»DieWächterhaben die Männer angegriffen?«, vergewisserte sich Mike. »Du meinst diese ... Haifischwesen?«

»Sie packen sie und zerren sie in die Tiefe«, bestätigte Ben. »Niemand ist je wieder aufgetaucht.«

Nicht sehr weit entfernt krachte ein Felsbrocken von der Größe eines kleinen Hauses zu Boden und ließ die gesamte Höhle erbeben. Es hätte des bösen Blickes, den Sarn ihnen zuwarf, gar nicht mehr bedurft, um ihn nun endgültig zur Eile anzuspornen.

Der Weg nach oben erwies sich als weit mühseliger und schwieriger, als Mike erwartet hatte. Er hatte halbwegs damit gerechnet, von Argos’ Kriegern verfolgt zu werden oder dass sie sich gar den Weg freikämpfen mussten. Von den Kriegern des lemurischen Herrschers zeigte sich jedoch keine Spur. Vermutlich hatten sie Hals über Kopf die Flucht ergriffen, als der Boden zu schwanken begonnen hatte.

Trotzdem wurde der Rückweg zu einem lebensgefährlichen Abenteuer. Der Weg, den sie gekommen waren, war unpassierbar geworden und auch der offizielle Abstieg in die Eisengruben hinab war zum Teil verschüttet, sodass sie zu mühseligen und kräftezehrenden Klettereien gezwungen wurden. Noch immer lösten sich Steine von der Decke oder den Wänden und ein weiterer Mann trug eine schwere Verletzung davon. Sie hatten eine halbe Stunde für den Weg nach unten gebraucht; für den Rückweg benötigten sie annähernd die vierfache Zeit. Nicht nur

Mike war vollkommen erschöpft, als sie endlich wieder aus dem

Berg herauskamen.

Auch hier zeigte sich keine Spur von den Kriegern, die die Sklaven bewacht hatten; ebenso wenig wie von den Sklaven selbst und den wenigen bezahlten Arbeitern, die in der Mine gewesen waren. Von Sarn wusste er, dass in dem Bergwerk mehrere hundert Männer in den Eisengruben lebten und arbeiteten, aber der Platz vor dem Einstieg und auch der nahe Waldrand waren vollkommen leer. Auf dem Weg nach oben hatten sie einige Tote gefunden und eine große Anzahl weggeworfener Werkzeuge und unterschiedlicher Ausrüstungsgegenstände. Es wäre normal gewesen, den Platz vor dem Eingang vollerFlüchtlinge und Überlebender vorzufinden, aber er wirkte wie ausgestorben; nur hier und da lagen einige Felsen herum oder ein in aller Hast fortgeworfenes Werkzeug, eine Waffe.

Als er sich einige Schritte vom Eingang entfernte und herumdrehte, verstand er schlagartig, warum.

Der gesamte Berg war geborsten. Ein gut mannsbreiter, gezackter Riss hatte die Felswand vom Boden bis zur Grenze des Sichtbaren hinauf gespalten. Hier und da lief Wasser aus diesem Riss und noch immer regneten Steine vom Himmel, wenn auch weit entfernt, sodass sie im Moment nicht in Gefahr waren. Aber er konnte gut verstehen, dass keine lebende Seele in der Nähe war. Jedermann, der gesehen hatte, wie dieser ganze gewaltige Berg auseinander barst, musste in heller Panik geflohen sein.

Als Mike sich jedoch weiter umsah, fragte er sich erschrocken, wohin eigentlich.

Die Katastrophe hatte sich nicht nur auf den Berg beschränkt. Sie waren so weit von der Stadt entfernt, wie es hier unten überhaupt möglich war, sodass er sie nur als verschwommenen Schatten erkennen konnte. Trotzdem waren die Schäden, die die Stadt davongetragen hatte, deutlich zu erkennen. Einige der schlanken Türme waren verschwunden und über der gesamten Stadt schien eine Art feiner Dunst zu schweben, der aus der Nähe betrachtet wahrscheinlich aus nichts anderem als dem Rauch der zusammengestürzten Gebäude bestand.

»Großer Gott!«, murmelte Mike.

»Ich weiß zwar nicht, was dieses Wort bedeutet«, sagte Sarn neben ihm, »aber ich glaube, ich ahne es. Es ist furchtbar.«

Mike sah instinktiv nach oben. Die Kuppel war diesmal an vier Stellen geborsten. Große, dunstige Fahnen aus Meerwasser wehten herein und lösten sich auf, bevor sie den Boden berührten. Er sah auch, dass sich die Risse bereits wieder zu schließen begannen – aber wie oft noch? Diese Kuppel mochte ein Wunderwerk atlantischer Technik sein, aber letzten Endes war auch ihrer Belastbarkeit Grenzen gesetzt.

»Es wird schlimmer«, murmelte er. »Was, wenn ihr nicht mehr so viel Zeit habt, wie du bisher geglaubt hast?«

»Dann soll es wohl so sein«, sagte Sarn leise. Er gab sich einen sichtbaren Ruck und fuhr in verändertem Ton fort: »Aber keine Angst. Du und deine Freunde, ihr werdet nicht mehr hier sein, wenn es so weit ist. Wenn wir sofort losmarschieren, können wir Lemura noch vor der nächsten Schlafenszeit erreichen. Der Moment ist günstig. In der Stadt

herrscht mit Sicherheit Chaos. Niemand wird nach uns suchen.«

Mike war verwirrt. Wie konnte Sarn in einem Moment wie diesemdarandenken?

»Du musst das nicht tun«, sagte er. »Singh und ich können die anderen auch allein in die Stadt bringen. Singh weiß, wo die NAUTILUS liegt.«

»Ihr kämt nie an den Wachen vorbei«, widersprach Sarn. »Und wenn es dich beruhigt – die meisten von uns haben Freunde und Verwandte in der Stadt. Wir haben also ohnehin denselben Weg.«

Sie rasteten eine halbe Stunde, um wieder zu Kräften zu kommen und die Verwundeten so weit zu versorgen, dass sie aus eigener Kraft weitergehen konnten, dann brachen sie auf. Die Erde bebte in dieser Zeit ununterbrochen, aber die Risse in Lemuras künstlichem Himmel schlossen sich auch wieder. Mike versuchte ein paar Mal mit Ben, Chris und Juan ins Gespräch zu kommen, gab aber schließlich auf. Auch Astaroth zeigte sich ungewohnt schweigsam und verschwand schließlich ganz; vermutlich, um sich irgendwo im Wald einen Leckerbissen zu erjagen.

Sie marschierten zwei, drei Stunden, ehe sie eine weitere Rast einlegen mussten, und als sie eine gewisse Höhe erreicht hatten und die unterste Ebene Lemuras zur Gänze überblicken konnten, erwartete Mike der nächste Schock: Unter ihnen war eine Anzahl neuer Seen entstanden. Die Korallengruben, in denen er selbst so lange gearbeitet hatte, hatten sich mit eingedrungenem Meerwasser gefüllt. Was Sarn offensichtlich immer noch nicht wahrhaben wollte, war nun nicht mehr zu leugnen: Lemura starb. Und nicht langsam, in Jahrhunderten, wie sie noch am Morgen geglaubt hatten, sondern ungleich schneller. Vielleicht blieben der Stadt auf dem Meeresgrund nur noch wenige Tage.

