, fast unnatürlichen Grünton. Ein ganz leichter Nebel schien über dem See zu hängen und plötzlich fiel ihm auch der Geruch auf: Ein schwacher, aber trotzdem durchdringender, irgendwie ... saurer Geruch, der allmählich zuzunehmen schien.

»Das Wasser ...«, murmelte er. Trautman warf ihm einen fragenden Blick zu. »Was?«

»Das Wasser!«, wiederholte Mike lauter. »Irgendetwas stimmt mit dem See nicht!« Trautman folgte seinem Blick, runzelte die Stirn -und wurde plötzlich kreideweiß. »Großer Gott!«, flüsterte er.

Gleichzeitig blieb er so abrupt stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand geprallt. »Was bedeutet das?«, fragte Mike erschrocken. »Trautman!«

Trautman antwortete ihm nicht, sondern war mit einem Satz bei Ah'Kal und riss ihn fast grob an der Schulter herum. Zwei oder drei von Ah'Kals Kriegern traten drohend näher, aber Trautman ignorierte sie einfach.

»Geht nicht weiter!«, keuchte er. »Weg vom See! Wir müssen hier weg!«

Ah'Kal sah ihn verwirrt an. »Ich verstehe nicht -« »Ich erkläre es euch, aber später!«, unterbrach ihn Trautman. »Jetzt müssen wir hier weg! Schnell! Wir werden alle sterben, wenn wir dem See zu nahe kommen!«

Ah'Kal sah ihn zweifelnd an. »Dieser See ist der Spender unseres Lebens.«

»Und das wird er auch wieder«, sagte Trautman gehetzt. »Aber nicht jetzt! Er bringt den Tod, bitte glaub mir!«

Ah'Kal wirkte nicht überzeugt, doch vielleicht zum ersten Mal, seit dieses Chaos begonnen hatte, kam ihnen das Schicksal zu Hilfe.

Auf der anderen Seite des Sees erklang ein schrilles Bellen und als Mike in die entsprechende Richtung sah, erblickte er einen kleinen Hund, der kläffend am Seeufer entlang auf sie zugeeilt kam; wahrscheinlich gehörte er einem der Insulaner, war aber von ihm getrennt worden, als der Sturm losbrach.

Er kam nur wenige Schritte weit. Mike sah genau, was geschah. Der Hund rannte schwanzwedelnd auf sie zu und kam dabei dem See so nahe, dass das grün schimmernde Wasser unter seinen Pfoten aufspritzte. Kaum aber war er in den Bereich des unheimlichen Nebels eingedrungen, der von der Oberfläche des Sees aufstieg, da hörte er auf, mit dem Schwanz zu wedeln. Seine Schritte wurden unsicher. Er stolperte, fiel hin, rappelte sich mühsam wieder hoch und stolperte wieder. Aus seinem freudigen Kläffen wurde ein Jaulen, dann ein schwächer werdendes Wimmern. Er stolperte wieder, fiel hin und blieb schließlich reglos liegen. Mike wusste sofort, dass er tot war. »Ogdy!«, flüsterte Ah'Kal entsetzt. »Das hat nichts mit eurem Gott zu tun«, sagte Trautman brutal. »Aber wir werden alle sterben, wenn wir hier bleiben!«

Ah'Kal ließ noch eine endlose Sekunde verstreichen, aber dann nickte er grimmig, drehte sich auf der Stelle herum und machte eine befehlende Geste und sein gesamter Stamm wandte sich um und entfernte sich wieder vom Kratersee. Erst als sie wieder gute hundert oder hundertfünfzig Schritte weit den Berg hinaufgestürmt waren, blieben sie stehen. Mike verspürte erneut ein kurzes, aber eisiges Frösteln, als er zum See hinabblickte. Aus der Höhe betrachtet wirkte er noch viel unheimlicher. Die giftgrüne Färbung des Wassers schien noch viel intensiver geworden zu sein und die Nebelschwaden, die von seiner Oberfläche aufstiegen, wirkten viel dichter, fast wie rauchige Arme, die mit unsicheren, blinden Bewegungen nach neuen Opfern tasteten. »Was ... was ist das?«, murmelte Mike entsetzt.

»Gas«, antwortete Trautman hart. »Das Wasser hat seine chemische Zusammensetzung geändert. Es ist jetzt eine tödliche Säure. Wenn du hineinspringen würdest, würde es dir in ein paar Sekunden das Fleisch von den Knochen ätzen! Außerdem setzt der See ein tödliches Gas frei -wie wir ja gerade mit eigenen Augen gesehen haben.«

»Aber ... aber wie ist denn das möglich?!«, fragte Serena stockend.

