9

An den Hüften zusammengefesselt, rangen wir im Gras des Thingplatzes miteinander.

Sein Körper entglitt meinen Händen. Ich spürte, wie mein rechtes Handgelenk an der Schläfe vorbei zurückgebogen wurde. Er grunzte. Er war sehr kräftig. Er war Ketil von Blue Tooths großem Hof, ein Champion Torvaldslands.

Ich wurde noch weiter zurückgebogen; ich wehrte mich nach besten Kräften, das rechte Bein zurückgestemmt.

Ringsum brüllten die Männer. Ich hörte, wie sie Wetten abschlossen und Mutmaßungen über den Ausgang des Kampfes äußerten.

Begleitet von anfeuernden Rufen begann sich mein rechtes Handgelenk zu heben und zu strecken; mein Arm war nun gerade vorgestreckt. Zentimeterweise senkte ich ihn dem Boden zu; wenn Ketil seinen Griff beibehielt, war er gezwungen, vor mir niederzuknien. Mit einem Wutschrei ließ er mein Handgelenk los. Das Seil zwischen uns, das einen Meter lang war, straffte sich. Erstaunt und wachsam starrte er mich an.

Ich hörte, wie Hände gegen die linke Schulter geschlagen wurden, wie Waffen auf Schilde klapperten.

Plötzlich zuckte die Faust des Champions unter dem Seil durch. Ich fing den Schlag mit der Seite meines linken Schenkels ab. Die Zuschauer stimmten ein Wutgebrüll an.

Daraufhin packte ich den rechten Arm des Champions – das Handgelenk in der rechten Hand, meine linke Hand um seinen Oberarm gespannt – ich hob den Arm und drehte ihn, so daß die Handfläche oben lag. Dann brach ich ihm den Arm über meinem rechten Knie. Ich hatte genug von dem Kerl.

Ich löste das Seil von meiner Hüfte und warf es zu Boden. Stöhnend kniete Ketil im Gras, und Tränen der Wut und des Schmerzes liefen ihm übers Gesicht. Zuschauer klopften mir auf die Schultern.

Als ich kehrtmachte, fiel mein Blick auf Forkbeard. Sein Haar war feucht. Er trocknete sich gerade mit einem Umhang ab.

»Sei gegrüßt, Thorgeir vom Axtgletscher«, sagte ich.

»Sei gegrüßt, Rothaar«, erwiderte er.

Der Axtgletscher, der sich zwischen zwei riesigen Felsformationen hindurchschob und dabei die Form einer Axt angenommen hatte, lag im hohen Norden. Die Männer aus der Gegend des Axt gletschers fangen Wale und jagen Schnee-Sleen. Landwirtschaft ist so hoch im Norden nicht mehr möglich. Thorgeir war natürlich zufällig der einzige Teilnehmer bei den Thing-Wettbewerben, der aus diesem fernen Distrikt kam.

»Wie war das Schwimmen?« fragte ich.

»Der Talmit gehört mir!« rief er.

Ein Talmit ist ein Stirnband, das im hohen Norden getragen wird. Dabei haben die Bänder eine besondere Bedeutung – sie dienen zur Kennzeichnung von Offizieren oder Jarls oder Rechtsgelehrten. Die einzelnen Bezirke haben verschiedene Talmitstile, die sich in Muster und Material unterscheiden. Daß Thorgeir vom Axtgletscher den Schwimmwettbewerb gewonnen hatte, mußte den anderen Teilnehmern seltsam vorgekommen sein, denn bei den Temperaturen im hohen Norden führte ein Aufenthalt im Wasser in kürzester Zeit zum Tod.

Manchmal glaubte ich, daß Forkbeard verrückt war. Sein Humor mochte uns alle noch das Leben kosten. Wahrscheinlich gab es keinen einzigen Torvaldsländer beim Thing, der ihn wirklich für einen Mann vom Axtgletscher hielt. Ihm fehlten die schrägen Lider, die die Augen der Menschen im Norden vor der extremen Kälte schützen; außerdem war er viel zu groß, und seine Hautfarbe entsprach nicht der des hohen Nordens. Nur ein Verrückter hätte ernsthaft glauben können, daß er aus der Gegend des Axtgletschers kam. Es hatte viele Mutmaßungen über die wahre Identität des glattrasierten Kämpfers gegeben, der sich Thorgeir nannte.

Vor dem Schwimmwettbewerb hatte er schon das ›Stangensteigen‹ gewonnen, bei dem man einen hohen Holzmast aufentern mußte. Er hatte im ›Schluchtsprung‹ gewonnen, in Wirklichkeit eine Art Weitsprung; er hatte das ›Ruderschreiten‹ für sich entschieden, wobei er auf einem langen Stamm balancieren mußte, und schließlich war er Sieger im Speerwurf für Weite und Zielgenauigkeit. So hatte er also mit seinem Sieg im Schwimmen sechs Talmits eingeheimst.

Beim Singen war er weniger erfolgreich gewesen, obwohl er sich viel auf seine Singstimme einbildete; er war der Meinung, die Preisrichter hätten in diesem Fall gegen ihn entschieden; ebensowenig setzte er sich im Dichterwettstreit und bei den Reimspielen durch. »Ich bin eben kein Skalde«, hatte er mir später erklärt. Besser bewährte er sich beim Rätselraten, doch für einen der ersten Plätze reichte es nicht.

Trotz seiner verschiedenen Niederlagen hatte er – sogar nach seiner eigenen bescheidenen Meinung – bei den Wettbewerben ziemlich gut abgeschnitten, und war entsprechend guter Laune.

