Lion Feuchtwanger Die Jüdin von Toledo

Für Marta und Hilde

Erster Teil

Der König verliebte sich heftig in eine Jüdin, die den Namen Fermosa, die Schöne, trug, und er vergaß sein Weib.

Alfonso el Sabio, Crónica General

Um 1270

Nach Toledo ging Alfonso

Mit der Königin, der jungen,

Schönen. Aber Liebe blendet,

Und er täuschte sich durch Liebe

Und verschaute sich in eine

Jüdin, und sie hieß Fermosa.

Ja, Fermosa hieß, »die Schöne«

Hieß sie, und sie hieß zu Recht so.

Und mit ihr vergaß der König

Seine Königin.

Die Liebeshändel Alfonsos des Achten mit der schönen Jüdin

Romanze des Lorenzo de Sepúlveda

1551

Erstes Kapitel

Achtzig Jahre nach dem Tod ihres Propheten Mohammed hatten die Moslems ein Weltreich aufgebaut, welches sich von der indischen Grenze ununterbrochen durch Asien und Afrika die südlichen Gestade des Mittelmeers entlang bis zur Küste des Atlantischen Ozeans dehnte. Im achtzigsten Jahr ihres Eroberungszuges setzten sie über die schmale westliche Enge des Mittelmeers hinüber in das »Andalús«, nach Spanien, zerstörten das Reich, welches dort die christlichen Westgoten drei Jahrhunderte vorher aufgerichtet hatten, und unterwarfen in gewaltigem Schwung die gesamte Halbinsel bis zu den Pyrenäen.

Die neuen Herren brachten mit sich eine überlegene Kultur und machten das Land zu dem schönsten, bestgeordneten, volkreichsten Europas. Von kundigen Architekten und einer weisen Baupolizei geplant, entstanden große, herrliche Städte, wie sie der Erdteil seit den Römern nicht mehr gekannt hatte. Córdova, die Residenz des westlichen Kalifen, galt als die Hauptstadt des gesamten Abendlands.

Die Moslems brachten die vernachlässigte Landwirtschaft wieder hoch und gewannen dem Boden durch kluge Bewässerung ungeahnte Fruchtbarkeit ab. Sie förderten den Bergbau durch eine neue, hochentwickelte Technik. Ihre Weber stellten kostbare Teppiche her und erlesene Tuche, ihre Zimmerleute und Bildhauer delikate Holzkunst, ihre Kürschner jede Art Pelzwerk. Ihre Schmiede schufen Gegenstände höchster Vollendung für friedliche wie für kriegerische Zwecke. Schwerter, Degen, Dolche wurden erzeugt, schärfer und schöner als die der nichtmoslemischen Völker, Rüstungen von großer Widerstandskraft, weittragende Geschütze, Geheimwaffen, von denen man in aller Christenheit mit Unbehagen sprach. Auch ein Anderes, Unheimliches, sehr Gefährliches wurde hergestellt, eine tödliche Explosivmischung, sogenanntes Flüssiges Feuer.

Die Schiffahrt der spanischen Moslems, geleitet von erprobten Mathematikern und Astronomen, war schnell und sicher, so daß sie ausgedehnten Handel treiben und ihre Märkte mit allen Erzeugnissen des islamischen Weltreichs versorgen konnten.

Künste und Wissenschaften blühten wie bisher niemals unter diesem Himmel. Erhabenes und Zierliches mischten sich, die Häuser auf besondere, bedeutende Art zu schmücken. Ein kunstvoll verästeltes Erziehungssystem erlaubte einem jeden, sich zu bilden. Die Stadt Córdova hatte dreitausend Schulen, jede größere Stadt hatte ihre Universität, es gab Bibliotheken wie niemals seit der Blüte des hellenischen Alexandria. Philosophen weiteten die Grenzen des Korans, übersetzten in ihre eigene Denkart das Werk der griechischen Weltweisheit, schufen es in ein Neues um. Eine bunte, blühende Fabulierkunst schloß der Phantasie bisher unbekannte Räume auf. Große Dichter verfeinerten das reiche, tönende Arabisch, bis es jegliche Regung des Gefühls wiedergab.

Den Unterworfenen zeigten die Moslems Milde. Für ihre Christen übertrugen sie das Evangelium ins Arabische. Den zahlreichen Juden, die von den christlichen Westgoten unter strenges Ausnahmerecht gestellt worden waren, räumten sie bürgerliche Gleichheit ein. Ja, es führten unter der Herrschaft des Islams die Juden in Spanien ein so glückhaft erfülltes Leben wie niemals vorher seit dem Untergange ihres eigenen Reiches. Sie stellten den Kalifen Minister und Leibärzte, gründeten Fabriken, ausgedehnte Handelsunternehmungen, sandten ihre Schiffe über die sieben Meere. Sie entwickelten, ohne ihr eigenes hebräisches Schrifttum zu vergessen, philosophische Systeme in arabischer Sprache, sie übersetzten den Aristoteles und verschmolzen seine Lehren mit denen ihres eigenen Großen Buches und den Doktrinen arabischer Weltweisheit. Sie schufen eine freie, kühne Bibelkritik. Sie erneuerten die hebräische Dichtkunst.

Länger als drei Jahrhunderte dauerte dieses Blühen. Dann kam ein großer Sturm und zerstörte es.

Es hatten sich nämlich, als die Moslems die Halbinsel eroberten, zersprengte Abteilungen christlicher Westgoten ins nördliche Bergland Spaniens geflüchtet, sie hatten in dem schwer zugänglichen Gebiet kleine, unabhängige Grafschaften gegründet und von dort aus, Geschlecht um Geschlecht, den Krieg gegen die Moslems weitergeführt, einen Bandenkrieg, eine Guerilla. Lange kämpften sie allein. Dann aber verkündete der Papst in Rom einen Kreuzzug, und große Prediger forderten in flammenden Worten auf, den Islam zu vertreiben aus den Ländern, die er den Christen entrissen hatte. Da stießen denn Kreuzfahrer von überallher auch zu den kriegerischen Nachfahren der früheren christlichen Herren Spaniens. Beinahe vier Jahrhunderte hatten diese letzten Westgoten warten müssen, nun drangen sie nach Süden vor. Die verweichlichten, verfeinerten Moslems konnten ihrer Wildheit nicht standhalten; in wenigen Jahrzehnten eroberten die Christen die ganze nördliche Hälfte der Halbinsel zurück bis hinunter zum Tajo.

Die Moslems, von den christlichen Armeen immer härter bedrängt, riefen ihre Vettern aus Afrika zu Hilfe, wilde, glaubenseifrige Krieger, viele aus der großen südlichen Wüste, der Sahara. Diese hielten den Vormarsch der Christen auf. Aber sie verjagten auch die kultivierten, freigeistigen moslemischen Fürsten, die bisher im Andalús geherrscht hatten, sie duldeten keine Laxheit mehr im Glauben; der afrikanische Kalif Jussuf ergriff die Herrschaft auch im Andalús. Um das Land von allem Unglauben zu säubern, berief er die Vertreter der Judenheit in sein Hauptquartier nach Lucena und sprach zu ihnen: »Im Namen des Allbarmherzigen Gottes. Der Prophet hat euern Vätern Duldung in den Ländern der Gläubigen gewährt, aber unter einer Bedingung, die aufgezeichnet ist in den alten Büchern. Wenn euer Messias nicht binnen eines halben Jahrtausends erscheint, dann werdet ihr – so haben eure Väter es zugesagt – ihn, Mohammed, als den Propheten der Propheten anerkennen, der eure Gottesmänner überschattet. Die fünfhundert Jahre sind um. Erfüllt also den Vertrag, bekennt euch zu dem Propheten, werdet Moslems! Oder verlaßt mein Andalús!«

Sehr viele Juden, obwohl sie nichts von ihrer Habe mitnehmen durften, wanderten aus. Die meisten ins nördliche Spanien; denn die Christen, die dort nun wieder herrschten, benötigten, um das kriegszerstörte Land neu aufzubauen, den überlegenen Wirtschaftsverstand, den Gewerbefleiß und die vielerlei andern Kenntnisse der Juden. Sie gewährten ihnen die bürgerliche Gleichheit, die ihre Väter ihnen versagt hatten, und darüber hinaus viele Privilegien.

Manche Juden aber blieben im moslemischen Spanien und bekannten sich zum Islam. Sie wollten auf diese Art ihr Vermögen retten und später, unter günstigeren Umständen, in die Fremde gehen und sich wieder zum alten Glauben bekennen. Allein die Heimat war süß, das Leben in dem holden Lande Andalús war süß, sie zögerten die Ausreise hinaus. Und als nach dem Tode des Kalifen Jussuf ein weniger strenger Fürst zur Herrschaft kam, zögerten sie weiter. Und schließlich dachten sie nicht mehr an Auswanderung. Zwar blieb allen Ungläubigen der Aufenthalt im Andalús verboten; aber es genügte als Glaubensbeweis, sich zuweilen in der Moschee zu zeigen und fünfmal täglich das Bekenntnis zu sprechen: Allah ist Gott und Mohammed sein Prophet. Heimlich konnten die früheren Juden ihre Bräuche weiter üben, und es gab in dem judenfreien Andalús versteckte jüdische Bethäuser.

Sie wußten indes, diese heimlichen Juden, daß ihre Heimlichkeit vielen bekannt war und daß ihre Ketzerei, brach ein neuer Krieg aus, ans Licht kommen mußte. Sie wußten, wenn ein neuer Heiliger Krieg ausbrach, waren sie verloren. Und wenn sie, wie ihr Gesetz es ihnen vorschrieb, alltäglich um die Erhaltung des Friedens beteten, taten sie es nicht nur mit den Lippen. Als Ibrahim sich auf den Stufen der verfallenen Fontäne des innersten Hofes niederließ, spürte er seine Müdigkeit. Er war nun eine volle Stunde lang in diesem baufälligen Hause herumgegangen.

Und er hatte doch wahrhaftig keine Zeit zu verlieren. Volle zehn Tage war er jetzt in Toledo, die Räte des Königs drängten mit Recht auf Bescheid, ob er nun die Generalpacht der Steuern übernahm oder nicht.

Der Kaufmann Ibrahim aus dem moslemischen Königreich Sevilla hatte mehrmals mit christlichen Fürsten Spaniens Geschäfte getätigt, aber ein so ungeheures Unternehmen hatte er noch niemals angepackt. Es stand seit Jahren schlecht um die Finanzen des Königreichs Kastilien, und seitdem gar König Alfonso – das war nun fünfzehn Monate her – seinen leichtsinnigen Feldzug gegen Sevilla verloren hatte, war seine Wirtschaft vollends verfahren. Don Alfonso brauchte Geld, viel Geld, und sofort.

Der Kaufmann Ibrahim von Sevilla war reich. Er besaß Schiffe, Güter und Kredit in vielen Städten des Islams und in den Handelszentren Italiens und Flanderns. Aber wenn er sich auf dieses kastilische Geschäft einließ, mußte er sein ganzes Vermögen investieren, und auch der Klügste konnte nicht voraussehen, ob Kastilien den Wirrwarr überstehen werde, den die nächsten Jahre bringen mußten.

Andernteils war König Alfonso zu riesigen Gegenleistungen bereit. Man bot Ibrahim zum Pfand die Steuern und Zölle, auch die Einnahmen der Bergwerke, und er war überzeugt, er wird, wenn er nur das Geld schaffte, noch viel günstigere Bedingungen erzielen, man wird ihm die Kontrolle aller Einkünfte übertragen. Nun waren freilich, seitdem die Christen das Land den Moslems abgenommen hatten, Handel und Gewerbe heruntergekommen; aber Kastilien, das größte der spanischen Länder, war fruchtbar, es besaß Bodenschätze in Fülle, und Ibrahim traute sich die Kraft zu, das Land wieder hochzubringen.

Allein ein solches Unternehmen konnte man nicht aus der Ferne leiten: er müßte die Ausführung an Ort und Stelle überwachen, er müßte sein moslemisches Sevilla verlassen und hieher ins christliche Toledo übersiedeln.

Fünfundfünfzig Jahre war er jetzt alt. Er hatte erreicht, was immer er sich wünschte. Ein Mann in seinem Alter und mit seinen Erfolgen durfte ein so verfängliches Unternehmen nicht einmal in Erwägung ziehen.

Ibrahim saß auf den verfallenen Stufen der lang versiegten Fontäne, den Kopf in die Hand gestützt, und mit einemmal wurde er inne: auch wenn ihm das Abenteuerliche des Geschäftes von vornherein klar gewesen wäre, er wäre trotzdem nach Toledo gegangen, hierher in dieses Haus.

Es war dieses lächerliche, baufällige Haus, das ihn hierherzog.

Eine alte, seltsame Bindung bestand zwischen ihm und dem Haus. Er, Ibrahim, der große Finanzmann des stolzen Sevilla, der Freund und Ratgeber des Emirs, hatte sich zwar von Jugend an zu dem Propheten Mohammed bekannt, aber er war nicht als Moslem geboren, sondern als Jude, und dieses Gebäude hier, das Castillo de Castro, hatte seinen Vätern gehört, der Familie Ibn Esra, solange die Moslems in Toledo geherrscht hatten. Als aber vor nunmehr hundert Jahren der damalige Alfonso, der Sechste seines Namens, die Stadt den Moslems entriß, hatten sich die Barone de Castro des Hauses bemächtigt. Mehrere Male war Ibrahim in Toledo gewesen, jedesmal war er verlangend vor der finstern Außenmauer des Schlosses gestanden. Jetzt, da der König die Castros aus Toledo vertrieben und ihnen das Haus genommen hatte, konnte er endlich das Innere sehen und erwägen, ob er sich den alten Besitz der Väter nicht zurückholen sollte.

Nicht schnellen Schrittes, doch gierig prüfenden Auges war er über die vielen Treppen gegangen und durch die vielen Säle, Kammern, Korridore, Höfe. Es war ein ödes, häßliches Gebäu, mehr Festung als Palais. Von außen hatte es wohl auch damals nicht anders hergesehen, als Ibrahims Väter, die Ibn Esras, es bewohnten. Aber die hatten sicher das Innere mit bequemem arabischem Hausrat ausgestattet, und die Höfe waren stille Gärten gewesen. Es war verlockend, das Haus der Väter wieder aufzurichten und aus dem plumpen, verkommenen Castillo de Castro ein schönes, ziervolles Castillo Ibn Esra zu machen.

Was für unsinnige Pläne. In Sevilla war er der Fürst der Kaufleute und gerne gesehen am Hofe des Emirs unter den Dichtern, Künstlern, Gelehrten, die der Emir aus der ganzen arabischen Welt um sich versammelt hatte. Er fühlte sich dort von ganzer Seele wohl, und so taten seine lieben Kinder, das Mädchen Rechja und der Knabe Achmed. War es nicht Sünde und Tollheit, wenn er mit dem Gedanken auch nur spielte, sein edles, hohes Sevilla zu vertauschen mit dem barbarischen Toledo?

Es war keine Tollheit, und bestimmt nicht war es Sünde.

Das Geschlecht der Ibn Esras, das stolzeste unter den jüdischen Geschlechtern der Halbinsel, hatte in den letzten hundert Jahren viele Umschwünge erfahren. Das Unheil, welches die Afrikaner bei ihrem Einbruch ins Andalús über die Juden brachten, hatte Ibrahim selber miterlebt, als Knabe, er hieß damals noch Jehuda Ibn Esra. Gleich den übrigen Juden des Königreichs Sevilla waren damals auch die Ibn Esras ins nördliche, christliche Spanien geflohen. Ihm aber, dem Knaben, hatte die Familie auferlegt, zu bleiben und sich zum Islam zu bekennen; er war befreundet mit dem Fürstensohn Abdullah, und man hatte gehofft, auf solche Art einen Teil des Vermögens zu retten. Als Abdullah die Herrschaft antrat, hatte er denn auch Ibrahim seine Reichtümer wieder zugesprochen. Der Fürst wußte, daß sein Freund im Herzen dem alten Glauben weiter anhing, viele wußten es, doch ließ man es geschehen. Nun aber drohte ein neuer Krieg der Christen gegen die Gläubigen Mohammeds, und in einem solchen Heiligen Krieg wird der Emir Abdullah den Ketzer Ibrahim nicht mehr schützen können. Der wird fliehen müssen wie seine Väter, ins christliche Spanien, sein Vermögen hinter sich lassend, ein Bettler. War es da nicht klüger, jetzt nach Toledo zu gehen, freiwillig, in Reichtum und Glanz?

Denn wenn er’s nur will, dann wird er hier in Toledo kein geringeres Ansehen genießen als in Sevilla. Schon auf eine leise Andeutung hin hatte man ihm das Amt des Ibn Schoschan in Aussicht gestellt, des jüdischen Finanzministers, der vor drei Jahren gestorben war. Kein Zweifel, hier in Toledo könnte er, auch wenn er offen ins Judentum zurückkehrte, jede Bestallung erhalten, die er wünschte.

Durch einen Spalt in der Mauer lugte der Kastellan in den Hof. An die zwei Stunden war der Fremde jetzt da; was sah er an dem baufälligen Gemäuer? Da hockte er, der Ungläubige, als wäre er hier zu Hause, als wollte er für immer bleiben. Die Leute des Fremden, die im äußern Hof auf ihn warteten, hatten erzählt, er habe in seinem Haus in Sevilla fünfzehn edle Pferde und achtzig Diener, darunter dreißig Schwarze. Sie waren reich und üppig, die Ungläubigen. Aber wenn auch das letztemal der König Unser Herr eine Schlappe erlitten hat, eine Zeit wird kommen, da werden die Heilige Jungfrau und Santiago uns gnädig sein, und wir werden sie totschlagen, die Moslems, und ihnen ihre Schätze abnehmen.

Und der Fremde traf immer noch keine Anstalt, zu gehen.

Ja, der Kaufmann Ibrahim von Sevilla saß und träumte weiter. Nie in seinem Leben hatte er einen so verfänglichen Entschluß fassen müssen. Denn als damals die Afrikaner ins Andalús einbrachen und er zum Islam übertrat, da hatte er das dreizehnte Jahr noch nicht erreicht, er war vor Gott und Menschen nicht verantwortlich, die Familie hatte für ihn entschieden. Nun mußte er die Wahl selber treffen.

Herrlich in seiner Reife und Erfüllung strahlte Sevilla. Aber es war Überreife, sagte sein alter Freund Musa; die Sonne des westlichen Islams hatte die Höhe ihres Bogens überschritten, sie war im Niedergang. Hier, im christlichen Spanien, in diesem Kastilien, war Beginnen, war Aufstieg. Alles hier war primitiv. Sie hatten zerstört, was der Islam gebaut hatte, und es notdürftig zusammengeflickt. Die Landwirtschaft war ärmlich, altväterisch, alles Gewerbe verrottet. Das Reich war entvölkert, und die hier saßen, verstanden sich auf den Krieg, aber nicht auf die Werke des Friedens. Er, Ibrahim, wird Menschen hierherziehen, die gelernt haben, was hervorzubringen, die es verstehen, an den Tag zu fördern, was ungenützt in der Erde liegt.

Es wird mühevoll sein, dem heruntergewirtschafteten, verkommenen Kastilien Atem und Leben einzublasen. Aber gerade das war die Verlockung.

Zeit freilich brauchte er, lange, ungestörte Jahre des Friedens.

Und mit einemmal spürte er: es war göttlicher Ruf gewesen, den er gehört hatte schon damals vor fünfzehn Monaten, als Don Alfonso nach seiner Niederlage den Emir von Sevilla um Waffenstillstand bat. Der kriegerische Alfonso war zu mancherlei Konzessionen bereit gewesen, einer Gebietsabtretung, einer hohen Kriegsentschädigung, doch auf die Forderung des Emirs, daß der Waffenstillstand acht Jahre dauern sollte, darauf hatte er nicht eingehen wollen. Er aber, Ibrahim, hatte seinem Freunde, dem Emir, zugeredet und zugesetzt, darauf zu bestehen und sich dafür mit immer kleinerem Landgewinn und immer niedrigerer Entschädigung zu begnügen. Und zuletzt hatte er’s erreicht, und die guten, langen acht Jahre Waffenstillstand waren unterzeichnet und besiegelt worden. Ja, Gott selber hatte ihn damals getrieben und gemahnt: Streite für den Frieden! Laß nicht nach, streite für den Frieden!

Und der gleiche innere Ruf hatte ihn hierher nach Toledo getrieben. Wenn ein neuer Heiliger Krieg kommt – und er wird kommen –, dann ist der händelsüchtige Don Alfonso versucht, den Waffenstillstand mit Sevilla zu brechen. Aber dann wird er, Ibrahim, zur Stelle sein und dem König mit List, Drohung und Vernunft zureden, und wenn er nicht verhindern kann, daß Alfonso in den Krieg eingreift, so wird er’s doch verzögern.

Und für die Juden, für seine Juden, wird es ein Segen sein, wenn dann bei Ausbruch des Krieges er, Ibrahim, im Rate des Königs sitzt. Die Juden werden wie früher die ersten sein, über welche die Kreuzfahrer herfallen, er aber wird seine Hand über sie halten.

Denn er war ihr Bruder.

Der Kaufmann Ibrahim von Sevilla war kein Lügner, wenn er sich einen Islamiten nannte. Er verehrte Allah und den Propheten, er genoß arabische Dichtung und Gelehrsamkeit. Die Sitten der Moslems waren ihm liebe Gewohnheit; er nahm automatisch fünfmal des Tages die vorgeschriebenen Waschungen vor, warf sich fünfmal in der Richtung nach Mekka zur Erde, die Gebete zu sprechen, und wenn er vor einer großen Entscheidung stand oder vor einer wichtigen Handlung, dann rief er aus innerem Bedürfnis Allah an und sagte die erste Sure des Korans her. Aber wenn er sich mit den andern Juden Sevillas am Sabbat in den untern Räumen seines Hauses versammelte, in seinem versteckten Bethaus, um den Gott Israels zu verehren und in dem Großen Buche zu lesen, dann kam eine freudige Ruhe in sein Herz. Er wußte, dies war sein tiefstes Bekenntnis, und durch dieses Bekenntnis zur wahrsten Wahrheit reinigte er sich von den Halbwahrheiten der Woche.

Es war Adonai, der alte Gott seiner Väter, der ihm den bittern, seligen Wunsch ins Herz gebrannt hatte, zurückzukehren nach Toledo.

Schon einmal, damals, als das große Unheil über die Juden des Andalús hereinbrach, hatte ein Ibn Esra, sein Oheim Jehuda Ibn Esra, hier von Kastilien aus seinem Volke große Hilfe leisten können. Dieser Jehuda, General des damaligen Alfonso, des Siebenten, hatte die Grenzfestung Calatrava gegen die Moslems gehalten und Tausenden, Zehntausenden bedrängter Juden Flucht und Sicherheit ermöglicht. Jetzt wird er, der ehemalige Kaufmann Ibrahim, eine ähnliche Sendung haben.

Er wird heimkehren in dieses Haus.

Seine schnelle, starke Phantasie zeigte ihm das Haus, wie es sein wird. Schon sprang die Fontäne wieder, stilles, dunkles Blühen war im Hofe, leises, vielfältiges Leben in den menschenentwöhnten Räumen des Hauses, der Fuß trat dicke Teppiche statt des steinernen, unwirtlichen Bodens, um die Wände liefen Inschriften, hebräische und arabische, Verse des Großen Buches und der moslemischen Dichter, und überall rann kühlendes, sänftigendes Wasser und gab den Träumen und Gedanken seinen Fall und Rhythmus.

So wird das Haus sein, und er wird darin einziehen als der, der er ist, Jehuda Ibn Esra.

Ohne daß er sie hätte rufen müssen, kamen ihm Verse des Segens, die ihm das Haus schmücken sollten, Verse aus dem Großen Buch der Väter, das ihm von nun an den Koran ersetzen wird. »Denn es sollen Berge stürzen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und mein Friedensbund mit dir nicht hinfallen.«

Ein leeres, glückliches Lächeln war über seinem Gesicht. Mit seinem innern Aug sah er die stolzen Verse der göttlichen Versprechung, wie sie schwarz, blau, rot und golden den Fries entlangziehen, die Wand seines Schlafgemaches schmückend; sie werden sich ihm ins Herz prägen des Abends, bevor er einschläft, und ihn grüßen des Morgens, wenn er erwacht.

Er erhob sich, dehnte die Glieder. Er wird hier in Toledo leben im alten, neugerichteten Hause seiner Väter, er wird dem armen, kargen Kastilien neuen Hauch einblasen, er wird mithelfen, den Frieden zu erhalten und dem bedrängten Israel eine Zuflucht zu schaffen. Manrique de Lara, der Erste Minister, erläuterte Don Alfonso die Verträge, die man mit dem Kaufmann Ibrahim von Sevilla vereinbart hatte und die nur mehr der Unterschrift bedurften. Die Königin wohnte dem Vortrag bei. Von jeher waren die Fürstinnen des christlichen Spaniens Mitträger der Gewalt, und es war ihr Privileg, an den Staatsgeschäften teilzunehmen.

Die drei Dokumente, in welchen in arabischer Sprache die Abmachungen aufgezeichnet waren, lagen auf dem Tisch. Es waren umständliche Verträge, und Don Manrique brauchte viel Zeit, die Einzelheiten auseinanderzusetzen.

Der König hörte nur mit halbem Ohr zu. Doña Leonor und sein Erster Minister hatten lange auf ihn einreden müssen, ehe er sich bewegen ließ, den Ungläubigen in seinen Dienst zu nehmen. Trug doch dieser die Hauptschuld an der Härte des Friedensvertrags, den er damals, vor fünfzehn Monaten, hatte unterzeichnen müssen.

Dieser Friedensvertrag! Seine Herren hatten ihm weisgemacht, daß er günstig sei. Don Alfonso mußte nicht, wie er gefürchtet hatte, die Festung Alarcos hergeben, die liebe Stadt, die er in seinem ersten Feldzug dem Feinde abgewonnen und seinem Reiche zugefügt hatte, und auch die Kriegsentschädigung war nicht übermäßig hoch angesetzt. Aber acht Jahre Waffenstillstand! Der junge, ungestüme König, Soldat durch und durch, sah nicht, wie er die Geduld aufbringen sollte, die Ungläubigen sich acht endlos lange Jahre ihres Sieges brüsten zu lassen. Und mit dem Manne, der ihm den schimpflichen Vertrag aufgenötigt hatte, sollte er jetzt ein zweites, folgenschweres Abkommen treffen! Sollte fortan den Menschen immer um sich haben und auf seine verdächtigen Vorschläge hören! Andernteils hatten ihm die Gründe eingeleuchtet, die seine kluge Königin und sein erprobter Freund Manrique ihm anführten: seitdem Ibn Schoschan gestorben war, sein guter, reicher Hebräer, war es immer schwerer geworden, von den großen Händlern und Bänkern der Welt Geld zu kriegen, und es blieb niemand als dieser Ibrahim von Sevilla, ihm aus seinen Finanznöten zu helfen.

Nachdenklich, während er lässig auf Manrique hörte, betrachtete er Doña Leonor.

Man sah sie nicht häufig in der Königsburg von Toledo. Sie war im Herzogtum Aquitanien geboren, im milden südlichen Frankreich, wo die Sitten höfisch und zierlich waren, und das Leben in Toledo schien ihr, obgleich die Stadt nun schon hundert Jahre in den Händen der Könige Kastiliens war, noch immer ungeschlacht wie in einem Feldlager. Wenn sie’s auch begriff, daß Don Alfonso die meiste Zeit in dieser seiner Hauptstadt verbrachte, nahe dem ewigen Feind, so zog sie selber es doch vor, im nördlichen Kastilien Hof zu halten, in Burgos, nahe der Heimat.

Alfonso, ohne daß er mit jemand darüber gesprochen hätte, wußte genau, warum Doña Leonor dieses Mal nach Toledo gekommen war. Sicher war es geschehen auf die Bitte Don Manriques. Dieser sein Minister und lieber Freund hatte wohl angenommen, er könne ohne ihre Hilfe ihn nicht dazu bewegen, den Ungläubigen zu seinem Kanzler zu machen. Dabei hatte er die Notwendigkeit sehr schnell begriffen und hätte es auch ohne Zureden Doña Leonors getan. Aber er war froh, daß er sich so lange gesträubt hatte; es war ihm lieb, Doña Leonor um sich zu haben.

Wie sorgfältig sie sich angezogen hatte. Und es ging doch nur um einen Vortrag des guten Manrique. Immer legte sie’s darauf an, reizvoll und gleichwohl fürstlich auszuschauen. Es lächerte ihn ein wenig, doch sah er’s mit Wohlgefallen. Sie war noch ein halbes Kind gewesen, als sie vor fünfzehn Jahren die Hofhaltung ihres Vaters, des engelländischen Heinrich, verließ, um ihm als Braut zugeführt zu werden; aber sie hatte alle die Jahre hindurch in seinem armen, strengen Kastilien, wo man infolge des ewigen Krieges wenig Zeit hatte für die Verästelungen der Courtoisie, den Sinn der Heimat fürs Höfisch-Zierliche gewahrt.

Immer noch kindlich trotz ihrer neunundzwanzig Jahre saß sie da in dem schweren, prächtigen Kleid. Wiewohl nicht groß, sah sie stattlich her mit dem Reif, welcher das dichte, blonde Haar hielt. Unter der hohen, edelgebauten Stirn schauten die großen, gescheiten, grünen Augen ein wenig zu kalt und prüfend vielleicht, doch machte ein leises, unbestimmtes Lächeln das ruhige Gesicht warm und freundlich.

Sie hatte leicht lächeln über ihn, seine liebe Doña Leonor. Gott hatte ihm Verstand gegeben, und er begriff so gut wie sie und ihr Vater, der engelländische König, daß heute die Wirtschaft seines Reiches nicht weniger wichtig war als das Heereswesen. Aber die schlauen Schleichwege, obwohl sie sicherer zum Ziele führen mochten als das Schwert, waren ihm nun einmal zu langsam und zu langweilig. Er war Soldat und nicht Rechner, Soldat und immer wieder Soldat. Und das war gut in einer Zeit, da Gott den Fürsten der Christenheit unermüdlichen Kampf gegen die Ungläubigen auferlegt hatte.

Auch Doña Leonor ließ ihre Gedanken wandern. Sie sah dem Gesicht ihres Alfonso das Widersprüchliche an, das in ihm vorging; wie er begriff und sich fügte, und wie er knirschte und aufbegehrte. Ein Staatsmann war er nicht; niemand wußte das besser als sie, die Tochter eines Königs und einer Königin, deren kühne, listige Politik die Welt nun seit Jahrzehnten in Atem hielt. Er war grundgescheit, wenn er nur wollte, doch sein wildes Gemüt rannte immer wieder die Mauer seiner Vernunft ein. Und gerade um dieser heftigen, lustigen Energie willen liebte sie ihn.

»Du siehst, Herr König, und du, Doña Leonor«, faßte nun Don Manrique zusammen, »er hat auf keine seiner Bedingungen verzichtet. Aber er gibt auch mehr, als irgendein anderer es könnte.«

Don Alfonso sagte böse: »Und das Castillo nimmt er sich auch noch! Als Alboroque!« Alboroque nannte man das übliche Höflichkeitsgeschenk, das den Abschluß eines Vertrags begleitete. »Nein, Herr König«, antwortete Don Manrique. »Verzeih, daß ich vergaß, dir das zu sagen. Er will sich das Castillo nicht schenken lassen. Er will es kaufen. Für tausend Goldmaravedí.«

Das war eine ungeheure Summe, viel mehr, als das alte Gerümpel wert war. Solche »Largesse«, solche Großzügigkeit stand einem großen Herrn an; aber wenn ein Kaufmann Ibrahim aus Sevilla sie übte, war es dann nicht eine Frechheit? Alfonso erhob sich, ging auf und ab.

Doña Leonor betrachtete ihn. Dieser Ibrahim wird seine Mühe haben, es ihrem Alfonso recht zu machen. Der war nun einmal ein Ritter, ein kastilischer Ritter. Wie gut er aussah, ein richtiger Mann und trotz seiner dreißig Jahre noch ein Knabe. Leonor hatte einen Teil ihrer Kindheit im Schlosse Domfront verbracht; dort stand in Holz geschnitzt ein großer, junger, dräuender heiliger Georg, der das Schloß machtvoll beschützte, und an sein Antlitz erinnerte sie immer wieder das kühne, entschiedene, etwas hagere Gesicht ihres Alfonso. Sie liebte alles an ihm, das rotblonde Haar, den kurzen Vollbart, der unmittelbar um die Lippen wegrasiert war, so daß der lange, schmale Mund deutlich hervortrat. Am meisten aber liebte sie seine grauen, heftigen Augen, von denen, wenn ihn etwas bewegte, ein heller, gewitteriger Schein ausging. Auch jetzt war es so.

»Er bittet nur um eine Vergünstigung«, fuhr Manrique fort. »Er bittet, vor deiner Majestät erscheinen zu dürfen und Dokumente und Unterschrift von dir selber zu erhalten. Sein Emir«, erläuterte Manrique, »hat ihn zum Ritter gemacht, und er hält auf Würde. Erinnere dich, Don Alfonso, daß in den Ländern der Ungläubigen der Kaufmann an Ansehen dem Krieger nicht nachsteht, da ihr Prophet selber ein Kaufmann war.«

Alfonso lachte, plötzlich gut gelaunt; wenn er lachte, sah er strahlend jungenhaft aus. »Aber hebräisch muß ich nicht mit ihm reden?« rief er.

»Sein Latein ist gut verständlich«, antwortete sachlich Manrique. »Auch Kastilisch spricht er zur Genüge.«

Don Alfonso, wieder ohne Übergang, wurde ernst. »Ich habe nichts gegen einen jüdischen Alfakim«, sagte er, »aber euern Juden zum Escrivano Mayor zu machen – daß mir das widerstrebt, müßt ihr doch begreifen.«

Don Manrique führte von neuem aus, was er dem König in den letzten Wochen mehrere Male dargelegt hatte: »Wir haben ein Jahrhundert hindurch Krieg führen und erobern müssen, wir haben keine Zeit gehabt, uns um die Wirtschaft zu kümmern. Die Moslems hatten Zeit. Wenn wir gegen sie aufkommen wollen, dann brauchen wir die Klugheit der Juden, ihre Sprachgewandtheit, ihre Geschäftsbeziehungen. Es war ein Glück für die christlichen Fürsten, daß die Moslems des Andalús ihre Juden vertrieben haben. Jetzt hat dein Onkel von Aragon seinen Don Joseph Ibn Esra und der König von Navarra seinen Ben Serach.« – »Auch mein Vater«, ergänzte Doña Leonor, »hat seinen Aaron aus Lincoln. Er sperrt ihn manchmal ein, aber er holt ihn immer wieder heraus und gibt ihm Land und Ehren.« Und Don Manrique schloß: »Es stünde besser um Kastilien, wenn uns unser Jude Ibn Schoschan nicht weggestorben wäre.«

Don Alfonso verdüsterte sich. Die Mahnung verdroß ihn. Er hatte den Feldzug gegen den Emir von Sevilla, der dann so übel ausging, schon vor vier Jahren unternehmen wollen, nur der alte Ibn Schoschan hatte ihn zurückgehalten. Jetzt sollte offenbar an dessen Stelle dieser Ibrahim von Sevilla treten – so erwarteten es Doña Leonor und Manrique – und ihn vor raschen Entschlüssen bewahren. Deshalb vielleicht mehr noch als aus Gründen der Wirtschaft hatten sie ihm so inständig zugeredet, den Juden zu bestallen. Sie hielten ihn, Alfonso, für zu ungestüm, zu kriegerisch, sie trauten ihm die schlaue, armselige Geduld nicht zu, die ein König in diesen krämerhaften Zeiten haben mußte.

»Und arabisch sind sie auch noch!« sagte er unmutig und schlug auf die Dokumente. »Ich kann nicht einmal recht lesen, was ich da unterschreiben soll.«

Don Manrique erriet ihn; er wollte die Unterzeichnung hinauszögern. »Da du’s befiehlst, Herr König«, antwortete er bereitwillig, »lasse ich die Verträge lateinisch ausfertigen.«

»Gut«, sagte Alfonso. »Und bestell mir also den Juden nicht vor dem Mittwoch.« Die Audienz, in welcher die Unterschriften ausgetauscht werden sollten, fand in einem kleinen Raume der Burg statt. Doña Leonor hatte gewünscht, dem Empfang beizuwohnen; auch sie war neugierig auf den Juden.

Don Manrique war in Amtstracht; er trug, befestigt an goldener Halskette, das Zeichen des Familiars, des Geheimrats des Königs, die Brustplatte mit dem Wappen Kastiliens, den drei Türmen des »Burgenlandes«. Auch Doña Leonor war in Staat. Alfonso hingegen war häuslich angezogen, keineswegs so, wie es sich für einen Staatsakt ziemte; er trug eine Art Wams mit breiten, losen Ärmeln und bequeme Schuhe.

Alle hatten erwartet, daß sich Ibrahim, wie es üblich war, im Angesicht der Majestät auf ein Knie niederlassen würde. Allein noch war er nicht Untertan des Königs, vielmehr ein großer Herr des moslemischen Weltreichs. Er trug denn auch die Kleidung des islamischen Spaniens und darüber den blauen, gefütterten Mantel des Würdenträgers, der mit freiem Geleite an den Hof eines christlichen Königs reist. Er begnügte sich, Doña Leonor, Don Alfonso und Don Manrique mit tiefer Verbeugung zu grüßen.

Die Königin sprach als erste. »Friede sei mit dir, Ibrahim von Sevilla«, sagte sie arabisch. Die Gebildeten auch in den christlichen Königreichen der Halbinsel sprachen neben dem Lateinischen arabisch.

Die Höflichkeit für den Gast hätte verlangt, daß auch Alfonso ihn arabisch anredete, und so hatte er’s vorgehabt. Aber die Arroganz des Mannes, der nicht niederkniete, bewog ihn, lateinisch zu sprechen. »Salve, Domine Ibrahim«, grüßte er brummig.

Don Manrique legte in ein paar allgemeinen Sätzen dar, zu welchem Zwecke der Kaufmann Ibrahim kam. Doña Leonor mittlerweile, mit ruhigem, zeremoniösem Lächeln damenhaft vor sich hin schauend, musterte den Mann. Er war mittelgroß, doch ließen ihn die hohen Schuhe und die bei aller Lockerheit aufrechte Haltung groß erscheinen. Aus dem mattbräunlichen, von dem kurzen Vollbart umrahmten Gesicht schauten stille, mandelförmige Augen, wissend, etwas hochmütig. Lang und wohlgeschnitten fiel ihm von den Schultern der blaue Mantel des Geleites. Doña Leonor betrachtete neidisch den kostbaren Stoff; es war schwer, in der Christenheit solche Stoffe aufzutreiben. Aber wenn der Mann erst in ihren Diensten ist, wird er ihr vielleicht solchen Stoff beschaffen können, und auch gewisse, geradezu wundertätige Parfüms, von denen sie viel gehört hatte.

Der König hatte sich auf ein Spannbett gesetzt, eine Art Sofa; da saß er, halb liegend, in betont lockerer Haltung. »Ich hoffe nur«, sagte er, nachdem Don Manrique zu Ende war, »du wirst die zwanzigtausend Goldmaravedí, die anzuzahlen du dich verpflichtest, auch zur Zeit aufbringen.« – »Zwanzigtausend Goldmaravedí sind viel Geld«, antwortete Ibrahim, »und fünf Monate sind wenig Zeit. Aber das Geld wird in fünf Monaten zur Stelle sein, Herr König – vorausgesetzt, daß die Vollmachten, die der Vertrag mir einräumt, nicht Pergament bleiben.« – »Deine Zweifel sind verständlich, Ibrahim von Sevilla«, sagte der König. »Es sind geradezu unerhörte Vollmachten, die du dir ausbedungen hast. Meine Herren haben mir erklärt, du willst deine Hand auf alles legen, was die Gnade Gottes mir beschert hat, auf meine Steuern, meine Staatsgelder, meine Zölle, auf meine Eisen- und Salzbergwerke. Du scheinst ein unersättlicher Mann, Ibrahim von Sevilla.« Der Kaufmann antwortete ruhig: »Ich bin schwer zu sättigen, weil ich dich zu sättigen habe, Herr König. Wer ausgehungert ist, das bist du. Ich zahle zunächst die zwanzigtausend Goldmaravedí. Wieviel von den Geldern, aus denen eine kleine Kommission mir gehört, hereinzubekommen ist, bleibt fragwürdig. Deine Granden und Ricoshombres sind schwierige, gewalttätige Herren. Verzeih es dem Kaufmann, Dame«, wandte er sich mit tiefer Verneigung an Doña Leonor, und nun sprach er arabisch, »wenn er in deiner mondhaften Gegenwart von so nüchternen, langweiligen Dingen redet.«

Allein Don Alfonso bestand: »Ich hätte es angemessen gefunden, wenn du dich begnügt hättest, mein Alfakim zu sein, wie mein Jude Ibn Schoschan. Er war ein guter Jude, und ich bedaure seinen Hingang.« – »Es ehrt mich hoch, Herr König«, antwortete Ibrahim, »daß du mir die Nachfolge dieses klugen und erfolgreichen Mannes anvertraust. Allein wenn ich dir so dienen soll, wie es mein brennendes Verlangen ist, durfte ich mich mit den Vollmachten des edeln Ibn Schoschan – Allah bereite ihm alle Freuden des Paradieses – nicht begnügen.« Der König indes, als hätte der andere nichts gesagt, sprach weiter, und er glitt jetzt in die Landessprache, ins niedrige Latein, ins Kastilische: »Aber daß du verlangtest, mein Siegel zu führen, das fand ich, gelinde gesagt, ungebührlich.«

»Ich kann deine Steuern nicht eintreiben, Herr König«, erwiderte ruhig in langsamem, mühseligem Kastilisch der Kaufmann, »wenn ich nur dein Alfakim bin. Ich mußte verlangen, dein Escrivano zu sein. Denn wenn ich dein Siegel nicht führe, werden mir deine Granden nicht gehorchen.« – »Deine Stimme und die Wahl deiner Worte«, antwortete Don Alfonso, »ist bescheiden, wie es sich geziemt. Aber du täuschest mich nicht. Was du meinst, ist sehr stolz, ich möchte sagen« – und er gebrauchte ein starkes Wort des niedrigen Lateins –, »du bist unverschämt.« Manrique fiel rasch ein: »Der Herr König findet, du kennst deinen Wert.« – »Ja«, sagte mit ihrer hellen Stimme freundlich und in sehr gutem Latein Doña Leonor, »genau das meint der König.«

Wieder verneigte sich der Kaufmann tief, erst vor Leonor, dann vor Alfonso. »Ich kenne meinen Wert«, sagte er, »und ich kenne den Wert der königlichen Steuern. Wollet mich nicht mißverstehen«, fuhr er fort, »du nicht, Dame, du nicht, großer und stolzer König, und du nicht, edler Don Manrique. Gott hat dieses schöne Land Kastilien mit vielen Schätzen gesegnet und mit Möglichkeiten schier ohne Ende. Aber die Kriege, die deine Majestät und deine Vorfahren haben führen müssen, haben euch nicht die Zeit vergönnt, diesen Segen zu nutzen. Jetzt hast du beschlossen, Herr König, deinen Ländern acht Jahre Frieden zu wahren. Was alles kann in diesen acht Jahren an Reichtümern aus deinen Bergen und aus deinem fruchtbaren Boden und aus deinen Flüssen herausgeholt werden. Ich weiß Männer, die deine Knechte lehren können, ihre Äcker ertragreicher zu machen und ihr Vieh zu mehren. Und ich sehe das Eisen, das in deinen Bergen wächst, kostbares Eisen in unendlicher Menge. Ich sehe Kupfer, Lapislazuli, Quecksilber, Silber, und ich werde geschickte Hände herbeischaffen, die das alles herausholen und bereiten und mischen und mengen und schmieden. Ich werde aus den islamischen Ländern Leute herbeiholen, Herr König, die deine Waffenwerkstätten denen von Sevilla und von Córdova ebenbürtig machen. Und es gibt einen Stoff, von dem ihr in diesen Reichen des Nordens kaum noch gehört habt, einen Stoff – man nennt ihn Papier –, auf dem es sich leichter schreibt als auf Pergament, und der, kennt man erst das Geheimnis seiner Herstellung, fünfzehnmal billiger ist als Pergament, und an deinem Fluß Tajo ist alles da, was man benötigt, diesen Stoff herzustellen. Und dann wird das Wissen, Denken und Dichten reicher und tiefer werden in euern Ländern, Herr König und Frau Königin.«

Er sprach mit Schwung und Überzeugung, er richtete die glänzenden, sanft dringlichen Augen bald auf den König, bald auf Doña Leonor, und sie hörten interessiert, fast bewegt dem beredten Manne zu. Don Alfonso fand, was dieser Ibrahim vorbrachte, ein bißchen lächerlich, ja, anrüchig; man erwarb Güter nicht mit Mühe und Schweiß, man eroberte sie mit dem Schwert. Aber Alfonso hatte Phantasie, er sah die Schätze und das Blühen, welches der Mann ihm in Aussicht stellte. Ein großes, freudiges Lächeln ging über sein Gesicht, wieder war er ganz jung, und Doña Leonor fand ihn höchst liebenswert.