»So ungewöhnlich ist das gar nicht«, antwortete Trautman. »So etwas passiert oft, bevor oder nachdem ein Vulkan ausbricht. Es hat schon Hunderte von Toten in solchen Fällen gegeben.« Seine Miene verdüsterte sich. »Wäre es hier nicht so vollkommen windstill, dann wären wir alle jetzt vielleicht auch schon tot. Du hast gesehen, wie schnell das Gas wirkt! Ich begreife nicht, wieso uns Delamere nicht gewarnt hat! Er hätte es sofort sehen müssen!« »Wo ist er überhaupt?«, fragte Serena. »Jacques?« Mike sah sich suchend um, zuckte aber nur mit den Schultern. »Keine Ahnung.« Wenn er es recht bedachte, hatte er ihn gar nicht mehr gesehen, seit sie den Krater verlassen hatten. Genauer gesagt: Seit sie die Höhle verlassen hatten. »Wie lange wird das andauern?«, fragte Serena und deutete auf den See.

Als Trautman antworten wollte, zitterte der Boden unter ihren Füßen; ganz sacht nur, aber spürbar. Und in der nächsten Sekunde kam auch in die Oberfläche des Sees Bewegung. Wellen kräuselten das Wasser, dann stiegen eine Anzahl faustgroßer, ölig schimmernder Blasen an seine Oberfläche und zerplatzten. Aus ihrem Inneren drang grauer Dunst, der sich mit der trägen Nebelschicht verband, die über dem See schwebte.

Und was das Schlimmste war: Mike spürte eine ganz sanfte, warme Berührung im Gesicht. Wind.

Die Luft war nicht mehr still. Vom Meer her war ein ganz leichter Wind aufgekommen. Der Gasnebel über dem See begann sich zu bewegen. Noch sehr langsam. Der Wind hatte noch nicht genug Kraft, das Gas, das viel schwerer war als Luft, nennenswert zu bewegen, aber wenn er auch nur ein bisschen zunahm, dann würde er die tödlichen grauen Schwaden genau in ihre Richtung treiben!

Trautman hatte die Gefahr wohl im selben Moment begriffen wie er, denn er wandte sich mit einem erschrockenen Laut an Ah'Kal und deutete gleichzeitig zum Krater hinauf. »Wir müssen hier weg!«, keuchte er. »Schnell! Wenn der Wind zunimmt, dann werden wir alle sterben!«

Ah'Kal reagierte im ersten Moment gar nicht. Sekunden vergingen, in denen er nichts tat als dazustehen und aus aufgerissenen Augen auf die grauen Schwaden über dem See zu starren. Seine Lippen zitterten. »Ogdy hat unsere Gebete nicht erhört«, flüsterte er. »Aber warum? Was haben wir falsch gemacht? Warum zürnt Ogdy seinen Kindern?« Mike blickte mit klopfendem Herzen weiter auf den See hinab. Die graue Nebelbank wuchs so schnell, dass man dabei zusehen konnte. Wogende Ausläufer des Nebels griffen wie Schlangenarme mit unzähligen Fingern auf das Ufer hinauf und begannen sich in ihre Richtung zu tasten. Der Wind nahm zu. »Ah'Kal, bitte!«, sagte Trautman eindringlich. »Es sind nicht eure Götter, die euch zürnen. Das da ist nur eine Naturkraft, die außer Kontrolle geraten ist, glaub mir! Ich kann es dir erklären, aber es geht nicht, wenn wir alle tot sind!« Der alte Häuptling sah ihn traurig an. »Warum müsst ihr immer an allem zweifeln?«, fragte er. »Selbst wenn ihr es mit eigenen Augen seht? Was sind die Götter anderes als die Kräfte der Natur?« »Vielleicht hast du sogar Recht«, sagte Serena hastig. »Doch selbst wenn es so ist, kann es nicht der Wille eurer Götter sein, dass ihr einfach aufgebt und auf den Tod wartet! Ogdy hat euch nicht verschont, damit ihr resigniert, sondern damit ihr um euer Leben kämpft!«

Noch einmal zögerte Ah'Kal und sah Serena lange und durchdringend an. Schließlich senkte er den Kopf zu einem schweren, aber entschiedenen Nicken. »Du hast Recht«, sagte er. »Es ist nicht Ogdys Wille, dass wir hier auf den Tod warten. Wäre es das, hätte er uns schon oben am Heiligen See getötet.« »Worauf warten wir dann noch?«, fragte Trautman. »Wir müssen zurück zum Krater! Dort oben kann uns das Gas nicht erreichen!«

