Gibraltar 1805

XI Der Brief

Seiner Britannischen Majestät Linienschiff Hyperion neigte sich nur wenig, als es wieder einmal über Stag ging und den schlanken Klüverbaum fast genau nach Osten richtete.

Bolitho stand an den Hängemattsnetzen des Achterdecks und achtete auf den an Backbord voraus drohend aufsteigenden Felsen von Gibraltar. Er verschwamm im diesigen Blau eines Nachmittags Mitte April.

Männer eilten geschäftig über die Decks. Die Leutnants, im Bewußtsein des nahen Landes, überprüften den Stand jedes Segels. Seit das Geschwader English Harbour für immer verlassen hatte, war es seit sechs Wochen außer Sichtweite von Land geblieben.

Bolitho nahm ein Teleskop zur Hand und richtete es auf den Felsen. Wenn die Spanier jemals diese natürliche Festung zurückeroberten, konnten sie das Mittelmeer mit Leichtigkeit abriegeln. Er stellte das Glas auf die verstreuten Schiffe am Fuß des Felsens ein. Sie ähnelten eher einem Klumpen ins Wasser gefallener Motten als Kriegsschiffen. Nur daran konnte man die wahre Größe des Felsens ermessen, die Entfernung zum langsam segelnden Geschwader war noch immer zu groß.

Bolitho schaute querab. Sie segelten so dicht es die Vorsicht zuließ an der Küste Spaniens. Das Sonnenlicht schickte wie Diamanten funkelnde Reflexe durch den Dunstschleier. Er konnte sich vorstellen, daß dort viele Ferngläser der kleinen Prozession englischer Schiffe folgten. Wohin waren sie bestimmt? Was hatten sie hier vor?

Berittene Boten würden ihr Erscheinen weitermelden. Die Dons konnten das Kommen und Gehen an der Enge von Gibraltar leicht kontrollieren. Wie um seinen Gedanken Nachdruck zu verleihen, hörte er Parris zu einem der Fähnriche sagen:»Geben Sie gut acht, Mr. Blessing, dort drüben liegt der Feind.»

Bolitho verschränkte die Hände auf dem Rücken und dachte über die vergangenen vier Monate nach, seit sich sein neues Geschwader in Antigua versammelt und Catherine sich nach England eingeschifft hatte. Die Trennung war ihnen schwerer gefallen als erwartet und schmerzte noch immer wie eine frische Wunde.

Während dieser Zeit hatte sie ihm einen Brief geschrieben, warm und leidenschaftlich. Er solle sich nicht sorgen, sie würden sich bald wiedersehen. Aber es dürfe keinen Skandal geben. Wie gewöhnlich dachte sie zuerst an ihn.

Bolitho hatte ihr geantwortet und auch einen Brief an Belinda geschickt. Ihr Geheimnis würde bald enthüllt werden, wenn es das nicht schon war. Deshalb war es nicht mehr als fair, daß sie es zuerst von ihm erfuhr.

Er überquerte das Achterdeck, wo der Rudergänger unter seinem Blick die Augen niederschlug. Von der Pooptreppe richtete er das Glas auf die in Kiellinie folgenden Schiffe. Es hatte lange gedauert, bis das Geschwader zusammengewachsen war und jeder sich an die Eigenarten der anderen gewöhnt hatte. Der Verband bestand aus vier Linienschiffen der Klasse drei, die sich für einen unwissenden Landbewohner nicht von der führenden Hyperion unterschieden. Abgesehen von der Obdurate waren sie nach Bolithos Maßstäben Neulinge gewesen. Jetzt jedoch empfand er Stolz statt Ungeduld.

In der sanften nordwestlichen Brise befand sich windwärts die kleine Korvette Phaedra, dicht unter der Küste segelnd. Möglicherweise hoffte Dunstan, daß ihm ein unvorsichtiger feindlicher Handelsschiffer in die Finger geriet.

Der willkommenste Zuwachs war die Fregatte Tybalt, ein Sechsunddreißiger, der gerade noch rechtzeitig aus England eingetroffen war, um sich dem Geschwader anzuschließen. Sie wurde von einem hitzköpfigen Schotten namens Andrew McKee geführt, der es eher gewohnt war, unabhängig zu operieren.

Bolitho verstand seine Gefühle, auch wenn er sie nicht immer dulden konnte. Das Leben eines Fregattenkommandanten war vielleicht das einsamste überhaupt. In einem übervölkerten Schiff blieb er hinter seinem Kajütschott allein, nur gelegentlich mit seinen Offizieren dinierend, völlig getrennt von anderen Schiffen und sogar von den Männern, die er kommandierte. Bolitho lächelte. Bis jetzt…

Sie hatten in der Karibik wenig mehr unternommen, nur ein paarmal die feindliche Schiffahrt und deren Häfen angegriffen. Doch nach dem unbekümmerten Durchstoß zum Schatzschiff von La Guaira schien alles andere Kleinkram zu sein. Das hatte auch Glassport angedeutet, als das Geschwader zur Reise nach Gibraltar Segel setzte. Danach würde das Leben in Antigua nicht mehr das gleiche sein, meinte er.

In mehr als einer Beziehung, dachte Bolitho.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, Antigua verlassen zu müssen. Im stillen glaubte er, daß er die Inseln nie wiedersehen würde. Die Inseln des Todes, wie sie in den unglücklichen Heeresgarnisonen genannt wurden. Auch Hyperion war nicht fieberfrei geblieben. Drei an Land beschäftigte Matrosen waren gestorben, ahnungslos wie Schlachtvieh.

Bolitho stieg von der Treppe, als er Haven an Deck mit dem Segelmeister sprechen sah. Dieser meinte zuversichtlich:»Der Wind bleibt günstig, Sir. Wir sollten um acht Glasen ankern.»

Haven blieb sehr für sich, und bis auf einige beinahe irrsinnige Wutanfälle schien er zufrieden, alles Parris überlassen zu können. Es war ein gespanntes, äußerst vorsichtiges Verhältnis zwischen den beiden, das sich aber auf die gesamte Offiziersmesse auswirkte. Trotz allem wurde der Marschbefehl, der mit der Kurierbrigg gekommen war, begrüßt. Ein Sturm braute sich über Europa zusammen, während die Widersacher einander belauerten und auf einen Feldzug warteten, ja auf eine einzige Schlacht, die das Gleichgewicht verschieben konnte.

Die verlorene Fregatte Consort, in Intrepido umbenannt, war unbemerkt und ungemeldet entschlüpft. Man sagte, daß sie nach

Spanien geeilt war, um sich der starken Kriegsmarine Seiner Allerkatholischsten Majestät anzuschließen.

Obendrein würde sie dort die öffentliche Moral stärken: eine Prise, die man den Engländern weggenommen hatte, obwohl die so verzweifelt Fregatten brauchten.

Bolitho starrte auf den turmhohen Felsen. Gibraltar for orders! Wie gut kannte er diese Worte: nach Gibraltar um neue Befehle. Es war in Gibraltar gewesen, wo er der Hyperion zuerst begegnete, als dieser endlose Krieg kaum angefangen hatte. Dachten Schiffe über ihr Schicksal nach? Allday lungerte bei den Booten herum, den breitkrempigen Hut vor dem Sonnenglast tief in die Stirn gezogen. Auch er würde sich jetzt an den Felsen erinnern. Bolitho sah ihn eine Hand zur Brust fuhren und eine Grimasse schneiden. Dabei schaute er sich argwöhnisch um, ob es einer gemerkt hatte. Er litt ständig Schmerzen. Außerdem dachte er wohl an seinen Sohn, an die Wirtstochter in Falmouth, ans letzte Gefecht, ans nächste.

Allday fühlte, daß Bolitho ihn beobachtete, und drehte sich nach ihm um. Ein kurzer, verständnisvoller Blickwechsel, als erriete er Bolithos Gedanken. Wie an jenem grauen Morgen, als er Catherine verließ. Allday hatte ihn erwartet, die Finger in den Mund gesteckt und mit einem schrillen Pfiff, der jede Bootsmannspfeife übertönte, ein Boot herangerufen.

Beim Abschied hatte Bolitho Catherine zu überreden versucht, London zu meiden, bis sie den Sturm gemeinsam durchstehen konnten. Aber sie war unnachgiebig geblieben, denn sie wollte Somervell treffen, um ihm die Wahrheit zu sagen. Als er sich um ihre Sicherheit besorgt zeigte, hatte sie ihr perlendes, unbefangenes Lachen losgelassen, das er so gut kannte.»Es gibt keine Liebe zwischen uns, Richard, was du auch annehmen magst. Ich wollte die Sicherheit einer Ehe, und Lacey brauchte mich als Rückhalt, als Alib i.»

Es tat weh, seinen Vornamen aus ihrem Mund zu hören. Er sah sie wieder vor sich wie am letzten Abend, ihre erregenden Augen, ihre hohen Backenknochen, und spürte ihr unglaubliches

Vertrauen. Jenours Schritte schreckten ihn auf. Der Flaggleutnant harrte seiner Befehle. Auf dem blauen Wasser tanzte eine Brigg, die der Felsenfestung mit flatternden Signalen Einzelheiten über das herankommende Geschwader mitteilte. Vielleicht lag auch eine Nachricht von Catherine vor? Er hatte ihren einzigen Brief immer wieder gelesen, bis er ihn auswendig kannte.

Solch eine beeindruckende, lebenssprühende Frau. Somervell war verrückt, wenn er nicht um ihre Liebe kämpfte. In einer Nacht, in der sie im Mondlicht beieinander gelegen hatten, erzählte sie ihm einiges aus ihrer Vergangenheit. Er wußte schon von ihrer ersten Ehe mit einem englischen Glücksritter, der bei einer Prügelei in Spanien umgekommen war. Damals war sie nichts anderes als ein junges, in London aufgewachsenes Mädchen gewesen.»Und zwar in einem Stadtteil aufgewachsen, den dir vorzustellen du nicht wagen würdest, lieber Richard!«Sie hatte gelacht und sich an seine Schultern gekuschelt, aber er hatte Traurigkeit in ihrer Stimme gehört. Schon mit vierzehn hatte sie auf der Bühne gestanden — und von dort war es ein langer harter Weg bis zur Frau des Generalinspekteurs von Westindien. Später hatte ihr Luis Pareja geholfen, der getötet wurde, als Bolitho ihr Schiff als Prise kaperte und es dann gegen Piraten verteidigen mußte.

Pareja war doppelt so alt gewesen wie sie, aber sie hatte sehr an ihm gehangen, vor allem wegen seiner Sanftmut und Güte. Er hatte sie auch gut versorgt, obgleich sie nicht ahnte, daß sie mehr besaß als die Juwelen, die sie trug, als Bolitho in ihr Leben platzte. Ihre erste Begegnung glich einer Explosion, bei der sie all ihre Verzweiflung und Wut förmlich ausspuckte. Danach war es schwer zu ergründen, wann sich das alles in ebenso leidenschaftliche Liebe verwandelt hatte.

Bolitho richtete sein Teleskop auf die Brigg. Brachte sie ihm Neuigkeiten?

Catherine hatte jenes Schauspiel versäumt, das anzusehen sie sich geschworen hatte: die Hinrichtung der Piraten. Fast das letzte, was Bolitho erblickte, als Hyperion English Harbour verließ, war eine Reihe grausiger Galgen mit ihren von der Sonne gedörrten Überresten — als Warnung für andere.

Vorn, an der Steuerbordseite, stand Parris. Er wollte sicherstellen, daß niemand an Land auch nur den kleinsten Fehler an ihrem Ankermanöver finden konnte. In Antigua war Parris mit einer Arbeitsgruppe an Land gegangen, um Catherines Gepäck auf das Postschiff zu befördern. Sie hatte an Bolithos Arm zugeschaut, wie die Seeleute die einzelnen Stücke zur Anlegebrücke brachten.

Plötzlich sagte sie:»Ich mag den Mann nicht.»

Bolitho war überrascht.»Er ist ein guter Offizier und tapfer dazu. Was gefällt dir nicht an ihm?»

Sie hatte mit den Achseln gezuckt.»Er macht mich schaudern. «Dann hatte sie sich beeilt, das Thema zu wechseln.

Bolitho betrachtete den Ersten Leutnant nachdenklich. Wie leicht brachte er einen Matrosen zum Grinsen und beeindruckte er einen Fähnrich. Vielleicht erinnerte er Catherine an jemanden in ihrer Vergangenheit? Es war ebenso leicht, sich Parris als Glücksritter vorzustellen.

Jenour bemerkte:»Ich bin zum erstenmal in Gibraltar, Sir Richard.»

Bolitho nickte.»Ich war ein oder zweimal heilfroh, als ich den Felsen nach rauher Überfahrt sichtete.»

Kapitän Haven rief:»Kursänderung zwei Strich nach Backbord!»

Bolitho schoß ein Gedanke durch den Kopf. Hatte Catherine in Parris instinktiv das erkannt, was Haven ihm offensichtlich vorwarf? Er zog seine Uhr aus der Tasche, während die Seeleute an Brassen und Fallen eilten.

«Signal an alle — in Kiellinie wenden!»

Die auf dem Sprung stehenden Fähnriche wühlten in einer Menge Fahnentuch, indes ihre Gehilfen schnell wie der Blitz die Flaggen anknüpften.

«Verstanden, Sir!»

Haven grollte:»Wird auch Zeit, verdammt!»

Jenour sagte bedächtig:»Ich bin auf unsere Befehle neugierig.»

Der Admiral lächelte.»Sie nicht allein, Stephen. Entweder geht es nach Norden in die Biskaya, zur verfluchten Blockade von Brest und Lorient, oder wir müssen uns Nelson im Mittelmeer anschließen. Die Würfel fallen hier, so oder so.»

Bolitho beschattete seine Augen und verfolgte die Manöver der anderen, die für die letzte Strecke zum Ankerplatz Segel kürzten. Hinter der Obdurate lief ein weiterer Veteran, die Crusader. Fünfundzwanzig Jahre alt, hatte sie wie die meisten Schiffe dritter Klasse viele Male Pulver gerochen. Bolitho war ihr vor Toulon und in Westindien begegnet, bei dem französischen Invasionsversuch in Irland und in der feuerspeienden Schlachtlinie vor dem Nil.

Redoutable und Capricious rundeten das Geschwader ab. Letztere wurde von Kapitän William Merrye geführt, dessen Großvater ein schändlicher Schmuggler gewesen war. Die Vierundsiebziger bildeten das Rückgrat der Flotte, jeder Flotte. Bolitho blickte zu seiner Flagge am Vormast empor. Sie stand dort gut und richtig.

Dann kam die langgezogene Zeremonie des Salutschießens, vom Felsen wiederholt, was die Reede teilweise in Rauch hüllte und die Echos wie eine zusätzliche Beleidigung nach Algeciras hinüberschallen ließ. Ein Wachboot mit einer übergroßen Flagge lag bewegungslos an der Stelle, wo sie ankern sollten. Dabei fiel Bolitho wieder das spanische Wachboot vor La Guaira ein, wie es unter dem Steven des Schoners zerbrochen war.

«Klar bei Anker!»

Für den Zuschauer an Land mußten sie ein schöner und vertrauter Anblick sein, dachte Bolitho: die in den Wind drehenden Riesen, alle Leinwand bis auf Marssegel und Klüver aufgegeit.

«An die Marssegelgordings! Vorwärts, Leute, bewegt euch!»

«Ruder hart über!»

Bolitho ballte unwillkürlich die Fäuste, als Parris den erhobenen Arm senkte.»Laß fallen Anker!»

Der große Anker klatschte ins Wasser, während oben die Segel wie von einer einzigen Hand an den Rahen eingerollt wurden. Auch die anderen Schiffe gewannen Halt an ihren Ankertrossen, wobei sich jeder Kommandant um einen perfekten Abstand zum

Flaggschiff bemühte. Nach langer Wartezeit auf See, einer von den Bootsmannsgehilfen und Decksoffizieren immer wieder unterdrückten Ungeduld wurden nun die ersten Boote ausgesetzt.»Gig nähert sich von Land, Sir!»

Das kleine Fahrzeug arbeitete sich gekonnt durch die leichte Dünung: ein erster Kontakt.

«Ich gehe nach achtern, Mr. Jenour. «In Havens Gegenwart drückte sich Bolitho immer förmlich aus.»Sobald sie…»

Er verhielt, als der Quartermaster das uralte Frage- und Antwortspiel begann und rief:»Boot ahoi?»

Von der Gig kam es zurück: «Firefly!»

Jenour sagte erstaunt:»Schon Kommandantenbesuch, Sir Richard?»

Doch auf Bolithos Gesicht stand Erleichterung und noch etwas mehr. Er entgegnete:»Ich will den Kommandanten der Firefly persönlich begrüßen.»

Der junge Commander sprang beinahe mit einem Purzelbaum an Bord. Diejenigen, die keine Ahnung hatten — und woher sollten sie auch? — sahen mit großen Augen, wie der Admiral einen jungen Offizier umarmte, der auf den ersten Blick sein Bruder hätte sein können. Bolitho packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn leicht.»Adam, von allen Menschen ausgerechnet du!»

Commander Adam Bolitho, Kommandant der Brigg Firefly, grinste vor Freude über das ganze sonnverbrannte Gesicht.

Alles, was er sagen konnte, war:»Na, Onkel?»

Bolitho stand mitten in seiner Kajüte, während Yovell und Jenour den Sack mit Depeschen und Briefen entleerten, den Adam Bolitho von Land mitgebracht hatte.

Adam berichtete.»Es war erstaunliches Pech, Onkel. Die Franzosen gingen unter Admiral Villeneuve in See, und unser Nelson hatte das Nachsehen. Während der kleine Admiral sie um Malta oder Alexandria vermutete, entwich Villeneuve durch die Straße von Gibraltar in den Atlantik. Hätte man dich früher hierher beordert, Onkel, wärest du ihm vielleicht begegnet. Gott sei Dank kam es nicht dazu.»

Bolitho lächelte schwach. Adam sprach mit der Unbefangenheit und dem Selbstvertrauen eines Veteranen, dabei war er erst vierundzwanzig Jahre alt.»Dein altes Schiff, Onkel, wer hätte das gedacht!»

Hyperion war Adams erstes Schiff gewesen. Er hatte es als dünner, bleicher Junge kennengelernt, aber mit der Entschlossenheit und dem Feuer eines Fohlens.

Yovell legte Bolitho ein amtliches Schreiben der Admiralität vor. Die Franzosen waren also endlich ausgelaufen, an Gibraltar vorbei und über den Atlantik; Nelson hastete zuletzt doch noch hinter ihnen her. Villeneuve war anscheinend westwärts gesegelt, doch warum, das vermochte niemand zu sagen. Bolitho las schnell weiter, während Adam ihn forschend beobachtete. Schließlich gab er Yovell das Schreiben zurück und meinte:»Die Franzosen segelten also. Vielleicht war es ein Trick, um unsere Streitkräfte abzuziehen und zu teilen.»

Adam hatte recht. Hätte man ihm früher befohlen, Antigua zu verlassen, wären sie wohl auf den Feind gestoßen. Fünf Schiffe dritter Klasse gegen eine der besten Flotten der Welt. Über den Ausgang gab es keinen Zweifel. Aber sie hätten Villeneuve wenigstens aufgehalten, bis Nelson ihn einholen konnte.

Bolitho nahm den nächsten, schon von Jenour geöffneten Brief.»Na bitte, da haben wir's: Ich soll Thomas Herrick in Malta ablösen!«Was war davon zu halten? Er hätte sich freuen sollen, den Mann wiederzusehen, der sein bester Freund war. Doch nach der Untersuchung gegen Valentin Keen, als nur Bolithos Aussage ihn vor einem Kriegsgerichtsverfahren bewahrt hatte, war er sich Herricks Freundschaft nicht mehr ganz sicher. Insgeheim wußte Bolitho, daß sein Freund recht gehabt hatte. Hätte er an Herricks Stelle die Vorschriften weitherziger zugunsten Keens ausgelegt? Diese Frage war nie beantwortet worden.

Adam riß ihn aus seinen Gedanken.»Aber erst segelst du nach England, Onkel. «Er lächelte gewinnend.»Mit mir.»

Adam kannte Bolithos Leben, aber nicht ganz. Es gab etwas, an dem er noch keinen Anteil hatte. Yovell schlitzte eine neue Depesche auf: von Admiral Nelson. Sonderbar, daß von allen ihm nahestehenden Menschen nur Adam den berühmten Nelson persönlich getroffen hatte. Er hatte mit seiner Brigg Firefly mehr Depeschen für ihn befördert als jeder andere.

Das Geschwader sollte in Gibraltar warten und sich verproviantieren. Nelson hatte in seiner merkwürdig schräg laufenden Handschrift vermerkt:»Denn zweifellos hat die Fürsorge und Aufmerksamkeit, die Ihnen in English Harbour zuteil wurde, viel zu wünschen übriggelassen. «Bolitho stutzte. Was meinte Nelson?

Er selbst wurde für einen kurzen Besuch bei der Admiralität von seinem Kommando freigestellt. Der Brief schloß mit der von Nelson schon gewohnten Spitze:»Dort werden Sie entdecken, wie eifrig sie ihre Kriege mit Worten und Papier ausfechten, statt mit Kanonen und hartem Stahl…»

Es stimmte, daß das Geschwader frischen Proviant und Ersatzteile brauchen konnte. Ihr nächster Einsatz würde sicherlich von längerer Dauer sein. Die Franzosen mußten schließlich zurückkehren, und sei es auch nur, um Verstärkung von ihren spanischen Verbündeten einzufordern. Und eines dieser Schiffe würde aller Wahrscheinlichkeit nach die Intrepido vormals Consort sein.

Auf einem nahen Tisch lag ein Stapel Seekarten und veranschaulichte die Weite des Atlantik, der leicht eine Flotte verschlingen und verbergen konnte. Glücklicherweise hatte Catherine ihren Brief von England aus geschickt, andernfalls hätte ihn die Ungewißheit zerfressen, ob sie in die Hände des Feindes gefallen war.

Er blickte Adam an, sah die plötzliche Sorge in dessen Augen und bat die anderen:»Lassen Sie uns bitte eine Weile allein. «Er berührte Jenours Arm.»Gehen Sie den Rest des Stapels durch, Stephen. Aber ich furchte, ich verlasse mich fast schon zu sehr auf meinen Adjutanten.»

Als sich die Tür hinter ihnen schloß, sagte Adam leise:»Das war sehr freundlich, Onkel. Dein Flaggleutnant ist auch so einer, der von deinem Charme behext ist.«»Was gibt's daran auszusetzen?»

«Ich weiß, du verabscheust Winkelzüge«, begann Adam.»Ich habe dort drüben einst ein dummes Duell ausgefochten. «Er deutete auf den Felsen.

«Das habe ich nicht vergessen, Adam.»

Der scharrte verlegen mit den Füßen.»Ist es wahr, was man sich in London erzählt?»

«Ich denke schon. Einiges auf jeden Fall.»

Adam wand sich, sein Haar glänzte im Sonnenlicht.»Ist sie das, was du dir wünschst?»

Bolitho nickte.»Ich werde darauf achten, daß es dir nicht schadet, Adam. Du bist schon genug gefährdet worden, einmal durch deinen Vater, dann durch mich.»

Adam hob das Kinn.»Ich kann mich wehren, Onkel. Lord Nelson sagte mir, daß England jetzt alle seine Söhne braucht.»

Bolitho horchte auf. Sein Vater hatte die gleichen Worte gesprochen, als er ihm den alten Degen aushändigte, der eigentlich für Adams Vater bestimmt gewesen war, vor dessen Schande. Es war fast schon unheimlich.

Adam fuhr fort:»Wenn ein Mann einem anderen die Treue hält, dann ich dir, Onkel. Das weißt du. Aber denke daran, wenn sich andere gegen dich stellen, was gewiß der Fall sein wird. Ich kenne die Dame nicht, aber ich kenne ja auch Lady Belinda kaum. «Er schaute verlegen zu Boden.»Meine Güte, ich mische mich da in Dinge ein.»

Bolitho ging zum Fenster. Auf dem stillen Wasser schimmerte das Spiegelbild ihres Nachbarschiffes.

«Mein Herz gehört ihr, Adam. Mit ihr bin ich wieder ein Mann, ohne sie bin ich wie ein Schiff, dem man die Segel vorenthält.»

Adam sah ihn voll an.»Ich glaube, daß man dich nach London ruft, um die Dinge zu ordnen. Du sollst die Affäre bereinigen, sozusagen.»

«Indem ich die Wahrheit leugne?»

«Das ist jedenfalls meine Befürchtung, Onkel. «Bolitho lächelte traurig.»Ein so weiser Kopf auf so jungen Schultern.»

Adam wirkte plötzlich so verletzlich wie als vierzehn Jahre alter Fähnrich, der einmal den ganzen Weg zu Fuß von seinem Elternhaus in Penzance gekommen war, um nach dem Tod seiner Mutter auf Bolithos Hyperion einzusteigen. Sie mochte eine Hure gewesen sein, aber sie hatte für den Jungen zu sorgen versucht. Und Hugh, Bolithos Bruder, hatte von nichts gewußt, bis es zu spät war.

Der junge Mann sagte:»Wir werden einander viel sehen. Ich habe noch mehr Depeschen von Lord Nelson, und wenn deine Angelegenheiten in London geklärt sind, habe ich dich zu deinem Geschwader zurückzubringen.»

Wer mochte das angeordnet haben? fragte sich Bolitho. Nelson selbst, der es denen zeigen wollte, die seine Affäre mit Lady Hamilton verachteten? Oder ein noch Höhergestellter, der die Familie Bolitho benutzte, um ihn zu beeinflussen? Er konnte noch gar nicht glauben, daß er Catherine so bald wiedersehen sollte. Die Tatsache eines französischen Durchbruchs in den Atlantik erschien ihm im Vergleich dazu unwichtig. Er berief die anderen in seine Kajüte.»Stephen, Sie müssen während meiner Abwesenheit hierbleiben. «Kopfschüttelnd wehrte er die Proteste ab und fügte hinzu:»Ich brauche Sie auf der Hyperion. Verstehen Sie, warum?«In des Leutnants Augen verdrängte das Begreifen die Enttäuschung.»Als einen Verbündeten, der mich benachrichtigt, wenn etwas Unerwartetes geschieht.»

Er sah Yovell an.»Sie unterstützen den Flaggleutnant nach Kräften. «Er zwang sich ein Lächeln ab.»Als Fels in der Brandung, ja?»

Yovell erwiderte das Lächeln nic ht.»Ich mache mir Sorgen um Sie, Sir Richard.»

Bolitho sah sich im Kreise um.»Ihr seid alle meine guten Freunde, aber das muß ich allein bereinigen.»

Auf einmal fiel ihm die blaugraue Narbe an Somervells Hals ein. Sollte die Sache damit beigelegt werden? Mit einem Duell? Doch er verwarf die Idee sogleich wieder. Somervell war zu sehr bestrebt, dem König zu gefallen. Nein, es mußte ein Scharmützel anderer Art sein.»Übrigens, ich nehme Allday mit.»

Adam griff sich mit einer Hand an den Kopf.»Ich Idiot, das hab' ich völlig vergessen. «Er deutete aus dem Fenster.»Ich habe den jungen Bankart zu meinem Bootsführer gemacht. Er kam in Plymouth an Bord, als ich dort nach Befehlen fragte. «Und mit einem schiefen Lächeln:»Es ist nur recht, daß ein Bastard dem anderen hilft.»

Die kleine Brigg Firefly lichtete am folgenden Tag den Anker und ging in See. Von dem Augenblick an, da Bolitho die Depeschen gelesen hatte, fand er kaum Zeit, seine Kommandanten zu versammeln und ihnen zu sagen, daß sie die nächsten Wochen dazu benutzen sollten, ihre Schiffe zu versorgen und zu überholen.

Haven war seinen mündlichen Instruktionen ohne Überraschung oder Erregung gefolgt. Bolitho hatte ihm mehr als einmal eingeschärft, daß er als Flaggkapitän verpflichtet war, über das Geschwader zu wachen, und sich nicht lediglich um die Angelegenheiten seines eigenen Schiffes kümmern durfte. Welch beeindruckende Vorschläge Kapitän McKee von der Fregatte Tybalt auch machen würde, um sich fortzustehlen, warnte er Haven, sie seien alle abzulehnen. Er brauchte die Fregatte ebenso sehr wie ihn, wenn nicht noch mehr als ihn.

Nach der Kajüte der Hyperion kamen ihm die Unterkünfte der Brigg eng wie ein Küchenschrank vor. Er konnte nur unter dem Oberlicht aufrecht stehen und erfuhr, daß die Mannschaft in Quartieren lebte, deren Stehhöhe nur vier Fuß und sechs Zoll betrug. Aber das Schiff wirkte binnenbords so lebhaft und tüchtig wie nach außen. Bolitho bemerkte schnell das aufgelockerte Verhältnis zwischen Achterdeck und Mannschaftslogis und war heimlich stolz auf das, was sein Neffe geleistet hatte.

Es störte ihn nur der Umstand, daß er nichts Neues mehr von Catherine erfahren hatte. Vermutlich suchte sie ein normales Leben zu führen, bis die Gerüchte verstummten, oder sie war umgezogen. Dennoch beunruhigte es ihn, besonders nach dem Lesen des einen Briefes, den ihm Belinda geschickt hatte.

Es war ein kühler Brief, viele hätten ihn als vernünftig bezeichnet. Sie erwähnte nur kurz seine Leidenschaft für» dieses Weib «als etwas, das man vergeben, aber nicht verstehen konnte. Nichts durfte zwischen ihnen stehen:»Ich werde es nicht tolerieren«. Hätte sie im Zorn geschrieben, wäre er weniger beunruhigt gewesen. Vielleicht hatte sie Catherine schon auf einem jener Empfänge getroffen, die Belinda so liebte? Aber das schien unwahrscheinlich.

Auf dem Ozean begann die Firefly ihrem Namen getreu förmlich zu fliegen. Adam hielt sich weit draußen, weg von Land, als sie Tag für Tag ihren Weg entlang der Küste Portugals nahmen und dann in die Biskaya abdrehten. Als Bolitho fragte, warum er so weit draußen segelte, erklärte Adam ihm grinsend, daß er die Blockadegeschwader meiden wolle.»Jeder Kommandant, der die Firefly sichtet, will mir Post für England mitgeben. Diesmal aber habe ich keine Stunde zu verschenken.»

Bolitho bedauerte die Männer auf den Blockadeschiffen. Woche um Woche kreuzten sie bei jedem Wetter hin und her, während der Feind sich im Schutz des Hafens ausruhte und jede ihrer Bewegungen beobachtete. Blockadedienst war der meistgehaßte von allen, was die neuen Leute der Hyperion bald erfahren würden.

Die zwölfhundert Meilen von Gibraltar nach Portsmouth wurden zu einer der lebhaftesten Überfahrten, an die sich Bolitho je entsann. Er verbrachte viel Zeit an Deck mit Adam, wo sie den Lärm von Wind und Gischt überschreien mußten und die Brigg ihre Segel dermaßen strapazierte, daß er sich fragte, wie das ihre Masten aushielten.

Es machte ihm Spaß, wieder mit Adam zusammen zu sein und zu sehen, daß er sich vom eifrigen Leutnant zum Kommandanten gemausert hatte, der die Stärke jedes Tampens und Segels kannte und den Unerfahrenen Vertrauen einflößte. Gern zitierte er Nelson, den Helden, den er rückhaltlos bewunderte. Adams Erster Leutnant, Bolitho bisher unbekannt, hatte, als die Biskayastürme plötzlich über sie herfielen, ängstlich Segel reffen wollen. Adam hatte das Getöse überschrien:»Es ist erst dann Zeit zu reffen, wenn man dazu Lust hat!»

Ein andermal hatte er seinen Onkel zitiert, als ihn ein Meistersgehilfe fragte, ob die Mannschaft vor oder nach dem Wenden essen solle. Adam hatte Bolitho angesehen und gemeint:»Die Mannschaft geht vor.»

Dann erreichten sie die Westlichen Zufahrtswege und den Kanal, tauschten Signale mit wachsamen Vorposten und sichteten an einem herrlichen Frühlingsmorgen die Is le of Wight. Nur fünfeinhalb Tage hatten sie von Gibraltar hierher gebraucht.

Bolitho und Adam begaben sich in Portsmouth zu einem kleineren Gasthaus, nicht zum» George«, um die Postkutsche nach London zu erwarten. Vielleicht hätte das» George «zu viele Erinnerungen geweckt.

Es hatte Bolitho während der Überfahrt auch Freude gemacht, Allday mit seinem Sohn zu beobachten. Nun sagten sie einander Lebewohl, als der junge Bankart auf seinem Schiff blieb und Allday die Kutsche bestieg. Bolitho protestierte, als Allday wegen der belegten Sitze draußen Platz nehmen sollte. Der aber musterte verächtlich die rundlichen Kaufleute, die den Innenraum belegten.

«Ich möchte die Gegend sehen, Sir Richard, und nicht dummes Geschwätz anhören müssen. Mir ist es lieber auf dem Oberdeck.»

Bolitho lehnte sich in seine Ecke und vermied jegliche Unterhaltung, indem er die Augen schloß. Mehrere Herren hatten seinen Rang erkannt und erwarteten von ihm wahrscheinlich Neuigkeiten über den Krieg. Jedenfalls war es nichts Neues, daß die Kaufleute daran ganz gut verdienten. Adam saß ihm gegenüber, sein Blick verlor sich in der Weite der vorüberziehenden Landschaft Hampshires. Im spiegelnden Fensterglas der Kutsche sah sein Bild wie eines der Porträts in

Falmouth aus. Die Aufenthalte zum Pferdewechsel folgten einander regelmäßig. Humpen mit Ale wurden von der Hand frecher Frauenzimmer in den verschiedenen Kutscherkneipen serviert, dazu schwere Mahlzeiten von Kaninchenragout bis zum besten Rinderfilet, damit die Passagiere ihre schmerzenden Muskeln auf angenehme Weise entspannen konnten. Je mehr sie sich von der See entfernten, desto weniger war vom Krieg zu spüren.

Die Kutsche legte einen letzten Halt vor einem Gasthaus in Ripley, Grafschaft Surrey, ein. Bolitho ging die schmale Straße hinunter, die Uniform unter dem Umhang verborgen. Die Luft war warm und erfüllt von Blumenduft.

England, mein England, dachte er.

Die dampfenden Pferde wurden zur Nacht in die Ställe geführt. Bolitho seufzte. Morgen würde er vor dem» George «in Southwark, London, aussteigen. Dort würde ihm Catherine seine Zuversicht wiedergeben. Zwischen Passanten stehend, ohne eine Uniform in Sicht und inmitten des Gelächters aus dem Inn, würde er es laut sagen dürfen:»Kate, ich liebe dich.»

XII Der Einbeinige

Admiral Sir Owen Godschale wartete, bis sein Diener eine Karaffe Rotwein auf das Tischchen gestellt und sich zurückgezogen hatte. Draußen vor den hohen Fenstern schien die Sonne, war die Luft heiß und staubig. Von fern kam der Lärm des Londoner Straßenverkehrs.

Bolitho nahm sich Zeit, den Claret zu schlürfen; es überraschte ihn, daß er sich in der Admiralität noch immer unbehaglich fühlte und auf der Hut war. Dabei hatte sich für ihn doch alles geändert. Man hatte ihn und Adam in eine kleine, gut ausgestattete Bibliothek geführt, die völlig anders war als die großen unbequemen Empfangsräume von früher. Diese waren mit Marineoffizieren vollgestopft, meistens mit nervösen Kapitänen, die einen höheren Offizier erwarteten oder dessen Lakai, um ihre

Wünsche vorzutragen, ein neues Kommando zu erbitten, ein anderes Schiff. Wie auch ich früher, dachte Bolitho. Er konnte sich noch nicht an den Respekt gewöhnen, den man ihm zo llte, an die Unterwürfigkeit der Admiralitätsdiener und Wachposten.

Der Admiral war ein gutaussehender, kräftig gebauter Mann, der sich im Kampf gegen die amerikanische Revolution ausgezeichnet hatte. Ein Altersgenosse von Bolitho, aber von dem jungen verwegenen Fregattenkapitän war wenig übriggeblieben. Godschale wirkte weich und schlaff, sein Gesicht und seine Hände waren so blaß, als wäre er seit Jahren nicht mehr auf See gewesen.

Er hatte seine hohe Position noch nicht lange inne; deshalb war zu erwarten, daß er alles bekämpfen würde, was seinen Eintritt ins Oberhaus verzögern oder gefährden konnte.

Nun sagte er gestelzt:»Es wärmt einem das Herz, von Ihren kühnen Unternehmen zu lesen, Sir Richard. Wir in der Admiralität fühlen uns viel zu oft vom Geschehen draußen abgeschnitten. Wir können es nur planen und mit Gottes Hilfe zu einem siegreichen Ende führen.»

Bolitho machte es sich bequemer. Er dachte an Nelsons Kommentar über die Kriege, die hier mit Worten und Papier ausgefochten wurden. Adam saß neben ihm, ohne sein Glas anzurühren. War es Höflichkeit oder Teil des Komplotts, Adam in dieses Gespräch einzubeziehen?

Godschale erwärmte sich am Thema.»Das Schatzschiff war ein solch gutes Ende, obwohl — «, er betonte das Wort, >» es einige gibt, die andeuten könnten, daß Sie sich persönlich dabei übernommen haben. Ihre Aufgabe ist es, zu führen und Erfahrung beizutragen. Aber das ist Vergangenheit. Wir müssen an die Zukunft denken.»

«Warum bin ich herbestellt worden, Sir Owen?»

Der Admiral lächelte und spielte mit seinem leeren Glas.»Um Sie wissen zu lassen, was in Europa vor sich geht, und als Lohn für tapferen Einsatz. Es hat Seiner Majestät beliebt, Sie ehrenhalber mit dem Rang eines Oberstleutnants der Royal Marines zu beleihen.»

Bolitho besah seine Hände.»Danke. «Wann kam Godschale zur Sache? Dieser Ehrentitel war nur nützlich bei einer Auseinandersetzung zwischen Heer und Navy. Natürlich war es eine Auszeichnung, aber kaum ein Anlaß, ihn von seinem Geschwader hierher zu holen.

Godschale erläuterte weiter:»Wir glauben, daß die Franzosen ihre Flotte an verschiedenen Orten zusammenziehen. Die Entsendung nach Malta wird es Ihnen ermöglichen, das Geschwader am zweckmäßigsten einzusetzen.»

«Man sagt, die Franzosen seien bei Martinique, Sir Owen. Nelson erklärt.»

Der Admiral lächelte wie ein listiger Fuchs.»Auch Nelson ist nicht über jeden Irrtum erhaben. Er mag des Volkes Liebling sein, aber gegen eine Fehleinschätzung ist er nicht gefeit. «Zum erstenmal wandte sich der Admiral Adam zu.»Ich bin ermächtigt, Ihrem Neffen mitzuteilen, daß er mit Wirkung zum ersten Juni zum Kapitän befördert ist. «Er lächelte selbstzufrieden.»Der glorreiche Erste Juni, was, Commander?»

Adam starrte von einem zum andern.»Ich danke sehr, Sir Owen.»

Der Admiral wackelte mit dem Finger.»Sie haben Ihre Beförderung mehr als verdient. Wenn Sie so weitermachen, sehe ich keinen Grund, weshalb Ihre Karriere nicht weiter aufwärts führen sollte.»

Bolitho beobachtete auf Adams sonnverbranntem Gesicht den Widerstreit der Gefühle. Drei Jahre noch, dann konnte er auf die Planstelle eines Vollkapitäns vorrücken, die Hoffnung und der Traum eines jeden jungen Offiziers.

Aber war das Belohnung oder Bestechung? Dem neuen Dienstgrad würde ein neues Kommando folgen, vielleicht sogar eine Fregatte, von der Adam immer sprach. So war es seinem Onkel ergangen und auch seinem Vater, nur daß Hugh auf der falschen Seite gekämpft hatte.