Und er tat den Mund auf und anerkannte: »Du sprichst gut, Ibrahim von Sevilla, und vielleicht wirst du einen Teil von dem tun können, was du versprichst. Du scheinst ein kluger, tatkundiger Mann.«

Aber als bereute er’s, daß er sich von dem Krämergerede zu solcher Anerkennung hatte verführen lassen, änderte er jäh seine Weise und sagte hänselnd höhnisch: »Ich höre, du hast einen teuern Preis gezahlt für mein Castillo, das frühere Castillo de Castro. Hast du eine zahlreiche Familie, daß du ein so großes Haus benötigst?« – »Ich habe einen Sohn und eine Tochter«, erwiderte der Kaufmann. »Aber ich habe gerne Freunde um mich, mit ihnen des Rates und des Gespräches zu pflegen. Auch gibt es viele, die meine Hilfe anrufen, und es ist wohlgefällig in den Augen Gottes, Schutzbedürftigen die Zuflucht nicht zu versagen.« – »Du läßt es dich was kosten«, sagte der König, »deinem Gotte zu dienen. Ich hätte es vorgezogen, dir das Castillo auf Lebenszeit umsonst zu überlassen, als Alboroque.« – »Das Haus«, antwortete der Kaufmann höflich, »hieß nicht immer Castillo de Castro. Früher hieß es Kasr Ibn Esra, und darum lag mir daran, es zu besitzen. Deine Räte, Herr König, haben dir wohl mitgeteilt, daß ich trotz meines arabischen Namens ein Mitglied der Familie Ibn Esra bin, und wir Ibn Esras wohnen nicht gerne in Häusern, die uns nicht gehören. Es war nicht Frechheit, Herr König«, fuhr er fort, und nun klang seine Stimme vertraulich, ehrerbietig und liebenswürdig, »was mich bewog, mir ein anderes Alboroque auszubitten.«

Doña Leonor, verwundert, fragte: »Ein anderes Alboroque?« – »Der Herr Escrivano Mayor«, gab Don Manrique Auskunft, »hat verlangt und von uns erhalten das Recht, daß ihm aus den Herden der königlichen Güter täglich für seine Küche ein Lamm geliefert werde.« – »Mir liegt an diesem Privileg«, erläuterte Ibrahim, sich an den König wendend, »weil ein ähnliches dein Großvater, der erlauchte Kaiser Alfonso, meinem Oheim zugestanden hatte. Ich werde nämlich, wenn ich nach Toledo übersiedle und in deine Dienste trete, vor aller Welt zu dem Glauben meiner Väter zurückkehren, den Namen Ibrahim ablegen und wieder Jehuda Ibn Esra heißen, wie jener mein Oheim, der deinem Großvater die Festung Calatrava gehalten hat. Möge mir ein töricht offenes Wort gestattet sein, Herr König und Frau Königin. Wenn ich das in Sevilla tun könnte, würde ich meine schöne Heimat nicht verlassen.«

»Wir freuen uns, daß du unsere Duldsamkeit schätzest«, sagte Doña Leonor. Alfonso aber fragte ohne Umschweife: »Und wirst du keine Schwierigkeiten haben, wenn du aus Sevilla fortgehst?« – »Wenn ich meine Geschäfte dort liquidiere«, entgegnete Jehuda, »werde ich Verluste haben. Andere Schwierigkeiten befürchte ich nicht. Gott hat mich begnadet und mir das Herz des Emirs zugewandt. Er ist ein Mann von hohem, freiem Verstande, und läge es an ihm, so dürfte ich mich auch in Sevilla offen zum Glauben meiner Väter bekennen. Er wird meine Gründe verstehen und mich nicht hindern.«

Alfonso beschaute den Mann, der in höflich ergebener Haltung dastand und so freimütig frech zu ihm redete. Der Mann schien ihm höllisch klug, doch nicht minder gefährlich. Wenn er seinen Freund, den Emir, verriet, wird er ihm, dem Fremden, dem Christen, Treue halten? Jehuda, als hätte er seine Gedanken erraten, sagte beinahe heiter: »Habe ich einmal Sevilla verlassen, dann kann ich natürlich nicht mehr zurückkehren. Du siehst, Herr König, wenn ich dir nicht gut diene, bin ich in deiner Hand.«

Don Alfonso, kurz, fast unwirsch, sagte: »Ich unterzeichne jetzt.« Früher pflegte er seinen Namen lateinisch zu schreiben: »Alfonsus Rex Castiliae« oder »Ego Rex«; in letzter Zeit signierte er immer häufiger in der Sprache des Volkes, in niedrigem Latein, romanisch, kastilisch. »Es genügt dir hoffentlich«, meinte er spöttisch, »wenn ich nur hinsetze: ›Yo el Rey‹?« Jehuda, scherzhaft, entgegnete: »Deine Rubrica, dein Schnörkel würde mir genügen, Herr König.«

Don Manrique reichte Alfonso die Feder. Der König unterzeichnete die drei Dokumente versperrten Gesichtes, schnell, trotzig, so wie man in ein unangenehmes, doch unvermeidbares Abenteuer hineingeht. Jehuda sah zu. Er war voll Genugtuung über das Erreichte, voll freudiger Spannung auf das Kommende. Er war dankbar dem Schicksal, seinem Gotte Allah, seinem Gotte Adonai. Er spürte, wie das islamische Wesen von ihm absank, und unversehens stieg in ihm auf der Segensspruch, den er als Kind hatte sprechen müssen, wenn er ein Neues erreicht hatte: »Gelobt seist du, Adonai, Unser Gott, der du mich hast erreichen und erlangen und erleben lassen diesen Tag.«

Dann unterzeichnete auch er die Schriftstücke und bot sie dem König dar, ehrerbietig, doch nicht ohne eine kleine, verschmitzte Erwartung. Alfonso war denn auch erstaunt, als er die Unterschrift sah, er zog die Brauen hoch und furchte die Stirn; es waren fremdartige Lettern. »Was soll das?« rief er. »Das ist doch nicht arabisch!« – »Ich habe mir erlaubt, Herr König«, erklärte höflich Jehuda, »hebräisch zu unterzeichnen.« Und er erläuterte ehrerbietig: »Mein Oheim, den die Gnade deines erlauchten Großvaters zum Fürsten erhob, hat immer nur hebräisch unterzeichnet: ›Jehuda Ibn Esra Ha-Nassi, der Fürst‹.«

Alfonso zuckte die Achseln und wandte sich Doña Leonor zu; sichtlich hielt er die Audienz für beendet.

Da indes sagte Jehuda: »Ich bitte um die Gnade des Handschuhs.« Es war aber der Handschuh das Symbol eines wichtigen Auftrags, den der Ritter dem Ritter gab; der Handschuh sollte nach glücklich vollbrachtem Auftrag zurückgegeben werden.

Alfonso fand, er habe in dieser Stunde genügend Frechheiten geschluckt, und schickte sich an, heftig zu erwidern; aber ein mahnender Blick Doña Leonors hielt ihn zurück. Er sagte: »Na schön.«

Und nun kniete Jehuda nieder. Und Alfonso gab ihm den Handschuh.

Dann indes, als schämte er sich des Geschehenen und wollte seine Bindung mit dem andern zurückführen auf das, was sie war, ein Geschäft, sagte er: »So, und jetzt schaff mir recht bald die zwanzigtausend Maravedí.« Doña Leonor aber, die großen, grünen Augen prüfend, ein wenig spitzbübisch auf Jehuda gerichtet, sagte mit ihrer hellen Stimme: »Wir freuen uns, dich kennengelernt zu haben, Herr Escrivano.« Bevor Jehuda die Stadt Toledo verließ, um seine Geschäfte in Sevilla abzuwickeln, suchte er Don Ephraim Bar Abba auf, den Vorstand der jüdischen Gemeinde, der Aljama.

Don Ephraim war ein kleiner, magerer Herr von etwa sechzig Jahren, unscheinbar von Gestalt und Tracht; niemand hätte ihm angesehen, wieviel Macht ihm eignete. Denn der Vorstand der jüdischen Gemeinde von Toledo war einem Fürsten gleich. Die jüdische Gemeinde, die Aljama, hatte eigene Gerichtsbarkeit, keine Behörde hatte ihr einzureden, sie unterstand niemand, nur ihrem »Párnas« Don Ephraim und dem König.

Don Ephraim saß klein und fröstelnd in dem mit Hausrat und Büchern überstopften Raum. Trotz des bereits warmen Wetters war er in einen Pelz gehüllt und hatte ein Kohlenbecken vor sich. Er war über die Vorgänge in der Königsburg gut unterrichtet, und wiewohl die Bestallung des Kaufmanns Ibrahim erst bekanntgegeben werden sollte, wenn er endgültig nach Toledo übersiedelt war, wußte Don Ephraim, daß der Mann aus Sevilla die Generalsteuerpacht und die Nachfolge des Alfakims Ibn Schoschan übernommen hatte. Man hatte ihm selber Pacht und Amt angeboten, doch ihm war das Geschäft zu riskant und die Stellung des Alfakims gerade wegen ihres Glanzes zu gefährlich. Er war vertraut mit der Lebensgeschichte des Kaufmanns Ibrahim, er wußte, daß er heimlicher Jude war, und verstand die innern und äußern Gründe, die ihn zur Übersiedlung nach Kastilien bewegen mochten. Ephraim hatte mehrmals große Geschäfte gemeinsam mit ihm gemacht, mehrmals auch große Geschäfte gegen ihn, und es war ihm unangenehm, daß jetzt dieser zweideutige Sohn des Geschlechtes Ibn Esra den Hauptsitz seiner Unternehmungen nach seinem Toledo verlegte.

Don Ephraim saß da, die Fläche der einen Hand mit den Nägeln der andern reibend, und wartete, was ihm der Gast mitteilen werde. Don Jehuda führte die Unterhaltung hebräisch, in einem angelesenen, sehr gewählten Hebräisch. Er teilte Ephraim sogleich mit, er habe die Einkünfte des königlichen Schatzes von Toledo und von Kastilien gepachtet. »Du hast, wie ich höre, das Angebot der Generalpacht abgelehnt«, sagte er freundlich. »Ja«, antwortete Don Ephraim. »Ich habe gewogen und gezählt und abgelehnt. Ich habe auch die Nachfolge unseres Alfakims Ibn Schoschan – das Andenken des Gerechten zum Segen – abgelehnt. Dieses Amt schien mir zu glänzend für einen bescheidenen Mann.« – »Ich habe es angenommen«, sagte schlicht Don Jehuda. Don Ephraim stand auf und verneigte sich. »Dein Diener wünscht dir Glück, Herr Alfakim«, sagte er, und da Jehuda nur ein kleines, schweigendes Lächeln hatte, fuhr er fort: »Oder darf ich gar sagen, Herr Alfakim Mayor?« – »Des Königs Majestät«, sagte, seinen Triumph mühsam zügelnd, Don Jehuda, »hat geruht, mich zu einem seiner Familiares zu erheben. Ja, Don Ephraim, ich werde einer der vier Geheimräte sein, ich werde in der Curia sitzen. Ich werde die Geschäfte des Königs Unseres Herrn als sein Escrivano Mayor verwalten.«

Don Ephraim hörte das mit einem Gefühl, das aus Bewunderung und Abneigung, aus Freude und Unlust gemischt war. Er dachte: Was muß dieser Tollkühne und Spieler dafür bezahlt haben! Und: Wohin reißt diesen Toren sein Hochmut! Und: Verhüte der Allmächtige, daß Unheil von diesem Manne über Israel kommt!

Don Ephraim war außerordentlich wohlhabend. Das Gerücht wußte von dem ungeheuren Reichtum des Kaufmanns Ibrahim von Sevilla zu erzählen, doch glaubte Don Ephraim im stillen, er selber stehe diesem Abtrünnigen und Stolzen an Gut kaum nach. Er, Ephraim, versteckte seinen Reichtum und blieb unauffällig. Ibrahim von Sevilla hingegen, ein rechter Ibn Esra, war immer darauf ausgegangen, von sich und seinem Prunk reden zu machen, und was alles erst wird dieser begabte, zweideutige und gefährliche Mensch jetzt anrichten, wenn er sich, Gott herausfordernd, auf diesen frechen Gipfel in Toledo stellt.

Vorsichtig sagte Ephraim: »Die Aljama ist mit Ibn Schoschan immer sehr gut ausgekommen.« – »Hast du Furcht, Don Ephraim?« antwortete freundlich Don Jehuda. »Habe keine Furcht! Fern sei es von mir, der Gemeinde Toledo zu nahe zu treten oder gar sie zu bedrücken. Ich werde ja selber eines ihrer Glieder sein. Dir das zu sagen, bin ich hier. Du weißt, ich habe in meinem Herzen den Glauben der Söhne Hagars immer nur für einen halbechten Sproß unsres alten Glaubens gehalten. Sowie ich hier mein Amt antrete, werde ich in den Bund Abrahams zurückkehren und vor aller Welt den Namen führen, den meine Väter mir gegeben haben: Jehuda Ibn Esra.«

Don Ephraim mühte sich, freudig überrascht auszuschauen, aber seine Sorge wuchs. Wie er selber, sollte auch seine Aljama unauffällig bleiben. In diesen Zeiten, da ein neuer Kreuzzug drohte, der sicherlich neue Judenhetzen zur Folge haben wird, war weise Zurückhaltung doppelt notwendig. Und da lenkte dieser Ibrahim von Sevilla durch seinen Übertritt die Augen der ganzen Welt auf die Judenheit Toledos! Von jeher waren die Ibn Esras ruhmredig gewesen. Sie hatten geprahlt wie die Jahrmarktsgaukler. Bis jetzt waren sie wenigstens nur in Saragossa gesessen, in Logroño, in Toulouse, Ephraims Toledo war von ihnen frei geblieben. Und jetzt hatte er diesen auf dem Nacken, den üppigsten und gefährlichsten von allen!

Der fromme und sehr kluge Ephraim wollte nicht ungerecht sein. Die Ibn Esras mit ihrem Prunk und ihrer Großmannssucht waren seiner Seele fremd, aber sie waren, er gab es sich ohne weiteres zu, die Erste Familie des Sepharads, des spanischen Israels, und sie hatten Gelehrte, Dichter, Soldaten, Kaufherren, Diplomaten hervorgebracht, deren Namen ein Glanz Judas waren und Klang hatten auch im Islam und in der Christenheit. Vor allem aber hatten sie in diesem Jahrhundert der Bedrängnis den Juden großherzig geholfen, sie hatten Tausende aus der Sklaverei der Heiden losgekauft und Tausenden Zuflucht geschafft im Sepharad und in der Provence. Und auch der Ibn Esra, der hier vor ihm saß, war begnadet mit hohen Gaben, er war unter schwierigen Verhältnissen zum ersten Kaufmann Sevillas aufgestiegen. Aber bedeutete ein Mann von seiner Ruhmsucht und seinem verbrecherisch-spielerischen Übermut nicht trotzdem mehr Gefahr für Israel als Segen?

Dies alles bedachte Don Ephraim in den drei Sekunden, die der Ankündigung Don Jehudas folgten. In der vierten sagte er ehrerbietig: »Daß du zu uns kommst, Don Jehuda, ist uns hohe Ehre. Gott hat der Aljama von Toledo zur rechten Zeit den rechten Mann geschickt, sie zu führen. Denn du mußt mir erlauben, deinen Bürden eine neue zuzufügen und mein Amt in deine Hände zu legen.«

Im stillen dachte er: O Gott, Allmächtiger, strafe Israel nicht zu hart! Du hast diesem Meschummad, diesem Abtrünnigen, das Herz gewandelt, daß er zu uns zurückkehrt. Laß ihn hier in deinem Toledo nicht zu viel Prunk und Stolz entfalten, und laß ihn nicht mehren den Neid und Haß der Völker, der Gojim, gegen Israel!

Don Jehuda mittlerweile sagte: »Nicht doch, Don Ephraim. Wer könnte besser als du die Geschäfte der Aljama leiten? Aber ich werde stolz sein, wenn ihr mich einmal am Sabbat aufruft zum Verlesen des Abschnitts aus der Schrift wie jeden andern guten Juden. Und heute schon, Don Ephraim, mußt du mir erlauben, das Los eurer Armen ein wenig zu verbessern. Laß mich dir einen kleinen Beitrag überweisen, sagen wir fünfhundert Goldmaravedí.«

Das war eine Gabe, wie sie der Gemeinde Toledo noch niemals geschenkt worden war, und die freche, spielerische, gauklerhafte, sündhafte Überheblichkeit Jehudas erschreckte und empörte Don Ephraim. Nein, wenn dieser Mann in seinem dreisten Glanz in Toledo herumging, dann konnte er, Ephraim, nicht länger Párnas der Aljama sein. »Überdenk es noch einmal, Don Jehuda«, bat er. »Die Aljama soll sich nicht und wird sich nicht mit einem Ephraim begnügen, wenn ein Jehuda Ibn Esra in Toledo ist.«

»Spotte meiner nicht«, antwortete ruhig Jehuda. »Niemand weiß besser als du, daß die Aljama zu ihrem Führer keinen Mann haben will, der vierzig Jahre lang im Glauben der Söhne Hagars verblieb und sich jeden Tag fünfmal zu Mohammed bekannt hat. Du selber wirst nicht wollen, daß ein Meschummad Gemeindevorstand sei in Toledo. Gib es zu.«

Von neuem spürte Ephraim Widerwillen und Bewunderung. Er selber hatte mit keinem Wort auf den Makel Jehudas angespielt. Aber dieser Mann sprach davon mit schamloser Offenheit, ja, mit Stolz, mit dem verruchten Stolz der Ibn Esras. »Es steht mir nicht zu, über dich zu richten«, sagte er.

»Bedenke dieses, mein Herr und Lehrer Ephraim«, sagte Don Jehuda und schaute dem andern voll ins Gesicht, »die Söhne Hagars haben mir seit jener ersten grausigen Kränkung kein Unrecht zugefügt. Vielmehr waren sie lind zu mir wie warmes Rosenwasser und haben mich genährt mit dem Fett ihres Landes. Ihre Bräuche sind mir lieb geworden, und wenn auch mein Herz widerstrebt, so sind mir manche Sitten angewachsen wie eine zweite Haut. Sehr wohl kann es sich ereignen, daß ich, wenn ich vor einer wichtigen Entscheidung stehe, aus der Gewohnheit meines Herzens den Gott Mohammeds anrufe und die ersten Verse des Korans bete. Gesteh es, Don Ephraim, würdest du, wenn dir solches zu Ohren käme, nicht versucht sein, den großen Bann gegen mich zu verkünden, den Cherem?«

Es erbitterte Don Ephraim, daß ihn der andere wiederum genau erriet. Sicher war dieser Jehuda trotz seines großartigen Entschlusses ein Frevler und Freigeist, und in der Tat war dem Ephraim für einen Augenblick verlockend die Vorstellung aufgestiegen, wie er vom Almemor aus, der Verkündigungsstätte der Synagoge, den Bann wider ihn verkünden lassen wird unter dem Klang des Schofars, des Widderhorns. Aber das waren eitle Träume; ebensogut könnte er den Bann verhängen über den Großkalifen oder über den König Unsern Herrn.

»Kein anderes Geschlecht hat so viel für Israel getan wie die Familie Ibn Esra«, antwortete er höflich ausweichend. »Auch ist bekannt, daß dein Vater dich zum Abtrünnigen bestimmt hat, bevor du dreizehn Jahre alt warst.« – »Hast du das Sendschreiben gelesen«, fragte Jehuda, »in welchem Unser Herr und Lehrer Mose Ben Maimon diejenigen verteidigt, die sich unter Zwang zum Propheten Mohammed bekannt haben?« – »Ich bin ein einfacher Mann«, antwortete ablehnend Don Ephraim, »und mische mich nicht in den Disput der Rabbinen.« – »Du darfst nicht glauben, Don Ephraim«, sagte mit Wärme Jehuda, »daß ein einziger Tag vergangen wäre, an dem ich nicht der Lehre gedacht hätte. Ich habe im Unterbau meines Hauses in Sevilla eine Synagoge, und an den hohen Feiertagen kamen wir zusammen, unser zehn, und verrichteten die Gebete, wie es Vorschrift ist. Ich werde dafür sorgen, daß meine Synagoge in Sevilla erhalten bleibt, auch wenn ich hierher übersiedle. Emir Abdullah ist großzügig und mein Freund; er wird die Augen zudrücken.«

»Wann beabsichtigst du, in Toledo einzutreffen?« erkundigte sich Don Ephraim. »Ich denke, in drei Monaten«, erwiderte Jehuda. »Darf ich dich einladen, dann mein Gast zu sein?« bot Ephraim ihm an. »Mein Haus ist freilich bescheiden.« – »Ich danke dir«, antwortete Jehuda, »ich habe mir bereits Unterkunft verschafft. Ich habe von dem König Unserm Herrn das Castillo de Castro erworben. Ich werde es umbauen lassen für mich, meine Kinder, meine Freunde und meine Diener.«

Don Ephraim konnte ein tiefes Erschrecken nicht verbergen. »Die Castros«, warnte er, »sind noch rachsüchtiger und gewalttätiger als die andern Ricoshombres. Sie haben, als ihnen der König ihr Haus wegnahm, wüste Drohungen ausgestoßen. Sie werden es für einen Schimpf ohne Beispiel erklären, wenn einer aus der Judenheit darin wohnt. Bedenke es gut, Don Jehuda. Die Castros sind sehr mächtig und haben viele Anhänger. Sie werden das halbe Reich aufwiegeln gegen dich – und gegen ganz Israel.«

»Ich danke dir für deine Warnung, Don Ephraim«, sagte Jehuda. »Der Allmächtige hat mir ein Herz ohne Angst gegeben.«

Zweites Kapitel

Es erschien in Toledo mit Geleitbriefen des Königs der Intendant und Sekretär Don Jehudas, Ibn Omar. Mit ihm kamen moslemische Architekten, Künstler und Handwerker. Große Geschäftigkeit begann im Castillo de Castro, und die Energie und Verschwendung, mit welcher der Umbau betrieben wurde, erregte die Stadt. Dann trafen aus Sevilla Bedienstete aller Art ein, und später auf vielen Wagen mannigfacher Hausrat, dazu dreißig Maultiere und zwölf Pferde, und immer neue, bunte Gerüchte flatterten auf um den Fremden, der da kommen sollte.

Dann kam er. Mit ihm seine Tochter Raquel, sein Sohn Alazar und sein vertrauter Freund, der Arzt Musa Ibn Da’ud.

Jehuda liebte seine Kinder und machte sich Gedanken darüber, ob sie, aufgewachsen in dem verfeinerten Sevilla, sich ins derbe Leben Kastiliens würden einfügen können.

Dem tatenlustigen Alazar, dem Vierzehnjährigen, wird freilich die rauhe, ritterliche Welt gut gefallen; wie aber wird es mit Rechja sein, mit seiner lieben Raquel?

Zärtlich, mit leiser Sorge, beschaute er sie, wie sie neben ihm herritt. Sie reiste, wie das üblich war, in Männerkleidung. Jünglinghaft saß sie im Sattel, etwas schlaksig, eckig, kühn und kindlich. Kaum hielt die Kappe das dichte, schwarze Haar. Mit den großen, blaugrauen Augen, aufmerksam, musterte sie die Menschen und Häuser der Stadt, die nun ihre Heimat sein sollte.

Jehuda wußte, daß sie keine Mühe scheuen werde, sich dieses Toledo zur Heimat zu machen. Kaum nach Sevilla zurückgekehrt, hatte er ihr auseinandergesetzt, was ihn forttrieb. Er hatte mit ihr, der Siebzehnjährigen, so freimütig gesprochen, als wäre sie ihm gleich an Alter und Erfahrung. Er spürte, seine Raquel, so kindlich sie sich noch manchmal gab, begriff ihn aus dem Gefühl heraus. Sie gehörte zu ihm, sie war – gerade in jener Unterredung hatte es sich gezeigt – in Wahrheit eine Ibn Esra, tapfer, gescheit, aufgeschlossen allem Neuen, voll von Gefühl und Phantasie.

Aber wird sie sich hier bei diesen Christen und Soldaten zurechtfinden? Muß sie in dem kahlen, kalten Toledo ihr Sevilla nicht vermissen? Dort hatte jedermann sie gerne gehabt. Nicht nur hatte sie Freundinnen ihres Alters, auch die Herren in der Umgebung des Emirs, diese kundigen, wissenden Diplomaten, Dichter, Künstler, hatten ihre Freude an den naiven, merkwürdigen Fragen und Beobachtungen dieses halben Kindes Raquel.

Wie immer, jetzt waren sie in Toledo, und da war das Castillo de Castro, und jetzt nahmen sie es in Besitz, und von jetzt an wird es das Castillo Ibn Esra sein.

Jehuda war freudig überrascht, was alles seine erprobten Helfer in so kurzer Zeit aus dem unwirtlichen Hause gemacht hatten. Die Steinböden, die früher jeden Schritt hatten dröhnen lassen, waren mit sanften, dicken Teppichen belegt. Sofas zogen sich an den Wänden hin mit bequemen Polstern und Kissen. Friese, rot, blau und golden, liefen um den Raum; verwebt in kunstvolle Ornamente, luden arabische und hebräische Inschriften zur Betrachtung. Kleine Fontänen, gespeist durch ein klug erdachtes System von Wasserröhren, gaben Kühlung. Ein weiter Raum war da für Jehudas Bücher; manche lagen aufgeschlagen auf Pulten und zeigten die kunstreichen, farbigen Initialen und Randleisten.

Und da war der Patio, jener Hof, in dem er damals den großen Entschluß gefaßt hatte, da die Fontäne, an deren Rand er gesessen war. Genau wie er sich’s gedacht hatte, hob sich und fiel ihr Strahl, gleichmäßig still. Das dichte dunkle Laub der Bäume vertiefte die Stille; durch das Laub aber schauten sattgelb Orangen und mattgelb Zitronen. Zugeschnitten waren die Bäume, bunt und kunstvoll geordnet die Blumenbeete, und überall war sanft rinnendes Wasser.

Doña Raquel, mit den andern, besichtigte das neue Haus, weitäugig, aufmerksam, einsilbig, doch innig vergnügt. Dann nahm sie Besitz von den beiden Räumen, die ihr bestimmt waren. Entledigte sich der engen, reibenden Männerkleidung. Ging daran, sich von dem Staub und Schweiß der Reise zu säubern.

Neben ihrem Schlafzimmer war eine Badekammer. In den fliesenbedeckten Boden eingelassen war ein tiefes Bassin, versehen mit einer Röhrenleitung für warmes und kaltes Wasser. Bedient von ihrer Amme Sa’ad und der Zofe Fátima, badete Doña Raquel. Wohlig lag sie in dem warmen Wasser und hörte mit halbem Ohr auf das Geschwätz der Amme und der Dienerin.

Bald hörte sie nicht mehr, sondern überließ sich ihren wandernden Gedanken.

Es war alles wie in Sevilla, sogar die Wanne, in der sie lag. Aber sie selber war keine Rechja mehr, sie war Doña Raquel.

Auf der Reise, abgelenkt von immer neuen Eindrücken, war sie sich niemals ganz bewußt geworden, was das bedeutete. Nun, da sie angekommen war und entspannt in der Ruhe des Bades lag, überfiel sie zum erstenmal mit ganzer Wucht das Gefühl der Veränderung. Wäre sie noch in Sevilla gewesen, dann wäre sie zu ihrer Freundin Layla gelaufen, um sich mit ihr auszusprechen. Layla war ein unwissendes Mädchen, sie verstand nichts und konnte ihr nicht helfen, aber sie war ihre Freundin. Hier war keine Freundin, hier waren lauter Fremde und lauter Fremdes. Hier war keine Azhar-Moschee; der Ruf des Muezzins von der Azhar-Moschee, der zur Waschung und zum Gebet mahnte, war gellend wie der jedes andern, aber sie kannte ihn heraus. Und hier war kein Chatib, ihr eine schwierige Stelle des Korans zu erklären. Hier waren nur wenige, mit denen sie in ihrem lieben, vertrauten Arabisch schwatzen konnte; sie wird eine harte, komische Sprache brauchen müssen, und um sie werden Menschen sein mit groben Stimmen und Gebärden und mit rauhen Gedanken, Kastilier, Christen, Barbaren.

Sie war glücklich gewesen in dem hellen, wunderbaren Sevilla. Ihr Vater hatte dort zu den Ersten gehört, und schon weil sie dieses Vaters Tochter war, hatten alle sie liebgehabt. Wie wird es hier sein? Werden diese Christen verstehen, was für ein großer Mann ihr Vater ist? Und werden sie Sinn haben für ihr, Raquels, Wesen und ihre Art? Wird nicht sie ihnen genauso fremd und komisch vorkommen wie die Christen ihr?

Und dann war da das andere, noch größere Neue; jetzt war sie vor aller Welt eine Jüdin.

Sie war im Glauben der Moslems aufgewachsen. Aber noch als sie ganz klein war – es war gleich nach dem Tod der Mutter, fünf Jahre mochte sie gewesen sein –, hatte der Vater sie beiseite genommen und ihr flüsternd, bedeutsam gesagt, sie gehöre zur Familie der Ibn Esras, und das sei ein Einmaliges, sehr Großes, aber auch ein Heimliches, von dem man nicht reden dürfe. Später dann, als sie größer war, hatte er ihr eröffnet, daß er Moslem sei, aber auch Jude, und er hatte ihr erzählt von jüdischen Lehren und Sitten. Doch hatte er ihr nicht befohlen, diese Bräuche zu üben. Und als sie ihn einmal geradezu fragte, was sie glauben und was sie tun solle, hatte er freundlich erwidert, da sei kein Zwang; wenn sie erst erwachsen sei, dann möge sie selber entscheiden, ob sie die hohe, doch nicht ungefährliche Verpflichtung heimlichen Judentums auf sich nehmen wolle.

Daß der Vater ihr die Entscheidung auflegte, hatte sie mit Stolz erfüllt.

Einmal hatte sie sich nicht länger zähmen können und gegen ihren Willen ihrer Freundin Layla anvertraut, daß sie eigentlich eine Ibn Esra sei. Layla aber hatte seltsamerweise geantwortet: »Ich wußte es«, und nach einem kleinen Schweigen hatte sie hinzugefügt: »Du Arme.«

Raquel hatte nie mehr mit Layla über ihr Geheimnis gesprochen. Aber als sie das letztemal zusammen waren, hatte Layla haltlos geweint und gesagt: »Ich habe immer geahnt, daß es so kommen wird.«

Es war jenes dreiste, törichte Mitleid Laylas gewesen, das damals Raquel antrieb, genauer zu erkunden, was denn diese Juden waren, zu denen sie und der Vater gehörten. Die Moslems nannten sie »das Volk des Buches«; also mußte sie zuerst einmal dieses Buch lesen.

Sie bat Musa Ibn Da’ud, Onkel Musa, der im Hause des Vaters lebte und der sehr gelehrt war und viele Sprachen kannte, sie im Hebräischen zu unterweisen. Sie lernte leicht und konnte bald in dem Großen Buch lesen.

Sie hatte sich von ihren frühesten Jahren an zu Onkel Musa hingezogen gefühlt, doch erst in den Stunden des Unterrichts lernte sie ihn recht kennen. Dieser nächste Freund ihres Vaters war ein langer, dünner Herr, älter als der Vater; manchmal schien er uralt, dann wieder auffallend jung. Aus seinem hagern Gesicht ragte eine fleischige, stark gekrümmte Nase, über ihr leuchteten große, schöne Augen, die einen durch und durch schauen konnten. Er hatte viel erlebt; der Vater sagte, er habe sein ungeheures Wissen und die Freiheit seines Geistes mit vielen Leiden bezahlen müssen. Doch sprach er nicht davon. Wohl aber erzählte er manchmal dem Kinde Raquel von fernen Ländern und seltsamen Menschen, und das war noch aufregender als all die Märchen und Geschichten, die Raquel gerne hörte und las; denn da vor ihr saß dieser ihr Freund und Onkel Musa und war mitten drin gewesen.

Musa war Moslem und hielt alle Bräuche. Aber er schien lax im Glauben und verbarg nicht milde Zweifel an allem, was nicht Wissen war. Einmal, als er mit ihr im Propheten Jesaja las, sagte er: »Das war ein großer Dichter, vielleicht ein größerer als der Prophet Mohammed und der Prophet der Christen.«

Das war verwirrend. Durfte sie, die sich zum Propheten bekannte, überhaupt in dem Großen Buch der Juden lesen? Wie alle Moslems betete sie täglich die Eingangs-Sure des Korans, und da hieß es im letzten, siebenten Verse, Allah möge seine Gläubigen fernhalten vom Wege derer, denen er zürne. Mit diesen Gnadelosen aber, hatte ihr Freund erklärt, der Chatib der Azhar-Moschee, waren die Juden gemeint; denn daß Allah ihnen zürnte, zeigte er ja durch das Unheil, das er über sie brachte. Ging sie also nicht, wenn sie in dem Großen Buch las, den falschen Weg? Sie faßte sich ein Herz und fragte Musa. Der schaute sie lang und freundlich an und meinte, ihnen, den Ibn Esras, zürne Allah offenbar nicht.

Das leuchtete Raquel ein. Mußte doch ein jeder sehen, daß Allah ihrem Vater gnädig war. Nicht nur hatte er ihm jegliche Weisheit gegeben und das mildeste Herz, er hatte ihn auch mit allen äußern Gütern gesegnet und mit hohem Ruhme.

Raquel liebte ihren Vater. In ihm sah sie verleiblicht alle die Helden der bunten, blühenden Märchen und Geschichten, die sie so gerne hörte, die würdigen Herrscher, die klugen Wesire, die weisen Ärzte, Hofherren und Zauberer, dazu alle die von Liebe brennenden Jünglinge, denen die Frauen zuflogen. Und überdies war um den Vater sein hohes, gefährliches Geheimnis: er war ein Ibn Esra.

Von allen ihren Erlebnissen hatte sich ihr am tiefsten ins Herz geprägt jenes dunkle, flüsternde Gespräch, in welchem der Vater dem Kinde eröffnet hatte, daß er zu den Ibn Esras gehörte. Dann aber war dieses Gespräch verschattet worden von einem noch bedeutsameren. Als nämlich der Vater von seiner großen Reise ins nördliche Sepharad, ins christliche Spanien, zurückgekehrt war, nahm er sie beiseite und sprach ihr, gedämpft wie damals, von den Gefahren, die hier in Sevilla die heimlichen Juden bedrohen werden, wenn der Heilige Krieg ausbricht; und dann, im Tone des Märchenerzählers, beinahe scherzend, fuhr er fort: »Und hier, ihr Gläubigen, beginnt die Geschichte von dem Dritten Bruder, der aus dem hellen, sichern Tag in das mattgoldene Dämmer der Höhle ging.« Raquel begriff sofort, sie nahm seinen Ton auf, und wie die Hörer in den Märchen fragte sie: »Und was geschah diesem Manne?« – »Um das zu erfahren«, hatte der Vater erwidert, »werde ich in die dämmerige Höhle gehen«, und er hatte den sanft dringlichen Blick nicht von ihr gelassen. Er gönnte ihr eine kleine Weile, sich zurechtzufinden in dem, was er ihr da eröffnet hatte; dann hatte er weitergesprochen: »Als du ein Kind warst, meine Tochter, habe ich dir gesagt, du werdest einmal wählen müssen. Nun ist es an dem. Ich rate dir weder ab, mir zu folgen, noch rede ich dir zu. Es sind hier viele Männer, junge, kluge, gebildete, treffliche, die sich freuen werden, dich zur Frau zu haben. Wenn du es willst, gebe ich dich einem von ihnen, und deiner Mitgabe sollst du dich nicht zu schämen haben. Überdenk es gut, und in einer Woche werde ich dich fragen, wie du entschieden hast.« Sie aber hatte ohne Zögern geantwortet: »Will mein Vater mir die Gunst erweisen, mich schon heute zu fragen, jetzt?« – »Also frage ich dich jetzt«, hatte der Vater erwidert, und sie hatte gesagt: »Was mein Vater tut, ist recht, und wie er tut, will auch ich tun.«

Das Herz war ihr warm geworden, da sie sich ihm so innig verknüpft fand, und auch über sein Gesicht war eine große Freudigkeit gegangen.

Dann hatte er ihr erzählt von der abenteuerlichen Welt der Juden. Immer hatten sie gefährlich leben müssen, auch jetzt waren sie bedroht von Moslems wie von Christen, und das war eine große Prüfung Gottes, der sie einzigartig gemacht und sie auserwählt hatte. Inmitten dieses Volkes aber, des berufenen, lange geprüften, war wiederum ein Geschlecht auserwählt: die Ibn Esras. Und nun hatte Gott ihm, einem dieser Ibn Esras, die Sendung auferlegt. Er hatte die Stimme Gottes gehört und hatte geantwortet: Hier bin ich. Und wenn er bisher nur am Rande der jüdischen Welt gelebt hatte, so mußte er sich jetzt aufmachen, mitten in diese Welt hineinzugehen.

Daß der Vater sie in sein Inneres hatte schauen lassen, daß er ihr vertraute wie sie ihm, hatte sie ganz zu einem Teil von ihm gemacht.

Jetzt, angelangt am Orte ihrer Bestimmung, entspannt im Bade, hörte sie im Geist alle seine Worte wieder. Leise freilich in diese Worte hinein klang das haltlose Weinen ihrer Freundin Layla. Aber Layla war ein kleines Mädchen, sie wußte nichts und sie verstand nichts, und Raquel war dem Schicksal dankbar, das sie zu einer Ibn Esra gemacht hatte, und sie war glücklich und voll von Erwartung.

Sie erwachte aus ihrem Geträume und hörte wieder das Geschwatz ihrer lieben, dummen alten Amme Sa’ad und der geschäftigen Fátima. Die Frauen liefen ab und zu, aus der Badekammer ins Schlafzimmer und zurück, und konnten sich nicht zurechtfinden in den neuen Räumen. Es lächerte Raquel, sie wurde kindisch und albern.

Sie richtete sich auf. Sah an sich herunter. Dieses nackte, blaßbräunliche Mädchen, das dastand, überrieselt von Wasser, war also keine Rechja mehr, sondern Doña Raquel Ibn Esra. Und lachend und ungestüm fragte sie die Alte: »Bin ich nun anders? Siehst du, daß ich anders bin? Sag schnell!« Und da die Alte nicht gleich verstand, drängte sie, immer lachend und herrisch: »Ich bin doch jetzt eine Kastilierin, eine Toledanerin, eine Jüdin!« Die Amme Sa’ad, bestürzt, plapperte mit ihrer hohen Stimme: »Lade doch keine Schuld auf dich, Rechja, mein Augapfel, mein Töchterchen, du Rechtgläubige. Du glaubst doch an den Propheten.« Raquel, lächelnd und besinnlich, erwiderte: »Beim Bart des Propheten, Amme: Ich weiß nicht genau, wie weit ich hier in Toledo an den Propheten glaube.« Die Alte, tief erschreckt, wich zurück: »Allah behüte deine Zunge, Rechja, meine Tochter«, sagte sie. »Solche Scherze solltest du nicht machen.« Raquel aber sagte: »Wirst du mich gleich Raquel nennen! Wirst du mich endlich Raquel nennen!« Und: »Raquel! Raquel!« rief sie. »Sags nach!« Und sie ließ sich zurückfallen ins Wasser, daß es die Alte überspritzte. Als Jehuda sich in der Königsburg meldete, empfing ihn Don Alfonso sogleich. »Nun also«, fragte er mit trockener Höflichkeit, »was hast du erreicht, mein Escrivano?«

Jehuda erstattete Bericht. Seine Repositarii, seine Rechtskundigen, waren dabei, die Listen der Steuern und Abgaben zu revidieren und zu ergänzen; er werde in wenigen Wochen genaue Ziffern vorlegen. Einhundertunddreißig Sachverständige waren ins Land gerufen, zumeist aus moslemischen Gebieten, aber auch aus der Provence, aus Italien, ja, selbst aus Engelland, die Landwirtschaft, den Bergbau, das Gewerbe, das Straßennetz zu verbessern. Jehuda führte Einzelheiten an, Ziffern; er sprach frei, aus dem Gedächtnis.

Der König schien nur lässig zuzuhören. Als indes Jehuda zu Ende war, meinte er: »War nicht einmal von neuen, großen Gestüten die Rede, die du mir anlegen wolltest? Davon habe ich in deinem Vortrag nichts gehört. Auch stelltest du in Aussicht, du würdest Goldschmiedewerkstätten errichten, so daß meine Münze Gold würde prägen können. Hast du in dieser Richtung etwas unternommen?«

Jehuda hatte in seinen zahlreichen Memoranden ein einziges Mal die Verbesserung der Pferdezucht, ein einziges Mal die Errichtung von Goldschmiedewerkstätten erwähnt. Er wunderte sich über Don Alfonsos gutes Gedächtnis. »Mit Gottes und mit deiner Hilfe, Herr König«, antwortete er, »wird es vielleicht möglich sein, in hundert Monaten nachzuholen, was in hundert Jahren verabsäumt worden ist. Was in diesen drei Monaten hingestellt wurde, scheint mir kein schlechter Anfang.«

»Es ist einiges geschehen«, gab der König zu. »Aber ich bin nicht geschickt in der Kunst des Wartens. Ich sag es dir offen, Don Jehuda, der Schaden, den du mir bereitest, scheint mir größer als der Nutzen. Vorher haben meine Barone, wenn auch widerwillig und mit Vorbehalt, Beisteuern für Kriegszwecke bezahlt; das waren, berichtet man mir, die Haupteinkünfte meines Schatzes. Jetzt, da du mein Escrivano bist, berufen sie sich auf den langen Frieden, der vor uns gähnt, und zahlen nichts mehr.«

Daß der König das Erreichte so danklos hinnahm und ihm weithergeholte Vorwürfe machte, verdroß Jehuda. Er bedauerte, daß Doña Leonor nach Burgos zurückgekehrt war; ihre helle, heitere Gegenwart hätte das Gespräch freundlicher gewendet. Aber er schluckte den Unmut hinunter und erwiderte mit ehrerbietiger Ironie: »Darin gleichen deine Granden deinen nichtprivilegierten Untertanen. Wenn es ans Zahlen geht, suchen sie alle nach Ausflucht. Aber die Argumente deiner Barone sind brüchig, und meine geübten Repositarii können sie mit guten Gründen widerlegen. Ich werde dich bald in aller Demut bitten, einen Mahnbrief an deine Ricoshombres zu unterzeichnen, der sich auf diese Gründe stützt.«

Sosehr die Unverschämtheit und der Stolz seiner Granden den König erbitterten, es ärgerte ihn, daß der Jude ohne Achtung von ihnen sprach. Es ärgerte ihn, daß er den Juden brauchte. Er bestand: »Du warst es, der mir diese höllischen acht Jahre Waffenstillstand aufgehalftert hat. Jetzt muß ich mir mit Händler- und Schreiberkniffen zu helfen suchen.«

Jehuda bezähmte sich. »Deine Räte«, antwortete er, »haben damals zugegeben, daß ein langer Friede dir ebenso nützt wie dem Emir von Sevilla. Ackerbau und Gewerbe sind verwahrlost. Deine Barone bedrücken Bürger und Bauern. Du brauchst eine Zeit des Friedens, um das zu ändern.«

»Ja«, sagte bitter Alfonso. »Ich muß den Krieg gegen die Ungläubigen andern überlassen, und du betätigst dich und machst Geschäfte.«

»Es geht nicht um Geschäfte, Herr König«, belehrte, immer geduldig, Jehuda seinen Herrn. »Deine Granden sind übermütig geworden, weil du sie im Kriege brauchtest; es geht darum, ihnen beizubringen, daß du der König bist.«

Alfonso trat sehr nahe vor Jehuda hin und schaute ihm mit seinen grauen Augen, von denen ein Schein ausging, ins Gesicht. »Was für krumme Wege hast du dir ausgedacht, mein schlauer Herr Escrivano«, fragte er, »dein Geld mit Zinsen aus meinen Baronen herauszuholen?«

Jehuda wich nicht zurück. »Ich habe viel Kredit, Herr König«, sagte er, »und also viel Zeit. Darum kann ich deiner Majestät große Summen leihen und brauche keine Angst zu haben, auch wenn ich auf die Rückgabe lange warten muß. Auf solchen Erwägungen beruht mein Plan. Wir werden von deinen Granden verlangen, daß sie dein Steuerrecht im Prinzip anerkennen, aber rasche Zahlung werden wir nicht von ihnen verlangen. Wir werden ihnen die Abgaben stunden und nochmals stunden. Dafür werden wir Gegenleistungen fordern, die sie wenig kosten. Wir werden fordern, daß sie ihren Städten und Dörfern Fueros einräumen, Privilegien, die diesen Siedlungen eine gewisse Unabhängigkeit geben. Wir werden erwirken, daß immer mehr Städte und Dörfer nicht mehr deinen Baronen unterstehen, sondern nur dir hörig und verantwortlich sind. Deine Bürger werden Abgaben williger und pünktlicher entrichten als deine Granden, und es werden höhere Abgaben sein. Die Arbeit deiner Bauern und der Gewerbefleiß und Handel deiner Städte sind deine Stärke, Herr König. Vermehre ihre Rechte, und die Gewalt deiner widerspenstigen Granden wird kleiner.«

Alfonso war zu klug, um nicht einzusehen, daß dieser Weg der einzig wirksame war, die unverschämten Barone mürbe zu machen. Man versuchte denn auch in andern christlichen Reichen Spaniens, in Aragon, Navarra, León, Bürger und Bauern gegen die Granden zu unterstützen. Allein man tat es auf sehr behutsame Art. Die Könige gehörten selber zu den Granden, nicht zum Pöbel, sie waren Ritter, sie wollten es nicht einmal vor sich selber wahrhaben, daß sie sich mit dem Pack gegen die Granden verbündeten, und noch nie hatte jemand gewagt, Alfonso dergleichen in nackten Worten vorzuschlagen. Dieser Fremde, der keine Ahnung hatte von Rittertum und edelmännischer Art, wagte es. Er sprach das Gemeine, das zu tun man genötigt war, in gemeinen Worten aus. Alfonso war ihm dankbar und haßte ihn.

»Glaubst du im Ernst«, spottete er, »du kannst durch Papier und Geschwätz einen Nuñez oder einen Arenas dahin bringen, auf Städte und Bauern zu verzichten? Meine Barone sind Ritter, du Überschlauer, keine Händler und Advokaten.«

Wieder verwand Jehuda die Kränkung. »Diese deine Herren Ritter«, antwortete er, »werden lernen, daß Recht, Gesetz und Vertrag etwas ebenso Starkes und Wirkliches sind wie ihre Burgen und Schwerter. Ich bin sicher, daß ich sie das lehren kann, wenn ich auf die freudige Mithilfe deiner Majestät rechnen darf.«

Der König wehrte sich gegen den Eindruck, den Don Jehudas Ruhe und Zuversicht auf ihn machten. Er beharrte störrisch: »Wenn sie auch schließlich irgendeinem Drecknest Marktfreiheit gewähren, Abgaben an mich werden sie nicht leisten, das sag ich dir voraus. Und sie haben recht. Sie haben in Friedenszeiten keine Steuern zu zahlen. So hab ich es geschworen, unterschrieben und gesiegelt, als sie mich zum König machten. Yo el Rey. Und nun wird ja, dank deiner Weisheit, auf lange Jahre kein Krieg sein. Darauf berufen sie sich, darauf stehen sie.«

»Deine Majestät verzeihe«, setzte unerschüttlich Don Jehuda auseinander, »daß ich den König gegen den König verteidige. Deine Barone haben nicht recht, ihr Argument hält nicht stich. Krieg wird, ich hoffe es innig, acht Jahre lang nicht sein, aber dann wird, wie die Welt dich kennt, wieder Krieg sein. Und Kriegshilfe haben die Herren dir zu leisten. Es ist meine Pflicht als dein Escrivano, beizeiten für deinen Krieg vorzusorgen, das heißt, jetzt schon mit seiner Finanzierung zu beginnen. Es widerspräche der Vernunft, wollte ich Kriegsgelder in Hast zusammenkratzen, wenn der Krieg schon da ist. Wir werden nur einen kleinen Jahresbeitrag verlangen, und wir werden ihn fürs erste nur von deinen Städten verlangen. Denen gewähren wir gewisse Freiheiten, und sie werden dir die Waffenhilfe gerne leisten. Deine Barone können nicht so unritterlich sein, dir zu verweigern, was deine Bürger dir gewähren.«

Don Jehuda ließ Alfonso Zeit, das zu überdenken. Dann, sieghaft, fuhr er fort: »Darüber hinaus wirst du, Herr König, deine Granden durch einen Akt höchster, ritterlicher Großherzigkeit zwingen, dir den kleinen Beitrag zu genehmigen.« – »Hast du dir noch nicht genug ausgekocht?« fragte mißtrauisch Don Alfonso. »Es sind«, legte Jehuda dar, »von jenem nicht glücklichen Feldzug her noch immer sehr viele Gefangene in der Hand des Emirs von Sevilla. Deine Barone sind ihrer Verpflichtung, diese Gefangenen auszulösen, nur sehr zögernd nachgekommen.« Don Alfonso rötete sich. Es war Recht und Brauch, daß der Vasall seinen Kriegsknecht, der Baron seinen Vasallen auslöste, wenn der in seinem Dienst in Gefangenschaft geraten war. Die Barone weigerten sich nicht, diese Pflicht anzuerkennen, aber sie kamen ihr dieses Mal mit besonderem Unwillen nach; sie warfen dem König vor, seine Voreiligkeit habe den Feldzug und die Niederlage verschuldet. Am liebsten hätte Don Alfonso stolz erklärt: Ich nehme die Auslösung aller Gefangenen auf mich, ihr Knicker. Doch es ging um eine ungeheure Summe, er konnte sich diese Geste nicht leisten.

Aber da war Jehuda Ibn Esra, und er sagte: »Ich schlage also ehrerbietig vor, daß du aus Mitteln deines Schatzes die Gefangenen auslösest. Und den Herren, denen das zugute kommt, legen wir als einzige Gegenleistung auf, daß sie ihre Pflicht, jetzt schon Steuern für deinen Krieg zu zahlen, im Prinzip anerkennen.«

»Und kann denn mein Schatz das tragen?« fragte beiläufig Don Alfonso.

»Ich werde dafür sorgen, Herr König«, sagte ebenso beiläufig Jehuda.