Endlich setzten sie sich in Bewegung. Es kam Mike fast absurd vor, dass sie nun denselben Weg wieder hinaufrannten, den sie gerade erst vorsichtig hinunterbalanciert waren. Und auch Ogdy -oder wer auch immer die Regie in diesem Drama führte -schien nicht unbedingt damit einverstanden zu sein. Der Berg zitterte noch immer. Mike war nicht sicher, ob das Zittern wirklich zugenommen hatte oder er es sich nur einbildete, aber er war jetzt vollkommen sicher, ein dumpfes Grollen und Knirschen zu hören, das tief aus dem Schoß der Erde heraufdrang; als zerbrächen dort unten Felsen von der Größe einer Stadt. Oder als versuche etwas, sich mit unwiderstehlicher Gewalt seinen Weg zur Erdoberfläche hinaufzubahnen ...

Mike sah wieder nach Norden. Die beiden Rauchsäulen am Horizont hatten sich nicht verändert. Aber er hatte ja schon mehr als einmal erlebt, wie jäh die Erde wieder beginnen konnte Feuer zu speien. Er fragte sich, was sie tun sollten, wenn der giftige Atem des Sees sie auch dort oben am Krater erreichen sollte oder der zweite Kratersee im Inneren des Berges ebenfalls anfing giftiges Gas zu speien. Wo war nur Jacques? Delamere hätte ihnen vielleicht sagen können, was sie tun mussten um in Sicherheit zu sein. Aber der Vulkanologe war und blieb verschwunden.

Sie erreichten wieder den Gipfel des Vulkans. Mike erschrak, als er in den Krater hinabblickte. Auch das Wasser des zweiten Kratersees schimmerte in einem unheimlichen, giftigen Grün, über dem eine dunstige Nebelschicht hing. Sie war nicht annähernd so dicht wie die unten und sie wuchs auch nicht in so erschreckendem Tempo, aber Mike zweifelte nicht daran, dass sie trotzdem genauso tödlich war. Hier würden sie keinen Schutz finden.

Sein Blick irrte verzweifelt umher. Der Wind hatte weiter zugenommen und trieb den tödlichen Nebel rascher den Berg hinauf. Was sollten sie tun, wenn er tatsächlich bis hierher kam? Das Schicksal des Hundes hatte ihnen deutlich gezeigt, wie schnell das Gas wirkte ...

»Um Gottes willen!«, keuchte Serena plötzlich. »Da! Delamere!«

Ihr ausgestreckter Arm deutete in den Krater hinab, und als Mikes Blick der Geste folgte, stockte auch ihm für einen Moment der Atem.

Jacques war genau in diesem Augenblick aus der Höhle getreten, in der sie vorhin alle gemeinsam Schutz gesucht hatten. Seine Hände und Arme waren bis über die Ellbogen hinauf mit Schlamm verschmiert. Er erstarrte, als er den See sah. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck puren Entsetzens. »Aber natürlich ...«, murmelte Trautman. Er machte eine Bewegung, als wolle er sich mit der Hand auf die Stirn schlagen, führte sie aber nicht zu Ende. »Blauer Ton! Warum habe ich es nicht gleich begriffen?!« »Blauer Ton?«, wunderte sich Mike. »Später!« Trautman winkte ab, bildete mit beiden Händen einen Trichter vor dem Mund und schrie aus Leibeskräften: »Jacques! Kommen Sie her! Schnell! Das Gas kommt den Berg herauf!«

Es war nicht einmal zu erkennen, ob Delamere seine Worte überhaupt hörte oder die Gefahr, in der er schwebte, in diesem Moment von selbst begriff. Auf jeden Fall fuhr er plötzlich herum, stürmte ein paar Schritte den Hang hinauf und wandte sich dann in ihre Richtung.

Der Berg bebte, schüttelte Delamere ab wie ein Hund ein lästiges Insekt und stieß ein unheimliches, knirschendes Grollen aus. Mike behielt nur mit großer Mühe das Gleichgewicht, sah aber, wie Jacques hilflos wieder in den Krater hinunterkugelte und schließlich mit einem gewaltigen Platschen im Wasser landete.

Aber das Wunder geschah: Delamere musste wohl geistesgegenwärtig genug gewesen sein, den Atem anzuhalten, denn er sprang nach kaum einer halben Sekunde wieder auf die Füße und rettete sich mit einem gewaltigen Satz ans Ufer. Seine Hosenbeine qualmten. Das Wasser, das sich in ätzende Säure verwandelt hatte, begann den Stoff aufzulösen und Mike wagte sich gar nicht vorzustellen, wie Jacques' Beine darunter aussahen. Trotzdem rannte Delamere, so schnell er konnte, um den See herum. Seine Beine verschwanden dabei bis über die Knie in grauem Nebel, der nun auch aus diesem See immer schneller emporstieg, aber da das Gas schwerer als Luft war, blieb er von seiner tödlichen Wirkung noch verschont.