Godschale wandte sich wieder an Bolitho.»Es tut gut, mit Ihnen beisammen zu sein, Sir Richard. Es war ein langer, langer Aufstieg seit den Saintes Anno zweiundachtzig. Ich frage mich aber, ob allen klar ist, wie leicht man die Gunst des Schicksals verlieren kann, manchmal gar nicht durch eigene Schuld. «Er mußte die Kälte in Bolithos Augen gesehen haben und beeilte sich fortzufahren:»Bevor Sie London verlassen, um nach Gibraltar zurückzukehren, müssen Sie bei mir dinieren. «Er streifte Adam mit einem flüchtigen Seitenblick.»Sie natürlich auch. Sie wissen schon: mit Ehefrauen, Freunden, netten Gesprächen, alles ganz zwanglos.»

In Wahrheit ist es keine Bitte, dachte Bolitho, es ist ein Befehl.»Ich bin nicht sicher, ob sich Lady Belinda noch in London befindet. Ich hatte noch keine Zeit, um…»

Godschale schaute vielsagend auf die verzierte Tür.

«Ganz recht, Sie sind ein vielbeschäftigter Mann. Aber keine Sorge, meine Frau sah sie erst gestern. Sie werden einander gute Gesellschaft leisten, während wir beide uns über den schmutzigen Krieg unterhalten. «Er lachte still in sich hinein.»Dann ist ja alles klar.»

Bolitho erhob sich. Er würde Belinda ohnehin sehen müssen. Aber warum ließ Godschale kein Wort über Catherine fallen? Bolitho war gegen Adams Rat allein zu ihrem Haus gegangen, aber nicht weiter als bis zum Eingang gekommen. Ein selbstbewußter Lakai hatte ihm versichert, daß sein Besuch dankend zur Kenntnis genommen würde, aber daß Viscount Somervell im Dienst des Königs das Land bereits verlassen habe. Ihre Ladyschaft sei wahrscheinlich bei ihm.

Der Mann wußte eine Menge mehr, als er sagte. Und Godschale auch. Sogar die billige Herablassung Adam gegenüber hatte einen Haken. Die Beförderung war sein gutes Recht, er hatte sie auch ohne jede Bevorzugung verdient.

Außerhalb des Admiralitätsgebäudes schien ihm die Luft reiner. Er fragte Adam:»Was hältst du von alledem?»

Adam zuckte die Achseln.»Ich bin nicht so dumm, daß ich die Drohung nicht erkenne, Onkel.»

«Du könntest in meinen Fall verwickelt werden, Adam.»

Sein Neffe grinste, und die Spannung fiel wie eine Maske von ihm ab.»Ich bin aber schon hineinverwickelt, Sir!»

«Gut denn. Wir werden in dem Haus wohnen, das ich schon erwähnte. «Er lächelte in der Erinnerung.»Mein ehemaliger Flaggleutnant Browne hat es mir zur Verfügung gestellt. «Nach dem Tod seines Vaters hatte Browne — »mit einem e am Ende«-dessen Titel geerbt und längst seinen Sitz im Oberhaus eingenommen, im Gegensatz zu Godschale.

Adam nickte.»Ich sorge dafür, daß es bekannt wird. «Dann musterte er die imposanten Gebäude und zahlreichen Passanten.»Dies ist eine sehr große Stadt. Ein Mensch könnte darin für immer verloren gehen. «Er sah ihn nachdenklich an.»Bist du auch ganz sicher, Onkel? Vielleicht ist sie wirklich verreist, weil sie glaubte, es wäre am besten für dich. «Er stockte.»Oder weshalb auch immer. Jedenfalls scheint ae ein sehr anständiger Mensch zu sein.»

«Ich bin sicher, Adam. Und danke für deine Unterstützung. Ich wüßte nicht, wo sich Valentine Keene momentan aufhält, und habe auch keine Zeit, ihn brieflich zu erreichen. Es bleiben mir nur noch Tage, nicht Wochen.»

Seine Sorge war so offensichtlich, daß Adam beschwichtigend sagte:»Nur die Ruhe, Onkel, du hast viele Freunde.»

Gemeinsam traten sie in die Sonne hinaus. Einige Schaulustige beobachteten die an der Admiralität vorfahrenden Equipagen, und als sich die beiden Offiziere ihnen näherten, drehte sich einer um. Er rief:»Schaut, Leute, das ist er!«Er winkte Bolitho mit einem zerknautschten Hut.»Gott segne Euch, Dick! Verpaßt den Frogs noch mehr Prügel!»

Ein zweiter schrie beifällig:»Hört nicht auf die Miesmacher da drin!»

Bolitho lächelte, aber ihm war, als wolle sein Herz brechen. Er meinte leise:»Ja, ich habe wirklich noch ein paar Freunde.»

Bolitho wurde in Brownes Haus in der Arlington Street wärmstens empfangen, wie es ihm sein einstiger Flaggleutnant versprochen hatte. Ihr Herr befände sich im Norden, habe sie aber auf den Besuch vorbereitet, erklärte die Haushälterin und geleitete sie zu einer bequemen Zimmerflucht im ersten Stock. Adam verließ das Haus fast sofort wieder und begab sich zu Freunden, die vielleicht etwas über Catherine wußten; denn Bolitho war nun fest davon überzeugt, daß sie verschwunden war. Er glaubte nicht, daß sie mit Somervell verreist war, um den Schein zu wahren und ihrer beider Ruf zu retten.

Am nächsten Morgen, als Bolitho das Haus verließ, hatte er einen Wortwechsel mit Allday, der dagegen protestierte, zurückgelassen zu werden. Bolitho bestand jedoch darauf.»Wir sind hier nicht auf einem Schiff, das die Franzosen jeden Augenblick stürmen können, alter Freund.»

Allday starrte auf die belebte Straße.»Je länger ich in London bin, um so weniger traue ich der Stadt!»

Bolitho erwiderte:»Ich brauche dich aber hier, für den Fall, daß uns jemand besucht. Die Haushälterin könnte sie sonst fortschicken.»

Da mußte Allday nachgeben.

Es war nur eine kurze Strecke bis zu dem stillen kleinen Platz, an dem Belinda wohnte. Er schaute einigen Kindern zu, die auf dem Rasen in der Mitte spielten. Die Kindermädchen standen daneben und tratschten, wahrscheinlich über ihre Herrschaften. Eines dieser Kinder mochte Elizabeth sein. Bestürzt wurde ihm klar, daß sie sich seit ihrer letzten Begegnung sehr verändert haben mußte. Sie war nun fast drei Jahre alt. Zwei der Kindermädchen knicksten vor ihm, er grüßte höflich zurück. Wieder ein heimkehrender Seemann. Heim? Das klang in seinem Fall eher ironisch. Wie würde er die nächsten Minuten bestehen?

Das Haus war hoch und so elegant wie viele, die während der Regentschaft Seiner Majestät bisher gebaut worden waren. Mit seinen drei Stockwerken glich es sich den Nachbarn zu beiden

Seiten an. Breite Stufen führten zum Portal, flankiert von einem kunstvollen schmiedeeisernen Geländer.

Eine Dienerin öffnete und betrachtete ihn mehrere Sekunden lang erstaunt. Danach sank sie in einen tiefen Knicks, nahm unter gestammelten Entschuldigungen seinen Hut und wies ihn in eine Säulenhalle, deren Decke ein blaugoldenes Blattmuster zierte.

«Hier entlang, Sir.»

Sie öffnete eine Flügeltür und trat beiseite. Der Salon war teuer und geschmackvoll ausgestattet, das Mobiliar schien ausländischer Herkunft. Die Vorhänge und dazu passenden Teppiche waren, so schätzte er, erst kürzlich angefertigt worden. Er dachte an das weitläufige Haus in Falmouth. Verglichen mit diesem wirkte es wie eine Bauernfarm.

Er erblickte sich in einem hohen, goldgerahmten Spiegel und straffte unwillkürlich die Schultern. Der Kontrast zu der fleckenlosen Weste und weißen Kniehose verlieh seinem Gesicht eine attraktive Bräune, aber in der Uniform kam er sich wie ein Fremder vor. Er versuchte sich zu entspannen und lauschte den gedämpften Geräuschen im Haus. Eine andere Welt.

Plötzlich öffnete sich die Tür, und sie trat schnellen Schrittes ein — Belinda. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, das beinahe mit der Farbe seines Rockes übereinstimmte. Ihr Haar war aufgesteckt, ließ die kleinen Ohren frei und betonte den Juwelenschmuck am Hals. Sie wirkte sehr gelassen und selbstsicher.

Er sagte:»Ich habe mich angemeldet. Hoffentlich komme ich gelegen?»

Sie ließ kein Auge von ihm, als suche sie eine Verletzung, Verstümmelung oder sonstige Veränderung an ihm.»Ich halte es für absurd, daß du bei Fremden wohnst.»

Er zuckte die Achseln.»Es schien das Beste, bis…»

«Bis du sahst, wie ich mich dir gegenüber verhalten würde?»

Sie betrachteten einander, mehr Fremde als Mann und Frau.

Er entgegnete:»In meinem Brief versuchte ich zu erklären.»

Sie winkte ab.»Mein Cousin ist hier. Er bat mich, dir deine

Torheit um unser aller willen zu vergeben. Aber durch deine bedenkenlose Affäre hast du mich in große Verlegenheit gebracht. Du bist ein Flaggoffizier von Ruf, und trotzdem benimmst du dich wie irgendein schmieriger Matrose mit seiner Hafenhure.»

Bolitho sah sich um. Das Herz war ihm schwer.»Einige dieser schmierigen Matrosen sterben gerade, um Häuser wie deines zu schützen«, sagte er dumpf.

Sie lächelte flüchtig, als hätte sie auf diese Antwort gewartet.»Bah, Richard! Dein Anteil am Prisengeld für die spanische Galeone wird es ihnen mehr als lohnen. Darum flüchte dich nicht in Heucheleien.»

Er bemerkte tonlos:»Catherine ist für mich nicht nur eine Affäre.»

«Verstehe. «Sie hatte sich einem der hohen Fenster zugewandt, fuhr aber nun wütend herum.»Wo ist denn diese Frau jetzt, deretwegen du den Verstand verloren hast? Ich werde dir sagen, wo sie ist: bei ihrem Gatten, dem Viscount Somervell, der anscheinend eher gewillt ist zu vergeben als ich!»

«Du hast dich mit ihm getroffen?»

Sie warf den Kopf zurück. Ihre Finger, die schnell über den Vorhang strichen, verrieten ihre Erregung.

«Selbstverständlich. Wir waren beide sehr besorgt über die peinliche Demütigung.»

«Ich bedaure das.»

«Aber nicht, was du getan hast?»

«Das ist ungerecht. «Er wunderte sich, daß er so ruhig blieb.»Aber es kommt nicht unerwartet.»

Sie blickte an ihm vorbei in den Raum.»Dieses Haus gehört dem Herzog von Richmond. Es ist ein vornehmes Haus, passend für uns — für dich.»

Bolitho hörte ein Geräusch und sah, wie ein kleines Kind an der offenen Tür vorbeigeführt wurde. Trotz der Maskerade aus schaumigen Spitzen und hellblauer Seite erkannte er Elizabeth. Sie drehte sich nur einmal kurz um, an der Hand ihrer Nurse hängend, und ging dann ohne Reaktion weiter.

Er sagte:»Sie kennt mich nicht mehr.»

«Was hast du denn gedacht?«Belindas Stimme verlor an Schärfe.»Aber das kann und wird sich ändern. Mit der Zeit.»

Er unterdrückte seine Enttäuschung.»Ich soll hier leben? Die See aufgeben, wenn sich unser Land in Not befindet? Was soll dieser Irrsinn? Seht ihr denn nicht die Gefahr?»

«Du kannst dem Land auch in London dienen, Richard. Sir Owen Godschale zum Beispiel genießt größtes Ansehen, sowohl bei Hofe als auch im Parlament.»

Bolitho legte die Hände auf den kühlen Sims des Marmorkamins.

«Ich kann es nicht!»

Sie beobachtete ihn im Spiegel.»Dann begleite mich wenigstens zu Sir Owens Dinner. Unsere schriftliche Einladung kam heute. «Zum erstenmal zögerte sie.»Begleite mich, damit die Leute die Haltlosigkeit des Gerüchts erkennen. Catherine ist mit Somervell gegangen, Richard, zweifle nicht daran. Vielleicht aus ehrlichem Gefühl, vielleicht hat sie aber auch begriffen, wo für sie der größere Vorteil liegt. «Sie lächelte überlegen, als er wütend auf sie zukam.»Glaube, was du willst. Aber ich denke jetzt nur an uns, schließlich bin ich dazu verpflichtet!»

Bolitho beherrschte sich mit Mühe.»Ich bleibe bis morgen in Brownes Haus und denke darüber nach.»

Sie nickte mit leuchtenden Augen.»Verstehe. Ich kenne deine Stimmungen. Aber morgen werden wir einen neuen Anfang machen. Ich vergebe dir, und du mußt versuchen zu vergessen. Du darfst doch wegen einer momentanen Leidenschaft nicht den guten Namen deiner Familie aufs Spiel setzen. Wir haben uns im Bösen getrennt, ich weiß, auch daß ich einen Teil der Schuld trage.»

Sie ging mit ihm durch die Halle. Die ganze Zeit hatten sie einander nicht berührt, geschweige denn umarmt.

Belinda fragte noch:»Ist mit dir alles in Ordnung? Fühlst du dich wohl? Ich hörte, du wärst krank gewesen.»

Er nahm seinen Hut von der Dienerin, die ihn offenen Mundes ansah.»Ich bin wohlauf, danke.»

Dann wandte er sich ab und ging auf den Platz hinaus, während die Tür hinter ihm ins Schloß fiel.

Wie konnte er zu Godschales Dinner gehen und so tun, als ob nichts geschehen wäre? Selbst wenn er Catherine niemals wiedersah, würde er sie und das, was sie für ihn getan hatte, nie vergessen.

«Ich kann nicht glauben, daß sie vor mir geflohen ist!«Die Worte kamen laut über seine Lippen, aber er bemerkte nicht einmal, daß sich zwei Passanten nach ihm umdrehten.

Allday begrüßte ihn müde.»Nichts Neues, Sir Richard. «Bolitho warf sich in einen Stuhl.»Bring mir was zu trinken.«»Einen schönen kühlen Weißwein?«»Nein, diesmal was Starkes — Brandy.»

Er leerte zwei Gläser. Sie wärmten ihn und glätteten seine Gefühle.»Teufel nochmal, ich bin ratlos.»

Allday runzelte die Stirn, füllte aber nach. Trinken war die beste Methode, Kummer zu vergessen. Er sah sich um. Und die See. Davon verstand er was.

Bolithos Kopf sank auf die Brust, das leere Glas entfiel unbeachtet seiner Hand.

Sein Traum kam sehr plötzlich und war ungewöhnlich klar: Catherine klammerte sich mit bloßen Brüsten an ihn, während man sie ihm entriß. Ihr Schrei bohrte sich wie heißer Stahl in sein Hirn. Er erwachte mit einem Ruck und sah, daß Allday gerade seinen Arm losließ und ihn betroffen ansah. Bolitho japste:»Ich… Tut mir leid. Es war ein Alptraum. «Im Raum war es dunkler geworden.»Wie lange bin ich schon hier?»

Allday maß ihn kritisch.»Tut jetzt nichts zur Sache, mit Verlaub. «Sein Daumen wies zur Tür.»Da is' jemand draußen, der Sie sprechen möchte. Will mit keinem anderen reden.»

Bolithos Kopf wurde allmählich klar.»Reden worüber? Aber egal, bring ihn rein«, fügte er hinzu.

Er stand auf und sah sein derangiertes Spiegelbild in der Fensterscheibe. Verlor er noch den Verstand? Allday schmollte.»Er könnte auch bloß ein Bettler sein.«»Hol ihn!»

Er hörte Allday durch den Flur gehen und dazu einen seltsam arhythmischen Schritt, der ihn an einen alten Freund denken ließ, zu dem er den Kontakt verloren hatte. Aber dieser von Allday hereingeschobene Mann war weder ein Bekannter, noch war seine abgetragene Uniform ihm vertraut.

Der Besucher nahm seinen altmodischen Dreispitz ab und enthüllte unordentliches, ergrauendes Haar. Er ging sehr gebeugt, was wohl von seinem Holzbein herrührte.

Bolitho fragte:»Was kann ich für Sie tun? Ich bin…»

Der Mann plierte ihn an und nickte mit Nachdruck.»Ich weiß, wer Sie sind, Sir.»

Er sprach mit schwachem Westküstenakzent, und die Art, wie er grüßend seine Stirn berührte, wies ihn als alten Seemann aus. Aber die Uniform mit den einfachen Messingknöpfen hatte Bolitho nie zuvor gesehen.

Er machte eine einladende Bewegung.»Möchten Sie sich nicht setzen? Allday, ein Glas für… Wie darf ich Sie nennen?»

Der Mann balancierte verlegen auf einem Stuhl.»Sie werden sich nicht mehr erinnern, Sir, aber mein Name ist Vanzell.»

Allday fuhr auf.»Bei Gott, er ist es!«Er starrte dem Einbeinigen ins Gesicht.»Geschützführer auf der Phalarope!»

Bolitho griff nach einer Stuhllehne und ordnete seine abschweifenden Gedanken. Es war so lange her. Und trotzdem konnte er nicht verstehen, warum er den Mann namens Vanzell nicht erkannt hatte. Er stammte aus Devon wie Yovell. Das lag nun über zwanzig Jahre zurück, damals war er noch ein Juniorkapitän gewesen, wie es Adam nun bald sein würde.

Das Gefecht bei den Saintes hatte Godschale als sentimentale Erinnerung abgetan. Nicht so Bolitho. Er sah die durchbrochene Schlachtlinie noch wie heute, hörte wieder das Brüllen der

Kanonen, in deren Feuer viele gute Männer fielen und starben. Einschließlich seines ersten Bootsführers, Stockdale, den es traf, als er ihn deckte. Er blickte Allday an, in dessen Gesicht sich die gleichen Empfindungen spiegelten. Auch er war dabei gewesen, als ein Gepreßter.

Vanzell freute es, daß man ihn wiedererkannte.»Ich vergaß niemals, wie Sie mir und der Frau geholfen haben«, fuhr er fort,»als ich abgemustert wurde, weil ich nur noch ein Bein hatte. Sie ha'm uns gerettet, Sir, das steht fest. «Er setzte sein Glas ab und schien einen Entschluß zu fassen.»Dann hör' ich, daß Sie wieder in London sind. Also komm' ich und versuch zu vergelten, was Sie für mich und meine Frau getan haben. Sie is' schon lang nicht mehr. Es gibt nur noch mich, aber ich kann nicht vergessen, wie die Schweine damals unsere Decks beharkten.»

Bolitho setzte sich wieder.»Wovon leben Sie jetzt?»

Hinter seiner Frage stand Sorge, denn er begriff: Dieser Mann mit seinem simplen Englisch, ein zerfetztes Stück Vergangenheit, war ängstlich. Aus irgendeinem Grunde hatte es ihn Überwindung gekostet zu kommen.

Vanzell sagte:»Es bringt mich um meine Stellung, Sir. «Er dachte laut.»Sie wissen alle, daß ich unter Ihnen gedient habe. Sie werden es mir nie verzeihen, niemals nich'. «Er studierte Bolitho aufmerksam und rang sich durch.»Ich bin Gefängniswärter, Sir. Der Job war alles, was ich kriegen konnte. «Er seufzte.»Sie haben sonst keine Verwendung für halbkaputte Teerjacken wie mich.»

Seine Hand zitterte, als ihm Allday noch ein Glas einschenkte. Dann erklärte er heiser:»Ich bin in Waites, Sir.»

«Was ist das?»

Allday sagte scharf:»Ein Frauengefängnis.»

Vanzell kippte das Glas mit einem Schluck.»Sie ham'se da. Ich weiß es, ich hab'se gesehen und hab' gehört, was die andern über Sie beide erzählten.»

Bolitho fühlte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg.

Catherine im Gefängnis? Das war doch unmöglich! Aber er mußte es glauben. Der Mann sagte zu Allday:»Is'n schmutziger Ort, voller Abschaum. Schuldnerinnen un' Verrückte, ein Tollhaus, nich' zu glauben.»

Allday sah Bolitho an.»O ja, ich glaub' dir, Kamerad. «Bolitho drängte:»Sag der Haushälterin, ich brauche sofort eine Droschke. Weißt du, wo dieses Waites liegt?«Allday verneinte.

«Ich führe Sie hin, Sir«, sagte Vanzell.

«Gut. «Bolithos Kopf war auf einmal so klar, als hätte man ihn mit eisigem Wasser übergossen. Er fragte Vanzell:»Hätten Sie Lust, bei mir in Falmouth zu arbeiten? Es ist ein Häuschen dabei, ein oder zwei Veteranen von der Phalarope leben ebenfalls dort. Sie würden sich wie zu Hause fühlen.»

Er blickte beiseite, von Vanzells Dankbarkeit überwältigt.

Allday kam zurück und reichte ihm den Umhang. Er hatte inzwischen seinen besten blauen Rock mit den goldenen Knöpfen angezogen und trug ein Pistolenhalfter in der Hand. Nun betrachtete er Bolitho, der seinen Degen einhängte.»Es könnte trotzdem ein Irrtum sein, Sir Richard, eine Verwechslung.»

«Diesmal nicht, alter Freund. Bist du bereit?»

Allday wartete noch auf Vanzell, der sie zu einer schnellen Kutsche vor der Tür begleitete.

In Bolithos Ohr klangen immer wieder die gleichen Worte: nicht weggelaufen, eingesperrt, eingesperrt…

Das Frauengefängnis lag nördlich von London, und es war schon fast dunkel, als sie dort ankamen. Es war ein finsteres Gebäude, von hohen Mauern umgeben. Bei Tageslicht mußte es noch zehnmal schlimmer aussehen. Bolitho kletterte aus der Kutsche und sagte zu Vanzell:»Warten Sie hier, Sie haben Ihren Teil getan.»

Er hämmerte an ein schweres Tor, das nach längerer Pause wenige Zoll breit geöffnet wurde. Ein unrasierter Mann in der gleichen Uniform wie Vanzell beäugte sie mißtrauisch.

«Wer klopft zu so später Stunde?«Als er eine Laterne hochhielt, ließ Bolitho seinen Umhang von den Schultern gleiten, so daß das Licht auf seinen Epauletten glitzerte.

«Melde dem Direktor, daß Sir Richard Bolitho ihn zu sprechen wünscht. «Er bemerkte des Mannes Bestürzung und drängte hinter ihm in den Hof.»Los!»

Sie folgten dem Wärter auf einem langen, unordentlichen Fußweg zum Hauptgebäude. Bolitho sah, daß auch er hinkte. Man fand es hier offenbar billiger, abgemusterte Soldaten zu beschäftigen. Ein zweites Tor, ein geflüsterter Wortwechsel, während Bolitho, die Hand am Degen, in einem feuchten Raum wartete, Alldays schweren Atem hinter sich.

Er zuckte zusammen, als ein durchdringender Schrei, dem Rufe und dumpfe Schläge folgten, durch das Gebäude hallte. Andere Stimmen fielen ein, bis der ganze Kerker sich in Qualen zu winden schien. Noch mehr wütendes Geschrei, jemand schlug mit etwas Schwerem dröhnend gegen eine Tür, und dann wurde es schließlich wieder still.

Eine Tür ging auf, der Wärter ließ den Admiral in eine Kanzlei eintreten. Der Kontrast überraschte: gute Möbel, ein großer, mit Hauptbüchern und Papieren bedeckter Schreibtisch und ein Teppich, der hier ebenso fehl am Platz schien wie der Mann, der nun aufstand, um Bolitho zu begrüßen.

Untersetzt, fröhlichen Blicks, mit einer Lockenperücke auf dem kahlen Haupt, hatte er ganz die Erscheinung eines Landgeistlichen.»Sir Richard, dies ist aber wirklich eine Ehre. «Er sah nach der Uhr und lächelte wie ein keckes Kind.»Und eine Überraschung zu so später Stunde.»

Bolitho übersah seine ausgestreckte Hand.»Ich bin wegen Lady Somervell gekommen. Keine lange Diskussion — wo ist sie?»

Der Mann schien verwirrt.»Wirklich, Sir Richard — ich würde einen so tapferen Gentleman niemals enttäuschen wollen, aber ich fürchte, da hat jemand ein grausames Spiel mit Ihnen getrieben.»

Bolitho hatte noch den furchtbaren Schrei im Ohr.»Wen halten Sie hier fest?»

Der kleine Mann entspannte sich ein wenig.»Wahnsinnige und solche, die Irrsinn geltend machen, um ihre Schulden gegenüber der Gesellschaft.»

Bolitho ging um den Tisch herum und sagte leise, aber drohend:»Sie ist hier, das wissen wir beide. Wie können Sie eine Lady in diesem ekelhaften Haus festhalten? Ich frage nicht danach, welchen Namen man ihr gegeben hat oder unter welchem Vorwand sie hier sitzt. Wenn Sie sie nicht sofort freilassen und mir übergeben, lasse ich Sie festnehmen und zeige Sie an wegen Mißbrauchs Ihres Amtes und Beteiligung an einem Komplott, um ein Verbrechen zu vertuschen. «Er umfaßte den Griff seines Degens.»Und ich will keine weiteren Lügen mehr hören!»

Der Mann bat:»Vielleicht läßt sich morgen feststellen.»

Bolitho fühlte, daß ihn letzte Gewißheit überkam. Catherine war hier! Einen Moment hatte des Mannes Selbstsicherheit ihn zweifeln lassen. Nun schüttelte er den Kopf.»Nein, sofort!»

Morgen mochte man sie längst woanders hingebracht haben. Bis dahin konnte ihr alles mögliche zustoßen. Er befahl barsch:»Führen Sie uns zu ihr.»

Der kleine Mann riß eine Schublade auf und keuchte vor Angst, als Allday sofort reagierte und seine Pistole zog. Mit zitternder Hand hob er fast unter Tränen einen Schlüssel hoch.»Bitte, wir wollen doch vorsichtig sein.»

Bolitho stockte der Atem, als sie durch einen schwach beleuchteten Korridor gingen. Auf dem Boden lag Stroh, die Wände troffen vor Feuchtigkeit. Der Gestank war zum Übergeben. Es roch nach Unrat, Armut und Verzweiflung. Sie hielten vor der letzten Tür, und der kleine Mann flüsterte:»Bei allen Heiligen, ich habe nichts damit zu tun. Sie wurde mir überantwortet, bis ihre Schulden bezahlt sind. Aber wenn Sie sicher sind, daß.»

Bolitho hörte gar nicht hin. Er spähte durch ein kleines, vergittertes Fenster, dessen Stäbe von tausend verzweifelten Fingern glattpoliert waren. Eine Laterne wie jene, die in der Waffenkammer eines Schiffes hingen, beleuchtete die höllische Szene.

Ein altes Weib hockte an der Wand, sich von einer Seite zur anderen wiegend. Speichel rann aus ihrem Mund, als sie ein

Kinderlied vor sich hinsummte. Ihre Haut war dreckig, ihre zerrissene Kleidung voller Flecken.

Ihr gegenüber saß Catherine auf einer schmalen Holzbank, die Beine gespreizt, die gefalteten Hände zwischen den Knien. Ihr Kleid war aufgerissen wie an dem Tag, als sie an Bord der Hyperion gekommen war. Sie war barfuß. Ihr langes, ungekämmtes Haar verhüllte das Gesicht und fiel ihr über die teilweise entblößten Schultern. Weder bewegte sie sich, noch schaute sie auf, als der Schlüssel im Schloß knirschte und Bolitho die Tür aufstieß.

Leise wisperte sie:»Wenn ihr mich anfaßt, bringe ich euch um.»

Bolitho streckte die Arme aus.»Kate, hab' keine Angst. Komm zu mir.»

Sie hob den Kopf und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Noch immer blieb sie still sitzen, sie schien ihn nicht zu erkennen. Einen Moment fürchtete Bolitho, daß sie vor Entsetzen ebenfalls verrückt geworden sein könnte.

Da stand sie auf und machte ein paar unsichere Schritte auf ihn zu.»Bist du's? Bist du es wirklich?«flüsterte sie. Dann schüttelte sie abwehrend den Kopf und warnte:»Rühr mich nicht an! Ich bin unsauber.»

Bolitho faßte sie um die Schultern und zog sie an sich. Ihr Widerstand wich einem hemmungslosen Schluchzen. Er fühlte ihre Haut durch den Stoff des Kleides, sie hatte nichts darunter an. Trotz der dumpfen, abgestandenen Luft war sie kalt wie Eis. Er hüllte sie in seinen Umhang, so daß nur ihr Gesicht und die bloßen Füße zu sehen waren.

Als sie den Gefängnisleiter im Türrahmen stehen sah, versteifte sich ihr ganzer Körper. Bolitho herrschte ihn an:»Ziehen Sie den Hut in Gegenwart einer Dame, Sir!«Des Mannes Furcht ekelte ihn an, aber er schloß:»Oder, bei Gott, ich fordere Sie auf der

Stelle!»

Der Direktor wich zurück, sein Hut fegte fast den schmutzigen Boden. Bolitho führte Catherine den Korridor hinunter. Einige

Gefangene spähten durch die Zellenfenster, ihre Hände umklammerten die Stäbe wie Klauen. Diesmal schrie niemand.»Deine Schuhe, Kate?»

Sie drängte sich an ihn, als ob er sie gegen alles und jedes schützen könnte.

«Was ich hatte, habe ich für Essen verkauft. «Sie hob den Kopf und sah ihn prüfend an.»Aber ich bin schon früher barfuß gegangen.»

Ihr plötzlicher Trotz ließ sie noch zerbrechlicher erscheinen.»Gehen wir wirklich hier fort?«Bolitho nickte nur.

Unbehindert erreichten sie das schwere Tor, vor dem die Droschke mit den zwei stampfenden Pferden wartete. Catherine sah die Gestalt im Innern der Kutsche und fragte ängstlich:»Wer ist das?»

Bolitho hielt sie fest, bis sie sich wieder beruhigt hatte.»Das ist nur ein Freund, der genau wußte, wann er gebraucht wurde.»

XIII Das Komplott

Belinda schloß die Flügeltüren des Salons und lehnte sich dagegen.

«Sprich leise, Richard, die Dienstboten können dich sonst hören. «Sie atmete heftig, vielleicht aus Furcht, während sie ihm mit den Blicken folgte, als er den eleganten Raum kreuz und quer durchschritt.

Bolitho wirbelte herum.»Gott verdamme sie alle und dich dazu für das, was ihr getan habt!»

«Was ist denn, Richard? Bist du betrunken?»

«Glücklicherweise nicht. Denn ich weiß nicht, ob ich mich dann noch so in der Gewalt hätte.»

Sie erblaßte, und er versuchte sich zu beherrschen.

«Du wußtest es die ganze Zeit! Du und Somervell, ihr beide habt dafür gesorgt, daß man sie in ein Loch steckte, das nicht mal für Schweine geeignet ist.»

Wieder hatte er die Bilder vor Augen: Catherine in der ekelhaften Zelle und danach, als er sie zu Brownes Haus in der Arlington Street gebracht hatte und sie ihn bat, sie nicht allein zu lassen.

«Geh nicht, Richard. Das alles ist doch jetzt gleichgültig. Wir sind zusammen, nur das zählt«, hatte sie geflüstert.

Vor der wartenden Kutsche hatte er sich umgedreht.»Aber diese Lügner wollten es verhindern. «Er lächelte beruhigend.»Ich bin bald wieder da.»

Nun fuhr er Belinda an:»Sie ist ebensowenig eine Schuldnerin wie du, und du wußtest das, als du den Plan mit Somervell ausgeheckt hast. Ich hoffe nur, daß er so schnell mit der Klinge ist wie mit der Pistole, denn wenn ich ihn zu fassen kriege.»

Sie griff sich an die Kehle.»So habe ich dich ja noch nie gesehen!»

«Das wirst du auch nie wieder!»

«Ich habe es für uns getan, Richard. Für das, was wir waren und wieder sein könnten.»

Bolithos Herz klopfte. Er war nahe daran gewesen, sie zu schlagen. Catherine hatte ihm in der Kutsche in abgerissenen Sätzen alles erzählt, während der Regen gegen die Scheiben klatschte.

Sie hatte Somervell den größten Teil ihres eigenen Vermögens geliehen, als sie heirateten, denn er mußte wegen hoher Spielschulden um sein Leben fürchten. Aber er hatte Freunde bei Hofe, den König eingeschlossen, und ein Regierungsamt rettete ihn noch einmal.

Er hatte jedoch einen Teil ihres Geldes absichtlich unter ihrem Namen investiert und sie die Folgen tragen lassen, als sich diese Anlage als Fehlspekulation erwies. Das hatte Somervell auch Belinda erklärt. Bolitho schwindelte der Kopf, als er sich vorstellte, daß dieser Plan beinahe gelungen wäre. Wenn er in Belindas Haus eingezogen wäre und man ihn auf Admiral Godschales Empfang gesehen hätte, wäre Catherine von seiner

Versöhnung mit Belinda berichtet worden: eine brutale und endgültige Verabschiedung für sie.

Somervell hatte das Land verlassen, soviel stand fest. Bei seiner Rückkehr hätte er Catherine halb verrückt vorgefunden oder sogar tot. Denn wie ein Seevogel hätte sie sich niemals in einen Käfig zwängen lassen.

Bolitho nahm den Faden wieder auf.»Für uns? Das hast du ebenfalls vernichtet. Denk daran, was du mir mehr als einmal ins Gesicht gesagt hast: Auch wenn du so aussähest wie Cheney, bedeute das noch lange nicht, daß du irgendetwas mit ihr gemein hättest. Das war das einzig Wahre, was du jemals sagtest.»

Er sah sich im Zimmer um.

«Behalte dieses Haus, Belinda, unter allen Umständen. Aber schenke hin und wieder auch einen Gedanken denen, die kämpfen und sterben, damit du besser genießen kannst, was jene niemals kennenlernen.»

Sie trat zurück, als er die Tür aufriß. Er glaubte einen Schatten hinter der Treppe verschwinden zu sehen. Die Dienstboten hatten etwas zum Klatschen aufgeschnappt.

«Das wird dich ruinieren!«schrie sie.

Sie rang nach Atem, als er auf sie zuging. Aber er nahm nur seinen Hut auf.

«Das ist mein Risiko. Eines Tages werde ich es meiner Tochter erklären. «Er sah sie noch einmal an.»Alles, was du nötig hattest, sollte dir von Falmouth geschickt werden. Aber selbst das hast du zurückgewiesen. Also genieße dein neues Leben mit deinen vornehmen Freunden. «Er trat durch die Tür.»Und Gott helfe dir!»

Ungeachtet des Regens, der sein Gesicht kühlte, wanderte er durch die dunklen Straßen. Er mußte zu Fuß gehen, um seine Gedanken zu ordnen. Er würde sich Feinde schaffen, aber das war nichts Neues. Es hatte genug Neider gegeben, die ihm wegen Hugh zu schaden versuchten, ihn durch Adam zu verletzen trachteten.

Wo sollte Catherine bleiben? Nicht in Falmouth, solange er sie nicht selbst hinbringen konnte. Das heißt, falls sie überhaupt dort hin wollte. Würde sie nach diesen Ereignissen seinen Worten einen Doppelsinn beimessen, einen nochmaligen Verrat argwöhnen? Er verwarf diese Gedanken augenblicklich. Catherine war wie die Klinge an seiner Seite, beinahe unzerbrechlich. Aber eben nur beinahe.

Eines schien sicher: Godschale würde bald erfahren, was sich zugetragen hatte, obwohl keiner offen darüber sprechen würde, um nicht als Mitverschwörer zu erscheinen. Er lächelte trübe. Für ihn hieß es wohl sehr bald wieder:»Gibraltar for orders.»

Sein wacher Sinn bemerkte einen Schatten und das Klicken von Metall. In der nächsten Sekunde lag der Degen in seiner Hand, und er rief:»Stehenbleiben!»

Adams Stimme antwortete, sie klang erleichtert.»Ich wollte nur nach dir sehen, Onkel.»

Bolitho steckte die Klinge in die Scheide.

«Ist es vorbei?«fragte sein Neffe.

«Aye, es ist erledigt.»

Adam faßte Tritt und lüftete den Hut, um in den Regen zu starren.»Ich habe das mit Catherine von Allday gehört. Es sieht fast so aus, als ob ich dich nicht einen Augenblick allein lassen sollte.»

Bolitho erwiderte:»Ich kann es selbst noch kaum glauben.»

«Die Menschen ändern sich eben, Onkel.»

«Das glaube ich nicht. «Er beobachtete zwei Infanterieleutnants, die sich unsicheren Fußes in Richtung St. James entfernten.»Die Umstände vielleicht, aber nicht die Menschen.»

Adam wechselte taktvoll das Thema.»Ich habe herausbekommen, wo sich Kapitän Keen aufhält: in Cornwall. Sie regeln dort einige Dinge, die Miss Carwithens verstorbenen Vater betreffen.»

Bolitho nickte. Er hatte schon befürchtet, daß Keen ohne ihn heiraten würde. Eigenartig, daß ihm eine solche Kleinigkeit noch so wichtig sein konnte, nach allem, was hier geschehen war.

«Ich habe ihn durch Boten benachrichtigt.»

Sie schwiegen und lauschten dem Geräusch ihrer Schritte auf dem Pflaster. Wahrscheinlich wußte Keen es schon, wie auch die ganze Flotte. Abstoßend für viele, aber ein willkommener Skandal in den übervölkerten Messedecks.

Im Haus stießen sie auf Allday, der sich einen Krug Ale mit der Haushälterin, Mistress Robbins, teilte. Sie war eine gebürtige Londonerin und hatte trotz ihrer vornehmen Umgebung eine Stimme, die sich wie die einer Straßenhändlerin anhörte. Nun kam sie gleich zur Sache.

«Die Lady liegt im Bett, Sir Richard. «Ihr Blick blieb gelassen.»Ich habe ihr ein Gästezimmer gegeben.»

Bolitho nickte dankbar, er hatte auch das Unausgesprochene verstanden: In diesem Haus würde es keinen Skandal geben, egal wie es nach außen aussehen mochte.

«Ich habe sie erst mal ausgezogen und ordentlich gebadet. Armes Ding! Die Kleider habe ich verbrannt. «Sie öffnete eine rote Faust.»Dies war im Saum eingenäht.»

Zum Vorschein kamen die Ohrringe, die er ihr geschenkt hatte, als sie in London zusammengewesen waren. Bolitho fühlte einen Kloß im Hals.

«Danke, Mrs. Robbins.»

Ihr strenges Gesicht wurde unerwartet weich.»Is' doch selbstverständlich, Sir Richard. Der junge Lord Oliver hat mir oft genug erzählt, wie Sie ihm das Fell gerettet haben. «Sie ging kichernd davon.

Allday und Adam traten ein. Bolitho sagte:»Habt ihr alles mitgehört?»

«Am besten, die Lady bleibt hier«, meinte Allday.»Mama Robbins wird schon alle Mann an Deck rufen, wenn in der Nacht was passiert.»

Bolitho nahm Platz und streckte die Beine von sich. Er hatte seit dem Frühstück nicht eine Krume gegessen, aber ihm war auch jetzt nicht danach. Es war ein knapper Sieg gewesen. Doch die eigentliche Schlacht hatte noch nicht mal angefangen.

Catherine stand an einem hohen Fenster und blickte auf die Straße hinunter. Die Sonne strahlte, aber diese Seite lag noch im Schatten. Einige Leute gingen spazieren, und man hörte schwach die Stimme eines Blumenmädchens, das seine Ware anpries.

Sie sagte leise:»So kann es nicht bleiben.»