Ein Strahlen ging über Alfonsos Gesicht. »Das ist ein großartiger Plan«, anerkannte er. Er trat nahe an seinen Familiar heran und spielte mit dessen Brustplatte. »Du verstehst dein Geschäft, Don Jehuda«, anerkannte er.

Sogleich aber mischte sich in seine dankbare Freude erbitternd die Erkenntnis, daß er dem klugen, widerwärtigen Händler immer mehr verpflichtet wurde. »Nur schade«, sagte er bösartig, »daß wir nicht auch die Castros und ihre Freunde auf solche Art beschämen können«, und: »Siehst du«, fügte er hinzu, »mit den Castros hast du mir einen übeln Handel eingebrockt.«

Diese Verdrehung der Tatsachen empörte Jehuda. Die Feindschaft zwischen dem König und den Castros bestand seit den Kinderjahren Don Alfonsos, sie hatte sich verschärft, als er ihnen ihr Castillo in Toledo weggenommen hatte. Und jetzt wollte der König ihm, Jehuda, die ganze Verantwortung für diese Feindschaft aufbürden. »Ich weiß«, erwiderte er, »die Barone de Castro legen dir’s zur Last, daß ein beschnittener Hund ihre Burg beschmutzt. Aber es ist dir sicher nicht unbekannt, Herr König, daß sie Beschimpfungen deiner Majestät schon seit Jahren ausstoßen.«

Don Alfonso schluckte und erwiderte nichts. »Nun ja«, sagte er achselzuckend. »Versuch es mit deinen Mätzchen und Mittelchen. Aber meine Granden sind harte Kämpfer, das wirst du sehen, und auch die Castros werden uns noch manches zu schaffen machen.«

»Es ist große Gnade, Herr König«, erwiderte Jehuda, »daß du meinen Plan billigst.« Er ließ sich auf ein Knie nieder und küßte dem König die Hand. Es war eine männliche, kräftige Hand, übersät mit winzigen roten Haaren, doch schlaff und danklos lagen die Finger in denen Don Jehudas.

Den Tag darauf fand sich Don Manrique de Lara, der Erste Minister des Königs, im Castillo Ibn Esra ein, um dem neuen Escrivano seine Aufwartung zu machen; begleitet war der Minister von seinem Sohn Garcerán, einem nahen Freunde Don Alfonsos.

Don Manrique, der vom Verlauf der gestrigen Audienz genau unterrichtet schien, meinte: »Ich war überrascht, daß du dem König Unserm Herrn den ungeheuern Betrag für den Loskauf der Gefangenen vorstrecken willst.« Und: »Ist es nicht ein wenig gefährlich«, warnte er scherzhaft, »wenn einem ein mächtiger König so viel Geld schuldet?«

Don Jehuda blieb wortkarg. Er hatte den Zorn über den Hochmut und das Mißtrauen des Königs nicht überwunden. Wohl hatte er gewußt, daß hier im barbarischen Norden nur der Krieger galt und daß man von den Männern, die für den Wohlstand des Landes sorgten, mit dummer Geringschätzung sprach; aber er hatte nicht geglaubt, daß man es ihm so schwer machen werde, sich einzufügen.

Don Manrique hatte ihn wohl erraten, und als wollte er des Königs Plumpheit entschuldigen, meinte er, man dürfe es dem jungen, streitbaren Monarchen nicht verübeln, wenn er Schwierigkeiten lieber mit dem Schwert zerhauen als durch Vertrag lösen wolle. Don Alfonso sei eben seit frühester Kindheit von einem Kriegslager ins andere gezogen und fühle sich im Felde mehr zu Haus als am Verhandlungstisch. Aber, unterbrach sich Don Manrique, er sei nicht gekommen, um über Geschäfte zu reden, sondern um den Kollegen hier in Toledo zu begrüßen, und er bat Don Jehuda, ihm und seinem Sohne das Haus zu zeigen, von dessen Wundern die ganze Stadt spreche.

Jehuda willfahrte gerne. Vorbei an stillen, tief sich neigenden Dienern gingen sie durch die teppichbelegten Räume, über Korridore und Treppen. Don Manrique lobte kennerhaft, Don Garcerán naiv und bewundernd.

Im Garten trafen sie Don Jehudas Kinder. »Dies ist Don Manrique de Lara«, stellte Jehuda vor, »der Erste Rat des Königs Unseres Herrn, und sein geehrter Sohn, der Ritter Don Garcerán.« Raquel musterte die Gäste mit kindlicher Neugier. Unverlegen nahm sie teil an der Unterhaltung. Doch ihr Latein erwies sich, wiewohl sie eifrig gelernt hatte, als noch lückenhaft, und lachend über ihre Fehler, bat sie die Herren, arabisch zu sprechen. Es wurde ein munteres Gespräch. Die beiden Gäste priesen Doña Raquels Witz und Anmut in den modischen Redewendungen, die arabisch doppelt umständlich klangen, Doña Raquel lachte, die Gäste lachten mit.

Der vierzehnjährige Alazar, nicht blöde, fragte Don Garcerán nach Pferden und ritterlichen Übungen. Der junge Herr konnte sich der frischen, lebendigen Art des Knaben nicht entziehen und gab beflissene Antworten. Don Manrique riet freundschaftlich, Jehuda möge den Knaben einem großen Hause als Pagen anvertrauen. Don Jehuda erwiderte, daran habe er selber schon gedacht; er verschwieg seine stille Hoffnung, daß der König den Knaben in Dienst nehmen werde.

Andere Granden, vor allem Freunde des Hauses de Lara, taten es Don Manrique nach und machten dem neuen Escrivano Mayor ihre Aufwartung.

Vor allem die jüngeren Herren kamen gerne. Sie suchten die Gesellschaft Doña Raquels. Die Töchter des Adels nämlich zeigten sich nur bei großen Festlichkeiten des Hofes und der Kirche, man sah sie nie allein, man konnte mit ihnen nur allgemein leere Konversation machen. Da war es eine angenehme Abwechslung, sich mit der Tochter des jüdischen Ministers zu unterhalten, die, von weniger Zeremoniell behütet, doch gewissermaßen eine Dame war. Sie sagten ihr langatmig übertriebene Galanterien, wie die Courtoisie es verlangte. Raquel hörte freundlich zu und fand das verliebte Gerede eher lächerlich. Manchmal aber ahnte sie, daß sich dahinter Derbheit und Gier verbargen; dann wurde sie scheu und zugesperrt.

Der Umgang mit den christlichen Rittern war ihr schon deshalb willkommen, weil sie im Gespräch mit ihnen die Landessprache übte, das formelle Latein des Hofes und der Gesellschaft und das niedrige Latein des Alltags, das Kastilische.

Auch waren ihr die Herren dienstwillige Führer, wenn sie auszog, die Stadt zu erkunden.

Da saß sie denn in der Sänfte, zur einen Seite ritt ein Don Garcerán de Lara oder ein Don Estéban Illán, zur andern Seite ihr Bruder Don Alazar. In einer zweiten Sänfte folgte die Amme Sa’ad. Läufer machten dem Zuge Platz, schwarze Diener beschlossen ihn. So ging es durch die Stadt Toledo.

Die Stadt hatte in den hundert Jahren, da sie sich in Händen der Christen befand, manches von der Größe und der Pracht ihrer islamischen Zeit eingebüßt; sie war nicht so groß wie Sevilla, aber noch immer wohnten in ihr und um sie weit über hunderttausend Menschen, wohl an die zweihunderttausend, und so war Toledo die größte Stadt des christlichen Spaniens, auch größer als Paris und sehr viel größer als London.

In dieser kriegerischen Zeit waren alle großen Städte Festungen, sogar das heitere Sevilla. In Toledo aber war jedes einzelne Stadtviertel nochmals von Mauern und Türmen umgeben, und viele der Häuser des Adels waren Festungen für sich. Befestigt waren alle Tore, befestigt die Kirchen und Brücken, die vom Fuß des finstern, gewaltigen Stadthügels über den Fluß Tajo ins Land führten. Innerhalb der Stadt aber drängte sich auf engstem Raume Haus an Haus, hügelan, hügelab, die Treppenwege waren dunkel und schmal, häufig sehr steil, sie schienen Doña Raquel verdächtige Schluchten, überall waren Ecken, Winkel, Mauern, und immer wieder schwere, riesige, eisenbeschlagene Tore.

Die großen, soliden Bauten stammten fast alle noch aus der Zeit der Moslems und waren nur notdürftig instand gehalten und wenig verändert. Doña Raquel war im stillen überzeugt, daß dies alles viel schöner gewesen war, als noch die Moslems es betreuten. Dafür hatte sie ihre Freude an dem bunten Menschengewimmel, welches vom frühen Morgen bis in die Dunkelheit die Stadt füllte, vor allem den Hauptplatz, den Zocodovér, den offenbar uralten Marktplatz. Menschen lärmten, Pferde wieherten, Esel schrien, alles drängte durcheinander, stieß und störte sich, immerzu gab es Stockungen, und die Straßen waren voll Unrat. Allein Raquel vermißte kaum die schöne Ordnung Sevillas, solche Freude hatte sie an dem heftigen Leben Toledos.

Es fiel ihr auf, wie scheu und zurückhaltend hier die islamischen Frauen waren. Alle gingen sie tief verschleiert. In Sevilla hatten die Frauen aus dem Volk bei der Arbeit und wenn sie zu Markte gingen, den behindernden Schleier abgelegt, und in den Häusern der aufgeklärten großen Herren trugen nur die verheirateten Damen Schleier, sehr dünne, kostbare, mehr Schmuck als Verhüllung. Hier aber, offenbar um sich den Blicken der Ungläubigen zu entziehen, trugen alle islamischen Frauen die Schleier lang und dicht und immer.

Die jungen Granden, stolz auf ihre Stadt, erzählten Raquel von der Geschichte Toledos. Gott hatte die Sonne am vierten Schöpfungstage, als er sie schuf, gerade über Toledo gestellt, so daß die Stadt älter war als die übrige Erde. Uralt war die Stadt, dafür gab es viele Beweise. Sie hatte Karthager herrschen sehen, dann sechshundert Jahre lang Römer, dreihundert Jahre gotische Christen, vierhundert Jahre Araber. Jetzt, seit hundert Jahren, seit dem glorreichen Kaiser Alfonso, herrschten hier von neuem die Christen, und nun werden sie hier bleiben bis zum Jüngsten Gericht.

Ihre beste und größte Zeit, erzählten die jungen Granden, hatte die Stadt gesehen unter den christlichen, westgotischen Herren, deren Abkömmlinge sie, die Ritter, waren. Damals war Toledo die reichste, herrlichste Stadt der Welt gewesen. Der König Athanagild hatte seiner Tochter Brunhild zur Ausstattung Schätze mitgegeben im Werte von dreitausend mal tausend Goldmaravedí. Der König Reccared besaß den Tisch des Judenkönigs Salomo, er bestand aus einem einzigen riesigen Smaragd und war mit Gold umrahmt; auch besaß König Reccared einen Wunderspiegel, in welchem man die ganze Welt erblickte. Das alles hatten die Moslems geraubt und zerstört und verschleudert, die Ungläubigen, die Hunde, die Barbaren.

Besonders stolz waren die jungen Herren auf ihre Kirchen. Neugierig, befangen betrachtete Raquel die wuchtigen Bauwerke; sie schauten aus wie Festungen. Raquel stellte sich vor, wie edel sie gewesen sein mochten, da sie noch Moscheen waren, umgeben von Bäumen, Springbrunnen, Säulengängen, Lehrhäusern. Nun war alles kahl und finster.

Im Vorhof der Kirche der heiligen Leocadia fand sie einen Brunnen mit einer besonders schönen Einfassung, die eine arabische Inschrift trug. Stolz darauf, daß sie die altertümlichen kufischen Schriftzeichen lesen konnte, mit dem Finger den eingegrabenen, schon halb verwischten Lettern folgend, entzifferte sie: »Im Namen des Allbarmherzigen Gottes. Der Kalif Abd er Rahmân, der Siegreiche – Gott möge seine Tage verlängern – hat diesen Brunnen errichten lassen in der Moschee der Stadt Toleitola – Gott möge sie beschützen – in der siebzehnten Woche des Jahres 323.« Das war also jetzt vor zweihundertfünfzig Jahren. »Das ist lange her«, sagte Don Estéban Illán, der sie begleitete, und grinste.

Mehrmals erboten sich die jungen Herren, ihr das Innere einer Kirche zu zeigen. In Sevilla war viel die Rede von diesen »Kirchen«, Stätten des Greuels und Götzendienstes, in welche die Barbaren des Nordens die schönen alten Moscheen verwandelt hatten. Es verlangte Raquel sehr, eines dieser Häuser zu sehen, doch gleichzeitig verspürte sie Scheu und lehnte höflich unter einem Vorwand ab. Endlich überwand sie ihr Unbehagen und betrat, geführt von Don Garcerán und Don Estéban, die Kirche San Martín.

Kerzen waren in dem dämmerigen Innern. Duft von Weihrauch war. Und da war das, was zu sehen sie gewünscht und gefürchtet hatte: Bilder, Götzenbilder, das Urverbotene. Denn wenn der westliche Islam das eine oder andere Verbot des Propheten frei ausdeutete, wenn er’s zuließ, daß man Wein trank und daß die Frauen ihr Antlitz ohne Schleier zeigten: unverrückbar fest hielt er an der Vorschrift des Propheten, daß man sich kein Bild Allahs machen dürfe und kein Bild von irgend etwas Lebendigem, Mensch oder Tier; kaum die Form einer Pflanze oder einer Frucht durfte man andeuten. Hier aber standen Menschen herum, geformt aus Stein und aus Holz, und andere Menschen und Tiere waren flach und farbig auf Holzgetäfel gemalt. Das also waren die Götzenbilder, die Greuel Allahs und des Propheten.

Wer immer von Gott mit Vernunft, Gefühl, Gesittung begnadet war, sei er Jude oder Moslem, mußte Abscheu spüren vor solchen Gebilden. Sie waren auch tief widerwärtig, seltsam starr und dennoch lebendig, sonderbar unwirklich, halb tot, leichenhaft wie Fische auf Märkten. Sie wagten es, die Barbaren, es Allah gleichtun zu wollen, sie schufen Menschen nach seinem Bilde und beugten, die Narren, vor diesen steinernen und hölzernen Dingen, die sie selber gemacht hatten, die Knie und gaben ihnen Weihrauch zu riechen. Aber am Tage des Jüngsten Gerichts wird Allah diejenigen, die solche Dinge gemacht haben, auffordern, ihnen Leben einzublasen, und wenn sie’s nicht können, dann wird er sie in die Verdammnis stürzen für ewig.

Trotzdem spürte sich Raquel merkwürdig angezogen. Es berauschte sie, daß man das konnte: einen Menschen festhalten, das vergängliche Fleisch, die flüchtige Miene, die Gebärde, die verschwand, kaum daß sie da war. Daß sterbliche Menschen das vermochten, erfüllte sie mit Stolz und gleichzeitig mit Grauen.

Die Herren, die sie führten, erklärten ihr ehrfürchtig und beflissen die Götzenbilder. Da war ein Mann aus Holz mit einem Mantel und mit einer Gans. Das war der heilige Martín, dem die Kirche geweiht war. Er war Offizier gewesen und ins Feld gegangen, bewaffnet nur mit einem Kreuz, um der ganzen feindlichen Armee standzuhalten. Einmal, da es sehr kalt war, gab er den eigenen Mantel einem Armen, worauf ihm der Himmel einen andern Mantel überwarf. Wieder einmal, als der Kaiser nicht vor ihm aufstand, entzündete sich sein Thron, und das Feuer zwang ihn, dem Heiligen Ehrfurcht zu erweisen. Das alles konnte man sehen, es war auf Holztafeln gemalt. Doña Raquel wirbelte der Kopf, der Mann mußte ein Derwisch gewesen sein.

Auf einem anderen Bilde sah man ein moslemisches Mädchen mit einem Korb voll Rosen, und vor ihr stand verblüfft ein Araber fürstlichen Ansehens und Gewandes. Mit leiser Anzüglichkeit erzählte Don Garcerán, das seien die Prinzessin Casilda und ihr Vater, der König Al-Menon von Toledo. Casilda, von ihrer Aja heimlich im christlichen Glauben erzogen, versorgte unter vielen Gefahren die christlichen Gefangenen, die in den Verliesen des Königs hungerten. Der König wurde von einem Angeber unterrichtet und überraschte sie. Streng fragte er, was sie da im Korb habe. Es war Brot; sie aber antwortete: »Rosen.« Zornig hob er den Deckel: siehe, das Brot hatte sich in Rosen verwandelt. Das begriff Raquel. Ähnliches stand auch in ihren arabischen Geschichten. »Ah«, sagte sie, »sie war eine Zauberin.« Don Garcerán wies sie strenge zurecht: »Sie war eine Heilige.«

Don Estéban Illán vertraute ihr an, in den Knauf seines Degens sei ein Knöchelchen des heiligen Ildefonso eingeschmiedet, und diese Reliquie habe ihm zweimal in der Schlacht das Leben gerettet. Wieviel Zauberer diese Christen haben, dachte Doña Raquel, und sie erzählte munter, ein sehr gutes Schutzmittel sei es auch, sich am Tage der Schlacht von einem Mekka-Pilger, am besten einem Derwisch, in den Frühtrank spucken zu lassen. »Viele unserer Krieger tun das«, erklärte sie.

In all dem Neuen, das Raquel in Toledo sah, hörte und erlebte, versank ihr überraschend schnell die islamische Vergangenheit. Schon fiel es ihr schwer, sich die Züge ihrer Freundin Layla genau zurückzurufen oder die gelle, aufrüttelnde Stimme, mit welcher der Muezzin von der Azhar-Moschee zum Gebete rief. Aber sie trachtete, nicht zu vergessen, sie las weiter arabisch und übte sich in der zierlichen, schwierigen arabischen Kalligraphie. Auch hielt sie, obgleich sie sich als Jüdin fühlte, die moslemischen Bräuche weiter, nahm die vorgeschriebenen Waschungen vor und sprach die Gebete. Der Vater ließ es geschehen.

Die ständige Gesellschaft der Amme Sa’ad erleichterte es ihr, das Vergangene festzuhalten. Des Abends, wenn ihr die Amme beim Auskleiden half, schwatzten sie über das, was sie gesehen hatten, und verglichen es mit dem Leben in Sevilla. »Laß dich nicht zu weit mit den Ungläubigen ein, Rechja, mein Lämmchen«, mahnte da wohl die Amme. »Sie werden alle in der Hölle brennen, weil sie schamlos sind, und sie wissen es, und darum sind sie um so hochmütiger auf dieser Erde. Ihre Sultanin ist eine besonders Hochmütige. Sie lebt, diese Ungläubige, die meiste Zeit fern vom Harem ihres Gemahls, des Sultans Alfonso, in einer nördlichen Stadt, von der sie erzählen, sie ist so kalt und stolz wie sie selber.«

Hochmütig waren sie wohl, die Ungläubigen, damit hatte die Amme recht. Doña Raquel hatte den König noch nie zu Gesicht bekommen. Und sogar der Vater, der doch einer seiner Räte war, schien ihn nur selten zu sehen. Von seinem Intendanten und Sekretär Ibn Omar, der einen guten Informationsdienst eingerichtet hatte, erfuhr Don Jehuda, wie heftig die großen Herren des Reiches ihn anfeindeten. Sie hatten, seitdem der kluge Ibn Schoschan tot war, ihre Privilegien vermehrt, nach der Niederlage des Königs hatten sie sich weitere Sonderrechte angeeignet. Sie waren empört, daß nun ein neuer Hebräer kam, noch schlauer und habgieriger als der frühere, ihnen alles wieder wegzunehmen. Sie schimpften, zettelten, intrigierten. Jehuda hörte den Bericht unbewegten Gesichtes. Er wies seinen Ibn Omar an, er solle verbreiten, der neue Escrivano verteidige das unterdrückte Volk gegen die räuberischen Barone und suche den Wohlstand der Bürger und Bauern zu fördern.

Führer des Widerstandes gegen Don Jehuda war der Erzbischof von Toledo, der kriegerische Don Martín de Cardona, ein naher Freund des Königs. Seitdem die Christen das Land wieder erobert hatten, führte die Kirche einen erbitterten Kampf gegen die jüdischen Gemeinden. Die Juden entrichteten nicht, wie die übrige Bevölkerung, ihren Zehnten der Kirche, sie führten ihre Steuern unmittelbar an den König ab. Kein päpstliches Edikt, kein Beschluß des Kardinalkollegiums hatte daran etwas geändert. Erzbischof Don Martín war ergrimmt, daß die Bestallung des schlauen Ibn Esra die Juden noch verstockter machte in ihrem frevelhaften Bestreben, sich der Kirche zu entziehen. Er arbeitete mit allen Mitteln gegen den neuen Escrivano.

Um so seltsamer war es, daß sich, und zwar offenbar in freundlicher Absicht, schon bald nach Don Jehudas Ankunft der Sekretär des Erzbischofs, der Domherr Don Rodrigue, im Castillo Ibn Esra einstellte, der Beichtvater des Königs.

Der stille, höfliche Herr hatte hohes Interesse an Büchern. Er sprach, las und schrieb lateinisch und arabisch, er las auch hebräisch. Er verstand sich gut mit Jehuda, noch besser mit Jehudas weisem Freunde Musa Ibn Da’ud.

Musas Räume waren behaglich eingerichtet. Der alte Herr hatte zweimal in Not und Verbannung gehen müssen und hatte bewiesen, daß er Elend ohne Klagen ertragen konnte. Gerade darum liebte er Bequemlichkeit. Nicht ohne einen kleinen, gemütlichen Stolz zeigte er dem Domherrn die vielen Röhren der sorgfältigen Heizeinrichtung und den Filzbelag der Mauern, der durch ein ausgeklügeltes System berieselt werden konnte und angenehme Kühlung für heiße Tage verbürgte. Die zahlreichen Bücher Musas waren handlich untergebracht, sein großes, geliebtes Schreibpult stand wohlbelichtet. Und eine schöne Rundhalle, geeignet für ruhige Betrachtung, öffnete sich in den Garten.

Der wißbegierige Domherr konnte sich an Jehudas und Musas Bibliothek nicht satt sehen. Er bewunderte die Vielfalt der Bücher, die sich über alle Wissensgebiete verbreiteten, ihre zierliche Kalligraphie, ihre Initialen und bunten Randleisten, die schön gearbeiteten und geschmückten Hülsen der Buchrollen und die eleganten und gleichwohl festen Einbände der gebundenen Bücher. Vor allem aber bestaunte er den Stoff, auf den die meisten dieser Bücher geschrieben waren, es war jener Stoff, den die Christenheit kaum kannte: Papier.

Ach, sie, die Gelehrten der christlichen Reiche, mußten auf Pergament schreiben, auf Tierhaut, und nicht nur war die Mühe des Schreibens viel größer, es war auch das Material kostbar und spärlich. Oft mußten die Schreiber schon beschriebenes Pergament hernehmen, sie mußten, was die Früheren mit viel Mühe geschrieben hatten, mit viel Mühe wieder auslöschen und auskratzen, um ihre eigenen Gedanken auf dem alten Stoff niederzulegen, und wer mochte wissen, ob da nicht ein wohlmeinender Schreiber von heute edelste Weisheit eines Früheren austilgte, um seine eigenen, vielleicht sehr einfältigen Gedanken den Späteren aufzubewahren.

Don Jehuda erklärte dem Domherrn, wie dieses Papier hergestellt wurde. Mühlen bereiteten aus einem weißlichen Pflanzenstoff, Kattun genannt, einen Brei, es wurde geschöpft und getrocknet, das Ganze war keineswegs teuer. Das beste Papier wurde in Játiva hergestellt, es war sehr grobkörnig, Jatvi wurde es genannt. Don Rodrigue wog ein auf solches Jatvi geschriebenes Buch in zärtlichen Händen, kindlich staunend, wie wenig Raum und Gewicht so viel Geistiges beanspruchte. Jehuda erzählte, er habe Vorbereitungen getroffen, auch hier in Toledo Papierfabriken zu errichten, es gebe genügend Wasser, der Boden eigne sich für die notwendigen Pflanzen. Don Rodrigue war entzückt. Jehuda versprach, er werde ihm jetzt schon Papier beschaffen.

Später saßen Don Rodrigue und der alte Musa allein in der kleinen, offenen Rundhalle und pflogen langsames Gespräch. Don Rodrigue erzählte, man habe auch in den Ländern der Christen von Musas wissenschaftlicher Leistung gehört, vor allem von dem großen historischen Werk, an dem er schreibe, und auch von den Verfolgungen, die er habe leiden müssen. Musa dankte mit höflicher Neigung des Kopfes. Er saß, der lange Herr, bequem in seinen Kissen, etwas vornübergeneigt, die großen, milden Augen schauten still und wissend. Er sprach nicht viel, doch kam das meiste aus weiter Kenntnis, reicher Erfahrung, tiefer Überlegung. Es klang neu und anregend, freilich zuweilen etwas verfänglich.

Vieles schien verfänglich in diesem Castillo Ibn Esra. Da waren etwa unter den Inschriften, die von den Wandfriesen leuchteten, einige hebräische. Sie waren nicht leicht zu entziffern im Gestrüpp der vielen Schnörkel und Ornamente, die sie umgaben. Aber der Domherr, stolz auf sein Hebräisch, erkannte, daß sie der Heiligen Schrift entnommen waren, dem Buche Kohelet, dem Prediger Salomo. Ja, bestätigte Musa, es war so, und er nahm einen Stab, zeigte dem Domherrn, wie die Sätze inmitten der wirren Arabesken liefen, sich verloren, sich wieder fanden, zeigte und las und übertrug ins Lateinische. Es lauteten aber die Sätze: »Das Schicksal der Menschenkinder und das Schicksal des Viehes ist das gleiche. Wie dieses stirbt, so sterben jene, ihre Seele ist die gleiche, nicht besser ist der Mensch als das Vieh, und es ist alles eitel. Alles endet am gleichen Ort, alles ist aus Staub, und alles kehrt zurück zum Staub. Wer weiß, ob die Seele der Menschenkinder hinaufgeht und die Seele des Viehes hinunter unter die Erde?« Don Rodrigue verfolgte mit den Augen die hebräischen Zeichen an der Wand und sah und hörte, daß Musa getreu übersetzte. Aber klangen die Worte, wie er sie aus der Übersetzung des heiligen Hieronymus im Gedächtnis hatte, nicht anders? Nahm nicht im Munde dieses weisen und gütigen Musa selbst das Wort Gottes einen leisen Schwefelgeruch an?

Mochte dem sein wie immer, der Mann, der die Bibliothek des Castillo Ibn Esra betreute, zog den Domherrn beinahe noch mehr an als die herrliche Bibliothek selber. Er schien ihm, dieser Musa, wie er ruhig in seinen Polstern saß, zeitlos wie die Weisheit. Bald schien er ihm kaum älter als er selber, der fünfzig war, bald uralt. Der Glanz der stillen, etwas spöttischen Augen bezauberte ihn und machte ihn befangen, und trotzdem war ihm, als könne er mit diesem Manne freieren Gemütes reden als mit den meisten schlicht-gläubigen Christen.

Er erzählte ihm von der Akademie, deren Leiter er war. Gewiß könne sich dieses sein bescheidenes Institut nicht vergleichen mit ähnlichen der Moslems, aber es werde immerhin von hier aus Weisheit der Araber sowohl wie der heidnischen Alten dem Abendlande vermittelt. »Glaube ja nicht, o weiser Musa«, erklärte er eifrig, »daß ich engherzig sei. Ich habe sogar den Koran ins Lateinische übersetzen lassen. Auch arbeiten an meiner Akademie manche Ungläubige, Juden wie Moslems. Wenn du es erlaubst, dann bringe ich dir einmal den einen oder andern meiner Schüler, daß er der Ehre eines Gespräches mit dir teilhaftig werde.«

»Tu das, hochwürdiger Don Rodrigue«, antwortete freundlich Musa. »Bring mir welche von deinen Schülern. Aber mahne sie zur Vorsicht. Und sei selber vorsichtig!« Und er wies auf einen Satz an der Wand, verwirrenderweise war es wieder ein Satz aus der Heiligen Schrift, dieses Mal aus dem Fünften Buche Mose: »Verflucht sei, wer einen Blinden irreführt.«

Als sich Don Rodrigue endlich von dem Hausherrn verabschiedete, viel später, als er beabsichtigt hatte – er war wirklich ungebührlich lange geblieben –, sagte er scherzend: »Ich sollte dir böse sein, Don Jehuda. Um ein Haar hast du mich verleitet, das Zehnte Gebot zu übertreten. Zwar gelüstet es mich nicht nach deinem Hause, noch nach deinen Maultieren, noch nach deinen Knechten und Mägden. Wohl aber, fürchte ich, gelüstet es mich nach deinen Büchern.« Der Gemeindevorsteher Don Ephraim suchte Jehuda auf, um mit ihm von Angelegenheiten der Aljama zu sprechen. »Wie zu erwarten war«, hub er an, »hat dein Ruhm und Glanz der Gemeinde viel Segen gebracht, aber auch neue Bedrängnis. Der Neid auf deine Größe hat den Haß des Erzbischofs, dieses Frevlers und Esau, geschürt. Don Martín zieht sein verstaubtes Pergament hervor, jene Verordnung des Kardinalskollegiums von vor sechs Jahren, daß nicht nur die Söhne Edoms, sondern auch die Nachkommen Abrahams den Zehnten an die Kirche zu entrichten hätten. Damals hatte der edle Alfakim Ibn Schoschan – das Andenken des Gerechten zum Segen – den Ansturm der Beglatzten abgewehrt. Nun aber glaubt der Frevler seine Zeit gekommen. Sein Schreiben an die Aljama ist voll von Drohungen.«

Don Jehuda wußte, daß es bei der Forderung des Zehnten um sehr viel mehr ging als um das Geld. Siegte die Kirche, dann war das Grundprivileg der Juden gefährdet, dann unterstanden sie nicht mehr unmittelbar dem König, dann hatte sich der Erzbischof dazwischengeschoben. Auch mußte Don Jehuda in seinem Innern zugeben, daß die Besorgnis Don Ephraims, diesmal könnte der Erzbischof sein Ziel erreichen, nicht unbegründet war. Don Martín war ein naher Freund des Königs; sicher lag er ihm in den Ohren, er möge die Sünde der Erhöhung des Juden Ibn Esra dadurch gutmachen, daß er endlich die Judenheit zur Entrichtung des Kirchenzehnten zwinge.

Allein Jehuda äußerte Zuversicht. »Es wird dem Frevler diesmal so wenig gelingen wie früher«, sagte er. Und fuhr fort: »Ist nicht im übrigen alles, was Steuern anlangt, mein Bereich? Erlaube, daß ich das Schreiben des Erzbischofs beantworte.«

Das war nun durchaus nicht nach Don Ephraims Sinn; er wollte keines seiner Geschäfte diesem Jehuda überlassen. »Es sei ferne von mir«, lehnte er höflich ab, »dir noch weitere Bürden aufzuhalsen, mein Herr und Lehrer Jehuda. Ein anderes aber möchte ich dir bescheidentlich im Namen der Aljama nahelegen. Die Pracht deines Hauses, die Fülle des Gutes, mit welchem der Herr dich gesegnet hat, die Glorie, die er dir durch die Gnade des Königs zugewandt hat, ist allen Neidern Israels ein Dorn im Auge und ein währender Stachel im schwarzen Herzen des Erzbischofs. Ich habe deshalb der Aljama neu eingeschärft, sich unauffällig zu halten und die Bösewichter nicht durch Glanz zu reizen. Wolle auch du sie nicht reizen, Don Jehuda.« – »Ich verstehe deine Sorge, mein Herr und Lehrer Don Ephraim«, antwortete Jehuda, »aber ich teile sie nicht. Nach meinen Erfahrungen schreckt der Anblick der Macht ab. Zeigte ich Schwäche oder Kargheit, so würde der Erzbischof nur kühner gegen mich und gegen euch.«

Am folgenden Sabbat ging Don Jehuda in die Synagoge.

Er war erstaunt, wie kahl und nüchtern das Innere selbst dieses ersten Heiligtums der spanischen Judenheit herschaute; Don Ephraim duldete auch hier keinen Prunk. Öffnete sich freilich der Thora-Schrein, die Bundeslade, der Aron Hakodesch, dann leuchteten und glänzten daraus hervor die heiligen Geräte, mit welchen die Rollen der Schrift geschmückt waren, die kostbar bestickten Mäntel, die goldenen, von Geschmeide glitzernden Platten und Kronen.

Don Jehuda wurde aufgerufen, den Wochenabschnitt aus der Schrift zu lesen. Erzählt war da, wie Bileam, ein heidnischer Prophet, auszog, dem Volke Israel zu fluchen, allein Gott zwang ihn, sein Volk zu segnen, und es verkündete der heidnische Prophet: »Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, Israel, wie Täler, die sich breiten, wie Gärten mit vielen Wassern, wie Aloebäume, von Jahve gepflanzt, wie Zedern am Ufer des Flusses. Du frißt die Völker, die Heiden, deine Feinde, du zermalmst die Gebeine deiner Verfolger.«

Jehuda las die Verse in dem vorgeschriebenen uralten Singsang, er las nicht ohne Mühe, sein Akzent mochte dem oder jenem fremdartig klingen, ja, ein wenig lächerlich. Aber keinen lächerte es. Vielmehr hörten sie, die jüdischen Männer und Frauen von Toledo, voll Verehrung zu, und die Ergriffenheit Don Jehudas erhob auch sie. Dieser Mann, den das Schicksal in früher Jugend zum Meschummad gemacht hatte, war freiwillig, war demütig in den Bund Abrahams zurückgekehrt und wird, dieser Mächtige, mithelfen, daß die Segnungen, von denen er las, sich auch an ihnen erfüllten. Nun sich Raquel offen zu ihrem Judentum bekennen durfte, fiel es ihr schwerer, sich als Jüdin zu fühlen, denn vorher. Sie las oft in dem Großen Buch, sie träumte stundenlang versunken und leidenschaftlich von den Geschichten, die darin standen, von den Taten der Väter und Könige und Propheten. Das Gewaltige, Erhabene, Tieffromme, das da berichtet wurde, und auch das Schwache, Kleine, Tiefböse, das nicht unterschlagen war, alles wurde ihr leibhaft, und sie war stolz und glücklich, von solchen Ureltern abzustammen.

Allein mit den Juden, die sie hier in Toledo lebendig umgaben, fühlte sie wenig Verbundenheit, wiewohl sie doch festen, ehrlichen Willens war, zu ihnen zu gehören.

Oft, um ihr Volk besser kennenzulernen, ging sie in die Judenstadt, die Judería.

Auf diesen Gängen ließ sie sich von Don Benjamín Bar Abba begleiten, einem jungen Verwandten des Gemeindevorstands. Der Domherr Rodrigue hatte Benjamín im Castillo Ibn Esra eingeführt; er war einer seiner Gelehrtenschüler, ein Übersetzer aus seiner Akademie.

Don Benjamín war mit all seinem geschärften Verstand und seinem gründlichen Wissen kaum dreiundzwanzig Jahre alt, er hatte etwas Knabenhaftes, Schalkhaftes, Spitzbübisches, das Raquel anzog. Bald war zwischen ihnen gute Kameradschaft. Sie lachten gerne über Dinge, deren Spaßhaftigkeit ein anderer kaum verstanden hätte, und es gab mancherlei, worum Doña Raquel den Vater nicht und nicht einmal Onkel Musa befragte, wohl aber ihren Freund Benjamín.

Er seinesteils erzählte ihr unbefangen von seinen eigensten Dingen. Etwa, daß ihm sein Verwandter, Don Ephraim, der Párnas, nicht gefalle; er sei ihm zu listig, und wenn er selber nicht so arm wäre, hielte er’s in Don Ephraims Hause nicht aus. Doña Raquel hatte noch nie einen Freund gehabt, der arm war. Sie musterte ihn erstaunt und neugierig.

Benjamín übte die jüdischen Bräuche, doch nur, um Don Ephraim nicht zu mißfallen, er legte kein Gewicht auf sie. Wohl aber bewunderte er arabische Weisheit, und er sprach gerne von den großen alten, verschollenen Völkern, besonders von den Griechen, Joniern, wie er sie nannte; einen dieser Jonier, einen gewissen Aristoteles, stellte er Unserm Lehrer Mose geradezu gleich. Bei alledem war er stolz darauf, zu den Juden zu gehören; denn sie waren das Volk des Buches und hatten das Buch treu durch die Jahrtausende bewahrt.

Dieser Benjamín war Raquels Führer in der Judería. Mehr als zwanzigtausend Juden lebten in Toledo, und nochmals fünftausend außerhalb der Mauern, und wiewohl durch kein Gesetz gezwungen, wohnten die meisten in ihrem eigenen Stadtviertel, das wiederum durch Mauern und befestigte Tore beschützt war.

Die Juden saßen, erzählte Benjamín, seit urdenklichen Zeiten in Toledo; ja, die Stadt leitete ihren Namen her von dem hebräischen Worte Toledot, Geschlechterfolge. Die ersten waren hierhergekommen als Abgesandte des Königs Salomo, um von den Barbaren Tribut zu erheben. Die meiste Zeit ging es ihnen gut. Aber unter den christlichen Westgoten hatten sie wüste Verfolgungen zu erleiden. Am grimmigsten verfolgte sie einer ihres eigenen Stammes, ein gewisser Julian, der zu den Christen überlief und von diesen zum Erzbischof gemacht wurde. Immer schärfere Vorschriften erließ er gegen seine früheren Brüder, und zuletzt erwirkte er ein Gesetz, dem zufolge, wer nicht zum Christentum übertrat, in die Sklaverei verkauft werden sollte. Da riefen denn die Juden die Araber übers Meer und halfen ihnen, das Land zu erobern. Die Araber legten jüdische Garnisonen in die Städte und gaben ihnen jüdische Kommandanten. »Stell dir vor, Doña Raquel«, forderte Benjamín sie auf, »wie das gewesen sein muß, als die Unterdrückten plötzlich die Herren wurden und die früheren Unterdrücker die Sklaven.«

Begeistert erzählte Benjamín von den Büchern der Dichtung und Weisheit, welche in den folgenden Jahrhunderten unter der Herrschaft der Moslems die sephardischen Juden geschaffen hatten. Aus dem Gedächtnis sprach er ihr vor glühende Verse des Salomo Ibn Gabirol und des Jehuda Halevi. Er erzählte ihr von den mathematischen, astronomischen, philosophischen Werken des Abraham Bar Chija. »Was immer in diesem Lande Sepharad groß ist, sei es im Geiste oder sei es im Stein«, sagte er überzeugt, »daran haben Juden mitgebaut.«

Einmal sprach ihm Raquel von der Verwirrung, in welche der Anblick der Götzenbilder in der Kirche San Martín sie gestürzt hatte. Er hörte zu. Stand unschlüssig. Dann, verschmitzt, zog er ein kleines Buch heraus und zeigte es ihr, geheimnisvoll. Es waren aber in diesem Buch, er nannte es sein Merkbuch, Zeichnungen, Abbildungen von Menschen. Manchmal waren sie bösartig spaßhaft, zuweilen verwandelten sich die Gesichter der Menschen geradezu in Tiergesichter. Doña Raquel war erstaunt, angeschauert, amüsiert. Welch unerhörter Frevel! Dieser Don Benjamín machte nicht nur Abbilder allgemeiner Art, wie es jene Götzenbilder in den Kirchen waren, er formte deutliche, erkennbare Menschen. Ja, er wollte es Gott gleichtun, er änderte sie nach seinem frechen Willen, verzerrte ihre Seele. Öffnete sich die Erde nicht, den Frevler zu verschlingen? Und sie selber, Raquel, nahm sie nicht teil an dem Frevel, indem sie diese Zeichnungen beschaute? Aber sie konnte sich nicht helfen, sie schaute weiter. Da war das Abbild eines Tieres, eines Fuchses, wie es schien, aber es war gar kein Fuchs, aus dem listigen Gesicht schauten die frommen Augen Don Ephraims. Und Raquel inmitten all ihres Grauens und ihrer Zweifel mußte lachen.

Am engsten verknüpft fühlte sie sich mit Benjamín, wenn dieser ihr Geschichten erzählte, merkwürdige Begebenheiten, die großen jüdischen Männern Toledos zugestoßen waren.

Da war die Geschichte des Rabbi Chanan Ben Rabua. Der hatte eine wunderbare Wasseruhr konstruiert. Sie bestand aus zwei Brunnen, zwei Zisternen, die mit solcher Kunst und Berechnung angelegt waren, daß sich die eine bei zunehmendem Monde langsam mit Wasser füllte und die andere leerte, mit abnehmendem Monde aber umgekehrt, so also, daß man ihnen den Tag des Monats, ja, die Stunde des Tages ablesen konnte. Neidische Nebenbuhler bezichtigten Rabbi Chanan der Zauberei. »Wissen macht immer verdächtig«, erläuterte altklug Don Benjamín – und der Alkalde zog Rabbi Chanan gefänglich ein. Da indes leerten sich und füllten sich die Zisternen nicht mehr, wie sie sollten. Man nahm an, der Rabbi habe, bevor man ihn gefangensetzte, die kunstreiche Wasseruhr, an der er dreimal sieben Jahre gearbeitet hatte, beschädigt, und man wollte ihn zwingen, sie zu reparieren. Er aber verdarb sie vollends. Da verbrannten sie ihn. »Der Turm, in dem er lag«, schloß Don Benjamín, »steht noch heute. Auch jene Zisternen kannst du noch sehen, in der Huerta del Rey, bei dem verfallenen Lustschloß La Galiana.«

Des Abends erzählte Raquel der Amme Sa’ad von dem armen, kunstreichen, gelehrten Rabbi Chanan, den die bösen Menschen gefoltert hatten um seiner Kunst und Wissenschaft willen. Sie erzählte anschaulich von der Wasseruhr und dem Gefängnis und von dem Feuertod des Rabbis. Die Amme Sa’ad aber sagte: »Es sind böse Menschen hier in Toledo. Ich wollte, Rechja, mein Lämmchen, wir gingen zurück in die Stadt Sevilla, möge Allah sie behüten.«

Drittes Kapitel

Die Brüder Fernán und Gutierre de Castro ließen es nicht bei leeren Drohungen bewenden gegen den Mann, der einen Beschnittenen in ihr Castillo gesetzt hatte. Sie stießen mit bewaffneter Macht in den Bereich Don Alfonsos vor, einmal sogar bis in die Stadt Cuenca. Sie überfielen reisende Bürger und führten sie als Gefangene in ihre Burgen. Sie raubten kastilischen Bauern die Viehherden. Mit der Beute zogen sie sich zurück in ihr schwer zugängliches Bergland Albarracín.

Don Alfonso wütete. Seitdem er denken konnte, hatte er die Castros gehaßt. Als er mit drei Jahren König geworden war, hatte ein Castro für ihn regiert, er hatte den Knaben streng und schlecht behandelt, und Alfonso hatte gejubelt, als endlich Manrique de Lara die Castros stürzte. Allein die Castros blieben mächtig in ihrer Gaugrafschaft, und sie hatten viele Anhänger unter den Granden Kastiliens.

Ihre neuerlichen frechen Gewalttaten reizten Alfonso aufs Blut. So ging das nicht weiter. Er wird ihre Burgen berennen und zerstören, er wird die beiden kahl scheren und ins Kloster stecken; nein, die Köpfe abschlagen wird er ihnen.

In seinem Innern wußte er, daß eine solche kriegerische Expedition gefährliche Zerwürfnisse mit seinem Oheim bringen mußte, dem König von Aragon.

Von jeher nämlich hatte Aragon sowohl wie Kastilien Anspruch erhoben auf die Oberhoheit über die Grafschaft der Castros, das Bergland Albarracín, das zwischen Kastilien und Aragon gelegen war. Nach dem Tode des letzten regierenden Grafen indes hatten seine Söhne, die Brüder Fernán und Gutierre de Castro, sich geweigert, irgendwelche Oberhoheit anzuerkennen. Wenn jetzt er, Alfonso, in ihr Land einfällt, dann werden sie sich an Aragon um Schutz wenden, und sein Oheim Raimundez, der König von Aragon, wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sie als Vasallen anzunehmen und sie gegen seinen, Alfonsos, Angriff zu verteidigen. Das bedeutete Krieg mit Aragon.

Allein Alfonso verscheuchte diese Bedenken, noch bevor sie recht zu Gedanken wurden. Er wird gegen die Castros marschieren! Er wird Jehuda berufen. Der muß ihm das Geld schaffen.

Jehuda, auf dem Weg zur Königsburg, war hellen Mutes. Er wußte nicht, was Don Alfonso, den er lange nicht gesehen hatte, von ihm wollte, und er freute sich darauf, ihm Vortrag zu halten; er konnte von Erfolgen berichten, ja, den handgreiflichen Beweis eines Erfolges führte er mit sich, ein kleines Etwas, das Don Alfonso Spaß und Freude machen würde.

Er stand vor dem König und berichtete. Mehrere Ricoshombres, neun, um genau zu sein, die mit ihren Zahlungen im Verzug waren, hatten mit Unterschrift und Siegel bestätigt, daß sie bei weiterer Versäumnis jeden Herrschaftsanspruch an gewisse Städte verlieren sollten, zugunsten des Königs. Jehuda konnte ferner berichten von elf neuen Mustergütern, von einer Versuchsanstalt für Seidenzucht in der Nähe von Talavera, von neuen, großen Werkstätten hier in Toledo und in Burgos, auch in Avila, Segovia, Valladolid.

Und dann kam er mit seiner großen Überraschung. »Du hast mir, Herr König«, sagte er, »dein Mißvernügen darüber ausgesprochen, daß ich dir noch keine Goldschmiede und Münzmeister ins Land gebracht hätte. Erlaube mir, dir heute ein erstes Erzeugnis deiner Goldschmiede ehrerbietig zu überreichen.« Und lächelnd und stolz übergab er Don Alfonso das Etwas, das er mitgebracht hatte.

Der König nahm und sah und strahlte auf. Bisher waren in den christlichen Ländern der Halbinsel nur arabische Goldmünzen in Umlauf gewesen. Was er jetzt in Händen hielt, war die erste Goldmünze des christlichen Spaniens, und es war eine kastilische. Leuchtend in blitzendem, rötlichem Gelb hob sich sein, des Königs, Profil, deutlich erkennbar das seine, und ringsum stand auf lateinisch: »Alfonsus von Gottes Gnaden König von Kastilien.« Auf der andern Seite aber sah man den Schutzpatron Spaniens, den Apostel Jakob, den Santiago; er saß zu Pferde, das Schwert erhoben, so wie er oftmals in den Lüften den christlichen Heeren geholfen hatte, die Ungläubigen zu zerschmettern.

Gierig, mit kindlichem Vergnügen, beschaute und betastete Don Alfonso das schöne Werk. So also wird fortan in gutem, schwerem Golde sein Gesicht durch die Länder der Christenheit gehen und auch durch die des Islams und alle daran erinnern, daß Kastilien in guter Hut ist, in der des Santiago und in der seinen, Don Alfonsos. »Das hast du trefflich gemacht, Don Jehuda«, lobte er, und es ging von seinem hellen Gesicht und seinen hellen Augen so viel Freudigkeit aus, daß Don Jehuda alle Unbill vergaß, die der Mann ihm angetan hatte.