»Verschwindet!«, schrie er. »Rettet euch! Der Vulkan bricht aus!«

Wie um seine Worte zu bestätigen, erbebte die Insel in diesem Augenblick unter einem weiteren, noch heftigeren Schlag. Diesmal wurde Mike von den Füßen gerissen und nur Singhs rasches Zugreifen bewahrte ihn davor, zu Delamere in den Krater hinuntergeschleudert zu werden. Das Zittern und Beben des Berges hielt an und das Grollen des erwachenden Vulkans war nun so laut, dass eine Verständigung fast unmöglich wurde.

Unter den Pahuma brach endgültig Panik aus. Niemand musste sie mehr auffordern, sich in Sicherheit zu bringen. Ihre Ergebenheit ihrem Feuergott gegenüber reichte wohl doch nicht so weit, dass sie in aller Ruhe stehen blieben und auf Ogdys Gnade vertrauten. Schreiend und in kopfloser Flucht stürmten sie den jenseitigen Hang des Berges hinunter und Delameres Leute schlossen sich ihnen an. Nur Delameres Frau, Mike und die drei anderen blieben noch für einen Moment zurück.

»Rennt!«, brüllte Delamere. »Bringt euch in Sicherheit! Ich schaffe es schon!«

Mike bezweifelte das. Der See hinter Jacques brodelte und

zischte mittlerweile wie ein Kochtopf, der zu lange auf dem Herd gestanden hatte, und überall im Fels des Kraterinneren entstanden plötzlich Risse, aus denen Geysire aus kochendem Dampf quollen. Delamere hatte Recht: Der Vulkan brach aus. »Weg hier!«, schrie Trautman. »Schnell!« Singh und Serena wandten sich auch sofort um, aber Delameres Frau rührte sich nicht von der Stelle, sondern machte sogar Anstalten, in den Krater hinunter zu ihrem Mann zu klettern. Trautman riss sie gewaltsam zurück, brauchte aber trotzdem noch Singhs Hilfe, um sie dazu zu bewegen, den Kraterrand zu verlassen. Serena und Mike schlossen sich ihnen an, aber nicht, ohne noch einen letzten Blick in den Krater hinunter geworfen zu haben. Beinahe wünschte sich Mike, es nicht getan zu haben. Der See brodelte und zischte immer heftiger und tief am Grunde des giftgrünen Wassers war ein neues, grellrotes Licht erschienen, das rasend schnell an Intensität zunahm. Delamere hatte bereits die Hälfte des Hanges erklommen, hatte aber auf dem immer heftiger zitternden Boden mehr und mehr Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Mike kam sich fast vor wie ein Verräter, ihn einfach im Stich zu lassen. Aber es gab nichts, was sie für ihn tun konnten. So schnell, wie es der immer heftiger zitternde Boden zuließ, stürmten sie den lavabedeckten Hang hinunter. Das unheimliche Grollen wurde immer lauter und nun mischte sich noch ein immer lauter und schriller werdendes Pfeifen hinein, das ihre Ohren marterte. Plötzlich wurde das Licht rot. Ein ungeheueres Donnern und Krachen erklang und Mike konnte regelrecht spüren, wie die gewaltige Spannung des Berges unter ihren Füßen wich. Im Laufen drehte er den Kopf und sah zum

Gipfel

zurück. Er sollte das Bild nie wieder im Leben wirklich vergessen.

Das Gas schien den Vulkankrater mittlerweile vollends auszufüllen und quoll in trägen, schweren Schwaden über seinen Rand, wie Dampf aus einem überquellendem Kochtopf. Wie durch ein Wunder jedoch hatte es Delamere geschafft: Er erschien in genau diesem Moment auf dem Kraterrand, fast bis zu den Hüften in brodelnden Gaswolken watend, aber noch am Leben.