Bolitho saß mit gekreuzten Beinen in einem Sessel und sah ihr zu; kaum glaublich, daß es sich um dieselbe Frau handelte, die er der Erniedrigung im Kerker entrissen hatte; für die er alles riskiert hatte, einschließlich eines Kriegsgerichtsverfahrens wegen Nötigung des Gefängnisdirektors.

Er erwiderte:»Wir können nicht hier wohnen. Ich möchte mit dir allein sein. Dich wieder im Arm halten, mit dir reden.»

Sie drehte ihren Kopf so, daß ihr Gesicht im Schatten blieb.»Du machst dir noch Sorgen, Richard, aber das brauchst du nicht. Was meine Liebe zu dir betrifft — die hat nie geschwankt. Warum sollte sie jetzt?»

Langsam schritt sie näher und legte ihm die Hände auf die Schultern. Sie trug ein einfaches grünes Kleid, das die allgegenwärtige Mrs. Robbins am Vortag gekauft hatte.

Bolitho sagte:»Du bist jetzt in Sicherheit. Alles, was du brauchst, und alles, was ich geben kann, gehört dir. «Er sprach weiter, froh, daß sie sein Gesicht nicht sehen konnte.»Es kann Monate dauern, dein Vermögen wiederzuerlangen, das er dir gestohlen hat. Du gabst ihm alles und warst seine Rettung.»

Sie entgegnete:»Umgekehrt bot er mir Sicherheit, einen Platz in der Gesellschaft, wo ich nach Belieben leben konnte. War das töricht? Vielleicht. Es war eben ein ausgemachter Handel, keine Liebe. «Sie legte ihren Kopf an den seinen.»Ich habe oft Dinge getan, deren ich mich schäme, aber ich habe niemals meinen Körper verkauft.»

Er griff nach ihrer Hand.»Das weiß ich.»

Eine Kutsche klapperte vorbei, ihre Räder lärmten auf dem Kopfsteinpflaster. Nachts ließ dieser Haushalt wie andere in der Nähe von seinen Dienstboten Stroh auf der Straße ausbreiten, um die Geräusche zu dämpfen. London schien nie zu schlafen. In der vergangenen Nacht hatte Bolitho wach gelegen und an Catherine gedacht, die in ihrem Gästezimmer schlief, dem Kodex des Hauses entsprechend, der sie trennte.

Sie sagte:»Ich möchte irgendwo leben, wo ich von dir höre und erfahre, was du machst. Es wird für dich noch mehr Gefahren geben, ich möchte sie auf meine Weise mit dir teilen.»

Bolitho sah ihr ins Gesicht.»Ich werde sehr bald zu meinem Geschwader zurückkehren müssen. Jetzt, da ich mich festgelegt habe, will man mich in London wahrscheinlich so schnell wie möglich los sein.»

Er legte seine Hände um ihre Taille, fühlte ihren geschmeidigen Körper, ihr gegenseitiges Verlangen. Jetzt hatten ihre Wangen wieder Farbe, und ihr Haar, das offen über den Rücken hing, hatte seinen Glanz zurückgewonnen.

Sie las in seinen Augen.»Mrs. Robbins betreut mich gut.»

Bolitho schlug vor:»Ich habe ein Haus in Falmouth. «Doch als er ihr Widerstreben, ihren stummen Protest spürte, brach er ab.»Ich weiß, meine liebe Catherine, du willst warten, bis.»

«Bis du mich als dein ausgehaltenes Frauenzimmer nach Falmouth bringst. «Sie versuchte zu lachen, sagte aber nur heiser:»Denn so werden es die Leute sehen.»

Sie hielten sich an den Händen und sahen sich lange an.»Und ich bin auch nicht wundervoll oder entzückend. Nur in deinen Augen, liebster Mann.»

Er erwiderte:»Ich will nur dich. «Gemeinsam traten sie ans Fenster, und ihm wurde bewußt, daß er seit jener Nacht das Haus noch nicht wieder verlassen hatte.»Wenn wir nicht heiraten können.»

«Genug davon!«Sie legte ihm den Finger auf den Mund.»Meinst du, das kümmert mich? Ich werde sein, was du wünschst. Und ich werde dich immer lieben und wie eine Tigerin verteidigen, wenn dir andere etwas antun wollen.»

Ein Diener klopfte und trat mit einem kleinen Silbertablett ein. Darauf lag ein versiegeltes Kuvert mit dem vertrauten Wappen der Admiralität. Ihre Augen waren auf ihn gerichtet, als er es öffnete.»Ich habe mich morgen bei Admiral Godschale zu melden.»

Sie hatte verstanden.»Neue Befehle?»

«Wahrscheinlich. «Er umarmte sie.»Es war unvermeidlich.»

«Ich weiß. Nur der Gedanke, dich zu verlieren.»

Bolitho sah sie wieder allein in London. Er mußte etwas tun.

Ihre Hände glitten über seine Schultern, seine Wangen.»Denke jetzt nur daran, daß wir noch einen Tag und eine ganze Nacht vor uns haben.»

«Aber wenn ich abreise.»

Sie berührte wieder seinen Mund.»Ich weiß, was du sagen willst. Aber jetzt, liebster Richard, sollst du mich so lieben wie in Antigua und wie damals in London. Ich habe dir einmal gesagt, daß du Liebe sehr nötig hast. Und ich kann sie dir geben.»

Mrs. Robbins schaute herein.»Pardon, Sir Richard. «Ihre Augen schienen den Abstand zwischen ihnen zu messen.»Ihr Neffe ist hier. «Sie wurde ein wenig freundlicher.»Sie sehen wohl und heiter aus, Mylady.»

Catherine lächelte ernst.»Bitte, Mrs. Robbins, nicht diesen Titel. «Und mit einem Blick auf Bolitho:»Ich habe derzeit keine Verwendung dafür.»

Mrs. Robbins oder Ma, wie Allday sie nannte, ging langsam die Treppe hinunter und sah Adam sein widerspenstiges schwarzes Haar vor einem Spiegel ordnen.

Der Teufel sollte die Männer holen, dachte sie. Jeder in der Küche sprach schon von der Affäre. Es war schlimm genug gewesen, das mit dem Zimmermädchen Elsie, als ihr kostbarer Trommeljunge mit einer Schwarzen aus Westindien durchbrannte. Und auch der alte Lord Browne war kein Frauenverächter gewesen, ehe er verschied. Aber dann dachte sie an Bolithos Gesicht, als sie ihm die Ohrringe aus dem schmutzigen Kleid gegeben hatte. Vielleicht steckte doch eine Menge mehr dahinter, als die Leute annahmen.

Sie nickte Adam zu.»Ich komme, Sir.»

Adam lächelte. Merkwürdig, dachte er. Er hatte seinen Onkel immer mehr geliebt als jeden anderen Mann. Aber bis jetzt hatte er ihn noch nie beneidet.

Admiral Sir Owen Godschale empfing Bolitho unverzüglich. Bolitho hatte den Eindruck, daß er eine andere Unterredung vorzeitig beendete, um dieses Treffen schnell hinter sich zu bringen.

«Ich habe Nachricht erhalten, daß die französische Flotte Nelsons Schiffen davongelaufen ist«, begann er.»Ob er sie noch zum Gefecht stellen kann, ist zweifelhaft. Es scheint auch unwahrscheinlich, daß Villeneuve von sich aus die Entscheidung sucht, bevor er seine Kräfte mit den Spaniern vereinigt hat.»

Bolitho stand vor der Übersichtskarte des Admirals. Die Franzosen befanden sich also noch auf See, konnten aber nicht allzu lange draußen ble iben. Nelson mußte angenommen haben, daß der Feind die britischen Besitzungen in der Karibik angreifen wolle. Oder handelte es sich lediglich um eine Ertüchtigungsoperation? Die Franzosen verfugten zwar über gute Schiffe, waren aber durch die wirksame Blockade der Engländer in den Häfen festgehalten und rostig geworden. Villeneuve war zu erfahren, um mit Schiffen und Besatzungen, deren Wert durch Untätigkeit nachgelassen hatte, im Englischen Kanal anzugreifen und Napoleons Landungstruppen den Weg zu bahnen.

Godschale erklärte rund heraus:»Darum wünsche ich.

daß Sie wieder Ihre Flagge setzen und das Maltageschwader verstärken.»

«Aber es war doch abgemacht, daß ich Konteradmiral Herrick dort ablösen sollte?»

Godschale schaute auf die Karte.»Wir brauchen jetzt jedes Schiff am richtigen Ort. Ich habe heute Herrick durch Kurierbrigg neue Befehle übersandt. «Er betrachtete Bolitho unbewegt.»Sie kennen sich?»

«Sehr gut.»

«Es sieht also ganz danach aus, daß das von mir geplante

Dinner verschoben werden muß, Sir Richard. Auf ruhigere Zeiten, nicht wahr?»

Ihre Blicke kreuzten sich.»Wäre ich auch allein willkommen gewesen, Sir Owen?«Er sprach locker, aber die Schärfe in seiner Stimme war nicht zu verkennen.

«Unter diesen Umständen wäre es vorzuziehen gewesen.»

Bolitho lächelte.»Dann bin ich wegen der gleichen Umstände froh, daß es verschoben wurde.»

«Mir mißfällt Ihre verdammte Arroganz, Sir!»

Bolitho nahm den Ton hin.

«Eines Tages, Sir Owen, werden Sie vielleicht Grund haben, sich dieses nichtswürdigen Komplotts zu erinnern. Als wir uns letztesmal trafen, sagten Sie selbst, Nelson wäre nicht über Irrtümer erhaben. Nun, Sie sind es auch nicht, Sir! Und sollten auch Sie die Gunst des Schicksals verlieren, werden Sie ganz gewiß entdecken, wer Ihre wahren Freunde sind. «Er schritt davon, während der Admiral hinter ihm die Tür zudonnerte.

Bolitho kam noch verärgert in der Arlington Street an. Er fand Catherine mit Adam im Gespräch und hörte aus dem Nebenzimmer eine andere vertraute Stimme. Dann erschie n Allday aus der Küche, und alle starrten Bolitho erwartungsvoll an.

«Ich soll so schnell zu meinem Geschwader zurück, wie es sich machen läßt.»

Eine Gestalt füllte den Türrahmen, und Kapitän Valentine Keen trat ins Licht.

Bolitho reichte ihm beide Hände.»Val! Das ist eine Freude!»

Hinter seinem Freund kam Zenoria Carwithen zum Vorschein, so schön, wie er sie von früher kannte. Beide waren noch staubig von der Reise. Keen erklärte:»Wir sind seit zwei Tagen unterwegs. Wir waren schon auf dem Rückweg von Cornwall, als wir durch Zufall deinen Kurier in einem kleinen Gasthaus trafen, wo er sein Pferd wechselte.»

Bolitho staunte, er verstand noch immer nicht ganz. Zenoria kam ihm entgegen und umarmte ihn.

Keen löste das Rätsel.»Ich soll Ihr Flaggkapitän werden, Sir Richard. «Hilfesuchend blickte er Zenoria an.»Ich wurde gefragt, und es ergab sich so. Kapitän Haven steht unter Arrest. Am Tag nach Ihrer Abreise griff er einen anderen Offizier an und versuchte ihn zu töten. Der Kommodore in Gibraltar erwartet nun Ihre Befehle. «Er übergab Bolitho das Schreiben und beobachtete seine Reaktion.

Bolitho setzte sich erst einmal. Catherine stellte sich neben ihn, eine Hand auf seiner Schulter. Er schaute zu ihr auf: meine Tigerin.

Haven, der arme, elende Mann, war also unter seiner Last zerbrochen. Der Brief besagte nichts weiter, aber der angegriffene Offizier mußte Parris sein. Wenigstens hatte er überlebt.

Keen schaute von einem zum anderen.»Ich wollte gerade vorfühlen, ob Ihre Lady vielleicht mein Zuhause mit Zenoria und meiner Schwester teilen möchte, bis wir wiederkommen.»

Bolitho ergriff Catherines Hand. Die Art, wie das dunkelhaarige Mädchen aus Cornwall Catherine ansah, machte deutlich, daß es ein perfektes Arrangement sein würde. Denn bei Gott, sie hatten wirklich vieles gemeinsam.

Keen hatte Zenoria von Bord des Gefangenentransporters Orontes gerettet, nachdem sie fälschlicherweise wegen versuchten Mordes angeklagt und verurteilt worden war.

Aber sie hatte sich nur gegen eine Vergewaltigung gewehrt. Trotzdem hatte man sie in eine Strafkolonie in Neusüdwales verbannt. Keen hatte das Transportschiff geentert und sie losgebunden, als sie auf Befehl des Kapitäns gerade ausgepeitscht werden sollte. Es lief Bolitho kalt über den Rücken, als er daran dachte, daß Catherine beinahe das gleiche Los erlitten hätte, wenn auch aus anderen Gründen. Eifersucht und Habgier waren gnadenlose Feinde.

Er fragte:»Was meinst du, Kate?«Alle anderen schienen zu verblassen, als nehme sein verletztes Auge nur sie allein ungetrübt wahr.»Bist du einverstanden?»

Ohne eine weitere Frage nickte sie, als sie seine Erleichterung erkannte. Nur ein Blinder hätte ihre Zusammengehörigkeit, das sie verbindende Vertrauen übersehen können.

«Also abgemacht. «Bolitho schaute in ihre Gesichter.»Dann sind wir ja bald wieder zusammen.»

Das bezog sie alle ein.

Leutnant Parris saß in seiner Kammer und hörte nur mit halbem Ohr die Schiffsgeräusche um sich herum. Verglichen mit dem Oberdeck, war es in der Kammer mit ihrer offenen Stückpforte beinahe kühl. Der Fünfte Leutnant, der jüngste der Hyperion, stand neben einem kleinen Tisch und hatte die Kladde mit den Disziplinarstrafen vor sich.

Parris fragte abermals:»Na, halten Sie es für gerechtfertigt, Mr. Priddie?»

Es war zum Gänsehautkriegen, dachte Parris. Kaum hatte der Vizeadmiral Gibraltar mit der Firefly verlassen, als Haven zu toben anfing. Auf See, wo man mit den Elementen kämpfte und das Schiff in Bewegung hielt, war man oftmals zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt als mit Aufrechterhaltung der Disziplin. Aber Hyperion lag nun im Hafen. Unter der heißen Sonne wich die Schiffsarbeit und die Übernahme neuer Ausrüstung einer langsamen und bequemen Routine. Die Leute hatten Zeit, Ärger und Groll zu nähren.

«Ich — ich weiß nicht recht.»

Parris fluchte innerlich.»Sie wollten Leutnant werden, aber nun, da Sie es sind, akzeptieren Sie ohne Vorbehalt jeden Vorwand für ein Auspeitschen?»

Priddie ließ den Kopf hängen.»Der Kommandant besteht darauf.»

«Ja, das tut er.»

Parris lehnte sich zurück und zählte die Sekunden, um sich wieder zu fassen. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte er um Versetzung auf ein anderes Schiff ersucht, und zum Teufel mit den Konsequenzen. Doch hatte er sein letztes Kommando umständebedingt verloren, und nun brauchte er jede Empfehlung, die ihm die Aussicht auf eine weitere Beförderung eröffnete.

Er hatte unter mehreren Kommandanten gedient, unter tapferen, aber auch unter übervorsichtigen. Wieder andere führten ihr Schiff getreu dem Buchstaben und gingen keinerlei Risiko ein, das einen Admiral hätte veranlassen können, die Augenbrauen zu heben. Er hatte sogar unter einem Sadisten gedient, der die Männer mit Genuß bestrafte und gierig jeden Peitschenhieb beobachtete, bis der Rücken des Opfers wie rohes Fleisch aussah.

Aber gegen Haven gab es keinen Schutz. Der haßte ihn und nutzte seine Autorität aus, um Seeleute ohne Rücksprache mit ihm zu bestrafen; als wollte er seinen Ersten Leutnant zwingen, ihn zum Duell zu fordern.

Parris hob die Disziplinarkladde.»Sehen Sie sich das an, Mann! Zwei Dutzend Hiebe für eine Rangelei. Für Unfug während der Hundewache, nichts weiter. Sie müssen es doch gesehen haben.»

Priddie errötete.»Der Kommandant behauptet, die Disziplin an Bord wäre zu lasch, man würde es von Land aus bemerken. Er dulde keine Nachlässigkeit mehr.»

Parris schluckte eine grobe Antwort herunter. Priddie hatte noch nicht vergessen, wie machtlos ein Fähnrich war. Als Erster Leutnant dagegen mußte er etwas unternehmen. Doch konnte er sich an niemanden um Rat wenden. Die anderen Kommandanten würden ein Vorgehen gegen Haven als Vertrauensbruch werten, der sich auch gegen ihre eigene Autorität richten konnte, wenn sie ihn unterstützten. Recht oder Unrecht, der Kommandant war der liebe Gott. Es gab nur einen Menschen, der ihm hätte helfen können. Aber der befand sich auf dem Weg nach England und hatte genug mit seinen eigenen Sorgen zu tun. Allerdings hielt Parris es für unwahrscheinlich, daß Bolitho auch nur ein Knie krumm machen würde, wenn er sich im Recht glaubte.

Parris zog den Chirurg als Helfer in Betracht, George Minchin. Aber er hatte das schon einmal versucht, ohne daß etwas dabei herausgekommen wäre. Minchin war Trinker wie so viele Schiffsärzte, ein Schlächter, unter dessen Händen mehr Menschen starben als an ihren Verletzungen. Hyperion hätte einen SeniorChirurgen erhalten sollen, einen von mehreren, die man zu den verschiedenen Geschwadern schickte, damit sie über ihre Erfahrungen berichteten. Aber das waren Wunschträume, im Augenblick hatten sie nur Minchin.

Schließlich sagte Parris:»Überlassen Sie das mir. «Die Augen des Leutnants leuchteten dankbar auf, weil er sich nicht länger mit der Sache zu befassen brauchte, obwohl Parris ärgerlich hinzufügte:»Mr. Priddie, Sie werden niemals Kommandant werden, wenn Sie nicht die Verantwortung akzeptieren, die Ihr Rang mit sich bringt.»

Parris begab sich aufs Achterdeck, wo die Seeleute den Kreuzmast neu auftakelten. Es roch stark nach frischem Teer. Zimmermann Horrocks und seine Gehilfen bauten mit der Breitaxt einen neuen Kutter aus Bordmitteln. Sie arbeiteten gut, dachte er, und wären vermutlich so glücklich wie er, wenn Haven nicht mehr wie eine drohende Wolke über ihnen hängen würde. Seufzend machte er sich auf den Weg zum Kommandanten und wartete, daß der Posten Kajüte ihn anmeldete.

Kapitän Haven saß an seinem Schreibpult, Papiere in Reichweite, den Rock über die Stuhllehne gehängt, und fächelte sein Gesicht mit dem Taschentuch.

«Also, Mr. Parris? Ich bin sehr beschäftigt.»

Parris überhörte die Abweisung. Havens Schreibfedern auf dem Pult waren alle sauber und trocken, er hatte nichts geschrieben. Doch sah es so aus, als hätte er seinen Besuch erwartet und sich trotz der Zurückweisung darauf vorbereitet.

Parris begann vorsichtig:»Es geht um die zwei Mann, die zur Bestrafung anstehen, Sir.»

«Welche zwei? Ich fange schon an zu glauben, daß sich alle Männer hier betragen, wie es ihnen gefallt.»

«Trotter und Dixon, Sir. Sie sind noch nie in Schwierigkeiten gewesen. Wäre der Fünfte Leutnant zu mir gekommen…»

Er kam nicht weiter, Haven unterbrach ihn:»Aber Sie waren nicht an Bord, Sir. Nein, Sie waren anderswo, glaube ich.»

«Auf Ihren Befehl hin, Sir.»

«Werden Sie nicht frech!«Haven drehte sich in seinem Stuhl um. Wie ein Angler, der merkt, daß ein Fisch angebissen hat, dachte Parris.

Haven sagte:»Die Leute betrugen sich abscheulich! Ich sah es, und wie gewöhnlich hatte ich das Treiben zu unterbinden!»

«Aber zwei Dutzend Hiebe, Sir! Ich könnte ihnen auch eine Woche Extraarbeit geben. Die Disziplin würde aufrechterhalten, und Mr. Priddie könnte daraus etwas lernen.»

«Aha, Sie wollen nun den jungen Leutnant tadeln. «Er lächelte, und Parris fühlte, wie ihn die Spannung fast zerriß.»Die Männer werden frech, und Mr. Priddie soll daran schuld sein. Gott verdamme Ihre Augen, Sir! Ich spucke auf Ihre Ansichten. Hier kommandiere ich, und man hat meinem Geheiß zu folgen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«brüllte er.

«Das haben Sie, Sir«, erwiderte Parris.

«Freut mich zu hören. «Haven beobachtete ihn, seine Augen waren wie Schlitze im Halbschatten.»Ihre Rolle bei dem Handstreich wird der Admiralität ohne Zweifel zur Kenntnis gebracht werden. Aber Sie können an den Rockschößen Ihres Admirals hängen, so lange Sie wollen, ich werde schon dafür sorgen, daß Ihre Unehrlichkeit und Ihre verdammte Arroganz voll berücksichtigt werden, wenn Sie wieder zur Beförderung anstehen!»

Parris fühlte die Kajüte schwanken.»Haben Sie mich unehrlich genannt, Sir?»

Haven kreischte fast:»Jawohl, Sie wollüstiges Schwein, das habe ich!»

Parris glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Er sah, daß sich der helle Spalt unten an der Tür durch den Schatten fremder Füße verdunkelte. Männer standen da draußen und lauschten. Mein Gott, dachte er verzweifelt, welche Chance haben wir noch nach alldem, wenn es einmal zum Gefecht kommen sollte? Er entgegnete:»Sir, ich glaube, wir haben uns wohl beide im Ton vergriffen.»

«Wagen Sie ja nicht, mich zurechtzuweisen! Ich vermute, daß Sie nachts in Ihrer Koje liegen und beim Gedanken an mich höhnisch lächeln — wegen der Gemeinheit, die Sie begangen haben. Na? Antworten Sie, verfluchter Hund!»

Parris wußte, daß er einen anderen Offizier hätte holen lassen sollen, weil er sonst Haven in den nächsten Sekunden niederschlagen würde. Etwas in seinem Unterbewußtsein warnte ihn, seinen Zorn und sein gekränktes Ehrempfinden überzubewerten. Er will, daß ich ihn schlage, dachte er. Er will mich als sein nächstes Opfer!

Haven ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen, als hätten ihn Kraft und Wut verlassen. Aber als er wieder aufschaute, loderte erneut der Haß in seinen Augen. Beinahe beiläufig fragte er:»Dachten Sie, ich würde es nicht herausbekommen? Sind Sie wirklich so dumm?»

Parris hielt den Atem an, sein Herz pochte. Und er hatte gemeint, daß ihn nichts mehr erschüttern könne!

Haven fuhr fort:»Ich kenne Ihre Eitelkeit, Ihre Eigenliebe. O ja, ich bin ja noch bei Verstand und habe Augen im Kopf. «Er zeigte auf das Porträt seiner Frau, behielt aber Parris im Auge und sagte heiser:»Die Schuld liegt klar zu Tage — auf Ihrem Gesicht!»

Wieder glaubte Parris, sich verhört zu haben.»Ich bin der Lady einmal begegnet, aber.»

«Wagen Sie es nicht, in meiner Gegenwart von ihr zu sprechen!«Haven torkelte auf die Füße.»Sie mit Ihrer glatten Zunge und den geschniegelten Manieren. Genau jene Sorte, der sie zuhören würde.»

«Sir! Sprechen Sie bitte nicht weiter, wir könnten es beide bedauern!»

Haven ging nicht darauf ein.»Sie haben sie verführt, als ich mit diesem Schiff vollauf zu tun hatte. Ich arbeitete mich krank, um diesen verdammten Pöbel zu einer Mannschaft zu machen. Dann hißten sie darauf die Flagge eines ganz ähnlichen Weiberhelden, der denkt, daß er jede haben kann, die er will!»

«Ich darf das nicht mehr mit anhören, Sir. Es ist nicht wahr. Ich sah…«Parris zögerte und schloß:»Ich habe Ihre Frau niemals angerührt, das schwöre ich bei Gott!»

Doch Haven hörte nicht zu, er sagte kläglich:»Und das nach alldem, was ich ihr gab.»

«Sie haben unrecht, Sir. «Parris schaute zur Tür. Kam da nicht endlich jemand? Das ganze Achterdeck mußte doch den Wortwechsel hören.

Haven brüllte plötzlich los:»Es ist dein Kind, du verfluchter Beschäler!»

Das war es also. Parris ballte die Fäuste.»Ich gehe jetzt, Sir. Ich habe genug von Ihren Beleid igungen. Und was Ihre Frau betrifft, so kann ich nur sagen, daß sie mir leid tut.»

Er drehte sich um und wollte gehen, als Haven kreischte:»Du gehst nirgendwohin, Gott verdammich!»

Der Knall der Pistole in dem engen Raum war ohrenbetäubend. Und wie der Schlag mit einer Eisenstange. Dann fühlte Parris den Schmerz, die heiße Nässe des Blutes, als er zu Boden fiel. Dunkelheit hüllte ihn ein, Rauch und Nebel, die nur einen klaren Fleck freiließen: darin versuchte der Kommandant eine neue Ladung in seine Pistole zu zwängen.

Ehe der Schmerz ihn überwältigte, drang noch in Parris' gequältes Bewußtsein, daß Haven lachte. Er lachte, als könne er nie mehr aufhören.

XIV Für oder gegen

Am frühen Morgen eines schönen Junitages hißte Bolitho aufs neue seine Flagge auf der Hyperion und bereitete das Geschwader vor, den Hafen zu verlassen.

Während der schnellen Passage nach Gibraltar, an Bord der Firefly, hatten Bolitho und Keen viel zu erörtern. Falls die Tatsache, daß er Flaggkapitän eines Geschwaders geworden war, ohne es zu kennen, Keen verunsichert hatte, so zeigte er es kaum. Für Bolitho war es die Rückkehr eines Freundes, der ihn hervorragend ergänzte.

Auf Ersuchen des Hafenkommandanten hatte er Haven in seiner Haft an Land aufgesucht. Er hatte erwartet, ihn im Schock vorzufinden oder bereit, eine Erklärung vorzubringen, warum er Parris kaltblütig niedergeschossen hatte. Doch ein Arzt der Garnison teilte Bolitho mit, daß Haven sich an nichts erinnere und alles verdränge — oder sich nicht darum schere — , was vorangegangen war.

Als Bolitho Havens Zelle betrat, war dieser aufgestanden und hatte gemeldet:»Das Schiff ist bereit, Sir Richard. Ich habe Schritte unternommen, damit Hyperion, ob alt oder nicht, mit ihrer Artillerie jedem Franzosen ebenbürtig ist, wenn es dazu kommt.»

Bolitho hatte erklärt:»Sie sind abgelöst. Ich schicke Sie nach England.»

Haven hatte ihn fixiert.»Abgelöst? Ist meine Beförderung da?«Da war er wortlos gegangen.

Bei der Rückkehr an Bord war Bolitho ein an Haven adressierter Brief ausgehändigt worden, den das Postschiff eben von Spithead gebracht hatte. Unter den gegebenen Umständen entschloß sich Bolitho, ihn zu öffnen. Vielleicht konnte er jemandem in England die bittere Wahrheit über Haven ersparen, bis die Fakten beim unvermeidlichen Kriegsgerichtsverfahren offenbart wurden.

Hinterher war Bolitho doch nicht sicher, daß er ihn hätte lesen sollen. Der Brief kam von Havens Ehefrau. Fast beiläufig besagte er, daß sie ihn verlassen hätte, um mit einem reichen Spinnereibesitzer zu leben, der Uniformen fürs Militär herstellte. Sie und sein Kind wären dort gut aufgehoben. Also sah es aus, als ob der Betreffende auch Vater des Neugeborenen war, jedenfalls stammte es gewiß nicht von Parris. Falls Haven schließlich wieder zu Verstand kam, würde das für ihn am schwersten zu ertragen sein.

Der Erste Leutnant war wohl unter einem glücklichen Stern geboren. Die für sein Herz bestimmte Pistolenkugel war im Halbdunkel zu hoch gezielt gewesen, hatte den Knochen zersplittert und lag in der Schulter eingebettet. Er mußte entsetzliche Schmerzen gelitten haben, als Minchin sie zu entfernen versuchte.

Keen fragte Bolitho:»Möchten Sie ihn an Bord behalten? Die Wunde braucht Wochen, um zu heilen, und ich fürchte, er wurde stümperhaft behandelt. «Er entsann sich wahrscheinlich noch des großen Splitters in seiner Leiste. Statt ihn einem betrunkenen Chirurgen zu überlassen, hatte Allday das gezackte Holz selbst herausgeschnitten.

«Parris ist ein erfahrener Offizier, ich hoffe auf seine Beförderung. Gott weiß, daß wir geschickten Nachwuchs in den Kommandostellen brauchen können.»

Keen hatte zugestimmt.»Es dürfte auch die anderen Leutnants anspornen.»

Und so begab sich das Geschwader auf die Reise ins Mittelmeer, das so viele Gefechte gesehen hatte und in dem Bolitho fast gestorben wäre.

Mit Hyperion an der Spitze, die Admiralsflagge im Vortopp, die anderen Linienschiffe im Kielwasser und alle zusammen in einem steifen Nordwest heftig arbeitend, liefen sie aus und weckten wahrscheinlich ebenso viele Spekulationen wie bei ihrer Ankunft. Bolitho hatte die berühmte Silhouette des Felsens betrachtet, bis sie sich im Dunst verlor. Die in den klaren Himmel aufsteigende, eigenartige Dunstwolke war eine gewohnte Erscheinung, wenn der Wind die erhitzten Steine abkühlte, so daß der Felsen aus der Entfernung wie ein schwelender Vulkan wirkte.

Der größte Teil der Hyperion — Besatzung kannte sich schon seit der neuerlichen Indienststellung des Schiffes. Keen war fast der einzige Fremde unter ihnen. Doch als ein Tag dem anderen folgte und jedes Schiff Segelmanöver und Geschützexerzieren übte, war Bolitho dem Schicksal dankbar, daß es ihm Keen zurückgebracht hatte.

Im Gegensatz zu Haven kannte er Bolithos Eigenarten und Maßstäbe. Er hatte als Fähnrich und als Leutnant unter ihm gedient, ehe er schließlich sein Flaggkapitän wurde. Die

Mannschaft spürte das Band zwischen dem Kommandanten und dem Admiral. Die älteren Leute nickten und erkannten es an, daß Keen nicht zu stolz war, sie zu fragen, wenn er etwas über das Schiff nicht wußte. Es kam Bolitho nicht in den Sinn, daß Keen damit vielleicht seinem Beispiel folgte.

Oft dachte er an Catherine und an ihren Abschied. Sie hatte darauf bestanden, ihn die ganze Strecke nach Portsmouth zu begleiten, als er sich wieder auf der kleinen Firefly einschiffte. Keen hatte sich schon früher verabschiedet und war mit Adam in einer anderen Kutsche vorausgefahren. Neben den in der Sonne dampfenden Pferden hatte sich Catherine an ihn geklammert und sein Gesicht gesucht, es mit Zärtlichkeit und Trauer gestreichelt, als Allday meldete, daß das Boot warte. Er hatte sie gebeten, in der Kutsche zu bleiben, doch sie war ihm zu der hölzernen Treppe gefolgt, wo so viele Seeoffiziere das Land verließen.

Wie immer hatte sich dort eine kleine Gruppe Schaulustiger eingefunden, sehr wenige unter ihnen im dienstpflichtigem Alter, denn nur ein Narr hätte die Begegnung mit einer Preßgang riskiert. Die Leute hatten ihnen Beifall gespendet und Bolitho erkannt. Einer hatte gerufen:»Viel Glück, Dick, und der Lady ebenfalls!»

Zum erstenmal hatte er Tränen in Catherines Augen gesehen.»Sie beziehen mich mit ein.»

Als das Boot von den Stufen ablegte, hatte Bolitho sich umgedreht, aber da war sie schon verschwunden. Und doch, als sie über das unruhige Wasser des Solent schaukelten, spürte er, daß sie ihn bis zur letzten Sekunde beobachtete.

Es fiel ihm ein, wie Belinda sie in ihrem Zorn beschimpft hatte. Allday dagegen hatte Catherine eine Seemannsbraut genannt — und das stimmte. Bei ihm war es das größte Kompliment von allen.

Während die Fregatte Tybalt und die Korvette Phaedra nun jeden Küstenfahrer und Händler jagten und durchsuchten, der dumm genug war, sich in Reichweite ihrer Kanonen zu begeben, studierten Bolitho und Keen die knappen Berichte. Tag für Tag drangen sie weiter ins Mittelmeer vor.

Man sagte, daß Nelson sich im Atlantik mit seinem Freund und Zweiten Befehlshaber, Vizeadmiral Collingwood, vereinigt hätte. Nelson war wahrscheinlich zu der Überzeugung gelangt, daß der Feind die britischen Geschwader durch List und schnelle Vorstöße zu zersplittern suche. Erst wenn ihm das gelang, würde Napoleon zur Invasion über den Kanal ansetzen. Yovell hatte gemeint:»Wenn das stimmt, Sir Richard, sind Sie jetzt der ranghöchste Offizier im Mittelmeer.»

Bolitho hatte das noch kaum in Betracht gezogen. Doch falls es zutraf, bedeutete es für ihn eins: Wenn ihm der Feind über den Weg lief, brauchte er keinen erst lange zu fragen. Das machte die Last der Befehlsgewalt erträglicher.

Eines Vormittags sah er beim Spaziergang auf dem Achterdeck Leutnant Parris, der sich unsicher am Schanzkleid Bewegung verschaffte. Sein Arm war an der Seite festgeschnallt. Parris hatte sich seit Havens mörderischer Attacke mehr in sich zurückgezogen. Keen meinte, er wäre wohl zufrieden, ihn als Ersten zu haben, könne sich aber noch kein Urteil erlauben.

Parris ging langsam zur Leeseite des Achterdecks und suchte Halt an einem Want, um dem Flug einiger Seevögel zuzusehen. Bolitho trat zu ihm.»Wie fühlen Sie sich?»

Parris versuchte, sich aufzurichten, zuckte aber schmerzlich zusammen und bat um Entschuldigung.»Es geht nur langsam aufwärts, Sir Richard. «Sein Blick wanderte zu den geblähten Segeln und den winzigen Gestalten hinauf, die im Rigg arbeiteten.»Ich würde mich weitaus besser fühlen, wenn ich da oben wieder herumklettern könnte.»

Bolitho betrachtete sein ausgeprägtes Zigeunerprofil. War das ein Frauenheld?

Unter dem prüfenden Blick wurde Parris verlegen.»Ich möchte mich dafür bedanken, daß ich an Bord bleiben durfte, Sir Richard, auch wenn ich im Augenblick nutzlos bin.»

«Die letzte Entscheidung hatte Kapitän Keen.»

Parris verstand, seine Augen verloren sich in Erinnerungen.»Er macht dieses alte Schiff wieder lebendig. «Er zögerte, schien zu überlegen, wie weit er gehen konnte.»Ich hörte von Ihren Schwierigkeiten in London. Es tut mir leid.»

Bolitho schaute über das blaue Wasser; sein verletztes Auge fing an, sich in der feuchten Luft leicht zu trüben.»Die kühnsten Maßnahmen sind gewöhnlich die sichersten. Ich glaube, auch das ist eine von Nelsons Redensarten.»

Parris trat zurück, als Keen erschien.»Ich wünsche Ihnen viel Glück, Sir Richard. Ihnen beiden.»

Keen traf Bolitho bei den Hängemattsnetzen.»Wir werden Malta morgen während der Vormittagswache sichten. «Er deutete auf die kräftige Gestalt des Segelmeisters.»Mr. Penhaligon hat mich überzeugt.»

Bolitho lächelte.»Ich unterhielt mich soeben mit dem Ersten Leutnant. Ein merkwürdiger Bursche.»

Keen lachte.»Ich weiß, ich sollte nicht darüber scherzen. Trotzdem, ich habe schon Kommandanten gehabt, die ich liebend gern erschossen hätte. Aber niemals war es umgekehrt.»

Unten auf dem Bootsdeck drehte sich Allday um. Er hörte sie lachen. Keens alter Bootsführer war auf ihrem letzten Schiff, der Argonaute, gefallen. Allday hatte einen neuen Mann für ihn ausgesucht, aber insgeheim gewünscht, es hätte sein Sohn sein können. Keens neuer Mann hieß Tojohns. Vorher war er für den Vortopp verantwortlich gewesen. Jetzt stand er neben ihm und blickte ebenfalls nach achtern.»Die Hyperion ist ein neues Schiff, seit er an Bord gekommen ist. Kennst du ihn schon lange?»

Allday lächelte.»Ein paar Jahre. Er paßt mir und ist gut für Sir Richard. Damit hat sich's.»

Auch Allday gedachte des Abschieds von Portsmouth Point. Das Publikum jubelte und schwenkte die Hüte. Frauen lächelten, bis sie in Tränen ausbrachen. Er runzelte die Stirn, als der andere Bootsführer seine Gedanken unterbrach.»Warum hast du gerade mich ausgesucht?«fragte Tojohns.

Allday überlegte. Tojohns war ein guter Seemann und wußte sich auch bei einer Prügelei zu behaupten. Er ähnelte nicht im geringsten Old Hogg, Keens früherem Bootsführer. Die beiden waren wie Feuer und Wasser, was man auch über ihn und Stockdale gesagt hatte. Allday antwortete:»Weil du soviel redest.»

Tojohns lachte laut heraus, schwieg aber, als ein vorbeigehender Fähnrich ihn scharf ansah. Er konnte sic h nur schwer an seine neue Rolle gewöhnen. Nun brauchte er nicht mehr bei jedem schrillen Pfiff mit seinen Vortoppgasten aufzuentern, um die wildgewordenen Segel zu bändigen. Wie Allday war er vom Wachegehen befreit. Zum erstenmal in seinem Leben stellte er etwas dar.

Allday sah ihn eindringlich an.»Merke dir: Was du auch dort achtern mitbekommst, behalte es für dich. Verstanden?«Tojohns nickte. Dort achtern… Ja, er war jetzt jemand.

Von der Back der Hyperion schlug es sechs Glasen. Kapitän Valentine Keen unterdrückte ein Lächeln, berührte seinen Hut und grüßte Bolitho.»Der Meister hat unsere Ankunft richtig berechnet, Sir Richard.»

Bolitho hob das Teleskop und musterte die vertrauten Mauern und Batterien von La Valetta.»Gerade noch so.»

Es war eine längere Überfahrt von Gibraltar geworden als erwartet. Für die zwölfhundert Meilen hatten sie mehr als acht Tage gebraucht. Das hatte Keen Zeit gelassen, dem Schiff seinen Stempel aufzuprägen. Bolitho aber hatte sie mit bösen Ahnungen wegen des bevorstehenden Treffens mit Herrick verbracht.

Er sagte langsam:»Nur drei Linienschiffe, Val. «Herricks Flaggschiff Benbow hatte er fast ebenso schnell wie der Ausguck im Mast erkannt. Es war einmal sein eigenes gewesen und steckte wie Hyperion voller Erinnerungen. Keen würde sich seiner aus ganz anderen Gründen entsinnen. Er hatte sich dort einem Untersuchungsausschuß stellen müssen, den Herrick leitete. Wenn Bolitho nicht eingegriffen hätte, wäre er jetzt ruiniert gewesen.

Alte Geschichten? Sehr unwahrscheinlich, daß er sie jemals vergessen würde.

Bolitho sagte:»Ich kann auch eine Fregatte ausmachen, sie ankert jenseits der Benbow.»

Die Fregatte hieß La Mouette und war eine Prise, die man den Franzosen vor Toulon abgenommen hatte. Nur ein kleines Schiff mit sechsundzwanzig Kanonen, aber Bettler durften eben nicht wählerisch sein. In diesem Stadium des Krieges war jede Fregatte willkommen. Bolitho hatte schon befürchtet, daß man sie anderswohin geschickt haben könnte.