Den problematischsten Zwischenfall hatte es wahrscheinlich bei einem der Schlagballspiele gegeben; bei diesem Wettbewerb stehen sich auf jeder Seite zwei Männer gegenüber, und das Spiel geht darum, den Ball aus den Händen des anderen Teams zu halten; kein Spieler darf den Ball länger als zwanzig Zähleinheiten des Schiedsrichters halten; er darf ihn allerdings in die Luft werfen, wenn auch nur senkrecht, und ihn wieder auffangen; der Ball kann auch dem Partner zugeworfen oder ihm mit dem Schläger zugespielt werden. Dieser Schläger verleiht dem Ball natürlich eine ungeheure Geschwindigkeit; es handelt sich um einen schweren Holzknüppel, und der Ball, der etwa fünf Zentimeter Durchmesser hat, besteht ebenfalls aus hartem Holz. Ich war froh, daß ich mit dieser Sportart nichts zu tun hatte. Kurz nach dem ersten Anschlag wurde Gorm, der als Ivars Partner spielte, von dem Ball so hart getroffen, daß er ohnmächtig wurde, was wohl zu den üblen Tricks dieses Spiels gehört, da es sehr schwierig ist, sich vor einein Ball zu schützen, der hart aus knapper Entfernung geschlagen wird. In diesem Augenblick sah es für Ivar sehr ungünstig aus – bis sich einer seiner Gegner das Bein brach. Der Kampf wurde unentschieden abgebrochen. Anschließend bat mich Ivar, als sein Partner zu spielen, doch ich lehnte ab. »Schon gut«, sagte Ivar, »sogar der Mutigste darf ein Schlagballspiel ausschlagen.« Die Torvaldsländer kennen verschiedene Ballspiele, einige mit Schlägern oder Paddeln; ein Spiel findet im Winter auf glattem Eis statt und hat eine entfernte Verwandtschaft zum irdischen Eishockey. Es hat in Torvaldsland Tradition, und nach den Legenden war Torvald selbst ein geschickter Spieler.

Ivar Forkbeard – oder Thorgeir vom Axtgletscher, wie er sich nannte- hatte insgesamt sechs Talmits gewonnen, worüber er sich sehr freute.

Am Morgen des folgenden Tages sollten die Talmits durch Svein Blue Tooth persönlich überreicht werden.

»Heute nachmittag«, sagte Ivar Forkbeard, »wollen wir ein wenig herumschlendern.«

Das schien mir keine schlechte Idee zu sein – allerdings hätte ich noch einen besseren Vorschlag gehabt: um unser Leben zu rennen.

Denn am Morgen des nächsten Tages mochten wir uns in einem Kessel voller kochendem Tharlarionöl befinden.

Kurz darauf folgte ich Forkbeard zusammen mit einigen Männern durch die Menschenmassen der Thingwettbewerbe. An meiner Seite schwang das Kurzschwert, auch hatte ich den Langbogen und einen Köcher mit Pfeilen mitgenommen.

Forkbeard und seine Leute waren ebenfalls bewaffnet. Privatkämpfe sind während des Thing natürlich verboten – aber wer will einem Torvaldsländer verbieten, seine Waffen mitzunehmen?

Der Mann des Nordens verläßt sein Haus niemals ohne Bewaffnung – und auch innerhalb seines Zuhauses sind die Waffen stets in Reichweite – gewöhnlich hängen sie an der Wand hinter seiner Lagerstatt.

Die meisten Besucher des Thing waren freie Bauern – blond, blauäugig und stolz, Männer mit kräftigen Armen und Beinen und schwieligen Händen; viele trugen ihre Haare in Zöpfen und waren geschmückt mit den Talmits ihrer Bezirke; für das Thing hatten sie die beste Kleidung angelegt, dicke Wolljacken, die mit Wasser und Boskurin geschrubbt worden waren, dessen Ammoniak als Reinigungsstoff dient; alle waren bewaffnet, gewöhnlich mit Axt oder Schwert; einige trugen Helme; andere hatten sie mit ihren Schilden auf den Rücken gebunden. Am Thing muß jeder freie Mann teilnehmen, es sei denn, er bestellt seinen Hof allein und kann das Land nicht verlassen. Beim Thing muß jeder Bauer den Offizieren seines Jarls Helm, Schild und Schwert, Axt oder Speer in gutem Zustand vorweisen. Jeder Mann, wenn er nicht unmittelbar dem Jarl dient, ist für den Zustand seiner Ausrüstung und Waffen verantwortlich. Die Söldner in den Diensten der Jarls werden natürlich aus den Beständen des Jarls ausgerüstet – soweit das bei Torvaldsländern überhaupt noch erforderlich ist; wird die Waffe eines Söldners im Kampf aber beschädigt oder geht sie verloren – etwa im Körper eines Feindes, der über Bord fällt –, stellt der Jarl natürlich Ersatz; bei den freien Bauern ist er für solche Dinge dagegen nicht verantwortlich. Die Bauern, die am Thing nicht teilnehmen, weil sie auf ihren Höfen allein sind, müssen natürlich trotzdem die Vorschriften hinsichtlich der Bewaffnung beachten; einmal im Jahr müssen sie ihre Waffen einem Offizier des Jarls vorweisen, der zu diesem Zweck die Distrikte bereist. Wenn der Kriegspfeil herumgeschickt wird, müssen sofort alle freien Männer zu den Waffen eilen; in einem solchen Fall kann der Hof darunter leiden, und seine Gefährtin und die Kinder sind in Gefahr, eine schwere Zeit durchzumachen; wenn er seine Familie verläßt, sagt der Bauer einfach: »Der Kriegspfeil ist in mein Haus getragen worden.«

Wir sahen auch viele Häuptlinge und Kapitäne und untere Jarls in der Menge, jeder mit seiner Gefolgschaft. Diese hochstehenden Männer waren kostbar gekleidet und bewaffnet und trugen prunkvolle Helme und goldverzierte Äxte. Die Umhänge waren gewöhnlich lang und ausgestellt und von roter Farbe, und sie waren so geschnitten, daß der rechte Arm, der Schwertarm, frei und unbehindert bewegt werden konnte.