Und dann glühte der Krater hinter ihm in grellem, intensiv rotem Licht auf. Eine gigantische Lavasäule schoss brüllend in den Himmel hinauf. Für den Bruchteil einer Sekunde war Delameres Gestalt noch als schwarze Silhouette vor dem grellglühenden Hintergrund zu sehen, und dann war er einfach verschwunden. Immer mehr und mehr Lava raste über ihnen in den Himmel und statt Gas quollen nun brodelnde Flammen über den Kraterrand. Mike blickte entsetzt in den Himmel. Die Lava schoss mit der Geschwindigkeit einer Dampflokomotive nach oben, aber sie würde nicht lange dort bleiben. Was sie bisher noch gerettet hatte, war die schiere Wucht des Ausbruchs, der die Lavabrocken weit über sie hinwegschleuderte, sodass die ersten Trümmer fast am Fuße des Berges niederkrachten, so weit sie nicht noch weiter geschleudert wurden und weit draußen im Meer einschlugen. Die Kraft der Eruption nahm immer noch zu. Der Lärm war unvorstellbar und der Boden zitterte und wankte so heftig, dass es Mike immer schwerer fiel, sich auf den Beinen zu halten. Zwei oder drei Schritte unter ihnen stürmten die Insulaner dahin. Immer wieder stürzte einer von ihnen, rappelte sich hoch oder schlitterte sich hilflos überschlagend ein gutes Stück weiter talwärts. Wie durch ein Wunder war noch immer niemand ernsthaft zu Schaden gekommen, aber Mike war klar, dass diese Glückssträhne nicht mehr ewig anhalten konnte. Und selbst wenn -er fragte sich voller neuem, plötzlichem Schrecken, wohin sie sich eigentlich wenden wollten? Der Vulkan grenzte an dieser Seite der Insel unmittelbar ans Meer. Es gab nichts, wohin sie flüchten konnten. Trotzdem rannten sie weiter, so schnell sie es wagten, um auf dem abschüssigen Grund nicht den Halt zu verlieren. Serena stürmte unmittelbar neben Mike einher, während Trautman und Singh ein paar Schritte zurückgefallen waren um Delameres Frau zu stützen. Sie versuchte jetzt zwar nicht mehr sich loszureißen und zum Krater zurückzulaufen, doch dafür schien sämtliche Kraft aus ihr gewichen zu sein. Trautman und Singh mussten sie richtig vorwärts ziehen.

Hinter ihm zerriss eine neue, noch gewaltigere Detonation den Berg. Mike sah nach oben und schrie erneut vor Schreck auf, als er sah, dass ein ganzer Teil des Kraterrandes zusammengebrochen war. Zerborstene, rot und weiß glühende Felstrümmer begannen hinter ihnen den Berg herabzustürzen, manche langsam und in großen, dröhnenden Lawinen, andere so schnell wie Geschosse, sodass es kaum noch möglich schien, ihren Kurs vorauszuberechnen und ihnen auszuweichen. Einer der rot glühenden Brocken verfehlte Mike so knapp, dass ihn die Hitze aufschreien ließ, ein anderer streifte Serenas Kleid und setzte seinen Saum in Brand, obwohl er ihn kaum berührte. Die Pahuma spritzten in Panik auseinander, als die tödliche Steinlawine in ihre Reihen fuhr. Mike konnte nicht erkennen, ob es auch diesmal allen gelang, sich noch rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.

Über ihnen begann sich der Kraterrand in immer rascherem Tempo aufzulösen. Der größte Teil der Felstrümmer rutschte nach rechts und links ab und würde nicht einmal in ihre Nähe kommen, aber schon drohte die nächste Gefahr: Der Vulkan hörte auf Feuer und kochende Lava in die Luft zu schleudern, doch durch die Lücke im Kraterrand schob sich jetzt eine träge, grellglühende Woge aus geschmolzenem Gestein. Sie schien sich nur langsam zu bewegen, aber Mike wusste, wie sehr dieser Eindruck täuschte. Wenn die Lava erst einmal mit ganzer Kraft aus dem Krater herausbrach, würde sie rasch schneller werden und schließlich mit einem Tempo von zwei-oder dreihundert Kilometern zu Tal rasen.

Es wurde immer dunkler und der Lärm nahm immer noch weiter zu, auch wenn Mike das noch vor wenigen Sekunden für unmöglich gehalten hätte. Der Himmel bezog sich so schnell mit schwarzen, brodelnden Wolken, als hätte jemand die Sonne abgeschaltet. Das einzige Licht kam von dem Flammen speienden Höllenschlund hinter ihnen, sodass Mike schon nach Sekunden das Gefühl hatte, sich durch einen Albtraum zu bewegen, in dem es nichts als vollkommene Schwärze, aufloderndes grelles Licht und grotesk verzerrte, hüpfende Schatten gab. Glutflüssige, bizarr geformte Finger aus Lava brodelten aus dem zerborstenen Kraterrand und der Boden, über den sie sich bewegten, wurde immer heißer. An einigen Stellen brach der Felsen auf und kochend heißer Dampf oder rot glühendes Gestein spritzten heraus. Mike spürte, wie der vermeintlich so massive Fels unter seinen Schritten zu knirschen begann und dann zerbrach wie eine Eierschale! Ein fast metergroßes Stück des Bodens löste sich in zahllose Bruchstücke auf und darunter kam ein Strom rot glühender, zähflüssiger Lava zum Vorschein. Mike schrie vor Schreck und Schmerz laut auf, warf sich verzweifelt nach vorne und prallte mit Gesicht und Händen auf glühend heißen Stein. Für eine endlose, grauenhafte Zehntelsekunde schwebten seine Füße nur Zentimeter über dem brodelnden Lavastrom.