Keen entgegnete:»Sie verstärkt unsere Kampfkraft auf acht Einheiten. Wir haben uns schon mit weit weniger beholfen.»

Jenour stand etwas abseits und überwachte die Signalfähnriche. Bolitho schritt zur anderen Seite und beobachtete, wie Thynnes Obdurate hinter ihnen Segel fortnahm.

Er sah Herrick auf Benbow vor sich, der vielleicht beobachtete, wie die fünf großen Schiffe des Bolitho-Geschwaders sich schwerfällig auf ihren Ankerplatz zubewegten. Es war sehr heiß, und Bolitho hatte Sonnenreflexe von vielen Teleskopen auf den hier versammelten Schiffen gesehen. Würde Herrick dieses Treffen scheuen? fragte er sich. Oder würde er daran denken, daß ihre Freundschaft schon bei einer Schlacht und einer Meuterei im Krieg gegen die amerikanischen Rebellen geprüft worden war?

«Gut denn, Mr. Jenour, lassen Sie signalisieren. «Er blickte Keen an.»Wir werden einfach acht Glasen anschlagen lassen, Val, und damit Mr. Penhaligons Ruf retten.»

Als das Signal mit einem Ruck niedergeholt wurde, drehten die Schiffe in die schwache Brise und ließen die Anker fallen.

Bolitho ging nach achtern, nicht ohne vorher sein Boot zu bestellen. Auf Keens Frage:»Sie warten nicht auf den Besuch des Konteradmirals, Sir Richard?«, hatte er nur den Kopf geschüttelt. Er wollte selbst hinüberfahren.

Keen ahnte, daß er die Benbow nur deshalb selbst aufsuchte, weil er vermeiden wollte, Herrick mit den üblichen Formalitäten zu empfangen. Bei ihrer letzten Begegnung hatten sie als Gegner einander am Gerichtstisch gegenübergesessen. Diesmal würde es im Interesse beider ein Mann-zu-Mann-Treffen sein.»Alte Freunde haben es nicht nötig, auf Etikette zu achten, Val.»

Bolitho hoffte, daß es überzeugter klang, als er empfand. Herrick mochte Neuigkeiten über den Feind haben, er war schon lange Zeit hier. Und Nachrichten waren alles. Ohne die vereinzelten Informationsfetzen, die Patrouillen und gelegentliche Scharmützel erbrachten, waren sie hilflos.

Er hörte, wie Allday seine Bootscrew forsch zusammenrief, hörte das Knarren der Taljen, als sein Boot und nach ihm andere über die Seite geschwungen wurden. Einige Kähne näherten sich schon den Schiffen, vollgepackt mit billigen Waren, mit denen die Seeleute um ihr bißchen Geld betrogen werden sollten. Wie in Portsmouth und anderen Seehäfen wurden so auch Frauen für die hungrigen Männer gebracht, wenn die Kommandanten sich blind stellten. Für den einfachen Matrosen mußte es hart sein, dachte Bolitho. Die Offiziere kamen und gingen, wie es ihr Dienst zuließ, aber nur zuverlässige Mannschaften und die Preßgangs durften den Fuß an Land setzen. Monat für Monat und Jahr für Jahr lebten sie so — ein Wunder, daß es nicht zu mehr Meutereien in der Flotte gekommen war.

Aus seiner Kajüte nahm er einige Briefe für Herrick mit, die man im letzten Augenblick auf die Firefly gebracht hatte, und lächelte grimmig. Versöhnungsgeschenke.

Ozzard tappte um ihn herum und hatte seine Augen überall, damit Bolitho nichts vergaß. Er sah Catherines Gesicht vor sich, als er ihr den von Ozzard gesäuberten Fächer zurückgeben wollte. Sie hatte gedankt.»Behalte ihn. Er ist alles, was ich dir geben kann. Wenn du ihn ansiehst, werde ich bei dir sein.»

Er seufzte und ging hinaus, vorbei am Posten Kajüte und an Keens offener Tür, wo frische weiße Farbe Havens zweiten Pistolenschuß überdeckte. Haven hatte Glück, daß Parris noch lebte. Wirklich? Seine Karriere war zerstört, und keiner wartete auf ihn, wenn er schließlich nach Hause kam.

Im glänzenden Sonnenschein standen die Seesoldaten bei der

Relingspforte angetreten. Die Bootsmannsmaaten hoben ihre Silberpfeifen an die Lippen. Keen und Jenour warteten auf den Beginn der Ehrenbezeugung. Major Adams hob den Degen und meldete:»Wache angetreten,

Sir!»

«Boot ist längsseits, Sir Richard!«Das war Keen.

Bolitho lüftete seinen Hut in Richtung des Achterdecks und sah halbnackte Seeleute auf der Bagienrah arbeiten und zu ihm herunterstarren. Ihre Füße baumelten in der Luft.

Ein glückliches Schiff, eine gute Besatzung.

Bolitho stieg ins Boot hinunter.

Konteradmiral Thomas Herrick hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und beobachtete die Schiffe beim Ankern. Der Pulverdampf des Saluts trieb träge zur Küste. Herrick versteifte sich, als er sah, daß man das grüne Admiralsboot der Hyperion beinahe so schnell aussetzte, wie man vorne den Union Jack hißte.

Kapitän Hector Gossage bemerkte:»Es scheint, daß der Vizeadmiral gleich zu uns kommt, Sir.»

Herrick brummte nur. Er hatte viele neue Gesichter in seinem Kommando, auch sein Flaggkapitän war erst wenige Monate bei ihm. Sein Vorgänger, Dewar, war krankheitshalber in die Heimat entlassen worden, und Herrick vermißte ihn sehr. Er sagte:»Machen Sie alles klar für großen Empfang. Sie wissen, was Sie zu tun haben.»

Er wollte alleingelassen werden und nachdenken. Seit er seine neuen Befehle von Sir Owen Godschale aus der Admiralität erhalten hatte, dachte er kaum an etwas anderes.

Zuletzt hatte er Bolitho hier im Mittelmeer getroffen, als seine Benbow unter schwerem Beschuß lag. Wiedervereint im Gefecht, Freunde im Kampf. Doch hinterher, als Bolitho nach England gesegelt war, hatte Herrick viel über den Untersuchungsausschuß nachgedacht. Wie Bolitho ihn verflucht hatte, als er von Inchs Tod erfuhr! Herrick glaubte noch immer, daß Bolithos Zorn und

Ärger sich gegen ihn persönlich richtete, nicht gegen den Ausschuß als Ganzes.

Den abgeänderten Befehlen hatte ein privater Brief Godschales beigelegen. Unter anderem enthielt er Andeutungen über die Liaison zwischen Bolitho und einer gewissen Catherine Pareja. Insgeheim hatte er, Herrick, sich ihr gegenüber immer befangen gefühlt. Kate war eine stolze, selbständige Frau, der es in seinen Augen an Bescheidenheit und Demut mangelte. Gerührt dachte er an seine liebe Dulcie in ihrem neuen Haus in Kent. Gar kein Vergleich mit ihr.

Wie tapfer Dulcie gewesen war, als sie erfuhr, daß sie ihm keine Kinder würde schenken können. Leise hatte sie erklärt:»Wenn wir uns nur früher kennengelernt hätten, Thomas. Vielleicht hätten wir dann einen hübschen Sohn gehabt, einen Nachfolger für dich in der Navy. «Er dachte auch an Bolithos Leben in Falmouth, an das alte graue Herrenhaus, in dem er aus- und eingegangen war, als Bolitho die Phalarope führte und er zum Ersten Leutnant aufgestiegen war. Das schien ein Jahrhundert zurückzuliegen.

Herrick war von untersetzter Statur und hatte sich gemütlich gerundet, seit er mit Dulcie verheiratet war. Gleichzeitig war er zu der für ihn immer noch unglaublichen Höhe eines Konteradmirals aufgestiegen. Er war schon so lange hier draußen, daß sein ehrliches rundes Gesicht wie Mahagoni aussah, eine Farbe, die seine strahlenden blauen Augen und die grauen Strähnen noch mehr hervorhob.

Was dachte sich Bolitho eigentlich? Er hatte eine schöne Frau und eine gesunde Tochter, darauf konnte er stolz sein. Jeder aktive Offizie r mußte ihn um seine Conduite beneiden. Er hatte Ge-fechte durch eigenen Einsatz gewonnen, aber auch nie den Wert seiner Männer außer acht gelassen. Seine Seeleute nannten ihn» Gleichheits-Dick«, ein Spitzname, den die populären Massenblätter im Lande aufgegriffen hatten, wenn auch einige von ihnen jetzt eine andere Geschichte erzählten. Nämlich vom Vizeadmiral, dem mehr an einer Lady als an seiner Reputation lag.

Godschale hatte in seinem Brief drumherum geredet.»Ich weiß, daß Sie beide alte Freunde sind, aber Sie mögen es jetzt schwer finden, unter ihm zu dienen, zumal Sie erwarten durften, abgelöst zu werden.»

Indem er nichts sagte, hatte Godschale alles gesagt. War es eine Warnung oder eine Drohung? Man konnte es so oder so auslegen.

Er hörte, wie die Seesoldaten an der Relingspforte antraten, während ihr Offizier sie inspizierte. Kapitän Gossage kam wieder zu ihm und begutachtete die Formation der verankerten Schiffe.»Sie sehen gut aus, Sir«, meinte er.

Herrick nickte. Seine eigenen Schiffe hätten ebenfalls abgelöst werden müssen, wenn auch nur für eine schnelle Überholung. Er hatte immer nur jeweils ein Schiff zum Wasserfassen und zur Ergänzung des Proviants entlassen können; der unerwartete Befehl, der ihn nun Bolithos Kommando unterstellte, überraschte jeden und verursachte viel Ärger.

Gossage erzählte weiter.»Ich diente vor wenigen Jahren unter Edmund Haven, Sir.»

«Haven?«Herricks riß sich aus seinen Gedanken.»Bolithos Flaggkapitän?»

Gossage bejahte.»Ein langweiliger Bursche. Er bekam Hyperion nur, weil sie nicht viel mehr als ein Wrack war.»

Herrick drückte sein Kinn in die Halsbinde.»Das würde ich nicht Sir Richard hören lassen. Er teilt diese Ansicht bestimmt nicht.»

Der Offizier vom Dienst rief:»Boot legt ab, Sir!«»Also gut, besetzt die Seite.»

In ihrem letzten Brief hatte Dulcie wenig über Belinda gesagt. Sie standen zwar in Verbindung, aber es schien, daß sie alles Vertrauliche zurückhielt. Er lächelte trübe: auch vor ihm.

Herrick gedachte des Mädchens, das Bolitho einmal geliebt und geheiratet hatte — Cheney Seton. Er hatte der Hochzeit beigewohnt, und es war auch seine schreckliche Aufgabe gewesen, Bolitho die Kunde von ihrem tragischen Tod zu übermitteln. Er hatte gewußt, daß Belinda keine zweite Cheney war, aber Bolitho schien sich dreingefunden zu haben, vor allem seit sie ihm eine Tochter geschenkt hatte. Herrick bemühte sich, aufrichtig zu sein. Auch bevor Dulcie über das Alter hinaus gewesen war, ihm Kinder zu schenken, hatten sie schmerzlich an ihrer Kinderlosigkeit gelitten. Im Geist hörte er die Worte: Warum sie und nicht wir?

Und nun gab es also Catherine. Gerüchte übertrieben immer maßlos, wie schon bei Nelson. Auch dieser würde es noch bedauern. Wenn er einmal den Degen endgültig aus der Hand legte, würden viele alte Feinde nur zu schnell seine Triumphe vergessen. Herrick entstammte einer armen Familie und wußte, wie schwer es war, Vorurteile von Vorgesetzten zu überwinden, ganz zu schweigen von deren offener Feindschaft. Bolitho hatte ihm das erspart, hatte ihm eine Chance geboten, die er sonst nie bekommen hätte. Das durfte er nicht leugnen. Und doch.

Gossage rückte seinen Hut zurecht.»Boot nähert sich, Sir!«Eine Stimme schrie:»Oberdeck frei!»

Ein von Müßiggängern bevölkertes Oberdeck hätte nicht gut ausgesehen, wenn Bolitho an Bord kam. Aber einige schlichen sich doch dort hinauf, trotz verlockender Gerüche aus der Kombüse. Die Pfeifen schrillten, und die Flöten der Seesoldaten intonierten das» Herz aus Eiche«, während die Ehrenwache die Gewehre präsentierte. Bolitho, vom seidigen Blau der See eingerahmt, nahm seinen Hut ab.

Er hat sich nicht verändert, dachte Herrick. Obgleich ein Jahr älter als Herrick, hatte er noch keine grauen Haare. Bolitho deutete auf die Seesoldaten.»Schmucke Wache, Major.»

Dann schritt er mit ausgestreckter Hand auf Herrick zu. Herrick, der wußte, wie wichtig dieser Augenblick auch für Bolitho war, packte sie schnell.»Willkommen, Sir Richard!»

Bolitho lächelte mit weißen Zähnen im braunen Gesicht.

«Schön, daß wir uns wiedersehen, Thomas. Ich fürchte nur, daß die geänderten Pläne dir nicht sonderlich behagen.»

Zusammen begaben sie sich nach achtern zur großen Kajüte, während die Wache abtrat und Allday das Boot loswarf, um die Zeit im hohen Schatten der Benbow angenehm zu vertrödeln.

Nach der Hitze des Oberdecks wirkte die Kajüte kühl. Herrick schaute Bolitho erwartungsvoll an, der sich auf die Heckbank setzte. Er sah dessen Blick umherwandern. Wahrscheinlich erinnerte er sich, wie es hier einmal gewesen war: sein eigenes Flaggschiff. Aber es hatte sich verändert, nicht nur das letzte Gefecht hatte dafür gesorgt.

Der Diener brachte Wein, und Bolitho bemerkte:»Es scheint also, daß sich Nelson noch im Atlantik befindet.»

Herrick schluckte seinen Wein, ohne ihn zu schmecken.»So sagt man. Ich hörte, daß er möglicherweise nach England zurückkehren und seine Flagge einholen wird, weil es nicht so aussieht, als ob die Franzosen eine Kraftprobe wollen. Jedenfalls nicht mehr in diesem Jahr.»

«Das denkst du also?«Bolitho betrachtete das Glas. Herrick war gereizter, als er erwartet hatte.»Es ist natürlich auch möglich, daß der Feind wieder durch die Straße von Gibraltar schlüpft und sich nach Toulon begibt.»

Herrick runzelte die Stirn.»In dem Fall werden wir ihn fassen, eingezwängt zwischen uns und Nelsons Flotte.»

«Aber angenommen, Villeneuve beabsichtigt, in eine andere Richtung vorzustoßen? Bevor Ihre Lordschaften uns informiert hätten, würde er durch den Kanal fegen, während wir uns hier ahnungslos die Beine in den Bauch stehen.»

Herrick fühlte sich unbehaglich.»Ich schicke ständig meine Aufklärer aus und…»

«Ich weiß. Hast du ein Schiff zuwenig?»

Herrick war überrascht.»Ja, die Absolute. Ich schickte sie nach Gibraltar. Sie ist so verrottet, ein Wunder, daß sie überhaupt noch schwimmt. «Er versteifte sich.»Es geschah auf meine Verantwortung. Ich wußte damals noch nicht, daß du hier den Oberbefehl übernimmst.»

Bolitho lächelte.»Keine Sorge, Thomas. Es war nicht als Kritik gedacht. Ich hätte wohl das gleiche getan.»

Herrick schaute zu Boden.»Ich würde gern deine Absichten erfahren.»

«Gleich, Thomas. Vielleicht können wir zusammen soupieren?»

Herrick sah, wie die grauen Augen baten. Er entgegnete:»Es wäre mir ein Vergnügen. «Dann stockte er.»Du könntest Kapitän Haven mitbringen, wenn du wünschst, obgleich ich meine.»

Bolitho starrte ihn an. Natürlich, er konnte es noch nicht wissen.»Haven ist unter Arrest, Thomas. Zu gegebener Zeit wird er sich vor Gericht verantworten müssen, wegen versuchten Mordes an seinem Ersten Leutnant.»

Herricks Erstaunen war verständlich, es klang wirklich verrückt. Deshalb fügte er hinzu:»Haven bildete sich ein, daß der Leutnant eine Affäre mit seiner Frau hätte. Sie bekam ein Kind. Wie sich herausstellte, hatte Haven unrecht. Aber der Schaden war schon geschehen.»

Herrick füllte sein Glas aufs neue und vergoß dabei Wein, ohne es zu beachten. Er kämpfte mit sich.

«Ich muß darüber sprechen, Sir Richard«, begann er.

Bolitho spitzte die Ohren.»Bitte keinen Rang oder Titel, wenn wir unter uns sind, Thomas.»

Herrick gab sich einen Stoß.»Dieses Weib. Was kann es dir schon bedeuten, außer.»

Bolitho beherrschte sich.»Wir sind Freunde, Thomas, laß uns das bleiben. «Er sah an ihm vorbei.»Ich liebe Catherine, ist das so schwer zu verstehen? Wie würde es dir gefallen, wenn jemand von deiner Dulcie als von >diesem Weib< sprechen würde?«Er versuchte, den bitteren Unterton zu unterdrücken.

Herrick packte die Armlehnen fester.»Verdammt noch mal, Richard, warum verdrehst du die Wahrheit? Du mußt doch wissen, was sich jeder erzählt: daß du ihr verfallen bist, Frau und Kind verstoßen hast, um deiner Leidenschaft zu leben — und zum Teufel mit allen, die sich um dich sorgen!»

Bolitho dachte an Belindas großes Haus in London.»Ich habe niemanden verstoßen. Ich habe vielmehr jemanden gefunden, den ich lieben kann. Mit Hörigkeit hat das nichts zu tun. «Er erhob sich und wanderte zu den Fenstern.»Du weißt, daß ich mich in diesen Dingen nicht leichtsinnig verhalte. «Er fuhr herum:»Verurteilst auch du mich? Wer bist du denn — Gott?»

Sie standen einander wie Feinde gegenüber. Dann sagte Bolitho:»Ich brauche Catherine und bete, daß auch sie mich immer brauchen möge. Und nun laß uns damit aufhören.»

Herrick holte tief Atem und füllte beide Gläser nach. Die blauen Augen auf Bolitho gerichtet, erwiderte er:»Ich werde niemals damit einverstanden sein. Aber es wird meine Pflichterfüllung nicht beeinflussen.»

Bolitho nahm wieder Platz.»Sprich nicht von Pflichten zwischen uns, Thomas. Ich hatte zuviel davon in letzter Zeit.»

Dann kam er auf das eigentliche Thema zurück.»Für unsere jetzt vereinigten Geschwader sind wir gemeinsam verantwortlich. Ich eigne mir nicht deine Führungsrolle an, das sollst du wissen. Ich teile aber auch nicht die Ansichten Ihrer Lordschaften über die Franzosen. Pierre Villeneuve ist ein Mann von großer Intelligenz, er hält sich nicht stur an seine Gefechtsinstruktionen. Andererseits muß er vorsichtig sein; denn wenn er bei seinem eigentlichen Auftrag versagt, den Kanal für die Invasion frei zu machen, stirbt er unter der Guillotine.»

«Barbaren«, murmelte Herricks.

Bolitho nickte.»Wir müssen jede Möglichkeit berücksichtigen und unsere Schiffe zusammenhalten, mit Ausnahme der Aufklärer. Wenn die Zeit kommt, wird es schwer sein, Nelson und den tapferen Collingwood zu finden.»

Bedächtig setzte er sein Glas ab.»Ich glaube nämlich nicht, daß die Franzosen bis zum nächsten Jahr warten werden. Sie haben ihren Kurs schon abgesteckt. «Er schaute auf die in der Sonne ankernden Schiffe hinaus und schloß:»Wir aber auch.»

Herrick fühlte sich wieder auf sicherem Boden.»Wer ist jetzt dein Flaggkapitän?»

«Kapitän Keen. Es gibt keinen besseren, jedenfalls nicht, seit du über meinen Einfluß hinausgewachsen bist.»

Herrick verbarg nicht seine Rührung.»So hat es uns also alle wieder zusammengeführt?»

«Nur denk daran, Thomas, heute sind wir noch weniger.»

Bolitho stand auf und nahm seinen Hut.»Ich muß zur Hyperion zurück. Vielleicht später. «Aber er sprach es nicht aus, sondern legte Herricks Briefe auf den Tisch.

«Von England, Thomas. Es werden noch mehr >Neuigkeiten< drin sein. «Ihre Blicke trafen sich, und Bolitho schloß leise:»Mir wäre es lieber gewesen, du hättest es von mir selbst erfahren, von deinem Freund, statt deine Ohren mit Klatsch aus London zu beschmutzen.»

Herrick protestierte.»Ich wollte dich nicht verletzen, ich mache mir nur Sorgen um dich.»

Bolitho zuckte die Achseln.»Wir kämpfen zusammen in einem Krieg, Thomas, das muß genügen.»

Sie standen Seite an Seite an Deck, während Allday mit dem Boot hastig herbeiruderte. So war er noch nie überrascht worden. Wie alle anderen hatte auch er angenommen, daß der Vizeadmiral länger bei seinem Freund bliebe. Bolitho schritt zur Relingspforte, während die Seesoldaten Gewehre präsentierten, deren Bajonette wie Eis in der Sonne glitzerten. Sein Schuh verfing sich in einem Ringbolzen, und er wäre gefallen, wenn ihn nicht ein Leutnant gestützt hätte.»Danke, Sir!»

Er sah den Major der Wache herüberschielen, den präsentierten Degen noch in der behandschuhten Faust, und Herrick in jähem Erschrecken zu ihm treten.»Fühlen Sie sich nicht wohl, Sir Richard?«Bolitho schaute zum nächstliegenden Schiff hinüber und biß die Zähne zusammen. Wieder überzog der Schleier sein Auge. Dieser Besuch hatte ihn so bewegt und enttäuscht, daß er alle Vorsicht vergessen hatte. Im Nahkampf hätte es nur einer Sekunde bedurft.

Er erwiderte:»Wohl genug, vielen Dank. «Sie sahen sich an.»Es soll nicht wieder vorkommen.»

Einige Seeleute waren in die Wanten geklettert und begannen zujubeln, als das Boot aus dem Schatten ins Sonnenlicht lief.

Allday legte Ruder und lauschte den Jubelrufen, die sich auf die anderen Vierundsiebziger übertrugen. Ihr Narren, dachte er ärgerlich. Was wißt ihr schon? Nur er hatte es gemerkt, hatte es sogar unten im Boot gefühlt: zwei Freunde, die sich nichts mehr zu sagen hatten, um die Kluft zu überbrücken, die sie trennte wie ein Burggraben.

Er sah, daß der Schlagmann mehr auf Bolitho achtete als auf seine Arbeit, und funkelte ihn an, bis der andere erblaßte. Allday schwor sich, nie mehr jemanden nach dem bloßen Äußeren zu beurteilen. Für oder gegen Bolitho, das sollte sein Maßstab sein.

Bolitho drehte sich plötzlich um und beschattete seine Augen.

«Schon gut, Allday, entspann dich.»

Allday vergaß den unaufmerksamen Schlagmann und grinste verlegen zurück. Bolitho konnte sogar hinter seinem Rücken Gedanken lesen.»Ich habe mich nur erinnert, Sir Richard.»

«Ich weiß, aber im Augenblick habe ich genug davon.»

Das Boot glitt an Hyperions Großrüsten, und Bolitho schaute zur wartenden Ehrenwache auf. Er verhielt.»Zuweilen erhoffen wir eben zuviel, alter Freund.»

Dann war er ausgestiegen, und die schrillen Triller verkündeten seine Ankunft an Deck. Allday schüttelte den Kopf und murmelte:»So habe ich ihn noch nie gesehen.»

«Was ist, Steuermann?»

Allday drehte sich um, seine Augen blitzten.»Und du! Achte in Zukunft auf den Takt, oder ich zieh dir's Fell ab!»

Er starrte hart auf die hochragende Bordwand. Aus der Nähe konnte man die Narben der Schlacht unter dem Anstrich erkennen.

Wie wir selber, dachte er beunruhigt. Warten aufs letzte Gefecht. Wenn es dazu kam, würde Bolitho alle Freunde brauchen, die er noch besaß.

XV Vereint handeln

Bolitho saß an seinem Pult und setzte seine Unterschrift auf noch eine Depesche an die Admiralität. Die Luft in der großen Kajüte war schwer und feucht; selbst bei geöffneten Stückpforten und offenem Oberlicht fühlte er, wie der Schweiß ihm den Rücken hinunterrann. Er hatte seinen Rock abgelegt und das Hemd fast bis zur Taille aufgeknöpft, aber das nützte auch nichts.

Er schaute auf das Datum der nächsten Depesche, die Yovell ihm diskret unterschob. September. Mehr als drei Monate, seit er sich von Catherine verabschiedet hatte und nach Gibraltar zurückgekehrt war. Er blickte zu den Heckfenstern hinaus — kaum ein Gekräusel heute. Die See war wie Glas, die Sonnenreflexe schmerzten beinahe. Sie schienen ihm viel länger, diese endlosen Tage des Gegenankreuzens in den Fängen eines wütenden Levanter oder des Stillliegens ohne den geringsten, die Segel füllenden Hauch.

So konnte es nicht weitergehen. Sie saßen hier wie auf einem Pulverfaß. Zudem wurde das Frischwasser wieder knapp, was in den überfüllten Messedecks Unruhe hervorrufen konnte.

Vom Feind fehlte jede Spur. Hyperion und ihre Geleitschiffe lagen westlich von Sardinien, während Herrick und sein erschöpftes Geschwader von der Straße von Messina bis nördlich zur Bucht von Neapel patrouillierte.

Der andere Bewohner der Kajüte hüstelte höflich. Bolitho sah auf und lächelte.»Routine, Sir Piers, aber es wird nicht mehr lange dauern.»

Sir Piers Blachford lehnte sich in seinem Sessel zurück und streckte die Beine aus. Den Offizieren des Geschwaders war seine Ankunft mit der letzten Kurierbrigg lediglich als eine weitere Einmischung Londons erschienen: ein Zivilist, den man ihnen schickte, um zu sondieren und zu untersuchen, ein abzulehnender Eindringling.

Doch dieser merkwürdige Mann hatte nicht lange gebraucht, das alles zu ändern. Wenn sie ehrlich waren, bedauerten die meisten von denen, die sein Eintreffen geärgert hatte, nun seinen Fortgang.

Blachford war ein Seniormitglied des Kollegiums der Chirurgen und einer der wenigen, die sich freiwillig gemeldet hatten, die Geschwader der Navy zu besuchen, ungeachtet der eigenen Unbequemlichkeit. Er sollte die medizinische Versorgung in den spartanischen und oftmals entsetzlichen Verhältnissen eines Kriegsschiffs untersuchen. Als Mann unerschöpflicher Energie schien er niemals zu ermüden, wenn er von einem Schiff zum anderen gereicht wurde, sich mit den Bordärzten beriet und die Kommandanten über eine bessere Nutzung ihrer mageren Versorgungsmöglichkeiten der Kranken unterrichtete.

Obendrein war er gut zwanzig Jahre älter als Bolitho und dünn wie ein Bolzen, mit der längsten und ausgeprägtesten Nase, die Bolitho jemals gesehen hatte. Sie war mehr ein Instrument seines Gewerbes als ein Teil seines Gesichts. Blachford war sehr groß, und das Herumkriechen in den engen Decks und das Überprüfen von Lagerräumen und Krankenrevieren mußten seine Kräfte und seine Geduld sehr beanspruchen. Trotzdem hatte er nie geklagt. Bolitho würde ihn vermissen. Die abendliche Unterhaltung mit einem Mann, dessen Beruf heilte statt Feinde bekämpfte, war ein seltener Genuß für ihn gewesen.

Bolitho hatte zwei Briefe von Catherine erhalten. Beide waren in dem gleichen Päckchen mit einem Schoner gekommen. Sie lebte angenehm und sicher in Hampshire in dem Haus, welches Keens Vater gehörte, einem einflußreichen Geschäftsmann der Londoner City. Catherine war ihm ebenso willkommen wie seine künftige Schwiegertochter Zenoria. Der Vorteil lag auf beiden Seiten, weil eine von Keens Schwestern, deren Mann als Leutnant in der Kanalflotte gefallen war, ebenfalls dort wohnte. So waren die drei einsamen Frauen einander ein Trost.

Bolitho gab Yovell einen Wink, der die Papiere zusammenraffte und verschwand, und sagte zu Blachford:»Ich nehme an, daß Ihr Schiff nun bald eintreffen wird. Hoffentlich haben wir bei Ihren Nachforschungen helfen können.»

Der Chirurg beäugte ihn nachdenklich.»Wenn ich diese Höllenlöcher sehe, in denen die Verwundeten und Kranken leiden müssen, bin ich immer wieder erstaunt, daß unsere Verluste nicht noch größer sind. Es wird einige Zeit in Anspruch nehmen, um unsere Ergebnisse im Kollegium auszuwerten. Aber sie ist gut investiert und wird schließlich Menschenleben retten. Blutverlust, Wundbrand und der damit einhergehende Schock, alles muß unterschiedlich behandelt werden.»

Bolitho versuchte sich diesen hageren Mann mit dem wirren weißen Haar im Schlachtgetümmel vorzustellen. Zu seiner Überraschung fiel es ihm nicht schwer. Er sagte:»Das sind die Dinge, die wir alle fürchten.»

Blachford lächelte schwach.»Sie sind sehr ehrlich. Man neigt dazu, sich Flaggoffiziere als ruhmsüchtige Männer ohne Herz vorzustellen.»

Bolitho lächelte zurück.»Äußerlich scheinen unsere beiden Welten sehr verschieden zu sein. Als ich mein erstes Schiff betrat, war ich noch ein Kind. Ich mußte erst lernen, daß die vollgepferchte, erschreckende Welt zwischen den Decks nicht eine bloße Masse war, ein geistloses Instrument. Es dauerte lange«, sein Blick folgte den glitzernden Reflexen in der Kajüte, als sich Hyperion in der Brise drehte,»und ich lerne noch immer.»

Durch das offene Oberlicht kamen schrille Pfiffe und das Tappen nackter Füße, als die Wachgänger an die Brassen liefen. Die großen Rahen mußten jedem Windhauch angepaßt werden. Auch Parris' Stimme war zu hören wie damals, als einer der seltenen stürmischen Levanter überraschend aus Ost über sie hereinbrach und das Schiff ins Chaos stürzte.

Ein Mann war über Bord gefallen und achteraus getrieben, während das Schiff mit dem Sturm kämpfte. Der Mann mußte mit dem Tod rechnen, denn kein Kommandant konnte bei dieser Windstärke beidrehen, ohne den Verlust seiner Masten zu riskieren. Doch Keen war an Deck gewesen und hatte die Gig aussetzen lassen. Da der Mann schwimmen konnte, hatte er eine

Chance, das Boot zu erreichen. Allerdings gab es Kommandanten, die unter diesen Umständen die Meinung vertreten hätten, ein Boot sei mehr wert als ein Seemann, der ohnehin sterben müsse.

Parris war mit einigen Freiwilligen in die Gig gestürzt und davongepullt. Am nächsten Morgen war der Sturm vorbei, und sie hatten das Boot mit dem halb ertrunken geretteten Seemann wiedergefunden.

Parris hatte nach diesem Zwischenfall einen Rückschlag erlitten. Blachford hatte seine Schulterwunde untersucht und alles getan, was er konnte. Und Keens Respekt vor Parris', vor seiner fanatischen Entschlossenheit, war gewachsen. Dank seiner Hilfe gab es jetzt in Portsmouth eine Familie, die nicht zu trauern brauchte.

Auch Blachford mußte Parris' Stimme erkannt haben. Er bemerkte:»Das war tapfer von Ihrem Ersten, die meisten hätten es nicht einmal versucht. Es ist furchtbar, mit ansehen zu müssen, wie sich das eigene Schiff immer weiter entfernt, bis man ganz allein ist.»

Bolitho rief nach Ozzard.»Etwas Wein gefällig?«Er schmunzelte.»Man macht sich auf diesem Schiff nur unbeliebt, wenn man um Wasser bittet. «Aber der Witz beschönigte die Wahrheit. Er würde das Geschwader bald aufsplittern müssen, wenn es nicht gelang, die Schiffe mit Frischwasser zu versorgen.

Die ganze Zeit betrachtete Blachford den Vizeadmiral nachdenklich. Er hatte sein verletztes Auge einmal im Gespräch erwähnt, das Thema aber fallen lassen, als Bolitho leicht darüber hinwegging. Jetzt sagte der Chirurg unvermittelt:»Sie müssen etwas für Ihr Auge tun. Ich kenne in London einen tüchtigen Kollegen, der es gern untersuchen würde, wenn ich ihn darum bitte.»

Bolitho beobachtete Ozzard, der den Wein eingoß und mit keiner Miene verriet, daß er jedem Wort lauschte.»Was könnte ich schon tun? Soll ich mein Geschwader verlassen, obwohl es jeden Tag auf den Gegner treffen kann?»

Blachford blieb ungerührt.»Sie haben einen Konteradmiral.

Vertrauen Sie Ihrem Stellvertreter nicht? Ich hörte, daß Sie auch das Schatzschiff selbst eroberten, weil Sie das Risiko nicht delegieren wollten.»

Bolitho lächelte.»Vielleicht habe ich überhaupt nicht nach dem Risiko gefragt.»

Blachford nippte an seinem Wein, ohne die Augen von Bolitho zu lassen. Dieser fühlte sich an einen Reiher erinnert, der auf Beute lauert.

«Hat sich das nicht verändert?«Der Reiher blinzelte.»Sie spielen mit mir.»

«Eigentlich nicht. Kranke zu heilen, ist nur ein Aspekt meiner Arbeit. Befehlshaber zu verstehen, die darüber entscheiden, ob ein Mann leben oder sterben wird, ist dabei ebenfalls notwendig.»

Bolitho erhob sich und ging ruhelos umher.»Ich bin wie eine junge Katze, immer auf der falschen Seite der Tür. Zu Hause sorge ich mich um meine Schiffe und um meine Besatzungen. Auf See sehne ich mich nach England, nach dem Gefühl weichen Rasens unter den Füßen, dem Geruch frischgepflügter Erde.»

Blachford entgegnete leise:»Denken Sie darüber nach. Ein schlimmer Sturm wie der, den ich miterlebte, das beißende Spritzwasser, die grelle Sonne und die ständige Belastung sind schädlich für Sie. «Er wurde deutlicher:»Ich sage Ihnen, wenn Sie meine Warnung nicht beachten, werden Sie die Sehkraft des Auges ganz verlieren.»

Bolitho lächelte traurig.»Und wenn ich Ihrem Rat folge, sind Sie dann sicher, daß das Auge gerettet wird?»

«Für mich ist nichts sicher«, erklärte Blachford,»aber.»

Bolitho berührte ihn an der Schulter.»Aye, immer diese Aber. Nein, ich kann hier nicht fort. Nennen Sie das, wie Sie wollen, aber ich werde hier gebraucht. «Er deutete aufs Wasser.»Hunderte Männer hängen von mir ab, so wie deren Söhne von Ihren Erkenntnissen abhängen werden.»

Blachford seufzte.»Ich nenne es eigensinnig.»

Bolitho sagte:»Ich bin noch nicht bereit für den Abfalleimer des Chirurgen, gerade jetzt nicht, und es geht mir auch nicht um den Ruhm, wie manche meinen.»

«Denken Sie wenigstens darüber nach. «Blachford wartete und fügte dann sanft hinzu:»Schließlich haben Sie noch jemanden zu berücksichtigen.»

Bolitho fuhr hoch, als eine ferne Stimme rief:»An Deck! Segel in Lee!»

Bolitho lachte.»Mit etwas Glück ist dies Ihre Passage nach England. Ich fürchte, ich bin Ihren Argumenten nicht gewachsen.»

Blachford stand geduckt unter den niedrigen Decksbalken.»Ich hätte es nie für möglich gehalten, doch jetzt tut es mir leid zu gehen. «Er sah Bolitho neugierig an.»Aber wie können Sie das schon aus dem Ruf des Ausgucks schließen?»

Bolitho grinste.»Kein anderes Schiff würde sich in unsere Nähe trauen.»

Später, als man den Neuen erkannte, meldete der Wachoffizier, es handle sich um die Brigg Firefly. Um jenes Schiff, das immer segelte, auch wenn die anderen schliefen, ähnlich der alten Süperb in Nelsons berühmtem Geschwader.

Bolitho sah zu, wie Blachfords abgenutzte Kisten und Folianten an Deck gebracht wurden, und meinte:»Sie werden meinen Neffen Adam kennenlernen. Er leistet Ihnen bestimmt gute Gesellschaft.»

Aber Firefly wurde nicht mehr von Adam Bolitho geführt. Ein anderer junger Commander kam an Bord des Flaggschiffs. Bolitho empfing ihn achtern und fragte sofort:»Was ist mit Ihrem Vorgänger?»

Der Commander, der aussah wie ein eifriger Fähnrich, berichtete, daß Adam seine Beförderung erhalten hätte. Mehr wußte er nicht, und es verschlug ihm auch fast die Sprache, einem Vizeadmiral Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Besonders einem, der jetzt aus anderen als dienstlichen Gründen bekannt war, vermutete Bolitho.

Er freute sich für Adam, aber er vermißte ihn. Keen stand neben ihm, als Firefly wieder Segel setzte und aufkreuzte, um den schwachen Wind zu nutzen.

Keen sagte:»Ohne ihn als Kommandanten scheint der Brigg was zu fehlen.»

Bolitho schaute zu den gebraßten Rahen der Hyperion auf, dem in der Höhe sich kräuselnden Wimpel.

«Stimmt, Val. Ich wünsche ihm viel Glück. «Er stockte.»Wenn Männer wie Sir Piers Blachford jetzt endlich Interesse zeigen, wird Adams Navy vielleicht eine bessere werden als unsere.»

Er sah der Brigg nach, bis sie nur noch ihr Heck zeigte. In zwei Wochen würde Firefly in England sein. Keen ging, als Bolitho an der Windseite des Achterdecks seinen Spaziergang aufnahm. Im offenen weißen Hemd, mit dem wehenden Haarschopf, sah er nicht wie ein Admiral aus.

Keen lächelte. Er war auch nur ein Mann wie sie alle.

Eine Woche später sichtete die Fregatte Tybalt den im Auftrag der Admiralität segelnden Schoner Lady Jane und benachrichtigte sofort das Flaggschiff.

Der Wind ließ sich gut an, hatte aber beträchtlich gedreht, so daß der forsche Schoner mehrere Stunden kreuzen mußte, bevor Signale ausgetauscht werden konnten. Bolitho und Keen sahen vom Achterdeck aus die weißen Segel des Schoners in den Wind schießen, während Jenours Signalgasten eine Antwort aufheißten. Jenour berichtete aufgeregt:»Sie kommt mit Depeschen von Gibraltar, Sir Richard.»

«Das müssen aber dringende Nachrichten sein«, bemerkte Keen.»Der Schoner gibt sein Letztes her. «Er wies Parris an:»Machen Sie klar zum Beidrehen, wenn's beliebt.»

Die Trillerpfeifen jagten Trupps von Männern an Deck, wo sie von den Decksoffizieren gemustert wurden. Bolitho betastete sein Auge. Seit Piers Blachfords Abreise hatte es ihn kaum gestört. War es möglich, daß es sich trotz dessen ungünstiger Prognose besserte?

«Lady Jane hat beigedreht, Sir Richard. Sie lassen ein Boot zu Wasser.»

Jemand kicherte.»Meine Güte, der Kommandant sieht ja aus, als wäre er zwölf Jahre alt.»

Das kleine Boot glitt flott über die schwach atmende Dünung.