Auch ihre Begleiter trugen zumeist auffällige Umhänge und Armbänder aus Gold und Silber.

In der Menge befanden sich auch viele Sklavinnen, die zum Thing mitgebracht worden waren, im allgemeinen von Kapitänen und Jarls. Es ist nicht ungewöhnlich, daß sich die Männer von Sklavinnen begleiten lassen, zum eigenen Vergnügen oder zum Beweis des eigenen Reichtums, vielfach aber auch, um sie zu verkaufen.

Auch Forkbeard hatte einige Mädchen mitgebracht, die uns mit blitzenden Augen folgten. Die Teilnahme am Thing gefiel ihnen ungemein, und sie waren sehr aufgeregt, besonders als Forkbeard ihnen an einem Stand Honigkuchen kaufte, den sie gierig verschlangen.

Forkbeard war in bester Stimmung. Nur eine der Sklavinnen schien keinen Spaß an unserem Ausflug zu haben. Sie hieß Dagmar. Um ihren Hals lag eine Fessel, die Thyri in der Hand hielt. Die Hände waren ihr auf dem Rücken gefesselt. Sie war zum Thing gebracht worden, um verkauft zu werden.

»Beobachten wir die Duelle«, schlug Forkbeard vor. Durch Duelle werden in Torvaldsland viele rechtliche und persönliche Auseinandersetzungen beigelegt. Es gibt zwei Arten – das formelle und das freie Duell. Beim freien Duell sind alle Waffenarten zugelassen; es gibt auch keine Beschränkungen hinsichtlich der Taktik und Abwehr. Beim Thing waren einige Felder für solche Duelle abgeteilt. Im allgemeinen werden diese Duelle auf wellenumtosten Felsenriffen im Thassa abgehalten. Zwei Männer werden dort alleingelassen; bei Anbrach der Dunkelheit fährt ein Boot hinaus, um den Überlebenden abzuholen. Das formelle Duell ist komplizierter, und ich werde nicht in allen Einzelheiten darauf eingehen. Zwei Männer treten sich gegenüber, doch jeder darf einen Schildträger mitbringen; die Kämpfer hauen aufeinander ein, und die Schläge werden von Schildträgern nach bestem Können abgewehrt. Drei Schilde darf jeder Kämpfer einsetzen; wenn die Schilde in Stücke gehackt oder sonstwie nutzlos geworden sind, zieht sich der Schildträger zurück, und der Duellant muß sich nun allein mit seinen Waffen verteidigen, wobei Schwerter mit einer bestimmten Maximallänge vorgeschrieben sind. Das Duell findet auf einer großen viereckigen Ledermatte statt, zehn Fuß im Quadrat, die auf dem Rasen festgesteckt ist; diese Matte ist von einem größeren Quadrat aus Stoff eingefaßt, dessen Ecken durch Holzpflöcke gekennzeichnet sind, zwischen denen allerdings keine Seile gespannt werden. Sobald das erste Blut den Stoff berührt, kann der Kampf bei Zustimmung der Kämpfer oder auf Entscheidung eines der beiden Schiedsrichter beendet werden; der Verlierer zahlt dem Sieger sodann einen Preis von drei silbernen Tarnscheiben; der Sieger bringt daraufhin im allgemeinen ein Opfer dar. Wenn der Sieger reich und der Kampf sehr wichtig gewesen ist, tötet er einen Bosk; wenn er arm ist oder der Kampf keinen großen Sieg darstellt, fällt das Opfer entsprechend kleiner aus. Die Duelle, besonders die formellen Duelle, dienen skrupellosen Schwertkämpfern zuweilen zur unehrenhaften Bereicherung. Unverständlicherweise kann jeder Mann durch einen Schwertkämpfer herausgefordert werden, wobei es um seinen Hof oder seine Gefährtin oder Tochter gehen kann; wird die Herausforderung nicht angenommen, ist der geforderte Preis fällig; wird der Kampf angenommen, riskiert der Herausgeforderte sein Leben zwischen den Stangen; kommt er um, fallen Hof, Gefährtin oder Tochter an den Sieger. Das Motiv hinter dieser Sitte ist wohl der Wunsch, starken, mächtigen Männern Gelegenheit zu geben, sich Land und attraktive Frauen anzueignen, und alle Besitzenden zu ermutigen, sich im Umgang mit den Waffen zu üben. Alles in allem gefiel mir diese Sitte gar nicht. Im allgemeinen dient das formelle Duell vornehmeren Zwecken – etwa der Klärung von Auseinandersetzungen über Grenzverläufe oder zur Austragung von Ehrenhändeln.

Ein Fall interessierte uns besonders. Ein junger Mann, kaum sechzehn Jahre alt, bereitete sich darauf vor, gegen einen stämmigen bärtigen Burschen in den Ring zu steigen.