Im buchstäblich allerletzten Moment beugte sich Serena zu ihm herab, krallte die linke Hand in seine Schulter und die rechte in sein Haar und riss ihn mit solcher Kraft in die Höhe, dass er erneut vor Schmerz schrie, gleichzeitig aber auch auf die Füße stolperte. Sein rechter Schuh brannte. Mike raste weiter, so schnell er konnte, stampfte mit aller Kraft mit dem Fuß auf und schaffte es irgendwie, die Flammen zu ersticken, ehe sie seine Haut erreichen und ihn wirklich verletzen konnten.

Und dann war ihre Flucht vorbei. Sie hatten den Fuß des Berges erreicht und unter ihnen lag nichts mehr als ein zehn Meter tiefer, senkrechter Abgrund und das tobende Meer, das an den Klippen zu weißer Gischt auseinander spritzte. Ein Sprung dort hinunter wäre Selbstmord.

Aber welche Wahl hatten sie schon? Mike sah noch einmal zum Krater hinauf und erkannte, dass genau in diesem Moment das geschah, was er schon die ganze Zeit über befürchtet hatte: Der Kraterrand brach endgültig auseinander und eine gewaltige

Springflut aus fast weißer Lava ergoss sich über die Flanke des Berges. »Springt!«, schrie Mike.

Er wich drei, vier Schritte vom Abgrund zurück, raffte all seinen Mut zusammen und rannte los. Im allerletzten Moment schlug seine Panik doch noch zu und versuchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen und wahrscheinlich hätte er wirklich versucht anzuhalten, wäre er nicht viel zu schnell dafür gewesen. Mit einem gewaltigen Satz katapultierte er sich selbst über die Kante, schien für einen unendlich kurzen, grauenhaften Moment reglos in der Luft zu hängen und stürzte dann wie ein Stein in die Tiefe. Eine Sekunde später durchbrach er die Wasseroberfläche mit der Wucht eines fallenden Steines, tauchte meterweit unter und wartete nur darauf, gegen ein Riff oder den felsigen Meeresboden geschleudert zu werden.

Stattdessen wurde er vom Sog der Wellen ergriffen und nach oben und ein gutes Stück von der Klippe weggezogen, ehe er prustend und nach Luft schnappend wieder durch die Wasseroberfläche brach. Rechts und links von ihm spritzte das Wasser auf, als die anderen seinem Beispiel folgten und das Risiko in dem tosenden Meer zu ertrinken oder gegen die Klippe geschleudert zu werden dem sicheren Tod in der Lava vorzogen.

Nach kurzem Suchen entdeckte er Serena nur ein kleines Stück weit entfernt. Trotz allem machte er sich um sie keine Sorgen. Serena schwamm so gut wie ein Fisch. Selbst eine noch viel stärkere Brandung hätte sie nicht in Schwierigkeiten gebracht. Die Dünung war auch nicht ihr Problem. Die Ebbe hatte eingesetzt, sodass die Wellen sie immer ein kleines Stückchen weiter von der Insel forttrugen, statt sie auf die Klippen zuzuschleudern. Aber nur ein paar hundert Meter über ihnen wälzte sich eine tödliche Lawine aus zwei-oder dreitausend Grad heißer Lava heran. Wenn sie keinen genügend großen Sicherheitsabstand zwischen sich und den Vulkan brachten, dann würden sie entweder von der niederstürzenden Lava getötet oder wenige Minuten danach bei lebendigem Leib gekocht werden. »Schwimmt!«, schrie Mike mit überschnappender Stimme. »Weg von der Insel! Schwimmt um euer Leben!«

Ihre Chancen, es zu schaffen, waren praktisch gleich null. Mike schwamm so schnell wie nie zuvor in seinem Leben und trotzdem hatte er das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen. Die Lava bewegte sich nicht ganz so schnell, wie er befürchtet hatte, aber immer noch viel, viel schneller, als nötig gewesenwäre, um ihnen auch nur eine hauchdünne Chance zum Überleben zu gewähren.