Bolitho war in seiner Kajüte gewesen, als der Ausguck das erste Tybalt-Signal gemeldet hatte, und hatte neue Befehle für Herrick und dessen Kommandanten verfaßt: Teilt das Geschwader, zögert nicht länger.

Jetzt blickte er gespannt zur Relingspforte. War es unrecht, die Langeweile zu verfluchen, wenn die Alternative ein plötzlicher Tod sein konnte? Was, wenn das Boot nur eine weitere nichtssagende Depesche brachte? Er unterdrückte seinen Ärger. In Gottes Namen, inzwischen sollte er sich daran gewöhnt haben.

Der Kommandant der Lady Jane, ein rotbäckiger Leutnant namens Edwards, kletterte an Bord und sah sich um, als säße er in der Falle. Keen trat vor.»Kommen Sie mit nach achtern, Sir. Der Admiral will mit Ihnen sprechen.»

Bolitho starrte überrascht eine zweite Person an, die ohne große Umstände, nur begleitet vom Grinsen der Matrosen, im Bootsmannstuhl an Bord geholt wurde.»Sir Piers! Wie ich sehe, konnten Sie sich doch nicht von uns trennen.»

Sir Piers Blachford hob warnend die Hand, als ein Seemann fast seinen Instrumentenkasten fallen ließ. Dann sagte er schlicht:»Ich kam nur bis Gibraltar. Dort erfuhr ich, daß die Franzosen sich mit ihren spanischen Verbündeten in Cadiz vereinigt haben. Da sich nicht absehen ließ, wann ich nun die Flotte erreichen würde, habe ich mich entschlossen, mit dem Schoner hierher zurückzukehren. «Er lächelte sanft.»Natürlich mit dem Segen der Behörden, Sir Richard.»

Keen meinte skeptisch:»Bei uns bekommen Sie höchstens einen Sonnenstich oder Durst, Sir Piers. «Dann sah er, wie die Nachricht Bolitho verändert hatte, wie die dunkelgrauen Augen plötzlich aufleuchteten.

In der Kajüte schlitzte Bolitho den dicken Leinwandumschlag selbst auf. Die Geräusche des Schiffes schienen auf einmal zu verstummen, als ob auch Hyperion den Atem anhielte.

Alle umgaben ihn wie auf ihr Stichwort wartende Schauspieler: Keen, breitbeinig, das blonde Haar in einem Sonnenstrahl leuchtend. Yovell am Tisch, eine Feder noch in der Hand. Sir Piers Blachford, der sich wegen seiner Größe hingesetzt hatte, aber ungewöhnlich still blieb. Jenour neben Bolitho, der als einziger sein schnelles Atmen wahrnahm. Und Leutnant Edwards, der mit seinem Schoner die Nachrichten aus Gibraltar gebracht hatte und nun dankbar einen Humpen Wein leerte, den ihm Ozzard in die Hand drückte.

Und natürlich Allday. War es Zufall oder Absicht, daß er sich bei der Wandhalterung mit den zwei Degen aufhielt?

Bolitho erklärte den Aufhorchenden:»Nelson holte vergangenen Monat seine Flagge ein und kehrte nach Hause zurück, nachdem es ihm nicht gelungen war, die Franzosen zum Kampf zu stellen. «Er blickte Blachford an.»Die französische Flotte liegt in Cadiz, die spanischen Geschwader ebenfalls. Cadiz wird für uns von Vizeadmiral Collingwood blockiert.»

Jenour flüsterte:»Und Lord Nelson?»

Bolitho sah ihn an.»Inzwischen ist Nelson wieder auf der Victoty und jetzt ohne Zweifel bei seiner Flotte.»

Eine ganze Weile sprach keiner. Dann machte Keen den Mund auf.»Werden sie ausbrechen? Sie müssen!»

Bolitho legte die Hände auf den Rücken.»Ich stimme zu. Villeneuve bleibt keine andere Wahl. Aber welche Richtung wird er einschlagen? Nach Norden in die Biskaya oder zurück ins Mittelmeer, vielleicht nach Toulon?«Er musterte ihre gespannten Gesichter.»Jedenfalls werden wir bereit sein. Wir sollen uns Lord Nelson anschließen, zur Blockade oder zum Kampf, das hängt ganz von Villeneuve ab.»

Er fühlte, wie er sich entspannte, als ob ein Gewicht von seinen Schultern genommen sei. Er wandte sich an den rotbäckigen Leutnant.»Wohin sind Sie unterwegs?»

Der machte eine unbestimmte Handbewegung.»Erst nach Malta und dann…»

Er schien zu überlegen, wie er seinen Freunden von dieser Begegnung erzählen würde, wenn er erst dem Rest der Flotte die Befehle überbracht hatte.

«Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.»

Keen geleitete den jungen Mann von Bord.

Bolitho sagte:»Signal an Tybalt, zur Wiederholung für Phaedra: Kommandant zum Flaggschiff aufschließen und ohne Verzögerung an Bord melden.»

Jenour schrieb es in seine Kladde.»Sofort, Sir Richard!«Er rannte fast aus der Kajüte.

Bolitho sah Blachford an.»Ich entsende Phaedra, um Herricks Geschwader herbeizurufen. Mit ihm zusammen beabsichtige ich, nach Westen zu segeln. Kommt es zum Kampf, werden wir daran teilnehmen. «Lächelnd fügte er hinzu:»Dann werden Sie hier mehr als nur willkommen sein.»

Keen kam zurück und fragte:»Sie schicken die Phaedra nach ihm, Sir Richard?»

Wieder einmal fiel Bolitho auf, wie sehr sich ihre Gedankengänge glichen. Es war nur ein Jammer, daß es nicht Adam sein konnte, der Herrick den Rückruf überbrachte.

Blachford wandte ein:»Aber wird es schließlich nicht wieder bloß mit einer Blockade enden?»

Keen schüttelte den Kopf.»Das glaube ich nicht, Sir Piers. Es steht jetzt zuviel auf dem Spiel.»

Bolitho nickte.»Nicht zuletzt die Ehre Villeneuves. «Er ging zu den Heckfenstern und rechnete nach, wie lange wohl Dunstan brauchen würde, um mit seiner Korvette zum Geschwader aufzuschließen.

Nelson hatte also England verlassen und sich wieder auf Victory eingeschifft. Auch er mußte es im Gefühl haben. Bolitho strich über den abgenutzten Sims der Heckfenster und sah unten die See steigen und fallen. Zwei alte Schiffe. Er dachte an den Hafen, wo er sich von Catherine verabschiedet hatte. Auch Nelson mußte diese Stufen benutzt haben. Eines Tages würden sie sich treffen, das war unvermeidlich. Inch hatte ihn getroffen, und Adam hatte oft mit ihm gesprochen. Er lächelte in sich hinein. Unser Nel…

Hinter der Tür wurde geflüstert. Keen meldete: «Phaedra ist in Sicht, Sir Richard.»

«Gut. Wenn wir Glück haben, können wir sie noch vor dem Abend auf den Weg schicken.»

Bolitho legte seinen goldbetreßten Rock ab und setzte sich an den Tisch.»Ich schreibe jetzt meine Befehle, Mr. Yovell. Sagen Sie Ihren Gehilfen, sie sollen für jeden Kommandanten eine Kopie ausfertigen.»

Die frische Tinte glitzerte in der Sonne.

«Nach Erhalt dieses begeben Sie sich auf schnellstem Wege zu...«Ob richtig oder falsch, die Zeit zum Handeln war endlich gekommen.

Herrick saß groß und breit in der Kajüte der Hyperion und hielt mit beiden Händen einen Becher Limonade.

«Ein sonderbares Gefühl. «Er schlug die Augen nieder.»Warum eigentlich?»

Bolitho wanderte umher und entsann sich seiner eigenen Gefühle, als der Ausguck im Morgenlicht die Benbow und ihre zwei Begleiter ges ichtet hatte. Er verstand Herrick: Sie waren zwei Männer, die sich wie passierende Schiffe auf See gegenseitig anzogen. Nun war er hier, und nicht einmal die kühle Begrüßung zwischen Herrick und Keen konnte seine Erleichterung beeinträchtigen. Er sagte:»Ich habe mich entschlossen, mit dem vereinigten Geschwader nach Westen zu steuern, Thomas.»

Herrick sah hoch, aber sein Blick schien von dem eleganten Weinschränkchen in der Ecke der Kajüte angezogen zu werden. Wahrscheinlich erkannte er Catherines Geschenk.

«Ich bin nicht sicher, daß es richtig ist. «Er zuckte die Achseln.

«Doch wenn man uns ruft, Nelson zu unterstützen, dann ist es um so besser, je näher wir der Straße von Gibraltar sind. «Das hörte sich nicht sehr überzeugt an.»Wenigstens können wir dem Feind entgegentreten, wenn er uns in der Straße konfrontiert.»

Bolitho lauschte dem Trampeln der Füße, als die Wache die Kreuzbrassen bemannte, um wieder einmal über Stag zu gehen. Acht Linienschiffe, eine Fregatte und eine kleine Korvette. Das war nicht gerade eine Flotte, doch er war so stolz auf sie, wie man nur sein konnte. Ein Schiff fehlte noch, die kleine erbeutete Fregatte La Mouette, die Herrick weiter nach Norden entsandt hatte, um von der Küstenschifffahrt Informationen einzuholen.

Herrick sagte:»Wenn die Franzosen sich nicht herauswagen, bleiben wir über ihre Angriffspläne im Ungewissen. Was dann?«Er winkte Ozzard weiter, als der ihm ein Tablett mit Rotwein anbot.»Ich würde Limonade vorziehen.»

Bolitho wandte sich um. Lag es wirklich an Herricks Durst, oder war sein Vorurteil gegen Catherine schon so groß, daß er nichts aus ihrem Schränkchen annehmen wollte? Er bemühte sich, den Gedanken als kleinlich zu verdrängen, aber er blieb hartnäckig haften.

Laut sagte er:»Wir segeln in zwei getrennten Abteilungen, Thomas. Bei günstigem Wetter halten wir etwa zwei Meilen Abstand. Das gibt unseren Ausguckposten einen besseren Überblick und uns einen erweiterten Horizont. Wenn der Feind in unsere Richtung ko mmt, werden wir rechtzeitig gewarnt.»

Herrick wechselte das Thema; er fragte abrupt:»Was wirst du tun, wenn wir erst wieder nach Hause kommen?«Verlegen scharrte er mit den Füßen,»Dein Leben mit einer anderen teilen?»

Bolitho balancierte ein leichtes Schwanken des Schiffes aus.»Ich teile nichts, Catherine ist mein Leben.»

Die blauen Augen fixierten ihn eigensinnig.»Dulcie meint, daß du es noch bedauern wirst.»

Bolitho schaute zum Weinschränkchen mit dem gefalteten Fächer hin.»Man schwimmt entweder mit dem Strom, Thomas, oder gegen ihn.»

Herrick runzelte die Stirn, als Ozzard mit einem frischen Becher Limonade hereintrottete.»Unsere Freundschaft bedeutet mir eine Menge. Aber sie gibt mir auch das Recht, meine Ansicht zu äußern. Ich werde niemals diese — «, er leckte sich die Lippen,»diese Dame akzeptieren.»

Bolitho nickte betrübt.»Dann hast du deine Wahl getroffen, Thomas. «Er setzte sich und wartete, bis Ozzard sein Glas wieder gefüllt hatte.»Oder haben es andere für dich getan?»

Als Herrick ärgerlich auffuhr, schloß er:»Vielleicht wird ja der Feind über unsere Zukunft entscheiden. Hier hast du meine Ansicht, Thomas: Möge der beste Mann gewinnen. «Er hob sein Glas.

Herrick stand auf.»Wie kannst du darüber scherzen!»

Die Tür ging auf, und Keen spähte herein.»Das Boot des Konteradmirals wartet, Sir Richard. «Er schenkte Herrick keinen Blick.»Der Seegang wird gröber, deshalb dachte ich.»

Herrick nahm seinen Hut auf. Dann wartete er, bis sich Keen zurückgezogen hatte, und sagte heiser:»Wenn wir uns wiedersehen.»

Bolitho streckte die Hand aus.»In Freundschaft?»

Herrick packte sie, sein Händedruck war so fest wie eh und je. Er erwiderte:»Aye, die kann nichts zerbrechen.»

Bolitho lauschte dem Trillern, als Herrick von Bord ging, um über das zunehmend rauhe Wasser zu seinem Flaggschiff gerudert zu werden.

In der anderen Tür trödelte Allday und wischte mit einem Putzlappen den alten Degen blank.

Bolitho bemerkte müde:»Man sagt, Liebe macht blind, alter Freund. Aber mir kommt es vor, als ob eher diejenigen, die Liebe nie gekannt haben, die Blinden sind.»

Allday lächelte und hängte den Degen wieder an die Wand.

Wenn es Krieg und die Drohung eines blutigen Gefechts brauchte, damit Bolithos Augen wieder leuchteten, dann sollten sie eben kommen.

Er begann träumerisch:»Ich kannte einmal ein junges Ding.»

Bolitho lächelte und dachte an die Überlegungen, mit denen er seine Befehle ausgefertigt hatte. Vereint handeln.

Das klang wie eine Grabinschrift.

XVI Kriegsartikel

Dichter Nebel hüllte die Fregatte La Mouette ein. Der Ausguck konnte nur wenige Meter nach allen Richtungen sehen, und von Deck aus blieben die Maststengen und die schlaffen Toppsegel unsichtbar. Es wehte zwar eine träge Brise, aber der Nebel hielt mit dem Schiff Schritt und täuschte Stillstand vor.

Gelegentlich hallte die körperlose Stimme des Lotgasten nach achtem. Das Wasser war tief genug, doch wenn der Nebel sich plötzlich hob, konnte das Schiff näher zur Küste getrieben sein.

An der Querreling des Achterdecks starrte der Erste Leutnant John Wright in das triefende Panorama, bis seine Augen schmerzten. Nebel war ihm unheimlich. Der Klüverbaum ertastete sich seinen Weg wie der Krückstock eines Blinden. Es gab nichts jenseits der bleichen Galionsfigur, einer wilden Möwe mit weit aufgerissenem Schnabel.

Um den Leutnant standen wie Statuen die anderen Wachhabenden: der Rudergänger, dicht neben ihm der Segelmeister, dann der Fähnrich der Wache und ein Bootsmannsmaat. Ihre Gesichter glänzten vor Feuchtigkeit.

Niemand sprach. Das war nichts Neues, sagte sich Wright. Er sehnte sich nach einem eigenen Kommando, und der Posten eines Ersten Leutnants war ein guter Schritt dazu. Aber mit einem Kommandanten wie Bruce Sinclair hatte er nicht gerechnet. Sinclair war jung, vielleicht siebenundzwanzig, schätzte Wright. Ein Mann mit hohen Backenknochen, der sich sehr aufrecht hielt und immer schnell bei der Hand war, Nachlässigkeit und Unwissenheit zu ahnden.

Bei einer Besichtigung hatte ein Admiral den Kommandanten ob seines schmucken Schiffes gelobt. Niemand ging je gemessenen Schritts über Deck, Befehle wurden stets im Laufschritt ausgeführt, und jeder Fähnrich oder Unteroffizier, der es unterließ, einen langsamen Mann zu melden, sah selbst einer Strafe entgegen.

Sie waren in mehrere Einzelgefechte mit Freibeutern und Blockadebrechern verwickelt gewesen. Dabei hatte sich Sinclairs unnachgiebige Disziplin, so sah es jedenfalls aus, günstig ausgewirkt.

Der Segelmeister gesellte sich zu Wright und sagte gedämpft:»Dieser Nebel darf nicht mehr lange dauern. «Er schien besorgt.»Wir könnten schon Meilen vom Kurs abgekommen sein.»

Sie blickten beide zum Geschützdeck hinab, als ein leises Ächzen die Männer der Wache aufschreckte.

Wie alle anderen Schiffe des Geschwaders litt auch La Mouette unter einem Mangel an Frischwasser. Kapitän Sinclair hatte befohlen, es für die Mannschaft drastisch zu rationieren, und vor zwei Tagen die Rationen nochmals verkleinert. Wright hatte vorgeschlagen, eine Insel anzulaufen, vorausgesetzt es zeige sich kein Feind, und dort den Wasservorrat zu ergänzen. Doch Sinclair hatte ihn kalt angesehen.»Mir wurde befohlen, Informationen über die Franzosen zu sammeln, Mr. Wright. Ich habe keine Zeit, die Leute zu verwöhnen, nur weil ihnen die Rationen nicht zusagen.»

Wright betrachtete den ächzenden Mann am BackbordSeitendeck. Er war völlig nackt, seine Beine waren durch Fußeisen gespreizt, seine Arme nach hinten um ein Geschützrohr geschlungen, so daß er wie gekreuzigt aussah.

Hin und wieder rollte sein Kopf von einer Seite zur anderen, er stöhnte leise, aber seine Zunge war zu geschwollen in dem Mund voller Blasen, als daß seine Bitten verständlich gewesen wären.

Seemann McNamara hatte nachts eine Gallone Frischwasser gestohlen, als der am Wasserfaß auf Posten stehende Seesoldat vom Offizier der Wache abgerufen wurde. Auf Kriegsschiffen verachtete man einen Dieb. Die vom Zwischendeck ausgeübte

Selbstjustiz gegen einen solchen Missetäter war oft weit schärfer als die der Vorgesetzten.

Deshalb hatte jedermann eine ernstliche Bestrafung erwartet, zumal McNamara als chronischer Drückeberger galt. Aber Sinclairs Reaktion hatte auch die härtesten Seeleute entsetzt. Fünf Tage hatte McNamara nun schon auf dem Seitendeck in Eisen zugebracht, in der gleißenden Sonne wie in der Kühle der Nacht. Er war in seinem eigenen Unrat mit Salzwasser begossen worden, weniger um seine Qual zu lindern, als um das Deck zu säubern.

Sinclair hatte die Mannschaft antreten lassen, die betreffenden Passagen der Kriegsartikel vorgelesen und schließlich McNamara ein Dutzend Hiebe versprochen, wenn die erste Strafe abgeleistet war. Wright fror. Es schien ihm unwahrscheinlich, daß McNamara bis dahin noch leben würde.

Der Meister zischte:»Kommandant kommt, Mr. Wright. «So war es nun mal an Bord: Geflüster, Furcht und schwelender Haß auf den Mann, der ihnen täglich das Leben zur Hölle machte.

Sinclair, adrett gekleidet, die Hand auf dem Degengriff, schritt erst zum Kompaß, danach zur Reling achtern, um die Segelstellung zu prüfen.

«Nordwest zu West, Sir!»

Sinclair wartete, bis Wright seine Meldung gemacht hatte, und sagte dann:»Lassen Sie sich Ihren Hut holen, Mr. Wright. «Er lächelte dünn.»Wir sind nicht auf einem Bombayfrachter, sondern auf einem Schiff des Königs.»

Wright errötete.»Tut mir leid, Sir, die Hitze.»

«Richtig!«Sinclair sah einen Jungen nach dem Hut rennen und bemerkte:»Verflucht, wieviel Zeit muß ich in diesem Nebel noch vergeuden?»

Der Elendsmann auf dem Seitendeck stöhnte wieder. Es hörte sich an, als ersticke er an seiner eigenen Zunge.

Sinclair blaffte:»Haltet den Mann ruhig! Ich lasse ihn auf der Stelle auspeitschen, wenn ich noch einen Pieps von ihm höre!»

Wright fuhr sich mit der Hand über die trockenen Lippen.»Es sind jetzt fünf Tage, Sir.»

«Auch ich habe einen Kalender, Mr. Wright. «Sinclair ging zur anderen Seite und spähte ins Wasser.»Die anderen werden es sich nun zweimal überlegen, ehe sie seinem Beispiel folgen. «Unvermittelt fügte er hinzu:»Mein Befehl lautet, zum Geschwader zu stoßen. Das Treffen ist schon überfällig, dank dieses verfluchten Wetters. Konteradmiral Herrick wird mich zweifellos inzwischen suchen lassen.»

Er zuckte die Achseln, der sterbende Seemann war vergessen. Der bloße Anblick seiner Leiden machte Wright schon krank. In einem Punkt irrte Sinclair: Der Groll der Mannschaft dem Dieb gegenüber war längst in Mitgefühl umgeschlagen. Darüber hinaus hatte Sinclair den Delinquenten jeder menschlichen Würde beraubt. Er ließ ihn wie ein angekettetes Tier in seinen eigenen Exkrementen liegen, erniedrigte ihn vor seinen Messekameraden.

Der Kommandant wanderte ruhelos an der Reling auf und ab.»Ich bin mir gar nicht so sicher, daß unser tapferer Admiral weiß, was eigentlich los ist. Übervorsichtig, wenn Sie mich fragen.»

«Sir Richard wird seine Gründe haben, Sir.»

«Wer weiß?«Sinclair schien in Gedanken woanders.»Ich höre, er will die beiden Geschwader vereinigen, und dann. «Er schaute stirnrunzelnd hoch, als ihn eine Stimme unterbrach:»Der Nebel hebt sich, Sir!»

Sinclair wandte sich an den Ersten Leutnant.»Wenn der Wind zunimmt, will ich jeden Fetzen Leinwand oben haben. Darum lassen Sie alle Mann rufen, diese Müßiggänger brauchen Arbeit, um in Form zu bleiben!»

Ohne seine Ungeduld zu zügeln, schritt Sinclair übers Seitendeck, verhielt mittschiffs und schaute zu dem nackten Mann hinüber. McNamaras Kopf hing herunter, als sei er tot.

Sinclair rief:»Weckt diesen Abschaum auf! Los, nimm deinen Stock, Mann!»

Der angerufene Bootsmannsgehilfe starrte ihn stumm an, schockiert über die Brutalität des Kommandanten. Sinclair stemmte die Hände in die Hüften und musterte ihn mit

Verachtung.»Los jetzt, oder du mußt den Platz mit ihm tauschen!»

Wright war im stillen dankbar, als die Leute an die Brassen und Fallen eilten. Das Trampeln bloßer Füße übertönte das Klatschen des Rohrstocks auf McNamaras Schultern.

Der Zweite Leutnant kam achteraus gelaufen und winkte dem Meister.»Rasch ins Kartenhaus! Wir wollen unseren Standort bestimmen, sobald wir Land sichten.»

Wright schürzte die Lippen, als der Meistersgehilfe das Schiff klar zum Segelsetzen meldete. Gott helfe uns allen, wenn kein Land zu sehen ist, dachte er verzweifelt. Durch den Dunst fiel jetzt schwacher Sonnenschein auf Marsrahen und das milchige Wasser. Der Mann am Lot sang wieder aus:»Kein Grund, Sir!»

Wright preßte die Finger so hart zusammen, daß sie sich verkrampften. Der Kommandant stand am vorderen Ende der Laufplanke, seine Haltung verriet Sorglosigkeit.

«An Deck! Segel in Luv!»

Sinclair kam nach achtern, sein Mund war eine dünne Linie. Natürlich, der Ausguck oben würde das andere Schiff jetzt sehen können, wenn auch nur dessen Bramrahen über dem ziehenden Dunst. Der Mann brüllte wieder:»Englisches Kriegsschiff, Sir!»

Sinclair starrte in die weißen Wirbel.»Wer ist der Narr dort oben?»

«Tully, Sir, ein zuverlässiger Matrose.«»Das hoffe ich in seinem Interesse.»

Sonnenlicht enthüllte nun die zwei Batterien, die schmucken, sauberen Linien, die in ihrer Halterung völlig gleichhohen Enterspieße am Großmast, aufgestellt wie Soldaten zur Parade. Kein Wunder, daß es den Admiral beeindruckt hatte, dachte

Wright.

Sinclair schärfte ihm ein:»Stellen Sie sicher, daß unsere Erkennungsnummer klar zum Aufheißen ist. Kein hochnäsiger Vollkapitän soll an meinen Signalen etwas auszusetzen haben.»

Aber der Fähnrich, ein ängstlicher Junge, stand schon mit seinen Leuten bereit. Man blieb nicht mehr als einmal hinter den Erwartungen des Kommandanten zurück.

Das Vormarssegel begann sich zu blähen, der Segelmeister rief erleichtert:»Endlich Wind!»

«An die Brassen!«Sinclair deutete zur Reling.»Dort, den Namen des Mannes, Mr. Cox! Meine Güte, ihr bewegt euch heute wie die Krüppel!»

Der Schiffsrumpf neigte sich, Gischt spritzte über den Möwenkopf. Der Dunst flutete durch Wanten und Stagen und ließ an beiden Seiten blankes Wasser zurück. Der nackte Seemann riß den Kopf hoch und starrte wie blind zu den Segeln auf. Das Eisen hatte seine Hand- und Fußgelenke wundgescheuert.

«Klar auf dem Achterdeck, haltet das Erkennungssignal bereit!«wütete Sinclair.»Ich möchte nicht irrtümlich für einen Franzosen gehalten werden!»

Wright mußte zugeben, daß es eine kluge Vorsichtsmaßnahme war. Ein auf dieser Station neues Schiff konnte die ehemals französische La Mouette leicht für einen Gegner halten. Der Ausguck rief:»Es ist eine Fregatte, Sir! Läuft vor dem Wind!»

Sinclair brummte:»Auf gleichem Bug, in gleicher Richtung. «Er spähte angestrengt nach dem Windsack im Topp, doch der war noch durch letzte Schwaden verhüllt. Dann, als höbe sich ein Vorhang, lag die See klar und glänzend vor ihnen. Es sah aus, als wüchse das andere Schiff aus dem Wasser empor. Es war eine große Fregatte. Sinclair überzeugte sich, daß seine eigene Flagge an der Gaffel klar zu erkennen war.

«Sie hissen ein Signal, Sir!»

Sinclair sagte mit einem letzten Blick auf die Flagge der La Mouette: »Sehen Sie, Mr. Wright, wenn man die Leute trainiert, daß sie antworten wie vorgeschrieben.»

Seine Worte gingen unter, als jemand alles überschrie:»Um Gottes willen, sie fahren die Geschütze aus!»

An der Bordwand der Fregatte hatten sich auf einen Schlag alle Stückpforten geöffnet. Im strahlenden Sonnenschein steckten die

Rohre der Backbordbatterie ihre Nasen ins Freie. Wright rannte zur Reling und schrie:»Deckung!»

Dann explodierte ihre Welt in einem Getöse aus Flammen und wirbelnden Splittern. Getroffene Menschen und abgetrennte Gliedmaßen malten rote Lachen auf das Deck. Wright lag auf den Knien und erkannte unter all den schreienden Stimmen seine eigene. Sein betäubter Verstand erfaßte nur für Sekunden das entsetzliche Bild: den nackten Mann, der noch immer ans Geschütz gefesselt war, aber nicht mehr klagte, weil er keinen Kopf mehr hatte. Den über die Seite kippenden Vormast, den wie ein Hund winselnden Signalfähnrich.

Das Bild erstarrte und verblaßte. Wright war tot.

Commander Alfred Dunstan saß in der engen Kajüte der Phaedra am Tisch und studierte die Karte.

Ihm gegenüber wartete der Erste Leutnant Joshua Meheux, mit halbem Ohr beim Ächzen und Klappern der Takelage, auf einen Entschluß des Kommandanten. Durch die offenen Heckfenster konnte er sehen, wie der weiße Nebel der Korvette folgte. Er hörte, daß der Zweite erneut den Ausguckposten im Mast ablösen ließ. Bei schlechter Sicht, Dunst oder Nebel erlag selbst der beste Ausguck nach einer Weile optischen Täuschungen und sah nur das, was er zu sehen erwartete. Ein dunkler Fleck im Nebel verwandelte sich dann für ihn in eine Küstenlinie oder in das Marssegel eines anderen Schiffes auf Kollisionskurs. Er beobachtete seinen Vetter. Unglaublich, wie gut es Dunstan verstand, seiner Besatzung zu erklären, worauf es ankam.

Er sah sich in der kleinen Kajüte um, in der sie so viele Diskussionen gehalten, Pläne gemacht, Gefechte und Geburtstage gefeiert hatten. Dann erblickte er die großen Körbe mit Orangen und Limonen, die einen Teil des Raumes füllten. Phaedra war auf einen Genueser Frachter gestoßen, kurz bevor der Seedunst sie eingehüllt hatte.

Sie waren knapp an Wasser, bedrohlich knapp sogar, aber die Menge frischer Früchte, die Dunstan» organisiert «hatte, glich den

Mangel im Augenblick aus. Dunstan schaute von der Karte hoch und lächelte.»Es riecht hier wie in Bridport an einem Markttag, nicht wahr?»

Sein Hemd war fleckig, aber besser so, als daß die Mannschaft glaubte, den Offizieren würde das Wasser nicht rationiert und sie könnten ihre Kleidung waschen.

Dunstan tippte mit dem Zirkel auf die Karte.»Noch einen Tag, dann müssen wir umkehren. Wir werden dringend beim Geschwader gebraucht. Wahrscheinlich steht Kapitän Sinclair ganz woanders. Wenn es nicht dunstig wäre, hätten wir sein Schiff schon gestern sichten müssen.»

Meheux fragte:»Kennst du ihn?»

Dunstan beugte sich tiefer über seine Berechnungen.»Nein, ich habe nur von ihm gehört.»

Der Leutnant lächelte. Dunstan war Kommandant, er wollte über einen anderen Kommandanten nichts weiter sagen. Nicht einmal seinem Vetter.

Dunstan lehnte sich zurück und fuhr sich durch das widerspenstige, rotblonde Haar.»Meine Güte, das juckt wie bei einer krätzigen Hure. «Dabei grinste er.»Ich glaube, Sir Richard will sich der Flotte Nelsons anschließen. Aber er wird alle Schuld auf sich nehmen müssen, wenn ihm die Franzosen zuvorkommen und im Hafen verschwinden.»

Mit einem Griff holte er eine Karaffe Rotwein unter dem Tisch hervor.»Auf jeden Fall besser als Wasser. «Er goß zwei große Gläser ein.»Ich wette, daß unser Vizeadmiral bald in der Tinte sitzt. Aber ein Mann, der freiwillig den Zorn der Admiralität und ihres stutzerhaften Generalinspekteurs auf sich zieht, ist wohl aus hartem Holz geschnitzt.»

«Wie war er als Kommandant?»

«Tapfer, höflich, ohne Dünkel.»

«Du mochtest ihn?»

Dunstan trank einen Schluck, die beiläufige Frage durchbrach seine Zurückhaltung.»Ich liebte den Boden, auf dem er ging. Alle in der Messe taten das. Ich würde ihm jeden Tag beistehen, ohne lange zu fragen.»

Es klopfte, ein Fähnrich in noch schmutzigerem Hemd spähte durch die Tür.»Empfehlung des Zweiten Leutnants, Sir, und er denkt, daß es bald aufklaren wird.»

Sie schauten hoch, als das Deck leise erzitterte und der Rumpf schwach murmelnd gegen den Anstoß protestierte.

«Bei Gott, es kommt Wind auf!«Dunstans Augen leuchteten.»Ein Kompliment an den Zweiten Leutnant, Mr. Valliant, und ich komme gleic h hinauf. «Er hob die Karaffe und zog eine Grimasse, denn sie war fast leer.»Dieses Schiff ist trockener als üblich, fürchte ich. «Dann wurde er wieder ernst und sachlich.»Nun hör' zu, was ich vorhabe. Also. «Er kam nicht weiter.

Meheux starrte die Karaffe an, deren Stöpsel sekundenlang rasselte. Ihre Blicke trafen sich. Meheux sagte:»Was war'n das — Donner?»

Dunstan griff schon nach seinem schäbigen Hut.»Nein, diesmal nicht. Dies war Kanonendonner, mein Lieber!»

Er schlüpfte mit den Armen in seinen Rock und kletterte die Leiter im Niedergang hoch an Deck.

Oben standen seine Leute und gafften in die Dunstschwaden. Solch ein kleines Schiff und so viele Männer, dachte er flüchtig. Er versteifte sich, als wieder ein Dröhnen durch die Luft rollte, und fühlte den Nachhall gegen die hölzerne Bordwand prallen. Die Gesichter wandten sich ihm zu. Sofort erinnerte er sich an Bolitho, wie sie ihn alle angestarrt hatten, Hilfe und Verständnis erwartend; denn er war ihr Kommandant.

Dunstan steckte eine Hand in seinen alten Wachmantel mit den geteerten Knöpfen. Jetzt bin ich es, jetzt sieht man mich an, dachte er.

Meheux sprach zuerst.»Sollen wir abwarten, bis wir mehr wissen?»

Er antwortete nicht direkt.»Alle Mann an Deck, und sie sollen sich achtern aufhalten. «Pfeifentrillern holte sie herbei. Als sie sich auf beide Seiten verteilt hatten, wobei sich einige an die Besanwanten und an den umgedrehten Kutter klammerten, berührte Meheux grüßend seinen Hut. In seinen Blicken stand Neugier.»Unterdeck ist geräumt, Sir.»

Dunstan sagte:»Gleich lassen wir klar zum Gefecht machen. Aber ohne Getue! Keinen Lärm, kein Getrommel — diesmal nicht. Ihr geht auf eure Stationen, wie ihr das gelernt habt.»

Er schaute die Umstehenden an junge Männer die Offiziere, ergraute Ältere der Bootsmann und der Zimmermann. Gesichter, die er sich derart eingeprägt hatte, daß er selbst in pechschwarzer Nacht jeden bei Namen kannte. Früher hätte er über diese Tatsache gelächelt. Denn seinem Idol Nelson wurde die gleiche Personenkenntnis nachgesagt, auch jetzt noch, nachdem er den Rang eines Flaggoffiziers erreicht hatte.

Doch jetzt lächelte er nicht.

«Hört!»

Donner grollte durch den Dunst. Ein geübtes Ohr konnte die Ursachen unterscheiden: das Feuer kämpfender Schiffe, das Tosen wütender Brandung auf einem Riff, Gewitterdonner über den Hügeln eines nahen Landes.

«Wir bleiben auf diesem Bug«, sagte Dunstan.»Eines der Schiffe da vorn muß ein Landsmann sein. Wir müssen Sir Richard Bolitho und seinem Geschwader darüber berichten.»

Eine einzelne Stimme rief hurra, und Dunstan dankte mit breitem Grinsen.»Darum haltet euch bereit, Jungs, und Gott sei mit euch allen.»

Er trat beiseite, als sie sich zerstreuten und auf ihre Stationen begaben, während der Bootsmann mit seiner Gruppe die Kettenschlingen ausbrachte und Netze für die Rahen, um den Geschützbedienungen einigen Schutz zu gewähren, falls das Schlimmste eintreten sollte.

Dunstan sagte leise:»Ich glaube, wir haben die Mouette gefunden. «Das weitere behielt er für sich; daß er nämlich hoffte, Sinclair wäre ebenso schnell im Kampf wie mit der Peitsche. Der Lärm beim Niederlegen der Zwischenwände, beim Verlagern von

Vorräten und persönlichem Eigentum in den tieferen Rumpf halfen, den gelegentlichen Donner in der Ferne zu dämpfen.

Leutnant Meheux berührte grüßend seinen Hut.»Schiff ist klar zum Gefecht, Sir.»

Dunstan nickte und dachte wieder an Bolitho.»Zehn Minuten diesmal, sie halten sich ziemlich ran.»

Aber seine gute Laune verflog, und er lächelte nur noch knapp.»Gut gemacht, Josh.»

Die Segel blähten sich hörbar wie Riesen, die aus voller Brust atmeten. Das Deck legte sich schräg, aber Dunstan ordnete an:»Bringt sie noch einen Strich höher an den Wind, steuert Nordnordwest!»

Meheux schnallte sein Koppel um.»Die Leute fühlen, was in der Luft liegt.»

Er sah die geduckten Geschützbedienungen, die Schiffsjungen mit ihren Eimern voll Sand, die anderen an den Brassen oder in die Webleinen greifend, bereit nach oben zu spurten, wenn zum Setzen weiterer Segel gepfiffen wurde.

Dunstan entschloß sich.»Laden, wenn's beliebt, ich…»

Plötzlich erhob sich ein großes Geschrei vieler Stimmen, als der Dunst in einer gewaltigen Detonation emporwirbelte.

Jeder Stückführer hob die Faust.»Alle geladen, Sir!»

Als der Dunst an Dichte verlor, richteten sich aller Augen nach vorn. Ein Feuerball detonierte dort, der Knall rollte auf sie zu und versiegte schließlich im Flattern der Segel und im Strömen des Wassers an der Bordwand.

«Schiff an Steuerbord, Sir!»

Dunstan griff zum Glas.»Enter auf, Josh. Ich brauche deine scharfen Augen dort oben.»

Als der Erste Leutnant die Wanten des Großmastes erkletterte, kam von der Back ein Warnruf:»Wrackteile voraus!»

Der Meistergehilfe der Wache warf sein ganzes Gewicht ins Rad, um mit den beiden Rudergängern das Steuer herumzureißen. Dunstan fiel ihnen in den Arm.»Halt, laßt laufen!»

Er begab sich zur Bordwand und sah etwas wie einen riesigen

Stoßzahn drohend vor dem Bug auftauchen. Es war immer das Beste, so etwas von vorne zu nehmen, dachte er entschlossen. Phaedra hatte nicht die dicke Außenhaut eines Linienschiffes, nicht einmal die einer Fregatte. Die hohe, schwankende Spiere konnte den Rumpf wie eine Ramme durchstoßen.

Ein gebrochener Mast trieb seitlich vorbei, zerrissene Wanten und geschwärzte Leinwand wie faules Unkraut hinter sich herziehend. Leichen ebenfalls, in der Takelage verfangene Männer, deren Gesichter durch das klare Wasser emporstarrten, umgeben von rosa Blut.

Ein Bootsmannsgehilfe unterdrückte ein Schluchzen, als er auf einen der wie Korken dümpelnden Toten hinunterschaute. Der trug die gleiche blaue Jacke mit den weißen Biesen wie er selbst. Es bestand kein Zweifel mehr, wer in dem Kampf der Unterlegene gewesen war.

Als der Wind übers Wasser strich, bekamen die kleinen Wellen hier und da Schaumköpfe. Dunstan sah die Nebelschwaden abziehen, die See wurde wieder blank. Er verhielt, als weitere Rufe von vorne kamen. Sie galten einem langen dunklen Etwas, das kaum aus dem Wasser ragte, mit viel Seegras daran. Umgeben war es von großen Blasen, von Treibgut und verkohlten Überbleibseln. Es war ein Schiffskiel, das Rückgrat eines Fahrzeugs, das längst zur erforderlichen Überholung hätte entlassen werden sollen.

Dunstan sagte:»Noch einen Strich höher an den Wind.»

Oben klammerte sich Leutnant Meheux neben dem Ausguck an die Saling und schaute in die Ferne. Er entdeckte die Bramstenge und die Rahen eines anderen Schiffes und aus dem Dunst hervortretende Segel, dazu einen Vorsteven und seine vergoldete Galionsfigur. In Sekundenschnelle rutschte er an einem Backstag hinunter und erreichte Dunstan.

Der hörte aufmerksam zu.»Wir beide kennen das Schiff, Josh. Es ist unsere frühere Consort, jetzt ein Spanier.»

Er hob das Teleskop und betrachtete den Gegner eingehend, als mehr Segel zum Vorschein kamen und der glänzende Rumpf sich beim Wenden zu verkürzen schien. Weil er auf die Phaedra zukam.

Der Fähnrich winkte lebhaft mit den Armen.»Sir, dort treiben Menschen im Wasser, unsere eigenen Leute!«Er weinte fast.

Dunstan schwenkte das Glas, bis er die geschundenen Gestalten im Blickfeld hatte. Einige klammerten sich an Wrackstücke, andere versuchten, Kameraden über Wasser zu halten. Um besser sehen zu können, stieg er in die Wanten und hielt sich am geteerten Tauwerk fest. Der Ausguck im Mast schrie:»Schiffe in Nordost!»