Dann aber erinnerte das Bild des streitbaren Santiago den König an sein Vorhaben und an den Grund, aus welchem er seinen Escrivano berufen hatte, und munter, ohne Übergang, sagte er: »Da wir also Geld haben, kann ich ja eigentlich gegen die Castros vorgehen. Glaubst du, daß sechstausend Goldmaravedí für die Expedition genügen?«

Don Jehuda, jäh aus seiner Freude gerissen, legte dar, daß die Castros zweifellos die Schutzherrschaft des Königs von Aragon anrufen und daß König Raimundez sie als Vasallen annehmen werde. »Dein erlauchter Oheim Raimundez wird eingreifen«, erklärte er dringlich. »Er hat die ansehnliche Kriegsmacht schlagbereit, die er für seine Unternehmung in der Provence gesammelt hat, und sein Kriegsschatz ist gefüllt. Du wirst dich, Don Alfonso, unter denkbar ungünstigen Umständen in einen Krieg mit Aragon verwickelt sehen.«

Don Alfonso wollte davon nichts hören. »Geh mir mit deinen lahmen Bedenken!« wies er Jehuda ab. »Ein paar hundert gute Lanzen genügen gegen die Castros, ich verstehe mich auf schnellen Angriff, es wird ein Handstreich sein, nicht mehr. Hab ich aber erst Albarracín oder auch nur Santa María genommen, dann begnügt sich mein mattherziger Onkel von Aragon, zu schimpfen, und greift nicht mehr ein. Schaff mir die sechstausend Goldmaravedí, Don Jehuda!« bestand er.

Jehuda wußte: was der König ihm und sich selber vormachen wollte, war eitle Hoffnung. Don Raimundez, wiewohl ein verträglicher Herr, wird, wenn er jetzt den guten Vorwand hat, gegen Alfonso Krieg führen.

König Raimundez nämlich spürte tiefe Abneigung gegen seinen Neffen Alfonso, und nicht ohne Grund. Kastilien, sich auf alte Papiere stützend, beanspruchte Lehenshoheit über das Land Aragon. Solche »Oberhoheit« war reine Prestigesache. Der sehr mächtige König von Engelland etwa anerkannte in seiner Eigenschaft als Inhaber vieler fränkischer Herrschaften die Oberhoheit des Königs von Francien, wiewohl dieser einen viel kleineren Teil Franciens beherrschte als er selber. Im Grunde war es auch dem alten König Raimundez von Aragon gleichgültig, ob er etwas mehr oder weniger »Prestige« besaß. Aber er sah in seinem ungestümen Neffen die Verleiblichung eines leeren, veraltenden Ritterideals, und es verdroß ihn, daß viele, ja, sein eigener Sohn, solch wirklichkeitsfremdem Rittertum anhingen und zu Alfonso als zu einem Helden aufschauten. Deshalb hatte er Don Alfonsos Forderung, ihn als Oberherrn anzuerkennen, für verjährten Unsinn erklärt. Alfonso seinesteils brachte seinen Anspruch bei jeder Gelegenheit von neuem vor und prahlte, der Tag werde kommen, da der unverschämte Aragon vor ihm als vor seinem gottgewollten Oberherrn niederknien werde.

Es war also, wenn Alfonso wirklich den Feldzug unternahm, ein Eingreifen Aragons unvermeidlich, und Don Jehuda überlegte, wie er das dem König in behutsamen Worten klarmachen könnte. Allein Alfonso sah Jehudas Einwände voraus, er wollte sie nicht wissen, und er kam ihm zuvor. »Schließlich bist du an allem schuld«, zürnte er, »weil du dich in das Haus der Castros gesetzt hast.«

Don Jehuda hatte sich in diesen harten Monaten ein zweites Gesicht anwachsen lassen, eine Miene stiller Höflichkeit. Nicht bezwingen aber konnte er seine Stimme; die stammelte und lispelte in der Erregung. So auch jetzt, da er antwortete: »Ein Feldzug gegen die Castros, Herr König, wird nicht sechstausend Goldmaravedí kosten, sondern zweihunderttausend. Möge mir deine Majestät doch glauben, daß Aragon es unter keinen Umständen ruhig hinnehmen wird, wenn du gegen die Castros vorgehst.« Er entschloß sich, dem König einen letzten, unwiderleglichen Einwand mitzuteilen. »Du weißt, mein Vetter Don Joseph Ibn Esra ist Alfakim am Hofe von Aragon und ist eingeweiht in die Pläne des Königs. Mehrmals schon hat dein erlauchter Oheim daran gedacht, den Castros Waffenhilfe zu leisten. Mein Vetter und ich haben Briefe und Ratschläge ausgetauscht, und es ist Don Joseph geglückt, seinen König abzuhalten. Allein er hat mich gewarnt. Die Herren de Castro haben eine bindende Zusage, Aragon werde ihnen beistehen, wenn du sie angreifst.« Die junge Stirn Alfonsos furchte sich tief. »Du und dein Herr Vetter«, sagte er, »ihr scheint ja eifrig zu konspirieren.« – »Ich hätte dir die Warnung Don Josephs schon vor Tagen mitgeteilt«, entgegnete Jehuda, »aber du hattest nicht die Gnade, mir dein Angesicht zu zeigen.«

Der König ging mit starken Schritten auf und ab. Don Jehuda setzte auseinander: »Ich begreife, daß es deine Majestät danach verlangt, die dreisten Barone zu züchtigen. Auch mich – erlaube mir die demütige Anmerkung – verlangt es danach. Aber habe die Gnade, noch ein kleines zu warten. Erwägt man es ruhig, dann ist der Schaden, den die Castros angerichtet haben, nicht groß.«

»Sie halten Untertanen von mir in ihren Verliesen!« rief Alfonso.

»Gib Auftrag«, schlug Jehuda vor, »und ich löse die Gefangenen aus. Es sind kleine Leute. Es geht um ein paar hundert Maravedí.«

»Schweig!« brauste Alfonso auf. »Ein König löst seine Untertanen nicht aus von einem Vasallen! Aber das verstehst du nicht, du Krämer!«

Jehuda war blaß geworden. Ob die Castros Don Alfonsos Vasallen waren, darum eben ging ja der Streit. Aber diese Hochmütigen hielten nun einmal Raub und Totschlag für die einzig anständige Art, Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Am liebsten hätte er ihm gesagt: Mach deinen Feldzug, du Ritter und Narr. Die sechstausend Goldmaravedí schmeiß ich dir hin. Aber alle seine Pläne stürzten ein, wenn es zu einem Krieg mit Aragon kam. Er mußte diesen Feldzug verhüten.

»Vielleicht«, gab er zu erwägen, »kann man die Gefangenen befreien, ohne deine königliche Würde zu gefährden. Vielleicht kann man erwirken, daß die Castros die Gefangenen an Aragon ausliefern werden. Erlaube mir, darüber zu verhandeln. Vielleicht, wenn du es mir gestattest, gehe ich selber nach Saragossa, um mit Don Joseph zu beraten. Bitte, versprich mir eines, Herr König: daß du eine Expedition gegen die Castros nicht befiehlst, bevor du mir vergönnst, nochmals mit dir darüber zu reden.«

»Was nimmst du dir heraus!« grollte Alfonso. Aber er hatte das Unsinnige seines Vorhabens eingesehen. Leider hatte der Jude recht.

Er nahm die Goldmünze, wog sie, beschaute sie. Hellte sich auf. »Ich verspreche nichts«, sagte er. »Aber ich werde mir überlegen, was du gesagt hast.«

Jehuda sah, daß er mehr nicht erreichen konnte. Er nahm Urlaub und fuhr nach Aragon. Der Domherr Rodrigue sprach auch trotz der Abwesenheit Jehudas häufig im Castillo Ibn Esra vor. Er suchte die Gesellschaft des alten Musa.

Da saßen die beiden in der kleinen Vorhalle, schauten hinaus in die Stille des Gartens, hörten auf den leisen, immer gleichmäßigen, immer wechselnden Fall der springenden Wasser und pflogen sachten Gespräches. Die Wände entlang, rot, blau und golden leuchtend, liefen die Friese mit den Weisheitssprüchen. Die krausen Lettern der neueren arabischen Schrift, ineinander verschlungen, umwunden von blumenartigen Ornamenten, verzogen zu Arabesken, bildeten ein buntes Gewebe, das die Wände wie ein Teppich bedeckte. Aus dem launischen Geschnörkel hoben sich ab altarabische, »kufische«, kantige Schriftzeichen und blockige hebräische, formten sich zu Sprüchen, lösten sich auf, mischten sich in andere, kehrten wieder, seltsam ruhelos, verwirrend.

Rodrigue, durch das Dickicht der Ornamente und Arabesken, folgte jenem hebräischen Spruch, den ihm damals, bei seinem ersten Besuch, Musa übersetzt hatte: »Das Schicksal der Menschenkinder und das Schicksal des Viehes ist das gleiche … Ihre Seele ist die gleiche … Wer weiß, ob die Seele der Menschenkinder hinaufgeht und die Seele des Viehes hinunter unter die Erde?« Schon damals hatte es den Domherrn beunruhigt, daß diese Verse, wie Musa sie las, anders klangen als in der ihm vertrauten lateinischen Fassung. Nun nahm er sich ein Herz und wollte mit Musa darüber diskutieren. Aber dieser warnte freundlich: »Du solltest dich mit so gefährlichen Betrachtungen nicht abgeben, mein hochwürdiger Freund. Du weißt, daß, als Hieronymus die Bibel übersetzte, der Heilige Geist selber ihn inspiriert hat, so also, daß die Worte, welche Gott mit Mose in lateinischer Sprache tauscht, nicht minder göttlich sind als die hebräischen. Trachte nicht, allzu weise zu sein, hochwürdiger Don Rodrigue. Der Hund des Zweifels schläft leise. Er könnte aufwachen und deine Überzeugung anbellen, und du wärest verloren. Ohnedies schon nennen viele deiner Berufsbrüder in andern christlichen Ländern unser Toledo die Stadt der Schwarzen Magie, und unsere krausen arabischen und hebräischen Zeichen scheinen ihnen Gekritzel des Satans. Sie werden dich noch einen Ketzer heißen, wenn du so neugierig bist.«

Trotzdem kamen die stillen Augen Don Rodrigues von den verwirrenden Inschriften nicht los. Aber mehr noch als sie beunruhigte den Domherrn der Mann, der sie hatte anbringen lassen. Der alte Musa – das hatte Don Rodrigue bald erkannt – war gottlos durch und durch, glaubte nicht einmal an seinen Allah und Mohammed und war trotzdem, dieser Heide, gütig, duldsam, liebenswert. Und überdies und vor allem ein wahrer Gelehrter. Er, Rodrigue, hatte studiert, was die christliche Wissenschaft einem beibringen konnte, das Trivium und das Quadrivium, Grammatik, Dialektik und Rhetorik, Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie, dazu alle erlaubte arabische Weisheit und jegliche Gottesgelahrtheit; aber Musa wußte viel mehr, er wußte alles, und über alles hatte er nachgedacht, und es blieb eine der schönsten Gottesgaben, sich mit diesem Gottlosen zu unterhalten.

»Ein Ketzer – ich?« antwortete er denn jetzt mit freundlicher Schwermut auf die Warnung des andern. »Ich fürchte, du bist der Ketzer, mein lieber, weiser Musa. Und nicht nur ein Ketzer bist du, fürchte ich, sondern ganz und gar ein Heide, der nicht einmal die Wahrheiten seines eigenen Glaubens glaubt.« – »Das fürchtest du?« fragte der alte, häßliche Gelehrte, und er richtete die starken Augen durchdringend auf das stille Gesicht des Rodrigue. »Ich fürchte es«, entgegnete dieser, »weil ich dir freund bin und weil es mir leid ist, daß du in der Hölle brennen wirst.« – »Würde ich nicht«, erkundigte sich Musa, »schon weil ich Moslem bin, in der Hölle brennen?« – »Nicht unbedingt, lieber Musa«, belehrte ihn Rodrigue. »Und bestimmt nicht so heiß.«

Musa, nach einer kleinen Weile, sagte nachdenklich und zweideutig: »Ich mache wenig Unterschied zwischen den drei Propheten, damit magst du recht haben. Mir gilt Mose soviel wie Christus und dieser soviel wie Mohammed.« – »So was darf ich gar nicht hören«, sagte der Domherr und rückte ein wenig ab. »Ich müßte gegen dich vorgehen.« Musa lenkte höflich ein: »Dann will ich nichts gesagt haben.«

Wenn Musa so diskutierte, stand er wohl zuweilen auf, trat an sein Schreibpult und kritzelte im Sprechen Kreise und Arabesken. Rodrigue sah neidisch und vorwurfsvoll zu, wie der andere das kostbare Papier so eitel verschwendete.

Gerne las der Domherr dem Musa aus seiner Chronik vor, um sich Ergänzungen und Berichtigungen zu holen. In dieser Chronik war viel die Rede von den toten Heiligen. Sie hatten, in den Lüften mitkämpfend, die Ungläubigen oftmals geschlagen; auch ihre Reliquien, in die Schlacht mitgeführt, hatten den Christen manchen Sieg erstritten. Musa merkte an, diese heiligen Reste seien Zeugen wohl auch mancher christlichen Niederlage gewesen; doch tat er’s milde und sachlich und fand es verständlich, daß Rodrigue davon nichts berichtete. Überhaupt hörte er dem Domherrn einfühlsam zu und bestärkte ihn im Glauben an die Wichtigkeit seines Werkes.

Wenn dann freilich Musa aus seiner eigenen »Geschichte der Moslems in Spanien« vorlas, dann schien dem armen, glücklichen Rodrigue, was er selber schrieb, verzweifelt primitiv. Heiß und kalt wurde ihm beim Anhören dieses eigenartigen, kühnen Geschichtswerkes. »Staaten«, hieß es da, »sind keine göttlichen Institutionen, sie entstehen aus den naturhaften Kräften des Lebens. Gesellschaftlicher Zusammenschluß ist notwendig zur Erhaltung menschlicher Art und Kultur, staatliche Macht ist notwendig, damit nicht die Menschen einander alle umbringen, denn sie sind von Natur böse. Die Kraft, die einen Staat zum einheitlichen Gebilde formt, ist die Asabidscha, die innere Verbundenheit durch Willen, Geschichte und Blut. Staaten, Völker, Kulturen haben wie alle erschaffenen Dinge ihre von der Natur bestimmte Lebensdauer, sie durchlaufen gleich den Einzelwesen fünf Altersphasen: Entstehen, Aufstieg, Blüte, Niedergang, Vergehen. Immer wieder wandelt sich Zivilisation in Verweichlichung, Freiheit in Zweifelsucht, und Staaten, Völkerschaften, Kulturen lösen einander ab nach strengen, ewig gleichen Gesetzen, ständig unbeständig wie wandernde Sanddünen.«

»Wenn ich dich recht verstehe, mein Freund Musa«, bedachte einmal im Anschluß an eine solche Lesung Don Rodrigue, »dann glaubst du an keinen Gott, sondern nur an das Kadar, an das Schicksal.« – »Gott ist das Schicksal«, erwiderte Musa. »Das ist die Summe der Erkenntnis sowohl des Großen Buches der Juden wie des Korans.« Sein Auge folgte, und so tat Rodrigues, einem Spruchband, auf dem der Prediger Salomo verkündigte: »Alles, was geschieht unter dem Himmel, hat seine vorbestimmte Stunde; Geborenwerden und Sterben, Pflanzen und Jäten, Töten und Heilen, Klagen und Tanzen, Lieben und Hassen, Krieg und Friede. Welchen Gewinn also hat der Rechner und Geschäftige mit all seinen Mühen?« Und als Musa wahrnahm, daß der Domherr den Satz aufgefaßt hatte, fuhr er fort: »Und in der einundachtzigsten Sure des Korans, in der von der Verendung, spricht der Prophet: ›Was ich verkünde, ist eine Mahnung für euch, die ihr den rechten Weg gehen wollt. Aber ihr werdet das nicht wollen können, wenn nicht Gott es will, der Allmächtige.‹ Du siehst, mein hochwürdiger Freund, sowohl Salomo wie Mohammed kommen zu der Erkenntnis: Gott und das Schicksal sind identisch, oder, philosophisch ausgedrückt: Gott ist die Summe aller Zufälle.«

Wenn Don Rodrigue dergleichen hörte, wurde er beklommen und beschloß, nicht mehr in das Castillo Ibn Esra zu gehen. Aber zwei Tage später saß er wieder in der offenen Halle unter den verwirrenden Inschriften. Manchmal brachte er sogar welche von seinen Schülern mit, am häufigsten den jungen Benjamín.

Zuweilen kam wohl auch Doña Raquel in die Rundhalle und hörte zu, wie die gelehrten Herren beim stillen Fall des Springbrunnens ihre langsamen Sätze tauschten.

Einmal, erinnert durch die Gegenwart Benjamíns, fragte Raquel den Domherrn, was er von jenem Rabbi Chanan Ben Rabua wisse und von seiner Zeitmessungsmaschine; denn Don Benjamíns Erzählung, wie jener gelehrte Rabbi verfolgt worden war und sein eigenes Werk hatte zerstören müssen, und wie sie ihn dann gefoltert und verbrannt hatten, ging ihr nicht aus dem Kopf. Don Rodrigue wollte es nicht wahrhaben, daß man Gelehrte um ihrer Wissenschaft willen gemartert habe, und er hatte die Geschichte des Rabbi Chanan nicht in seine Chronik aufgenommen. »Ich habe mir jene Zisternen in La Galiana angeschaut«, erklärte er, »es sind ganz gewöhnliche Zisternen; ich glaube nicht, daß sie jemals zur Messung der Zeit gedient haben. Ich halte es übrigens auch für unglaubwürdig, daß jener Rabbi Chanan gefoltert und getötet wurde. In den Dokumenten finde ich nichts.«

Der junge Don Benjamín, gekränkt, daß der Domherr seine Geschichte des Rabbi Chanan anzweifelte, sagte bescheiden, doch eifrig: »Aber ein hervorragender Gelehrter war er, das gibst sicher auch du zu, hochwürdigster Don Rodrigue. Nicht nur hat er ein herrliches Astrolab hergestellt, er hat auch die Werke des Galenus ins Arabische und ins Lateinische übersetzt und so die medizinische Wissenschaft der Alten in unsere Zeit herübergerettet.«

Don Rodrigue ging darauf nicht ein, wohl aber erzählte er von großen Ärzten der frühen Christenheit. Da waren die Heiligen Cosmos und Damian, arabischen Ursprungs übrigens, die um die Zeit des Galenus kaum weniger wunderbare Kuren vollbracht hatten als dieser. Ihre Nebenbuhler zeigten an, daß sie Christen waren. Die Richter verurteilten sie, und man warf sie ins Meer: Engel kamen und retteten sie. Man warf sie ins Feuer: das Feuer konnte ihnen nichts anhaben. Man warf Steine auf sie: die Steine änderten ihren Lauf und steinigten ihre Feinde. Noch nachdem sie tot waren, vollbrachten sie staunenswerte Kuren. Da war etwa ein Mann, der Wundbrand im Schenkel hatte. Er betete vor dem Bild der beiden Heiligen. Er fiel in tiefen Schlaf und träumte, die Heiligen schnitten ihm das kranke Bein ab und ersetzten es durch das eines toten Arabers. Wirklich hatte er, als er erwachte, ein neues, gesundes Bein; auch den toten Araber fand man, dessen Bein die Heiligen ihm eingefügt hatten.

»Das müssen große Zauberer gewesen sein«, anerkannte Doña Raquel. Musa aber meinte: »Die moslemischen großen Ärzte haben ihre besten Heilerfolge erzielt, während sie am Leben waren. Auch kenne ich manchen Christen, der bei einer ernstlichen Erkrankung gern einen jüdischen oder moslemischen Arzt zu Rate zieht.« Don Rodrigue, weniger friedfertig als sonst, antwortete: »Wir Christen lehren, Bescheidenheit ist eine Tugend.« Musa gab freundlich zu: »Lehren tut ihr das, mein hochwürdiger Freund.« Don Rodrigue lachte. »Nichts für ungut«, sagte er. »Sollte ich erkranken, dann werde ich glücklich sein, wenn du mich behandelst, o weiser Musa.«

Don Benjamín hatte heimlich in sein Merkbuch gezeichnet. Er zeigte Doña Raquel, was er gemacht hatte. Da saß ein Rabe auf einem Baum, und der Rabe trug das Gesicht des Musa. Es war unverkennbar ein Porträt und also zwiefach verboten. Aber es war ein lustiges, freundliches Porträt, und Raquel gefiel die Zeichnung und der, der sie gemacht hatte. Da der König nichts gegen die Castros unternahm, wurden ihre Anhänger immer dreister. Wie seinerzeit die Leute von Burgos den Nationalhelden, den Cid Compeador, gegen den Sechsten Alfonso, so verteidigten jetzt die rebellischen Barone die Castros gegen den Achten: »Was für gute Vasallen wären sie, hätten sie nur einen besseren König.« Die Herren de Nuñez und de Arenas, da der König verfallene Abgaben einforderte, höhnten: »Komm doch, Don Alfonso, und hol dir deine Gelder von uns, so wie du deine Untertanen aus den Burgen der Castros zurückholst!«

Don Alfonso wütete. Wenn er nicht wollte, daß alle seine Barone sich gegen ihn empörten, durfte er sich von den Castros nicht länger auf dem Kopf herumtanzen lassen.

Er berief seine Vertrauten zu einem Kronrat. Da waren Don Manrique de Lara und sein Sohn Garcerán, der Erzbischof Don Martín de Cardona und der Domherr Don Rodrigue; der Escrivano Mayor Don Jehuda war noch in Aragon.

Vor seinen Freunden ließ Don Alfonso seinem ohnmächtigen Zorn freien Lauf. Die Castros taten ihm einen Schimpf nach dem andern an, und sein Escrivano verhandelte mit dem zweideutigen König Raimundez und wollte ritterlichen Streit auf Krämerart lösen. Dabei trug doch der Jude die Hauptschuld an dem üblen Handel, da er sich ins Haus der Castros gesetzt hatte. »Am liebsten«, schloß er ungebärdig, »würfe ich ihn wieder hinaus.«

Don Manrique begütigte: »Sei gerecht, Herr König. Unser Jude hat sich sein Castillo verdient. Er hat mehr gehalten, als er versprochen hat. Die Granden zahlen dir Steuern in Friedenszeiten. Siebzehn Städte, die den Granden gehörten, unterstehen heute dir. Und wenn die Castros ein paar Untertanen von dir gefangenhalten, so sind jetzt viele hundert deiner Ritter und Knechte frei, die gefangen in Sevilla saßen.«

Erzbischof Don Martín, rotes, rundes, derbfröhliches Gesicht unter ergrauendem Haar, widersprach. Streitbar saß er, halb Priester, halb Ritter. Das Gewand, das seine Würde anzeigte, verbarg nicht die Rüstung; denn hier in Toledo, fand er, so nahe den Moslems, war man in währendem Heiligen Krieg. »Du hast viele Worte des Ruhmes für deinen Juden, edler Don Manrique«, sagte er mit seiner schallenden Stimme. »Dieser neue Ibn Esra hat, ich geb es zu, Hunderttausende von Goldmaravedí aus dem Lande herausgezaubert, und davon einiges auch für den König Unsern Herrn. Dafür aber hat er der Heiligen Kirche um so größeren Schaden gebracht. Verschließt doch nicht eure Augen vor dieser Tatsache, Herren! Die Judenheit von Toledo ist immer frech gewesen, schon zu Zeiten unserer gotischen Väter, und daß du geruht hast, Herr König, diesen Jehuda ins Amt zu setzen, hat die Unverschämtheit der Aljama unerträglich gemacht. Nicht nur weigert sich ihr Oberster, dieser Ephraim Bar Abba, mir meinen Zehnten zu zahlen, wobei er sich leider auf dich berufen kann, Herr König, er erdreistet sich auch, in einer Synagoge mit herausforderndem Nachdruck jenen Segen Jakobs verkünden zu lassen: ›Es wird das Zepter nicht weichen von Juda und nicht der Herrscherstab von seinen Füßen.‹ Dabei habe ich dem Manne aus den Schriften der Kirchenväter klargemacht, daß dieser Segen Jakobs nur gültig war bis zur Ankunft des Messias und mit dem Erscheinen des Heilands seinen Wert verlor. Aber nur wir Christen verstehen die geheime innere Meinung der Schrift. Diese Juden gleichen dem unvernünftigen Getier und bleiben an der Oberfläche haften.«

»Man sollte vielleicht«, meinte mild der Domherr, »mit der Aljama von Toledo nicht zu streng ins Gericht gehen. Als damals die blinden, sündigen und hochmütigen Juden von Jerusalem Unsern Herrn Jesus Christus vor ihr Tribunal schleppten, hat die jüdische Gemeinde von Toledo dem Hohenpriester Kaiphas Botschaft geschickt und ihn gewarnt, er solle den Heiland nicht kreuzigen. So steht es deutlich in den alten Büchern.«

Der Erzbischof maß Don Rodrigue unmutigen Blickes, aber er unterdrückte eine Erwiderung. Es bestand nämlich eine wunderliche Verknüpfung zwischen ihm und seinem Sekretär. Der Erzbischof war fromm, grundehrlich und sich bewußt, daß sein kriegerisches Temperament ihn manchmal zu Worten und Taten veranlaßte, die ihm, dem Primas von Hispanien, dem Nachfolger des heiligen Eugenius und des heiligen Ildefonso, nicht anstanden, und um die Sünden zu büßen, zu denen sein streitbares Gemüt ihn verleiten mochte, hatte er sich mit der ständigen Gegenwart des lammherzigen Don Rodrigue belastet; darauf wollte er hinweisen, falls ihm beim Jüngsten Gericht vorgehalten werden sollte, daß zuweilen der Soldat in ihm mächtiger gewesen sei als der Priester.

Statt also an Don Rodrigue wandte er sich an den König: »Als du damals, der Not und deinen Ratgebern gehorchend, den Juden herbeiriefst, habe ich dich gewarnt, Don Alfonso, und dir vorausgesagt: es werden Tage kommen, da du diese Berufung bereust. Das Heilige Concilium hat seine guten Gründe gehabt, als es den Königen der Christenheit untersagte, Ungläubige mit hohen Ämtern zu betrauen.«

Don Manrique meinte: »Auch die Könige von Engelland und von Navarra sowie die Könige von León, Portugal und Aragon haben den Beschlüssen des Lateranischen Conciliums zum Trotz ihre jüdischen Minister beibehalten. Sie haben sich begnügt, dem Heiligen Vater ihr Bedauern auszusprechen. So tat der König Unser Herr. Er durfte sich überdies berufen auf das Vorbild seiner erlauchten Ahnen. Der Sechste Alfonso, der Kaiser Hispaniens, hatte zwei jüdische Minister, der Siebente Alfonso fünf. Ich sehe nicht, wie Kastilien die vielen Kirchen für die Heiligen hätte bauen können und die vielen Festungen gegen die Moslems ohne die Hilfe der Juden.«

»Erlaube mir ferner, mein hochehrwürdiger Vater«, ergänzte der Domherr, »dich in Ehrfurcht an unsern Freund zu erinnern, den ehrwürdigen Bischof von Valladolid. Auch er konnte seine Steuern nicht hereinbekommen und mußte unsern Jehuda mit der Eintreibung betrauen.«

Dieses Mal konnte Don Martín den Zorn nicht in der Brust bewahren. »Du hast viele Tugenden, Don Rodrigue«, grollte er, »du bist beinahe ein Heiliger, und darum ertrage ich dich. Aber laß mich dir in aller Demut sagen: manchmal grenzt deine Milde und Duldsamkeit ans Unverschämte.«

Der König hörte nicht auf diese Zänkereien. Er saß in sich gekehrt, und nun sagte er heraus, was ihn beschäftigte: »Manches Mal schon habe ich mich gefragt, warum Gott den Ungläubigen so viel Kräfte gab, die er uns versagt hat. Ich denke mir es so: da er sie verdammt hat für die Ewigkeit, gerade darum hat er sie in seiner Gnade für die kurze Spanne, die sie auf Erden verbringen, mit viel Klugheit ausgestattet und mit Glanz der Rede und mit der Gabe, Schätze zu sammeln.«

Die andern schwiegen etwas verlegen. Es war merkwürdig, daß der König so offen innerste Gedanken preisgab, es war eigentlich ungehörig. Aber der König hatte das Recht, königlich unbekümmert herauszusagen, was ihm durch die Seele ging.

Der jugendliche Don Garcerán kehrte zurück zum Gegenstand der Beratung. »Eines, Herr König, könntest du tun«, schlug er vor. »Wenn du schon nicht vorgehst gegen die Castros, so lege doch eine Garnison an ihre Grenze. Lege Kriegsknechte in die Stadt Cuenca.« – »Das ist guter Rat«, stimmte schallend der Erzbischof bei. »Ja, lege Kriegsknechte nach Cuenca, und nicht zu wenige, daß den Castros die Lust vergeht, deine Untertanen zu überfallen.«

Daran hatte Don Alfonso selber schon gedacht. Aber es war ihm lieb, daß die andern es vorschlugen. »Ja, das werde ich tun«, verkündete er. Und: »Dagegen kann nicht einmal unser Jude was einwenden«, meinte er grimmig fröhlich.

Don Manrique fand, es genügten drei Fähnlein, Cuenca gegen die Castros zu sichern. Don Alfonso wandte ein, es könnte durch die Gewalttaten der Castros auch der Emir von Valencia Appetit auf die Stadt bekommen, er werde lieber mehr Soldaten, er werde zweihundert Lanzen nach Cuenca schicken. Der Erzbischof, der als erfahren in der Kriegskunst galt, gab zu bedenken, daß einige der Kriegsknechte immer unterwegs sein müßten, bedrohte Bauernhöfe zu schützen oder reisenden Bürgern Geleit zu geben. »Schicke dreihundert Lanzen, Don Alfonso!« forderte er.

Don Alfonso schickte fünfhundert Lanzen.

Das Kommando dieser Truppen übertrug er seinem Freunde Don Estéban Illán, einem jungen, muntern, kühnen Herrn. Bevor Don Estéban verritt, legte der König ihm ans Herz: »Laß mir keinen neuen Schimpf antun, Don Estéban! Dulde nicht die leiseste Ungebühr! Und wenn die Leute der Castros auf unserm Gebiet ein einziges Huhn stehlen, laß es nicht zu! Verfolge sie bis in ihr Santa María, und nimm ihnen das Huhn wieder ab! Und wenn es zehn Kriegsknechte kostet!« Er gab ihm den Handschuh, das Zeichen ritterlichen Auftrags. Don Estéban küßte ihm die Hand und sagte: »Du sollst dich nicht zu beklagen haben, Don Alfonso.«

Soldaten rückten ein in die kleine Stadt Cuenca und in die Dörfer der Umgebung. Streiften an der schwer übersichtlichen Grenze des Berglandes Albarracín. Aber niemand von den Knechten der Castros ließ sich sehen. Es verging eine Woche, noch eine. Die Soldaten Don Estébans murrten über den langweiligen Dienst, die Leute von Cuenca schimpften über die drückende Anwesenheit der Soldaten.

Jehuda mittlerweile war in Saragossa und verhandelte mit seinem Vetter Don Joseph Ibn Esra. Dieser, ein intelligenter Herr, dicklich, behaglich, umgänglich, skeptisch, ließ merken, daß er Jehudas Beweggründe durchschaute. Doch lag ihm selber an der Erhaltung des Friedens, und er kam ihm freundschaftlich entgegen. Was Jehuda wollte, war, daß Aragon die kastilischen Gefangenen der Castros auslöse und an Don Alfonso zurückgebe; dieser würde dafür von seinem Anspruch auf die Stadt Daroca abstehen. Jehudas Vorschlag schien Don Joseph nicht unbillig, und er glaubte auch, ihn seinem Herrn schmackhaft machen zu können. Freilich durfte man nichts überstürzen. König Raimundez war im Feldlager, voll beschäftigt mit der glücklichen Beendigung des Krieges gegen den Grafen von Toulouse, und Don Joseph mußte die rechte Zeit abwarten, ehe er ihm mit einer so unwichtigen Angelegenheit kommen konnte. Er werde in etwa zwei Wochen zu Don Raimundez ins Feldlager reisen. So lange möge sich Don Jehuda gedulden. Dann möge auch er sich bei Don Raimundez einfinden.

Jehuda nutzte die zwei Wochen. Er fuhr nach Perpignan und brachte ein verwickeltes Geschäft zu einem glücklichen Ende. Er fuhr nach Toulouse, um einen Verwandten zu besuchen, Meïr Ibn Esra, den jüdischen Bailli dieser Stadt. Dann fuhr er zu König Raimundez ins Lager. Don Joseph half ihm treulich, und Don Raimundez hörte ihn gnädig an. Allein der König war ein langsamer, gründlicher Herr, und es dauerte eine weitere volle Woche, ehe er sich entschloß, ja zu sagen.

Jehuda atmete auf. Das übelste von den dummen Hindernissen, die sein Friedenswerk gefährdeten, war beseitigt. Er schickte einen Kurier an Don Alfonso mit der Nachricht, der erfreuliche Vertrag sei unterschrieben und gesiegelt, er selber, Jehuda, werde in wenigen Tagen zurück sein.

Allein diese Botschaft war noch nicht in Toledo angelangt, als Don Alfonso aus Cuenca ein langes, verworrenes Schreiben seines Freundes Estéban Illán erhielt.

Unvorhergesehenes hatte sich ereignet. Bewaffnete Knechte der Castros hatten auf kastilischem Gebiet eine Schafherde rauben wollen. Leute des Don Estéban hatten sie ins Gebiet der Castros hinein verfolgt. Dort waren sie auf eine Schar von Rittern und Knappen gestoßen. Es hatte Schimpfreden gegeben, ein Scharmützel. Dabei war einer der Ritter umgekommen, unglücklicherweise einer der Brüder Castro, der Graf Fernán. Nicht leugnen lasse sich, schrieb Don Estéban, daß Fernán de Castro, als der kastilische Pfeil ihn traf, nicht zum Kampfe gerüstet war, sondern wohl auf einem Jagdausflug begriffen, er habe seinen Lieblingsfalken auf dem Handschuh getragen. Warum der kastilische Kriegsknecht den unbesonnenen Pfeil abgeschossen hatte, lasse sich kaum mehr feststellen; jedenfalls habe er, Estéban, den schuldigen Kriegsknecht sogleich hängen lassen.

Don Alfonso las, und ihm sank das Herz. Schlimmer hätte das Unternehmen nicht ausgehen können. Ein gemeiner Kriegsknecht hatte einen Herrn höchsten Adels, der nicht bewaffnet war, schmählich gemeuchelt in seinem, Alfonsos, Auftrag. Ganz Hispanien wird das ihm, dem König von Kastilien, zum Schimpf anrechnen.

Der andere Castro, Gutierre, hatte jetzt triftigen, ritterlichen Grund, seinen Bruder zu rächen. Er wird sich an Aragon wenden, und König Raimundez, Sieger in der Provence, hatte den willkommenen Vorwand, ihn, Alfonso, den gehaßten Neffen, mit Krieg zu überziehen. Der dumme Krieg mit Aragon, den er nicht gewollt hatte, vor dem jeder ihn gewarnt hatte, jetzt war er da.

Alfonso schämte sich vor Jehuda. Schämte sich vor allen seinen Räten. Vor der ganzen Christenheit. Dabei hatte er nur getan, was jeder andere Ritter an seiner Stelle getan hätte. Es war seine königliche Pflicht gewesen, seine gute Stadt Cuenca zu schützen und Truppen hinzuschicken. Und wenn er dem kühnen Don Estéban Illán den Befehl übertragen hatte, so konnte ihn auch darum niemand schelten. Don Estéban war sein Freund und ein guter Ritter und trug überdies das Knöchelchen des heiligen Ildefonso in sein Schwert geschmiedet. Ach, die gute Reliquie hatte den Satan nicht abgehalten. Denn es war nichts als höllisches Unglück, daß es so gekommen war, es war Tücke des Satans, und niemand trug Schuld, nicht er, nicht Don Estéban, nicht Fernán de Castro, nicht einmal der Jude. Aber alle Christenheit wird ihm die Schuld geben, ihm, Alfonso.

Nein, dieser Jehuda hat ihm kein Glück gebracht. Und jetzt, da er seinen Rat dringlich brauchte, war er nicht da!

Es war gut, daß er nicht da war. Er hätte ihn jetzt nicht sehen können. Er hätte sein vorwurfsvolles, gescheites Gerede nicht ertragen. Er mußte einen Menschen haben, der ihn ganz begriff, seine Schuldlosigkeit, sein unerhörtes Unglück, einen sehr nahen Menschen, einen, der zu ihm gehörte.

Ohne Jehuda abzuwarten, mit kleinstem Gefolge, ritt er nach Burgos, zu seiner Königin, zu Doña Leonor.

Viertes Kapitel

Doña Leonor empfing den König mit Freuden. Ohne daß er ihr die Geschehnisse hätte erklären müssen, verstand sie ihn. Sie fühlte wie er. Alles war böse Schickung, ihren Alfonso traf keine Schuld.

Dabei drückte es sie noch schwerer als ihn, daß Krieg mit Aragon bevorstand. Sie hatte von einer Vereinigung der beiden Länder geträumt, und dieser Krieg zerstörte alle ihre Hoffnungen. Aber sie verbarg ihre Niedergeschlagenheit, sie war gelassen wie immer. Alfonso fand in ihrer Gegenwart und in ihrem Gespräch Trost und Stärkung, wie er sich’s erhofft hatte.

Gemeinhin bevorzugte er Toledo vor Burgos. In Toledo hatte er, noch ein Knabe, seine erste große Tat getan, von hier aus hatte er sein Reich erobert; auch war Toledo nahe dem echten, ewigen Feind, den Moslems, und in solche Nähe des Feindes gehörte er, der König, der Soldat. Dieses Mal aber war er gerne in der alten, urchristlichen Stadt Burgos, und die Erinnerungen, deren sie voll war, gaben ihm Kraft und Zuversicht. Nach dem Castillo dieser Stadt Burgos hieß sein Kastilien, von hier aus hatte sein Ahnherr Fernán González die Grafschaft Kastilien unabhängig gemacht, groß und mächtig. Und hier in Burgos hatte sein Urgroßvater, der Sechste Alfonso, gezeigt, daß ein König auch vor dem größten Manne Spaniens nicht zurückwich. Jener Alfonso hatte den tapfersten Helden des Landes, den Cid Compeador, da er mit seiner Kriegführung unzufrieden war, der Stadt verwiesen; ein König von Kastilien verzieh keinen Ungehorsam, verzieh ihn keinem Cid, geschweige denn einem Castro.

Nun aber war der Cid Compeador tot, die Könige hatten Hispaniens edelstem Ritter und Kämpfer längst vergeben, und die Stadt Burgos war stolz auf ihre vielen Andenken an den Helden. Grimmig amüsiert verweilte Don Alfonso vor einer gewissen Truhe, die in der Kirche des Klosters Huëlga aufgehängt war. Diese Kiste hatte der Cid zwei jüdischen Geldleuten als Pfand gegeben; angeblich war sie voll mit reichen Schätzen. Dann aber erwies sich, daß nichts darin war als Sand; der Held hielt dafür, daß sein Wort genüge. So hatte der Cid mit seiner Kiste ein anschauliches Beispiel aufgestellt, wie ein Ritter mit krämerischen Juden verfahren sollte.

Don Raimundez von Aragon zeigte keine Eile, den Feldzug zu beginnen; er hatte von jeher als Zauderer gegolten. Den König Alfonso aber quälte das Warten, und er sprach Doña Leonor davon, als erster zuzuschlagen.

Da indes schwieg Doña Leonor nicht länger. In klaren Worten hielt sie ihm vor, daß das Land ihm die Niederlage von Sevilla nicht vergessen habe. Man werde sogar, wenn er der Überfallene sei, gegen einen neuen Krieg murren. Unter solchen Umständen anzugreifen und sich ins Unrecht zu setzen, wäre Wahnsinn. Don Alfonso ließ sich die herben Worte gefallen.

Dann, endlich, traf Jehuda in Burgos ein. Er hatte die Nachricht vom Tode des Fernán de Castro sofort in ihrer ganzen Schwere erfaßt. In verzweifeltem Unmut schob er sich selber alle Schuld zu. Seine Berechnung war falsch gewesen. Er hätte in Toledo bleiben und den König zurückhalten müssen. Seine Intuition hatte ihn im Stich gelassen.

Der tatkräftige Mann gab trotz allem die Hoffnung nicht auf, den Krieg zu verhindern. Machte sich sogleich auf den Weg nach Toledo. Erfuhr, daß Alfonso in Burgos war. Kehrte um, ritt nach Burgos.

Meldete sich bei Don Alfonso. Der, unter allerlei Vorwänden, empfing ihn nicht. Wohl aber schickte Doña Leonor nach ihm.

Jehuda, im Anblick der klugen Frau, faßte neuen Mut. »Wenn deine Majestät es erlaubt«, schlug er vor, »reise ich nach Saragossa und versuche, den König zu sänftigen. Er hat mir, als ich jetzt in seinem Feldlager war, ein freundlich williges Ohr geliehen.« – »Seither haben sich die Dinge geändert«, sagte Doña Leonor. Don Jehuda antwortete vorsichtig: »Ich dürfte freilich nicht mit leeren Händen kommen.« – »Was gäbe es, das du bringen könntest?« fragte Leonor. »Es wäre denkbar«, meinte noch behutsamer Jehuda, »daß Don Alfonso auf jene strittige Lehenshoheit Kastiliens verzichtet.« – »Die Lehenshoheit Kastiliens ist nicht strittig«, sagte kalt Doña Leonor, und: »Lieber den Krieg!« erklärte sie und maß Jehuda so fremden, verächtlichen Blickes, daß er sah, sie war aus dem gleichen Stoff wie der König. Auch sie wollte diesen leeren, ritterlichen, lächerlichen Titel und Anspruch um nichts in der Welt aufgeben. Auch sie hielt vernünftiges Wägen und Planen für krämerhaft.

Don Alfonso, als ihn Jehuda endlich zu Gesicht bekam, meinte spöttisch: »Da hast du ja nun wohl mit Eifer und Gehirnaufwand schlaue Verträge gedrechselt, mein Escrivano, in Saragossa und vor Toulouse. Jetzt siehst du, was sie wert sind. Du hast mir kein Glück gebracht, Don Jehuda. Mach dich hier wenigstens nützlich und schaffe mir Geld. Ich fürchte, wir brauchen sehr viel Geld.«

Don Alfonso beriet mit seinen Offizieren. Er hatte sein Kriegshandwerk gelernt und war entschlossen, es Aragon nicht leicht zu machen. Er erkannte deutlich, daß alle Vorteile auf seiten des Gegners waren, aber er hielt fest an seiner Zuversicht. Als christlicher Ritter legte er sein Schicksal in die Hand des Allmächtigen, der seinen Alfonso von Kastilien nicht verderben lassen wird. Und Gott belohnte seine Zuversicht. Don Raimundez von Aragon starb plötzlich, erst siebenundfünfzig Jahre alt. In der Blüte seiner Jahre, inmitten seiner Siege in der Provence, schlug Gott ihn aufs Herz und raffte ihn hinweg, bevor er seinem Neffen von Kastilien hatte Schaden tun können.

Die Lage Alfonsos war jäh und glücklich verändert. Der Thronfolger von Aragon, der siebzehnjährige Infant Don Pedro, war nicht wie sein Vater. Don Raimundez hatte sein Reich durch Staatsmannschaft vergrößert, er hatte Titel und Land in der Provence durch List erobert und militärische Macht nur eingesetzt, wenn er des Sieges sicher war; auch hatte er sich ohne Scheu vor seinen Granden gedemütigt, wenn er dadurch Geld und Leistungen erlangen konnte. Dem jungen Don Pedro schienen solche Künste »Winkelzüge« und eines Ritters unwürdig, und er sah, wie so viele, in seinem Vetter von Kastilien das Urbild des christlichen Ritters. Wenig Gefahr war, daß er Don Alfonso mit Krieg überziehen werde.

»Gott ist mit mir!« frohlockte Alfonso vor seiner Königin, und vor Jehuda prahlte er: »Da siehst du es.«

Doña Leonor nahm still lächelnd teil an seiner unbändigen Freude. Ihr war von jeher eine feste Allianz Kastiliens und Aragons am Herzen gelegen, und sowenig sie die Hoheitsansprüche Kastiliens aufzugeben gedachte, so wollte sie doch mit allen Mitteln verhindern, daß aus diesen Ansprüchen neue Zwistigkeiten entstünden.

Sie hatte von der politischen Klugheit ihres Vaters und ihrer Mutter genügend geerbt, um zu wissen, daß Kastilien allein niemals ein großes Reich werden konnte, wie es das Römisch-Deutsche war, das Engelländische, das Fränkische. Früher waren Kastilien und Aragon vereint gewesen, und der Träger der beiden Kronen hatte sich mit Recht Kaiser Hispaniens nennen dürfen. Doña Leonor hatte all die Jahre her gelitten unter dem Streit der Könige Raimundez und Alfonso. Sie war gewillt, diesen Streit jetzt zu beenden und die beiden Länder neu und fest zu binden.

Dafür gab es ein gutes Mittel. Doña Leonor hatte keinen Thronfolger geboren, wohl aber drei Infantinnen, so daß derjenige, der die älteste, die dreizehnjährige Berengaria, heiratete, Aussicht hatte, Kastilien zu erben. Immer war nahegelegen, die Infantin dem Kronprinzen von Aragon zu verloben, damit später einmal wieder ein Herrscher die Krone beider Länder trage, und wenn das Verlöbnis nicht längst zustande gekommen war, so war nur die tiefe gegenseitige Abneigung der Könige daran schuld gewesen. Nun war das Hindernis fort, man konnte die Infantin dem jungen Pedro verloben, und dieser, ohnehin ein Bewunderer Alfonsos, wird unschwer zu bewegen sein, die Oberhoheit des Schwiegervaters anzuerkennen, den er doch einmal beerben wird.

Don Alfonso hörte höflich und mit leiser Ungeduld zu, als ihm die Königin das auseinandersetzte: »Gut und klug, meine kluge Leonor«, meinte er. »Aber wir haben ja Zeit. Der Junge ist noch nicht in die Ritterschaft aufgenommen worden. Onkel Raimundez konnte es sich nicht abringen, mich um den Dienst zu bitten. Ich denke, zuerst einmal laden wir Don Pedro ein, Schwert und Würde hier aus meiner Hand entgegenzunehmen. Das Weitere ergibt sich von selbst.«

Dies abgesprochen, reiste das Königspaar mit einigem Prunk nach Saragossa zur feierlichen Bestattung des Don Raimundez.

Don Pedro, der junge König, zeigte Alfonso jene freudige Verehrung, die man erwartet hatte. Und er glühte vor Bewunderung für Doña Leonor. Sie war die große Dame, von welcher die Dichter sangen, die angebetete Schöne, für welche der Ritter in reiner Liebe brennt und die sich diese Liebe gütevoll gefallen läßt.

Doña Leonor beherzigte Don Alfonsos Meinung, man solle nichts überstürzen. Nur in allgemeinen, vagen Worten deutete sie an, daß sie und Don Alfonso eine noch engere Bindung mit dem Vetter von Aragon ins Auge gefaßt hätten. Aber sie gab sich vertraulich gespielinnenhaft und gleichzeitig leise mütterlich, und der schlanke, junge Prinz verstand sofort und errötete bis ins Haar. Nicht nur lockte ihn der Gedanke, dem älteren, erprobten Ritter so nahe verknüpft zu sein, zauberhaft auch aus der Zukunft leuchtete ihm die Kaiserkrone der Vereinigten Hispanischen Länder. Er küßte Doña Leonors Hand und antwortete: »Es gibt keinen Dichter, Dame, der Worte fände, mein Glück zu besingen.«

Im übrigen sprach man nichts von Regierungsgeschäften und nichts von den Beziehungen der Länder Kastilien und Aragon. Wohl aber sprach man von Don Pedros Aufnahme in die Ritterschaft. Er war siebzehn Jahre alt, das war die rechte Zeit, und es war ratsam, daß die Zeremonie vor der Krönung erfolge. Alfonso lud den Prinzen ein, zur Schwertleite in seine Stadt Burgos zu kommen. Er selber werde ihn dort zum Ritter schlagen unter Feierlichkeiten, wie sie den beiden größten Fürsten Spaniens anstünden.