Lemura kam allmählich in Sicht, und je mehr sie sich der Stadt näherten, desto deutlicher wurden die Spuren der Zerstörung, die das Beben angerichtet hatte. Die meisten Häuser und Gehöfte, an denen sie vorüberkamen, waren beschädigt oder vollkommen zerstört und sie sahen viele Verletzte. Allen Menschen, denen sie begegneten, stand die Angst in die Gesichter geschrieben.

Wie Sarn gesagt hatte, erreichten sie die Stadt kurz vor Anbruch der Schlafenszeit, die in Lemura die Stelle der Nacht einnahm. Und er hatte auch in einem zweiten Punkt Recht: Lemuras Tore standen weit offen und waren unbewacht und niemand nahm von der kleinen Gruppe auch nur die geringste Notiz.

Sarn hatte gesagt, dass er sie zu einem sicheren Ort bringen würde, wo sie ausruhen und sich auf den letzten, gefährlichsten Teil ihrer Flucht vorbereiten konnten. Mike war zutiefst erschüttert, als sie durch die zerstörte Stadt gingen. Er hatte Schlimmes erwartet, aber die Wirklichkeit übertraf seine Befürchtungen bei weitem.

Buchstäblich kein einziges Gebäude war unbeschädigt geblieben. Die meisten größeren Häuser und Türme waren ganz zusammengebrochen, die Fassaden der anderen Häuser von Rissen durchzogen. Ganze Mauerteile waren auf die Straße gestürzt, Dächer eingesunken. Zahlreiche Bewohner der Stadt

trugen Verbände und er sah mehr als einen Karren, auf denen in Tücher gehüllte Leichname fortgebracht wurden.

»Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte Singh, der neben ihm ging. »Mir geht es genauso, glaub mir. Aber wir können nichts für diese Leute hier tun.«

Wahrscheinlich stimmt das auch, dachte Mike niedergeschlagen. Selbst wenn es Argos und seine Krieger nicht gegeben hätte, hätten sie den Menschen hier nicht helfen können. Die NAUTILUS war einfach zuklein,um Tausende und Abertausende von Flüchtlingen in Sicherheit zu bringen.

Trotzdem sträubte sich alles in ihm dagegen, einfach so aufzugeben. Und er verstand auch nicht wirklich, wieso Singh es tat. Gerade der Inder, der vor noch gar nicht allzu langer Zeit Leibeigener und Sklave gewesen war, sollte eigentlich anders denken. Mike hatte mehr als einmal erlebt, dass Singh selbst in vermeintlich aussichtslosen Situationen nicht aufgab.

Auch das Haus, in das Sarn sie brachte, war wenig mehr als eine Ruine. Das Dach war eingestürzt und die komplette Straßenfront einfach verschwunden, sodass das gesamte Gebäude wie eine zu groß geratene, allerdings sehr unordentliche Puppenstube aussah. Sarn führte sie durch das verwüstete Innere des Gebäudes bis zu einer Treppe, die in einen Kellerraum hinabführte. Eine einzelne, stark rußende Fackel verbreitete mehr Schatten als Licht, und Mike rechnete eigentlich damit, dass sie nun weitergingen, um sich irgendwo in dem unterirdischen Labyrinth unter Lemura zu verbergen. Sarn deutete jedoch nur auf den Boden und murmelte müde, dass sie es sich bequem machen sollten. Er war der Einzige, der sich nicht unverzüglich auf dem harten Boden ausstreckte. »Willst du nicht schlafen?«, erkundigte sich Mike. »Du musst doch hundemüde sein.«

»Das bin ich«, bestätigte Sarn. »Aber ich muss weiter. Wir haben nicht viel Zeit. Im Moment herrscht überall Chaos. Die Wachen werden unaufmerksam sein. Aber das bleibt bestimmt nicht lange so. Ich werde gehen und nachsehen, ob der Weg noch frei ist, den ich kenne. Ich fürchte, dass auch hier unten viele Gänge eingestürzt sind.« Er wiederholte seine deutende Geste, obwohl sich Mike längst auf dem nackten Boden ausgestreckt hatte. »Schlaf. Viel Zeit ist nicht. Ich bin in ein paar Stunden zurück und dann müssen wir vielleicht sofort aufbrechen.«

Er ging. Mike sah ihm nach, bis er im Halbdunkel des Kellers verschwunden war. Etwas polterte, dann hörte er ein Knarren wie von einem uralten, rostigen Scharnier.

»Ich möchte wissen, wohin er geht«, murmelte Singh neben ihm.

Mike drehte den Kopf und sah den Inder an. Singh hatte sich auf einen Ellbogen aufgerichtet und machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Du traust ihm nicht?«, fragte Mike.

Singh deutete ein Achselzucken an. »Ich glaube, ich traue niemandem mehr«, sagte er geradeheraus. »Es wird wohl eine Weile dauern, bis ich das wieder lerne. Es ist nur ... ich weiß, wo die NAUTILUS liegt. Man braucht keine halbe Stunde. Hin und zurück.«

Mike überlegte angestrengt. Er konnte sich absolut keinen Grund vorstellen, aus dem Sarn sie hintergehen sollte.

Immerhin hatte er sein Leben und das seiner Leute riskiert, um

ihn und seine Freunde zu befreien. Warum also sollte er sie belügen? Mit diesem Gedanken schlief er ein.

Als er erwachte, war Sarn zurück. Mike hatte das Gefühl, so gut wie gar nicht geschlafen zu haben, schien sogar noch müder als zuvor, aber er wurde schlagartig wach, als er Sarn sah, der neben zweien seiner Leute hockte und sich leise mit ihnen unterhielt. Er konnte nicht verstehen, worum es ging, aber Sarns besorgter Gesichtsausdruck sagte genug. Mike wandte den Kopf. Ben, Chris und Juan hatten sich direkt neben ihm zusammengekuschelt und schliefen den tiefen Schlaf der Erschöpfung, aber Singh war bereits wach und sah aufmerksam zu Sarn hinüber.

»Was ist geschehen?«, fragte Mike.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Singh. »Aber irgendetwas scheint nicht zu stimmen.«

Als hätte er ihre Blicke gespürt, sah Sarn in diesem Moment hoch, unterbrach das Gespräch mit seinen Männern und kam zu ihnen herüber. »Weckt eure Freunde«, sagte er. »Wir müssen los.«

»Wieso hast du es plötzlich so eilig?«, fragte Singh misstrauisch.

»Ich habe mit einem der Wachtposten gesprochen«, antwortete Sarn. »Ich kann dem Mann vertrauen. Er hat beunruhigende Neuigkeiten.«

»Welche?«, fragte Singh. Sein Argwohn war jetzt nicht mehr zu überhören.

»Ich weiß auch nichts Genaues«, antwortete Sarn. »Aber seit gestern lässt Argos Lebensmittel und andere Vorräte an Bord eures Schiffes schaffen. Es sieht so aus, als ob sie Lemura verlassen wollen. Mein Vertrauensmann sagt, es wären Vorräte für mindestens zweihundert Passagiere.«

»Zweihundert?«, ächzte Singh. »So viele kann die NAUTILUS niemals aufnehmen!«

»Wenn sie ein bisschen zusammenrücken, schon«, widersprach Mike. »Es wird eng, aber für eine kurze Zeit wäre es möglich.«

»Und es entspricht genau der Anzahl der Edelleute und Privilegierten«, fügte Sarn finster hinzu. »Mein Vertrauensmann sagt, dass die NAUTILUS noch heute auslauten wird. Vielleicht schon in wenigen Stunden.«

»Dann haben wir wirklich keine Zeit zu verlieren«, sagte Singh. Mike starrte ihn fassungslos an. »Wie ... meinst du das?«

Nun war es Singh, der ihn verständnislos anblickte. »Was soll diese Frage? Wir müssen versuchen, an die NAUTILUS zu kommen und damit zu verschwinden. Oder möchtest du vielleicht zur Meeresoberfläche hinaufschwimmen?«

»Und du bist nicht der Meinung, dass wir jemanden vergessen haben?«, fragte Mike. Er verstand Singhs Verhalten immer weniger.