»Das ist ein berühmter Champion«, flüsterte mir Ivar zu. »Bjarni aus dem Thorstein-Lager.« Das Thorstein-Lager, das sich im Süden von Torvaldsland befand, war ein Lager von Kämpfern, die etwa fünfzig Pasang weit das Land beherrschten und Tribute von den Höfen einzogen. Thorstein aus Thorsteins Lager war der Jarl. Das Lager war aus Holz erbaut und von einer Palisade umgeben und befand sich auf einer kleinen Insel in einer Bucht, die für ihren Reichtum an Parsitfischen bekannt war.

Der Preis des Duells war die Schwester des jungen Mannes, ein hübsches blondes Mädchen von vierzehn Jahren. Sie trug das Gewand einer freien Frau des Nordens. Ihre Kleidung war nicht prunkvoll, aber von schlichter Eleganz, dazu hatte sie zwei Broschen angesteckt. Sie stand aufrecht da, hatte aber den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen.

»Gib das Mädchen auf«, sagte Bjarni aus dem Thorstein-Lager zu dem Jungen. »Dann bringe ich dich nicht um.«

»Es gefällt mir nicht, daß torvaldsländer Frauen in die Sklaverei geführt werden sollen«, knurrte Ivar. »So etwas finde ich empörend.«

»Wo ist denn der Vater des Jungen?« wandte ich mich an einen Zuschauer neben mir.

»Er wurde von einer Lawine getötet«, erwiderte der Mann.

Der Junge war offenbar der Eigentümer des Hofes und damit automatisch der Herr des Hauses. So lag es an ihm, gegen eine solche Herausforderung nach besten Kräften anzutreten.

»Warum forderst du nicht gleich ein Kleinkind zum Kampf?« rief Ivar Forkbeard.

Bjarni musterte ihn mürrisch. »Ich will das Mädchen für unser Lager«, sagte er. »Ich habe keinen Streit mit Kindern.«

»Wird sie dort gebrandet und bekommt einen Kragen?« fragte Ivar.

»Das Thorstein-Lager«, erwiderte Bjarni hitzig, »braucht keine freien Frauen.«

»Sie ist Torvaldsländerin«, sagte Ivar.

»Als Sklavin ist sie bestimmt so gut wie andere.«

Ivar sah mich an. »Möchtest du mein Schildträger sein?«

Ich lächelte und ging zu dem jungen Mann, der Anstalten machte, in den Ring zu treten. Er war sehr mutig.

Ein anderer junger Mann, der etwa im gleichen Alter war und sicher vom Nachbarhof kam, sollte das Schild für ihn tragen.

»Wie heißt du?« fragte ich den Jungen.

»Hrolf«, sagte er, »aus dem Grünklippen-Fjord.«

Daraufhin nahm ich beide Jungen am Kragen und schob sie aus dem Quadrat. Dann trat ich auf das Leder des Rings. »Ich bin der Champion von Hrolf aus dem Grünklippen-Fjord.« Ich zog mein Schwert.

»Er ist verrückt«, sagte Bjarni.

»Wer ist dein Schildträger?« fragte mich einer der beiden weißgekleideten Schiedsrichter.

»Ich!« rief Forkbeard und eilte herbei.

»Ich weiß den Wagemut meines guten Freundes Thorgeir vom Axtgletscher zu schätzen«, sagte ich, »aber die Männer vom Axt gletscher sind, wie wir alle wissen, eher gastfreundlich und friedlich und verstehen sich nicht auf den Umgang mit Waffen.« Ich sah den verdatterten Forkbeard grinsend an. »Wir jagen hier keine Wale, Thorgeir!«

Forkbeard riß den Mund auf.

Ich wandte mich an den Schiedsrichter. »Ich kann seine Hilfe nicht annehmen«, sagte ich. »Es wäre viel zu hinderlich für mich, wenn ich auch noch auf ihn und seine Ungeschicklichkeiten achten müßte.«

»Ungeschicklichkeiten!« brüllte Forkbeard erbost.

»Du kommst doch vom Axtgletscher oder nicht?« fragte ich unschuldig.

Er lachte, machte kehrt und setzte sich außerhalb des Rings ins Gras.

»Wer soll dein Schild tragen?« fragte der Schiedsrichter.

»Meine Waffe ist mein Schild«, antwortete ich und hob das Schwert. »Der Bursche wird mich nicht treffen.«

»Was willst du denn mit diesem Messerchen?« fragte Bjarni aus dem Thorstein-Lager und sah mich ratlos an. Er mußte mich für verrückt halten.

»Dein Langschwert ist sicher nützlich im Kampf zwischen zwei Schiffen, die mit Enterhaken aneinandergedrückt werden – und da wäre meine Klinge fehl am Platze. Aber wir stehen hier an Land!«

»Meine Reichweite ist größer«, sagte er.

»Aber meine Klinge wird mich schützen«, erwiderte ich. »Außerdem mußt du weiter ausholen, und deine Klinge ist schwerer. Du wirst bald feststellen, daß ich dich mühelos unterlaufe.«

»Lügen-Sleen!« brüllte der Mann aus dem Thorstein-Lager.

Das Mädchen, um das der Kampf ging, sah mich neugierig und ein wenig ängstlich an. Die beiden Jungen standen mit bleichen Gesichtern im Gras. Sie verstanden nicht mehr von den Vorgängen als die meisten Zuschauer.

Der Oberschiedsrichter sah mich unschlüssig an. Zum Zeichen seines Amtes trug er einen Goldring um den Arm. Offenbar war der vorgesehene Kampf sowieso nicht in seinem Sinne gewesen.

»Laß mich kämpfen«, sagte ich zu ihm.