Beglückt nahm Don Pedro die Einladung an. Große Vorbereitungen wurden in Burgos getroffen. Don Alfonso entbot seinen ganzen Hof dorthin. Doña Leonor fand, man solle auch die Kinder des Escrivanos einladen; der König, ein wenig zögernd, fügte sich.

Jehuda, als der Herold die Einladung der drei Ibn Esras im Castillo bestellte, spürte Triumph. Stattlich, mit ansehnlichem Gefolge, reisten er und die Seinen nach Burgos.

Don Garcerán und ein junger Herr vom Hofe Doña Leonors machten sich eine Freude daraus, Doña Raquel und ihrem Bruder die uralte Stadt zu zeigen. Der Knabe Alazar, empfänglich für alles Rittertum, beschaute gierig die mannigfachen Erinnerungen an den Cid Compeador, sein Grabmal, seine Waffen, das Rüstzeug seines Pferdes.

Mehr noch begeisterten den Knaben die Vorbereitungen zu den Spielen. Schon waren die Wappenschilde der Ritter aufgehängt, die sich für das große Turnier gemeldet hatten. Auch ein Wettspiel im Armbrustschießen sollte stattfinden. Alazar, stolz auf seine herrliche moslemische Armbrust, beschloß sogleich, sich zu beteiligen. Mit kindlicher Bewunderung auch stand er vor dem Gehege, in welchem die Stiere für den großen Kampf verwahrt wurden.

Das Festmahl zu Ehren Don Pedros fand in der Königsburg statt, in jenem Castillo, von dem das Land Kastilien seinen Namen herleitete. Es war ein alter, kahler, strenger Bau. Man hatte die Böden dick mit Teppichen belegt und die Treppen mit Rosen bestreut. Die Wände waren mit Gobelins behangen, welche Kampf- und Jagdszenen darstellten; Doña Leonor hatte sie aus ihrer französischen Heimat kommen lassen. Doch konnten alle diese Anstrengungen dem ernsten Bau nur einen dünnen Anstrich von Heiterkeit geben.

In den Hauptsälen der Burg hatte man große Tafeln aufgestellt und viele kleine Tische, ebenso im Burghof. Der Prinz von Aragon hatte seinen Alfakim mitgebracht, Don Joseph Ibn Esra, und ihn und Don Jehuda setzte man an eine Tafel im Hof. Das war nicht der ehrenvollste Platz, aber die Tischordnung bei solchen Festlichkeiten war eine schwierige Sache.

Die Stadt Burgos war berüchtigt um ihres unwirtlichen Klimas willen, es war denn auch jetzt noch, im Juni, im Burghof ungemütlich frostig, die Kohlenbecken gaben nicht genügend Wärme, und der Mangel an Behagen erinnerte die beiden jüdischen Herren während des ganzen Mahles daran, daß man im Innern der Burg angenehmer saß. Aber sie ließen sich den Verdruß über die Kränkung nicht anmerken, nicht einmal vor sich selber, sondern sprachen angeregt über die erfreulichen Folgen, die eine Verständigung Kastiliens mit Aragon bewirken mußte, die Erleichterung des Warenaustauschs, die allgemeine Belebung der Wirtschaft.

Don Jehuda schaute während dieses Gespräches mehrmals hinüber zu seiner Tochter. Sein kluges Mädchen hatte wahrscheinlich gemerkt, daß der aragonische Herr Zweiten Adels, den man ihr zum Tischnachbarn gegeben hatte, nicht der erlesenste war, den man hätte finden können; doch schien sie sich mit ihm nicht schlecht zu unterhalten. Alazar seinesteils führte ein munteres Gespräch mit den Halbwüchsigen des fröhlichen Jugendtisches.

Nach aufgehobener Tafel versammelte man sich im Innern der Burg. Die Wände entlang waren Estraden errichtet. Auf ihnen, hinter niedrigen Brüstungen, saßen die Damen, die Herren sprachen zu ihnen hinauf. Doña Raquel saß in der zweiten Reihe, oft verborgen durch die vor ihr Sitzenden. Don Garcerán machte den König auf sie aufmerksam. Auch andere seiner jungen Herren hatten ihm von der merkwürdigen, aufgeweckten Tochter seines Juden gesprochen, er war neugierig auf sie. Er stand, als Don Garcerán sie ihm zeigte, ziemlich weit entfernt von ihr, doch konnte er mit seinem scharfen Aug, und wiewohl er nur flüchtig hinblickte, ihre Züge genau erkennen. Das fleischlose, blaßbräunliche Gesicht mit den großen Augen, streng gerahmt von der breitflügeligen Mütze, sah kindlich aus, die Büste und der zarte Hals stiegen jung aus dem weitausgeschnittenen, pelzumrahmten Mieder. »Nun ja«, meinte Alfonso, »ganz hübsch.«

Doña Leonor, eine gute Wirtin, hatte bemerkt, daß man Don Jehuda nicht mit jener Achtung behandelte, die dem Escrivano zukam. Sie bat ihn durch einen Pagen zu sich, stellte ihm die üblichen höflichen Fragen, wie er sich unterhalten habe und ob man es an nichts habe fehlen lassen, und forderte ihn auf, ihr seine Kinder vorzustellen.

Doña Raquel schaute ihr mit unversteckter Neugier ins Gesicht, und es brachte Doña Leonor ein wenig auf, daß die Jüdin vor ihrer Königin so gar nicht befangen war. Auch waren die Spitzen ihres Mieders und der grüne Damast des Kleides zu kostbar für ein junges Mädchen. Allein Doña Leonor war die Wirtin, sie wahrte die Regeln der Courtoisie, sie blieb freundlich, ja, sie gab Don Alfonso zu verstehen, er möge den Kindern seines Ministers ein paar artige Worte sagen.

Der Knabe Alazar errötete hoch, als der König ihn ansprach. Er sah in ihm den Spiegel heldischer Tugend. Ehrfürchtig und naiv fragte er, ob sich Don Alfonso selber an den Spielen beteiligen werde, und erzählte, er, Alazar, habe sich für den Wettbewerb im Armbrustschießen gemeldet. »Meine Armbrust hat Ibn Ichad mit eigener Hand gemacht, der berühmte Armbrustschnitzer von Sevilla«, sagte er stolz. »Du wirst sehen, Herr König, da haben es deine Herren nicht leicht.« Innerlich amüsiert erkannte Don Alfonso in dem Knaben den Sohn seines hochfahrenden Escrivanos.

Nicht ganz so einfach verlief seine Unterhaltung mit Doña Raquel. Man wechselte, lateinisch, ein paar nichtssagende Eingangssätze. Sie beschaute ihn dabei mit ihren großen, blaugrauen Augen, ruhig prüfend, und auch ihm mißfiel ihre Unbefangenheit. Nach einem Thema suchend, fragte er: »Verstehst du, was meine Joglares da singen?« Es sangen aber die Joglares, seine Spielleute, kastilisch. Doña Raquel antwortete ehrlich und genau: »Vieles verstehe ich. Ganz freilich kann ich ihrem niedrigen Latein nicht folgen.« – »Niedriges Latein« war die übliche Bezeichnung der Volkssprache, und wahrscheinlich wollte die Fremde nichts Kränkendes sagen. Alfonso indes ließ die Sprache seines Landes nicht schlechtmachen und wies sie zurecht: »Wir nennen diese Sprache Kastilisch. Viele Hunderttausende guter Leute, fast alle meine Untertanen sprechen sie.« Kaum hatte er’s gesagt, kam es ihm unnötig streng und schulmeisterlich vor, und er bog ab: »Das Land Kastilien leitet übrigens seinen Namen hier von diesem Castillo ab. Von hier aus hat Graf Fernán González es erobert. Gefällt dir die Burg?« Und da Doña Raquel nach einer Antwort suchte, fügte er, jetzt auf arabisch, hinzu: »Sie ist sehr alt und voll von Erinnerungen.« Doña Raquel, gewohnt, herauszusagen, was ihr durch den Sinn ging, antwortete: »Da begreife ich, daß dir diese Burg gefällt, Herr König.« Das verstimmte Don Alfonso. Fand sie, daß einem das altberühmte Schloß nur gefallen konnte, wenn einen persönliche Beziehungen damit verknüpften? Er wollte etwas Maliziöses erwidern. Aber schließlich war diese Doña Raquel sein Gast, und es war nicht seine Sache, der Tochter des Juden Courtoisie beizubringen. Er sprach von anderm. Ohne das Eingreifen des Don Manrique hätte man den Judenjungen Don Alazar, wiewohl er der Sohn des Escrivanos war, schwerlich zum Wettbewerb im Armbrustschießen zugelassen. So aber durfte er teilnehmen und gewann den zweiten Preis. Der Freimut und das liebenswerte Ungestüm des Knaben, seine Freude über den Preis, seine Beschämung, daß es nur der zweite Preis war, der Stolz auf seine Armbrust, die in Wahrheit in Burgos nicht ihresgleichen hatte, das alles gewann ihm gegen ihren Willen die Zuneigung der andern.

Der König gratulierte ihm. Alazar stand da, erfreut, doch sichtlich gequält von schweren Zweifeln. Dann, mit Entschluß, hielt er Alfonso die Armbrust hin und sagte: »Hier hast du sie, Herr König. Wenn sie dir gefällt, schenk ich sie dir.« Alfonso war überrascht. Der Junge war anders als der Vater; an Geld und Gut hing er nicht, eine der großen Rittertugenden, die Largesse, besaß er. »Du bist ein wackerer Junge, Don Alazar«, rühmte er ihn. Der Knabe erzählte zutraulich: »Du mußt wissen, Herr König, es war keine Kunst für mich, zu gewinnen. Schon seit meinem fünften Jahr übe ich mich im Armbrustschießen. Wer kein guter Schütze ist, wird bei den Moslems in keinen Ritterorden aufgenommen.« – »Wird das im Ernst verlangt?« fragte Don Alfonso. »Aber gewiß, Herr König«, antwortete Alazar und zählte die zehn Tugenden eines moslemischen Ritters her, in geläufigem Arabisch, wie er sie hatte lernen müssen: »Güte, Tapferkeit, Höflichkeit und Takt, Begabung für die Poesie, für die Beredsamkeit, Stärke und Gesundheit des Körpers, Begabung fürs Reiten, fürs Lanzenwerfen, fürs Fechten und fürs Armbrustschießen.« Es flog Don Alfonso durch den Sinn, daß also er selber mit seiner geringen Übung in der Poesie und in der Beredsamkeit wenig Aussicht hätte, in einen moslemischen Ritterorden aufgenommen zu werden.

Am dritten Tage fanden die Stierkämpfe statt. An diesen Spielen durften nur die edelsten der Granden teilnehmen. Den Prälaten war, seitdem Eusebius, Bischof von Taragona, im Stierkampf schwer verwundet worden war, die Teilnahme verboten; sehr zum Leidwesen des Erzbischofs Don Martín, der sich zu gern in dieser ritterlichen Übung betätigt hätte.

Auf einer Tribüne, umgeben von den Ersten des Reiches, wohnte Don Alfonso mit seiner Königin den Spielen bei. Er war gut gelaunt; dem Kampf der Männer und der Stiere zuzuschauen, wärmte ihm das Herz.

Auf einer andern Tribüne und auf den Balkonen der Häuser ringsum saßen die geschmückten Damen, unter ihnen Doña Raquel. Wieder saß sie hinter den andern, halb verborgen, aber Don Alfonsos helles Aug erspähte sie, und er merkte auch, daß ihr Blick nicht immer dem Kampfe folgte, sondern manchmal auf ihn gerichtet war. Er erinnerte sich, wie sie, dieses junge Ding, kaum weniger dreist als der Vater, ihm ins Gesicht gesagt hatte, daß ihr seine Königsburg nicht gefalle. Und plötzlich kam ihn Lust an, sich an den Spielen zu beteiligen. Er durfte den netten Knaben, der ihm seine Armbrust hatte schenken wollen, nicht enttäuschen, er mußte sich vor seinem jungen Vetter bewähren, der ihn bewunderte. Es war klar, er mußte selber den Stier herausfordern und bestehen.

Don Manrique beschwor ihn, sein heiliges Leben nicht in unnützem Kampf aufs Spiel zu setzen. Doña Leonor bat ihn, abzulassen. Don Rodrigue gab zu bedenken, daß seit dem Sechsten Alfonso kein hispanischer König an einem Stierkampf teilgenommen habe. Erzbischof Don Martín wies darauf hin, wie er selber sich bezähme. Aber Don Alfonso, scherzend, voll jungenhafter Freude, ließ keinen Einwand gelten.

Er hatte den Königsmantel abgeworfen, schon legte man ihm das weitmaschige Panzerhemd an. Und es klangen die Trompeten, und der Herold rief: »Den nächsten Stier besteht Don Alfonso, von Gottes Gnaden König von Toledo und Kastilien.«

Er sah sehr gut aus, wie er da in die Schranken ritt, nicht in schwerer Rüstung, nur im beweglichen Panzerhemd, Hals und Kopf frei, das rotblonde Haar von der Eisenkappe gehalten. Er war ein ausgezeichneter Reiter, er verstand sich mit seinem Pferd bis in die kleinste Bewegung. Aber trotz aller Kunst mißglückten die drei ersten Stöße, und das dritte Mal sah es so gefährlich aus, daß alle aufschrien. Schnell indes hatte er wieder Gewalt über sich und das Pferd. Mit schmetternder Stimme rief er: »Für dich, Doña Leonor!«, und der vierte Stoß gelang.

Des Abends, im Bad, erzählte Doña Raquel der Amme Sa’ad: »Er ist sehr tapfer, dieser Alfonso, und es war wie in der Geschichte von dem Kaufmann Achmed, dem Weitgereisten, wie er in die Innere Kammer ging zu dem Ungeheuer. Ich habe solche Stierkämpfe nicht gern, ich finde es gut, daß man sie bei uns in Sevilla abgeschafft hat. Aber für diese Christen sind sie vielleicht das Richtige, und es war großartig anzusehen, wie ihr König auf den wilden Stier losritt. Vor dem letzten Stoß hat er die Lippen gerührt, das hab ich ganz deutlich gemerkt. Der Kaufmann Achmed hat, bevor er in die Innere Kammer ging, die Erste Sure gebetet; wahrscheinlich hat auch dieser König einen heiligen Spruch hergesagt. Geholfen hat es auch ihm. Und er hat ausgesehen wie der junge Morgen und sehr glücklich, als das Tier zusammenbrach. Er ist ein Held. Aber ein richtiger Ritter ist er nicht. Dazu fehlen ihm wichtige Tugenden. Er ist ungeschickt in der Rede und hat keinen Sinn für Poesie. Sonst könnte ihm auch seine alte, finstere Burg nicht so gefallen.« Don Alfonso und Doña Leonor hielten es nicht für angebracht, die Festlichkeit dieser Tage durch Gespräche zu trüben, in denen Streitpunkte erwähnt und geregelt werden mußten, und so blieb die Frage des Verlöbnisses und des Vasalleneides in der Schwebe.

Die Festwoche verging. Der große Tag war da, der Tag des Adoubements, der Schwertleite, der Tag, an dem Don Pedro den Ritterschlag erhalten sollte.

Am Morgen nahm der junge Prinz ein feierliches Reinigungsbad. Zwei Priester kleideten ihn an. Das Kleid war rot wie das Blut, das der Ritter vergießen sollte zur Verteidigung der Kirche und der göttlichen Ordnung; die Schuhe waren braun wie die Erde, in die er einmal eingehen wird; der Gürtel war weiß wie der reine Sinn, den zu wahren er geloben soll.

Alle Glocken läuteten, als der junge Herr durch rosenbestreute Straßen zur Kirche des Santiago geführt wurde. Hier, inmitten der Granden und Damen von Kastilien und Aragon, erwartete ihn Don Alfonso. Edelknappen setzten dem feierlich gerührten Don Pedro den Helm auf, taten ihm das Panzerhemd an, überreichten ihm den dreieckigen Schild; jetzt besaß er die Waffen, sich zu verteidigen. Sie gürteten ihm das Schwert um; jetzt besaß er die Waffe, anzugreifen. Zwei Edelfräulein legten ihm die goldenen Sporen an; nun konnte er für Recht und Tugend in den Kampf reiten.

So angetan, kniete Don Pedro nieder, und Erzbischof Don Martín betete mit schallender Stimme: »Vater unser, der du bist im Himmel, und der du befohlen hast, auf Erden das Schwert zu gebrauchen, um die Bosheit zu bestrafen, und der du, um das Recht zu schützen, die christliche Ritterschaft eingesetzt hast: mache, daß dieser dein Knecht dieses sein Schwert niemals gebrauche, einen Unschuldigen zu treffen, doch immer, dein Recht und deine Ordnung zu verteidigen.«

Don Alfonso dachte daran, wie damals er, ganz jung noch, und nachdem er sich in den Straßen von Toledo blutig mit den Rebellen herumgeschlagen hatte, in die Ritterschaft aufgenommen worden war. Das war in der Kathedrale von Toledo gewesen, vor der Statue des Santiago; der Apostel selber hatte ihm die Ritterschaft verliehen. Vielleicht freilich hatte, wie die Zweifler vermuteten, nur das Standbild mittels eines kunstvoll automatischen Mechanismus ihm den Schwertschlag versetzt. Vielleicht aber auch hatte sich wirklich, wie ihm der Erzbischof versicherte, in jenem hohen Augenblick das Standbild in den Apostel zurückverwandelt. Warum sollte nicht Santiago selber kommen, den königlichen Knaben von Kastilien zum Ritter zu schlagen?

Mitleidig und verächtlich blickte er nieder auf den jungen Vetter, der demütig vor ihm kniete. Was alles hatte er selber schon vollbracht, als er nicht älter war als dieser! Aufständige Ricoshombres hatten von ihm eidliche Versicherungen verlangt, auf die sie angeblich Anspruch hatten; er aber, denn er war von Gottes Gnaden König von Toledo und Kastilien, hatte sie zornig angeschrien mit einer Stimme, die noch eine hohe Knabenstimme war: »Nein, nein!« und: »Auf die Knie mit euch, ihr Lumpen von Granden!« Und sie hatten ihm mit blankem Schwert gedroht und Truppen gegen ihn geschickt, und nochmals Truppen, und er hatte mit sehr wirklichen Feinden sehr wirkliche Hiebe und Stiche getauscht. Dieser aber, der da vor ihm kniete, sein junger Vetter, war nichts als ein armseliger König von Aragon, und der dumme Knabe wird sich ohne weiteres bequemen, seinen frechen Granden den knechtischen Eid zu leisten, den diese aragonischen Barone ihren sogenannten Königen abforderten: »Wir, die wir mehr sind als du, erwählen dich zu unserm König mit der Bedingung, daß du unsere Rechte und Freiheiten aufrecht hältst, und zwischen dir und uns wählen wir einen Schiedsrichter, der mehr Macht haben soll als du. Wenn nicht, nicht. Si no, no!« Es war große Gnade, wenn er einen solchen »König« zum künftigen Mann seiner Infantin und zu seinem Nachfolger annahm, und es war sehr wenig, wenn er dafür verlangte, daß er, Alfonso, bei Lebzeiten Oberhoheit ausübte in Hispanien.

Don Pedro jetzt, voll tiefer, ritterlicher Frömmigkeit, leistete den Schwur: »Ich gelobe, ich werde dieses mein Schwert niemals gebrauchen, einen Unschuldigen zu treffen, doch immer, das Recht und die heilige Ordnung Gottes zu verteidigen.« Und er neigte den Kopf und wartete auf den demütigenden, erhebenden Schwertschlag, der ihm seinen Ritterschwur für immer einprägen sollte.

Da kam der Schlag. Don Alfonso schlug ihm mit der flachen Klinge die Schultern, nicht sehr heftig, doch stark genug, daß der Schlag durch die Maschen des Panzerhemdes schmerzhaft spürbar war.

Don Pedro zuckte unwillkürlich mit den Schultern. Richtete den Kopf hoch, wollte sich erheben. Aber Don Alfonso hielt ihn zurück. »Nicht doch, Herr Vetter, noch nicht!« sagte er. »Wir verbinden Schwertleite und Lehenseid.« Und: »Gebt mir die Fahne!« befahl er. Auf die Fahne wartend, zog er den Handschuh von der rechten Hand. Dann, die Fahne Kastiliens in der Linken, sagte er: »Da du es so wünschest, mein Vetter Don Pedro von Aragon, nehme ich dich an zu meinem guten Vasallen und gelobe in Treuen, dich zu schützen, wenn du mich brauchst. So wahr mir Gott helfe.« Er sprach nicht laut, aber seine herrische Stimme füllte die Kirche.

Der junge Pedro, noch benommen von den Erregungen, Demütigungen, Erhebungen der Schwertleite und des Ritterschlages, wußte nicht, wie ihm geschah. Doña Leonor hatte ihm das Verlöbnis mit der Infantin und die Nachfolge in Kastilien in Aussicht gestellt. Oder hatte sie mehr getan, hatte sie ihm ein Versprechen gegeben? Und was war es mit diesem zweiten Eide, dem Vasalleneid? Hatte er sich mit seinen ungeübten Worten bereits verpflichtet? Aber durfte er überhaupt solche mißtrauischen Erwägungen anstellen? Gerade erst hatte er ritterlichen Gehorsam gelobt, und versagte er schon in der ersten Prüfung?

Da kniete er, der jüngere Ritter vor dem älteren, und dieser, mit männlicher, schmetternder Stimme jetzt, verlangte: »Du aber, Don Pedro, zum Zeichen, daß du mir dienen willst in Treuen und in der Furcht Gottes, wann immer ich dich brauche und rufe, küß mir die Hand!« Und er streckte die Hand dem Knienden hin.

Eine geradezu körperhafte Stille war in der menschenvollen Kirche. Bestürzt standen die aragonischen Herren. Seit mehr als einem Menschenalter hatte sich Aragon von der lästigen Vasallenschaft frei gehalten. Warum hatte ihr junger König dem Kastilier den schimpflichen Eid zugestanden? Waren die Verlöbnisurkunden ausgetauscht?

Und noch immer kniete Don Pedro, vor ihm die fordernde Hand. Die rückwärts standen, streckten sich, um zu sehen, was nun geschehe.

Und da geschah es. Der junge Aragon küßte die rechte Hand des Mannes, der mit der Linken die Fahne Kastiliens hielt. Und dieser gab ihm den Handschuh, und der Aragonier nahm ihn.

Kurze Zeit später, aus dem Dämmer der Kirche ins Helle, Freie tretend, umringt von seinen finster schweigenden Herren, erwachte Don Pedro aus Traum und Schwärmerei und erkannte, was geschehen war, was er angerichtet hatte.

Aber hatte er’s angerichtet? Der andere hatte ihn überrumpelt, ihn in eine freche Falle gelockt. Der hochverehrte Mann, der Spiegel alles Rittertums, hatte die heilige Handlung der Schwertleite und des Ritterschlags zu einem schurkischen Tort mißbraucht!

Ein Volksfest sollte sich der Kirchenfeier anschließen. Schon wartete das Ehrengeleit kastilischer Barone. Aber: »Wir brechen auf, Herren, und sogleich!« befahl Don Pedro den Seinen. »In unserer Hauptstadt werden wir beschließen, was weiter geschehen soll.« Und tumultuarisch klirrend, ohne den Kastiliern Blick und Gruß zu gönnen, verließ der junge König mit seinem Gefolge die Stadt Burgos. Dieses Mal verlor sogar die Königin ihren Gleichmut. Nun war es aus mit der Allianz, die ihr so am Herzen lag. Es war nicht Heldentum, es war kindischer Übermut gewesen, durch einen Gewaltstreich erzwingen zu wollen, was man durch gütliche Rede bestimmt hätte erhalten können.

Aber ihr Zorn hielt nicht vor. Alfonso war nun einmal nicht der Mann langwieriger Verhandlungen. Er wollte fliegen, nicht mühsam klettern. Sogar ihr Vater von Engelland, der größte König und klügste Staatsmann, hatte solche zornigen Anwandlungen; er hatte jene wilden Worte nicht zurückgehalten, die seine Ritter getrieben hatten, den Erzbischof von Canterbury umzubringen, wiewohl das größte Unheil daraus hatte wachsen müssen.

Don Manrique und Don Jehuda baten um Gehör. Sie ließ sie kommen.

Jehuda war voll von fressendem Ärger; wiederum war, was er mit so viel Mühe und Geduld aufgebaut hatte, durch das hirnlose Soldatentum des Königs zerschlagen. Auch Don Manrique war empört. Allein Doña Leonor wies jeden Tadel gegen Alfonso königlich fremd und würdig zurück. Alle Schuld lag bei dem jungen Pedro, der so brüsk und gegen alle Regeln der Courtoisie davongelaufen war, ehe man das offenbare Mißverständnis hatte aufklären können.

Don Manrique meinte, gewiß wäre es manierlicher gewesen, wenn der junge Herr in Burgos geblieben wäre. Aber dieser unmanierliche Fant war nun einmal König von Aragon. Zweifellos werde er jetzt den Gutierre de Castro zum Vasallen annehmen, und der Krieg, den ein günstiger Himmel abgewandt hatte, werde nun doch ausbrechen.

Jehuda meinte vorsichtig: »Man sollte vielleicht jetzt noch versuchen, das Mißverständnis aufzuklären.« Und da Doña Leonor schwieg, fuhr er fort: »Wenn irgendein Mensch dem Knaben von Aragon seinen Irrtum und seinen Zorn ausreden kann, dann bist du es, Frau Königin.« Doña Leonor dachte nach. »Wollt ihr mir helfen«, fragte sie, »eine Botschaft für ihn auszuarbeiten?« Don Jehuda, noch behutsamer, antwortete: »Ich fürchte, Botschaft genügt nicht.« Doña Leonor zog die Brauen hoch. »Ich soll selber nach Saragossa fahren?« fragte sie. Don Manrique kam Jehuda zu Hilfe. »Es gibt wohl kein anderes Mittel«, meinte er. Doña Leonor schwieg, hochmütig zugesperrt; Don Jehuda fürchtete schon, ihr Stolz werde über ihre Vernunft siegen. Aber: »Ich will«, versprach sie nach einer Weile, »überlegen, was ich tun kann, ohne der Würde Kastiliens was zu vergeben.«

Sie schwieg vor Don Alfonso, sie machte ihm keine Vorwürfe, sie wartete, bis er reden werde. Bald denn auch kam er und klagte: »Ich weiß gar nicht, was alle haben. Sie gehen um mich herum wie um einen Kranken. Schließlich kann doch ich nichts dafür, daß dieser Lausejunge einfach davonlief. Sein Vater hätte ihn besser erziehen sollen.« – »Da er noch so jung ist«, meinte versöhnlich Doña Leonor, »sollte man seinen Mangel an Courtoisie nicht zu ernst nehmen.« – »Du bist mild wie immer, Doña Leonor«, antwortete er.

»Ein wenig Schuld liegt vielleicht auch bei mir«, fuhr sie fort. »Ich hätte wohl früher mit ihm über den Lehnseid sprechen sollen. Wie wäre es, wenn ich das Versäumte nachholte? Wie wäre es, wenn ich nach Saragossa ginge und das Mißverständnis aufklärte?« Alfonso zog die Brauen hoch. »Ist das nicht sehr viel Ehre für den jungen Bengel?« fragte er. »Er ist immerhin König von Aragon«, erwiderte Leonor, »und wir haben daran gedacht, ihm unsere Infantin zu verloben.«

Alfonso verspürte einen kleinen Verdruß und eine große Erleichterung. Wie gut, daß er seine Leonor hatte. Schlicht, ohne große Worte, ging sie daran, das Verfahrene einzurenken. Er sagte: »Du bist die rechte Königin für eine Zeit, die so viele Umwege und Listen erfordert. Ich bin und bleibe ein Ritter und habe keine Geduld. Du hast es nicht immer leicht mit mir, Doña Leonor.« Stärker aber als diese Worte bekundete das große, helle, jungenhafte Leuchten über seinem Gesicht seine freudige Dankbarkeit.

Bevor Doña Leonor nach Aragon reiste, beriet sie mit Jehuda und Don Manrique de Lara. Man kam überein, man solle in Saragossa vorschlagen: Kastilien werde seine Garnison aus Cuenca zurückziehen und verpflichte sich, zwei Jahre lang keine Truppen an die Grenze der Grafschaft des Castro zu schicken; andernteils möge Aragon weitere Feindseligkeiten des Castro verhindern. Wenn sich Gutierre de Castro zum Vasallen Aragons erkläre, so werde Kastilien das hinnehmen, ohne jedoch seine Ansprüche aufzugeben. Was die Oberhoheit Kastiliens über Aragon anlange, so bleibe diese Frage in der Schwebe, und jene Zeremonie habe daran nichts geändert; denn rechtlich trete die Schutzverpflichtung Kastiliens erst dann in Kraft, wenn Aragon die üblichen hundert Goldmaravedí dafür zahle, und diese Zahlung werde Kastilien nicht einfordern.

In Saragossa empfing der junge König Doña Leonor mit höchster Courtoisie, doch verbarg er nicht die wütende Enttäuschung über das, was in Burgos geschehen war. Sie entschuldigte nicht eben ihren Alfonso; wohl aber führte sie aus, wie sehr er leide unter dem langen Waffenstillstand mit Sevilla, zu dem seine übervorsichtigen Minister ihn beredet hätten. Sein Herz hänge daran, die Niederlage von Sevilla gutzumachen und der Christenheit neue Siege über die Ungläubigen zu erkämpfen. Die glückliche Vereinigung mit Aragon, welche in so naher Nähe schien, hätte ihm das ermöglicht, und so sei er in ritterlicher Ungeduld überschnell vorgegangen. Sie begreife beide Fürsten. Don Alfonso und Don Pedro. Sie sah ihn offen an, herzlich, mütterlich, fraulich.

Nur mit Mühe wahrte Don Pedro vor der großherzigen, liebenswerten Dame die ablehnende Würde, die dem beleidigten Ritter anstand. Er sagte: »Du machst den Schimpf linder, den er mir angetan hat, Dame. Das danke ich dir. Laß deine Räte mit den meinen verhandeln.«

Als Doña Leonor sich von Don Pedro verabschiedete, sprach sie wie damals in süßen, damenhaften Worten von einer engeren Verbindung der Häuser Kastilien und Aragon. Don Pedro rötete sich. »Ich verehre dich, Dame«, sagte er, »und als du mir das erstemal gnädig lächeltest, blühte mir das Herz auf. Aber jetzt ist ein böser Winter gekommen, und alles ist erstarrt.« Mit Anstrengung fügte er hinzu: »Ich werde meinen Räten Weisung geben, die Vorschläge Kastiliens anzunehmen, dir zu Ehren, Dame. Ich werde Frieden mit Don Alfonso halten. Aber die Allianz hat er zerschlagen. Ich will mich nicht mit ihm verschwägern, und ich will nicht zusammen mit ihm zu Felde ziehen.«

Doña Leonor kehrte nach Burgos zurück. Don Alfonso sah ein, daß sie Großes erreicht hatte: der Krieg war abgewandt. »Du bist eine kluge Dame, Leonor«, rühmte er sie. »Du bist meine Königin und Frau.«

Und in dieser Nacht liebte Don Alfonso die Frau, die ihm drei Töchter geboren, wie in der ersten Nacht, da er sie erkannt hatte.

Fünftes Kapitel

Nachdem die Moslems fast ein halbes Jahrtausend in Jerusalem geherrscht hatten, eroberte Gottfried von Bouillon die Stadt für die Christen zurück und errichtete dort ein »Königreich Jerusalem«. Allein die Herrschaft der Christen dauerte nur achtundachtzig Jahre; dann bemächtigten sich die Moslems der Stadt von neuem.

Der Mann, der dieses Mal die Moslems nach Jerusalem führte, war Jussuf, genannt Saladin, »Heil des Glaubens«, Sultan von Syrien und Ägypten, und die Schlacht, in welcher er den entscheidenden Sieg erkämpfte, fand statt in der Gegend des Berges Hattin, westlich von Tiberias. Augenzeuge dieser Schlacht war ein moslemischer Historiker namens Imad ad-Din. Er war befreundet mit Musa Ibn Da’ud, und er schilderte diesem die Geschehnisse in einem ausführlichen Briefe.

»Die feindlichen Panzerritter«, schrieb er, »waren unverwundbar, solange sie im Sattel saßen, denn sie waren von Kopf zu Fuß geschützt von ihren aus Eisenmaschen gewobenen Hemden. Sowie aber das Pferd fiel, war der Reiter verloren. Sie glichen Löwen zu Beginn der Schlacht, versprengten Schafen, als sie endete.

Keiner von den Ungläubigen entkam. Ihrer fünfundvierzigtausend waren sie gewesen: keine fünfzehntausend überlebten, und wer überlebte, wurde gefangengenommen. Alle sind sie in unsere Hand gefallen, der König von Jerusalem und alle seine Grafen und Großen. Die Stricke der Zelte reichten nicht hin. Ich sah ihrer dreißig oder vierzig am gleichen Strick, ich sah ihrer mehr als hundert bewacht von einem einzigen. Ich sah es mit meinen eigenen, gesegneten Augen. An die dreißigtausend waren erschlagen worden, aber noch immer waren es der Gefangenen so viele, daß die Unsern einen gefangenen Ritter für ein Paar Sandalen verkauften. Seit hundert Jahren gab es keine so billigen Gefangenen.

Wie waren sie vor wenigen Stunden stolz und stattlich gewesen, diese christlichen Herren. Jetzt waren die Grafen und Barone eine Beute des Jägers geworden, die Ritter ein Fraß des Löwen, die hochmütig Freien gefesselt in Strick und Eisen. Allah ist groß. Sie hatten die Wahrheit Lüge genannt, den Koran Betrug: da hockten sie jetzt, halb nackt, gesenkten Gesichtes, geschlagen von der Hand der Wahrheit.

Sie hatten, die blinden Toren, ihr Heiligstes mit in die Schlacht geführt, das Kreuz, an dem ihr Prophet Christus gestorben ist. Auch dieses Kreuz ist in unsere Hand gefallen.

Als die Schlacht zu Ende war, stieg ich in Betrachtung auf den Berg Hattin. Es ist aber dieser Berg Hattin ein Berg, auf dem ihr Prophet Christus eine berühmte Predigt gehalten hat. Ich überschaute das Schlachtfeld. Da nahm ich wahr, was ein Volk, mit welchem der Segen Allahs ist, einem Volke antun kann, auf dem sein Fluch liegt. Ich sah abgeschlagene Köpfe, zerstückte Leichen, zerhaute Glieder, überall Sterbende und Tote, bedeckt mit Blut und Staub. Und ich gedachte der Worte des Korans: Die Ungläubigen werden sprechen: Ich bin nichts als Staub.«

Noch viele ähnliche Sätze schrieb, beschwingt vom Erlebnis, der Historiker Imad ad-Din, und er schloß: »O süßer, süßer Geruch des Sieges!«

Musa las den Brief und war bekümmert. Von der Wand in kufischen Lettern mahnte der alte Spruch: »Eine Unze Frieden ist besser als eine Tonne Sieg.« Um dieses Spruches willen hatte in Zeiten der Heiligen Kriege so mancher Moslem sein Leben als Ketzer eingebüßt. Trotzdem führten viele weise Männer den Spruch im Munde, und auch sein Freund Imad, der Schreiber des Briefes, hatte ihn gerne zitiert; einmal wäre er deshalb von einem fanatischen Derwisch beinahe erschlagen worden. Und nun schrieb er diesen Brief!

Ja, es war so, wie es in dem Großen Buche der Juden hieß: der Jezer Hara, der böse Trieb, war mächtig von Jugend an. Die Menschen wollten jagen und schlagen und hauen und töten, und sogar ein so weiser Mann wie sein Freund Imad »berauschte sich am Wein des Sieges«.

Ach, es werden sich in sehr naher Zeit noch viele am Wein des Krieges berauschen. Denn nun Jerusalem wieder in der Hand der Moslems ist, wird es der Hohepriester der Christen nicht unterlassen, zum Heiligen Krieg aufzurufen, und Schlachtfelder, wie sie Imad mit so greulicher Anschaulichkeit beschrieb, wird es viele geben.

So kam es denn auch.

Die Nachricht vom Falle Jerusalems, welches die Kreuzritter vor noch nicht neunzig Jahren mit so ungeheuren Opfern erobert hatten, erfüllte die Christenheit mit wildem Schmerz. Gebet und Fasten war überall. Fürsten der Kirche taten den äußern Pomp ab, um durch strenge Zucht den andern voranzuleuchten. Sogar Kardinäle gelobten, sie würden kein Pferd mehr besteigen, solange die Erde, auf welcher der Heiland gewandert war, von den Füßen der Heiden entweiht werde; vielmehr würden sie, von Almosen lebend, die Länder der Christen durchpilgern, um Buße und Rache zu predigen.

Der Heilige Vater rief zu einem neuen Kreuzzug auf, Jerusalem zu befreien, den Nabel der Erde, das zweite Paradies. Er versprach einem jeden, der das Kreuz nahm, Entgelt im Jenseits und im Diesseits, und er verkündete Weltfrieden für sieben Jahre, eine Treuga Dei.

Er selber ging mit edlem Beispiel voran und beendete seinen langen Streit mit dem Herrn Deutschlands, dem Römischen Kaiser Friedrich. Er schickte einen Legaten, den Erzbischof von Tyrus, an die Könige von Francien und von Engelland und beschwor sie, ihre Zwistigkeiten zu beenden. Er ermahnte in eindringlichen Sendschreiben die Könige von Portugal, León, Kastilien, Navarra und Aragon, ihre Streitigkeiten zu begraben und sich brüderlich zu vereinigen, um auf ihre Art an dem Kreuzzug teilzunehmen. Sie sollten losschlagen gegen die Moslems ihrer Halbinsel und gegen den Antichrist des Westens, den Kalifen Jakúb Almansúr in Afrika. Don Alfonso, als ihm der Erzbischof von dem Sendschreiben des Papstes Mitteilung machte, berief seinen Kronrat ein, seine Curia. Don Jehuda, Krankheit vorschützend, blieb weislich ferne.

Der Erzbischof wies in starken Worten darauf hin, daß hier in Hispanien die Kreuzzüge früher begonnen hätten als in allen andern Ländern, vor mehr als einem halben Jahrtausend. Unmittelbar nachdem die Pest der Moslems über das Land gekommen sei, hätten die christlichen Goten, die Väter der hier tagenden Herren, den Widerstand begonnen. »An uns ist es«, rief er begeistert, »die große, heilige Tradition fortzusetzen«, und: »Deus vult – Gott will es!« endete er mit dem Schlachtruf der Kreuzfahrer.

Wie gerne wären die Herren diesem Rufe gefolgt. Alle, sogar der friedfertige Don Rodrigue, glühten sie danach. Aber sie wußten, gerade ihnen standen unüberwindbare Hindernisse entgegen. Sie saßen in unglücklichem Schweigen.

»Ich hab es miterlebt«, sagte endlich der alte Don Manrique, »wie wir ins Andalús vorgestoßen sind bis ans Meer, und ich war dabei, als der König Unser Herr den Moslems die gute Stadt Cuenca abnahm und auch die Festung Alarcos. Nichts Besseres hätte ich mir gewünscht, als daß es mir, bevor ich in die Grube fahre, noch einmal vergönnt sein sollte, gegen die Ungläubigen auszuziehen. Aber wir haben diesen Vertrag, den Waffenruhevertrag mit Sevilla, und er ist gezeichnet mit dem Namen des Königs Unseres Herrn und gesiegelt mit seinem Wappen.«

»Dieses klägliche Schriftstück«, sagte zornig der Erzbischof, »ist jetzt null und nichtig, und niemand kann Unsern Herrn den König tadeln, wenn er’s dem Henker übergibt, daß er’s verbrennt. Du bist durch diesen Vertrag nicht gebunden, Herr König«, wandte er sich an Alfonso. »›Juramentum contra utilitatem ecclesiasticam prestitum non tenet – Ein Eid gegen das Wohl der Kirche gilt nicht.‹ So steht es in der Dekretaliensammlung des Gratianus.«

»So ist es«, stimmte der Domherr bei und neigte ehrerbietig den Kopf. »Aber diese Ungläubigen kümmern sich nicht darum. Sie bestehen darauf, daß Verträge gehalten werden. Sultan Saladin hat die meisten seiner Gefangenen geschont: als sich aber der Markgraf de Châtillon darauf berief, daß er den Waffenstillstand zu Recht gebrochen habe, denn sein Eid sei vor Gott und der Kirche ungültig gewesen, da – erinnert euch, Herren! – ließ der Sultan ihn hinrichten. Und der Kalif der westlichen Ungläubigen denkt und handelt genau wie Saladin. Wenn wir den Waffenstillstand mit Sevilla nicht einhalten, dann wird er aus seinem Afrika übers Meer kommen, und seine Soldaten sind zahlreich wie der Sand der Wüste, und da hilft keine Tugend und keine Tapferkeit. Wenn also der König Unser Herr, sich aufs göttliche Recht der Kirche berufend, den Vertrag für ungültig erklärte, dann wäre das nicht zum Nutzen der Kirche, sondern gegen diesen Nutzen.«

Don Martín schaute seinen Sekretär grimmig an; immer kam er mit solchen Rabulistereien. Don Rodrigue aber fuhr unbeirrt fort: »Gott, der in die Herzen sieht, weiß, wie heiß wir alle gewillt sind, die Schmach der Heiligen Stadt zu rächen. Aber Gott hat uns auch Vernunft gegeben, damit wir nicht durch überschnellen Eifer das Unglück der Christenheit noch mehren.«

Don Alfonso brütete zornig vor sich hin. »Die Afrikaner werden Sevilla zu Hilfe kommen«, sagte er dann, »das ist wahr. Aber auch ich werde nicht allein sein. Die Kreuzfahrer, die an diesen Küsten landen, werden helfen, wenn ich gegen die Moslems losschlage. Sie haben uns auch früher geholfen.«

»Diese Kreuzfahrer«, gab Manrique zu bedenken, »werden in vereinzelten Haufen kommen, sie können der disziplinierten, wohlorganisierten Armee des Kalifen nicht standhalten.« Und da der König sich nicht überzeugen lassen wollte, mußte ihm wohl Don Manrique den wahren Grund nennen, der Kastilien zur Untätigkeit zwang. Er schaute ihm ins Gesicht und sagte langsam und deutlich: »Aussichten, Herr König, hast du nur dann, wenn du dir den Beistand deines Vetters von Aragon sicherst, und es müßte voller, aus dem Herzen kommender Beistand sein. Don Pedro müßte dir willig den Oberbefehl überlassen. Ohne einheitlichen Oberbefehl sind die christlichen Heere unserer Halbinsel dem Kalifen nicht gewachsen.«

In seinem Herzen hatte Don Alfonso gewußt, daß es so war. Er antwortete nicht. Er beendete den Kronrat.

Als er allein war, faßte ihn unbändige Wut. Fast dreiunddreißig Jahre war er jetzt, ein ganzes Menschenalter hatte er durchlebt, und nicht war es ihm vergönnt gewesen, wahrhaft große Taten zu tun. Alexander hatte in seinem Alter die Welt erobert. Und nun war die große, einmalige Gelegenheit da, der Kreuzzug, und sie verhinderten ihn mit unwiderleglich listigen Gründen, sich als neuer Cid Compeador Ruhm zu erwerben.

Aber er wird sich’s nicht verwehren lassen. Und wenn der junge Fant, der Lausbub von Aragon, ihn nicht als Oberfeldherrn anerkennt, dann wird er eben ohne ihn losziehen. Er war von Gott bestimmt zum Führer in seinem westlichen Teil der Welt, und er wird sich dieses heilige Amt nicht aus der Hand winden lassen. Er kann sich Hilfstruppen zur Genüge verschaffen, auch ohne Aragon. Er braucht die Kreuzfahrer, die zu ihm stoßen, nur für wenige Monate, dann mögen sie die Fahrt ins Heilige Land fortsetzen. Wenn er nur zwanzigtausend Mann hat außer seinem eigenen Heer, dann überrennt er den ganzen Süden des Andalús und dringt ins Afrika vor, ehe der Kalif sein Heer auch nur bereit hat. Und dann wird sich’s dieser Jakúb Almansúr zweimal überlegen, ehe er seine Ostgrenze entblößt.

Nur Geld muß er haben, Geld für einen Feldzug von mindestens einem halben Jahr, Geld, die Hilfsvölker zu lohnen.

Er befahl Jehuda zu sich.

Jehuda hatte, als der Kreuzzug ausgerufen wurde, schwere Sorge gespürt und gleichzeitig Erhebung. Da war nun der große Krieg da, den alle gefürchtet hatten, die Grenzen zwischen Islam und Christenheit wurden von neuem unsicher, seine, Jehudas, Aufgabe wuchs in den Himmel. Denn der Escrivano des Königs von Kastilien konnte mehr als andere tun, der Halbinsel den Frieden zu erhalten.

Wieder einmal erkannte er, wie weise sein Freund Musa war. Zeitlebens hatte Musa ihm zugeredet: sei gelassen, tu nicht zuviel, rechne nicht zuviel, füge dich dem Schicksal, vor dem alles Planen eitel ist. Er aber, Jehuda, konnte es nicht lassen, zu rechnen und zu planen und zu tun. Da hatte er, als der König den Krieg mit Aragon heraufbeschwor, Listen erdacht und war geschäftig übers Land gefahren, nach Norden und zurück nach Süden und wiederum nach Norden, und hatte verhandelt und gezettelt, und so hatte er’s ein zweites Mal getan, und da sich all sein Planen als vergeblich erwies, hatte er verzweifelt mit Gott gehadert. Das Schicksal aber, weise und scherzhaft wie sein Freund Musa, hatte gerade das, was ihm als höchstes Übel erschienen war, zum Keim des Segens werden lassen. Gerade dieses Zerwürfnis mit Aragon, das er geschäftig zu heilen versucht hatte, zwang nun Don Alfonso, sich dem Krieg fernzuhalten. Nicht aus seinem, Jehudas, klugen Rechnen und Wägen, sondern aus dem frechen, hirnlosen Tun Alfonsos wuchsen Glück und Frieden für die Halbinsel.

Aus Sevilla kam der Buchhändler und Verleger Chakam. Er war der größte Buchhändler der westlichen Welt, er beschäftigte vierzig Schreiber, in seinem schönen Hause gab es für die Bücher jeglicher Wissenschaft eine Sonderabteilung. Er überbrachte dem Don Jehuda als Geschenk des Emirs Abdullah die »Autobiographie« des Persers Ibn Sina in der Originalhandschrift. Ibn Sina, der vor nunmehr einhundertfünfzig Jahren gestorben war, galt als der größte Denker der islamischen Welt; auch die christlichen Gelehrten, die ihn unter dem Namen Avicenna kannten, schätzten ihn hoch. Um das Manuskript, welches jetzt der Verleger Chakam überbrachte, waren heftige Kämpfe gekämpft worden; ein Kalif von Córdova hatte den Inhaber der Handschrift und sein ganzes Geschlecht vernichtet, um sich in den Besitz des Manuskripts zu setzen. Jehuda konnte sich nicht fassen vor Freude über die kostbare Gabe des Emirs, er lief sogleich zu Musa, zärtlich und gerührt betrachteten die beiden die Schriftzeichen, mit denen jener Weiseste aller Sterblichen sein Leben festgehalten hatte.

Mit dem Geschenk überbrachte der Verleger Chakam dem Jehuda eine vertrauliche, mündliche Botschaft des Emirs. Der Fürst ließ seinem Freunde mitteilen, der Kalif Jakúb Almansúr treffe jetzt schon Vorbereitungen, bei der ersten Meldung eines Angriffs auf Sevilla an der Spitze eines Heeres nach der Halbinsel überzusetzen; er sei zu diesem Zweck aus dem Osten nach Marakesch zurückgekehrt. Emir Abdullah sei überzeugt, seinem Freunde Ibrahim liege an der Erhaltung des Friedens nicht weniger als ihm selber; vielleicht also tue er gut, die Könige der Ungläubigen zu warnen.