Sie waren sechzig oder siebzig Meter vom Ufer entfernt, als der Lavastrom die Klippe erreichte. Trotz der entsetzlichen Gefahr, die er bedeutete, war es ein Anblick von unbeschreiblicher Schönheit. Die Lava erreichte die Klippe und stürzte wie ein Wasserfall aus flüssigem Gold in die Tiefe. Ein strahlendes, unglaublich intensives und trotzdem mildes, goldfarbenes Licht überflutete das Meer und die tiefhängenden Wolken waren plötzlich nicht mehr schwarz, sondern leuchteten in einem intensiven, rotgoldenen Ton.

Eine Sekunde später berührte die Lava das Wasser und die ganze Insel verschwand hinter einem Vorhang aus weißem, brodelndem Dampf. Eine Woge ungeheuerer Glut schlug über Mike und den anderen zusammen; so grausam, dass er spürte, wie sich auf seinem Gesicht Brandblasen bildeten und sich seine Haare kräuselten, obwohl er bis zum Hals im Wasser war. Keuchend tauchte er unter, um den brennenden Schmerz auf seinem Gesicht zu löschen.

Und es war immer noch nicht vorbei. Immer mehr und mehr Lava stürzte über die Klippe. Die Hitze wurde unerträglich. Selbst das Wasser wurde heiß und der kochende Dampf schien seine Kehle zu verbrühen, wenn er atmete. Er spürte, wie nun auch der Ozean unter ihnen zu beben begann, als bräche der Meeresboden selbst auseinander. Der Lavastrom wurde immer heftiger. Statt eines Wasserfalls aus geschmolzenem Gestein war es nun eine Lawine, die sich weiter und weiter ins Meer hinein ergoss. Noch ein paar Minuten, begriff Mike, und die Lava würde sie selbst hier draußen erreichen, falls das kochende Wasser und der Dampf sie nicht vorher umbrachten. Wieder hatte Mike das Gefühl, dass sich der Meeresgrund unter ihnen bewegte, und diesmal war es eindeutig keine Einbildung. Etwas Riesiges, unvorstellbar Gewaltiges stieg vom Meeresboden zu ihnen empor-und dann brach ein gigantisches, grün schimmerndes Ungetüm mit Stacheln, Spitzen und riesigen leuchtenden Glotzaugen inmitten eines Berges aus Schaum durch die Meeresoberfläche! Es war die NAUTILUS. Das riesige Unterseeboot tauchte zwischen ihnen und dem Vulkan aus dem Meer und schützte die schwimmenden Menschen mit ihrem stählernen Leib vor der höllischen Glut, mit der Ogdy versuchte, seine Kinder zu verzehren.

Mike und Singh waren die Letzten, die auf das überfüllte Deck der NAUTILUS hinaufkletterten. Das

Schiff hatte sofort begonnen sich langsam von der Klippe zu entfernen, wobei es die im Wasser Schwimmenden mit seinem gewaltigen Rumpf einfach vor sich her schob; eine Vorgehensweise, die extrem gefährlich war, aber auch die einzige Möglichkeit darstellte. Die NAUTILUS vermochte die Männer und Frauen zwar vor der Lava zu beschützen, aber nicht vor dem kochenden Wasser, das sich rings um sie herum allmählich in Dampf zu verwandeln schien.

Als Mike sich mit allerletzter Kraft auf das Schiff hinaufzog, war die NAUTILUS schon fast eine halbe Meile von der Insel entfernt. Selbst hier war das Wasser bereits so warm, dass seine Oberfläche dampfte. Das Toben des Vulkans hatte noch mehr an Wut zugenommen. Der Krater glühte in einem grellen, unheimlichen Rot und spie immer mehr und mehr Lava. Mike war nicht sicher, ob Hathi ebenso spurlos von der Meeresoberfläche verschwinden würde wie die Insel, auf der sie Delamere gefunden hatten, aber allein der Anblick des Flammen speienden Kraters machte ihm klar, dass es sehr, sehr lange dauern würde, bis auf dieser Insel wieder Menschen leben konnten; wenn überhaupt. Sie würden eine neue Heimat für die Pahuma finden müssen. Im Moment war er aber einfach nur froh, noch am Leben zu sein. Jemand hatte ihm die Hand entgegengestreckt und ihm auf das Deck hinaufgeholfen, aber er hatte nicht einmal die Kraft, sich nach seinem Retter umzusehen. Zu Tode erschöpft sank er auf Hände und Knie, schloss die Augen und genoss für einige Sekunden nichts anderes als das wunderbare Gefühl, einfach einund ausatmen

zu können, ohne das Gefühl zu haben, geschmolzenes Glas in die Lungen zu saugen.

Als er endlich wieder den Kopf heben konnte, blickte er in ein pelziges schwarzes Gesicht, aus dem ihm ein einzelnes, gelbes Auge entgegensah.Das ist wieder mal typisch,sagte Astaroths Stimme in seinen Gedanken.Du warst wieder einmal der Letzte. Konntest du dir keine bessere Gelegenheit aussuchen, umein Dampfbad zu nehmen?