Dunstan hatte sie bereits erblickt. Der Horizont trat jetzt so klar und scharf hervor wie die Klinge eines Degens. Jemand brüllte:»Das wird das feindliche Geschwader sein, Jungs! Auf sie!»

Andere stießen Hochrufe aus, die plötzlich abbrachen, als sie die Überlebenden der Mouette sichteten. Männer wie sie selbst. Die gleichen Uniformen, dieselbe Sprache.

Dunstan beobachtete die Schiffe am Horizont, bis sein Auge schmerzte. Er erkannte in der starken Linse das rotgelbe Geländer ihrer Marsen, das dem Ausguck noch entging. Er senkte das Glas und schaute voll Trauer den Fähnrich an.

«Wir müssen die armen Teufel da unten sich selbst überlassen, Mr. Valliant. «Das entsetzte Gesicht des Jungen ignorierte er.»Josh, wir müssen in aller Eile wenden und Sir Richard finden.»

Meheux wartete, von der Grausamkeit des Geschehens noch verstört. Der Kommandant zeigte zum Horizont.»Die Spanier kommen, ein ganzes verfluchtes Geschwader!»

Ein Schuß hallte über die See, die Luft zitterte. Die fremde Fregatte hatte mit einem ihrer Buggeschütze die Reichweite getestet. Der nächste Schuß.

Dunstan rief durch die gewölbten Hände:»Leute, an die Brassen, klar zum Wenden!»

Er biß sich auf die Lippen, als eine weitere Kugel neben ihnen einschlug und einen Wasserschwall bis zur Marsrah aufwarf. Seine Männer folgten den Befehlen, die Rahen schwangen herum, der Wind kam jetzt von der anderen Seite, und die Leereling der sich neigenden Phaedra tauchte ins Wasser.

Ein weiterer Schuß verfolgte sie, als die Fregatte mehr Segel setzte. Ihre Rahen waren voller Menschen.

Meheux winkte seinen Toppgasten mit dem Sprachtrichter. Atemlos schrie er:»Macht schnell, ehe sie uns zu fassen kriegen! Wir müssen die Unsern warnen…»

Dunstan verschränkte die Arme und erwartete den nächsten Schuß. Jeder dieser Neunpfünder konnte sein leichtes Schiffchen zerschlagen, bis es unter einer vollen Breitseite so kentern würde wie das Sinclairs.

«Hier steht mehr als ein Geschwader auf dem Spiel, Josh.»

Eine Kanonenkugel krachte durch die Achterreling und fegte längs Deck wie ein glühender Meteor. Zwei Männer wurden getötet, ehe sie den Mund zum Todesschrei aufreißen konnten. Aber Dunstan sah, daß zwei andere an ihre Stelle traten.

«Lauf, meine Schöne, lauf!«Er blickte zu den prallen Segeln empor, zu den Masten, die sich wie Peitschenstiele bogen.

«Nur dieses eine Mal, lauf! Heute bist du das wichtigste Schiff in der ganzen Flotte!»

XVII Klar zum Gefecht!

Kapitän Valentine Keen ging über das schräge Deck und stemmte seine Schultern gegen den Wind. Wie schnell das Mittelmeer in dieser Jahreszeit doch sein Gesicht ändern konnte! Der Himmel war hinter tiefhängenden Wolken verborgen und die See grau.

Er blickte zum trüben Horizont. Alles sah feindselig und kalt aus. In der Nacht hatte es stark geregnet. Jeder erreichbare Mann war an Deck geschickt worden, um mit Segeltuchpützen und einfachen Eimern Frischwasser aufzufangen. Ein Glas davon, mit einem Schluck Rum heruntergespült, belebte die Geister.

Das Deck neigte sich wieder, Hyperion lag so hart am Wind, wie es sich machen ließ. Ihre gerefften Segel glitzerten vor Feuchtigkeit, während sie ihre Position hielt.

Wie schon Isaak Penhaligon, der Segelmeister, erläutert hatte: Bei dem auf Nordost drehenden Wind war es schwer genug, auf Herricks Schiffe zu warten, auch ohne die zusätzliche Last des Wendens auf jeder Wache. Denn wenn sie zu weit nach Westen trieben, war es fast unmöglich, Toulon anzusteuern, sollte der Feind versuchen, diesen Hafen wieder zu erreichen.

Keen stellte sich die Karte vor. Sie waren bereits am kritischen Punkt angelangt. Bei derart schlechter Sicht konnten sie sich meilenweit vom geschätzten Kurs entfernt haben.

Keen ging zur Querreling und schaute aufs Hauptdeck hinunter. Trotz des Regens steckte es wie gewöhnlich voller Leben. Da war Triggs, der Segelmacher, mit seinen Gehilfen. Auf dem Boden hockend, reparierten sie das Schwerwettertuch, das man ihnen von unten brachte. Triggs war erfahren genug, um zu wissen, daß man im Atlantik auf der Suche nach einem Feind jedes Reservesegel benötigen würde.

Sheargold, der Zahlmeister, überwachte mit argwöhnischem Gesicht eine Anzahl Fässer mit Salzfleisch, die aus einer Luke geholt wurden. Keen beneidete ihn nicht um sein Geschäft. Sheargold hatte für jede Seemeile vorauszuplanen. Jede Verzögerung oder plötzliche Änderung der Segelorder konnte das Schiff in die entgegengesetzte Richtung schicken, ohne daß er Zeit fand, die Vorräte aufzufüllen.

Kaum einer dankte es ihm. Im allgemeinen hielt man in den unteren Decks die Zahlmeister für wohlhabend, wenn sie sich zur Ruhe setzten — nachdem sie ihr Glück durch Kürzen der ohnehin dürftigen Portionen der Mannschaft gemacht hatten.

Major Adams stand vorne und überwachte eine Gruppe Seesoldaten beim Griffeklopfen. Wie grell sich doch ihre Scharlachröcke und weißen Schulterriemen bei dem milchigen Licht abhoben, dachte Keen.

Er hörte den Bootsmann, Sam Lintott, über den neuen Kutter mit einem Gehilfen reden. Letzterer hieß Dacie und hatte das Aussehen eines Banditen. Man hatte Keen erzählt, welche Rolle er beim Handstreich auf das spanische Schatzschiff gespielt hatte.

Er glaubte es ohne weiteres. So wie der aussah, mit seiner Augenbinde und der krummen Schulter, konnte er jeden das Fürchten lehren.

Leutnant Parris näherte sich.»Bitte um Erlaubnis zum Geschützexerzieren heute nachmittag, Sir.»

Keen nickte.»Das wird sie nicht gerade freuen, aber es ist eine gute Idee.»

Parris schaute auf die See hinaus.»Werden wir auf die Franzosen treffen, Sir?»

Keen fixierte ihn. Äußerlich unbefangen und umgänglich mit der Mannschaft, schlug er sich innerlich doch mit etwas herum, was sogar in beiläufigen Gesprächen durchklang. War er hinter einem neuen Kommando her? Keen wußte nicht, weshalb er seines verloren hatte. Er hatte von Havens Haß auf ihn gehört. Aber vielleicht gab es noch einen weiteren übergeordneten Offizier, mit dem er die Klingen gekreuzt hatte.

Er entgegnete:»Sir Richard ist hin und hergerissen zwischen dem Zwang, die Zufahrten nach Toulon zu überwachen, und der Wahrscheinlichkeit eines baldigen Befehls, der uns zur Flotte ruft.»

Bolitho saß derweil in der Kajüte, diktierte Yovell und dessen Gehilfen Briefe und erzählte dem jungen Jenour, was man von ihm erwartete, wenn sie auf den Feind stießen. Keen hatte es schon mit Bolitho diskutiert. Bolitho schien unter Druck zu stehen.»Ich habe keine Zeit, alle meine Kommandanten zusammenzurufen«, sagte er.»Vielmehr muß ich darauf bauen, daß sie mich gut genug kennen, um auf meine Befehle richtig zu reagieren. «Keine Zeit? Das war seltsam. Bolitho schien anzunehmen, daß eine Schlacht unvermeidlich war.

Parris sagte:»Ich überlege, ob wir dann Viscount Somervell wiedersehen werden.»

Keen merkte auf.»Was geht es Sie an?«Er milderte seinen Ton.»Ich würde sagen, er hält sich besser von uns fern.»

Parris stimmte zu.»Ja. Tut mir leid, daß ich ihn erwähnt habe,

Sir. «Er las den Zweifel in Keens Augen.»Das hatte nichts mit Sir Richard zu tun. «Keen schaute beiseite.»Hoffentlich.»

Er ärgerte sich über Parris' Interesse, mehr noch über sein eigenes sofortiges Abschirmen Bolithos. Er ging zur Windseite, ließ sich vom Fähnrich der Wache ein Fernrohr geben und richtete es auf die ihnen folgenden Schiffe. Die drei Vierundsiebziger bekamen es fertig, den richtigen Abstand zu halten. Der vierte, Merryes Capricious, verschwand fast in Gischt und Schaum. Er lag etwas zurück, weil man daran arbeitete, die Großbramstenge zu ersetzen, die eine plötzliche Bö weggerissen hatte, bevor man die Segel reffen konnte.

Keen lächelte. Die Verantwortung eines Kommandanten hörte nie auf. Der Mann, den die anderen für einen Halbgott hielten, würde nichtsdestoweniger in seiner Kajüte umhergehen und sich um alles und jedes sorgen.

Ein Ausguck rief:»An Deck! Tybalt signalisiert!»

Keen sah den Fähnrich an.»Hoch mit Ihnen, Mr. Furnival, Tybalt wird Neuigkeiten für uns haben.»

Später ging Keen in die Kajüte hinunter und meldete sich bei Bolitho. »Tybalt sichtet den Rest des Geschwaders im Osten, Sir Richard.»

Der Admiral schaute von seinen Papieren hoch. Er sah müde aus.»Immerhin etwas, Val. «Er deutete auf einen Stuhl.»Ich würde Sie ja bitten, sich zu uns zu setzen, aber ich weiß, Sie werden an Deck gebraucht, bis die Schiffe näherkommen.»

Als Keen ging, meinte Sir Piers Blachford:»Ein guter Mann, er gefällt mir. «Er lag halb in einem von Bolithos Sesseln, ein ruhender Held.

Yovell packte seine Briefe zusammen und die Notizen, die er den verschiedenen Kopien beifügen wollte. Ozzard trat ein, um die leeren Kaffeetassen abzuräumen, indes Allday den prächtigen Paradedegen polierte. Er war ein Geschenk der Einwohner von Falmouth für Bolithos Leistungen im Mittelmeer und bei den Vorgängen, die zur Schlacht von Abokir geführt hatten.

Bolitho blickte auf.»Vielen Dank, Ozzard.»

Blachford hieb mit der Faust auf die Armlehne.»Natürlich, jetzt weiß ich's! Ozzard ist doch ein ungewöhnlicher Name, nicht wahr?»

Allday hatte mit dem Polieren aufgehört.

Blachford nickte gedankenversunken.»Ihr Sekretär und all die Briefe, die er zu kopieren hatte, brachten mich wieder darauf. Meine Leute bedienten sich einmal der Dienste eines gleichnamigen Schreibers unten bei den Londoner Docks — sonderbar, diese Namensgleichheit.»

Bolitho blickte auf den Brief nieder, den er zu beenden gedachte, sobald die anderen ihn verlassen hatten. Er wollte seine Empfindungen Catherine mitteilen, ihr von der unsicheren Zukunft erzählen, die vor ihm lag. Als ob er mit ihr spräche wie in jenen Augenblicken, als sie beieinander gelegen hatten und sie ihn zum Reden ermutigte.

Er entgegnete zerstreut:»Ich habe ihn nie danach gefragt.»

Aber Blachford ließ nicht locker.»Wie konnte ich das bloß vergessen? Ich war selbst hineinverwickelt. Es war der grausamste Mord, fast gegenüber vom Laden des Schreibers. Na so was, wie konnte ich das vergessen?»

In der Anrichte klirrte zerbrochenes Geschirr, und Bolitho erhob sich halb aus seinem Stuhl. Aber Allday kam ihm zuvor.»Ich sehe mal nach. Er muß gestolpert sein.»

Blachford nahm das Buch wieder auf, in dem er gelesen hatte, und meinte:»Kein Wunder bei dieser Schlingerei.»

Bolitho sah ihn an, entdeckte aber nichts anderes in seinem Gesicht als flüchtiges Interesse. Er hatte jedoch Alldays Miene bemerkt und seine stumme Warnung. Zufällige Namensgleichheit? Bolitho legte sich die Frage vor, ob er mehr wissen wollte. Er erhob sich.

«Ich gehe an Deck spazieren.»

Beim Hinausgehen fühlte er Blachfords Blicke im Rücken.

Erst am nächsten Tag waren Herricks drei Schiffe so nahe, daß man Signale austauschen konnte. Fähnriche bedienten die Flaggleinen, angefeuert von Jenour, dem bewußt war, daß der Mißmut seinen Vizeadmiral überkam.

Bolitho hielt sich am Stag fest und verglich die drei Hinzugekommenen mit seinem eigenen Vierundsiebziger, wie sie unter gekürzten Segeln im Wasser lagen. Als ob sie und nicht ihre Kommandanten Anweisungen erwarteten. Das Wetter hatte sich nicht gebessert, vielmehr über Nacht eine steile Dünung entwickelt. Bolitho bedeckte sein verletztes Auge mit der Hand. Seine Haut war feucht und heiß wie damals in dem Fieber, das Catherine und ihn zusammengebracht hatte.

Keen kam über die schlüpfrigen Planken und stellte sich neben ihn, sein Fernrohr umgekehrt unterm Arm, um die Linsen vor Spritzwasser zu schützen.»Der Wind kommt stetig aus Nordost, Sir Richard.»

«Danke. «Bolitho versuchte, das Quietschen der Pumpen zu überhören. Das alte Schiff arbeitete in allen Verbänden, und sie hatten jede Nachtwache pumpen müssen. Gott sei Dank verstand Keen sein Handwerk und kannte die Grenzen seiner Autorität. Haven hätte die unglücklichen Seeleute längst auspeitschen lassen, dachte er erbittert. Kaum eine Stunde war vergangen, ohne daß man die Leute nach oben gepfiffen hatte, um Segel wegzunehmen oder wieder zu setzen. Das Bedienen der Pumpen, das Festlaschen losegekommener Ausrüstung, all das erforderte sowohl Geduld als auch Disziplin, um die Männer davon abzuhalten, einander an die Gurgel zu gehen. Auch die Offiziere waren nicht frei von Temperamentsausbrüchen. Es kam zum Streit, wenn ein Leutnant seinen Vorgänger nur wenige Minuten verspätet ablöste. Bolitho hatte gehört, wie Keen einen zurechtwies, sich seiner Uniform entsprechend zu benehmen. Es war für alle nicht leicht.

Bolitho sagte:»Wenn es noch rauher wird, können wir nicht mehr Boote aussetzen. «Er musterte die verstreuten Schiffe, die seine Führung erwarteten. Benbow schlingerte beim Wenden, ihre

Segel wogten und knallten, glänzten dann in der gefilterten Helle wie Brustpanzer. Herrick kam, um mit ihm zu reden. Von Angesicht zu Angesicht, typisch für ihn.

Herricks Boot brauchte drei Anläufe, ehe es der Bugmann an den Großrüsten festmachen konnte. Aber in der Kajüte klangen die Geräusche gedämpft, und nur der Horizont, verwischt durch das dicke Glas der Heckfenster, schwankte wie betrunken. Herrick kam gleich zur Sache.

«Ich will wissen, was du vorhast. «Er schüttelte den Kopf, als Ozzard sich mit einem Tablett in der Hand näherte.»Nein, danke.»

«Ich muß so bald wie möglich auf mein Flaggschiff zurück«, fuhr er fort. Und mit einem Blick auf das an den Fenstern herunterrinnende Spritzwasser:»Mir gefällt dies Wetter überhaupt nicht.»

Bolitho erkundigte sich:»Immer noch keine Spur von der Mouette, Thomas? Ich habe die Phaedra hinterhergeschickt, sie zu suchen.»

Herrick schüttelte den Kopf und beugte sich im Sessel vor.»Kapitän Sinclair weiß selbst, worum es geht. Er wird das feindliche Geschwader finden.»

Bolitho entgegnete:»Ich brauche jedes Fahrzeug, das für uns aufklären kann. Das ist keine Kritik.»

Herrick lehnte sich wieder zurück.»Ich glaube, wir sollten in Richtung Toulon segeln. Dann werden wir sehen, was los ist, auf die eine oder andere Art.»

Bolitho legte seine Hände auf den Tisch. Durch das Holz fühlte er, wie das ganze Schiff zitterte und das Ruderblatt gegen den Schaft ruckte.»Sollte der Feind wieder ins Mittelmeer kommen, Thomas, könnten wir ebenso leicht die Verbindung zu ihm verlieren wie Nelson, als er ihm nach Westen davonlief. «Entschlossen sagte er:»Ich habe die Absicht, nach Gibraltar zu gehen. Wenn wir dort keine Informationen vorfinden, laufen wir durch die Straße und schließen uns der Flotte im Atlantik an. Ich sehe keinen anderen Ausweg.»

Herrick beäugte ihn eigensinnig.»Oder wir bleiben hier und warten. Niemand kann uns daraus einen Vorwurf machen. Man wird uns aber sicherlich verurteilen, wenn wir Toulon ignorieren und den Gegner verfehlen.»

«Ich würde mir nur selber Vorwürfe machen, Thomas. Mein Kopf sagt mir das eine, mein Gefühl befiehlt mir das Gegenteil.»

Herrick neigte sein Ohr und lauschte auf die Pumpen.»Steht es so schlecht?»

«Das Schiff hält noch mehr aus.»

«Ich habe Absolute in den Hafen geschickt, weil sie zu verrottet war.»

Bolitho erwiderte:»Ich könnte sie jetzt gebrauchen, verrottet oder nicht.»

Herrick stand auf und ging zu den Heckfenstern.»Ich sollte aufbrechen. Das ist nicht unhöflich gemeint, aber mein Boot wird hart zu kämpfen haben, so wie es draußen aussieht.»

Bolitho schaute ihm voll ins Gesicht.»Hör zu, Thomas. Es ist mir egal, was du über mein Privatleben denkst; denn das ist nicht ausschlaggebend. Aber ich brauche deine volle Unterstützung, weil wir bald kämpfen werden. «Er stützte den Kopf in die Hände.»Ich spüre es.»

Herrick zögerte, als wittere er eine Falle.»Als Zweiter Befehlshaber bin ich jederzeit bereit, wenn man uns zum Kampf ruft. Aber ich glaube noch immer, daß du dich irrst.»

Bolitho sagte verzweifelt:»Du hörst nicht zu, Mann! Ich befehle nicht, ich spreche von Unterstützung. «Er bemerkte Herricks Erstaunen und rief aus:»Um Gottes willen, Thomas, muß ich erst bitten? Ich werde langsam blind, hat sich das noch nicht zu dir herumgesprochen?»

Herrick schnappte nach Luft.»Ich hatte keine Ahnung…»

Bolitho sah fort.»Ich muß dich auch bitten, es für dich zu behalten. «Er fuhr herum, seine Stimme war rauh.»Aber wenn ich falle, mußt du diese Männer führen, mußt du sie dazu kriegen, notfalls ein Wunder zu vollbringen. Hörst du jetzt zu?»

Es klopfte. Bolitho rief:»Ja?»

Keen trat ein und schaute ins Leere.»Signal von der Phaedra, Sir, übermittelt durch Tybalt.»

Herrick fragte schnell:»Was ist mit La Mouettel»

Keen sah nur Bolitho an und erwiderte kurz:»Sie ist versenkt!»

Ihre Blicke trafen sich.»Neuigkeiten über den Feind, Val?»

«Ein spanisches Geschwader ist unterwegs — westwärts, Sir Richard.»

Herrick fragte:»Wie stark?»

Noch immer vermied es Keen, ihn anzusehen.»Phaedra hat noch keine Einzelheiten gemeldet. Sie wurde verfolgt, beschossen und beschädigt. «Er trat einen Schritt vor und ließ die Arme sinken.»Aber soviel wir wissen, sind es Linienschiffe.»

Bolitho fuhr sich durchs Haar.»Wie viele Schiffe hat Nelson?»

Keen sah ihn an und wußte, worauf er hinauswollte.

«Es war von zwei Dutzend Linienschiffen die Rede, Sir Richard. Die Franzosen und ihre spanischen Verbündeten, sagt man, hätten mehr als dreißig. Darunter befinden sich einige der größten und erstklassigsten, die zur Zeit schwimmen.»

Bolitho lauschte dem Ächzen des Windes. Teile und herrsche. Wie gut Villeneuve alles vorbereitet hatte. Dieser gewaltigen Kampfkraft, die Phaedra rein zufällig entdeckt hatte, dieser zahlenmäßigen Übermacht war Nelson unterlegen.

Er stellte fest:»Wenn sie durch die Straße entkommen, kriegen wir sie niemals rechtzeitig zu fassen. «Und mit Blick auf Keen:»Signal an Phaedra: zum Flaggschiff aufschließen. Und wenn das kleine Schiff dicht genug heran ist, im Klartext: gut gemacht.»

Als Keen gegangen war, äußerte Herrick plötzlich entschlossen:»Ich mache mit! Sag mir, was ich tun soll.»

Bolitho starrte durch die fleckigen Fenster.»Möglichst wenig signalisieren, Thomas, wir sprachen schon darüber.»

«Und dein Auge?«Es klang bedrückt.

«O nein, nichts mehr davon, Thomas. Die kleine Phaedra hat meine Blindheit aufgewogen. Aber wenn meine Flagge niedergeholt wird, muß Benbow die Führung übernehmen.»

Herrick nickte.»Einverstanden.»

«Darum sei nicht so streng, mein Freund. Zusammen können wir doch noch gewinnen.»

Er wandte sich wieder ab und schaute reglos aufs Wasser hinaus, bis er die Tür ins Schloß fallen hörte.

Bolitho setzte seine Unterschrift unter das letzte Schreiben und verfiel für mehrere Minuten in Nachdenken.

Der Seegang war so steil wie zuvor, aber der Wind hatte nachgelassen, so daß sich das Schiff mit majestätischer Schwerfälligkeit hob und senkte. Bleiches Licht durchdrang den Dunst und ließ die Salzflecken auf dem Fensterglas wie Rauhreif funkeln. Die Luft war getränkt mit Feuchtigkeit, mit den Ausdünstungen von Hängematten, Kleidung, Menschen.

Er überflog noch einmal den Schluß des Briefes, den Phaedra zur Flotte bringen sollte. Nelson würde als Seemann besser als alle anderen verstehen, was Bolithos Männer und Schiffe versuchen wollten.

Der Brief endete mit dem Satz:»Und ich danke Euch, Mylord, daß Ihr meinen Neffen mit der gleichen Begeisterung erfüllt, die Eure Flotte so inspiriert.»

Er schob ihn Yovell zum Versiegeln hin und wog den anderen zwischen den Fingern. Dabei malte er sich Catherines dunkle Augen aus, wie sie jene Worte las, mit denen er ihr seine Liebe versicherte. Auch eine Menge anderer Briefe gingen mit der Phaedra ab. Was würde Herrick seiner Dulcie erzählen? Ihr gestriges Gespräch hatte bei ihm einen schlechten Nachgeschmack hinterlassen. Früher wäre so etwas unmöglich gewesen. Vielleicht änderten sich die Menschen doch, und er hatte sich geirrt.

Keen mochte seiner Zenoria geschrieben haben. Es war ihm ein großer Trost, daß Catherine bei ihr wohnte. Er stand auf, trotz der lauen Luft fror er plötzlich bis ins Mark. Val durfte nichts zustoßen. Nicht nach allem, was sie miteinander durchgemacht hatten.

Keen erschien und meldete:»Der Kommandant der Phaedra kommt an Bord, Sir Richard.»

Bolitho blickte überrascht zur Tür, als Dunstan hereinplatzte: ein junger Mann voll unerschöpflicher Energie und sicherlich einer der zerrauftesten Kommandanten, die ihm je unter die Augen gekommen waren. Bolitho streckte die Hand aus.»Gut, daß Sie selbst kommen. Man wollte Ihnen schon die Post an einer Leine übergeben.»

Dunstan verbeugte sich und schaute sich um.»Ich dachte, pfeif auf den Seegang und fahre selbst rüber, Sir Richard.»

Bolitho deutete auf den Poststapel.»Ich lege alles in Ihre Hände. Es ist ein Brief für Lord Nelson dabei, den sollten Sie ihm selbst aushändigen. «Er lächelte flüchtig.»Es ist mir offenbar bestimmt, ihm nie persönlich zu begegnen. «Er hob den Blick.»Ich höre, Sie hatten Verluste?»

«Aye, Sir Richard. Zwei Tote und zwei Mann durch Splitter verwundet.»

Einen Augenblick sah Bolitho den Kommandanten hinter der Maske des jungen Draufgängers; die Erfahrungen und Risiken, den Moment der Wahrheit, wenn Tod in der Luft lag.

Dunstan fuhr fort:»Ich bedaure nur, daß ich nicht so lange bleiben konnte, um die Kampfkraft der Spanier genau abzuschätzen. Aber die verdammte Fregatte saß mir im Nacken, und der Dunst verbarg viel. «Er zuckte die Achseln.

Bolitho bedrängte ihn nicht. Keen würde Dunstans Beobachtungen und Kalkulationen neben seine eigenen in die Seekarten eintragen.

Dunstan sagte:»Dabei kam mir in den Sinn, wie seltsam es im Krieg zugeht, Sir Richard. Es war nur ein kleines Gefecht, aber mit eigenartigen Gegnern.»

«Ich weiß. Eine gekaperte britische Fregatte kämpfte unter spanischen Farben gegen eine französische Prise unter englischer Flagge.»

Dunstan sah ihn voll an.»Ich möchte Sie bitten, jemand anderen zu Lord Nelson zu schicken. Mein Platz ist hier bei Ihnen.»

Bolitho nahm ihn am Arm.»Die Flotte muß wissen, was vor sich geht, und erfahren, daß ich die gesichteten Schiffe daran hindern will, sich mit Villeneuve zu vereinigen. Es ist lebenswichtig. Und ich kann keinen anderen erübrigen. «Er schüttelte ihn leicht. »Phaedra hat schon genug für mich und für uns alle getan. Denken Sie daran, und sagen Sie es auch Ihren Leuten.»

Dunstan nickte. Seine Augen suchten Bolithos Gesicht, als wolle er es sich für immer einprägen. Ungestüm streckte er die Hand aus.»Dann gehe ich, Sir Richard. Und Gott sei mit Ihnen!»

Später stand Bolitho noch eine ganze Weile allein in seiner Kajüte, beobachtete die Korvette beim Wenden und sah ihre Stückpforten eintauchen, als der Wind in die Segel griff. Er hörte ferne Hochrufe, ob von der Phaedra oder von anderen Schiffen, war schwer zu sagen.

Er setzte sich hin und massierte sein Auge, dessen Trübung er so haßte.

Allday polterte herein und beäugte ihn kritisch. »Phaedra ist also unterwegs.»

«Aye. «Bolitho wollte an Deck, das Geschwader wartete.

Noch vor der Abenddämmerung mußte es seine Schlachtformation eingenommen haben. Er dachte an seine Kommandanten. Wie würden sie wohl reagieren? Vielleicht zweifelten sie an seinen Fähigkeiten oder erkannten Herricks Widerstand gegen seine Pläne.

Allday fragte:»Kommt es zum Kampf?»

«Kann schon sein, alter Freund. «Bolitho sah ihn an.»Wenn wir ihnen in die Quere kommen, sind sie gezwungen zu kämpfen. Wenn sie uns entwischen, werden wir sie jagen.»

Allday nickte, Ferne im Blick.»Also nichts Neues.»

Bolitho grinste, die Spannung wich von ihm.

«Nein, nichts Neues. Deine Prägnanz, Allday, könnten sie im Parlament gebrauchen.»

Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter wieder geändert. Der Wind hatte gedreht und kam direkt aus Osten. Das ließ jedenfalls auf einen glatten Weg Richtung Toulon hoffen. Das Geschwader schob sich nach Nordwesten, irgendwo an Steuerbord lagen die Balearen.

Der sechste in der Linie, seine eigenen Schiffe führend, war Konteradmiral Herrick. Seit Tagesanbruch war er auf den Füßen, unfähig zu schlafen, aber auch nicht gewillt, seine Zweifel mit Flaggkapitän Gossage zu teilen.

Er stand auf dem breiten Achterdeck der Benbow und blickte nach den Schiffen aus. Unter dem fast klaren Himmel, den nur Schäfchenwolken sprenkelten, boten sie einen schönen Anblick. Sein Gesicht wurde weicher, als er sich seiner Mutter erinnerte, in dem kleinen Haus in Kent, wo sie ihn geboren hatte. Achte immer auf die großen Schafe, Tommy! hatte sie ihm eingeprägt.

Herrick drehte sich nach dem Ersten Leutnant um, der mit einigen Decksoffizieren die Tagesarbeit besprach. Was hätte die liebe alte Dame jetzt von ihrem Tommy gehalten?

Kapitän Gossage überquerte das Deck, seinen Hut in dem flotten Winkel aufgedrückt, den er zu bevorzugen schien. Aber Herrick hatte keine Lust, die Zeit mit müßiger Konversation zu verbringen. Er fühlte sich unsicher, als hätte man ihn plötzlich seiner Autorität beraubt. Er beschattete die Augen und spähte durch die Steuerbordwanten. Die einzige ihm verbliebene Fregatte, Tybalt, stand weit ab vom Geschwader und würde als erste die feindlichen Schiffe sehen. Er biß sich auf die Lippen, bis es schmerzte. Vorausgesetzt, der Feind hatte sie nicht schon überholt.

Gossage bemerkte:»Ich nehme doch an, daß sich der Kommandant der Phaedra nicht geirrt hat, Sir?»

Herrick knurrte:»Jedenfalls hat irgendeiner die Mouette versenkt, und das hat er sich nicht eingebildet!»

Gossage konnte nicht an sich halten.»Hätte man uns auf Malta abgelöst, wären wir jetzt sowieso in Gibraltar. Dann hätte unser Schiff die Ehre gehabt…»

Herrick platzte heraus:»Zum Teufel mit der Ehre! Sir Richard Bolitho gehört nicht zu jenen Männern, die den Ruhm für sich allein beanspruchen.»

Gossage hob die Augenbrauen.»Oh, ich verstehe, Sir.»

Innerlich schäumend vor Wut, drehte Herrick sich um. Nein, du verstehst gar nichts, dachte er. Wie er es auch anstellte, es gelang ihm nicht, die zwanzig Jahre, die er Bolitho nun schon kannte, aus seinem Gedächtnis zu streichen. Alle diese Siege, einige hart verdient, andere überraschend leicht gewonnen. Schlimme Wunden, Landungen und Überfahrten, bei denen sie sich manchmal fragen mußten, ob sie jemals wieder den Fuß auf festen Boden setzen würden. Nun war das alles verdorben, fortgeworfen wegen einer.

Gossage versuchte es wieder.»Meine Frau schrieb mir, daß man von einer Ablösung Sir Richards spricht. «Herrick staunte. Dulcie hatte nichts derartiges erwähnt.»Wann?»

Gossage lächelte. Endlich hatte er die Aufmerksamkeit des Konteradmirals.

«Nächstes Jahr, Sir. Die Navy wird umgestaltet, die Geschwader erhalten andere Stationen zugewiesen. In dem Artikel, den sie gelesen hat.»

Herrick grinste kalt.»Verdammter Unsinn, Mann! Sir Richard und ich haben diese Parolen des Küstenklatsches unser Leben lang gehört. Der Tag, an dem wir.»

Der Ausguck schrie:»An Deck! Signal vom Flaggschiff!»

Ein Dutzend Fernrohre hoben sich zugleich, und der Signalmeister rief:»An alle, Sir! Sichten Tybalt im Norden!»

Gossage zischte den Wachoffizier an:»Warum, in drei Teufels Namen, haben die sie zuerst gesehen?»

Herrick lächelte schwach.»Bestätigen. «Dem Ersten Leutnant rief er zu:»Schicken Sie einen guten Meistersgehilfen nach oben, Mr. O'Shea!»

Der Leutnant sah erst noch seinen Kommandanten an, aber Herrick blaffte dazwischen:»Nun machen Sie schon!»

Die Hände auf dem Rücken verschränkt, ging er davon. Er hatte sich nie an den Rang eines Flaggoffiziers gewöhnt, hatte ihn nicht einmal erwartet, ungeachtet der schmeichelhaften Dinge, die Dulcie ihm ständig sagte. Im Herzen würde er immer ein Kapitän bleiben und es nicht anderen überlassen, seine Pläne auszuführen.

Die ganze Schlachtlinie der acht Schiffe würde nun von Spekulationen schwirren. Herrick dachte an die abwesende Absolute. Da hatte er trotz allem richtig gehandelt. Noch so ein Sturm wie der letzte, und das arme, verrottete Schiff wäre sicherlich untergegangen. Aber daß Bolitho seine Entscheidung nicht gelten ließ, wurmte ihn doch. Er nahm sein eigenes Fernrohr, das neueste und teuerste, das Dulcie hatte finden können, und richtete es auf die nachfolgenden Schiffe. Sie bildeten eine perfekte Formation, die Wimpel an ihren Mastspitzen züngelten wie Schlangen, das Sonnenlicht strich über das Schachbrettmuster ihrer Stückpforten.

Abermals hallte ein Ruf von oben: «Tybalt in Sicht, Sir!»

Herrick kletterte auf die Steuerbord-Poopleiter und stützte sein schönes Fernrohr auf. Er konnte die Bramsegel der Fregatte eben ausmachen. Rosa umrändert und zart wie die Schäfchenwolken, standen sie auf dem messerscharfen, tiefblauen Horizont. Noch immer kein Anzeichen für Regen. Vielleicht würde sich Bolitho endlich doch entschließen und einige Schiffe auf die Suche nach Frischwasser schicken.

Er sah winzige Farbtupfer über die Segelpyramiden der Fregatte steigen: Signale. Herrick blinzelte; seine Sehschärfe war auch nicht mehr so gut wie früher, obwohl er das niemals zugegeben hätte. Er dachte an Bolithos Qual, als er ihm seine Augenverletzung offenbart hatte. Er war aus mehreren Gründen mit sich unzufrieden, nicht zuletzt deshalb, weil er versagt hatte, als Bolitho seine volle Unterstützung brauchte.

Herricks Flaggleutnant, ein ranker junger Mann namens De Broux, rief:»Von Tybalt, Sir!»

Herrick wartete ungeduldig. Der Flaggleutnant hatte ihm nie gefallen, er war zu weich, hatte sogar einen französischen Namen. Ahnungslos sagte De Broux:»Fremdes Segel in Nordost!»

Schon kam die nächste Meldung:»Vom Flaggschiff, Sir! An alle: mehr Segel setzen.»

Herrick sah den Bestätigungswimpel nach oben fliegen.

Gossage rief:»Toppgasten aufentern, Mr. O'Shea! Reffbändsel los!»

Der Konteradmiral hob das Fernrohr und stieg zwei Stufen höher. Dulcie war so stolz gewesen, als sie das teure Teleskop für ihn gekauft hatte, noch dazu von einem der besten Instrumentenmacher in London. Sein Herz sank, als er sich erinnerte, daß sie mit Belinda dorthin gegangen war.

De Broux schrie plötzlich: «Tybalt an Flaggschiff, Sir!«Dann wurde er unsicher und stotterte:»Schätzungsweise zwölf Linienschiffe!»

Herrick stieg wieder aufs Achterdeck hinunter. Er wußte selbst nicht zu sagen, wie ihm zumute war. Lahmte ihn das letzte Signal, oder nahm er es als schicksalhaft und unausweichlich hin?

Gossage starrte ihn offenen Mundes an und wollte gerade sprechen, als De Broux verzweifelt rief:»Signal an alle, Sir! Klar zum Gefecht!»

Herrick reagierte so gelassen auf Gossages Fassungslosigkeit, daß es ihn selbst erstaunte. Kühl fragte er:»Nun, Kapitän Gossage, wie gefallen Ihnen unsere Zukunftsaussichten?»

XVIII In der Stunde der Gefahr

Bolitho streckte die Arme aus und versuchte seine Ungeduld zu zügeln, als Ozzard ihm flink die weiße Weste zuknöpfte. Bei ihrem Wassermangel kam es ihm ungewohnt vor, von Kopf bis Fuß in sauberer Kleidung zu stecken. Über Ozzards Schulter hinweg sah er Kapitän Keen am anderen Ende der Kajüte stehen und die Befehle und Antworten auf dem Oberdeck mithören.

Hyperion war noch nicht gefechtsklar. Bolitho überließ es Herrick und den einzelnen Kommandanten, sich in der ihnen angemessenen Zeit vorzubereiten. Hyperions Besatzung nahm schnell noch eine letzte Mahlzeit ein. Es überstieg Bolithos Verständnis, daß der Durchschnittsseemann vor dem Gefecht überhaupt noch etwas essen konnte.

Keen sagte:»Wenn die Dons sich weiter so nähern, wird keiner von uns die Luvseite halten können. Es sieht so aus, als liefen unsere Kurse zusammen. «Seine Augen waren dunkel vor Konzentration, als er sich die noch fernen Schiffe vorstellte. Ein Tag später, und der Feind wäre unbemerkt an ihnen vorbeigelaufen und hätte im Schutz der spanischen Küste Gibraltar erreichen können.

Bolitho entgegnete:»Ich muß ihnen die Luvseite wegnehmen. Andernfalls werden sie uns im Kampf Schiff gegen Schiff vernichten. «Keen pflichtete ihm bei, und beide sahen im Geiste, wie Bolithos Plan Gestalt gewann.»Wir bleiben bis zum letzten Augenblick zusammen. Dann ändern wir den Kurs nach Steuerbord und bilden zwei Kolonnen. Herrick weiß, was er zu tun hat. Seine Schiffe sind die kürzere Linie, aber das tut nichts zur Sache. Wenn wir erst einmal im Nahkampfstehen, können wir den Feind vielleicht aufsplittern.»

Ozzard kam mit Rock und Hut.

Keen protestierte gegen die auffallende Uniform. Er zeigte auf das goldene Gehänge mit der Nilmedaille, das Bolitho um den Hals trug.»Ich kenne Ihre Gewohnheiten, Sir Richard. Aber das heißt, das Unheil herauszufordern.»

Allday trat durch die andere Tür und langte nach dem alten Degen. Beiläufig bemerkte er:»Mit allem Respekt, Käpt'n Keen, Sie verschwenden nur Ihre Zeit.»

Keen und Allday sahen einander an. Allday entsann sich besser als jeder andere, wie Bolitho an Bord der kämpfenden Phalarope bei den Samtes die große Uniform getragen hatte, ein gutes Ziel für jeden Scharfschützen. Aber er wollte, daß die Männer ihn sahen. Allday wußte, es war unmöglich, ihm das auszureden.

Bolitho glitt in die Ärmel und wartete auf Ozzard, der sich auf die Zehen stellte und die glitzernden Epauletten mit den zwei Silbersternen anpaßte.

«Dies wird keine Schlacht, bei der man probeweise seine Kräfte testet, Val. Wir dürfen nicht einmal daran denken, sie möglicherweise zu verlieren. Der Sieg ist lebenswichtig, nehmt das zur Kenntnis.»

Keen lächelte schwach.»Ich weiß es.»

Ein Ruf vom Masttopp. Ein Leutnant kam vom Achterdeck gerannt und blickte Bolitho an.»Des Ersten Leutnants Respekt, Sir, und.»

Es fiel ihm schwer, die Augen von der Uniform des Vizeadmirals loszureißen und auf Keen zu richten.»Der Ausguck im Großmast meldet soeben: Feind in Sicht, steuert Südwest.»