»Wen?«, fragte Sarn.

»Serena«, antwortete Mike. »Ihr habt erzählt, dass sie irgendwo im Palast gefangen gehalten wird. Ich werde Lemura nicht ohne sie verlassen. Und Ben, Chris und Juan auch nicht.«

»Deine Freunde wissen nicht einmal mehr, wer sie ist«, sagte Sarn.

»Aber sie würden sich ganz genau so entscheiden wie ich, wenn sie sich erinnern würden«, beharrte Mike. »Ich diskutiere nicht darüber. Ohne Serena rühre ich mich nicht von der Stelle.«

Sarn wollte widersprechen, aber Singh brachte ihn mit einer schnellen Bewegung zum Schweigen. »Mike hat vollkommen Recht«, sagte er. »Ich hätte selbst daran denken müssen. Es tut mir Leid. Wir müssen Serena finden.«

»Ihr kommt nicht einmal in den Palast hinein«, sagte Sarn überzeugt. »Ich verstehe euch, aber es ist sinnlos, glaubt mir. Wenn Argos euch jetzt gefangen nimmt, dann war alles umsonst.«

»Das Risiko müssen wir eben eingehen«, erwiderte Mike. »Du musst uns nicht begleiten. Sag uns, wo wir Serena finden. Singh und ich gehen allein.«

»Und lasst euch allein gefangen nehmen?« Sarn starrte Singh und ihn abwechselnd finster an. »Drei meiner Männer sind gestorben, damit wir eure Freunde befreien konnten. Soll alles umsonst gewesen sein?«

»Natürlich nicht, Sarn, aber –« »Ihr geht zur NAUTILUS«, unterbrach ihn Sarn.»Ichhole eure Freundin. Wenn es jemand schafft, in den Palast einzudringen, dann ich.«

»Das kann ich nicht verlangen«, sagte Mike.

»Das tust du ja auch nicht«, versetzte Sarn. »Keine Sorge – was wir tun, ist nicht so uneigennützig, wie du meinst. Wenn wir Argos’ Fluchtpläne vereiteln, dann hat es sich gelohnt.« Er hob die Hand, als Mike erneut widersprechen wollte, und fuhr in beinahe schon befehlendem Ton fort: »Meine Leute bringen dich und deine Freunde zu eurem Schiff. Singh und ich holen die Prinzessin.«

Die Vorstellung, Singh und den ehemaligen Krieger allein loszuschicken, gefiel Mike ganz und gar nicht. Auch wenn er den Grund dafür nicht kannte, so war die Feindseligkeit zwischen den beiden doch in den letzten Tagen beständig gewachsen. »Dann nehmt wenigstens Astaroth mit«, sagte Mike. »Er würde nur auffallen«, sagte Singh. »Vergiss nicht, dass niemand hier je ein Tier wie ihn gesehen hat.«

Tier?!meldete sich Astaroth empört zu Wort.

Mike ignorierte ihn. Jetzt war nicht der Moment, mit dem Kater zu diskutieren. Er versuchte es noch ein einziges Mal: »Wenn Serena ihre Erinnerungen genauso verloren hat wie wir alle, dann braucht ihr Astaroth«, sagte er. »Er ist garantiert der Einzige, der mit ihr reden kann.«

Sarn seufzte, sagte aber nichts mehr. Doch auch Singh war von seinem Vorschlag offenbar nicht sehr begeistert. »Sarn hat nicht ganz Unrecht«, sagte er. »Astaroth würde nur auffallen.«

Wenn ich nicht gesehen werden will, dann werde ich nicht gesehen,behauptete Astaroth.Auch von diesen beiden Streithähnen nicht. Also sag doch einfach Ja und Amen und ich kümmere mich um sie.

Wahrscheinlich ist das die einfachste Lösung, dachte Mike. Er sagte nichts mehr, sondern deutete nur ein Achselzucken an und stand auf. Sarn ging noch einmal zu seinen Männern und erteilte ihnen einige halblaute Anweisungen, wobei er achselzuckend auf Mike und Singh deutete, dann verließen er und der Inder den Keller.

Mike beugte sich zu Ben, Chris und Juan hinunter und weckte sie der Reihe nach. Die drei Jungen erwachten schlagartig und sofort war die Angst in ihren Augen wieder da.

»Erschreckt nicht«, sagte Mike zu ihnen. »Aber wir müssen los.«

»Wohin bringt Ihr uns, Herr?«, fragte Ben.

Es war ein sonderbares Gefühl; fast schon unheimlich. Mike hatte plötzlich einen harten Kloß im Hals. Ausgerechnet Ben, mit dem er so oft aneinander geraten war, nannte ihn nunHerrund sah ihn aus Augen an, in denen nichts als Angst und Erschöpfung war. Mike brauchte ein paar Sekunden, bevor er überhaupt antworten konnte.

»An einen sicheren Ort«, antwortete er. »Niemand wird euch dort etwas tun. Aber ihr müsst sehr vorsichtig sein. Bis wir ihn erreichen, dürft ihr mit niemandem reden und müsst genau das tun, was ich euch sage. Habt ihr das verstanden?«

»Ja, Herr«, antwortete Ben. Juan und Chris nickten hastig und wieder verspürte Mike einen raschen, eisigen Schauer. Aber er sagte nichts mehr. Es war wohl die einfachste Lösung, im Moment alles so zu lassen, wie es war.

Sie verließen den Keller auf demselben Weg, auf dem sie gekommen waren. Einer von Sarns Männern, der die Führung übernommen hatte, deutete nach links und sie marschierten im Gänsemarsch los. Mike konnte ein neuerliches Schaudern nicht unterdrücken, als sie sich durch die zerstörten Straßen bewegten. Die Menschen waren noch immer dabei, sich um ihre Verwundeten zu kümmern oder Tote unter den Trümmern auszugraben, aber niemand rührte auch nur einen Finger, um die Folgen des Erdbebens zu beseitigen. Niemand hatte angefangen die Trümmer wegzuschaffen oder die baufälligen Gebäude abzureißen oder wenigstens zu sichern.

»Was ist hier los?« Mike wandte sich an den Mann, der die Führung übernommen hatte. »Wieso tut hier niemand etwas? Warum versucht niemand die Häuser instand zu setzen – oder wenigstens die Trümmer wegzuschaffen?«

»Weil es ihnen niemand befohlen hat«, sagte der Mann in erstauntem Tonfall; als hätte er etwas unwahrscheinlich Naives gefragt. »Niemand tut hier etwas, das ihm nicht ausdrücklich befohlen worden ist.« Das musste Mike erst einmal verarbeiten. Er hatte gewusst, dass Argos und die anderen absolute Herrscher über die unterirdische Stadt und ihre Bewohner waren – aber nicht, dass ihre Herrschaft so weit ging, den Lemurern selbst die selbstverständlichsten Dinge vorschreiben zu müssen.