»Sehr witzig«, murmelte Mike. »Erklär mir lieber, wo du warst. Ich hätte dich gebraucht, weißt du?« »Sei lieber froh, dass er nicht bei euch geblieben ist«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Ohne Astaroth wärt ihr jetzt alle Fischsuppe.«

Mike drehte den Kopf und sah in Bens Gesicht und erst nach einigen Sekunden fand er überhaupt die Kraft zu antworten. »Ben? Wie ... wo seid ihr so plötzlich hergekommen? Die Sprechgeräte -« »funktionieren nicht, ich weiß.« Ben deutete mit einer Kopfbewegung auf Astaroth. »Bedank dich bei ihm. Er kam plötzlich angeschwommen und hat sich so lange wie verrückt aufgeführt, bis wir hierher gekommen sind.«

»Ihr?«, murmelte Mike. »Soll das heißen ... du hast die NAUTILUS hierher manövriert? Das war -« »Ich weiß, dass ich nicht so gut bin wie Trautman, aber ich musste es versuchen.« Er grinste. »Ich konnte ja schlecht zusehen, wie ihr gekocht werdet, oder? Auch wenn die Verlockung für ein paar Momente ziemlich groß war, wie ich zugeben muss.« »Nur keine falsche Bescheidenheit.« Trautman kam heran, nickte Mike kurz zu und wandte sich dann mit einem eindeutig anerkennenden Blick wieder an Ben. »Das war genial, Ben. Besser hätte ich es auch nicht gekonnt.«

»Man tut, was man kann«, grinste Ben, wurde aber sofort wieder ernst. »Das war verdammt knapp. Ist jemand zu Schaden gekommen?« »Einige Pahuma sind ziemlich schwer verletzt«, sagte Trautman ernst. »Aber sie werden es wohl überleben. Soweit ich das bis jetzt beurteilen kann, gibt es wohl nur einen einzigen Toten.« »Delamere.« Ben nickte düster. »Wir haben es gesehen ... Ich verstehe nur nicht, warum

um alles in der Welt er das getan hat! Wenn überhaupt, dann hätte er doch wissen müssen, wie gefährlich es ist!« »Das wusste er auch«, sagte Trautman. »Ich hätte ahnen müssen, was er tut. Spätestens als ich den Krater gesehen habe.«

»Wieso?«, fragte Mike. Er erinnerte sich plötzlich wieder an den betroffenen Ausdruck auf Trautmans Gesicht, als er Jacques im Höhleneingang erblickt hatte.

»Blauer Ton«, sagte Trautman. »Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber die Tonerde im Inneren des Kraters war blau.« »Und?«, fragte Ben.

»Diamanten«, sagte Trautman. »In blauem Ton findet man Diamanten. Deshalb ist er noch einmal zurückgegangen. Ich glaube sogar, dass er aus diesem Grund schon das erste Mal dort hinaufgegangen ist -obwohl er wusste, dass er damit die Gesetze der Pahuma bricht.«

»So ein Wahnsinn!«, murmelte Ben. »Ja«, sagte Trautman. »Er hat mit seinem Leben dafür bezahlt, aber ich glaube nicht, dass wir das Recht haben, über ihn zu urteilen.« Dem konnte Mike nur zustimmen. Was Jacques getan hatte, war Wahnsinn gewesen, aber er hatte auch den höchsten Preis dafür gezahlt, den ein Mensch überhaupt zu zahlen imstande war. Der Berg spie noch immer Feuer und der Tag war zum zweiten Mal einer sternenlosen, viel zu früh hereingebrochenen Nacht gewichen. Während er den Feuer speienden Berg ansah, musste er plötzlich wieder an das denken, was der alte Häuptling der Pahuma über seine Götter und die Natur gesagt hatte. Was, dachte er, wenn Ah'Kal Recht gehabt hatte? Wenn all dies wirklich das Ergebnis des Frevels gewesen war, den Delamere begangen hatte? Und wenn das Wort Gott nicht nur einfach ein anderer Ausdruck für das Wirken der Natur war, sondern vielleicht auch umgekehrt, das Wirken scheinbar willkürlicher Naturkräfte vielleicht doch Asudruck einer anderen, den Menschen auf immer unverständlich bleibenden, aber bewussten Kraft?

Natürlich waren solche Gedanken müßig. Er konnte sich den Kopf darüber zerbrechen, solange er wollte, und würde trotzdem niemals zu einer Antwort gelangen.

Und wenn er ganz ehrlich war, dann wollte er das auch gar nicht.


Загрузка...