Keen blickte Bolitho erwartungsvoll an. Der nickte.»Signal an alle: Feind in Sicht. «Dann winkte er Ozzard.»Räum die Kajüte aus. Der Bootsmann und seine Leute warten schon, um die Möbel ins Orlopdeck zu bringen. «Er legte ihm die Hand auf die knochige Schulter.»Geh mit ihm. Und keine Heldentaten heute. «Als Ozzard ihn trübsinnig ansah, fügte er hinzu:»Ich weiß nicht, was dich quält, aber ich werde es in Ordnung bringen. Verlaß dich drauf.»

Als Ozzard anfing, einige kleinere Gegenstände zu verstauen, unterbrach ihn Bolitho.»Nein, das nicht!«Er nahm Ozzard Catherines Fächer aus der Hand und steckte ihn in seine Rocktasche.»Nur eine Kleinigkeit, Val, aber es ist alles, was ich von ihr besitze.»

Allday folgte ihnen beim Verlassen der Kajüte. Noch einmal hielt er inne, den alten Degen in der Hand, und blickte zurück in den Raum, den er so gut kannte. Würde er ihn wiedersehen? Ihre Chancen standen schlecht, aber das war nichts Neues; wenigstens waren ihre Gegner Spanier. Allday hätte am liebsten ausgespuckt. Sogar die Franzosen kämpften besser. Er warf einen letzten Blick in die Runde und berührte dabei seine Brust an der Stelle, wo ihn die spanische Klinge verletzt hatte.

Die Kajüte war schon leergeräumt. Er drehte sich um, ärgerlich über seinen Trübsinn; aber es sah so aus, als würde sie für immer leer bleiben.

Draußen ging Bolitho zur Reling und nahm sich ein Fernglas vom ältesten Fähnrich. Dann musterte er ihn und die anderen Offiziere. Alle hatten sie ihre besten Uniformen angezogen. Er nickte ihnen anerkennend zu.

Als er das Fernglas ans Auge führte, hatte er fast sofort die Segel der Tybalt im Okular. Dann schwenkte er es weiter und sah die dunklen Unterbrechungen des sonst glatten Horizonts. Hyperions Wimpel wehte noch immer nach Backbord aus. Der Wind war stetig und nicht zu stark. Sein Vater hatte immer gesagt: ein guter Wind für ein Gefecht. Aber im Mittelmeer konnte sich das leicht ändern, wenn es der Zufall wollte.

Keen stand neben ihm, der Wind zauste sein Haar, wo es unter dem Hut hervorlugte, obwohl es nach moderner Art kurzgeschnitten war. Wie bei Adam. Bolitho packte die Reling mit beiden Händen, fühlte die Wärme des alten Holzes. Viele Hände hatten es vor ihm geglättet. An der Vorkante des Achterdecks stand Major Adams mit seinem Leutnant Veales und zwängte sich stirnrunzelnd in ein frisches Paar weißer Handschuhe.

Bolitho sagte:»Es wird Zeit.»

Keen hatte verstanden. Die Leutnants schauten einander an und fragten sich wahrscheinlich, wer von ihnen noch da sein würde, wenn sich der Pulverdampf verzog.

Keen bemerkte:»Der Wind steht durch, Sir Richard. Sie werden bis Mittag auf unserer Höhe sein.»

Penhaligon warf gleichmütig ein:»Schöner Tag für ein Treffen.»

Bolitho zog Keen beiseite.»Auf ein Wort, Val. Wir machen gleich gefechtsklar, danach werden unsere Aufgaben uns trennen. Aber Sie bedeuten mir nun einmal sehr viel, und das sollten Sie wissen.»

Keen erwiderte leise:»Ich weiß, was Sie sagen wollen, Sir Richard, aber es wird Ihnen nichts geschehen.»

Bolitho packte ihn fester.»Val, wie können wir das wissen? Es wird ein harter Kampf werden, vielleicht der schlimmste, den wir je durchzustehen hatten. «Er deutete auf die Schiffe in ihrem Kielwasser.»All diese Männer folgen uns wie hilflose Tiere, vertrauen darauf, daß ihr Admiral sie durchbringt, ungeachtet der Hölle, die auf sie wartet.»

«Sie werden auf Sie schauen.»

Bolitho lächelte flüchtig.»Das macht es nicht leichter. Val, was denken Sie, wenn die Dons uns umzingeln? Ohne mich wären Sie jetzt zu Hause bei Ihrer Zenoria.»

Keen sah Allday mit dem Degen erscheinen und entgegnete einfach:»Selbst wenn ich den heutigen Tag nicht überleben sollte, so habe ich doch wahres Glück kennengelernt. Nichts kann mir das nehmen.»

Allday hängte Bolithos Degen ein und lockerte ihn probeweise in der Scheide. Er brummte:»Dazu sag' ich Amen, Käpt'n!»

Sie sahen einander an. Keen grüßte Bolitho formell mit der Hand am Hut.»So sei es denn.»

Das laute Rasseln der Trommeln, die aus jeder Luke trampelnden Füße machten ihnen weiteres Reden unmöglich. Die Stückmannschaften stürzten sich auf ihre Kanonen, die Toppgasten schwärmten nach oben aus und riggten Schlingen und Netze auf. Selbst noch im Blutbad einer Breitseite würden sie die Schäden spleißen. Jenour tauchte auf, den Hut fest in die Stirn gedrückt, den schönen Degen an der Hüfte. Er sah ernst und irgendwie gealtert aus.

Als der Lärm der Vorbereitungen verhallte und sich wieder Stille über das Schiff senkte, schritt Parris nach achtern zum Kommandanten. Er trug ein Paar feine Stiefel.

«Schiff ist klar zum Gefecht, Sir!«meldete er.»Feuer im Kombüsenherd gelöscht, Pumpen bemannt.»

Keen zog seine Uhr nicht hervor, sondern sagte nur:»Neun Minuten, Mr. Parris, die beste Zeit bisher.»

Bolitho hörte es mit. Ob die Zeit stimmte oder nicht, spielte keine Rolle. Diejenigen, welche die Bemerkung aufgefangen hatten, würden Keens Lob in allen Decks verbreiten. Das war wenig genug, aber es half mit.

Keen trat zum Vizeadmiral.»Alles klar, Sir Richard.»

Bolitho sah sein Zögern.»Ist noch was, Val?»

«Ich überlege gerade, Sir Richard: Können wir nicht die Musikanten aufspielen lassen? Wie damals auf der Tempest.»

Wieder einmal verband sie eine gemeinsame Erinnerung. Bolitho war einverstanden.»Gut, machen wir das.»

Und so, während sich die alte Hyperion auf Backbordbug leicht schräg legte und der scharfe Horizont sich in Segel und Masten auflöste, bliesen die Pfeifer der Royal Marines einen anfeuernden Marsch. Begleitet von den Trommeln auf der Poop und dem Stampfen der Seeleute auf den mit Sand bestreuten Decks, marschierten sie hin und her, als ob sie vor ihrer Kaserne paradierten.

Bolitho fing Keens Blick auf und nickte; es war sogar die gleiche Melodie wie damals: Portsmouth Lass, Mädel aus Portsmouth.

Bolitho griff wieder zum Fernrohr und studierte die spanische Aufmarschlinie von einem Ende zum andern. Die beiden letzten Schiffe standen ziemlich weit vom Verband entfernt. Bolitho vermutete, daß sich das allerletzte Schiff absichtlich abseits hielt und das andere deckte, damit dieses Reparaturen ausführen konnte.

Er faßte die einzige Fregatte ins Auge. Es war leicht zu verstehen, daß der Kommandant der Mouette sich hatte täuschen lassen, denn es bedurfte schon mehr als nur einer fremden Flagge, um eine in England gebaute Fregatte zu tarnen. Bolitho wußte, daß die Consort am Medway vom Stapel gelaufen war, in der Nähe von Herricks Heim. Ob der jetzt wohl auch daran dachte?

Zwölf Linienschiffe. Das Flaggschiff an der Spitze war schon von Parris identifiziert worden, der es von früher kannte. Es war die mit neunzig Kanonen bestückte San Mateo, Flaggschiff von Admiral Don Alberto Casares, der die spanischen Geschwader in

Havanna befehligte. Casares mußte die Rolle der Hyperion beim Handstreich auf Puerto Cabello kennen. Und einige seiner Schiffe hatten wahrscheinlich auch die Schatzschiffe nach Spanien geleiten sollen.

Bolitho beobachtete die Intrepido, vormals Consort. Die beiden Gegner hatten wenigstens etwas gemeinsam: jeder besaß nur eine Fregatte.

Er hörte Parris zu den Signalfähnrichen sagen:»Es wird noch eine Weile dauern.»

Bolitho schaute die beiden Jünglinge an, die ihre Augen vom Feind kaum loszureißen vermochten. Es war schlimm für jemanden, der noch nie eine Schlachtlinie zu Gesicht bekommen hatte. Erst nach Stunden würden sie einander nähergekommen sein. Bei den Saintes hatte es den ganzen Tag gedauert. Erst lugten nur die Mastspitzen über den Horizont, dann wuchsen sie immer höher und zogen die Schiffsrümpfe nach sich, bis die Flotte schließlich die gesamte Wasserfläche zu bedecken schien. Ein Leutnant, der von jenem Gefecht nach Hause berichtete, beschrieb die französische Flotte als»über den Horizont steigend wie die gepanzerten Ritter von Agincourt. «Das hatte die Situation genau getroffen.

Bolitho ging zur Vorkante und überblickte das Batteriedeck. Die Männer waren bereit. Die Stückführer hatten die besten Kugeln und Kartätschen ausgesucht; sie waren für die erste, doppelt geladene Breitseite bestimmt. Diesmal würden beide Schiffsseiten gleichzeitig zu feuern haben, denn sie wollten die feindliche Linie durchbrechen. Danach war jedes Schiff auf sich selbst gestellt.

Die besten Schützen der Seesoldaten, die Major Adams finden konnte, standen schon oben in den Gefechtsmarsen mit einigen Kanonieren, welche die Drehbassen bedienten. Die Masse der Seesoldaten war achtern angetreten. Noch kauerten sie nicht hinter den Hängemattsnetzen, um den Feind aufs Korn zu nehmen, sondern warteten in sanft schwankenden Reihen. Sergeant Embree und seine Korporale sprachen leise miteinander, ohne die Lippen zu bewegen. Penhaligon und seine Gehilfen hielten sich mit zwei Ersatzleuten beim Ruderrad auf.

Abgesehen vom Rauschen der See und dem gelegentlichen Klatschen des großen Besansegels über dem Poopdeck war alles still, nachdem der Spielzug aufgehört hatte. Das feindliche Flaggschiff war jetzt viel nähergekommen. Man bemerkte bereits die Sonnenreflexe auf Degen und Bajonetten. Männer schwärmten in die Wanten des Vormastes, andere stiegen auf die Kanonen und schauten dem sich nähernden Geschwader entgegen.

Der spanische Admiral mochte damit rechnen, daß sein Gegner in Schlachtlinie Schiff gegen Schiff kämpfen wollte. Aber damit hätten seine neunzig Geschütze gegen die alte Hyperion gestanden. Bolitho lächelte grimmig. Den Gefallen würde er ihm nicht tun.

Es wäre sogar unklug, in der ersten Phase das überladene Heck der San Mateo zu kreuzen. Wenn Hyperion beim Durchbrechen der gegnerischen Linie manövrierunfähig geschossen wurde, mußte das die nachfolgenden Schiffe durcheinanderbringen, und Herrick war dann sich selbst überlassen, um sich mit lediglich drei Schiffen auf eigene Faust zu schlagen.

Bolitho befahl:»Signal an Tybalt: Sie soll sich hinter Olympus setzen, das gibt der Herrick-Linie mehr Gewicht. «Die Flaggen flitzten hoch, aber er behielt weiter das große spanische Flaggschiff im Auge.

Keen konnte offenbar seine Gedanken lesen.»Darf ich vorschlagen, daß wir die spanische Schlachtlinie hinter dem dritten oder vierten Schiff durchstoßen?»

Bolitho lächelte.»Je weiter weg von der Schönen, umso besser, jedenfalls bis wir deren Übergewicht etwas ausgeglichen haben.»

Jenour bei den Signalgasten hörte Bolithos gelassene Antwort. War seine Ruhe nur ein Bluff, oder glaubte er wirklich, er könne gegen so viele gewinnen? Jenour dachte an seine Eltern und wie er das alles in seinem nächsten Brief an sie schildern würde. Doch es überstieg seine Vorstellungskraft. Vielleicht würde es überhaupt keinen Brief mehr geben? Schreckliche Angst überfiel ihn, er hob den Blick zu den Wolken über Bolithos Flagge und begriff: Er ging dem Tod entgegen.

Fähnrich Springett, der jüngste an Bord, trat blinzelnd ins Helle. Seine Gefechtsstation war im halbdunklen unteren Batteriedeck, von wo er Meldungen zum Achterdeck zu bringen hatte. Bolitho sah, wie er sich umschaute, und achtete auf seinen Gesichtsausdruck, als er den Feind erblickte, wahrscheinlich zum erstenmal in seinem Leben. In diesem Augenblick verloren seine Uniform und der blinkende Dolch an seinem Gürtel völlig an Bedeutung. Er biß auf seine Fingerknöchel, als ob er einen Schreckensschrei zurückhalten müsse. Plötzlich war er wieder ein

Kind.

Jenour ging zu ihm.»Mr. Springett, Sie könnten mir heute helfen. «Er deutete auf die beiden Signalfähnriche, auf Furnival, den Senior, und Mirrielees mit den roten Haaren und einem Gesicht voller Sommersprossen.»Die alten Männer da sind nicht mehr ganz auf der Höhe. «Die beiden Erwähnten stießen sich grinsend in die Rippen; es war alles ein großer Witz.

Der Junge starrte sie wie hypnotisiert an. Er flüsterte:»Danke, Sir«, und übergab ein Stück Papier.»Mit Mr. Mansforths Respekt, Sir. «Er drehte sich wieder um und trottete davon, ohne auch nur einen Blick auf die imposanten Segelpyramiden rundum zu werfen.

Keen sagte leise:»Der Flaggleutnant hat den Jungen davor bewahrt, in Tränen auszubrechen.»

Bolitho sah auf der San Mateo weitere Flaggensignale auswehen und dachte, daß Jenour selbst vermutlich auch nicht weit davon entfernt gewesen war.

Übers Wasser drang das dumpfe Rumpeln schwerer Geschützlafetten. Den wartenden Seeleuten entrang sich so etwas wie ein Aufseufzen, als dunkle Schatten über das hohe Freibord der San Mateo liefen. Alle Kanonen ihrer Backbordseite waren nun ausgefahren. Es war, als schauten sie einem Drachen ins offene Maul.

Das Geschmetter einer Trompete ertönte. Bolitho stellte sich die feindlichen Kanoniere vor, wie sie über ihre Rohre das Ziel auffaßten, während die nächsten Ladungen Pulver und Kugeln schon bereitlagen.»Heißt Benbows Nummer! Ich wage nicht noch viel länger zu warten, Val.»

Während man die Flaggleinen bestückte, achtete Bolitho auf die beiden konvergierenden Reihen, deren Kurse in einer Pfeilspitze zusammenliefen.

Ein dumpfer Knall — und von der Bordwand der San Mateo löste sich ein Rauchwölkchen. Die Kugel schlug aufs Wasser, prallte ab und flog weiter, eine zerfetzte Gischtfeder aufwerfend. Ein die Reichweite testender Schuß? Oder wollte man lediglich die spanischen Seeleute aufmuntern, während sie — wie die der Hyperion — in quälender Spannung warteten?

«Benbow hat verstanden, Sir!»

So wenig Signale wie möglich. Bolitho hatte dies im Prinzip immer für gute Taktik gehalten. Einem Gegner fiel es nicht schwer, aus den Signalen des anderen den nächsten Schritt zu erahnen. Zudem war es möglich, daß die Prise Intrepido den Spaniern mit einem noch gültigen Signalbuch in die Hände gefallen war. Als der arme Kapitän Price sein Schiff auf Grund gesetzt hatte, konnte er sich diese Situation kaum ausgemalt haben.

Bolitho wandte sich an Keen und seinen Ersten.»Wir gehen nacheinander über Stag. Hyperion und Benbow führen die beiden Reihen an. «Sie nickten. Parris sah ihm auf den Mund, als wolle er einen tieferen Sinn herauslesen.»Damit kommen wir so hoch an den Wind, wie sie es eben noch verträgt. Das wird unsere Fahrt verringern.»

Wieder hatten sie verstanden. Es konnte nämlich bedeuten, daß der Feind mehr Zeit fand, seine Kanonen auf sie zu richten. Bolitho ging zur Steuerbordseite und stellte sich auf die Lafette eines Neunpfünders. Mit einer Hand stützte er sich auf die bloße Schulter des einen Kanoniers.

Er konnte die Masten der Benbow hinter den anderen erkennen.

Herricks Flagge flatterte vom Besan. Benbow hatte noch den Bestätigungswimpel stehen, ebenso wie Hyperion ihre Nummer vorgeheißt ließ: wie eine Trompete, die lautlos zur Attacke blies. Eine Attacke, die nun nicht mehr aufzuhalten war. Bolitho fühlte, wie sich die Schulter des Mannes spannte, als er zu ihm hochsah. Er blickte in sein Gesicht; um die achtzehn herum. Ein Gesicht, wie man es auf den Farmen und Landstraßen von Cornwall fand. Nur nicht in Kriegszeiten.»Naylor, hab' ich recht?»

Der Kanonier grinste, während seine Kameraden einander zuzwinkerten.»Aye, aye, Sir Richard.»

Bolitho dachte an den entsetzten kleinen Fähnrich und an Jenour, der es mehr als das Gefecht fürchtete, seine Angst zu zeigen.

«Nun, Naylor, dort ist der Feind. Was sagst du dazu?»

Naylor musterte den nächststehenden Spanier mit seinen imposanten Flaggen und Wimpeln, von denen einige beim Auswehen fast das Wasser berührten.»Ich denke doch, daß wir mit denen fertig werden, Sir Richard. «Er nickte nachdrücklich.»Wir müssen den Weg für die anderen freimachen.»

Seine Kameraden brachen in Hochrufe aus, und Bolitho kletterte von der Lafette. Er fürchtete, daß sein Auge eben diesen Moment wählen könnte, ihn im Stich zu lassen.

Naylor war nur ein einfacher Seemann, der, wenn er diesen Tag überlebte, wahrscheinlich in einer anderen Schlacht sterben würde, bevor er ein Jahr älter war. Plötzlich fielen ihm das große Haus in London und Belindas beißende Worte ein. Wie borniert sie doch war…

«Das werden wir auch. «Er nickte Naylor zu und ging davon.»Kapitän Keen!«Wieder schien die Zeit für beide stillzustehen. Dann sagte Bolitho sachlich:»Kursänderung drei Strich nach Steuerbord. Steuert Nord zu West!»

Er winkte Jenour.»Jetzt. Ausführungssignal!»

Auf Herricks Flaggschiff schien man nur auf diesen Augenblick gewartet zu haben. Sobald die Flaggen niedergeholt wurden, drehte Benbow auch schon aus ihrer Reihe, als ob sie allein eine Attacke gegen den Feind führen wolle.

Keens Augen waren überall zugleich. Von Parris angespornt, hievten die Seeleute an den Brassen, während andere dem mächtigen Großsegel Lose gaben und sich die Rahen knarrend drehten. Der Wind drückte das Schiff zur anderen Seite, das Deck neigte sich hinüber, und Penhaligon stellte sich breitbeiniger hin. Im Nu war Keen am Kompaß.»Stützruder! Recht so, laß laufen!»

Die Segel donnerten protestierend. Der Besan killte von oben bis unten, es schien ihn zerreißen zu wollen. Dann füllte sich die Leinwand und wurde prall. Sie lagen nun hart am Wind, höher ging es nicht. Den Spaniern mußte es so vorkommen, als ob alle ihre Segel mittschiffs standen und sich überschnitten.

Bolitho hielt sich an der Reling fest und sah zum Feind hinüber. Irgend jemand schoß, aber die Netze über der Kühl und das riesige Großsegel verdeckten das Mündungsfeuer.

Benbow lief mit Hyperion auf Parallelkurs, kaum drei Kabellängen entfernt. Die Schiffe hinter ihnen wendeten ebenfalls in Folge, während Tybalt hastig aufkreuzte, um ihre Position als letzte in der Reihe einzunehmen.

Keen rief bewegt:»Bei Gott, das hat die Dons überrascht!»

Das spanische Flaggschiff schien jetzt von Hyperions Backbordseite wegzustreben, während zwei andere Spanier ihm wie bisher folgten. Bolitho befahl:»Laden und ausrennen, Kapitän Keen!»

Der Befehl wurde wiederholt und weitergegeben. Kaum eine Minute verging, da blickte jeder Geschützführer nach achtern und hob die geballte Faust über den Kopf.

«Alles geladen, Sir!»

«Öffnet die Pforten!»

Laut quietschend rollten die Kanonen vor die Öffnungen in der Bordwand. An der tieferliegenden Leeseite schien die See bis zu den Mündungen heraufzulecken.

Das Deck der Hyperion erbebte, als die ihr am nächsten stehenden feindlichen Schiffe Feuer eröffneten. Doch das

Aufdrehen der unerwartet geteilten Formation hatte den spanischen Admiral überrascht. Nun konnten die meisten seiner Stückführer ihre Ziele nicht mehr auffassen. Wasserfontänen wuchsen neben Hyperions Bordwand empor, aber Bolitho fühlte nur einmal den Einschlag einer Kugel in den unteren Rumpf.»Untersegel aufgeien!»

Die Breitfock hob sich wie ein Riesenvorhang und gab den Blick nach beiden Seiten frei. Bolitho hörte einen der Fähnriche vor Schreck nach Luft schnappen, als vor ihnen das Heck des nächsten Spaniers wie aus dem Nichts erschien. Plötzlich war da eine hohe, überreich geschmückte Galerie, Gewehrfeuer versprühend, und der Name Castor über der Heckwelle.

Schüsse pfiffen über ihre Köpfe, die Geschützbedienungen duckten sich noch tiefer. Über ihre Gesichter rann Schweiß, während sie nach Zielen ausspähten.

«Achtung an Backbord!«Lovering, der Zweite Leutnant, trat von den vorderen Kanonen etwas zurück.»Ziel auffassen — Einzelfeuer!»

Keen hob seinen Degen, riß ihn herunter.»Feuer!»

Die Backbordkarronade vorn schleuderte ihre großkalibrige Kugel mit entsetzlicher Wirkung ins Heck der Castor. Bolitho hörte die Detonation im Innern des Schiffskörpers und konnte sich das Entsetzen vorstellen, als die Kartätschen wie eine Sense durch den leergeräumten Raum fegten. Sobald die Schotten zum Gefecht erst abgeschlagen waren, war jedes Kriegsschiff am verletzlichsten, wenn es dem Feind gelang, in sein Heck zu feuern.

Im Pulverdampf erschien auf der anderen Seite das nächste Schiff; aus all seinen Rohren zuckten ihnen rot-gelbe Zungen entgegen.

«Steuerbordbatterie — Feuer!»

«Backbord, zweite Division — Feuer!»

Mit ohrenbetäubendem Donner verschwanden beide Seiten in wirbelndem Rauch; verkohlte Kartuschenreste regneten herab. Das Schiff an Steuerbord wurde auch von Obdurate bekämpft,

Bolitho sah ihre Mastspitzen wie Lanzen aus den Pulverdampfwolken ragen. Er fühlte das Deck ein-, zweimal unter Treffern erbeben.

Parris brüllte:»In der Aufwärtsbewegung — Feuer!»

Da krachte auch schon die nächste Division fast einstimmig. Bolitho sah den Kreuzmast der Castor wanken, wenige Augenblicke noch von der Takelage gehalten, ehe er krachend über die Seite kippte.

«Feuer!»

Keen überquerte mit tränenden Augen das Achterdeck. Die oberen Geschütze ruckten einzeln oder in Paaren in ihre Taljen und Brocktaue zurück. Sofort sprangen Männer mit Schwamm und Ladestock herbei, um die Rohre auszuwischen und mit der nächsten Kugel zu füllen. Sie taten, was man sie gelehrt hatte, ganz gleich, was um sie herum geschah.

Jenour hustete im Rauch und meldete dann: «Obdurate ist mit einem Spanier kollidiert, Sir Richard!«Er zuckte zusammen, als eine Gewehrkugel dicht neben ihm ins Deck schlug, und fügte hinzu:»Sie ersucht um Unterstützung.»

Bolitho schüttelte den Kopf. Keen sagte kurz:»Abgelehnt.»

Die Flaggen, die Keens barsches Signal ausdrückten, flogen hoch und verschwanden in einer Rauchdecke, die binnenbords gesaugt wurde, als die untere Batterie nach Steuerbord feuerte.

Parris jubelte:»Wir sind durch, wir sind durch!«Er schwenkte seinen Hut.»Hurra, Jungs, wir haben die Linie durchbrochen!»

Weitere Segel wuchsen wie riesige Geister achteraus empor: Crusader und Redoubtable. Letztere kollidierte beinahe mit einem Spanier, der entweder sein Ruder oder seine Rudergänger verloren hatte.»Klar zur Kursänderung nach Backbord!«Bolitho warf sein Fernglas einem Fähnrich zu.»Das brauche ich jetzt nicht.»

«An Deck!«Irgendeiner hatte dort oben über dem Rauch und dem Eisenhagel eine klaren Kopf behalten. »Benbow ist durch die Linie!»

Es gab noch mehr Jubel. Die Backbordbatterie feuerte blindlings eine Breitseite durch die Schwaden. Einiges davon traf die Bordwand der Castor, während der Rest das zweite Schiff in der feindlichen Linie eindeckte.

«Legt sie auf Backbordbug, Mr. Penhaligon! Achterwache bemannt die Kreuzbrassen!«Die ausgewählten Seesoldaten legten ihre Gewehre nieder und rannten zu Hilfe, während andere über die Hängematten schielten und, den Kolben an die Backe geschmiegt, ein Ziel suchten.

Bolitho sah beschädigtes Tauwerk ellenlang von den Schutznetzen baumeln. Und über allem Wirrwarr wölbte sich noch immer derselbe friedliche Himmel.

Eine Kanonenkugel schlug an Backbord ein und traf die Bedienung eines vorderen Achtzehnpfünders. Zwei Mann wurden zu blutigen Brocken zermalmt, ein dritter rollte schreiend längs Deck. Sein Bein wurde nur noch von einem Hautfetzen gehalten.

Bolitho biß die Zähne zusammen und versuchte sich zu konzentrieren. Alle seine Einheiten mußten jetzt im Gefecht sein. Der Schlachtenlärm hörte sich an, als ob an allen Seiten Schiffe kämpften. Ihr eigener Rauch verbarg sie voreinander. Geschützfeuer grollte wie gigantischer Trommelwirbel auf dem Wasser hin und her.

Bolitho befahl:»Signal an alle: Aufschließen zum Flaggschiff, formiert Schlachtlinie!«Wie sie das mit den Flaggen übermitteln würden, war ihm selbst nicht klar. Doch schon bald kam Jenour.»Alles bestätigt, Sir Richard.»

Ein abseits stehender spanischer Zweidecker setzte mehr Segel. Sein Kommandant strebte entweder näher zum eigenen Flaggschiff oder wollte einen Zusammenstoß mit der bewegungsunfähigen Castor vermeiden.

Bolitho begriff.»Dort, Val! Greift ihn an!»

Keen gellte:»Achtung an Steuerbord!»

Der Spanier schien schneller zu werden, aber es war nur eine durch den Rauch verursachte Illusion. Bolitho erwartete, daß er wenden und den Kurs der Hyperion kreuzen würde. Er konnte auf seiner Fock das große Kreuz, das rotgoldene Banner Spaniens erkennen.

Keen hob wieder seinen Degen.»Einzelfeuer!»

Das gegnerische Schilf feuerte fast zu gleicher Zeit. Eisenstücke und Holztrümmer flogen über ihr Batteriedeck, während die Segel, so sehr durchlöchert, daß sie kaum noch den Wind hielten, kraftlos erschlafften. Bolitho wischte sich übers Gesicht und sah den Vormast des Gegners fallen. Takelage und Leinwandfetzen verschwanden längsseits.

Den konnte er nun vergessen. Aber Hyperion hatte es schwer getroffen. Ein Teil der feindlichen Breitseite war mit der Wucht eines Bergrutsches in ihren unteren Rumpf geschlagen. Bolitho wollte über Deck gehen, da wurde sein Fuß festgehalten. Er blickte hinab und sah den jungen Seemann Naylor. Er lehnte an seinem umgeworfenen Geschütz und versuchte, Worte zu stammeln. Sein Gesicht war schmerzverzerrt.

Keen rief:»Hierher, Sir Richard! Ich glaube, wir können. «Seine Füße rutschten in Blut aus, und als er Bolitho neben dem sterbenden Seemann knien sah, verstummte er. Bolitho ergriff die Hand des Jünglings. Die Spanier mußten ihre Breitseite mit Kartätschen geladen haben; Naylor hatte ein Bein verloren, und in seiner Seite klaffte ein faustgroßes Loch.

«Lieg still, Naylor. «Bolitho hielt die Hand des Schwerverwundeten. Das Deck schien unter ihm zu schwanken. Er wurde verlangt, dringend sogar. Ringsumher tobte die Schlacht ohne Unterbrechung.

Der Seemann keuchte:»Ich — ich sterbe, Sir!«In seinen Augen standen Tränen. Er betrachtete sein Blut, das in die Speigatten floß, wie etwas Fremdes. Verwirrt über das, was geschah, stemmte er sich noch einmal hoch, und Bolitho spürte eine letzte Festigkeit in seinem Griff. Naylor fragte:»Warum ich, Sir?«Dann fiel er zurück, aus seinem Mundwinkel sickerte ein rotes Rinnsal.»Warum gerade ich?»

Keen wartete, bis Bolitho die Hand losließ, die ihm nun kraftlos entglitt.

Dann meldete er: «Capricious ist wieder manövrierfähig, Sir Richard! Aber dort drüben bricht ein Spanier durch!«Er bestaunte seinen erhobenen Arm. Der Ärmel war aufgerissen, und doch hatte er die Musketenkugel nicht einmal bemerkt.

Bolitho eilte zur Reling. Ein zweites Schiff überholte schon den Spanier, der die Breitseite abgefeuert hatte.»Will sicherlich zu seinem Admiral.»

Keen winkte.»Mr. Quayle! Sagen Sie der unteren Batterie, wir werden den dort gleich angreifen!»

Der Vierte Leutnant hatte alle Arroganz verloren. Vielmehr war er fast außer sich vor Angst.

Keen drehte sich um.»Mr. Furnival!»

Doch der Fähnrich war ebenfalls gefallen, während sein Kamerad stocksteif neben Jenour stand. Sein Blick war auf die Flaggen gerichtet, zwischen denen sein getöteter Freund lag, als wolle er sich von der Hitze des Gefechts ausruhen.

Bolitho bellte:»Gehen Sie unter Deck, Mr. Quayle! Dies ist ein

Befehl!»

Keen strich sich das Haar aus der Stirn und merkte, daß auch sein Hut weggerissen war.»Verflucht noch mal!«»Alle feuerbereit, Sir!«Keens Degen zuckte nieder.»Feuer!»

Schuß um Schuß der Breitseite bemalte das Kabbelwasser zwischen den Schiffen mit blutrotem Schein. Man hörte deutlich, wie das Eisen der Hyperion in die Bordwand des Gegners krachte und Menschen und Geschütze zerschlug.

Eine zunehmende Brise wirbelte den Pulverdampfweg.

Keen warnte:»Sie treibt auf uns zu! Ihr Ruder ist weggeschossen!»

Bolitho hörte es platschen. Als er sich umwandte, sah er einige Gehilfen des Bootsmanns von dem umgestürzten Geschütz wegtreten. Sie hatten Naylors Leiche schon über Bord geworfen, nur noch sein Blut markierte die Stelle, wo er gekämpft hatte und gestorben war. Immer noch hatte er seine Stimme im Ohr:»Warum gerade ich?«Es gab so viele, die diese Frage stellten.

Allday schätzte mit dem bloßen Entersäbel in der Faust das näherkommende spanische Schiff kalt ab. Parris schrie gellend:»Klar zur Abwehr von Enterern!»

Major Adams hastete nach vorn, als der lange Klüverbaum des Gegners den Rauch durchstach und sich mit einer Erschütterung im Bugsprit der Hyperion verhakte, die selbst die Geschützbedienungen innehalten ließ.

Keen brüllte:»Weiterfeuern!»

Die unteren Zweiunddreißigpfünder schossen gnadenlos über das mit Trümmern bedeckte Dreieck verräucherten Wassers. Wieder und wieder und noch einmal, bis des Feindes Klüverbaum brach, das Schiff mit einem Ruck längsseit klappte und die Mündungen von Freund und Feind zusammenstießen.

Gewehrfeuer knallte aus den Masten, Männer fielen neben ihren Geschützen oder brachen beim Aufräumen der heruntergefallenen Takelage getroffen zusammen. Aus dem Großmast der Hyperion bellten die Drehbassen und fegten eine Anzahl Spanier hinweg, die sich auf die Enternetze schwangen.

Keen brüllte:»Wir haben kein Ruder mehr im Schiff, Sir Richard! Müssen sehen, daß wir den hier loswerden. Der andere Zweidecker hat sich auch an ihm verfangen.»

Drei Schiffe, ineinander verkeilt. Dennoch wagten sie jetzt nicht, in das längsseit liegende Schiff zu feuern. Denn es bedurfte nur einer glimmenden Kartusche, um beide, Freund und Feind, in ein Flammenmeer zu verwandeln.

«Räumt die Unterbatterie, Val, schließt die Pforten! Ich brauche jede Hand hier oben!»

Mit nackten, von Pulverrauch geschwärzten Oberkörpern quollen sie herauf, um Major Adams Seesoldaten beizustehen. Gemeinsam gingen sie gegen die Angreifer vor.

Keen warf die Scheide fort und wog seinen Degen in der Hand. Er schaute im treibenden Rauch nach seinen Leutnants aus.

«Und wo ist mein verdammter Bootssteurer?«Seine Miene erhellte sich, als Tojohns auf ihn zurannte, mit hoch erhobenem

Entersäbel, um die anderen Seeleute im Getümmel nicht zu verletzen.»Hier, Sir!»

Jetzt kam auch Allday.»Zur Stelle, Sir!»

Keens Augen suchten den Ersten Leutnant an der Reling.»Bleiben Sie hier, Mr. Parris, und verteidigen Sie das Achterdeck!«Sein Blick streifte Bolitho, es war wie ein Händedruck zum Abschied.

Dann rannte auch er auf dem Steuerbord-Seitendeck nach vorn, wo der Feind herüberkletterte. Leutnant Lovering deutete mit seinem Degen.»Nach vorn auf die Back, ihr Burschen!«brüllte er. Doch mitten im Sprung stürzte er zu Boden, der Degen baumelte noch an seinem Handgelenk. Ein verborgener Scharfschütze hatte sein Ziel gefunden.

Dacie, der einäugige Bootsmannsgehilfe, war schon auf der Galion im Handgemenge. Er schwang sein furchtbares Enterbeil. Drei Spanier hatte er bereits niedergehauen, ehe einige Seesoldaten ihm beisprangen. Sie stachen mit ihren Bajonetten durch die Netze und schleuderten die Feinde beiseite, die sich wie Fliegen in einem Spinngewebe verfangen hatten.

Wieder krachten die Drehbassen im Großmast. Einige spanische Seeleute, die als erste zu entern versuchten, wurden von ihrem tödlichen Hagel umgemäht. Die sich bereits auf Hyperion befanden, fielen zurück. Einer warf seinen Entersäbel fort, als ihn die Soldaten in eine Ecke drängten, aber für Pardon war es zu spät. Rauch trieb übers Deck, und dahinter sah man nur noch Leichen. Triumphierende Seesoldaten erfochten sich ihren Weg auf das Deck des spanischen Schiffes.

Jenour stand mit gezogenem Degen neben Bolitho, das Gesicht so bleich wie das eines bereits Toten. Er schrie:»Zwei Spanier haben die Flagge gestrichen, Sir Richard!»

Trotz des Klirrens von Stahl und dem Knallen der Gewehre hörte man schwache Jubelrufe von einem anderen Schiff und, so kam es Bolitho vor, auch Trommeln und Pfeifen.

Er stieg auf die Poopleiter, rieb sich die Augen und spähte durch den alles verhüllenden Rauch. Mit Mühe konnte er die Obdurate erkennen, nun vö llig entmastet und neben dem spanischen Zweimaster liegend, mit dem sie zusammengestoßen war. Doch über dem Spanier wehte jetzt die britische Flagge, und Bolitho vermutete, daß es Kapitän Thynnes Männer waren, die da jubelten.

Dann sah er Benbow sich an einem anderen schwer mitgenommenen Spanier vorbeischieben und ihm eine langsame Breitseite versetzen. Masten fielen wie gefällte Bäume, aber Herricks Flagge flatterte über dem Rauch, spöttisch und heiter im Sonnenlicht. Hyperion hatte ihnen den Weg freigemacht, wie es Naylor vorausgesagt hatte.

Allday schrie:»Da — paßt auf!»

Bolitho drehte sich um und sah eine Gruppe spanischer Seeleute das Seitendeck erklettern. Bevor es jemand merkte, hatten sie die Netze zerschnitten. Sie mußten an den Großrüsten emporgeklettert sein wie Geschöpfe, die aus dem Wasser kamen.

Bolitho zog seinen Degen. Diese Spanier hatten überhaupt keine Chance, wenn ihnen nicht der andere Zweidecker zu Hilfe kam. Doch den nahm jetzt einer aus Bolithos Geschwader, wahrscheinlich Crusader, unter Feuer und bestrich ihn mit einer Breitseite von hinten bis vorne. Rauch und Trümmer wirbelten in die Luft und flogen sogar bis auf die Decks der Hyperion.

Hier aber wurde kräftig gefochten. Ein Leutnant führte die kleine Gruppe der Spanier an. Als er Bolitho erblickte, zückte er seinen Degen und machte einen Ausfall. Jenour behauptete seinen Platz, aber der Spanier war ein guter Fechter. Er bog Jenours blaue Klinge wie ein Rohr zur Seite, drehte sie mit seinem Handschutz und ließ sie davonfliegen. Er drängte nach, balancierte sich für den Todesstoß aus — und starrte entsetzt auf einen Spieß, der durch die Leiter zum Achterdeck zuckte. Der Seemann dahinter stieß nach und bohrte das Mordinstrument mit einem irrsinnigen Schrei in den Bauch des Leutnants.

Bolitho sah sich einem anderen Spanier gegenüber, der mit einem schweren Entersäbel bewaffnet war. Er schrie:»Ergebt euch endlich, verdammt!»

Aber ob er begriff oder nicht, der fremde Seemann gab nicht auf. Die breite Klinge beschrieb einen großen Bogen. Bolitho sprang mit Leichtigkeit beiseite, stürzte aber beinahe, als ein Sonnenstrahl durch den Rauch fiel und sein krankes Auge traf. Er war wie schon einmal mit Blindheit geschlagen.

Parris brüllte:»Stoppt den Mann!»

Bolitho konnte nur mutmaßen, was sich ereignete, und erwartete die brennende Qual des Entersäbels, den er nicht sah. Jemand schrie auf, und zusätzliche Rufe verrieten ihm, daß mehr von Keens Leuten herzukamen, um die letzten Angreifer zurückzuschlagen.

Alldays Verstand setzte aus, als der Spanier gegen Bolitho ausfiel, der sich anscheinend nicht wehren konnte. Alldays Klinge traf ihn flach am Kopf und glitt ab, aber sie hatte die ganze Kraft des Bootsteurers hinter sich. Der andere Mann taumelte, blinzelte in die plötzliche Helle und sah Allday auf sich zukommen.