An dieses alles dachte Jehuda, als er jetzt vor Don Alfonso trat. »Da bist du ja endlich, mein Escrivano«, empfing ihn mit hämischer Höflichkeit der König. »Bist du wiederhergestellt, armer Kranker? Schade, daß du an meinem Kronrat nicht teilnehmen konntest.« – »Ich hätte«, erwiderte Jehuda, »keine andere Meinung abgeben können als deine andern Familiares. Als dein Escrivano muß ich deine Neutralität noch eifriger befürworten als sie. Denn bedenke dieses, Herr König. Nimmst du jetzt das Kreuz, so werden zahlreiche dir folgen, die du nicht unter deinen Kriegsknechten haben möchtest. Sehr viele deiner halbhörigen Bauern werden sich ins Heer einreihen lassen und Gebrauch machen von den Vergünstigungen, die den Kreuzfahrern zustehen. Sie werden ihre harte Tagesarbeit abschütteln und sich von dir ernähren lassen, statt dich und deine Barone zu ernähren. Das wäre verderblich für deine Wirtschaft.«

»Meine Wirtschaft!« höhnte Alfonso. »Begreife doch, du trauriger Rechner, es geht nicht um die ›Wirtschaft‹, es geht um die Ehre Gottes und des Königs von Kastilien.«

Don Jehuda blieb hartnäckig, obwohl er die gefährliche Wildheit Don Alfonsos erkannte. »Ehrerbietig bitte ich dich, Herr König«, sagte er, »mich nicht mißzuverstehen. Keineswegs rate ich dir vom Kriege ab. Im Gegenteil, ich rate dir, den Krieg vorzubereiten. Ja, ich bitte dich, jetzt schon Kriegssteuern einzuziehen, eben jene zusätzlichen Kriegssteuern, welche der Papst ausgeschrieben hat. Ich arbeite an einem Memorandum, welches beweist, daß du das Recht hast, diese Steuern zu erheben, auch wenn du noch nicht im Kriege bist.«

Er gab dem König Zeit, seinen Vorschlag zu bedenken, und fuhr fort: »Auch anderer Zufluß wird deinem Schatze kommen, solange du an dem Krieg nicht teilnimmst. Der Handel mit den Ländern des östlichen Islams hat aufgehört. Die großen Reeder und Kaufleute der Christenheit, die Venezier, die Pisaner, die flandrischen Händler, sie können nichts mehr aus dem Osten einführen. Die Produkte der reicheren Hälfte der Welt können nur mehr über die Kaufleute deiner Länder bezogen werden, Herr König. Wer immer etwas haben will vom Getreide der islamischen Welt, von ihrem Vieh, ihren edeln Pferden, er muß sich an dich wenden. Wer immer etwas haben will von den Gütern, welche der Kunstfleiß der moslemischen Schmiede erzeugt, von ihren wunderbaren Waffen, von ihrem herrlichen Metallwerk, wer immer in der Christenheit Seide des Islams haben will, Pelzwerk, Elfenbein und Goldstaub, Korallen und Perlen, vielfältiges Gewürz, Farben und Glas, er muß die Vermittlung deiner Untertanen anrufen. Bedenke das, Herr König. Der Schatz der andern Fürsten leert sich, solange dieser Krieg dauert, der deine wächst. Und wenn sie erschöpft sind, dann schlage du zu, Herr König von Kastilien, und schlage du den entscheidenden Schlag.«

Der Jude sprach eindringlich. Was er sagte, lockte den König.

Aber noch mehr brachte es ihn auf. »Schaff mir das Geld!« herrschte er Jehuda an. »Zweihunderttausend fürs erste! Ich will jetzt losschlagen, jetzt, jetzt! Verpfände, was du willst! Schaff mir das Geld!« Jehuda, erblaßt, antwortete: »Ich kann es nicht, Herr König. Und niemand sonst kann es.«

Alle Wut Alfonsos gegen sich selber und gegen die unselige Schickung, welche ihm seinen edelsten Ruhm stahl, kehrte sich gegen Jehuda. »Du hast diese Schmach über mich gebracht«, wütete er. »Du mit deinem schmählichen Waffenstillstand und deinen andern hebräischen Listen. Ein Verräter bist du! Für Sevilla zettelst du und für deine beschnittenen Freunde, daß ich sie nicht angreife und mir meine Ehre wieder hole. Du Verräter!«

Jehuda, noch tiefer erblaßt, schwieg. »Geh!« schrie der König ihn an. »Geh mir endlich aus den Augen!« Die Sondersteuer, von welcher Jehuda dem König gesprochen hatte, war der sogenannte Saladins-Zehnte. Es hatte nämlich der Papst verfügt, es solle in den Ländern der Christenheit ein jeder, der an dem großen Kriegszug gegen Sultan Saladin nicht teilnahm, wenigstens Geld beisteuern, und zwar sollte er ein Zehntel seiner Einkünfte und seiner beweglichen Güter zinsen.

Dem Escrivano des Königs von Kastilien war dieser Erlaß des Heiligen Vaters willkommen. Er und seine Juristen, seine Repositarii, fanden, daß der Saladins-Zehnte auch in den Reichen des Königs Alfonso erhoben werden müsse. Denn obgleich gottgewollte Notwendigkeiten den König Unsern Herrn zwangen, vorläufig neutral zu bleiben, so war doch diese Neutralität zeitlich befristet und der König also verpflichtet, für den Heiligen Krieg zu rüsten. So legte Jehuda in einem ausführlichen Memorandum dar.

Don Manrique überbrachte dem König das Schriftstück. Alfonso las. »Er ist schlau«, sagte er leise und grimmig, »er ist ein schlauer Hund, er ist ein schlauer Händler und Hund. Er könnte mir das Geld schaffen, der Hund, wenn er nur wollte. Warum kommt er übrigens nicht selber?« fragte er. Don Manrique antwortete: »Ich denke, er will sich nicht von neuem deinem Zorn aussetzen.« – »Ist er so empfindlich?« spottete Alfonso. »Du hast ihn wohl sehr hart angelassen, Herr König«, erwiderte Don Manrique.

Der König war gescheit genug, zu erkennen, daß der Jude mit Recht gekränkt war, und er ärgerte sich über sich selber. Aber die Christenheit zog in den Heiligen Krieg, und er, Alfonso, hatte das unsagbare Unglück, zur Untätigkeit verurteilt zu sein. War es da nicht sein Recht, reizbar zu sein und seinen Unmut auch an einem Unschuldigen auszulassen? Ein so gescheiter Mann wie der Jude sollte das begreifen.

Er suchte nach einem Vorwand, Jehuda wiederzusehen. Schon lange hatte er daran gedacht, die Festung Alarcos auszubauen, die er selber seinem Reiche zugefügt hatte. Nach allem, was dieser Ibn Esra erzählte, müßte jetzt Geld dafür dasein. Er befahl Jehuda zum Vortrag.

Der hatte den Schimpf nicht verwunden, und es verschaffte ihm eine böse Genugtuung, daß ihn Alfonso jetzt rief. Der König hatte also rasch gemerkt, daß er ohne ihn nicht auskam. Aber Jehuda wollte sich nicht zu billig machen, er wollte nicht neuen Schimpf entgegennehmen. Er entschuldigte sich ehrfürchtig, er sei unpaß.

Don Alfonso, nach einem Augenblick der Wut, bezwang sich und ließ das Geld für Alarcos durch Don Manrique anfordern, viel Geld, viertausend Goldmaravedí. Der Escrivano stellte die Summe sogleich und ohne Einwand zur Verfügung und beglückwünschte den König in einem untertänigen Schreiben zu dem Entschluß, durch den Ausbau der Festung aller Welt zu zeigen, daß er den Krieg vorbereite. Der König wußte nicht, was er aus dem Juden machen sollte.

Es lockte Alfonso, nach Burgos zu reisen, um sich bei seiner Königin Rat zu holen. Er hätte längst schon hingehen sollen. Doña Leonor war schwanger, wohl von jener Nacht her, da er ihr beigelegen war nach jener glücklichen Rückkehr aus Saragossa. Aber Burgos war jetzt voll von unbequemen Gästen. Die Stadt lag an der großen Heerstraße, die nach Santiago de Compostela führte, zum heiligsten Heiligtum Europas. Und wenn diese Straße alle Zeit von Pilgern bereist war, so wollten sich jetzt, da sie zum Kampf in den Osten fuhren, noch mehr große Herren als sonst den Segen des Santiago holen; sie alle kamen über Burgos, sie alle machten Doña Leonor ihre Aufwartung, und die Vorstellung, wie er, der Ofenhocker, mit diesen Kämpfern zusammentreffen würde, kratzte Don Alfonso.

Aber er konnte nicht faul und traurig in seiner Königsburg herumsitzen. Er machte sich zu tun, reiste hierhin, dorthin. Ritt nach Calatrava zu den Ordensrittern, um diese seine Kerntruppe zu inspizieren. Ritt nach Alarcos, die Festungswerke zu besichtigen. Besprach mit seinen Freunden eitle Kriegspläne.

Wenn er gar nichts anderes zu tun fand, ritt er auf die Jagd.

Einmal, mit Garcerán de Lara und Estéban Illán von einem solchen Jagdausflug zurückkehrend, beschloß er, da es sehr heiß war, auf seiner Besitzung La Huerta del Rey Rast zu machen.

Die Huerta del Rey, kühl an dem sich windenden Flusse Tajo gelegen, war ein weites, von verfallenen Mauern umgebenes Gelände. Einsam stand da ein Tor; von ihm, eingemeißelt in bunten, altertümlichen Lettern, grüßte die arabische Formel: Alafia, Heil, Segen. Gebüsch war da, ein kleiner Wald, auch Beete aller Art; doch hatte der Gärtner da, wo früher wohl seltene Blumen kunstvoll gezüchtet worden waren, Nutzpflanzen angebaut, Gemüse, Kohl, Rüben. Inmitten von alledem stand vernachlässigt das Lustschloß, auch ein zierlicher Kiosk, und am Ufer des Flusses verwitterte eine Boots- und Badehütte.

Die Herren saßen unter einem Baum, im Angesicht des Schlosses. Fremdartig stand es da, islamisch durch und durch. Von alters her war an dieser Stätte, wo man in der Kühle des Flusses eine schöne Sicht auf die Stadt hatte, ein Haus gestanden. Römer hatten hier eine Villa gebaut, Goten ein Landhaus hingestellt, und bezeugt war, daß dieses Schloß, das jetzt so verwahrlost dastand, der arabische König Galafré hatte errichten lassen für seine Tochter, die Infantin Galiana; Palacio de Galiana wurde das Schloß jetzt noch genannt.

Heute war es sogar hier heiß, eine beklemmende Stille lag über Fluß und Garten, das Geschwätz der Herren vertröpfelte. »Die Huerta ist eigentlich größer, als ich gedacht hatte«, meinte Don Alfonso. Und plötzlich kam ihm ein Einfall. Seine Väter und er hatten viel zerstören müssen und hatten wenig Zeit gehabt, Neues zu errichten; doch war die Lust zu bauen ihnen eingeboren. Seine Leonor hatte Kirchen gebaut, Klöster, Hospitäler, er selber Kirchen, Kastelle, Festungen. Warum sollte er nicht einmal für sich und für die Seinen bauen? Es konnte nicht schwer sein, die Galiana zu restaurieren und sie bequem und wohnlich zu machen; im Sommer wird es gut sein, hier zu wohnen, und vielleicht dann wird Doña Leonor auch einmal in der heißen Zeit hierherkommen. »Was denkt ihr, Herren?« meinte er. »Wollen wir die Galiana restaurieren?« Und: »Schauen wir uns das Trümmerwerk einmal an«, beschloß er munter.

Sie gingen dem Hause zu. Der Kastellan Belardo kam ihnen entgegen, erregt, eifrig, sehr ehrerbietig. Er wies auf seine Gemüsebeete und erklärte beflissen, was alles er aus dem wertlosen Gelände gemacht habe. Im Hause dann zeigte er die vielen Schäden und erklärte vielwortig, wie schön das alles einmal gewesen sein müsse, die Mosaiken, der Schmuck der Böden, Wände, Decken. Aber immer wieder war der Tajo eingebrochen und hatte alles überschwemmt. Ihm tue das Herz weh, wie verwahrlost das Palais sei, aber ein einzelner könne da nichts machen. Er war oft bei den Herren Räten des Herrn Königs vorstellig geworden, man solle restaurieren und den Fluß eindämmen, aber man hatte ihn barsch abgewiesen, dafür habe man kein Geld.

»Der Schwätzer hat recht«, sagte lateinisch Estéban zu Don Alfonso. »Der Palacio muß in der Tat ungewöhnlich schön gewesen sein. Der alte beschnittene König hat sich für seine Tochter angestrengt.«

Die gespornten Stiefel der Herren hallten mächtig über das zierliche, zerbrochene Mosaik der Böden, ihre Stimmen klangen wider von den leeren Mauern.

Don Alfonso schaute und war schweigsam. Ich darf wirklich die Galiana nicht weiter verkommen lassen, dachte er. Don Garcerán meinte: »Es wird Arbeit und Geld kosten, aber ich glaube, du könntest etwas sehr Schönes aus der Galiana machen, Don Alfonso. Bedenke nur, was dein Jude aus dem alten, häßlichen Castillo de Castro gemacht hat.«

Es war Alfonso durch den Kopf gegangen, wie dreist verwundert die Tochter des Juden gewesen war über die altertümliche Ungeschlachtheit seines Schlosses in Burgos. Don Estéban aber, die Worte Don Garceráns aufnehmend, riet: »Wenn du ernstlich vorhast, die Galiana zu restaurieren, dann mußt du dir vorher das Haus deines Juden anschauen.«

Ich habe den Juden wirklich zu unwirsch behandelt, dachte Alfonso, Don Manrique findet es auch. Ich werde es gutmachen und mir sein Haus anschauen.

»Da habt ihr vielleicht recht«, antwortete er unverbindlich. Wie Jehuda vorausgesagt hatte, blühte Kastilien auf, während die übrige Christenheit in den Heiligen Krieg zog. Karawanen und Schiffe brachten Waren aus dem Osten in die moslemischen Länder Hispaniens, von da gingen sie nach Kastilien, von da gingen sie weiter in alle Reiche der Christenheit.

Als der Kreuzzug verkündet wurde, hatten die Barone gemäkelt und geschmäht, der Jude verhindere, daß man in den heiligen Kampf ziehe, der Jude müsse fortgejagt werden. Aber bald zeigte sich, was für ungeheuern Nutzen die Neutralität dem Lande brachte; das Murren wurde leiser, die Furcht, die geheime Achtung vor dem Juden stieg. Immer mehr Adelige warben um seine Gunst. Schon baten ein de Guzmán und ein de Lara, freilich ein armer Vetter des mächtigen Don Manrique, der jüdische Escrivano möge ihre Söhne als Pagen in sein Castillo aufnehmen.

Musa, als ihm Jehuda beiläufig und stolz erzählte, wie die Geschäfte des Landes und seine eigenen sich dehnten, beschaute den Freund mit spöttischer Anerkennung, mitleidig und amüsiert. Er muß sich regen, dachte er. Er muß gleichzeitig hundert Geschäfte treiben, es ist ihm nicht wohl, wenn er nicht Menschen und Dinge in Bewegung setzt und immer mehr Federn kritzeln macht in den Kanzleien der Könige und immer mehr Schiffe über die sieben Meere schickt und immer mehr Karawanen durch immer mehr Länder. Er macht sich vor, er tue es für den Frieden und für sein Volk, und so ist es auch, aber vor allem tut er’s doch, weil er Freude an der Macht hat und am Tun. »Ist es wichtig«, fragte er, »ob du noch mehr Macht anhäufst, ob du zweihunderttausend Goldmaravedí besitzest oder zweihundertfünfzigtausend? Dabei weißt du nicht einmal, ob nicht, während du hier sitzest und deinen Würztrank trinkst, vier Wochen entfernt ein Sandsturm deine Karawane zerstört oder die See dein Schiff.« – »Ich fürchte nicht Sandstürme, und ich fürchte nicht die See«, antwortete Jehuda. »Was ich fürchte, ist ein anderes.« Und vor dem Freunde ließ er sich gehen, ihm zeigte er seine geheime Sorge. »Ich fürchte«, sagte er, »die wilden Launen dieses Ritters und Königs Don Alfonso. Er hat mich von neuem sinnlos gekränkt, und jetzt, wenn er mich vor sich ruft, erkläre ich mich unpaß und verweigere ihm mein Antlitz. Freilich, und ich weiß es, treibe ich ein gefährliches Spiel, wenn ich mich so kostbar mache.« Musa war an sein Schreibpult getreten und kritzelte Kreise und Arabesken. »Machst du dich so kostbar, mein Jehuda«, fragte er über die Schulter, »um des Friedens willen oder aus Stolz?« – »Ich bin stolz«, antwortete Jehuda, »doch ist dieses Mal, glaube ich, mein Stolz Tugend und gute Berechnung. Tollheit und Vernunft sind in diesem König so wunderlich gemischt, daß niemand voraussagen kann, wie er zuletzt reagieren wird.«

Auch weiter blieb er dem König fern, und dieser beschränkte sich darauf, ihm kurze, herrische Botschaften zu schicken. Jehudas Sorge wuchs. Er war darauf gefaßt, daß der ungestüme Mann ihn von einer Stunde zur andern aus dem Castillo und aus dem Lande jagte und vielleicht sogar ihn greifen und in die Keller seiner Burg legen ließ. Dann wieder hoffte er, Alfonso werde versuchen, ihn zu versöhnen, und ihm vor aller Welt ein Zeichen seiner Achtung geben. Es war ein bitteres Warten. Da fragte ihn etwa voll naiver Betrübnis sein Sohn Alazar: »Erkundigt sich Don Alfonso niemals nach mir? Warum kommt er nicht, dich zu besuchen?« Und es fraß Jehuda am Herzen, daß er antworten mußte: »Das ist in diesem Lande nicht Sitte, mein Sohn.«

Wie atmete er auf, als ihm ein Bote der Königsburg den Besuch Don Alfonsos ankündigte!

Der König kam mit Garcerán, Estéban und kleinem Gefolge. Er suchte seine leise Befangenheit hinter einer etwas herablassenden, freundlichen Munterkeit zu verbergen.

Das Haus kam ihm fremd vor, fast feindlich, wie sein Besitzer. Dabei merkte er gut, daß es in seiner Art vollendet war. Ein geheimnisvoll ordnender Sinn hatte sehr Verschiedenes zu einer Einheit gefügt. Bedenkenloser Reichtum war überall verstreut, keine Ecke, kein Winkel war übersehen. Viele Diener waren da, so gut wie unsichtbar und doch immer zur Stelle. Überall dämpften Teppiche den Lärm, die Stille des Hauses wurde durch die plätschernden Wasser noch stiller. Und so etwas stand mitten in seinem lauten Toledo! So etwas war aus seinem Castillo de Castro geworden! Er fühlte sich hier als Fremder, als störender Gast.

Er sah die Bücher und Rollen, arabische, hebräische, lateinische. »Hast du Zeit, das alles zu lesen?« fragte er. »Vieles lese ich«, antwortete Jehuda.

Im Gästehaus erklärte er dem König, Musa Ibn Da’ud sei der weiseste Arzt unter den Gläubigen der drei Religionen. Musa neigte sich vor dem König und musterte ihn mit unehrerbietigen Augen. Don Alfonso verlangte, man solle ihm einen der Weisheitssprüche übersetzen, die sich bunt und golden die Wände entlangzogen. Und Musa übersetzte, wie er dem Don Rodrigue übersetzt hatte: »Das Schicksal der Menschenkinder und das Schicksal des Viehes ist das gleiche … Ihre Seele ist die gleiche … Wer weiß, ob die Seele der Menschenkinder hinaufgeht und die Seele des Viehes hinunter unter die Erde?« Don Alfonso überlegte. »Das ist die Weisheit eines Ketzers«, sagte er streng. »Es ist aus der Bibel«, belehrte ihn freundlich Musa. »Es sind Sätze des Predigers Salomo, des Königs Salomo.« – »Ich finde solche Weisheit höchst unköniglich«, sagte ablehnend Don Alfonso. »Ein König geht nicht hinunter unter die Erde wie das Vieh.«

Er brach ab, verlangte von Jehuda: »Zeig mir die Waffenkammer.« – »Wenn du erlaubst, Herr König«, antwortete Jehuda, »zeigt mein Sohn Alazar dir die Waffenkammer, und es wird der beste Tag seines Lebens sein.«

Don Alfonso erinnerte sich freundlich des netten Knaben. »Du hast einen aufgeweckten, ritterlichen Sohn, Don Jehuda«, sagte er. »Auch deine Tochter will ich sehen, wenn du es wünschest«, fügte er hinzu. Er unterhielt sich freundlich, kennerisch mit dem Knaben Alazar über die Waffen, über die Pferde und die Maultiere.

Dann ging es in den Garten, und siehe, hier war Doña Raquel.

Es war die gleiche Raquel, welche ihm in Burgos die wenig ziemliche Antwort gegeben hatte, und dennoch eine andere; sie trug ein Kleid von leicht ausländischem Schnitt und war die Dame des Hauses, die einen fremden, hohen Gast empfängt. War sie in Burgos ein Störendes gewesen, ein ganz und gar nicht Zugehöriges, so war hier alles, die kunstvolle Gartenanlage, die springenden Wasser, die fremden Pflanzen, Rahmen für sie, und er, Alfonso, war das Fremde, nicht Hergehörige.

Er verneigte sich, zog, wie die Courtoisie es verlangte, den Handschuh aus, nahm ihre Hand und küßte sie. »Es ist mir recht, daß ich dich wieder treffe, Dame«, sagte er laut, daß alle es hörten. »Ich konnte damals in Burgos die Unterhaltung mit dir nicht zu Ende führen.«

Man war nun in größerer Gesellschaft; dem König und seinen Herren hatten sich Alazar angeschlossen und die Edelknaben Jehudas. Alfonso blieb, als man sich zu einem gemächlichen Rundgang aufmachte, mit Doña Raquel ein wenig zurück. »Nun ich dieses Haus sehe, Dame«, sagte er, und er sprach kastilisch, »begreife ich, daß dir mein Castillo in Burgos wenig gefiel.« Sie errötete, es machte sie verlegen, daß sie ihn gekränkt hatte, es schmeichelte ihr, daß ihm ihre Worte noch im Gedächtnis waren, sie schwieg, ein winziges, schwer deutbares Lächeln um die geschwungenen Lippen. »Verstehst du mein niedriges Latein?« fuhr er jetzt fort. Sie errötete tiefer; jedes Wort hatte er sich gemerkt. »Ich habe inzwischen das Kastilische viel besser gelernt, Herr König«, antwortete sie. Er sagte: »Ich möchte wohl gern arabisch mit dir reden, Dame, aber es wird kraus und hart aus meinem Munde kommen und dein Ohr ärgern.« – »Sprich ruhig kastilisch, Herr König«, sagte aufrichtig Doña Raquel, »da es die Sprache deines Landes ist.«

Diese Worte verdrossen Don Alfonso. Sie hätte sagen sollen: »Es klingt mir angenehm« oder dergleichen, so hätte die Courtoisie es verlangt; statt dessen sagte sie hochfahrend heraus, was ihr durch den Kopf ging, und machte sein Kastilisch schlecht. »Mein Kastilien«, sagte er ausfällig, »ist euch wohl immer noch ein sehr fremdes Land, und heimisch fühlst du dich nur hier in euerm Hause.« – »Nicht doch«, sagte Raquel. »Die Herren deines Landes sind freundlich zu uns und bestreben sich, es uns heimisch zu machen.«

Nun hätte Don Alfonso einen der üblichen galanten Sätze sagen müssen, etwa: Es ist nicht schwer, freundlich zu sein zu einer Dame, wie du es bist. Aber er war plötzlich des mühsamen, gestelzten, modischen Geschwatzes überdrüssig. Zudem fand diese Raquel das galante Geraspel sicher komisch. Wie überhaupt sollte man mit ihr reden? Sie gehörte nicht zu den Damen, welche übertriebene, nichtssagend verliebte Konversation erwarteten, und noch weniger zu den Weibern, vor denen man sich soldatisch derb geben konnte. Er war gewohnt, daß ein jeder seinen festen Platz einnahm und er, Alfonso, genau wußte, mit wem er’s zu tun hatte. Wie es um diese Doña Raquel stand und wie er sich bei ihr verhalten sollte, wußte er nicht. Alles, was mit seinem Juden zu tun hatte, verlor sogleich seinen festen Umriß und wurde undeutlich. Was wollte er von dieser Doña Raquel? Was wollte er mit ihr? Wollte er mit ihr – und in seinen Gedanken gebrauchte er ein sehr plumpes Wort seines niedrigen Lateins – liegen? Er wußte es nicht.

Wenn er beichtete, durfte er guten Gewissens versichern, er habe nie eine Frau geliebt außer seiner Doña Leonor. Der ritterlichen Liebe, der »Minne«, konnte er keinen Geschmack abgewinnen. Da man die unverheirateten Töchter des Adels selten und immer nur in großer Gesellschaft zu Gesicht bekam, schrieb die Courtoisie vor, sich in verheiratete Damen zu verlieben und gekünstelte, gefrorene Liebesgedichte an sie zu richten. Dabei kam nichts heraus. So hatte er denn mit Weibern vom Troß geschlafen oder mit erbeuteten moslemischen Weibern; mit denen konnte man reden und umgehen, wie einem zumute war. Einmal auch hatte er etwas gehabt mit der Frau eines Ritters aus Navarra, aber es war eine unerfreuliche Affäre gewesen, und er hatte sich erleichtert gefühlt, als sie in ihre Heimat zurückkehrte. Auch die kurze Verbindung mit Doña Blanca, einer Hofdame Leonors, war quälend gewesen, und Doña Blanca war schließlich halb freiwillig, halb unfreiwillig in ein Kloster gegangen. Nein, glücklich war er nur mit seiner Leonor.

Das bedachte Don Alfonso nicht etwa in klaren Worten, doch ging es ihm deutlich durchs Gemüt, und er ärgerte sich, daß er sich in dieses Gespräch mit der Tochter des Juden eingelassen hatte. Dabei gefiel sie ihm nicht einmal, sie hatte nichts Mildes, Damenhaftes, sie war vorwitzig und maßte sich Urteile an, wiewohl sie doch eigentlich noch ein Kind war. Gar nichts war an ihr von der kühlen, stattlichen Blondheit der christlichen Damen, kein Ritter hätte ihr Verse gedichtet, und sie hätte sie auch gar nicht verstanden.

Er wollte nicht länger mit ihr sprechen, er wollte fort aus diesem Haus. Der stille Garten mit seinen gleichmäßig plätschernden Wassern und dem schweren, süßen Duft der Orangenblüten ging ihm auf die Nerven. Er wird nicht länger einen Narren aus sich machen und scharmutzierend neben der Jüdin hergehen, er wird sie jetzt stehenlassen und für immer.

Statt dessen hörte er sich sagen: »Ich habe ein Landgut hier vor der Stadt, genannt La Galiana. Das Haus hat sich ein moslemischer König bauen lassen, es ist sehr alt, und es gehen viele Geschichten darum.« Doña Raquel horchte hoch. Auch sie hatte von La Galiana gehört; war das nicht der Ort, wo jene Wasseruhr Rabbi Chanans stand? »Ich will den Palacio wiederherstellen«, fuhr Don Alfonso fort, »und so, daß das Neue nicht zu sehr absticht von dem Früheren. Dein Rat wäre mir da willkommen, Dame.«

Doña Raquel sah auf, betroffen, fast zornig. Niemals hätte ein moslemischer Herr gewagt, eine Dame so plump und verfänglich einzuladen. Aber sogleich sagte sie sich, mit den christlichen Rittern sei es wohl anders, und die Courtoisie mache sie übertriebene Sätze sprechen, die nichts bedeuteten. Sie sah Don Alfonsos Gesicht von der Seite und erschrak. Es war ein gespanntes, gieriges Gesicht. Was er gesagt hatte, war mehr als Courtoisie.

Sie zog sich scheu und gekränkt in sich zurück. Wurde ganz und gar Dame des Hauses. Höflich antwortete sie, jetzt arabisch: »Mein Vater wird sich gewiß freuen, o König, dir mit seinem Rate zu dienen.«

Don Alfonsos Stirn furchte sich jäh und tief. Was hatte er da gemacht! Er hatte die Zurückweisung verdient, er hätte sie erwarten müssen. Von Anfang an hätte er vorsichtig sein sollen; das Mädchen gehörte zu einem verfluchten Volk. Es war dieser verwünschte Garten, dieses ganze verwünschte, verwunschene Haus, das ihm solche Reden eingeblasen hatte. Er riß sich zusammen, ging etwas schneller, nach wenigen Schritten hatten sie die andern erreicht.

Sogleich wandte sich der Knabe Alazar an ihn. Er hatte erzählt von Rüstungen, deren Visier in allen Teilen beweglich war, so daß der Eisenschutz der Augen, der Nase, des Mundes nach Belieben verstellt werden konnte, und die Pagen des Königs hatten ihm nicht geglaubt. »Aber ich habe solche Rüstungen gesehen«, ereiferte er sich. »Der Waffenschmied Abdullah in Córdova stellt sie her, und der Vater hat mir versprochen, er schenkt mir eine, sowie ich zum Ritter geschlagen bin. Bestimmt hast du selber so eine Rüstung, Herr König.« Don Alfonso antwortete, er habe von solchen Rüstungen gehört. »Ich selber besitze keine«, schloß er trocken. »Dann muß mein Vater dir eine verschaffen«, sagte stürmisch Alazar. »Du wirst deine Freude daran haben«, versicherte er. »Erlaube meinem Vater, daß er dir eine verschreibt.«

Don Alfonso hellte sich auf. Er durfte den Knaben nicht entgelten lassen, daß die Schwester vorwitzig und empfindlich war. »Du siehst, Don Jehuda«, sagte er, »ich und dein Junge, wir verstehen uns gut. Willst du ihn mir nicht als Pagen auf die Burg schicken?«

Doña Raquel schien verwirrt. Auch die andern verbargen nur mit Mühe ihr Erstaunen. Alazar, beinahe stammelnd vor Freude, brach aus: »Ist es dein Ernst, Don Alfonso? Mein gnädiger Dienstherr willst du sein?« Don Jehuda aber, da ihm sein Wunsch so unerwartet erfüllt wurde, neigte sich tief und sagte: »Deine Majestät ist sehr gnädig.« »Der König Unser Herr«, sagte am Abend des gleichen Tages Jehuda zu Raquel, »hat sich, wie mir schien, freundlich mit dir unterhalten, meine Tochter.« Doña Raquel antwortete aufrichtig: »Ich glaube, der König war zu freundlich. Er hat mir angst gemacht.« Und sie erläuterte: »Er will sein Lustschloß La Galiana restaurieren und hat mich aufgefordert, ihm dabei zu raten. Ist das nicht – ungewöhnlich, mein Vater?« – »Es ist ungewöhnlich«, antwortete Jehuda.

Wirklich wurden wenige Tage später Jehuda und Doña Raquel eingeladen, an einem Ausflug des Königs nach La Galiana teilzunehmen. Dieses Mal hatte Don Alfonso eine große Gesellschaft geladen, und er richtete bei dem Rundgang kaum je das Wort an Doña Raquel. Wohl aber stellte er zur Belustigung seiner Gäste dem täppischen, redseligen Gärtner Belardo viele Fragen.

Nach dem Rundgang wurde am Ufer des Tajo ein Mahl serviert. Gegen Ende des Mahles, auf einem Baumstumpf sitzend, mit selbstspöttischem Hochmut, verkündigte der König: »Wir herrschen nun beinahe ein Jahrhundert in diesem Toledo, Wir haben es zu Unserer Hauptstadt gemacht, gut, groß und fest und gesichert gegen die Angriffe der Ungläubigen. Es ließen Uns aber die Geschäfte der Ehre, des Glaubens und des Krieges keine Zeit für andere Dinge, die überflüssig sein mögen, aber einem König anstehen, für Dinge der Schönheit und der Pracht. Unsere Freunde aus dem Süden zum Beispiel, Unser Escrivano und seine Tochter, die Unsere Städte und Häuser mit fremden, unbefangenen Augen anschauen, haben Unser Schloß in Burgos kahl und unbequem gefunden. Es ist Uns nun in einer Stunde der Muße die Laune gekommen, hier diesen Unsern vernachlässigten Palacio de Galiana wiederaufzubauen, und zwar schöner, als er früher war, auf daß die Welt sehe: Wir sind keine Bettler mehr, auch Wir können üppig bauen, wenn Uns der Sinn danach steht.« Das war eine lange und stolze Rede, wie sie Don Alfonso sonst höchstens bei Staatsakten zu halten pflegte, und die Herren, die noch vor den Resten der Mahlzeit saßen, waren erstaunt.

Der König ließ den hohen Ton fallen und wandte sich an Jehuda. »Was meinst du, mein Escrivano?« fragte er. »Du bist doch sachverständig in diesen Fragen.« – »Dein Lustschloß La Galiana«, antwortete bedächtig Don Jehuda, »liegt herrlich in der Kühle dieses Flusses und mit dem stolzen Blick auf deine hochberühmte Stadt. Ein solches Schloß wiederherzustellen, lohnte der Mühe.«

»Also stellen Wir es her«, entschied leichthin der König. »Hier ist eine Schwierigkeit«, sagte ehrerbietig Don Jehuda. »Du hast gute Soldaten, Herr König, und tüchtige Handwerker. Aber so geschickt sind deine Künstler und Handwerker noch nicht, daß sie dieses Schloß in der Art aufbauen könnten, wie es deiner Hoheit und deinem Wunsche entspricht.« Der König finsterte sich. »Hast du nicht selber«, fragte er, »ein großes Haus in sehr kurzer Zeit glanzvoll wiederaufgebaut?« – »Ich habe moslemische Baumeister und Handwerker kommen lassen, Herr König«, sagte sachlich still Don Jehuda.

Steifes Schweigen war. Die Christenheit war im Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen. Ziemte es sich, daß ein christlicher König moslemische Künstler berief? Und werden Moslems bereit sein, dem christlichen König ein Schloß zu bauen?

Don Alfonso sah die Gesichter ringsum. Erwartung war auf ihnen, kein Spott. Auch auf dem Gesicht der Jüdin war kein Spott. Wird sie aber nicht in ihrem Innern spitz und vorwitzig denken, er könne sich nichts anderes bauen als seine alten, grimmigen Kastelle? Soll der König von Toledo und Kastilien nicht einmal etwas so Geringfügiges durchführen können wie den Wiederaufbau eines Lustschlosses? »Dann verschreib mir moslemische Bauleute«, gab er Weisung, immer sehr beiläufig, und: »Ich will La Galiana aufbauen«, schloß er ungeduldig. »Da du es so befiehlst, Herr König«, antwortete Don Jehuda, »beauftrage ich meinen Ibn Omar, dir die rechten Leute zu verschreiben. Er ist ein geschickter Mann.« – »Schön«, sagte der König. »Sieh zu, daß alles rasch vonstatten geht.« Und: »Wir brechen auf, Herren!« befahl er.

An Doña Raquel hatte er weder während des Rundgangs noch während des Mahles das Wort gerichtet.

Sechstes Kapitel

Don Alfonso sehnte sich immer heftiger nach der sänftigenden Gegenwart Leonors. Überdies machte ihr die Schwangerschaft Beschwer, die Entbindung war in sechs bis sieben Wochen zu erwarten, er durfte sie nicht länger allein lassen. Er schickte ihr Nachricht, er werde nach Burgos kommen.

Doña Leonor hatte es ihm nicht übelgenommen, daß er sich so lange von ihr fernhielt. Sie fühlte ihm die Qual der erzwungenen Untätigkeit nach, sie begriff, daß er’s vermeiden wollte, an ihrem Hofe mit Männern zusammenzutreffen, die auf der Fahrt ins Heilige Land waren, sie rechnete es ihm hoch an, daß er nun doch kam.

Sie zeigte ihm, wie tief sie ihn verstand. Sosehr es sie schmerzte, sie erkannte, daß Kastilien neutral bleiben mußte. Hatte sie doch selber gesehen, wie tief die Kränkung an Don Pedro fraß. Sie wußte: selbst wenn wider Erwarten eine notdürftige Allianz mit Aragon zustande kam, das bittere Vergeltungsgefühl des jungen Königs mußte zu stetem, verderblichem Hader über den Oberbefehl führen, die Niederlage war von vornherein gewiß.

In guten Worten versicherte sie Alfonso, seine Selbstüberwindung sei tapferer als jede noch so kühne Waffentat. Auch verstehe man überall die unselige Konstellation, die ihn in seine Untätigkeit hineinzwinge. »Du bist nach wie vor der Erste Ritter und Held Hispaniens, mein Alfonso«, sagte sie, »und die ganze Christenheit weiß es.«

Ihm wurde, wenn sie so sprach, das Herz warm. Sie war seine Dame und Königin. Wie hatte er’s ohne ihren Trost, ihren Rat, ihre Sorge so lange in Toledo aushalten können?

Er mühte sich, sie seinesteils besser zu begreifen. Bisher hatte er’s als eine freundlich damenhafte Laune hingenommen, daß sie ihr Burgos seinem Toledo vorzog; jetzt verstand er, daß es in ihrem Wesen begründet war. Aufgewachsen an den Höfen ihres Vaters Heinrich von Engelland und ihrer Mutter Ellinor de Guienne, wo man Bildung und feinste Sitte pflegte, mußte sie sich verloren vorkommen in seinem abgelegenen Toledo. Von ihrem Burgos aus, das an der großen Pilgerstraße nach Santiago de Compostela lag, war leicht Verbindung zu halten mit den verfeinerten Höfen der Christenheit; es kamen denn auch ständig zu Besuch Ritter und Dichter vom Hofe ihres Vaters und von dem ihrer Halbschwester, der damenhaftesten Dame der christlichen Welt, der Prinzessin Marie von Troyes.

Burgos selber beschaute Alfonso jetzt mit besser wissenden Augen. Er sah die strenge, strebende Schönheit der uralten Stadt, die das arabische Wesen abgetan hatte und nun dastand hehr, ragend, spröd, christlich. Er war ein Narr, daß er sich sein edles, ritterliches Burgos einen Augenblick lang hatte verleiden lassen von dem Geschwätz eines törichten Mädchens.

Er ärgerte sich, daß er Auftrag gegeben hatte, die Galiana in ihrer moslemischen Pracht wiederaufzubauen, und erzählte Leonor nichts davon. Ursprünglich hatte er gedacht, wenn das schöne, kühl gelegene Schloß wiederhergestellt sei, könne er sie überreden, auch einmal ein paar Sommerwochen in Toledo zuzubringen. Jetzt wußte er, La Galiana wird ihr mißfallen; sie liebte das Gehaltene, Feste, Ernsthafte, nicht das weichlich Üppige, Verspielte, Verfließende.

Er bestrebte sich in diesen Wochen, es Doña Leonor recht zu machen. Da ihr Zustand Reit- und Jagdausflüge verbot, versagte auch er sich dieses Vergnügen und blieb die meiste Zeit in der Burg. Auch beschäftigte er sich mehr als früher mit seinen Kindern, vor allem mit der Infantin Berengaria. Sie war ein hochaufgeschossenes Mädchen mit nicht schönem, doch kühnem Gesicht. Von ihrer Mutter hatte sie die Neugier an Welt und Menschen geerbt, auch den Ehrgeiz, sie las und lernte viel. Es machte ihr sichtlich Freude, daß sich ihr Vater jetzt mehr mit ihr abgab, doch blieb sie einsilbig und zugesperrt. Alfonso kam seiner Tochter nicht näher.

Doña Leonor hatte sich damit abgefunden, keinen männlichen Erben zu gebären. Aber es werde, meinte sie lächelnd, auch sein Gutes haben, wenn sie ein viertes Mal mit einer Tochter niederkomme. Denn dann habe der künftige Gemahl ihrer Berengaria so gut wie sichere Aussichten auf die Krone Kastiliens und werde also diesem Reiche ein ehrlicher Bundesgenosse sein. Sie hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, Don Pedro trotz allem für eine aufrichtige Allianz zu gewinnen, und sie beabsichtigte, gleich nach ihrer Entbindung nach Saragossa zu fahren, um das Verlöbnis von neuem zu betreiben. Auch in diesem Dritten Kreuzzug vollzog sich der Aufmarsch der christlichen Heere sehr langsam, die große Fahrt nach dem Osten war bisher nur bis Sizilien gekommen, so daß, wenn nur die Versöhnung mit Aragon zustande kam, gute Aussicht war, daß Alfonso noch am Heiligen Krieg werde teilnehmen können.

Fürs erste sann Doña Leonor allerlei Geschäftigkeit aus, ihm die träge Zeit des Wartens schneller fließen zu machen.

Da war etwa der Calatrava-Orden. Diese Kerntruppe Kastiliens unterstand dem König nur in Kriegszeiten; im Frieden war der Großmeister so gut wie unabhängig. Der Heilige Krieg gab Don Alfonso gute Gründe, auf Änderung zu drängen. Doña Leonor schlug vor, Alfonso solle nach Calatrava reisen, dem Orden für den Ausbau der Wälle und für die Ausrüstung der Ritter eine Stiftung machen und sich mit dem Großmeister, Don Nuño Perez, einem mönchischen, doch sehr kriegskundigen Herrn, über die Umgestaltung der Regel und Zucht verständigen.

Dann waren da die Gefangenen, die Sultan Saladin bei dem Kampf um die Heilige Stadt in die Hände gefallen waren. Der Papst mahnte und drängte alle Christenheit, sie auszulösen. Aber der Heilige Krieg verschlang riesige Beträge, man zögerte und vertröstete, die Frist lief ab. Der Sultan hatte ein Lösegeld von zehn Goldkronen für den Mann, fünf für die Frau, eine für das Kind festgesetzt, das war hoch, doch nicht unangemessen. Doña Leonor riet, Alfonso solle Gefangene in sehr großer Zahl auslösen. Auf solche Art könne er der Welt zeigen, daß er an heiligem Eifer den andern nicht nachstehe.

Das waren Projekte, die Alfonso einleuchteten. Aber wenn er sie unternahm, brauchte er Geld.

Er entbot Jehuda nach Burgos. Dieser Don Jehuda mittlerweile war in Toledo gesessen in seinem schönen Castillo Ibn Esra. Und während überall in der Welt Krieg war, erfreute sich sein Sepharad des Friedens, und die Geschäfte des Landes und seine eigenen blühten.

Aber eine neue, schwere Sorge schlich ihn an, Sorge um die Judenheit Toledos und ganz Kastiliens.

Nach dem unzweideutigen Edikt des Papstes hatten alle jene, die nicht an dem Kreuzzug teilnahmen, den Saladins-Zehnten zu entrichten, also auch die Juden. Erzbischof Don Martín machte sich diesen Erlaß zunutze und forderte die Aljama auf, ihm diese Abgabe zu zahlen.

Don Ephraim brachte Jehuda das Schreiben des Erzbischofs. Es war scharf, drohend. Jehuda las; er hatte die Forderung Don Martíns seit langem erwartet.

»Die Aljama«, sagte mit dünner Stimme Don Ephraim, »wird zusammenbrechen, wenn sie zu den andern Steuern auch noch den Saladins-Zehnten zahlen soll.«

»Wenn ihr euch von der Zahlung drücken wollt«, antwortete unverblümt Jehuda, »rechnet nicht mit meiner Hilfe.«

Das Gesicht des Gemeindevorstehers wurde böse und entsetzt. Diesen Jehuda, dachte er bitter, kümmert es keinen Daumenbreit, was wir andern zahlen. Er streicht seine Kommission ein, der Wucherer: uns läßt er verderben.

Don Jehuda erriet genau die Gedanken des andern. »Winsele mir nicht um das Geld, mein Herr und Lehrer Ephraim«, wies er ihn zurecht. »Ihr verdient genug an der kastilischen Neutralität. Ich hätte euch den Saladins-Zehnten schon lange abfordern sollen. Es geht nicht um das Geld. Es geht um Wichtigeres.«

Dem Párnas Ephraim war vor der ungeheuren Höhe des Betrags, den da seine Aljama zahlen sollte, jede andere Sorge verdämmert; nun Jehuda ihn so unsanft weckte, konnte er sich nicht länger blind stellen vor der sehr viel schlimmeren Gefahr. Der Saladins-Zehnte war eine Steuer, die der Kirche zustand, nicht dem König. Schon als es darum ging, die Steuern von den Christen zu erheben, hatte der Erzbischof die Eintreibung als sein Recht beansprucht, und die Krone hatte ihm mancherlei Zugeständnisse machen müssen. Den Juden gegenüber wird Don Martín auf diesem seinem Privileg noch viel schroffer bestehen; wenn er aber durchdrang, dann war es mit der Unabhängigkeit der Aljama zu Ende.

Das machte jetzt Don Jehuda dem andern in brutalen Worten klar. »Du weißt doch so genau wie ich, worum es geht«, sagte er. »Kein Zwischenglied darf eingeschoben werden zwischen uns und den König. Unabhängig müssen wir bleiben, wie es niedergelegt ist in den alten Büchern. Unsere eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit müssen wir beibehalten, so wie die Granden. Der König muß das Recht bekommen, ich muß das Recht bekommen, diese Steuer einzuziehen, nicht Don Martín. Darauf werde ich hinarbeiten, nur darauf. Und wenn es mir gelingt, und wenn es euch nichts weiter kostet als das Geld, dann singt Halleluja!«

Don Ephraim, so hart angepackt, gab in seinem Innern Jehuda recht. Ja, er bewunderte, wie rasch und klar dieser erfaßte, worum es ging. Aber er wollte seinen widerwilligen Respekt nicht zeigen. Zu tief traf ihn der Kummer um das Geld. Er saß da, unbehaglich, fröstelnd, rieb sich die Fläche der einen Hand mit den Nägeln der andern und maulte weiter: »Dein Vetter Don Joseph hat erwirkt, daß die Juden Saragossas nur die Hälfte des Zehnten zu zahlen haben.« – »Vielleicht ist mein Vetter geschickter als ich«, entgegnete trocken Jehuda. »Sicher ist, daß er keinen Erzbischof Don Martín zum Gegner hat.« Er erhitzte sich. »Willst du denn immer noch nicht sehen? Ich werde zufrieden sein, wenn uns dieses Mal der Erzbischof nicht unters Joch kriegt. Dafür zahle ich gern den vollen Zehnten an den König, und es wird ein fetter Zehnter sein, Don Ephraim, verlaß dich drauf. Die Autonomie der Aljama ist mir das wert.« Er sprach unerwartet heftig, ja, er verhaspelte sich und lispelte.

»Ich weiß, daß du unser Freund bist«, beeilte sich Don Ephraim zu erwidern. »Aber du bist ein strenger Freund.«

Der Erzbischof, auf eine ehrerbietig ablehnende Antwort Don Ephraims, schickte keine zweite Mahnung. Wohl aber reiste er nach Burgos, offenbar um den König zu bestürmen, er möge ihm Vollmachten gegen die Juden erteilen.

Jehuda befürchtete, es könnte ihm gelingen. Alfonso und Leonor waren fromm, die kastilische Neutralität bedrückte ihr Gewissen, Don Martín konnte sich auf ein unzweideutiges Edikt des Papstes berufen und sie mahnen, nicht Sünde auf Sünde zu häufen. Jehuda fragte sich, ob er nicht selber nach Burgos fahren solle. Aber das Bedenken des alten Musa, er könnte gerade durch »Tun« alles verderben, hielt ihn ab.

Es war ihm ein Zeichen des Himmels, als ihn der König nach Burgos befahl.