Als sie sich dem Palast näherten – oder besser dem, was davon übrig war –, nahm die Anzahl der Krieger auf der Straße zu. Sie wurden weder aufgehalten noch angesprochen, aber die Männer beäugten jeden, der sich auf der Straße bewegte, mit misstrauischen Blicken. Schließlich wichen sie vom direkten Weg auf den Palast ab und betraten ein halb zerstörtes Gebäude, das von seinen Bewohnern offensichtlich aufgegeben worden war. Sie mussten erst mit vereinten Kräften die Trümmer beiseite räumen, ehe sie wieder in einen der Mike mittlerweile sattsam bekannten Keller hinabstiegen.

Wieder ging es für eine Weile durch unterirdische Stollen und Gänge, die zum Teil künstlich angelegt, zum Teil natürlichen Ursprungs zu sein schienen. Endlich – nach Stunden, wie es Mike vorkam – hielten sie an und ihr Führer deutete auf eine hastig zusammengezimmerte Leiter, die vor ihnen in die Höhe führte.

»Wir müssen jetzt vorsichtig sein«, sagte er, wobei er instinktiv die Stimme zu einem halblauten Flüstern gesenkt hatte. »Dort oben liegt der Hafen. Sagt nichts und tut nichts, was ich euch nicht sage.«

Er selbst war der Erste, der über die Leiter in die Höhe stieg, dicht gefolgt von Mike. Sie gelangten in einen Kellerraum, dessen Decke zum Teil eingestürzt war, sodass sie in die darüber liegende Halle blicken konnten. Stimmengewirr, die Geräusche heftigen Hantierens und Arbeitens und ein schwacher, aber vertrauter Geruch schlugen Mike entgegen, während er hinter dem Mann über die Schutthalde nach oben stieg.

Der Anblick, der sich ihm bot, verschlug ihm für einen Moment die Sprache. Sie befanden sich in einer großen, sichtlich uralten Lagerhalle, deren Decke und Wände unter einer zentimeterdicken Schicht aus verkrustetem Staub verschwunden waren. Die Lagerhalle unterschied sich in nichts von zahllosen anderen Lagerhallen, die Mike in Hunderten von Häfen überall auf der Welt gesehen hatte; nur dass sich die Halle fünftausend Meter unter dem Meeresspiegel befand und seit mindestens zehntausend Jahren nicht mehr benutzt worden war. Eine Anzahl Männer war damit beschäftigt, Kisten, Ballen, Fässer und Säcke von einem großen Stapel auf der anderen Seite zu holen und in einer langen Kette zum Ausgang zu schleppen. Die Kette setzte sich auch draußen fort und an ihrem Ende, noch einmal hundert Schritte entfernt und am Ende eines langen, gemauerten Steges, lag die NAUTILUS.

Mikes Herz begann zu klopfen, als er die vertrauten Umrisse des Tauchbootes sah. Der Turm mit den beiden riesigen, an starre Augen erinnernden Bullaugen ragte höher als normal aus dem Wasser und der gezackte, stählerne Rückenkamm und die riesige Heckflosse vervollständigten den Eindruck, es eher mit einem gewaltigen Untier als mit einem von Menschenhand geschaffenen Gebilde zu tun zu haben.

Mike spürte, wie auch seine Hände vor Aufregung zu zittern begannen. Der Mann neben ihm schien das wohl zu spüren, denn er warf ihm einen warnenden Blick zu. Mike nickte. Der Mann hatte Recht. Sie durften jetzt keinen Fehler machen. Die NAUTILUS lag scheinbar zum Greifen nahe vor ihm, aber in der Halle befanden sich nicht nur Arbeiter und Sklaven, sondern auch eine große Anzahl Wachen. Er musste sich beherrschen, um nicht im letzten Moment noch alles zunichte zu machen.

Ihr Führer deutete auf den Kistenstapel, dann auf die doppelte Reihe von Sklaven, die sich zur NAUTILUS hin-und wieder zurückbewegten, dann auf das Schiff selbst. Mike nickte wortlos. Wenn es ihnen gelang, sich unbemerkt in die Kette einzureihen, hatten sie eine gute Chance an Bord des Schiffes zu kommen.

Sie warteten einen günstigen Augenblick ab, dann huschten sie aus ihrem Versteck hervor und traten in die Reihe der Männer, die sich dem Kistenstapel mit leeren Händen näherten. Mikes Herz klopfte bis zum Hals. Es erschien ihm unglaublich, dass die Wachen nichts von diesem Manöver bemerkt haben sollten. Er glaubte ihre misstrauischen Blicke fast körperlich zu spüren. Doch selbst als er unmittelbar an einem der Krieger vorbeiging, starrte ihn dieser nur kalt an. Das Glück schien ihnen ausnahmsweise einmal hold zu sein.

Mike ergriff wahllos einen Sack, der viel schwerer aussah, als er war, warf ihn sich über die Schulter und trat in die Reihe, die sich umgekehrt der NAUTILUS näherte.

Mike fielen einige Veränderungen auf, als er das Tauchboot genauer in Augenschein nahm. Etliche Rumpfplatten schimmerten neu und hier und da entdeckte er einen Aufbau oder Mechanismus, der ihm unbekannt war. Singh hatte ihm ja erzählt, dass Argos’ Techniker gewisse Experimente mit der NAUTILUS vorgenommen hatten. Das Schiff war vor zehntausend Jahren gebaut worden, doch die Atlanter hatten offensichtlich ihre hoch entwickelte Technik ihren Nachkommen weitergegeben.

Aber Singh hatte auch noch mehr erzählt. In der ganzen Aufregung der letzten Tage hatte Mike der Bemerkung kaum Bedeutung zugemessen, aber nun erinnerte er sich jäh wieder daran, dass Singh auch gesagt hatte, Argos wäre drauf und dran die NAUTILUS mit seinen Experimenten zu zerstören. Wie hatte er das wohl gemeint?

Mike unterzog das Schiff einer zweiten, noch kritischeren Musterung, während sie langsam über den langen, gemauerten Steg gingen. Etliche der neuen Panzerplatten glänzten dort, wo sie vor Monaten selbst versucht hatten, die Schäden zu beheben, die das Schiff an seiner Havarie davongetragen hatte. Aber längst nicht nur dort. Eines der großen Bullaugen war sichtlich neu und ein fast hausgroßes Stück der Bugpanzerung schien ebenfalls ausgetauscht worden zu sein. Wenn all diese Spuren von ausgebesserten Beschädigungen stammten, so musste die NAUTILUS tatsächlich arg gebeutelt worden sein. Was um alles in der Welt hatte Argos dem Schiff angetan?

Sie erreichten das Ende des Steges und bewegten sich über eine schmale, zitternde Planke auf das Schiff hinauf. Der Zug der Sklaven betrat die NAUTILUS nicht über die Turmluke, sondern durch den Einstieg weiter hinten im Heck, was Sinn machte – dort lagen die großen Lagerräume. Mike wurde immer nervöser, und als er schließlich an der Reihe war, die metallene Wendeltreppe hinabzusteigen, konnte er sich vor Aufregung kaum noch beherrschen.