Er grinste. »Ich lasse dich als Champion für Hrolf aus dem Grünklippen-Fjord in den Ring. Da du der Champion des Herausgeforderten bist, hast du das Recht des ersten Hiebs.«

Ich tippte leicht gegen den Schild Bjarnis, der von einem anderen stämmigen Krieger seines Lagers gehalten wurde.

»Der erste Hieb«, sagte ich.

Mit einem Wutschrei stürzte sich der Schildträger Bjarnis aus dem Thorstein-Lager auf mich, um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen und zum leichten Ziel für einen Hieb seines Schwertkämpfers zu machen.

Aber ich trat zur Seite. Der Schwung ließ den Schildträger fast bis zu den Eckstangen laufen. Mit erhobenem Schwert war Bjarni seinem Kampfgefährten gefolgt. Ich stand jetzt neben Bjarni, und die Spitze meines kleinen Schwerts war an seinen Hals gelegt. Er wurde bleich. »Versuchen wir's noch mal«, sagte ich. Hastig wich er zurück, und sein Schildträger gesellte sich wieder zu ihm. Beim zweiten Angriff vergaß ich jeden Gedanken an Fairneß und Vornehmheit und stellte dem Schildträger ein Bein. Nach den Regeln darf ein Schildträger nicht getötet werden – doch soweit ich wußte, war Beinstellen erlaubt. Ich hatte so etwas jedenfalls schon bei einem anderen Kampf gesehen. Und wie erwartet, verwarnte mich keiner der Schiedsrichter; ihr Gesichtsausdruck deutete eher darauf hin, daß sie mein Manöver sogar für gut gelungen hielten, obwohl sie eigentlich ganz objektiv sein sollten.

Der Mann stürzte zu Boden. Bjarni hatte offenbar aus dem ersten Zusammenstoß gelernt und war seinem Gefährten nicht ganz so dicht gefolgt. Zweimal kreuzten sich unsere Klingen, und dann hatte ich seinen Schutz unterlaufen, und meine Schwertspitze deutete auf sein Kinn. »Wollen wir es noch einmal versuchen?« fragte ich ihn lächelnd.

Der Schildträger sprang auf. »Kämpfen wir!« brüllte er.

Bjarni aus dem Thorstein-Lager sah mich an. »Nein«, sagte er. »Wir versuchen es nicht noch einmal.« Er hob die Schwertspitze, brachte sich einen Schnitt am Unterarm bei und hielt die Wunde über das Leder des Rings. Blutstropfen fielen auf den Stoff des äußeren Quadrats. »Mein Blut«, sagte Bjarni aus dem Thorstein-Lager, »ist auf dem Ring.« Er schob sein Schwert in die Scheide.

Das Mädchen und ihr Bruder und andere Zuschauer stimmten ein Freudengeschrei an. Der junge Mann lief zu seiner Schwester und umarmte sie.

Bjarni aus dem Thorstein-Lager ging zu dem Jungen, den er zum Kampf herausgefordert hatte. Aus seiner Geldbörse nahm er drei silberne Tarnscheiben und zählte sie dem Jungen in die Hand. »Es tut mir leid, Hrolf aus dem Grünklippen-Fjord«, sagte er, »dich belästigt zu haben.«

Dann kam Bjarni zu mir und reichte mir die Hand. »Für dich ist jederzeit Platz im Thorstein-Lager«, sagte er, »wenn dir etwas daran liegt, Kessel und Mädchen mit uns zu teilen.«

»Sei bedankt«, sagte ich, »Bjarni aus dem Thorstein-Lager.« Und mit seinem Schildträger verließ er das Leder des Duellplatzes.

»Die Münzen für dich, Champion«, sagte der Junge und wollte mir die drei silbernen Tarnscheiben überreichen.

»Spar sie für die Aussteuer deiner Schwester.«

»Was soll dann aber dein Lohn sein?«

»Der Spaß ist mein Lohn.«

»Mein Dank, Kämpfer«, sagte das Mädchen.

»Auch mein Dank, Champion«, sagte der Junge, der ihr den Arm um die Schulter gelegt hatte.

Ich neigte den Kopf.

»Junge!« rief Forkbeard, und der junge Mann drehte sich zu ihm um. Forkbeard warf ihm eine goldene Tarnscheibe zu. »Kaufe einen Bosk und opfere ihn«, sagte Forkbeard. »Und auf den Hängen am Grünklippen-Fjord soll tüchtig gefeiert werden!«

»Vielen Dank, Kapitän!« rief der Junge.

Die Zuschauer jubelten, als Forkbeard, ich und seine Männer und Sklavinnen den Duellplatz verließen.

Dabei kamen wir an einem jungen Mann vorbei, der eine rotglühende Metallstange in die Hände nahm, etwa zwanzig Fuß weit lief und sie dann zu Boden warf.

»Was macht der denn?« fragte ich.

»Er beweist, daß er die Wahrheit gesagt hat«, erklärte mir Forkbeard.

»Oh«, sagte ich. Auch hier gab es also so eine blödsinnige Einrichtung wie das Gottesgericht.