In der Tat setzte der Erzbischof dem König hart zu. Er berief sich auf eine ganze Reihe von Erlassen des Heiligen Stuhles und auf Schriften höchster kirchlicher Autoritäten. Hatten nicht die Juden dem Pilatus erwidert: »Das Blut Christi komme über uns und unsere Kinder«, und so sich selber verurteilt? Damals hatte sie Gott zu ewiger Knechtschaft bestimmt, und Pflicht der christlichen Fürsten war es, die Nacken der Verfluchten gebeugt zu halten. »Du aber, Don Alfonso«, rief er ihn an, »hast während deiner ganzen Regierung die Juden verhätschelt und verwöhnt, und in dieser schweren Zeit, da das Grab des Heilands dem beschnittenen Antichrist von neuem in die Hände gefallen ist und da das päpstliche Edikt alle, also auch die Juden, eindeutig zum Saladins-Zehnten verpflichtet, weigerst du dich, es durchzuführen, und privilegierst die Ungläubigen vor deinen rechtgläubigen Untertanen.«

Die Ermahnungen des Erzbischofs machten den König mürb. Er versprach: »Gut, Don Martín. Auch meine Juden werden den Saladins-Zehnten zahlen.«

Don Martín jubelte: »Sofort schreib ich die Steuer aus.«

So hatte es Alfonso nicht gemeint. Der Papst konnte verlangen, daß er, der König, den Zehnten einfordere, auch daß er ihn für Zwecke des Krieges verwende; aber das Geld einzutreiben und über die Einzelheiten der Verwendung zu bestimmen, blieb seine, des Königs, Befugnis. Es war das ein alter Streit, er war wieder aufgelebt schon bei der ersten Ausschreibung des Saladins-Zehnten, und sosehr Alfonso den Erzbischof als treuen, ritterlichen Freund schätzte, er war nicht gewillt, ihm nachzugeben. »Verzeih, Don Martín«, sagte er, »das ist nicht deines Amtes.« Und da der Erzbischof auffuhr, begütigte er: »Du gierst nicht nach Geld, und ich giere nicht danach. Wir sind christliche Ritter. Wir machen Beute vom Feind, aber wir streiten uns nicht mit dem Freund um Gelddinge. Lassen wir auch dieses Mal die Juristen und Repositarii entscheiden.«

»Heißt das«, fragte argwöhnisch und streitbar Don Martín, »du willst deinen Juden bestimmen lassen über das Edikt des Heiligen Vaters?« – »Es trifft sich gut«, erwiderte Alfonso, »daß Don Jehuda auf dem Weg hierher ist. Gewiß werde ich auch von ihm ein Gutachten einholen.« Nun aber brach der Erzbischof los: »Den zwiefach Ungläubigen willst du befragen? Den Sendling des Teufels? Glaubst du, er wird dir tauglichen Rat erteilen gegen seinen Freund, den Emir von Sevilla? Wer bürgt dir dafür, daß er nicht heute noch mit ihm konspiriert? Schon Pharao hat gesagt: ›Wenn uns ein Krieg trifft, werden sich die Juden zu unsern Feinden halten.‹«

Don Alfonso mühte sich, ruhig zu bleiben. »Dieser Escrivano hat mir guten Dienst getan«, sagte er, »besseren als je einer vor ihm. Es herrscht mehr Ordnung in der Wirtschaft meines Reiches und weniger Unterdrückung. Du tust dem Manne unrecht, Don Martín.« Die Wärme, mit welcher der König für den Hebräer eintrat, erschreckte den Erzbischof. »Jetzt zeigt es sich«, sagte er, nun eher bekümmert als zornig, »der Heilige Vater hat guten Grund gehabt, die christlichen Fürsten vor jüdischen Ratgebern zu warnen.« Er zitierte das Sendschreiben des Papstes: »Hütet euch, ihr Fürsten der Christenheit. Wenn ihr die Juden mitleidig in zu nahe Nähe aufnehmt, dann danken sie es euch wie im Sprichwort: mus in pera, serpens in gremio et ignis in sinu – wie die Maus im Beutel, die Schlange im Wams, der Zunder im Ärmel.« Und er schloß betrübt: »Dieser Mensch ist dir furchtbar nahegekommen, Don Alfonso, er hat sich dir ins Herz gewurmt.«

Den König rührte die Trauer des Freundes. »Glaube nicht«, sagte er, »ich will der Kirche vorenthalten, was ihr zukommt. Ich werde deine Gründe abwägen und die seinen, und wenn er nicht sehr Gewichtiges, Triftiges, Uneigennütziges vorbringt, dann folge ich dir.«

Der Erzbischof blieb finster und bekümmert: »War es nicht genug«, mahnte er, »daß der Herr dich um deiner Sünden willen verdammt hat, auf dem Lotterbett zu liegen, während die ganze Christenheit kämpft? Häufe nicht neue Sünde zur alten! Laß nicht, ich beschwöre dich, in deinen Reichen die Ungläubigen Schindluder treiben mit dem Edikt des Heiligen Vaters!« Don Alfonso nahm seine Hand. »Ich danke dir für deine Mahnung«, sagte er. »Ich werde daran denken, wenn der andere mich beschwatzen will.«

Während all der Zeit, da er auf Jehuda wartete, gingen ihm die Worte Don Martíns nicht aus dem Kopf. Der Erzbischof hatte recht: er hatte sich mit dem Juden zu tief eingelassen. Er hatte ihn nicht wie einen Menschen gehalten, mit dem man notgedrungen Geschäfte macht, sondern wie einen Freund. Hatte ihn in seinem Hause aufgesucht, seinen Sohn zum Edelknaben genommen, mit seiner Tochter scharmutziert und sich vom Spott und Hochmut des Mädchens verlocken lassen, das islamische Lustschloß aufzubauen. Wenn man die Schlange in den Schoß nahm, dann biß sie. Vielleicht hatte sie schon gebissen.

Der Jude soll ihn nicht länger berücken. Er soll sich verantworten, daß er der Aljama den Saladins-Zehnten noch nicht abverlangt hat. Und wenn er keine Gegengründe weiß, die schlagen und treffen, dann wird Alfonso die Juden dem Don Martín überantworten. Sie sollen ihm nicht den Kopf zu dreist in die Höhe strecken, die Ungläubigen!

Aber darf er sein Besitzrecht an den Juden, dieses Patrimonio Real, der Kirche überschreiben? Keiner seiner Vorfahren hat daran tasten lassen.

Er nahm die Berichte vor über die Finanzlage des Reiches. Sie waren günstig, mehr als günstig. Der Mann hatte ihn gut bedient, das war nicht zu leugnen. Aber er wird die Mahnung des Erzbischofs im Herzen tragen; niemand soll ihn übertölpeln.

Zunächst einmal wird er dem Juden für Calatrava und für den Freikauf der Gefangenen eine ungeheure Summe abverlangen. Schon die Antwort des Juden wird zeigen, ob er die Interessen der Krone und des Reiches voranstellt oder seine eigenen und die seiner Judenheit. Er empfing Jehuda erwartungsvoll.

Jehuda selber war voll unruhiger Spannung. Unendlich vieles hing ab von dieser Aussprache mit dem König, er mußte vorsichtig sein.

Zunächst berichtete er ausführlich über den Stand der Wirtschaft. Erzählte von ansehnlichen Erfolgen und vergaß nicht kleinere Errungenschaften, die geeignet schienen, dem König Vergnügen zu machen. Da war etwa das große Gestüt; sechzig edle Pferde aus dem moslemischen Andalús und aus Afrika waren auf dem Transport nach Kastilien, drei Pferdezüchter von hohem Sachverstand waren angeworben worden. Dann war da die kastilische Münze; Goldmaravedí wurden in immer größerer Anzahl geprägt, und wiewohl das Bildnis Alfonsos wie jedes Bildnis den Anhängern des Propheten ein Ärgernis war, verbreiteten sich auch in den islamischen Ländern die Goldmünzen, die Don Alfonsos Antlitz und das Wappen seiner Macht zeigten. Und der Frau Königin wird es vielleicht Freude machen, daß sie in nicht allzu ferner Zeit Gewänder wird tragen können, die aus kastilischer Seide gewebt sind.

Der König hörte gut zu und schien befriedigt. Aber er erinnerte sich seines Vorsatzes, den Juden nicht übermütig werden zu lassen. »Das klingt ja erfreulich«, meinte er, um mit bösartiger Freundlichkeit fortzufahren: »Und nun haben wir wohl auch endlich das Geld, um gegen unsere Moslems loszuschlagen.« Don Jehuda war enttäuscht über den geringen Dank, doch antwortete er ruhig: »Wir nähern uns diesem Ziele schneller, als ich hoffte. Und je länger du Frieden hältst, Herr König, um so besser sind deine Aussichten, ein Heer aufzustellen, groß und stark genug, dir den Sieg zu verbürgen.«

Don Alfonso, mit der gleichen, hinterhältigen Freundlichkeit, fragte weiter: »Wenn du glaubst, mir den Heiligen Krieg noch immer verbieten zu müssen, bewilligst du mir wenigstens Geld, der Christenheit meinen guten Willen zu zeigen?« – »Habe die Gnade, Herr König«, erwiderte Don Jehuda, »deinem unverständigen Diener deine Meinung deutlicher zu machen.« – »Ich und Doña Leonor haben beschlossen«, eröffnete ihm Alfonso, »Gefangene des Saladin loszukaufen, viele Gefangene«, und er nannte eine noch höhere Zahl, als er hatte verlangen wollen: »tausend Männer, tausend Frauen, tausend Kinder.«

Jehuda schien betroffen, und Alfonso dachte bereits: Da hab ich ihn ertappt; jetzt zeigt er sein wahres Gesicht, der Fuchs. Da aber antwortete Jehuda: »Sechzehntausend Goldmaravedí sind sehr viel Geld. Kein anderer Fürst dieser Halbinsel könnte für einen uneigennützig frommen Zweck eine so hohe Summe spenden. Du kannst es, Herr König.«

Alfonso, nicht wissend, ob er sich freuen oder ärgern sollte, fuhr fort: »Des weiteren möchte ich dem Calatrava-Orden eine Stiftung machen, und sie soll nicht schäbig sein.«

Nun war Jehuda ernstlich bestürzt. Aber sogleich sagte er sich, der König wolle vermutlich dem Himmel Verzeihung abkaufen für seine Neutralität im Heiligen Krieg, und besser tat er’s auf solche Art als dadurch, daß er den Saladins-Zehnten dem Erzbischof überließ. »An welche Summe hast du gedacht, Herr König?« fragte er. »Ich möchte deine Meinung hören«, verlangte Alfonso. Jehuda schlug vor: »Wenn du Calatrava den gleichen Betrag anwiesest wie Alarcos: viertausend Goldmaravedí?« – »Du scherzest, mein Lieber«, sagte freundlich der König. »Ich werde doch meine besten Ritter nicht wie Bettler abspeisen. Stell die Schenkung aus auf achttausend Maravedí.«

Dieses Mal konnte Don Jehuda sein Gesicht nicht verhindern, zu zucken. Doch verneigte er sich ohne Widerrede und sagte: »Du hast in dieser Stunde vierundzwanzigtausend Goldmaravedí für heilige Zwecke verschenkt, Herr König. Bestimmt wird Gott dir’s lohnen.« Und munter, schon hatte er sich gefaßt, sprach er weiter: »Ich hatte ohnedies erwartet, daß die Gnade Gottes mit dir sein werde, und ich habe Vorsorge getroffen.« Der König schaute verwundert. »Ich habe«, erläuterte Jehuda, »damit rechnend, daß Gott dir nach Verdienst einen Thronerben bescheren wird, meine Repositarii angewiesen, das Register der Taufgeschenke zu revidieren.« Es war nämlich in den alten Büchern festgelegt, daß anläßlich der Geburt eines ersten Sohnes der König das Recht haben sollte, von jedem Vasallen eine Beisteuer zur würdigen Aufziehung des Thronerben einzufordern, und es ging um hohe Beträge.

Don Alfonso hatte wie Doña Leonor die Hoffnung auf einen Thronerben aufgegeben, und daß sein Escrivano auf sein Glück baute, freute ihn. Belebt, mit einem kleinen, verlegenen Lächeln meinte er: »Du bist wirklich ein vorsorglicher Mann«, und schon wollte er, da der Jude ihm die verlangte Summe ohne Zögern zur Verfügung stellte, seinem Vorsatz gemäß ihn und nicht Don Martín mit der Eintreibung des Zehnten betrauen.

Aber hatte sich nicht der Jude herumgedrückt um den Saladins-Zehnten der Aljama und ihn mit keinem kleinsten Wort erwähnt? »Wie ist das eigentlich mit eurem Saladins-Zehnten?« fuhr er ihn an, ohne Übergang. »Man sagt mir, ihr wollt die Kirche darum betrügen. Das dulde ich nicht, da seid ihr bei mir an den Falschen geraten.«

Der jähe, gereizte Angriff warf Jehuda aus dem Gleichgewicht. Aber er überlegte, daß jetzt das Schicksal der sephardischen Juden auf seiner Zunge lag, er riß sich zusammen, er befahl sich kühles Wägen und Geduld. »Man hat uns verleumdet, Herr König«, antwortete er. »Ich habe den Saladins-Zehnten der Aljama längst in meine Rechnung eingestellt; sonst wäre das Geld nicht da, das du heute verlangt hast. Aber natürlich wollen deine jüdischen Untertanen auch diese Steuer nur dir entrichten, Herr König, und nicht irgendwem sonst, der sie fordern könnte oder gefordert hat.«

Don Alfonso, wiewohl befriedigt, daß der Jude die Beschuldigung Don Martíns so mühelos widerlegte, wies ihn zurecht: »Werde mir nicht zu dreist, Don Jehuda! Der ›Irgendwer‹, von dem du sprichst, ist der Erzbischof von Toledo.«

»Das Statut«, antwortete Jehuda, »welches deine Väter der Aljama gewährt und welches deine Majestät bestätigt hat, sieht vor, daß die Gemeinde Steuern nur dir zu entrichten hat und niemand sonst. Wenn du es befiehlst, dann wird der Zehnte selbstverständlich an den Herrn Erzbischof gezahlt werden. Allein es wird der Zehnte sein und kein Sueldo mehr, ein sehr magerer Zehnter; denn es ist schwierig, einen widerspenstigen Bock zu scheren. Wenn aber der Zehnte deiner Majestät gehört, wird es ein fetter, reicher Zehnter sein; denn dich, Herr König, liebt und verehrt die Aljama von Toledo.« Und leise, eindringlich fuhr er fort: »Was ich dir jetzt sage, sollte ich vielleicht besser in meinem Busen bewahren. Aber ich bin dein ehrlicher Diener und kann dir’s nicht verschweigen. Es wäre schlimm für uns und drückte unser Gewissen, wenn wir Geld beisteuern sollten zur Eroberung einer Stadt, die uns heilig ist seit Urzeiten und die Gott uns zum Erbteil bestimmt hat. Du, Herr König, wirst unser Geld nicht für den Krieg im Osten verwenden, sondern für die Mehrung der Würde und Macht deines Kastiliens, das uns schützt und uns Blüte und Sicherheit gibt. Wir wissen, du brauchst das Geld zu unserem Wohl. Wofür es der Herr Erzbischof braucht, wissen wir nicht.«

Der König glaubte, was der Jude sagte. Der Jude, aus welchen unheimlichen Gründen immer, ging den gleichen Weg wie er, er war sein Freund, Alfonso spürte es. Aber gerade das durfte nicht sein. Die Maus im Beutel, die Schlange im Wams, der Zunder im Ärmel, klangen ihm die Worte des Heiligen Vaters nach. Er durfte sich den Juden nicht zu nahekommen lassen; es war Sünde, es war zwiefache Sünde jetzt im Heiligen Krieg.

»Nimm uns nicht die Rechte, die wir seit hundert Jahren haben«, beschwor ihn Jehuda. »Gib nicht deine treuesten Untertanen in die Hand ihres Feindes. Wir sind dein Eigentum, nicht des Erzbischofs. Laß mich deinen Saladins-Zehnten eintreiben, Herr König!«

Die Worte Jehudas rührten Alfonso an. Aber der sie sprach, war ein Ungläubiger, und hinter dem, der ihn gewarnt hatte, stand die Kirche. »Ich werde deine Gründe erwägen, Don Jehuda«, sagte er schwunglos.

Jehudas Gesicht erlosch. Wenn er den Mann jetzt nicht überzeugt hatte, wird er’s niemals vermögen. Gott hatte seinen Worten die Gnade versagt. Er, Jehuda, hatte versagt.

Alfonso sah die ungeheure Enttäuschung des Juden. Dieser Ibn Esra hatte ihm Dienste geleistet wie kein zweiter. Es war ihm leid, daß er ihn gekränkt hatte.

»Glaube nicht«, sagte er, »daß ich deine Dienste unterschätze. Du hast meinen Auftrag wohl erfüllt, Don Jehuda.« Und, mit Wärme, fügte er hinzu: »Ich werde meine Herren einladen, mit anzuschauen, wie du mir den Handschuh zurückgibst zum Zeichen wohlerfüllten Auftrags.« Auch Doña Leonor war unsicher, ob man die Eintreibung des Saladins-Zehnten der Juden dem Erzbischof überlassen solle. Als Königin wollte sie das wichtige Kronrecht nicht preisgeben. Als Christin fühlte sie sich in Sünde, da sie aus der fragwürdigen Neutralität des Reiches Vorteil zog, und wollte die Mahnung des Erzbischofs nicht mißachten. Ihre peinvolle Schwangerschaft vermehrte ihre Zweifel. Sie konnte ihrem Alfonso keinen Rat geben.

Er suchte nach einem Fingerzeig Gottes. Beschloß, die Entbindung Doña Leonors abzuwarten. Sollte sie ihm einen Knaben gebären, so war das ein Zeichen. Er wird dann den Saladins-Zehnten für den Kronschatz einziehen lassen; denn er war nicht berechtigt, das Erbe seines Sohnes zu verkürzen.

Vorläufig ehrte er seinen Escrivano, wie er’s versprochen hatte. In großer Versammlung durfte ihm Jehuda den Handschuh des ritterlichen Auftrags zurückgeben, und Alfonso nahm mit nackter Hand die nackte Hand seines Vasallen, dankte ihm mit gnädigen Worten, umarmte ihn und küßte ihn auf die Wangen.

Der Erzbischof war heiß erzürnt. Seine priesterliche Warnung hatte die Luft erschüttert, der Sendling des Antichrists umgarnte den König enger und enger. Allein Don Martín war gewillt, sich dieses Mal den Sieg der Kirche über die Synagoge nicht entreißen zu lassen. Er beschloß, auch vor widerwärtigen Mitteln nicht zurückzuscheuen und List mit List zu bekämpfen.

Nichts liege ihm ferner, stellte er dem König vor, als mit ihm um Geld zu hadern. Des zum Beweis mache er ihm einen Vorschlag, den er vor dem Heiligen Stuhl nur mit schwerer Mühe verteidigen könne. Darauf bauend, daß Don Alfonso den Saladins-Zehnten lediglich für die Rüstung verwenden werde, überlasse er ihm die Verfügung über die Gelder. Sich selber und der Kirche behalte er nur das Recht vor, den Zehnten einzutreiben; die einkommenden Beträge werde er sogleich dem Kronschatz überweisen.

Don Alfonso sah dem treuherzig schlauen Gesichte des Freundes an, wie schwer ihm ein solches Kompromiß fiel. Er selber war sich klar darüber, daß es um das Prinzip ging, und er erwiderte: »Ich weiß, daß du mein Bestes willst. Aber mir scheint, auch mein Escrivano ist ehrlich, wenn er mich mahnt, ein wichtiges Recht meiner Krone nicht aufzugeben.«

Don Martín grollte: »Wieder der Ungläubige! Der Verräter!«

»Er ist kein Verräter«, verteidigte Alfonso seinen Minister. »Er wird aus seinen Juden den Zehnten bis zum letzten Sueldo herausholen. Er hat mir bereits aus diesem Zehnten für unsern Kreuzzug eine riesige Summe versprochen: vierundzwanzigtausend Goldmaravedí.«

Der Erzbischof war beeindruckt von der Ziffer. Aber er wollte es nicht sein und höhnte: »Er hat immer viel versprochen.«

»Er hat noch jedes Versprechen gehalten«, antwortete Don Alfonso.

In Don Martíns Innerem klangen Sätze auf aus päpstlichen Rundschreiben und Verfügungen: die Juden, da sie die Schuld der Kreuzigung auf sich geladen hätten, seien zu ewiger Sklaverei bestimmt, das Zeichen des Kain sei ihnen aufgebrannt, wie er sollten sie unstet und flüchtig herumirren. Und da stand Don Alfonso, ein christlicher Fürst, ein großer Ritter und Held, und statt die Juden aufs Haupt zu schlagen, daß sie es endlich beugten, hatte er nichts als Worte der Achtung und Freundschaft für diesen Teufel, der sich ihm ins Herz gewurmt hatte. Don Martín war entschlossen gewesen, listig zu sein und christliche Milde und Mäßigung zu wahren. Nun aber zähmte er sich nicht länger. »Siehst du denn nicht, du von der Hölle Verblendeter«, eiferte er, »wohin er dich verleitet? Er hat dein Land blühen machen, sagst du: siehst du denn nicht, daß diese Blüte vergiftet ist? Sie sprießt aus der Sünde. Du mästest dich an dem Frevel deiner Neutralität. Während die christlichen Fürsten, um das Heilige Grab zu befreien, Entbehrung, Gefahr, Tod auf sich nehmen, baust du dir ein üppiges, heidnisches Lustschloß! Und der Kirche mißgönnst du den Zehnten, den ihr der Heilige Vater zugewiesen hat!«

Gerade weil Alfonso selber den Wiederaufbau der Galiana bereute, ertrug er nicht den frechen Tadel des Priesters. »Ich verbiete dir solche Sprache!« schmetterte er zurück. Mit Anstrengung zwang er sich zur Ruhe. »Du bist ein großer Kirchenfürst, Don Martín«, sagte er, »ein guter Soldat und ein treuer Freund. Dächte ich nicht daran, dann müßte ich dich jetzt auffordern, mir einen Monat lang aus den Augen zu bleiben.«

Noch am gleichen Tage beschied er Jehuda vor sich. »Ich überlasse die Juden nicht der Kirche«, verfügte er. »Ich behalte sie als mein Eigentum. Sie sollen mir ihren Zehnten zahlen, und du treibst ihn ein. Und laß es einen fetten Zehnten sein, wie du versprochen hast.« Wenige Tage später genas Doña Leonor eines Knaben.

Maßlos war die Freude Don Alfonsos. Glorreich bestätigte ihn der Segen Gottes. Er hatte recht getan, als er, seiner innern Stimme folgend, der Kirche keines seiner Kronrechte abtrat. Und auch damals hatte er recht getan, als er den jungen Pedro zum Handkuß der Vasallenschaft zwang. Hätte er zugewartet, hätte er vorher dem Knaben von Aragon die junge Infantin verlobt, dann wäre diesem jetzt das verhoffte Erbe weggeschwommen, und viel schlimmerer Zwist wäre ausgebrochen.

In der Kapelle seiner Burg kniete Alfonso, voll seligen Dankes, daß nun Kastilien einen Erben seines Blutes hatte. Er wird seinen großen Krieg führen, trotz allem und allem, und Sevilla und Córdova und Granada schlagen, zur Ehre Gottes. Das Reich mehren wird er, seine Grenzen gewaltig nach dem Süden verschieben. Und wenn nicht er die ganze Halbinsel zurückerobert, dann wird Gott seinen Sohn begnaden, daß er die Arbeit vollende.

Auch Don Jehuda war tief beglückt. Trotz seiner äußeren Zuversicht war er voll Sorge gewesen, die Königin werde wiederum eine Tochter gebären; dann hätte sie schließlich doch Don Pedro durch ein Verlöbnis mit der Infantin Berengaria beschwichtigt, und Allianz und großer Krieg waren da. Jetzt war diese Gefahr beseitigt.

Don Jehuda erwartete, jedermann werde seine Freude teilen, vor allem der freundwillige, staatskluge Don Manrique. Der aber wies ihn hart zurecht: »Denk daran, daß du zu einem christlichen Ritter sprichst! Ich freue mich, daß der König Unser Herr einen Erben hat, aber der größere Teil meiner Freude ist hin, weil nun unser guter Krieg vielleicht für immer verzögert ist. Glaubst du, ich will in die Grube fahren, ohne daß ich noch einmal gegen die Ungläubigen zu Felde gezogen bin? Glaubst du, ein kastilischer Ritter sieht gerne seinen König am Ofen hocken, während die ganze Christenheit im Heiligen Krieg ist? Deine Rede hat mich gekränkt, Jude.«

Jehuda ging weg, beschämt. Aber dankbar erkannte er, aus welch ungeheurer Gefahr der Allmächtige die Halbinsel Sepharad und sein Volk Israel durch die Geburt dieses Infanten gerettet hatte.

Alfonso rüstete großartig die Taufe seines Sohnes und lud seinen ganzen Hofstaat nach Burgos. Nicht aber lud er Doña Raquel.

Dafür zeigte er seinem Pagen Don Alazar besondere Teilnahme. Er rief ihn häufig in seine Nähe und bevorzugte ihn sichtlich vor den andern Edelknaben. Einmal fiel ihm auf, wie wenig Ähnlichkeit das frische, hübsche Gesicht Alazars zeigte mit dem Gesicht der Schwester. Er wunderte sich, daß ihm das auffiel, er scheuchte den Gedanken fort.

Jehuda, anläßlich der Taufe, schickte dem König und Doña Leonor erlesene Geschenke, auch die Infantin Berengaria bedachte er. Er hatte bemerkt, daß sie enttäuscht und bekümmert war. Sie hatte wohl die Hoffnung nicht aufgegeben, dem Don Pedro vermählt zu werden, sie hatte vor sich die Krone Kastiliens und Aragons gesehen, des geeinten Hispaniens. Nun war sie versunken.

Der Infant wurde unter viel Gepränge auf den Namen Fernán Enrique getauft.

Dann kehrte Don Jehuda nach Toledo zurück.

Siebentes Kapitel

Schon im ersten Kreuzzug hatten die christlichen Krieger zunächst die Ungläubigen in der Heimat angegriffen, die Juden.

Die Führer der Bewegung hatten das nicht gewollt; ihr Ziel war, das Heilige Land aus dem Joch der Ungläubigen zu erlösen, und nichts sonst. Aber es hatten sich den Kreuzfahrern viele angeschlossen, die nicht nur von religiösen Trieben bewegt waren; Gottesbegeisterung mischte sich mit Abenteuerlust und Eigennutz. Ritter, deren Tatendrang in der Heimat durch Gesetz gebändigt war, erwarteten, in den islamischen Ländern Beute und Kriegsruhm zu finden. Hörige Bauern nahmen das Kreuz, um den Druck der Leibeigenschaft und der Abgaben loszuwerden. »Zahlloses Gesindel«, berichtet der gottesfürchtige zeitgenössische Chronist Albertus Aquentis, »schloß sich dem Kreuzheere an, mehr um Sünden zu begehen, als um Sünden zu büßen.«

Ein gewisser Guillaume le Carpentier aus der Gegend von Troyes, ein wilder Redner und Raufbold, sammelte eine große Schar streitbarer Pilger und zog mit ihnen dem Rheine zu. Immer mehr Menschen stießen zu ihm, Franken und Deutsche, bald waren es ihrer an die hunderttausend. »Wallbrüder« wurde in den Rheinlanden diese dunkle Gefolgschaft der Kreuzfahrer genannt.

»Es erhob sich«, berichtet ein jüdischer zeitgenössischer Chronist, »ein wüstes, ungestümes, grausames Volk, ein Gemisch von Franken und Deutschen, und machte sich auf, nach der Heiligen Stadt zu ziehen, um die Söhne Ismaels von dort zu vertreiben. Jeder der Frevler nähte an sein Kleid das Zeichen des Kreuzes, und sie versammelten sich in großen Haufen, Männer, Weiber und Kinder. Und einer, Wilhelm der Zimmerer – der Name des Frevlers sei verflucht –, hetzte sie auf und sprach: ›Da ziehen wir aus, um an den Söhnen Ismaels Rache zu nehmen. Aber sitzen nicht schon hier diese Juden, deren Väter unsern Gott gekreuzigt haben? Rächen wir uns zuerst an diesen. Ausgetilgt werden soll der Name Judas, wenn sie sich noch weiter sperren, den Jesus Messias anzuerkennen.‹ Und sie hörten auf ihn und sprachen einer zum andern: ›Lasset uns tun nach seinen Worten‹, und sie fielen her über das Volk des Heiligen Bundes.«

Zunächst, am sechsten Ijar, einem Sabbat, erschlugen sie die Juden der Stadt Speyer. Drei Tage später die der Stadt Worms. Dann brachen sie auf nach Köln. Hier suchte Bischof Hermann seine Juden zu schützen. »Allein die Tore der Barmherzigkeit waren verschlossen«, berichtet der Chronist, »die Frevler schlugen die Kriegsknechte und hatten Gewalt über die Juden. Viele, eh daß sie das Wasser der Taufe annahmen, Männer, Frauen und Kinder, stürzten sich in den Rhein, sich mit Steinen beschwerend und rufend: ›Höre, Israel, Adonai unser Gott ist einzig.‹«

Ähnliches ereignete sich in Trier, ähnliches in Mainz.

Über die Geschehnisse in Mainz berichtet der Chronist: »Am dritten Tage des Siwan, von dem einstmals Unser Lehrer Mose gesprochen hatte: seid bereit für den dritten Tag, da ich vom Sinai zurückkommen werde, an diesem dritten Siwan, um Mittag, rückte Emicho von Leiningen – der Name des Frevlers sei verflucht – mit seiner ganzen Schar an, und die Bürger öffneten ihm die Tore. Und die Frevler sprachen einer zum andern: ›Jetzt nehmet Rache für das Blut des Gekreuzigten.‹ Die Söhne des Heiligen Bundes hatten Waffen angelegt, sich zu verteidigen; doch konnten sie, geschwächt von Kummer und langem Fasten, dem Feind nicht widerstehen. In der Bischofsburg hielten sie eine geraume Weile das starke Tor des innersten Hofes gegen die Banditen; aber unserer vielen Sünden wegen waren sie ihnen nicht gewachsen. Wie sie nun sahen, daß ihr Los besiegelt war, redeten sie einander Mut zu und sprachen: ›Jetzt werden uns gleich die Feinde erschlagen, aber unsere Seelen werden unversehrt in den hellen Garten Eden eingehen. Selig ist, wer um des Namens des einzigen Gottes willen den Tod erleidet‹, und sie beschlossen: ›Lasset uns das Opfer bringen zu Ehren Gottes.‹ Da die Feinde in den Hof eindrangen, sahen sie die Männer, in ihre Gebetmäntel gehüllt, unbeweglich sitzen. Die Frevler glaubten, es sei eine List. Sie bewarfen sie mit Steinen und beschossen sie mit Pfeilen. Die in den Gebetmänteln rührten sich nicht. Da erschlugen sie sie mit ihren Schwertern. Die sich aber ins Innere der Burg geflüchtet hatten, töteten sich, einer den andern. Wahrlich, es bestanden an diesem dritten Siwan die Juden von Mainz jene Prüfung, die einstmals Gott unserm Erzvater Abraham auferlegt hatte. So wie dieser sagte: Hier bin ich, und bereit war, seinen Sohn Isaak zu opfern, so brachten sie ihre Kinder und Nächsten als Opfer dar. Es opferte der Vater den Sohn, der Bruder die Schwester, der Bräutigam die Braut, der Nachbar den Nachbarn. Ward je eine solche Opferung gesehen an einem einzigen Tage? Mehr als elfhundert ließen sich hinschlachten oder schlachteten sich selber hin für die Heiligung des Einen, Erhabenen, Furchtbaren Namens.«

In Regensburg erschlugen die Wallbrüder siebenhundertvierundneunzig Juden, ihre Namen sind verzeichnet in den Büchern der Märtyrer. Einhundertundacht waren bereit, die Taufe zu nehmen. Die Wallbrüder trieben sie in die Donau, ließen auf den Wassern ein großes Kreuz schwimmen, tauchten die Juden unter und lachten und schrien: »Jetzt seid ihr Christen, und laßt euch nicht mehr betreffen bei eurem jüdischen Aberglauben.« Sie verbrannten die Synagoge, und aus dem Pergament der hebräischen Rollen der Heiligen Schrift schnitten sie Einlagen für ihre Schuhe.

Es kamen aber in den Rheinlanden während der Monate Ijar, Siwan und Tamus zwölftausend Juden um, und viertausend im Schwäbischen und im Bayrischen.

Die meisten weltlichen und geistlichen Fürsten mißbilligten die Greueltaten der Wallbrüder und die Zwangstaufen. Der deutsche Kaiser Heinrich der Vierte sprach in feierlicher Rede seinen Abscheu über die Metzeleien aus und erlaubte den gewaltsam Getauften die Rückkehr ins Judentum. Auch leitete er gegen den Erzbischof von Mainz ein Verfahren ein, weil dieser seine Juden nicht genügend geschützt und sich an ihren Gütern bereichert hatte. Der Erzbischof mußte fliehen, der Kaiser zog seine Einkünfte ein und entschädigte die Juden.

Die Wallbrüder selber fanden zumeist, noch bevor sie ins Heilige Land kamen, ein klägliches Ende. Viele Tausende wurden von den Ungarn erschlagen, die Führer, Guillaume le Carpentier und Emicho von Leiningen, kehrten schmählich mit zerlumpten Resten ihrer Schar zurück. Guillaume, berichtet der Chronist, habe, bevor er auszog, den Rabbi von Troyes befragt, wie seine Fahrt enden werde. Antwortete der Rabbi: »Du wirst eine Weile in Glanz leben, dann aber besiegt und flüchtig mit drei Rossen hierher zurückkehren.« Guillaume drohte: »Wenn ich nur mit einem Rosse mehr zurückkehre, dann bringe ich dich um, und alle andern Juden Franciens dazu.« Als er zurückkehrte, hatte er drei berittene Begleiter, somit vier Rosse, und freute sich darauf, den Rabbi zu erschlagen. Als er indes durchs Tor einritt, löste sich ein Stein und erschlug von den Begleitern einen mitsamt seinem Roß. Daraufhin stand Guillaume von seinem Vorhaben ab und ging ins Kloster. Der Leiden, die damals ihre Väter hatten erdulden müssen und die aufgezeichnet sind in dem Buch »Tal der Tränen«, gedachten die Juden, als nun ein neuer Kreuzzug ausbrach, und sie waren voll Furcht.

Bald auch geschah ihnen wie früher. Doch waren es dieses Mal vor allem die Fürsten, die sie bedrängten.

Herzog Wratislaw von Böhmen zwang seine Juden zur Taufe, und als sie dann auswandern wollten, wohl um zum Judentum zurückzukehren, erklärte er ihren ganzen Besitz für verfallen. Sein Kämmerer, ein gebildeter Herr, hielt den Auswanderern im Auftrage des Herzogs eine Ansprache in lateinischen Hexametern: »Nichts von Jerusalems Schätzen brachtet ihr nach meinem Böhmen. / Nackende Bettler kamt ihr ins Land, nackt möget ihr ausziehn.«

Am meisten zu leiden hatten die Juden des Königreichs Francien. Dort hatten im vorigen Kreuzzug Ludwig der Siebente und Ellinor de Guienne sich ihrer angenommen. Der König aber, der jetzt in Francien regierte, Philipp August, stellte sich selber an die Spitze derer, die »das verfluchte Geschlecht« schlugen und ausraubten. »Die Juden haben«, erklärte er, »durch verbrecherische List die Mehrzahl der Häuser meiner Hauptstadt Paris an sich gebracht. Sie haben uns ausgeplündert wie ihre Vorväter die Ägypter.« Diesen Raub zu rächen, ließ er an einem Sabbat die Synagoge von Paris und die von Orléans von Kriegsknechten umstellen und gab die Juden nicht frei, ehe er ihre Häuser ausgeraubt hatte. Auch ihre Sabbatkleider mußten sie ausziehen und halbnackt in ihre nackten Häuser zurückkehren. Dann gab er Befehl, sie hätten mit Zurücklassung ihrer Habe sein Reich binnen drei Monaten zu verlassen.

Die meisten der Vertriebenen flüchteten in die benachbarten Grafschaften, die dem Namen nach Vasallenländer des Königs, in der Tat selbständig waren.

Allein die Hand König Philipp Augusts erreichte sie auch dort.

Da war etwa die Markgräfin der Champagne, Blanche, eine ältere Dame freien Geistes und freundlichen Herzens. Sie hatte viele der Auswanderer aufgenommen. Nun war es lange Zeit auf fränkischem Gebiet Sitte gewesen, in der Karwoche einen Vertreter der Juden, den Gemeindevorstand oder den Rabbiner, zum Andenken an die Marter Christi auf öffentlichem Platze zu ohrfeigen. Die Markgräfin hatte ihren Juden gestattet, diese Naturalleistung durch eine Zahlung an die Kirche abzulösen. König Philipp August, gereizt, weil seine Auswanderer bei der Markgräfin Blanche Zuflucht gefunden hatten, verlangte von seiner Vasallin, sie solle ihre Verfügung zurücknehmen. Er berief sich auf den Heiligen Krieg, sie mußte nachgeben.

Allein das Schicksal ersparte den Juden den Schimpf, freilich auf eine klägliche, ja, tragische Weise. Bevor nämlich die Karwoche herankam, erschlug ein Kreuzfahrer, ein Untertan König Philipp Augusts, auf dem Gebiete der Markgräfin, in der Stadt Bray-sur-Seine, einen Juden. Die Gräfin verurteilte den Mörder zum Tode und ließ die Hinrichtung vollziehen am Tage des Purimfestes, dem Tage, da die Juden den Sturz ihres Feindes Haman durch die Königin Esther und ihren Pflegevater Mardochai feiern. Die Juden der Stadt Bray wohnten der Exekution des Mörders bei, vermutlich nicht ohne Genugtuung. Dem König Philipp August wurde gemeldet, sie hätten dem Mörder, seinem Untertan, die Hände gebunden und ihm eine Dornenkrone aufs Haupt gesetzt, die Passion des Heilands verspottend. Der königliche Bösewicht, wie der Chronist ihn nennt, verlangte daraufhin von der Markgräfin, sie solle alle Juden der Stadt Bray festnehmen lassen. Sie weigerte sich. Der König schickte Soldaten nach Bray, die Juden wurden gefangengenommen und vor die Wahl gestellt zwischen Taufe und Tod. Vier ließen sich taufen, neunzehn Kinder unter dreizehn Jahren wurden ins Kloster verbracht, alle übrigen Juden wurden verbrannt, auf siebenundzwanzig Scheiterhaufen. Der Markgräfin Blanche sagte Philipp August: »Jetzt sind deine Juden ihrer Karfreitags-Ohrfeige ledig, Dame.« Dann zog er in den Heiligen Krieg.

Die Juden des gesamten nördlichen Frankreichs aber fühlten sich nicht mehr sicher und schickten Sendboten an ihre Brüder in glücklicheren Ländern, in der Provence und in Hispanien, sie um Hilfe zu bitten.

Ihre stärkste Hoffnung setzten sie auf die mächtige Gemeinde von Toledo. Dorthin schickten sie den Mann, der als der größte und frömmste unter den Juden Frankreichs galt, Rabbi Tobia Ben Simon. Kaum war Don Jehuda zurückgekehrt, so suchte Rabbi Tobia ihn auf.

Unser Herr und Lehrer Tobia Ben Simon, genannt Ha-Chasid, der Fromme, der Episcopus Judaerum Francorum, das Oberhaupt der Juden Franciens, war ein Gottesgelehrter, berühmt und umstritten in Israel. Er war von unansehnlichem Äußern und bescheidenem Gehabe. Er entstammte einer alten Familie gelehrter Juden, die vor einem kleinen Jahrhundert vor den Wallbrüdern aus Deutschland ins nördliche Frankreich geflüchtet waren.

Er sprach in dem langsamen, unreinen Hebräisch der deutschen Juden, der Aschkenasi; es klang sehr anders als das edle, klassische Hebräisch, an welches Don Jehuda gewöhnt war. Doch bald vergaß er die Aussprache Rabbi Tobias über dem, was er zu erzählen hatte. Es erzählte aber der Rabbi von den zahllosen, fein ausgeklügelten, grausamen Schikanen des Königs Philipp August und von den greulichen, blutigen Ereignissen in Paris, in Orléans, in Bray-sur-Seine, in Nemours und in der Stadt Sens. Er erzählte schwerfällig, und er erzählte von den geringfügigen Qualen, welche die Verfolger den Juden angetan hatten, ebenso genau und ausführlich wie von den ungeheuerlichen Metzeleien, und das Kleine erschien groß, und das Große war ein Glied in einer endlosen Kette. Und wieder und wieder kam der Refrain: »Und sie schrien: ›Höre, Israel, unser Gott ist einzig‹, und wurden umgebracht.«

Es war seltsam, den unscheinbaren Rabbi in dem stillen, prächtigen, geschützten Haus erzählen zu hören von den wilden Geschehnissen. Rabbi Tobia sprach lange und eindringlich. Aber Don Jehuda hörte mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu. Seine lebendige Vorstellungskraft sah leibhaft die Dinge, von denen der Rabbi berichtete. Eigene, grimmige Erinnerungen wurden ihm wach. Damals, vor anderthalb Menschenaltern, hatten es die Moslems in seinem Sevilla genauso getrieben wie jetzt die Christen in Francien. Auch sie waren zuerst über die nächsten »Ungläubigen« hergefallen, über die Juden, und hatten sie vor die Wahl gestellt, zu ihrem Glauben überzutreten oder zu sterben. Jehuda wußte genau, wie es in denen aussah, über die sie jetzt herfielen.

»Vorläufig«, sagte Rabbi Tobia, »helfen uns noch die Gaugrafen und Barone der unabhängigen Gebiete. Aber der gesalbte Frevler bedrängt sie, und sie werden ihm nicht lange widerstehen. Ihre Herzen sind nicht böse, doch auch nicht gut, und sie werden nicht Krieg führen gegen den König von Francien um der Gerechtigkeit und um der Juden willen. Nicht ferne ist die Zeit, da werden wir weiterwandern müssen, und es wird nicht leicht sein; denn wir haben nichts gerettet als unsere Haut und einige Thora-Rollen.«

Friede war, Pracht und Stille in dem schönen Haus. Es plätscherten die freundlichen Wasser; golden, blau und rot leuchteten von den Wänden die Buchstaben der erhabenen Verse. Die dünnen, blassen Lippen in dem wunderlich erstorbenen Gesicht des Rabbis entließen gleichmäßig die Worte. Don Jehuda aber sah vor sich die vielen, vielen Juden, wie sie wanderten mit müden Füßen, und wie sie am Wegrand rasteten, ängstlich äugend, welch neue Gefahr sie bedrohen mochte, und wie sie zu den langen Stäben langten, die sie von irgendeinem Baum gebrochen hatten, und weiterwanderten.

Die Sorge um die Juden Franciens hatte Don Jehuda schon in Burgos beschäftigt, und sein schneller Geist hatte manches Hilfsprojekt erwogen. Nun aber, während er auf Rabbi Tobias Bericht hörte, formte sich ihm ein neuer Plan; die Aktion wird kühn sein, schwierig. Aber es gab keine andere, die in Wahrheit half. Der Anblick des unscheinbaren Rabbis, der nicht bat und nicht einmal mahnte oder verlangte, spornte Jehuda.

Als andern Tages Ephraim Bar Abba ins Castillo Ibn Esra kam, war Don Jehuda entschlossen. Don Ephraim, bewegt von der Erzählung Rabbi Tobias, wollte einen Fonds von zehntausend Goldmaravedí aufbringen für die Verfolgten in Francien, er selber gedachte tausend Maravedí zu spenden, und er bat Don Jehuda um einen Beitrag.

Der aber antwortete: »Es wird den Vertriebenen nicht viel helfen, wenn wir sie mit Geld speisen für die Notdurft einiger Monate oder auch eines Jahres. Die Grafen und Barone, in deren Städten sie jetzt sitzen, werden dem König nachgeben und sie von neuem vertreiben, und sie werden ziellos weitergejagt werden über die Erde, immer neuen Feinden in die Hände fallend, zur schließlichen Vernichtung bestimmt. Es gibt nur eine Hilfe: sie anzusiedeln an einer sichern Stätte, wo sie bleiben können.«

Der Párnas der Aljama war peinlich überrascht. Wenn man jetzt im Heiligen Krieg Scharen armer Juden ins Land zog, mußte das üble Folgen haben. Der Erzbischof wird neue Hetze predigen, und das ganze Land wird ihm recht geben. Die Juden Toledos waren gebildet, wohlhabend, zivilisiert, sie hatten sich die Achtung der andern erworben; ließ man jetzt Hunderte, vielleicht Tausende französischer Juden herein, die bettelhaft waren und nicht vertraut mit der Sprache und den Sitten des Landes, die auffallen mußten durch ihre Kleidung und ihre fremdartigen, schlechten Manieren, so half man ihnen nicht, man gefährdete nur sich selber.

Solche Einwände indes, fürchtete Ephraim, würden den tollkühnen Ibn Esra in seinem Vorhaben eher bestärken. Er ersetzte sie durch andere. »Werden sich denn«, meinte er, »diese Juden aus Francien hier jemals zu Hause fühlen? Es sind kleine Leute. Sie haben Weinhandel getrieben und ängstliche Geldgeschäfte, sie kennen nur den armseligen Kleinkram ihres Franciens, ihre Denkart ist eng, von großen Unternehmungen wissen sie nichts. Ich tadle sie nicht darum; es war ihnen ein enges, hartes Leben auferlegt, viele sind die Söhne solcher, die aus deutschen Ländern fliehen mußten, oder haben die Verfolgungen in Deutschland noch selber miterlebt. Ich sehe nicht, wie sich diese trüben, verschreckten Menschen in unserer Welt zurechtfinden sollten.« Don Jehuda schwieg; dem Párnas schien, als lächelte er ganz leise. Dringlicher fuhr Don Ephraim fort: »Unser großer Gast selber, er ist ein frommer Mann, ein mit Recht berühmter Gelehrter. Aber so Tiefes und Großartiges in seinen Büchern steht, vieles hat mich befremdet. Ich denke über Moral und Einhaltung der Gebote strenger als du, Don Jehuda, aber dieser Unser Herr und Lehrer Tobia macht aus dem Leben eine einzige Bußübung. Seine Maßstäbe und die seiner Anhänger sind nicht die unsern. Ich glaube, unsere Brüder aus Francien würden nicht gut auskommen mit uns und wir nicht mit ihnen.«

Was Don Ephraim nicht sagte, was er aber diesem Don Jehuda, dem Meschummad, dem Abtrünnigen, ins Gedächtnis rufen wollte, war, daß Rabbi Tobia die härtesten Worte der Verdammnis hatte gerade für seinesgleichen, für diejenigen, die vom Glauben abgefallen waren. Er kannte Milde nicht einmal für die Anussim, für die, welche sich durch Todesdrohungen zur Taufe hatten zwingen lassen, selbst wenn sie später ins Judentum zurückkehrten. Don Jehuda, der freien Willens und ohne Gefahr so lange dem fremden Gott gedient hatte, mußte wissen, daß er in den Augen dieses Rabbi Tobia und seiner Anhänger schuldig war der Strafe der Ausrottung, so daß seine Seele vernichtet wurde mit seinem Leibe. Wollte er Menschen, die so über ihn dachten, der Aljama und sich selber auf den Nacken setzen?