Im Inneren des Schiffes erwartete ihn die nächste Überraschung. Das Licht war wesentlich heller und angenehmer, als er es in Erinnerung hatte, und von den katastrophalen Schäden, die das eingedrungene Wasser überall angerichtet hatte, war nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil: Alles blitzte und schimmerte, als käme das Schiff gerade von der Werft. Argos’ Ingenieure hatten wirklich ganze Arbeit geleistet.

Der Sack auf seiner Schulter begann zu verrutschen. Mike griff hastig zu und schob ihn wieder in eine sichere Position. Dabei handelte er sich einen zornigen Blick eines der Krieger ein, die auch hier überall standen und die Sklaven beaufsichtigten. Mike sah hastig zu Boden, ging an dem Mann vorbei und wagte es erst wieder aufzublicken, als er hinter der nächsten Ecke angekommen war. Er war ziemlich besorgt. In der NAUTILUS wimmelte es regelrecht von Argos’ Soldaten, Das war etwas, wovon Sarn nichts erzählt hatte. Wenn sie die NAUTILUS kapern wollten, würden sie kämpfen müssen.

Die Reihe der Sklaven näherte sich dem Laderaum und Mike sah sich verstohlen um. Rechts von ihnen befand sich eine Tür, die in eine kleinere, leer stehende Kammer führte. Zwar gab es auch vor ihnen einen weiteren Wächter, aber der Mann schien voll und ganz damit beschäftigt, den Sklaven dabei zuzusehen, wie sie ihre Waren im Inneren des Laderaums verstauten. Wenn er sich herumdrehte und zufällig in ihre Richtung sah, dann war alles verloren. Aber ein gewisses Risiko musste er nun einmal in Kauf nehmen.

Ohne den Wächter auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen, näherte er sich der Tür, nahm all seinen Mut zusammen und trat hindurch. Blitzschnell ließ er seine Last fallen, fuhr herum und zerrte Ben, der unmittelbar hinter ihm in der Reihe gegangen war, zu sich herein, danach Chris und als Letzten Juan. Sarns Männer folgten ihm unaufgefordert. Und das Unglaubliche geschah: Obwohl in der Reihe der Männer, die schwer beladen den Laderaum betraten, auf diese Weise eine deutliche Lücke entstand, sah der Krieger nicht einmal hoch. Offensichtlich nahm er seine Aufsicht nicht allzu ernst, sondern döste mit offenen Augen vor sich hin.

In der kleinen Kammer wurde es fast unerträglich eng, als sich die Männer, noch dazu mit Kisten und Säcken, hineindrängten. Mike warf noch einen letzten sichernden Blick zum Laderaum hinüber, stellte fest, dass der Krieger noch immer

damit beschäftigt war, Löcher in die Luft zu starren, und schloss

lautlos die Tür.

»Die erste Etappe hätten wir geschafft«, flüsterte er erleichtert.

Ben legte den Kopf schräg und sah ihn fragend an. »Herr?«

»Vergiss endlich den Herrn«, antwortete Mike automatisch, was aber nur dazu führte, dass Ben noch verwirrter dreinsah. Plötzlich grinste Mike und fügte hinzu: »Oder nein: Eigentlich klingt das ganz gut. Ich bin dafür, dass du diese Anrede als Einziger beibehältst. Auch später, wenn wir hier heraus sind.«

Natürlich verstand Ben nicht, wovon er überhaupt sprach. Und Mikes Grinsen erlosch genauso schnell wieder, wie es gekommen war. Der Ausdruck vollkommener Verständnislosigkeit auf Bens Gesicht brachte Mike nämlich auf einen neuen, nicht besonders angenehmen Gedanken:

Was, wenn auch Trautman sein Gedächtnis verloren hatte? Mike wusste nicht, ob Singh und er ganz allein in der Lage sein würden, die NAUTILUS zu steuern – zumal Argos’ Techniker in den vergangenen Wochen ja eifrig an dem Schiff herumgebastelt und eine unbekannte Anzahl von Veränderungen daran vorgenommen hatten.

Nachdenklich sah er Sarns Vertrauensmann an, dann fragte er: »Kann ich euch eine Weile allein lassen?«

Der Mann nickte, fragte aber zugleich: »Wo willst du hin?«

Mike machte eine vage Handbewegung zur Decke hinauf. »Es ist jemand an Bord, mit dem ich reden muss. Es ist wichtig.«

»Sie werden dich fangen«, sagte der Mann. »Argos’ Krieger sind sehr misstrauisch. Du solltest sie nicht unterschätzen. Es ist ein kleines Wunder, dass wir bis hierher gekommen sind.«

»Ich weiß«, seufzte Mike. »Aber dann bleibt mir wohl nichts

anderes übrig als auf ein weiteres Wunder zu vertrauen.«

Er bekam es und mehr als nur eines. Nachdem er einen günstigen Augenblick abgewartet hatte, schlüpfte er unbemerkt aus der Kammer und reihte sich wieder in die Schlange ein, die sich ihrer Last entledigt hatte und zurück zur Treppe ging. Mike hatte noch keine Ahnung, wie er dem Wächter dort entgehen sollte, und er vertraute einfach auf seine Intuition und Glück, aber beides erwies sich als nicht notwendig. Als er sich der Treppe näherte, begann der Boden unter seinen Füßen zu zittern, und plötzlich bäumte sich das große Schiff wie unter einem Hammerschlag auf, legte sich auf die linke Seite und dann ruckartig auf die andere. Mike wurde wie alle anderen von den Füßen gerissen, prallte unsanft gegen die Wand und hörte einen Chor gellender Schreie. Einige Männer stürzten kopfüber die Treppe hinunter, andere hatten mehr Glück und konnten sich im letzten Moment am Geländer festklammern und auch hier unten herrschte für Momente das reine Chaos. Offensichtlich wurde Lemura von einem weiteren Seebeben geschüttelt, das auch die NAUTILUS kräftig durchrüttelte. Fast jeder Mann war zu Boden geschleudert worden und der Wächter war gar nicht mehr zu sehen und unter einem Berg von übereinander gestürzten Körpern verschwunden.

Mike nutzte seine Chance sofort. Die NAUTILUS zitterte noch leicht und jedermann, der dazu in der Lage war, klammerte sich in Erwartung einer neuen Erschütterung irgendwo fest. Mike

jedoch war mit einem Satz über die Gestürzten hinweg, flitzte

zur nächsten Gangkreuzung und rannte nach rechts.

Ohne anzuhalten stürmte er weiter, erreichte die Treppe im vorderen Teil der NAUTILUS und hielt einen Moment inne. Er befand sich jetzt unmittelbar unter dem Salon, der gleichzeitig die Kommandozentraleder NAUTILUS darstellte. Über ihm erklangen Stimmen, was kein gutes Zeichen war. Die Sklaven, die die NAUTILUS beluden, verrichteten ihre Arbeit schweigend und durften gar nicht reden. Also waren dort Argos’ Männer. Mikes Gedanken drehten sich für einen Moment wild im Kreis, ohne dass er zu einem Ergebnis gelangt wäre. Er hatte gar keine andere Wahl als einfach loszugehen und zu sehen, was geschah. Mike gestand sich im Stillen ein, dass ihr Plan, die NAUTILUS zurückzuerobern, gewisse Lücken aufwies – um nicht zu sagen: Es gab gar keinen Plan.