In der Menge bewegten sich zahlreiche Thralls und Runenpriester mit blondem Haar, weißen Roben und einem goldenen Spiralring am linken Arm. An der Hüfte trugen sie einen Beutel mit Omenplättchen – Holzstücke, im Blut eines geweihten Bosk getränkt, der bei der Eröffnung des Thing geopfert worden war. Diese Plättchen werden wie Würfel ausgeworfen und dann von den Priestern gedeutet. Im improvisierten Thing-Tempel in einem Hain hingen sechs tote Bosk, sechs Tarsk und sechs Verr; früher, so wird erzählt, wurden aus diesem Anlaß Thralls geopfert, doch man war vor etwa einer Generation in der Ratsversammlung der Runenpriester davon abgekommen. Die Erklärung lag allerdings nicht etwa an einer fortschreitenden Humanität, sondern man war der Meinung, daß Thralls wie Urts und die winzigen sechszehigen Tharlarion eines Opfers nicht würdig waren. Damals hatte es eine Hungersnot gegeben, und obwohl Hunderte von Thralls geopfert worden waren, hatte es vier Jahre gedauert, bis der Notstand behoben war. In dieser Zeit war es zu zahlreichen Raubfahrten in den Süden gekommen, wobei sich oft ganze torvaldsländische Flotten zusammengetan hatten.

Ich entdeckte auch einige weiß-gold gekleidete Kaufleute in der Menge, und auch vier parfümierte Sklavenhändler in blaugelber Seide, die offenbar aus dem fernen Turia kamen. Forkbeards Mädchen machten einen großen Bogen um diese Männer; sie hatten etwas gegen die parfümierte Sklaverei des Südens; dort ist das Joch der Sklaverei für ein Mädchen viel schlimmer, ihre Unterwerfung ist dort total, da die Sklavenherren des Südens für ihre Lieblingssleen oft mehr Sympathien aufbringen als für ihre Mädchen. In der Menge fiel mir ferner ein Arzt aus Ar auf, der in eine grüne Robe gehüllt war, sowie ein Schriftgelehrter aus Cos. Diese Städte stehen nicht gerade auf bestem Fuß miteinander, doch als zivilisierte Menschen kamen die beiden auf neutralem Boden gut miteinander aus.

Wir passierten eine Plattform, auf der Sklavenmädchen zur Schau gestellt wurden. Unmittelbar davor trafen wir eine freie Frau des Nordens. Sie war sehr groß und trug ein herrliches Cape aus weißem See-Sleen-Pelz, das zurückgeschoben war und die Blässe ihrer Arme enthüllte. Ihr Rock war aus bester Ar-Wolle, rotgefärbt und mit schwarzem Besatz. Sie trug zwei Broschen, beide aus dem Horn des Kailiauk geschnitzt und in Gold gefaßt. An ihrer Hüfte hing eine juwelenbesetzte Dolchscheide, in der die verzierte gekrümmte Klinge eines turianischen Messers steckte; freie Frauen in Torvaldsland sind gewöhnlich mit einem Dolch bewaffnet. An ihrem Gürtel hingen außerdem eine Schere und ein Ring mit zahlreichen Schlüsseln – ein Hinweis darauf, daß ihre Halle viele Truhen oder Türen enthielt. Das Haar war um einen Kamm gewickelt und hochgesteckt worden; der Kamm paßte zu den Broschen. Die Tatsache, daß sie das Haar frisiert trug, deutete auf einen wichtigen Gefährten hin; die Anzahl der Schlüssel ließ erkennen, daß sie die Herrin eines großen Hauses war. Sie hatte graue Augen, ihr Haar war dunkel, und ihr Gesicht eine starre, gefühllose Maske.

»Ein schreckliches Schauspiel«, sagte sie zu Forkbeard, deutete auf die Plattform und blickte schließlich auf Forkbeards Sklavinnen, die vor ihr niedergekniet waren.

»Diese Mädchen ließen sich auf deinem Hof zum Jäten oder Verrhüten besser einsetzen.«

»Aber ich bin vom Axtgletscher«, wandte Forkbeard ein. So hoch im Norden gab es natürlich keine Höfe und keine Verr oder Bosk mehr.

Der freien Frau mißfiel diese Antwort sichtlich.

»Thorgeir, nicht wahr?« fragte sie.

»Thorgeir vom Axtgletscher«, sagte Forkbeard und verbeugte sich.

»Und was will ein Mann vom Axtgletscher mit all diesen elenden Sklavinnen?« Sie deutete auf die knienden Mädchen.

»Im Land des Axtgletschers«, sagte Forkbeard ernst, »ist die Nacht sechs Monate lang.«

»Ich verstehe«, sagte die Frau und lächelte. »Du hast viele Talmits gewonnen, Thorgeir vom Axtgletscher?«

»Sechs«, sagte er, »Herrin.«

»Ehe du sie dir abholst«, sagte sie, »empfehle ich, daß du dich deines wahren Namens entsinnst.«

Er verbeugte sich.

Ihre Empfehlung gefiel mir absolut nicht.

Sie hob den Rocksaum – wobei schwarze Schuhe sichtbar wurden – und wandte sich ab. Dabei warf sie einen kurzen Blick über die Schulter.

»Wer war denn das?« fragte ich.

»Bera«, erwiderte er, »die Gefährtin von Svein Blue Tooth.«

Mir sank der Mut.

»Er müßte ihr eigentlich einen Kragen verpassen«, knurrte Forkbeard, und ich erschrak bei dem Gedanken. »Sie braucht die Peitsche«, fuhr er fort und sah seine Mädchen an. »Steht auf!« fuhr er sie an.

Lachend sprangen die Sklavinnen auf, und wir setzten unseren Weg fort. Die nächste Station war der Sklavenschuppen.

Hier saßen oder hockten zahlreiche Mädchen auf Strohlagern an der Wand. Das Gebäude war etwa zweihundert Fuß lang und wurde durch Fenster unter dem Dach erhellt.

Ein Offizier von Svein Blue Tooth, den zwei Thralls unterstützten, taxierte Dagmar mit sicheren Bewegungen und schaute ihr schließlich in den Mund.