Jenour, der in den blutbefleckten Speigatten seinen verlorenen Degen suchte, hörte nur Alldays nächsten Hieb. Doch Parris, von einem Schlag auf seine verletzte Schulter gelahmt, sah, wie der Entersäbel des Spaniers Unterarm abhackte. Im nächsten Augenblick lag er, noch mit dem Säbel daran, an Deck. Allday schnaubte:»Und das ist für mich, du Hund!«Er unterbrach den Schrei des Mannes mit einem letzten Hieb ins Genick.

Dann faßte er nach Bolithos Arm.»Alles in Ordnung, Sir Richard?»

Bolitho atmete mehrmals tief durch, seine Lungen brannten wie Feuer.»Ja. Ja, alter Freund… Die Sonne…»

Dann sah er, daß sich Jenour verfärbte, und hielt ihn zunächst für verwundet. Vom Deck des längsseit liegenden Spaniers und aus dem Durcheinander seiner Takelage ertönte wilder Jubel. Ein Windstoß blies den Rauch fort, und Bolitho erkannte die Ursache für Jenours Bestürzung.

Das spanische Flaggschiff San Mateo hatte sich des

Nahkampfes enthalten oder so lange gebraucht, um zu wenden. Über seinem hohen Spiegelbild schien es zu strahlen. Es hatte weder eine Schramme noch einen Fleck an seinem Rumpf, auch kein Einschußloch in den eleganten Segeln, und bewegte sich sehr langsam. Bolitho sah viele Männer auf seinen Rahen. Offenbar bereitete es sich erneut zum Wenden vor, fort von der Schlacht.

Bolitho zitterten die Glieder, als ob sie niemals aufhören wollten. Er hörte Parris entsetzten Schrei:»Herr Jesus, sie feuert gleich!»

Die San Mateo hatte alle ihre Geschütze ausgefahren. Bei einer Entfernung von nur fünfzig Metern mußte jeder Schuß sitzen, auch wenn jetzt noch zwei ihrer eigenen Schiffe dazwischen standen.

Bolithos Verstand sträubte sich, die Absicht des spanischen Dreideckers zu akzeptieren. Es war Hyperion selbst, die der Spanier vernichten wollte, das trotzig herausfordernde britische Schiff mit der Vizeadmiralsflagge noch am Vormast, welches irgendwie ihre Linie durchbrochen hatte und die anderen begeistert mitriß. Er sah sich nach Allday um, aber der starrte ebenfalls das feindliche Flaggschiff an. Am Handgelenk baumelte sein Entermesser.

Der Spanier feuerte. Der Lärm war überwältigend, das volle Gewicht seiner Breitseite schmetterte in die stilliegende Hyperion. Bolitho fühlte, wie sich das Deck emporbog, als ob das Schiff seinen Schmerz teilte. Er wurde zur Seite geschleudert. Seine Ohren waren taub vom Krachen der brechenden Masten, vom Weinen und Kreischen der Getroffenen, bevor die zerrissene Takelage sie wie ein großes Netz über die Seite zerrte.

Bolitho kroch zu Fähnrich Mirrielees, packte ihn an der Schulter und wollte ihn auf den Rücken drehen. Aber dessen Augen waren fest geschlossen, und unter den Lidern quoll es wie Tränen hervor. Er war tot. Allday kauerte mit weit offenem Mund an Deck. Ihre Augen trafen sich, und Allday grinste gequält. Bolitho fühlte, daß ihn jemand auf die Füße stellte. Seine Augen waren blind im Sonnenlicht, das die Zerstörung offenlegte.

Dann senkte sich Pulverdampf über die Szene, und San Mateo verschwand von der Bildfläche.

XIX Das letzte Lebewohl

Sir Piers Blachford stützte sich auf den Behelfstisch, während die Geschütze oben noch immer donnerten und das ganze Schiff erbebte. Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht und sagte:»Nehmt diesen Mann fort, er ist tot.»

Die Gehilfen des Chirurgen ergriffen den nackten Leichnam und zerrten ihn in den Schatten des Orlopdecks. Blachford richtete sich auf und spürte die schweren Decksbalken dicht über seinem Kopf. Wenn es wirklich eine Hölle gab, dachte er, mußte sie wie dies hier aussehen.

Das Licht der über dem Tisch schwingenden Laterne machte alles noch schlimmer, sofern das überhaupt möglich war. Sie warf Schatten auf die gewölbte Bordwand und legte die zusammengekauerten oder regungslosen Verwundeten bloß, von denen immer mehr ins unterste Deck des Schiffes gebracht wurden.

Sir Piers blickte seinen Kollegen an, George Minchin, den eigentlichen Chirurg der Hyperion, einen grobgesichtigen Mann mit spärlich sprießenden grauen Haaren. Seine Augen hatten rote Ränder, und das nicht nur vor Müdigkeit. Ein großer Krug Rum stand neben dem Tisch, um den Todeskampf oder die wachen Momente der jammernden Verwundeten zu lindern. Sie lagen auf den Tischen, entblößt und gequälten Opfern gleich, bis das Werk vollbracht war. Minchin aber schien mehr als seinen Anteil zu trinken.

Blackford sah die fürchterlichsten Verwundungen: Männer ohne Glieder, Gesicht und Leib verbrannt oder durch Splitter zerfetzt. Der ganze Raum, normalerweise Unterkunft der Fähnriche, wo sie schliefen, aßen oder aus Handbüchern im Halbdunkel ihrer Talglichter lernten, war mit Leidenden überfüllt. Es stank nach Blut, Erbrochenem und Schweiß. Jede dröhnende Breitseite, jeder schauderhafte Einschlag einer Kugel verursachte Geschrei und Stöhnen der auf Behandlung Wartenden.

Blachford konnte nur ahnen, was sich oben, im hellen Tageslicht, abspielte. Nach hier unten, ins Orlop, verirrte sich nie ein Strahl Sonne. Unterhalb der Wasserlinie gelegen, war es der sicherste Platz für das grausige Werk. Dennoch empörte es ihn.

Er deutete auf die gräßlichen Behälter unter dem Tisch, die mit amputierten Gliedmaßen gefüllt waren: eine brutale Warnung für die nächsten Verwundeten, was ihnen blühte. Das erhöhte ihre Marter so sehr, daß ihnen der Tod wie eine Erlösung vorkommen mußte.»Tragt das fort.»

Der Senior-Chirurg lauschte dem Hämmern im schmalen Zimmermannsgang, der unterhalb der Wasserlinie um die Bordwand lief wie ein enger Steg zwischen den Schiffsabteilungen und der Außenhaut. Von diesem Gang aus dichteten der Zimmermann und seine Gehilfen Einschußlöcher und Leckagen ab, die der Feind wieder und wieder in die Bordwand drosch.

Unmittelbar über ihren Köpfen gab es ein langgezogenes Gerumpel, und Blachford stierte an den Balken empor, als erwarte er, eingeschlossen zu werden. Eine ängstliche Stimme rief aus den Schatten:»Was war das, Toby?»

Irgendeiner antwortete:»Sie fahren die Unterbatterie ein, das war's.»

Blachford fragte schnell:»Warum tun sie das?»

Minchin schluckte eine Tasse voll Rum und wischte sich den Mund mit der blutigen Faust.»Die machen Schluß! Wir liegen Seite an Seite mit einem dieser Saukerle, und sie brauchen an Deck jede Teerjacke zur Verteidigung. «Heiser schrie er:»Der nächste, Donovan!»

Dann beäugte er Blachford mit etwas wie Geringschätzung.»Das hier ist wohl nicht ganz das, was Sie gewohnt sind? Keine geschmackvollen Operationsräume mit Reihen unwissender Studenten, die Ihnen jedes Wort von den Lippen saugen. «Er blinzelte mit seinen geröteten Augen, als Rauch durch das Deck zog.»Ich hoffe nur, daß Sie heute etwas Nützliches lernen, Sir Piers: nämlich, was wir im Namen der Medizin zu erdulden haben.»

Ein Schiffsjunge sagte:»Der hier ist ein Offizier, Sir.»

Blachford beugte sich über den Tisch, als dem Leutnant das zerrissene Hemd abgestreift und er flach hingelegt wurde. Es war der Zweite, Lovering, den ein Spanier niedergeschossen hatte. Blachford untersuchte die schreckliche Wunde in seinem Arm. Unter der schaukelnden Laterne sah das Blut schwarz aus. Wo die Kugel plattgedrückt war, nachdem sie den Knochen getroffen hatte, war das Fleisch zerfetzt. Lovering starrte ihn an, die Augen glasig vor Schmerz.»O Gott… Ist es schlimm?»

Minchin berührte seine nackte Schulter. Sie war kalt und feucht.»Tut mir leid, Ralph. «Er blickte Blachford an.»Der Arm muß ab.»

Lovering schloß die Augen.»Aber nein, doch nicht mein Arm.»

Blachford wartete auf einen Gehilfen, der ihm seine Instrumente brachte. Er hatte immer wieder darauf bestehen müssen, daß sie gereinigt wurden. Kein Wunder, wenn die Männer an Wundbrand starben.

Er beugte sich über den Verwundeten und sagte leise:»Er hat recht. Es ist zu Ihrem eigenen Besten. «Erst zweiundzwanzig Jahre alt, dachte er.

Der Leutnant drehte sein Gesicht aus dem Lampenlicht und wisperte:»Warum bringt ihr mich dann nicht gleich um? Ich bin doch sowieso erledigt.»

Weitere Einschläge erschütterten das Schiff, Instrumente fielen zu Boden. Blachford bückte sich danach und sah angeekelt eine Ratte ins Dunkle hasten. Minchin bemerkte seinen Abscheu und biß die Zähne zusammen. Was wußte der schon vom Krieg? Kam aus London hierher und verbreitete hohles, hehres Geschwätz. Aus dem Augenwinkel sah er Blachfords Messer blinken.

«Hier, Ralph. «Minchin schob Lovering einen Lederknebel zwischen die Zähne, bevor dieser protestieren konnte.»Hinterher gibt's einen ordentlichen Brandy.»

Eine Stimme gellte durch den Rauch:»Noch'n Offizier, Sir!»

Blachford sah Leutnant Quayle an einem der dicken Stützbalken zusammensacken und sein Gesicht mit dem Uniformrock bedecken. Ein Seemann erhob Einspruch:»Der hat ja nicht mal 'nen Kratzer!»

Auf dem Tisch kämpfte Leutnant Lovering wie ein Löwe. Wenn der Gehilfe nicht seinen gesunden Arm und Minchin ihn nicht an den Schultern festgehalten, hätten, wäre er aufgesprungen.»Ihr blutigen Bastarde! Ihr feigen. «Seine Stimme brach, er fiel ohnmächtig auf den Tisch zurück.

Blachford schaute wieder Quayle an, der die Hände rang und wie ein Kind wimmerte.»Nennt es, wie ihr wollt, aber er ist ebenso ein Verwundeter wie alle anderen.»

Minchin nahm den Lederknebel aus Loverings Mund. Brutalität und Gefühlsrohheit waren die Merkmale seines Berufs. Er hielt Lovering fest und wartete auf die Amputation. Wenn Ralph Glück hatte, versank er in tiefe Bewußtlosigkeit, bevor die Säge zum ersten Schnitt ansetzte.

Minchin konnte das, was Blachford und viele seinesgleichen über die Chirurgen der Navy dachten, leichthin abtun.

Er konnte sogar Loverings Höllenqualen ignorieren, und dabei hatte er den jungen Leutnant immer gern gehabt. Statt dessen konzentrierte er sich auf seine Tochter in Dover, von der er schon seit zwei Jahren getrennt war.

«Der nächste!«Die Operation war schon vorbei. Lovering wurde weggetragen, und der amputierte Arm fiel in den Behälter, in den >Wing-and-Limb<-Kübel, was soviel wie Gänseklein bedeutete. So sagten jedenfalls die meisten — bis sie selber dran waren. Blachford wartete auf einen Seemann, dessen Fuß unter einer Lafette zerquetscht worden war, und betrachtete seine eigenen Arme. Wie Minchins und die der anderen waren sie blutrot bis zum Ellenbogen. Kein Wunder, daß sie uns Schlächter nennen, dachte er.

Der Mann fing an zu schreien und zu betteln, trank aber gierig einen Becher Rum, wie ihn auch Minchin geleert hatte, ehe er den zerstörten Fuß bloßlegte. Der Schiffsrumpf erbebte abermals, und doch schien sich die eigentliche Schlacht etwas entfernt zu haben. Von überall her donnerten Kanonen, gelegentliche Schreie schwebten wie verlorene Geister durch die oberen Decks herunter.

Hyperion mochte geentert worden sein, dachte Blachford, oder der Feind hatte sich zurückgezogen und sammelte sich zum erneuten Angriff. Abgesehen von dem, was man ihm erzählt hatte und was er in der Gazette las, wußte er wenig über den Seekrieg. Erst seit er in der Flotte umherreiste, dachte er über die Menschen nach, die Siege oder Niederlagen erlebten und Politik in Fleisch und Blut umwandelten.

«Der nächste!«Es hörte nie auf.

Ein Seesoldat kam über die Leiter herunter und schrie:»Wir haben den Spanier längsseits erobert, Jungs!«Er verschwand wieder, und Blachford staunte, daß einige Verwundete tatsächlich noch ein schwaches Hurra herausbrachten. Verständlich, daß Bolitho diese Leute liebte.

Da schaute er auf einen jungen Fähnrich herunter, noch ein

Kind.

Minchin sondierte den Oberkörper, wo die gebrochenen Rippen weiß durch das Blut schimmerten. Blachford sagte leise:»Mein Gott, er ist ja noch so jung.»

Minchin, der ihn verletzen wollte, entgegnete:»Nun, Mr. Springett wird auch nicht älter werden, Sir Piers. Er hat 'ne Handvoll spanisches Eisen in sich!«Und mit einer ärgerlichen Handbewegung:»Tragt ihn fort!»

«Wie alt war er?»

Minchin wußte, der Junge war dreizehn, aber irgend etwas lenkte ihn ab: eine plötzliche Stille, der selbst fernes Geschützfeuer nicht die Bedrohlichkeit nehmen konnte. Das Deck schwankte schwerfälliger, als ob das Schiff tiefer im Wasser läge.

Die Pumpen liefen noch immer. Meine Güte, dachte er, in diesem alten Kasten schienen sie niemals aufzuhören.

Blachford bemerkte seine Spannung.»Ist was?»

Minchin schüttelte den Kopf.»Ich weiß nicht. «Er blickte auf die dunklen Gestalten an der Bordwand. Einige waren bereits tot, aber die anderen warteten, ebenfalls verstummt.

Er sagte grob:»Es sind alles Seeleute. Sie wissen, daß etwas nicht stimmt.»

Blachford behielt die rauchverhüllte Leiter im Auge, die ins untere Batteriedeck hinaufführte. Es kam ihm vor, als wären sie die letzten Lebenden an Bord. Er zog seine Uhr heraus und beäugte das Zifferblatt. Minchin bückte sich und füllte seine Tasse wieder bis zum Rand mit Rum. Trotzdem hatte er den feinen goldenen Chronometer mit dem eingravierten Wappen auf dem Schutzdeckel gesehen. Sollte doch der Teufel diesen alten Laffen holen!

Die Wirkung der einschlagenden Breitseite übertraf alles, was Minchin bisher erlebt hatte. Es mußten viele Geschütze gewesen sein, die da gefeuert hatten, und doch war ihr Abschuß zu einem gigantischen Donnerschlag vereint, der gegen das Schiff krachte, als ob das Geräusch selbst und nicht das Metall in die Hölzer drang. Das Deck verkantete sich und bebte lange nach, aber das Getöse hört nicht auf. Dem splitternden Brechen der Bordwand folgten unmittelbar der Lärm zusammenbrechender Takelage und dumpfes Poltern der vermutlich losgerissenen Geschütze.

Die Verwundeten schrien und flehten um Luft. Einige zerrten sich mit Krallenfingern über die Planken zur Leiter, eine Blutspur hinterlassend. Blachford hörte zertrümmerte Spieren außenbords gegen die Seite prallen, dann plötzliche Schreie aus dem Zimmermannsgang. Die dort eingeschlossenen Männer tasteten in der Dunkelheit nach einem Ausweg.

Minchin, den Nachhall der Detonation noch im Ohr, raffte sich vom Boden auf. Einige Ratten rannten an den Toten vorbei hinaus. Er schüttelte den Kopf und versuchte klar zu denken. Als er an Blachford vorbeistolperte, fragte der:»Wohin wollen Sie?»

«In mein Krankenrevier. Alles, was mir in dieser verdammten Welt gehört, ist dort.»

«Um Himmels willen, sagen Sie mir, was los ist, Mann!»

Minchin stützte sich ab, als das Deck erneut ins Zittern geriet. Das Pumpen hatten schließlich aufgehört. Er schrie wütend:»Wir sinken! Aber ich bleibe nicht hier unten und ersaufe!»

Blachford schaute sich um. Falls ich dies überlebe. Dann riß er sich zusammen.»Seht zu, daß wir die Verwundeten an Deck schaffen.»

Die Gehilfen nickten, aber ihre Augen wanderten zum Aufstieg. Hyperion sank! Ihr Leben, ihr Schiff, ihr Zuhause. Das konnte doch nicht wahr sein! Schuhe klapperten auf der Leiter. Dacie, der einäugige Bootsmannsgehilfe, spähte zu ihnen herunter.

«Kommen Sie bitte herauf, Sir Piers. Das Deck ist ein blutiges Trümmerfeld.»

«Und was wird aus den Verwundeten hier?»

Dacie packte das Geländer und rieb sich sein verbliebenes Auge. Er wollte laufen, weglaufen, immer weiter laufen. Aber sein ganzes Leben lang hatte man ihn gedrillt zu bleiben und zu gehorchen.

«Ich sage es weiter, Sir Piers. «Weg war er.

Blachford nahm seine Tasche und eilte zur Leiter. Nach den ersten Stufen fühlte er den Unterschied in der Schräglage. Zum erstenmal beschlich ihn Furcht.

Jetzt begriff er auch Minchins Zorn.

Sie sanken.

Leutnant Stephen Jenour hielt Bolithos Arm fest, auch nachdem er ihn vom Deck hochgezogen hatte. Vor Schreck und Erleichterung war er unfähig, sich zusammenhängend auszudrücken.»Gott sei Dank, o Gott sei Dank!»

Bolitho sagte:»Nehmen Sie sich zusammen, Stephen. «Sein Blick glitt über das Achterdeck und dann nach vorn; er erfaßte das furchtbare Ausmaß der Zerstörung. Kein Wunder, daß Jenour dem völligen Zusammenbruch nahe war. Wahrscheinlich hatte er sich eingebildet, er wäre der einzige Überlebende hier oben.

Das Schiff machte den Eindruck, als hätte man es abgetakelt und entblößt, damit keiner seiner Schäden verborgen blieb. Der Kreuzmast war dahin, die Vormaststenge wie von einer Riesenaxt abgehackt. Die großen Spieren trieben mit anderen Wrackteilen längsseits: Rahen, Tauwerk und Menschen. Letztere hingen in den Trümmern der Takelage wie sterbende Fische.

Jenour keuchte:»Der Erste Leutnant, Sir Richard!«Er versuchte hinzudeuten, aber seine Hand zitterte dermaßen, daß er beinahe fiel.

Bolitho vergaß seine eigenen Sorgen, als er über die zersplitterte Treppe aufs Batteriedeck hinuntereilte. Die umgekippten Geschütze waren verlassen, die Männer tot oder verwundet um sie herum verstreut. Oder sie krochen blindlings zum nächsten Niedergang, um sich zu verstecken. Parris lag unter einem Achtzehnpfünder. Seine Augen starrten in den Himmel, bis er Bolitho sah.

Bolitho kniete sich neben ihn. Zu Jenour sagte er:»Schickt nach dem Chirurgen. «Er hielt ihn am Rock fest.»Und, Stephen, gehen — nicht rennen! Denken Sie daran, die Überlebenden setzen all ihr Vertrauen in uns.»

Parris hob die Hand, um ihn zu berühren. Durch die Zähne stöhnte er:»Gott, war das schlimm. «Er versuchte, die Schultern zu bewegen.»Was ist mit der San Mateo?»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Sie ist fort. Es hatte für sie keinen Sinn, den Kampf hiernach fortzusetzen.»

Parris seufzte tief.»Ein Sieg also. «Dann sah er Bolitho flehend an.»Mein Gesicht — ist es noch heil, Sir?»

Bolitho beruhigte ihn.»Es hat nicht einen Kratzer.»

Parris schien etwas beruhigt.»Aber ich habe kein Gefühl in den Beinen.»

Bolitho musterte das umgefallene Geschütz. Das Rohr war, noch heiß vom Schießen, über Parris gestürzt, doch er fühlte nichts. Auf der anderen Seite waren seine Schuhe zu sehen. Beide Beine mußten zerschmettert sein.

«Ich bleibe bei Ihnen, bis Hilfe kommt. «Er warf einen Blick über das Trümmerfeld ringsum. Nur der Vormast stand noch, die Vizeadmiralsflagge knatterte lustig über den zerfetzten Segeln.

Wieder zitterte das Deck. Die Pumpen waren verstummt, wahrscheinlich verstopft oder beschädigt. Er mußte der Wahrheit ins Auge sehen: Hyperion lag im Sterben, während er hier wartete. Er schaute zu dem toten Fähnrich Mirrielees hinüber, dessen Körper vom Achterdeck hier herunter geschleudert worden war. Nur sechzehn Jahre alt. Ich war just so alt wie er, dachte Bolitho, als Hyperions Kiel zum erstenmal Salzwasser geschmeckt hat.

Er hörte Stimmen und Getrampel und sah Seeleute vom längsseit liegenden spanischen Zweidecker zurückkommen. Unter ihnen befand sich auch Keen, der einen Arm um Tojohns Schultern gelegt hatte und mit einem verbundenen Bein eilig auf ihn zuhinkte.

«Ich bin dort drüben ein dutzendmal gestorben, Sir Richard. Ich. Ich dachte, Sie wären der Breitseite zum Opfer gefallen. «Er gewahrte Parris.»Wir sollten ihn wegbringen.»

Bolitho nahm ihn beim Arm.»Sie wissen Bescheid, Val, nicht wahr?»

Keen erwiderte:»Ja, ich weiß. Hyperion sinkt, und wir können nichts dagegen tun. «Vor Bolithos Kummer wandte er die Augen ab.»Auch wenn wir die Kanonen über Bord werfen und das Schiff leichter machen, nützt das nichts mehr. Die Zeit arbeitet gegen uns.»

Parris stöhnte.

Bolitho, der bisher noch keinen Blick auf ihre spanische Prise geworfen hatte, fragte:»Ist uns der Spanier sicher?»

«Ja. Es ist die Asturias, achtzig Geschütze. Sie hat im Gefecht viel abbekommen wie die anderen auch, aber sie ist noch ganz nützlich zum Übermitteln von Signalen.»

Bolitho pochte der Kopf, die Ohren schmerzten ihn noch von der furchtbaren Breitseite.»Signalisiert an Benbow, die Prisen zu sichern und dem Feind mit allen noch seetüchtigen Schiffen zu folgen. Die Dons werden sicherlich den nächsten spanischen Hafen anlaufen — «, er starrte auf die blutigen Decks,»- und Freund und Feind sich selbst überlassen.»

Keen stützte sich fester auf seinen Bootssteurer.»Komm, Tojohns! Wir wollen die Überlebenden mustern.»

Bolitho wandte sich an Jenour.»Gehen Sie nach unten und übernehmen Sie die Gruppe des Bootsmanns. Schaffen Sie das?»

Jenour nickte und deutete auf Parris.»Und was wird mit ihm, Sir Richard?»

«Ich bleibe hier und warte auf den Chirurgen. «Er senkte die Stimme.»Ich fürchte, er wird ihm beide Beine abnehmen müssen.»

Parris murmelte:»Tut mir leid, Sir Richard. «Keuchend holte er Luft, als ihn eine Welle des Schmerzes durchlief.»Ich hätte früher zu Ihnen kommen sollen, als ich von Ihren Sorgen in London erfuhr. Ich hätte helfen können.»

Was redete er da? Bolitho beugte sich über ihn und ergriff seine Hand. Aber waren es wirklich nur die wirren Worte eines Sterbenden?

Parris fuhr etwas kräftiger fort:»Ich hätte es offenbaren müssen. Aber ich wollte unbedingt ein neues Kommando, weil der Verlust meines ersten so sehr schmerzte.»

Vom Nachbarschiff kletterten noch mehr Leute herüber; Penhaligon, der Segelmeister, und seine Gehilfen traten aus der zerschlagenen Poop. Sie trugen den Chronometer der Hyperion, den gleichen, der ihr in all den Jahren gedient hatte. Nur mit halbem Ohr lauschte Bolitho Parris' Gestammel, er dachte vor allem an dieses Schiff, das er besser gekannt hatte als alle anderen. Hyperion hatte drei Admirale getragen, fünfzehn Kommandanten und Tausende von Seeleuten. Abgesehen von ihrer Zeit als Hulk, hatte sie keinen größeren Feldzug ausgelassen.

Parris sagte:»Somervell wurde mir sehr lieb und teuer. Ich kämpfte dagegen an, aber es war vergeblich.»

Bolitho sah ihn verständnislos an. Zunächst begriff er nicht, was Parris meinte.»Sie und Somervell — heißt das, Sie beide. «Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag, und er war entsetzt über seine bisherige Blindheit. Da war Catherines Abneigung gegen Parris gewesen — nicht etwa, weil er ein heilloser Schürzenjäger war, wie Haven geglaubt hatte, sondern im Gegenteil: wegen seiner Affäre mit ihrem Ehemann. >Es gab keine Liebe zwischen uns.< Er hörte fast noch ihre Worte. Deswegen mußte Parris auch sein erstes Kommando verlo ren haben, aber dieser Aspekt war von einer höheren Stelle, die keinen Skandal wünschte, unterdrückt worden.

Parris sah ihn traurig an.»Ja, wir beide. Ich wollte es Ihnen beichten, wenigstens Ihnen. Wegen allem, was Sie für mich und für dieses Schiff getan haben. Und weil Sie wegen meiner Torheit soviel zu erdulden hatten.»

Bolitho hätte mit Zorn und Widerwillen reagieren müssen. Aber er gehörte seit seinem zwölften Lebensjahr der Navy an, und was er in dieser Zeit nicht gesehen hatte, das gab es nicht. Daher meinte er nur gelassen:»Gut, nun haben Sie's mir ja erzählt. «Beruhigend berührte er Parris' Schulter.»Ich spreche gleich mit dem Chirurgen.»

Das Deck erzitterte abermals. Zerbrochene Blöcke und fortgeworfene Handwaffen rollten klappernd das Seitendeck hinunter. Endlich kam Blachford an Deck, das Gesicht so weiß wie ein Laken. Bolitho konnte sich vorstellen, wie es im Orlop für ihn gewesen sein mußte.

«Können Sie hier an Deck operieren?»

Blachford nickte.»Hiernach kann mich nichts mehr schrecken.»

Keen hinkte herbei und meldete: «Benbow hat bestätigt, Sir Richard. Konteradmiral Herricks wünscht alles Gute und bietet Ihnen jegliche Hilfe an.»

Bolitho winkte ab.»Nicht nötig, vielen Dank. «Hauptsache, Thomas war am Leben und unverletzt.

Keen sah, daß sich Blachford über seine Tasche beugte. Es hätte jeden von uns erwischen können, dachte er, oder alle zusammen.

Schnell sagte er, damit Parris es noch hörte:»Sechs Spanier haben die Flagge gestrichen, einschließlich der Intrepido, die als letzte vor Tybalt kapitulierte.»

Es gab einen Knall. Einer der Festmacher brach, mit denen beide Schiffe zusammengelascht waren, und Keen bemerkte besorgt:»Sie zieht schon zu sehr an der Asturias, Sir Richard.»

Der sah sich um.»Ich weiß. Wo ist Allday?»

Ein Seemann antwortete im Vorbeigehen:»Unten, Sir Richard.»

Bolitho nickte.»Kann mir schon denken, warum.»

Blachford verkündete:»Ich bin soweit.»

In diesem Augenblick knallte es nochmals laut, doch diesmal war es ein Pistolenschuß. Bolitho und die anderen fuhren herum und starrten auf Parris nieder, dessen Arm an Deck fiel. Er hatte die rauchende Pistole noch in der Hand.

Blachford schloß seine Tasche wieder.»Vielleicht war es die bessere Lösung, besser als meine. Für solch einen mutigen jungen Mann wäre das Leben als Krüppel unerträglich gewesen.»

Bolitho nahm den Hut ab und schritt zur Achterdeckstreppe.

«Laßt ihn an Bord. Er ist hier in guter Gesellschaft.»

Rotröcke tummelten sich an Deck. Major Adams, ohne Kopfbedeckung, aber anscheinend unversehrt, bellte seine Befehle. Bolitho sagte:»Die Verwundeten zuerst, Major. Alles hinüber auf den Spanier, danach. «Er sprach nicht weiter.

Statt dessen drehte er sich um und sah die Benbow, begleitet von der Capricious, auf ihrer freien Seite passieren. Jetzt jubelten sie nicht, denn der Anblick der sterbenden Hyperion verschloß ihnen wohl den Mund. War es Einbildung, oder lagen die muskulösen Schultern ihrer Galionsfigur schon tiefer überm Wasser? Bolitho starrte nach vorn, bis sein verletztes Auge pochte.

Er konnte an nichts anderes mehr denken. Hyperion steckte die Nase weg und ging langsam unter. Sie konnten nicht einmal mehr ankern, denn die See war hier bodenlos tief. Und wie hätten sie ihre Position markieren sollen?

Männer arbeiteten geschäftig um ihn herum, aber wie bei seiner

Flaggenhissung erkannte er ihre Gesichter nicht. Er tastete nach dem Fächer in seiner Tasche. Wenigstens sie war noch bei ihm.

Dann erblickte er Rimer, den durchtriebenen Meistersgehilfen, der ihn beim Handstreich auf das Schatzschiff begleitet hatte. Mit glasigen Augen lehnte er unbeweglich an einem Poller, so wie ihn die Kugel getroffen hatte. Korporal Loggie lag mit ausgebreiteten Armen über einem toten Seesoldaten, den er in Sicherheit hatte bringen wollen, als auch ihn ein Scharfschütze traf. Die ersten Verwundeten wurden durch eine Ladeluke an Deck gehievt. Einige schrien, als ihre Wunden dabei aufbrachen, doch die meisten stierten nur wie der tote Rimer vor sich hin. Sie hatten nicht erwartet, jemals das Tageslicht wiederzusehen.

Auch Allday tauchte auf und brachte Ozzard mit.»Er hockte noch im Laderaum, Sir Richard. «Und mit einem gezwungenen Grinsen:»Wußte wohl nicht, daß das Gefecht vorbei war. «Was er nicht erzählte: Er hatte Ozzard auf der Leiter sitzend vorgefunden, Bolithos Degen an die Brust gedrückt und in das schwarze Wasser starrend, das ihm im Widerschein der letzten Laterne langsam entgegenstieg. Ozzard hatte sich nicht retten wollen.

Bolitho legte dem kleinen Mann die Hand auf die Schulter.»Ich bin sehr froh, dich zu sehen.»

Ozzard entgegnete wie betäubt:»Aber alle Möbel. Und das Weinschränkchen von Ihrer Ladyschaft. «Er seufzte.»Alles verloren.»

Keen kam wieder.»Bedaure, wenn ich Sie belästigen muß, Sir Richard, aber.»

«Ich verstehe, Val. Tun Sie nur weiter Ihre Arbeit, ich kümmere mich um das Schiff. «Keen schluckte seinen Protest herunter, als Bolitho fortfuhr:»Schließlich kenne ich es besser als ihr alle.»

Da trat Keen zurück und zeigte auf die Festmacheleinen zum Spanier, die sich unter dem Gewicht der sinkenden Hyperion bis zum Brechen strafften.»Aber die Zeit wird knapp.»

«Ich weiß. Fiert die Leinen. «Und wie zu sich selbst:»Ich habe noch nie ein Schiff verloren.»

Minchin näherte sich mit einem seiner Gehilfen. Beider Kleidung war dunkel von Blut, und jeder trug eine Tasche. Der Arzt sagte:»Bitte um Erlaubnis, das Schiff mit den Verwundeten verlassen zu dürfen, Sir Richard.»

«Erlaubnis erteilt. Und vielen Dank.»

Minchin rang seinem verwüsteten Gesicht ein Grinsen ab.»Selbst die Ratten haben sich davongemacht.»

Bolitho wandte sich an Ozzard:»Geh mit den anderen.»

Ozzard drückte den Degen an sich.»Nein, Sir Richard, ich bleibe noch.»

Bolitho war einverstanden.»Dann aber hier, an Deck. «Er sah Allday an.»Kommst du mit?»

Der betrachtete ihn verzweifelt. Mußte Bolitho wirklich dort hinunter? Doch laut erwiderte er:»Habe ich Sie jemals alleingelassen?»

Sie begaben sich nach achtern und stiegen durch den ersten Niedergang ins untere Batteriedeck. Viele Stückpforten waren noch verriegelt, doch die meisten an Backbord hatte die Detonation aufgedrückt und die Kanonen aus ihren Laschings gerissen. Hier gab es nur wenige Tote, denn Keen hatte das Deck beim Sturm auf den Spanier entvölkert. Aber einige lagen so da, als ob sie des rauchigen Lichts wegen die Vorbeigehenden aus zusammengekniffenen Augen betrachteten. Darunter ein halber Mann, von einer Kugel glatt entzweigerissen, als er mit dem Schwamm zu seinem Geschütz rannte. Überall war Blut. Obwohl die Wände stets vorsorglich rot gestrichen wurden, hob es sich deutlich ab. Leutnant Priddie, zweiter Vorgesetzter im unteren Batteriedeck, lag auf dem Gesicht, sein Rücken war von langen Holzsplittern durchbohrt, welche die Kugeln aus den Planken gefetzt hatten. Seine Faust hielt noch den Degen.

Über eine weitere Leiter ging es hinunter ins Orlop, wo sich Bolitho unter den niedrigen Balken ducken mußte. Hier brannten noch ein oder zwei Laternen. Die Toten waren aufgereiht und mit Segeltuch bedeckt. Andere lagen noch um den blutigen Tisch herum, so wie sie gestorben waren, während sie warteten.

Sie hörten beide, daß oben ein schwerer Gegenstand zu Boden fiel und wie lebendig über die zernarbten Planken rollte. Allday flüsterte:»Barmherziger!»

Bolitho sah ihn an. Es mußte eine Zweiunddreißigerkugel sein, die aus ihrem Kranz gesprungen war und nun zielstrebig dem Bug entgegentrudelte.

Sie blieben an der letzten Ladeluke stehen, und Allday nahm den Bezug ab. Dies war eine der Luken, in denen Ozzard immer Wache hielt, wenn das Schiff im Gefecht stand. Bolitho kniete nieder, während Allday neben ihm die Laterne senkte. Sie hatten erwartet, Wasser zwischen den Fässern, Kisten und Möbeln glitzern zu sehen. Aber es war schon alles überflutet. Fässer schwammen auf der dunklen Brühe, die einen Seesoldaten umplätscherte, der sterbend die Leiter umklammert hatte: ein Posten aufwache gegen entsetzte Menschen, die vor der Schlacht hier hinunter fliehen wollten. Vielleicht hatte sogar einer von diesen ihn umgebracht.

Das Deck ruckte abermals, und Bolitho hörte schwere Trümmer im Zimmermannsgang poltern, wo Männer wie in einer Rattenfalle ertrunken waren.

Das Orlop und all die anderen Verschlage und Magazine hier unten waren seit dreiunddreißig Jahren in völliger Dunkelheit geblieben. Als man das alte Schiff nach hastiger Überholung wieder in Dienst stellte, hatte die Werft hier höchstwahrscheinlich einiges übersehen. Ungesehen und unentdeckt fraß die Fäule, der Schwamm, an Planken und Spanten bis hinunter zum Kielschwein. Das Bombardement durch die San Mateo hatte ihr nur den Gnadenstoß versetzt.

Bolitho ließ Allday die Luke schließen und bahnte sich den Weg nach oben.

Viele Erinnerungen würden mit diesem Schiff untergehen: an Adam als Fähnrich, an Cheney, die er hier geliebt hatte. So viele Namen und Gesichter. Einige von ihnen waren jetzt dort draußen in dem angeschlagenen Geschwader und sicherten die Prisen nach ihrem Sieg. Vielleicht beobachteten sie jetzt die sinkende

Hyperion und erinnerten sich, welch stolzes Schiff sie einst gewesen war. Während die Jungen wie Fähnrich Springett… Er fluchte und hielt sich die Hand vor Augen. Nein, auch er war tot wie so viele andere, an die er sich nicht mehr erinnern konnte.

Allday murmelte:»Ich glaube, wir sollten lieber.»

Das Schiff schüttelte sich. Bolitho meinte, jetzt auch schon im Orlop glitzerndes Wasser zu sehen. Es sickerte durch die Decksplanken und würde bald das Blut von Minchins Behelfstisch schwemmen.

Sie kletterten ein Deck höher und sprangen zur Seite, als ein großer Zweiunddreißigpfünder lebendig wurde und wie von unsichtbaren Händen gestoßen seine Stückpforte rammte. Laden! Ausrennen! Feuern! Bolitho konnte beinahe die den Schlachtenlärm übertönenden Befehle hören.

Auf dem Achterdeck warteten Keen und Jenour. Der Kommandant meldete sachlich:»Schiff ist geräumt, Sir Richard. «Er hob den Blick. Im nachmittäglichen Sonnenschein hing dort noch Bolithos Flagge.»Soll ich sie niederholen lassen?»

Bolitho trat an die Reling und packte das Holz, wie er es viele Male als Kommandant getan hatte und dann als Admiral.»Nein, Val. Das Schiff hat unter meiner Flagge gekämpft, es soll mit ihr untergehen.»

Er blickte zur spanischen Asturias hinüber. Sie schien nun viel höher aus dem Wasser zu ragen. Jetzt konnte er mehr von ihren Schäden sehen, von den Wunden, welche die Breitseiten der Hyperion geris sen hatten.

Dann wandte er sich wieder dem Batteriedeck und seinen Gefallenen zu. Sie hatten den Feind erfolgreich abgewehrt und zerstreut. Auch Parris mit der Pistole, die er als letzten Ausweg gewählt hatte. Wenn man die treibenden Schiffe und die verlassenen Leichen betrachtete, wurde es ein fraglicher Sieg.

Bolitho flüsterte:»Mein Schiff…«Er sprach, als wäre er allein.»Wieder eine Hulk, aber diesmal in Ehren!«Dann stieß er sich von der Reling ab.»Ich bin soweit.»

Es dauerte noch eine ganze Stunde, ehe Hyperion untertauchte.

Sie sank langsam über den Bug. Bolitho, der auf dem Achterdeck des Spaniers stand, hörte das Wasser gierig in die Pforten laufen und Trümmer mit sich reißen, um dem Schiff den Rest zu geben. Selbst die spanischen Gefangenen, die sich am Schanzkleid versammelt hatten und zusahen, waren merkwürdig still.

Hängematten lösten sich aus ihren Netzen und schwammen auf. Beim Ruderrad drehte sich ein Leichnam auf den Rücken, als ob er sich nur totgestellt hätte.

Bolitho merkte, daß er seinen Degengriff fest gegen den Fächer in seiner Tasche preßte.

Soviel verschwand mit der Hyperion. Ihm stockte der Atem, als die See unaufhaltsam dem Achterdeck entgegenrollte, bis nur noch die Poop, das Podest des Wachhabenden, und vorn die Mastspitze mit seiner Flagge herausragten.

Ihm fielen die Worte des gefallenen Naylor ein: Hyperion machte den Weg für die anderen frei, wie sie es immer getan hatte.

Laut sagte er:»Es gibt keine bessere als dich, old Lady!»

Im nächsten Augenblick war sie verschwunden. Nur Schaum und Treibgut blieben zurück, als sie kopfüber ihre letzte Reise zum Meeresgrund antrat.

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