Langsam bewegte er sich die Wendeltreppe hinauf. Die Stimmen wurden lauter und klangen jetzt eindeutig aufgeregt, wenn nicht wütend. Als Mike weiterging, gewahrte er einige Männer in den Uniformen der Palastgarde, die sich gerade vom Boden aufrappelten oder sich mit schmerzverzerrten Gesichtern die Glieder rieben. Das Seebeben hatte sie ebenso durcheinander geworfen wie die Sklaven weiter unten im Schiff. Vielleicht würden sie in all der Aufregung gar keine Notiz von ihm nehmen.

Mike versuchte einen ebenso leeren Ausdruck auf sein Gesicht zu zaubern, wie er ihn auf dem Bens und denen der anderen Sklaven gesehen hatte, und ging mit ruhigen Schritten an den Kriegern vorbei. Der Trick schien zu funktionieren.

Einer der Männer sah ihm stirnrunzelnd nach, zuckte dann aber nur mit den Schultern und fuhr fort seine schmerzenden Rippen zu massieren. Vollkommen unbehelligt erreichte Mike die Tür zum Salon und trat ein.

In dem großen Raum hielten sich vier Männer auf und Mike konnte ein erleichtertes Seufzen nur mit großer Mühe unterdrücken, als er in einem von ihnen niemand anderen als Trautman erkannte. Der Steuermann blickte gerade nicht in seine Richtung, sondern war in eine hitzige Debatte mit einem hoch gewachsenen Atlanter verstrickt. Langsam, aber ohne zu stocken, ging Mike auf die beiden zu. Kurz bevor er das Kommandopult im hinteren Teil des Salons erreichte, drehte sich Trautman herum und sah ihn an.

Er brach mitten im Wort ab. Seine Augen wurden groß und für einen Moment erschien ein Ausdruck absoluter Fassungslosigkeit auf seinem Gesicht.

Mike senkte hastig den Blick und sagte leise: »Herr?«

Es war der gefährlichste Moment überhaupt. Mikes Herz schlug zum Zerreißen und er rechnete fast damit, dass sich die beiden Krieger, die nur ein Stück hinter ihm standen, nun unverzüglich auf ihn stürzen würden. Aber Trautman reagierte sofort und auf die einzig richtige Art: Mike sah aus den Augenwinkeln, wie der erschrockene Ausdruck auf seinem Gesicht perfekt gespieltem Zorn wich.

»Da bist du ja endlich, Kerl!«, sagte er wütend. »Wo hast du dich so lange herumgetrieben? Ich warte schon seit Stunden auf dich!«

»Ich bin gekommen, so schnell ich konnte, Herr«, antwortete Mike demütig. »Aber ich –«

»Papperlapapp!«, unterbrach ihn Trautman. Er machte eine herrische Geste. »Spar dir deine Ausreden und komm hierher, damit ich dich einweisen kann!«

Mike ging weiter, aber der Atlanter neben Trautman streckte blitzschnell die Hand aus, hielt ihn fest und zwang ihn, den Kopf zu heben, damit er ihm ins Gesicht sehen konnte. »Wer ist dieser Bursche?«, fragte er. »Was tut er hier?«

»Ich habe ihn angefordert«, sagte Trautman rasch. »Seinen Namen kenne ich nicht. Ich habe um einen Assistenten gebeten, der über technisches Verständnis verfügt.«

»Wozu?«, fragte der Atlanter misstrauisch. »Bisher hast du auch keinen Assistenten gebraucht.«

»Du weißt ja auch, was die letzten beiden Male passiert ist, als wir die Kuppel verlassen haben«, antwortete Trautman scharf. »Diesmal wird es ernst. Wir können uns kein Risiko erlauben.«

»Das gefällt mir nicht«, sagte der Atlanter. »Ich werde mich überzeugen, ob es die Wahrheit ist.« Er ließ Mike los, drehte sich zum Ausgang und wandte sich im Gehen an die beiden Krieger. »Gebt auf diesen Jungen Acht. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht.«

»Der Einzige, mit dem etwas nicht stimmt, bist du, Talan«, maulte Trautman. »Dein Misstrauen ist ja schon krankhaft.«

Der Atlanter würdigte ihn nicht einmal einer Antwort, sondern ging mit schnellen Schritten aus dem Salon, während die beiden Krieger gehorsam näher kamen. Trautman wandte sich in unverändert ruppigem Ton an Mike und fuhr ihn an: »Komm gefälligst her! Du wirst diese Kontrollinstrumente im Auge behalten und mich sofort warnen, wenn etwas nicht in Ordnung ist.«

Mike trat gehorsam neben Trautman und sah auf das Kontrollpult hinab. Er erlebte eine Überraschung. Selbst wenn er gewusst hätte, was Trautman mit dieser an sich unsinnigen Anweisung gemeint hatte, hätte er ihr nicht nachkommen können. Das Kontrollpult hatte sich total verändert. Die meisten Instrumente waren neu und vollkommen unverständlich und es waren eine ganze Anzahl neuer Geräte hinzugekommen, deren Bedeutung er nicht einmal erahnen konnte. Die Anweisung galt aber wahrscheinlich sowieso nur den Kriegern, um sie zu beruhigen.

Trautman trat dicht neben ihn, deutete mit einer befehlenden Geste auf das Instrumentenpult und flüsterte hastig: »Mike? Weißt du, wer du bist? Wer ich bin?«

»Ja, Herr«, antwortete Mike laut. »Ich verstehe Euch. Es ist alles in Ordnung mit mir.«

Trautman sah ihn verwirrt an. Offensichtlich wusste er nicht so ganz, was er von Mikes Antwort zu halten hatte. »Wo sind die anderen?«, flüsterte er.

Mike beugte sich scheinbar konzentriert über das Instrumentenpult und antwortete laut: »Das angeforderte Material ist unten im Schiff. Ich kann es holen, sobald Ihr es braucht, Herr.«

»Sind sie in Ordnung?«, flüsterte Trautman.

Mike sah aus den Augenwinkeln, dass sich die beiden Krieger wieder ein kleines Stück zurückzogen. Offenbar war ihr Argwohn wenigstens für den Moment besänftigt. So wagte er es, im Flüsterton und sehr schnell auf Trautmans Frage zu antworten. »Nein. Sie stehen noch unter Argos’ Einfluss.«

»Was ist mit Serena?«, fragte Trautman.

»Singh ist unterwegs, um sie zu holen«, antwortete Mike. »Sobald sie hier sind, können wir fliehen.«

»Fliehen?« Trautman sah ihn an, als wäre er verrückt. »Das Schiff wimmelt von Kriegern. Es sind mindestens zwanzig!«

»Wir haben Hilfe«, flüsterte Mike. Laut und mit einer Geste auf einige der neuen Instrumente fügte er hinzu: »Sind diese Geräte funktionstüchtig, Herr?«

»Hundertprozentig«, antwortete Trautman ebenso laut. »Die NAUTILUS ist in besserem Zustand denn je. Sobald ...Argosund die anderen hier sind, können wir aufbrechen.« Er wirkte total verstört, was Mike gut verstehen konnte. Aber solange die beiden Krieger in ihrer Hörweite waren, konnten sie es nicht wagen, offen zu reden.

Erneut bewies Trautman jedoch, dass er noch immer über einen scharfen Verstand verfügte. »Sprichst du die Technikersprache, Kerl?«, fragte er barsch. Dann wiederholte er dieselbe Frage auf Deutsch, seiner Muttersprache, die auch Mike – zwar nicht überragend, aber doch einigermaßen – beherrschte.