»Eine silberne Tarnscheibe«, sagte er.

Dagmar hatte vor zwei Monaten einer anderen Sklavin ein Stück Käse gestohlen. Sie war danach ausgepeitscht worden und wurde nun verkauft.

»Einverstanden«, sagte Forkbeard – und das Geschäft war abgeschlossen.

Im Schuppen standen etwa einhundert Sklavinnen zum Verkauf. Sie alle trugen den Sklavenkragen des Nordens, der mit einem zusätzlichen Eisenring versehen ist.

Forkbeard nahm die Tarnscheibe entgegen, die er in seinen Geldbeutel schob.

Der Offizier nahm Dagmar am Arm und kettete sie an, während sich Forkbeard den anderen Mädchen zuwandte.

Einige boten sich ihm zum Kauf an, denn er war offensichtlich ein interessanter Herr; andere nahmen dagegen keine Notiz von ihm oder wichen sogar verängstigt oder feindselig vor ihm zurück.

Zu meiner Überraschung blieb Ivar vor einem unscheinbaren dunkelhaarigen Mädchen stehen, das mit gesenktem Kopf am Boden hockte. Sie warf ihm einen ängstlichen Blick zu und legte den Kopf wieder auf die Knie. Sie machte einen schüchternen, nach innen gekehrten Eindruck; vor ihrer Gefangenschaft war sie bestimmt viel allein gewesen.

»Was weißt du über dieses Mädchen?« wandte sich Forkbeard an den Offizier von Svein Blue Tooth, der uns begleitete.

»Sie sagt nur wenig, und im Auslauf hält sie sich abseits.«

Forkbeard untersuchte sie fachmännisch. »Ich kann dich vielleicht gebrauchen, um Thralls heranzuziehen«, sagte er zu der Sklavin. »Du bist gesund und für das Leben auf einem Hof gut geeignet.«

Er richtete sich auf. »Was willst du für sie haben?« fragte er den Offizier, der die Verkäufe durchführte.

»Ich habe sie für eine halbe silberne Tarnmünze bekommen. Also eine ganze Tarnscheibe.«

Forkbeard gab dem Mann die silberne Tarnscheibe zurück, die er für Dagmar bekommen hatte, und der Offizier kettete das Mädchen los.

»Warum hat mein Jarl mich gekauft?« fragte sie.

»Du bist bestimmt fähig, Tarsks zu füttern«, sagte er.

»Ja, mein Jarl«, erwiderte sie.

»Wie heißt du?« fragte ich sie.

»Peggie Stevens.«

Ich mußte lächeln.

»Du kommst von der Erde, nicht wahr?« sagte ich leise.

»Ja.«

»Aus welchem Staat?«

»USA. Connecticut.«

Seit dem Nestkrieg waren die Vorstöße der Außerirdischen viel kühner geworden; sie hatten keine Mühe, Sklavinnen auf der Erde zu finden; offenbar schützte man dort das Gold besser als die eigenen Frauen. Vermutlich ahnten die Regierungen der Erde inzwischen etwas von diesen Vorgängen; vielleicht verdächtigte man aber auch nur einige Händler in Ländern des Mittleren Ostens, wobei allerdings das empfindliche Gleichgewicht des Öls zu berücksichtigen war; was waren schon ein paar Flittchen, die in den Haremen des Mittleren Ostens landeten, gegen den Strom des schwarzen Öls, der die Räder der Industrie in Gang hielt? Aber der minimale Sklavenhandel, der in Westeuropa oder im Osten der Vereinigten Staaten anzutreffen war, erklärte nicht länger die Zahl der Vermißten, zu denen vor allem außergewöhnlich hübsche Frauen gehörten. Nach meiner Schätzung tauchten jährlich Hunderte von Frauen auf den goreanischen Sklavenmärkten auf.

»Wie bist du hier in den Norden gekommen?« fragte ich die Sklavin.

»Ich wurde in Ar verkauft«, erwiderte sie, »an einen Händler aus Cos. Doch unterwegs fiel unser Schiff vier Piratenschiffen aus Torvaldsland in die Hände. Soweit ich weiß, bin ich jetzt seit acht Monaten im hohen Norden.«

»Wie nennen wir unsere hübsche kleine Sklavin?« suchte Forkbeard bei Gunnhild Rat.

»Honigkuchen«, schlug das Mädchen vor.

»Gut. Du heißt Honigkuchen«, sagte Forkbeard.

»Jawohl, mein Jarl«, erwiderte Miß Stevens.

Dann verließ Ivar Forkbeard den Sklavenschuppen, und wir folgten ihm. Er fesselte Honigkuchen nicht, sondern sie begleitete ihn frei in seinem Gefolge. Ein gewisser Stolz, daß sie vor den anderen Mädchen verkauft worden war, machte sich bei ihr bemerkbar.

Nur wenige ahnten, daß noch heute beim Thing etwas Unerhörtes passieren würde.

Nachdem wir den Sklavenschuppen verlassen hatten, waren Forkbeard und seine Begleitung ohne mich zu ihrem Zelt zurückgekehrt; ich sah mich allein auf dem Gelände um.

Als die große Neuigkeit bekannt wurde, befand ich mich gerade beim Bogenschießen.