»Gewiß«, sagte der erstaunliche Don Jehuda, »dieser große Mann ist anders als wir. Leute unserer Art mögen ihm in der Seele fremd sein, Leute meiner Art vielleicht sogar ein Abscheu. Und nicht wenige seiner Anhänger mögen so finster denken wie er. Aber auch jene verfolgten Brüder, welche damals mein Oheim, Don Jehuda Ibn Esra Ha-Nassi, der Fürst, ins Land ließ, waren sehr anders, und es war höchst ungewiß, ob sie sich hier einleben würden. Sie haben sich eingelebt. Sie blühen und gedeihen. Ich glaube, wir werden das Wesen unserer fränkischen Brüder hinnehmen, wenn wir uns ernstlich darum bemühen.«

Schmächtig in seinen umfangreichen Kleidern saß Don Ephraim, rechnend, tief besorgt. »Ich war stolz darauf«, sagte er, »zehntausend Goldmaravedí auszuwerfen für die fränkischen Flüchtlinge. Wenn wir sie hierherbringen in eine Umgebung, in der sie ihren Unterhalt nicht erwerben können, dann werden wir für sie sorgen müssen, auf Jahre, vielleicht für immer. Zehntausend Goldmaravedí reichen da nicht lange. Wir haben weiter den Saladins-Zehnten zu zahlen. Dann ist da der Fonds für die Auslösung der Gefangenen. Er ist sehr dünn geworden und wird mehr beansprucht als je. Überall in der Welt gibt der Heilige Krieg den Söhnen Edoms und den Söhnen Hagars bequemen Vorwand, Juden gefangenzusetzen, um hohes Lösegeld zu erpressen. Die Schrift befiehlt, die Gefangenen zu befreien. Es scheint mir vordringlich, dieses heilige Gebot zu befolgen. Deine Tausende von fränkischen Armen hierherzubringen, scheint mir weniger wichtig. Es wäre barmherzig, aber es wäre, verzeih mir das offene Wort, fahrlässig, verantwortungslos.«

Don Jehuda schien nicht gekränkt. »Ich bin kein Schriftgelehrter«, erwiderte er, »aber mir ist im Ohr und im Herzen das Gebot Unseres Lehrers Mose: ›Wenn dein Bruder verarmt und abnimmt neben dir, so sollst du ihn aufnehmen, daß er lebe neben dir.‹ Im übrigen glaube ich, daß wir’s uns leisten können, die eine Verpflichtung zu erfüllen und die andere nicht zu versäumen. Solang es mir gelingt« – und er sprach ebenso liebenswürdig wie hochfahrend –, »diesem Lande Kastilien den Krieg fernzuhalten, so lange wird die Aljama von Toledo so üppig verdienen, daß sie ihren Auslösungsfonds nicht wird antasten müssen, um den paar tausend fränkischen Juden Brot und Unterkunft zu geben.«

Immer drückendere Angst packte Don Ephraim. Dieser übermütige Mensch wollte nicht sehen, wie verfänglich sein Unternehmen war, vielleicht sah er’s wirklich nicht. Ephraim konnte sich nicht länger zähmen, er mußte seine tiefe Herzensangst aussprechen. »Hast du auch bedacht, mein Bruder und Herr Don Jehuda«, sagte er, »welch starke Waffe dein Vorhaben dem Erzbischof in die Hand gibt? Er wird die Mächte der Hölle bewegen, ehe er’s zuläßt, daß deine fränkischen Juden ins Land kommen. Er wird sich an den Sündenkönig in Francien wenden. Er wird sich an den Papst wenden. Er wird predigen und das Volk aufhetzen, daß wir Scharen von Bettlern und Ungläubigen nach Kastilien ziehen inmitten des Heiligen Krieges. Du stehst hoch in der Gunst des Königs Unseres Herrn. Aber auch der Erzbischof hat das Ohr Don Alfonsos, und die Zeit, der Heilige Krieg, ist für ihn und gegen uns. Du hast dir ewiges Verdienst erworben, Don Jehuda, da du unsere Fueros und Freiheiten gegen den Feind verteidigt hast. Aber wird es dir ein zweites Mal gelingen?«

Ephraims Worte trafen Don Jehuda, und wieder vor ihm auf stieg die ganze Schwierigkeit seines Unternehmens. Vielleicht hatte er sich überhoben. Allein er verbarg seine Zweifel, er setzte, wie es Don Ephraim erwartet hatte, seine hochfahrende Miene auf und sagte trocken: »Ich sehe, mein Vorschlag hat nicht deinen Beifall. Laß uns ein Abkommen treffen. Sammle du deine zehntausend Goldmaravedí. Ich will vom König die Zulassung der Verfolgten erwirken und die Gewährung der Rechte und Freiheiten, die sie brauchen. Ich will es in aller Stille tun, ohne Unterstützung von seiten der Aljama, ohne Bittgottesdienste in den Synagogen, ohne Klagegeschrei, ohne feierliche Delegation an den König. Laß alles meine Sorge sein und nur meine.« Er sah, wie bedrückt der andere dasaß; so hatte er’s nicht gewollt. Mit Wärme fuhr er fort: »Aber wenn es mir glückt, wenn der König mir ja sagt, dann, das versprich mir, gib auch du dein Widerstreben auf, gib es in der Seele auf, und hilf mir mein Werk durchführen mit der ganzen Kraft der Vernunft, die Gott dir verliehen hat«, und er streckte ihm die Hand hin.

Don Ephraim, gegen seinen Willen hingerissen, doch immer noch zögernd, nahm die Hand und antwortete: »So sei es.« Der König mittlerweile, in Burgos, im Dunstkreis Doña Leonors, vergaß Toledo und was damit zusammenhing. Er genoß die Ruhe und Zuversicht, von der sein Kastell in Burgos erfüllt war. Er hatte den Sohn und Erben. Er war tief befriedigt.

Schließlich aber, da er seiner Hauptstadt Wochen und Monate ferngeblieben war, drängten seine Räte, er müsse zurückkehren.

Und kaum hatte er die Mauern von Burgos hinter sich, war die frühere Unrast wieder da und peinigte ihn der Fluch, der auf ihm lag: daß er warten und warten mußte, und daß es ihm verwehrt war, sein Reich zu mehren. Der Sechste und der Siebente Alfonso hatten die Kaiserkrone getragen, von ihren großen Taten sangen die Sänger; von dem, was er erreicht hatte, plärrten ein paar schäbige Romanzen.

Als der Felsen, auf dem Toledo lag, in Sicht kam, überfiel ihn seine Ungeduld mit ganzer Wut, und schon am ersten Tage befahl er seinen Escrivano vor sich, diesen Menschen, mit dem er darum feilschen mußte, daß er seine ritterliche Pflicht tun und in den Krieg reiten dürfe.

Jehuda seinesteils hatte begierig auf die Rückkehr des Königs gewartet. Sobald es irgend anging, wollte er ihm sein großes Projekt vortragen und ein Edikt erwirken, das fränkische Juden in Kastilien zuließ. Er hatte sich gute Gründe zurechtgelegt. Überall im Lande regte sich’s und wuchs es, man brauchte neue Hände, man mußte wie in den Zeiten des Sechsten und des Siebenten Alfonso neue Menschen ansiedeln.

Da stand er endlich vor dem König und hielt Vortrag. Er hatte wiederum von großen Erfolgen zu erzählen, von erfreulich hohen Einkünften, von weiteren drei Städten, die widerspenstigen Granden entrissen und unter Alfonsos Botmäßigkeit gebracht worden waren. Neue, vielversprechende Unternehmungen waren überall im Lande entstanden, auch in Toledo selbst und in der unmittelbaren Umgebung. Da war die Glashütte, die große Lederwerkstätte, die Töpferwerkstatt, die Papierfabrik, ganz zu schweigen von der Erweiterung der Münze und des königlichen Gestüts.

Während Jehuda so in fliegender Rede berichtete, überlegte er, ob er schon in dieser ersten Stunde dem König mit seinem großen Anliegen kommen solle. Allein Don Alfonso schwieg, und seiner Miene war nichts abzulesen.

Jehuda sprach weiter. Ehrerbietig fragte er, ob der Herr König auf der Rückreise in der Gegend von Avila die großen Herden bemerkt habe; es sei ja jetzt die Viehzucht einheitlich geregelt, so daß das Weideland vernünftig ausgenützt werden könne. Und ob Don Alfonso auf der Rückreise Zeit gefunden habe, die neuen Maulbeerpflanzungen zu besichtigen für die Seidenmanufaktur.

Endlich tat der König den Mund auf. Ja, sagte er, er habe die Maulbeerpflanzungen gesehen, und auch die Herden, und mancherlei mehr, was von der Emsigkeit seines Escrivanos Zeugnis ablege. »Also langweile mich nicht länger damit«, sagte er unwirsch, mit jähem Übergang. »Deine Dienste sind bekannt und anerkannt. Mich interessiert jetzt nur eines: wann werde ich endlich die Schande abtun und eintreten können in den Heiligen Krieg?«

Daß die Gnade des Königs so schnell wieder in Feindseligkeit umschlagen werde, hatte Jehuda nicht vermutet. Bitter und bekümmert sah er, daß er die Unterredung über die Ansiedlung der vertriebenen Juden aufschieben müsse. Doch nicht versagen konnte er sich’s, Alfonsos törichten Vorwurf zurückzuweisen. »Der Zeitpunkt, da du in den Krieg eintreten kannst, Herr König«, sagte er, »hängt nicht allein von den Finanzen deines Landes ab. Die sind in Ordnung.« Und streitbar erklärte er: »Sowie die andern Fürsten Hispaniens, insbesondere Aragon, willens sind, in Gemeinschaft mit dir gegen den Kalifen ein einheitlich geleitetes Heer aufzustellen, wirst du, Herr König, mehr als deinen Anteil beisteuern können. Und wenn das schon morgen sein sollte. Des sei du sicher.«

Alfonso furchte die Stirn. Immer speiste der Jude ihn mit einem frechen, höhnischen Wenn ab. Er ließ ihn stehen, ging auf und nieder.

Dann, unvermittelt, über die Schulter, fragte er: »Sage, wie steht es eigentlich um die Galiana? Der Umbau sollte jetzt bald fertig sein.« – »Er ist fertig«, antwortete stolz Jehuda, »und es ist erstaunlich, was mein Ibn Omar aus dem alten Gebäu gemacht hat. Wenn du willst, Herr König, kannst du in zehn Tagen oder spätestens in drei Wochen dort wohnen.«

»Vielleicht werde ich wollen«, sagte leichthin Alfonso. »Auf alle Fälle möchte ich mir anschauen, was ihr gemacht habt. Donnerstag will ich mir’s anschauen, vielleicht noch früher. Ich werde dir Bescheid sagen lassen. Und du begleitest mich und erklärst mir. Und bring auch wieder Doña Raquel mit«, schloß er mit erzwungener Beiläufigkeit.

Jehuda erschrak ins Innerste. Ihn bedrängten Besorgnisse wie damals nach der ungewöhnlichen Einladung Don Alfonsos.

»Wie du befiehlst, Herr König«, sagte er. Zur festgesetzten Stunde erwarteten Jehuda und Raquel den König am Tor der Huerta del Rey. Don Alfonso kam pünktlich. Er neigte sich tief und förmlich vor Raquel und begrüßte freundlich den Escrivano. »Also zeig mir, was ihr gemacht habt«, sagte er mit etwas künstlicher Munterkeit.

Langsam gingen sie durch den Park. Da waren nun keine Gemüsebeete mehr, sondern bunte Zierpflanzen, Bäume und Boskette, anmutig geordnet. Einen kleinen Wald hatte man gelassen, wie er war. Dem stillen Teich aber hatte man einen Abfluß geschaffen, so daß jetzt, mehrmals von Brücken überspannt, ein schmaler Bach zum Flusse Tajo führte. Orangenbäume waren da, auch Bäume, die kunstvoll gezüchtete, übergroße Zitronen trugen, die man bisher in den Ländern der Christen nicht gekannt hatte. Nicht ohne Stolz wies Jehuda dem König diese Früchte; »Früchte Adams« nannten sie die Moslems, denn um von dieser Frucht zu kosten, hatte Adam das Verbot des Herrn übertreten.

Auf breitem Kiesweg gingen sie dem Schlosse zu. Auch hier grüßte es vom Tor in arabischen Lettern: Alafia, Heil, Segen. Sie beschauten das Innere. Diwans liefen die Wände entlang, Gobelins hingen von kleineren Galerien, schöne Teppiche deckten die Böden, überall sorgten fließende Wasser für Kühle. Die Mosaikarbeiten der Friese und Decken waren noch nicht fertig. »Wir wagten es nicht«, erläuterte Don Jehuda, »Verse und Sprüche ohne deine Weisung zu wählen. Wir erwarten deine Befehle, Herr König.«

Don Alfonso, obwohl sichtlich beeindruckt, war einsilbig. Gemeinhin kümmerte er sich nicht viel um das Aussehen einer Burg oder eines Hauses. Dieses Mal sah er mit besser wissendem Blick. Die Jüdin hatte recht: sein Kastell von Burgos war grimmig finster, die neue Galiana schön und bequem. Trotzdem sagte ihm das Kastell von Burgos besser zu; er fühlte sich nicht wohl inmitten dieses weichen Prunkes. Er sprach höflich anerkennende, gezwungene Sätze, seine Gedanken wanderten, seine Worte wurden spärlicher. Auch Doña Raquel sprach wenig, und allmählich wurde auch Don Jehuda schweigsam.

Der Patio war mehr Garten als Hof. Auch hier war ein großes Wasserbassin mit einem Springbrunnen. Arkaden liefen ringsum, matte Spiegel machten, daß sich der Garten ins endlos Weite dehnte. Mit unwilliger Anerkennung bestaunte der König, was diese Leute in so kurzer Frist zustande gebracht hatten.

»Bist du nie hier gewesen, Dame«, wandte er sich mit einemmal an Raquel, »während man hier baute?« – »Nein, Herr König«, antwortete das Mädchen. »Das war nicht freundlich«, meinte Alfonso, »da ich um deinen Rat gebeten hatte.« – »Mein Vater und Ibn Omar«, entgegnete Raquel, »verstehen sehr viel mehr als ich von der Kunst des Bauens und Einrichtens.« – »Und gefällt dir die Galiana, so wie sie jetzt dasteht?« fragte Don Alfonso. »Sie haben dir ein herrliches Schloß gebaut«, antwortete voll ehrlichen Entzückens Raquel. »Es steht da wie einer der zauberhaften Paläste aus unsern Märchen.« Aus unsern Märchen, sagt sie, dachte der König. Immer ist sie die Fremde, und immer gibt sie mir zu verstehen, daß, wo sie ist, ich der Fremde bin. »Und ist alles so, wie du dir’s gedacht hast?« fragte er. »Dies oder jenes wirst du doch wohl auszusetzen haben. Willst du mir gar keinen Rat geben, nicht den kleinsten?« Leicht verwundert, doch unverlegen beschaute Raquel den ungeduldigen Mann. »Da du es befiehlst, Herr König«, sagte sie, »spreche ich. Mir gefallen die Spiegel nicht in diesen Wandelgängen. Es ist mir nicht lieb, mein Bild zu sehen und immer wieder mein Bild, und es ist ein wenig unheimlich, dich und den Vater und die Bäume und den Springbrunnen wirklich zu sehen und gleichzeitig im Bilde.« – »Nehmen wir also die Spiegel weg«, entschied der König. Ein etwas unbehagliches Schweigen war.

Sie saßen auf einer Steinbank. Don Alfonso schaute Raquel nicht an, aber er sah sie im Spiegelwerk der Arkaden. Er sah und prüfte. Er sah sie das erstemal. Sie war keck und nachdenklich, wissend und naiv, viel jünger als er und viel älter. Wenn man ihn vor zwei Wochen gefragt hätte, ob er während all der Zeit in Burgos an sie gedacht habe, hätte er’s ehrlichen Gewissens verneint. Es wäre eine Lüge gewesen; sein Inneres hatte sich nicht von ihr befreit.

Sein Blick prüfte sie weiter im Spiegel. Ihr fleischloses Gesicht mit den großen, blaugrauen Augen unter dem schwarzen Haar sah freimütig aus, kindlich, aber sicher ging hinter der nicht hohen Stirn allerlei Verfängliches vor. Es war nicht gut, daß seine Seele nicht einmal in Burgos frei von ihr geblieben war. Alafia, Heil, Segen, grüßte es vom Tor seines neuen Schlosses, aber es war nicht gut, daß er dieses Schloß hatte errichten lassen. Don Martín hatte ihn zu Recht getadelt: die moslemische Pracht stand einem christlichen Ritter nicht an, schon gar nicht in dieser Zeit des Kreuzzugs.

Don Martín hatte ihm einmal erklärt, es sei eine läßliche Sünde, mit einem Weibsbild vom Troß zu liegen, weniger läßlich mit einer moslemischen Gefangenen, wieder weniger läßlich mit einer Dame von Adel. Mit einer Jüdin zu liegen, war sicherlich schwerste Sünde.

Doña Raquel, um das ungute Schweigen zu brechen, sagte, und sie versuchte, munter zu sein: »Ich bin neugierig, Herr König, welche Verse du für die Friese bestimmst. Sie erst werden dem Haus den rechten Sinn geben. Und wirst du lateinische Lettern befehlen oder arabische?«

Don Alfonso dachte: Wie frech und unverlegen sie ist, diese da, hochmütig, stolz auf ihre Klugheit und ihren Geschmack. Aber ich werde sie übermannen. Mag Don Martín sagen, was er will. Ich werde zuletzt ja doch in den Heiligen Krieg ziehen, und meine Sünden werden vergeben sein.

Er sagte: »Ich glaube, ich werde keine Verse auswählen, Dame, und werde nicht bestimmen, ob es lateinische Lettern sein sollen oder arabische oder hebräische.« Er wandte sich an Jehuda: »Laß mich zu dir so ehrlich sein, mein Escrivano, wie es Doña Raquel zu mir in Burgos gewesen ist. Was ihr da gemacht habt, ist sehr schön, und die Künstler und Kenner werden es loben. Aber mir gefällt es nicht. Das soll kein Vorwurf sein, beileibe nicht. Im Gegenteil, ich staune, wie gut und schnell ihr alles gemacht habt. Und wenn du mir vorhältst: so hast du mir’s aufgetragen, ich habe nur gehorcht, dann bist du im Recht. Ich sage es dir, wie es ist: damals, als ich dir die Weisung gab, stand mir der Sinn nach genau diesem. Aber inzwischen bin ich in Burgos gewesen, in meinem alten, strengen Schloß, in dem sich unsere Doña Raquel so unbehaglich fühlt. Nun, jetzt fühle ich mich hier unbehaglich, und ich glaube: auch wenn die Spiegel weg sind und wenn die schönsten Verse von den Wänden leuchten, werde ich mich nicht behaglich fühlen.«

»Das tut mir leid, Herr König«, sagte mit künstlichem Gleichmut Don Jehuda. »Es steckt viel Mühe und viel Geld in diesem Bau, und es bekümmert mich, daß ein gedankenloses Wort meiner Tochter dich verleitet hat, ein Haus zu bauen, welches dir mißfällt.«

Es war eine Anmaßung, dachte der König, daß Don Martín mir verbieten wollte, ein islamisches Schloß zu bauen. Und er soll mir’s auch nicht verbieten, mit der Jüdin zu schlafen.

»Du bist schnell gekränkt, Don Jehuda Ibn Esra«, sagte er, »du bist ein stolzer Mann, bestreit es nicht. Als ich dir damals das Castillo de Castro zum Alboroque geben wollte, hast du mir’s abgeschlagen. Und unser Handel war doch ein großer Handel und verlangte eine große Zugabe. Du hast etwas gutzumachen, mein Escrivano. Dieses Schloß – die Schuld liegt bei mir allein, ich sagte es schon – ist für mich nicht das Rechte, es ist zu bequem für einen Soldaten. Aber euch gefällt es. Erlaube mir, daß ich’s euch schenke.«

Jehuda war erblaßt, noch tiefer erblaßt war Doña Raquel. »Ich weiß schon«, fuhr der König fort, »du hast ein Haus, wie du dir’s besser nicht wünschen kannst. Aber vielleicht ist dieses hier für deine Tochter geeignet. War nicht La Galiana seinerzeit der Palacio einer moslemischen Prinzessin? Hier wird sich deine Tochter wohl fühlen, es ist das rechte Haus für sie.« Die Worte klangen höflich, aber sie kamen aus einem finstern Gesicht; die Stirn war tief verfurcht, die strahlendhellen Augen schauten geradezu feindselig auf Doña Raquel.

Er riß den Blick von ihr weg, trat ganz nahe an Don Jehuda heran und sagte ihm ins Gesicht, leise, doch hart und jedes Wort betonend, so daß Raquel es hören mußte: »Verstehe mich, ich will, daß deine Tochter hier wohnt.«

Don Jehuda stand vor ihm, höflich, demütig, aber er senkte nicht die Augen vor ihm, und es waren Augen voll von Zorn, Stolz und Haß. Es war Alfonso nicht gegeben, tiefe Blicke in die Seele eines andern zu tun. Dieses Mal aber, da er Aug in Aug mit seinem Escrivano stand, ahnte er, wie wild es in dessen innerer Landschaft aussah, und für den Bruchteil einer Sekunde bereute er’s, daß er den Mann herausgefordert hatte.

Ein tiefes Schweigen war, die drei fast leibhaft umschließend. Dann, mit Anstrengung, sagte Jehuda: »Du hast mir viel Gnade erwiesen, Herr König. Begrabe mich nicht in zu viel Gnade.« – »Ich habe dir’s damals verziehen«, antwortete Don Alfonso, »daß du mein Alboroque zurückgewiesen hast. Ärgere mich nicht ein zweites Mal. Ich will dir und deiner Tochter dieses Schloß schenken. Sic volo«, sagte er hart, die Worte trennend, und kastilisch wiederholte er’s: »Ich will es!« Und jäh, mit herausfordernder Höflichkeit, wandte er sich an das Mädchen: »Sagst du mir nicht danke, Doña Raquel?«

Raquel erwiderte: »Hier steht Don Jehuda Ibn Esra. Er ist dein treuer Diener, und er ist mein Vater. Erlaube mir, daß ich ihn bitte, dir zu antworten.«

Der König, wild, hilflos und drängend, schaute von Jehuda auf Doña Raquel, von Doña Raquel auf Jehuda. Was erdreisteten sich diese beiden? Stand er nicht hier wie ein lästig Bittender?

Aber da sagte schon Don Jehuda: »Vergönne uns Zeit, Herr König, daß wir die Worte finden für gebührende Antwort und ehrerbietigen Dank.« Raquel, auf dem Heimweg, war in der Sänfte, Jehuda ritt neben ihr. Sie wartete darauf, daß der Vater ihr ausdeute, was sie erlebt hatten. Was er sagt und beschließt, wird das Rechte sein.

Es hatte sie damals im Castillo Ibn Esra verstört, als der König sie auf so »ungewöhnliche« Art einlud. Es hatte sie beruhigt, daß dann nichts weiter geschah; ein wenig freilich auch enttäuscht. Die neue Einladung Don Alfonsos hatte sie mit neuer Erwartung erfüllt, mit einer nicht unangenehmen Beklemmung. Was sich aber jetzt ereignete, seine dreiste, ungestüme, herrische Forderung, kam ihr als ein Schlag. Da war nichts mehr von Courtoisie. Dieser Mann wollte sie umarmen, sie mit seinem frechen, nackten Munde küssen, ihr beiliegen. Und er bat nicht, er herrschte sie an: sic volo!

In Sevilla hatten des öfteren moslemische Ritter und Dichter mit Raquel galante Gespräche geführt; sowie sich aber die Worte ins Verfängliche wagten, war Raquel scheu geworden und hatte sich zugesperrt. Auch wenn die Damen unter sich von den Arten der Liebe und der Wollust schwatzten, hatte sie nur verlegen und mit Unlust zugehört; sogar mit ihrer Freundin Layla hatte sie von solchen Dingen nur in halben Worten geredet. Anders war es, wenn Verse der Dichter davon kündeten, wie Männer und Frauen durch die Leidenschaft der Liebe ihres Verstandes beraubt wurden, oder wenn Märchenerzähler geschlossenen Auges und verzückter Miene davon erzählten; dann wohl hatte Raquel in ihrem Innern brennende, verwirrende Bilder gesehen.

Auch die christlichen Ritter sprachen viel von der Liebe, von der »Minne«. Aber das waren leere, übertriebene Reden, es war Courtoisie, und ihre Liebesverse hatten etwas Steifes, Gefrorenes, Unwirkliches. Manchmal kam ihr wohl die Vorstellung, wie es wäre, wenn einer dieser in Eisen oder in schweren Brokat gekleideten Herren die Umhüllung abwürfe und einen umarmte. Es war eine Vorstellung, die ihr das Atmen schwer machte, aber gleich wieder erschien ihr alles lächerlich, und in diesem Lächerlichen verschwand das kitzelnd Verfängliche.

Und da war nun dieser König. Sie sah seinen nackten, rasierten Mund inmitten des rotblonden Bartes, sie sah seine hellen, wilden Augen. Sie hörte, wie er sagte, nicht laut und trotzdem so, daß einem Ohr und Herz dröhnten: Ich will es! Sie war nicht feig, doch seine Stimme hatte ihr Furcht gemacht. Aber nicht nur Furcht. Sie ging einem durch und durch, seine Stimme. Er befahl, und das war seine Art von Courtoisie, und wenn es keine zarte, edle Art war, so war sie doch sehr männlich und bestimmt nicht lächerlich.

Und nun hatte er ihr befohlen: Liebe mich, und sie war erschüttert bis ins Herz ihres Herzens. Sie war der Dritte Bruder, da er vor der Höhle stand und nicht wußte, ob er aus dem hellen, sichern Tag in das mattgoldene Dämmer gehen sollte; in der Höhle war der Fürst der guten Geister, aber es war dort auch der Tod, der Vernichter aller Dinge, und wen wird der Dritte Bruder dort finden?

Ihr Vater ritt neben ihr, gelassenen Gesichtes. Wie gut, daß sie ihren Vater hatte. Das Wort des Königs machte, daß sie nun ihr Leben ein zweites Mal von Grund auf wird ändern müssen. Der zu entscheiden hatte, war der Vater. Seine körperliche Nähe, sein freundlich aufmerksames Auge gab ihr Sicherheit.

Don Jehuda aber, trotz seines ruhigen Gesichtes, war selber in einem Wirbel streitender Gedanken und Spürungen.

Raquel, seine Raquel, seine Tochter Raquel, die zarte, kluge, blumenhafte, die sollte er diesem Menschen preisgeben!

Don Jehuda war in islamischem Land groß geworden, wo Brauch und Gesetz es dem Manne gestatteten, mehrere Frauen zu haben. Die Nebenfrau genoß viele Rechte, eines großen Herrn Nebenfrau genoß wohl auch Ansehen. Aber niemand wäre auf den Einfall gekommen, ein Mann vom Range des Kaufmanns Ibrahim könnte seine Tochter irgendwem zur Nebenfrau geben, und sei es dem Emir.

Don Jehuda selber hatte niemals eine Frau geliebt außer Raquels Mutter, die ein Unglücksfall, ein dummer Zufall, getötet hatte, sehr bald nachdem sie den Knaben Alazar gebar. Aber Don Jehuda war ein begehrlicher Mann, er hatte noch zu ihren Lebzeiten andere Frauen gehabt, und nach ihrem Tode viele; Raquel indes und Alazar hatte er diesen Frauen ferngehalten. Er hatte sich ergötzt mit Tänzerinnen aus Kairo und aus Bagdad, mit Huren aus Cádiz, die berühmt waren um ihrer Künste willen; oft aber hernach hatte er Überdruß gespürt, und immer hatte er in fließendem Wasser gebadet, ehe er wieder vor das reine Gesicht seiner Tochter trat. Er konnte seine Raquel nicht dem rohen, rothaarigen Barbaren ausliefern, daß er sie beschlafe.

Der Ruhm der Ibn Esras war, daß sie mehr zum Heil ihres Volkes getan hatten als irgendein anderes Geschlecht der sephardischen Juden, und wenn es um das Heil Israels ging, dann hatten diese Stolzen auch Demütigungen auf sich genommen. Aber es war ein anderes, sich selber, ein anderes, die Tochter zu erniedrigen.

Jehuda wußte, dieser Alfonso duldete keinen Widerspruch. Er hatte nur die Wahl, ihm seine Tochter auszuliefern oder zu fliehen. Sehr weit fort zu fliehen, fort aus allen Ländern der Christenheit; denn überall würde die Leidenschaft des Alfonso ihn und sein Kind erreichen. Er mußte in ein fernes, östliches, moslemisches Land gehen, wo unterm Schutz des Saladin die Juden noch sicher saßen. Er mußte seine Kinder nehmen und fliehen, nackt und bloß, überdeckt nur mit Schulden; denn was er besaß, war festgelegt in den Ländern des Alfonso. Flüchtig und elend, so wie dieser Rabbi Tobia zu ihm kam, wird dann er nach Kassr-esch-Schama kommen, zu den reichen und mächtigen Juden Kairos.

Aber selbst wenn er seinen Stolz aus dem Herzen riß und sein Inneres bereitete, Zusammenbruch, Armut und Exil auf sich zu nehmen: durfte er’s? Wenn er sein Kind vor der schimpflichen Vermischung rettete, dann wird sich Alfonsos Zorn gegen alle Juden kehren. Die Juden von Toledo werden den Brüdern in Francien nicht, sie werden sich selber nicht helfen können. Alfonso wird den Saladins-Zehnten dem Erzbischof übertragen und der Aljama ihre Rechte nehmen. Und sie werden sprechen: »Jehuda, dieser Meschummad, hat uns zugrunde gerichtet.« Und sie werden sprechen: »Ein Ibn Esra hat uns errettet, dieser Ibn Esra hat uns zugrunde gerichtet.«

Was sollte er tun?

Und Raquel wartete. Er spürte leibhaft, wie das Mädchen in der Sänfte neben ihm wartete. In seinem Herzen betete er das Gebet des großen Elends: O Allah, ich suche deine Hilfe in Not und Verzweiflung. Errette mich aus meiner Schwäche und Unschlüssigkeit. Hilf mir aus meiner eigenen Feigheit und Gemeinheit. Hilf mir aus der Unterdrückung der Menschen.

Dann sagte er: »Es ist uns eine schwere Entscheidung auferlegt, meine Tochter. Ich muß mit mir selber beraten, bevor ich mit dir rede.«

Raquel antwortete: »Wie du befiehlst, mein Vater.« Und in ihrem Innern sagte sie: Es wird gut sein, wenn du beschließest zu gehen, und es wird gut sein, wenn du beschließest zu bleiben. In früher Nacht saß Don Jehuda allein in seiner Bibliothek im milden Lampenlicht und las in der Heiligen Schrift.

Las die Geschichte von der Opferung Isaaks. Gott rief: Abraham, und er antwortete: Hier bin ich, und bereitete sich, seinen einzigen geliebten Sohn zum Opfer zu schlachten.

Jehuda bedachte, wie ihm sein Sohn Alazar mehr und mehr entfremdet wurde. Diesen nämlich zog das ritterliche Wesen in der Königsburg übermächtig an, und er wandte sich ab von jüdischer und arabischer Weisheit und Sitte. Wohl ließen die andern Edelknaben den Judenjungen spüren, daß er ein Eindringling sei; doch es schien, als ob sein Verlangen, sich ihnen anzugleichen, durch ihren Widerstand nur wachse, und er fühlte sich gestützt durch die offenbare Gunst des Königs.

Es war genug, daß dieser Mann Alfonso ihm den Sohn wegnahm. Er sollte ihm nicht auch die Tochter wegnehmen. Jehuda konnte sich sein Haus nicht vorstellen ohne die kluge, heitere Gegenwart Raquels.

Und er rollte ein anderes Buch der Schrift auf und las von Jefta, welcher der Sohn eines Buhlweibes war und ein Räuber, den aber in ihrer Not die Kinder Israels zu ihrem Obersten und Richter machten. Und bevor er auszog gegen die Feinde, die Söhne Ammons, tat er ein Gelübde und sprach: Wenn du die Söhne Ammons in meine Hand gibst, Adonai, so soll dasjenige, was mir aus den Türen meines Hauses entgegenkommt, wenn ich heil zurückkehre, dir gehören, und ich will es darbringen als Opfer. Und als er gesiegt hatte über die Söhne Ammons, kam er zurück in sein Haus, und siehe, seine Tochter kam heraus ihm entgegen mit Pauken und im Reigen, und er hatte außer ihr keinen Sohn noch Tochter. Und es geschah, wie er sie sah, zerriß er seine Kleider und sprach: Ach meine Tochter, wie beugst du mich ins Unglück und bist unter meinen Verderbern. Und er tat nach seinem Gelübde, das er gelobt hatte.

Und Jehuda sah vor sich das dünne, blasse, düstere, erloschene Gesicht des Rabbi Tobia, und er hörte seine marklose und doch so eindringliche Stimme erzählen, wie da in fränkischen Gemeinden Vater den Sohn und Bräutigam die Braut geopfert hatte um des erhabenen Namens willen.

Was von ihm verlangt wurde, war ein anderes. Es war leichter und es war schwerer, die Tochter der Wollust dieses Christenkönigs preiszugeben.

Am nächsten Morgen ging Don Jehuda zu seinem Freunde Musa und sagte ihm ohne Umschweife: »Dieser Christenkönig will meine Tochter haben, um mit ihr zu schlafen. Er möchte ihr das Lustschloß La Galiana schenken, das er sich von mir hat bauen lassen. Ich muß fliehen, oder ich muß sie ihm ausliefern. Wenn ich fliehe, bedrängt er alle Juden, die in seiner Macht sind, und verloren ist die Zuflucht der vielen, die da verfolgt werden in den Ländern des Königs von Francien.«

Musa sah das Gesicht des andern und sah, daß er verstört war; denn vor seinem Freunde ließ Jehuda die Maske fallen. Und Musa sagte sich: Er hat recht. Wenn er sich nicht fügt, dann sind nicht nur er und sein Kind bedroht, auch ich bin es, und die Juden von Toledo sind es, und dieser fromme und weise und merkwürdig närrische Rabbi Tobia ist es, und alle diejenigen sind es, für welche Tobia spricht, und es sind sehr viele. Auch wird wohl wirklich, wenn Jehuda nicht mehr unter den Räten des Königs ist, der große Krieg früher ausbrechen.

Und Musa sagte sich: Er liebt seine Tochter und möchte ihr keinen Rat geben, der ihr nicht zum Heil ist, und schon gar nicht möchte er sie zwingen. Aber er will, daß sie bleibt und sich dem Manne fügt. Er macht sich vor, er stehe vor einer schweren Wahl, aber er hat sich längst entschieden, er will bleiben, er will nicht hinaus in Armut und Elend. Wenn er nicht bleiben wollte, dann hätte er sogleich gesagt: Wir müssen fliehen. Auch ich möchte bleiben, auch ich möchte sehr ungern ein zweites Mal hinaus in Armut und Exil.

Musa teilte die Anschauungen der Moslems über Liebe und Lust. Die verfeinerte, vergeistigte »Minne« der christlichen Ritter und Sänger schien ihm Einbildung, Wahn; die Liebe der arabischen Dichter war greifbar, wesenhaft. Auch ihre jungen Männer starben vor Liebe, und ihre Mädchen schwanden hin vor Sehnsucht nach dem Geliebten; aber es war kein Unglück, wenn der Mann auch eine andere Frau beschlief. Liebe war eine Angelegenheit der Sinne, nicht des Geistes. Groß waren die Freuden der Liebe, aber es waren dumpfe Freuden, nicht vergleichbar der hellen Seligkeit der Forschung und Erkenntnis.

In seinem Innersten wußte wohl auch sein Freund Jehuda, daß das Opfer, welches von Raquel verlangt wurde, so ungeheuerlich nicht war. Aber wenn Musa ihm nicht klug zuredete, dann wird er, um vor sich selber und vor den andern mit seiner Seele und seiner Sendung zu prahlen, schließlich doch das Falsche tun und sich aus Toledo fortmachen zum »Heil« seiner Tochter. Wahrscheinlich aber ihr keineswegs zum Heil. Denn was erwartete sie, wenn sie nicht dieses Königs Nebenfrau wird? Wenn es gut ging, verheiratete sie Jehuda dem Sohn irgendeines Steuerpächters oder reichen Mannes. War es da nicht besser, sie hatte starke Freuden und Schmerzen, ein großes Schicksal statt eines mittelmäßig blassen? Von der Wand mahnte der arabische Spruch: »Such nicht das Abenteuer, doch geh ihm nicht aus dem Wege.« Raquel war ihres Vaters Kind; wenn sie zu wählen hatte zwischen einem braven, blassen Schicksal und einem ungewissen, verfänglichen, leuchtenden, dann wählte sie das verfängliche.

Er sagte: »Frage sie, Jehuda. Frage dein Kind.« Jehuda sagte ungläubig: »Ich soll die Entscheidung dem Mädchen zuschieben? Sie ist klug, aber was weiß sie von der Welt? Und sie soll entscheiden über das Schicksal von Tausenden und aber Tausenden?«

Musa antwortete klar und sachlich: »Frage sie, ob ihr dieser Mann ein Abscheu ist. Wenn nicht, dann bleibe. Du selber hast gesagt, wenn du mit ihr fliehst, dann kommt Böses über sehr viele.«

Jehuda, zornig und finster, erwiderte: »Und ich soll die Wohlfahrt der vielen bezahlen mit der Hurerei meiner Tochter?«

Musa sagte sich: Da steht er, ehrlich entrüstet, und will, daß ich ihm seine Entrüstung ausrede und seine Moral widerlege. In der Seele ist er entschlossen, zu bleiben. Er muß tun, es treibt ihn, zu tun, es ist ihm nicht wohl, wenn er nicht tut. Und sich regen, so wie er’s will, kann er nur, wenn er Macht hat. Und Macht hat er nur, wenn er bleibt. Vielleicht sogar, aber er gesteht sich’s nicht ein, hält er’s für ein Glück, daß dieser König das Mädchen begehrt, und träumt schon davon, wie er aus der Geilheit des Mannes großen Segen zieht und Blüte für Kastilien und für seine Juden und Macht für sich selber. Musa betrachtete den Freund bitter amüsiert.

»Wie du stürmst«, antwortete er. »Von Hurerei sprichst du. Wenn dieser König unsere Raquel zu seiner Hure machen wollte, käme er heimlich mit ihr zusammen. Statt dessen setzt er sie nach La Galiana, er, der christliche König, die Jüdin, jetzt, im Heiligen Krieg.«

Die Worte des Freundes rührten Jehuda an. Als er Aug in Aug mit dem König gestanden war, hatte er Haß und Zorn gespürt vor der Wildheit und Roheit des Mannes, aber auch eine feindselige Achtung vor seinem Stolz und seinem riesenstarken Willen. Musa hatte recht: solch erschreckend starker Wille war mehr als geiles Gelüst.

»Nebenfrauen zu haben, ist in diesem Lande nicht der Brauch«, sagte ohne Schwung Jehuda.

»So wird der König den Brauch eben einführen«, antwortete Musa.

»Meine Tochter soll keines Mannes Nebenfrau sein, auch nicht eines Königs«, sagte Jehuda.

Musa gab zu bedenken: »Nebenfrauen der Urväter wurden zu Müttern eurer Stämme. Und wie ist es mit Hagar, der Nebenfrau Abrahams? Sie gebar einen Sohn, der zum Stammvater des mächtigsten Volkes der Welt wurde, und sein Name war Ismael.« Und da Jehuda schwieg, riet er nochmals und dringlich: »Frage dein Kind, ob ihr dieser Mann ein Abscheu ist.«

Jehuda dankte dem Freund und verließ ihn.

Und ging hin und rief seine Tochter und sprach: »Prüfe dein Herz, mein Kind, und rede offen zu mir. Wird dir dieser König, wenn er in La Galiana zu dir kommt, ein Abscheu sein? Wenn du sagst: ›Dieser Mann ist mir ein Abscheu‹, dann nehme ich dich bei der Hand und rufe deinen Bruder Alazar, und wir machen uns fort und ziehen über die nördlichen Berge ins Land des Grafen von Toulouse und von da weiter durch viele Länder in das Reich des Sultans Saladin. Mag dann der Mann hier wüten, und mag dann Unglück kommen über Tausende.«

Raquel fühlte in ihrem Innern stolze Demut und wilde Neugier. Sie war glücklich, auserwählt zu sein wie ihr Vater, ein Instrument Allahs, und sie war voll von einer fast unerträglichen Erwartung.

Sie sagte: »Dieser König ist mir kein Abscheu, mein Vater.«

Jehuda mahnte: »Bedenke es gut, meine Tochter. Vielleicht kommt viel Dunkles auf dein Haupt aus deinen Worten.« Doña Raquel aber wiederholte: »Nein, mein Vater, dieser König ist mir kein Abscheu.« Nachdem sie aber so gesprochen hatte, fiel sie um, in Ohnmacht.

Jehuda erschrak tief. Er sagte ihr Koranverse ins Ohr, er rief die Amme Sa’ad und die Zofe Fátima, sie ins Bett zu bringen, er rief Musa, den Arzt.

Als aber Musa kam, sie zu betreuen, lag sie in stillem, tiefem, sichtlich gesundem Schlaf. Nachdem der Entschluß einmal gefaßt war, wichen die Zweifel von Jehuda, und er verspürte Zuversicht, er werde nun alle seine Pläne durchführen können. Eine so heitere Kühnheit strahlte von seinem Gesicht, daß Rabbi Tobia mit Augen des Vorwurfs und Kummers auf ihn sah. Wie konnte ein Sohn Israels so fröhlich sein in dieser Zeit des Leidens! Jehuda aber sagte zu ihm: »Stärke dein Herz, mein Lehrer und Herr, es wird nicht mehr lange dauern, und ich werde dir frohe Botschaft sagen für unsere Brüder.«

Doña Raquel ihresteils ging herum bald leuchtenden Gesichtes, bald tief nachdenklich und zugesperrt, immer in Erwartung. Die Amme Sa’ad drängte in sie, ihr zu sagen, was es gebe, aber sie sagte ihr nichts, und die Alte war gekränkt. Raquel schlief gut in dieser Zeit, doch dauerte es lange, ehe sie einschlafen konnte, und wenn sie auf den Schlaf wartete, dann hörte sie wohl ihre Freundin Layla, wie sie sagte: Du Arme, und sie hörte Don Alfonso, wie er befahl: Ich will es. Aber Layla war ein dummes kleines Mädchen, und Don Alfonso war ein weitberühmter Fürst und Herr.

Am dritten Tage sagte Don Jehuda: »Ich werde jetzt dem König unsere Antwort melden, meine Tochter.« – »Darf ich meinem Vater einen Wunsch aussprechen?« fragte Raquel. »Sage deinen Wunsch«, erwiderte Don Jehuda. »Dann wünsche ich mir«, sagte Raquel, »daß, bevor ich nach La Galiana gehe, an den Wänden Inschriften angebracht werden, die mich zur rechten Zeit an das Rechte mahnen. Und ich bitte dich, mein Vater, die Inschriften auszuwählen.« Raquels Wunsch bewegte Jehuda. »Aber«, gab er zu bedenken, »es wird einen Monat dauern, ehe die Friese mit den Inschriften fertig sind.« Doña Raquel, mit einem trüb und fröhlichen Lächeln, antwortete: »Gerade das habe ich bedacht, mein Vater. Gönne mir, bitte, diese Zeit, noch bei dir zu bleiben.«

Don Jehuda nahm sie in die Arme, er drückte ihr Gesicht an seine Brust, daß er’s von oben sehen konnte, und siehe, es war voll von der gleichen verzweifelten und beglückten Spannung, die ihn selber füllte. Ein feierlicher Zug, geführt von Don Jehudas Sekretär Ibn Omar, verließ das Castillo Ibn Esra. Männer und Maultiere trugen Schätze aller Art, wunderbare Teppiche, kostbare Vasen, herrlich gearbeitete Schwerter und Dolche, edelstes Gewürz; auch zwei Vollblutpferde waren in dem Zug, und drei Krüge wurden mitgeführt, gefüllt mit Goldmaravedí. Der Zug ging über den Marktplatz, den Zocodovér, hinauf zur Königsburg. Die Leute gafften und begriffen: es war eine Geschenk-Karawane.

In der Burg meldete der diensttuende Kämmerer dem König: »Die Sendung ist da.« Alfonso, verblüfft, fragte: »Was für eine Sendung?« Fast töricht vor Staunen schaute er zu, wie die Schätze ins Innere getragen wurden. Die Geschenke des Ibn Esra sollten offenbar die Antwort auf sein Verlangen sein; der Jude gab sie ihm, wie die Ungläubigen es liebten, in einem Gleichnis. Aber der Jude blieb dunkel wie so oft, sein Gleichnis war zu fein, Don Alfonso verstand es nicht.

Er ließ den Ibn Esra rufen. »Wozu schickst du mir den goldenen Plunder?« herrschte er ihn an. »Willst du mich bestechen für deine Beschnittenen? Willst du mir den Heiligen Krieg abkaufen? Oder was sonst für einen tückischen Verrat mutest du mir zu? Es ist eine höllische Frechheit!«

»Verzeih deinem Diener, Don Alfonso«, antwortete unbewegt Jehuda, »wenn er deinen Zorn nicht begreift. Du hast mir Unwürdigem und meiner Tochter ein überreiches Geschenk geboten. Es ist bei uns Sitte, Gabe mit Gabe zu erwidern. Ich habe mich bemüht, aus meinem Besitz das Schönste auszusuchen, daß es Gnade finde vor deinen Augen.« Alfonso erwiderte ungeduldig: »Warum sprichst du so umwegig, Mensch? Sag es so, daß ein Christ und Ritter es versteht: Kommt deine Tochter nach La Galiana?«

Er stand dem Juden ganz nahe und warf ihm seine Worte ins Gesicht. Würgend lag um Jehuda die Schmach. Aussprechen soll ich es auch noch, dachte er, mit dürren Worten zustimmen soll ich, daß sich mein Kind zu diesem Menschen ins Bett legt, während seine Königin fern und unerreichbar hoch in ihrem kalten Burgos wohnt. Mit eigenen Lippen soll ich die Worte des Schmutzes und der Erniedrigung heraussagen, ich, Jehuda Ibn Esra. Aber er soll’s mir zahlen, dieser Zügellose. Mit guten Werken gegen seinen Willen soll er’s zahlen!

In Alfonso dachte es: Ich brenne. Ich vergehe. Wann wird er endlich sprechen, der Hund? Wie er mich anschaut! Man könnte Angst bekommen, wie er einen anschaut.

Da neigte sich schon Jehuda. Er neigte sich tief, er berührte mit einer Hand den Boden und sagte: »Meine Tochter wird in La Galiana wohnen, Herr König, da du es so wünschest.«

Don Alfonso vergaß alle Wut. Ein großes, jungenhaftes Entzücken ging über sein breites Gesicht und machte es ganz hell. »Das ist herrlich, Don Jehuda!« rief er. »Das ist ein wunderbarer Tag!« So kindhaft aufrichtig war seine Freude, daß sie Jehuda fast versöhnte.

Er sagte: »Nur eine Bitte hat meine Tochter: daß die Friese des Hauses La Galiana die rechten Inschriften tragen, bevor sie es von neuem betritt.«

Don Alfonso, sogleich wieder mißtrauisch, fragte: »Was soll das nun wieder? Wollt ihr mich betrügen mit schlauen Vorwänden?«

Don Jehuda dachte bitter an den Stammvater Jakob, der sieben Jahre um Rahel hatte dienen müssen, und nochmals sieben Jahre, und dieser Mensch wollte keine sieben Wochen warten. Er sagte ehrlich und voll Schmerz: »Listen und Ränke sind meinem Kinde fern, Don Alfonso. Wolle es, bitte, begreifen, daß Doña Raquel danach verlangt, noch eine kleine Weile in der Hut ihres Vaters zu bleiben, ehe sie die neue Straße geht. Wolle es, bitte, begreifen, daß sie danach verlangt, Worte vertrauter Weisheit zu finden an der neuen, nicht unverfänglichen Stätte.«

Alfonso, mit heiserer Stimme, fragte: »Wie lange wird das dauern mit den Inschriften?« Jehuda antwortete: »In weniger als zwei Monaten wird meine Tochter in La Galiana sein.«

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