Mike nickte überrascht. Einer der Krieger kam wieder näher und fragte misstrauisch: »Was soll das? Redet so, dass wir euch verstehen!«

»Das ist viel zu umständlich«, erwiderte Trautman. »Die Technikersprache ist präziser und viel kürzer. Wir haben nicht

viel Zeit. Du kannst dich ja bei Talan beschweren, wenn er zurück ist.«

Der Krieger zögerte. Er war wütend, aber Mike registrierte auch überrascht, dass er einen gewissen Respekt vor Trautman zu haben schien. Schließlich sagte er trotzig: »Darauf kannst du dich verlassen.«

Trautman schenkte ihm noch einen abfälligen Blick, dann wandte er sich wieder an Mike: »Wir haben höchstens eine halbe Stunde, bevor Talan zurück ist – wahrscheinlich mit einer ganzen Armee«, sagte er, nun wieder auf Deutsch. Während er sprach, deutete er immer wieder heftig auf die Instrumente hinab und seine Stimme verlor auch nicht ihren herrischbefehlenden Ton. »Was ist passiert? Wo kommst du jetzt her und was ist das für eine Geschichte mit Singh und den anderen?«

Mike beugte sich tiefer über das Pult und machte eine übertrieben deutlich fragende Geste, während er gleichzeitig mit möglichst knappen Worten versuchte, Trautman zu erzählen, was seit jenem Morgen im Korallenbruch geschehen war, an dem er sein Gedächtnis zurückerlangt hatte. Trautman hörte schweigend zu, aber sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich zusehends. Mike vermochte nicht zu sagen, ob aus Bestürzung über das Gehörte oder aus mangelnder Begeisterung über ihren Plan die NAUTILUS zu stehlen.

»Das gefällt mir nicht«, sagte er, als Mike geendet hatte. »Ich habe Serena nicht gesehen, seit wir Lemura erreicht haben und getrennt wurden, aber ich weiß, dass er sie wie einen Kronschatz bewachen lässt. Singh wird sie niemals finden.«

»Vielleicht doch«, antwortete Mike. »Sarn war Argos’

Vertrauter. Der Kommandeur seiner Leibwache. Wenn

jemand sie finden kann, dann er.«

»Was redet ihr da von Sarn und Argos?«, fragte der Posten misstrauisch. »Ich will nicht, dass ihr in dieser Sprache sprecht.«

»Der Junge hat mir erzählt, dass Sarn verschwunden ist«, antwortete Trautman in eindeutig schadenfrohem Tonfall. »Anscheinend verlassen die Ratten das sinkende Schiff.«

»Ich an deiner Stelle würde nicht so reden«, sagte der Krieger wütend. »Argos wird nicht begeistert sein, wenn ich ihm davon erzähle.«

»Und noch viel weniger, wenn ich ihm erzähle, warum die Vorbereitungen für das Auslaufen noch nicht abgeschlossen sind«, sagte Trautman. »Also halt uns nicht länger auf.« An Mike gewandt fuhr er fort: »Wir müssen uns beeilen. Argos und die anderen werden in einer Stunde hier sein. Dann müssen die Vorbereitungen beendet sein.«

Mike beugte sich erneut über das Pult und tat so, als wäre er mit irgendetwas furchtbar beschäftigt. Der Krieger beäugte sie noch einen Moment lang argwöhnisch, wandte sich dann aber wieder um. Jetzt, wo sie wieder in einer Sprache redeten, die auch er verstand, schien sein Misstrauen teilweise besänftigt.

Trautman betätigte ein paar Schalter auf dem Pult. Überall ringsum begannen plötzlich kleine bunte Lämpchen zu flackern und Mike spürte, wie tief im Rumpf der NAUTILUS die Motoren ansprangen. Ihr Geräusch hatte sich verändert. Sie klangen jetzt viel kraftvoller, dabei aber zugleich viel ruhiger. Sein Erstaunen blieb Trautman nicht verborgen. »Talan und die anderen Ingenieure haben wirklich ganze Arbeit geleistet«, sagte

er. »Die NAUTILUS ist jetzt beinahe doppelt so schnell wie

zuvor und kann viel tiefer tauchen. Ich hoffe nur, es reicht.«

Der besorgte Ton, in dem Trautman die letzten Worte aussprach, gefiel Mike nicht. Aber er wagte es nicht, eine entsprechende Frage zu stellen. Die Wachen hörten ihnen immer noch zu.

Ein heftiger Ruck ging durch den Rumpf der NAUTILUS. Auf dem Kontrollpult begann ein Dutzend kleiner Lämpchen zu flackern und erlosch wieder. Trautman fluchte, legte einen Schalter um und auf dem neuen Teil des Kommandopultes leuchtete ein kleiner Bildschirm auf, der die Umgebung der NAUTILUS und den gemauerten Steg zeigte. Draußen herrschte ein heilloses Durcheinander. Das Wasser des Hafenbeckens war aufgewühlt. Die NAUTILUS tanzte auf meterhohen Wellen und selbst der gemauerte Steg zitterte so heftig, dass die meisten Sklaven, die sich darauf befunden hatten, mit hektischen Bewegungen um ihr Gleichgewicht kämpften. Einige waren gestürzt und ein paar sogar ins Wasser gefallen.

»Es wird schlimmer«, sagte Trautman besorgt. »Die Beben kommen in immer kürzeren Abständen. Ich weiß nicht, wie lange die Kuppel noch hält.«

»Aber wieso?«, murmelte Mike. »Ausgerechnet jetzt! Das kann doch kein Zufall sein!«

»Ist es auch nicht«, antwortete Trautman düster. »Diese ganze Konstruktion hätte schon vor Jahrtausenden zusammenbrechen müssen. Nur die unermüdliche Ingenieurkunst von Argos’ Technikern hat den Verfall bisher aufgehalten – sie und die magischen Kräfte Argos’. Aber seit wir hier sind, haben sie all

ihre Kräfte darauf konzentriert, die NAUTILUS zu reparieren

und umzubauen. Das Ergebnis siehst du dort draußen. Lemura wird untergehen. Vielleicht schon heute.«

»Das ... das kann ich nicht glauben«, murmelte Mike. »All diese Menschen hier werden sterben, wenn die Kuppel zusammenbricht!«

»Das ist Argos vollkommen egal«, antwortete Trautman. »Sie sind ihm gleich. Wenn er und die anderen Mitglieder der herrschenden Kaste in Sicherheit sind, können sie seinetwegen ruhig sterben. Sie waren ohnehin nicht mehr als ...Werkzeugefür ihn.«

Trautman erzählte ihm im Grunde nichts Neues und trotzdem war Mike zutiefst erschüttert. Das Allerschlimmste war und blieb aber das Gefühl der Hilflosigkeit. Das Wissen, absolut nichts für die Menschen hier in Lemura tun zu können, war beinahe mehr, als er ertrug.

Er sah wieder auf den Bildschirm. Das tobende Wasser begann sich zu beruhigen und die Sklaven hatten ihre Packstücke wieder aufgehoben und setzten ihre Arbeit fort, als wäre nichts geschehen. Beherrscht von Argos’ Magie begriffen sie wahrscheinlich nicht einmal die Gefahr, in der sie alle schwebten. Und vielleicht, dachte Mike niedergeschlagen, ist es sogar besser so. Sie konnten diese Menschen nicht retten. Warum also sollten sie ihre letzten Stunden in Todesangst verbringen?