An diesem Wettbewerb hatte ich eigentlich nicht teilnehmen sollen. Es hatte vielmehr in meiner Absicht gelegen, ein kleines Geschenk für Forkbeard zu kaufen. Ich genoß seine Gastfreundschaft nun schon sehr lange, und er hatte mir vieles geschenkt. Übrigens gedachte ich kein Geschenk auszusuchen, das im Wert den Dingen entsprach, die er mir in seiner Gastfreundschaft hatte zukommen lassen. In Torvaldsland ist es üblich, daß der Gastgeber die größeren Geschenke macht; schließlich ist es sein Haus oder seine Halle; wenn sein Gast ihm größere Geschenke verehrt, als er selbst dem Gast zu geben vermag, kommt dies einer Beleidigung, einem Verrat an der Gastfreundschaft gleich. Immerhin ist der Gastgeber kein Hotelier und sucht keinen Gewinn; und der Gastgeber darf nicht bescheidener erscheinen als der Gast, der willkommen geheißen und beschützt wird. In Torvaldsland steht also die Großzügigkeit dem Gastgeber zu; wäre Forkbeard dagegen nach Port Kar gekommen, hätte es an mir gelegen, ihm die größeren Geschenke zu machen. Dies scheint mir eine gute Sitte zu sein; der Gastgeber, der als erster gibt und der genau weiß, was er sich leisten kann, bestimmt den Umfang des Gebens; der Gast bemißt dann seine Geschenke entsprechend; der Gastgeber gewinnt Ehre, der Gast ehrt seinen Gastgeber, indem er weniger schenkt.

So ging es mir darum, ein Geschenk für Forkbeard zu finden; es durfte nicht zu kostbar sein – aber natürlich sollte er Freude daran haben.

Ich war gerade unterwegs zu den Einkaufsständen am Hafen, wo die besten Waren feilgeboten werden, als ich einen Augenblick stehenblieb, um beim Bogenschießen zuzusehen.

»Gewinne Leah! Gewinne Leah, Herr!« sagte eine Stimme.

Ich sah das Mädchen an, das meinen Blick erwiderte.

Sie stand auf dem breiten runden Block – dunkelhaarig, klein, wohlgerundet. »Gewinne Leah, Herr«, forderte sie mich auf. Sie war mit einer Kette an den Block befestigt. Zusammen mit dem Talmit der Bogenschützen war sie der große Preis in diesem Wettbewerb.

Ich schaute mir ihr Brandzeichen an – ein Zeichen des Südens, der erste Buchstabe des Wortes ›Kajira‹, des gebräuchlichsten Wortes für eine goreanische Sklavin. Außerdem fiel mir auf, daß sie mich ›Herr‹ und nicht ›Jarl‹ genannt hatte – was ebenfalls auf den Süden hindeutete.

»Willst du versuchen, Leah zu gewinnen, Herr?« fragte sie spöttisch.

»Bist du ausgebildet?« fragte ich.

»In Ar«, flüsterte sie verwirrt. »Aber du willst diese Kenntnisse doch nicht etwa hier im Norden verwenden?«

Ich sah sie an. Sie schien die vollkommene Lösung für mein Problem zu sein. Eine Frau ist als Geschenk unbedeutend genug, daß die Ehre Forkbeards als mein Gastgeber gewahrt blieb; außerdem war dies ein begehrenswertes Mädchen, das Forkbeard und seinen Leuten sehr gefallen würde. Als ausgebildete Vergnügungssklavin mochte sie außerdem bei den groben Torvaldsländern eine besondere Rarität für ihre sexuellen Vergnügen sein.

»Du bist mir recht«, sagte ich und wandte mich ab.

Das Ziel für die Bogenschützen war etwa fünfzehn Zentimeter breit und hundert Meter entfernt. Mit dem Langbogen ist das kein Problem. Viele Krieger, Bauern und Rencebauern kamen mir im Schießen gleich.

In Torvaldsland dagegen war die Waffe ziemlich ungewöhnlich. Ich verschoß zwanzig Federpfeile auf das Ziel, bis es förmlich damit gespickt war.

Als ich meine Geschosse unter dem Geschrei der Männer und dem Schlagen ihrer Bogen und Speere gegen die Schilder wieder an mich brachte, war das Mädchen bereits von dem Block losgekettet worden.

Ich nannte dem Oberschiedsrichter des Wettbewerbs meinen Namen. Die Talmits wurden offiziell erst morgen vergeben. Ich nahm seinen Glückwunsch entgegen.

Mein Preis kniete vor mir. Ich blickte auf sie hinab.

In diesem Augenblick erreichte mich die große Neuigkeit. Sie verbreitete sich wie brennendes Öl im großen Lager. Die Männer sahen sich an. Viele packten ihre Waffen fester.

»Ein Kur!« wurde gemeldet. »Einer der Kurii will vor der Thingversammlung sprechen!«

Das Mädchen sah mich an. »Laß sie beim Zelt von Thorgeir vom Axtgletscher abgeben«, sagte ich zu dem Schiedsrichter. »Sag ihm, sie ist ein Geschenk von Tarl Rothaar.«

»Das soll geschehen«, sagte der Mann und winkte zwei stämmige Thralls herbei, die das Mädchen in die Mitte nahmen.

»Liefert sie am Zelt Thorgeirs vom Axtgletscher ab«, befahl er. »Sagt ihm, sie ist ein Geschenk von Tarl Rothaar!«

Das Mädchen wurde herumgedreht. Sie sah mich über die Schulter an. Grobe Hände stießen sie weiter – zum Zelt des Mannes, der hier als Thorgeir vom Axtgletscher bekannt war.

Mein Blick begegnete dem des Oberschiedsrichters für das Bogenschießen.

»Eilen wir zum Versammlungsfeld«, sagte er.

Und gemeinsam verließen wir den Ort, wo ich den großen Preis des Pfeilschießens gewonnen hatte – und ein Mädchen.

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