Die Zeit verstrich quälend langsam. Die Stunde, von der

Trautman dem Krieger gegenüber gesprochen hatte, war vermutlich noch lange nicht verstrichen, aber Mike kam es so vor, als hätte es mindestens zehnmal so lange gedauert. Wie es Ben und den anderen in ihrem winzigen Versteck unten im Rumpf der NAUTILUS ergehen mochte, wagte sich Mike nicht einmal vorzustellen. Er sah immer öfter auf den kleinen Bildschirm. Doch weder Singh und Serena noch Argos und seine Leute tauchten auf dem Steg auf. Nur die Kette der Sklaven, die Vorräte und Waren an Bord des Schiffes brachten, nahm kein Ende.

Plötzlich räusperte sich Trautman, um ihn auf etwas aufmerksam zu machen. Mike sah genauer auf den Bildschirm, aber es vergingen noch einmal Sekunden, ehe auch ihm auffiel, was Trautman bemerkt hatte: Der Zug der Sklaven hielt an und er hatte sich verändert. Bisher waren es vornehmlich Männer gewesen, die Kisten und Säcke aus dem Lagerhaus brachten, allenfalls ein paar Jungen in seinem und Bens Alter. Nun aber entdeckte er unter ihnen auch Frauen, junge Mädchen, ja, sogar ein paar Kinder, die kaum in der Lage schienen, die Lasten zu tragen, die man ihnen aufgeladen hatte.

»Was ist da los?«, murmelte Trautman.

Mike wusste die Antwort auf die Frage nicht – und dann, endlich, sah er auf dem Schirm, wonach er so lange vergeblich Ausschau gehalten hatte: Tief nach vorne gebeugt unter großen, prall gefüllten Säcken bewegten sich auch Sarn, Singh und eine schlanke Mädchengestalt mit hüftlangem, goldfarbenem Haar auf die NAUTILUS zu.

Serena!

Mike konnte im letzten Moment einen Aufschrei un

terdrücken. Serena? Seit annähernd drei Monaten hatte er sie nicht mehr gesehen, aber ihm wurde erst jetzt klar, wie sehr er sie wirklich vermisst hatte. Sein Herz begann zu klopfen. Er beugte sich weiter vor, um Serenas Gesicht genauer zu erkennen, aber er konnte einfach nicht sagen, ob die Leere in ihrem Blick nur geschauspielert oder echt war.

»Beherrsch dich«, flüsterte Trautman. »Wenn die Wachen sie sehen, ist es aus!«

Damit hatte er natürlich Recht. Mike riss seinen Blick mühsam vom Bildschirm los, beugte sich über das Kontrollpult und tat so, als wäre er damit beschäftigt, die Anzeigen darauf zu überwachen. Aber es kostete ihn all seine Kraft, nicht ununterbrochen wieder auf den Bildschirm zu blicken.

Wenn er gedacht hatte, dass sich die Zeit bisher im Schneckentempo bewegte, so schien sie nun stehen zu bleiben. Minuten vergingen, quälend langsam und scheinbar endlos, und irgendwann hielt es Mike einfach nicht mehr aus und blickte doch auf den Bildschirm. Singh, Serena und Sarn waren nicht mehr darauf zu sehen. Sie mussten die NAUTILUS mittlerweile erreicht haben.

Wieder zitterte das Schiff unter seinen Füßen. Auf dem Wasser des Hafenbeckens auf dem Bildschirm entstand ein kompliziertes Wellenmuster und verging wieder, und als hätten sie nur auf genau diese Ablenkung gewartet, betraten Singh und Sarn in genau diesem Augenblick den Salon.

Die beiden Krieger reagierten sofort auf das Erscheinen ihres abtrünnigen Kameraden und zogen ihre Schwerter. Aber Sarn war schneller: Mit einer blitzschnellen Bewegung forderte er eine kleine, sonderbar aussehende Waffe unter seinem Unihang hervor, richtete sie nacheinander auf die beiden Krieger und drückte ab. Ein doppeltes, leises Zischen erklang und die beiden Krieger stürzten wie vom Blitz getroffen zu Boden.

»Jetzt!«,schrie Singh mit vollem Stimmaufwand. Nur einen Augenblick später erklang draußen auf dem Gang ein gellender Schrei, gefolgt von den Geräuschen eines Kampfes, der rasch an Heftigkeit zunahm und sich über das gesamte Deck auszubreiten schien. Sarn fuhr wieder herum und war mit einem raschen Schritt aus der Tür. Mike hörte ihn draußen Befehle brüllen und Singh war mit einer raschen Bewegung neben den beiden Kriegern und kniete nieder.

Mike blickte auf den Bildschirm. Der Zug der Sklaven hatte wieder angehalten und er sah, dass an seinem Ende eine große Anzahl Krieger aufgetaucht war, die mit wehenden Mänteln über den Steg rannten. Sie würden zu spät kommen. Noch während die Sklaven hastig beiseite wichen, um den Soldaten Platz zu machen, wurde die Luke im Heck der NAUTILUS geschlossen. Gleich darauf dröhnte ein doppelter, lang nachhallender Schlag durch das Schiff. Mike kannte dieses Geräusch: Der Lukendeckel hatte sich geschlossen und verriegelt.

»Trautman!«, rief Singh. »Starten Sie die Motoren! Schnell! Wir haben nicht viel Zeit!« Trautman begann hastig an seinen Kontrollinstrumenten zu hantieren und das Motorengeräusch änderte

sich. Gleichzeitig zitterte der Boden unter Mikes Füßen stärker, jetzt aber im Rhythmus der Motoren, die allmählich ihre Kraft aufbauten, um das Tauchboot ins freie Meer hinauszukatapultieren. »Wo ist Serena?«, fragte Mike. »Und Astaroth!?« »Oben im Turm«, antwortete Singh. »Wir haben sie zurückgelassen, damit ihnen nichts passiert. Sie

könnten verletzt werden. Argos’ Krieger sind nicht zu unterschätzen. Aber wir werden es schaffen, keine

Angst. Wie lange noch?« Die letzte Frage galt Trautman, der sie mit einem Achselzucken beantwortete. »Ein paar Minuten, aber genau weiß ich es nicht. Diese neuen Maschinen sind viel stärker als unsere alten, aber sie brauchen ein paar Minuten, um warm zu laufen.«

Draußen auf dem Gang schien der Kampf mittlerweile zu Ende zu sein, doch nun hörte Mike von überall her aus dem Schiff Schreie und Kampfgetöse. Offenbar tobte in der gesamten NAUTILUS ein erbitterter Kampf.

Sarn kam zurück. Er blutete aus einer kleinen Schnittwunde am Arm, lächelte aber zufrieden. In der rechten Hand trug er noch immer die sonderbare Waffe, mit der er die beiden Krieger niedergestreckt hatte. Als er Mikes Blick bemerkte, machte er eine beruhigende Geste mit der freien Hand.

»Keine Sorge«, sagte er. »Sie tötet nicht, sondern betäubt nur.« »Woher stammt diese Waffe?«, fragte Mike. »Ausgeliehen, aus Argos’ persönlicher Waffenkammer«, grinste Sarn. »Ich fürchte nur, er weiß nichts

davon.« Er wandte sich an Trautman. »Wann ist es so weit?« »Zwei Minuten«, sagte Trautman. Dann fragte er: »Wer sind Sie?« »Der Freund, von dem ich Ihnen erzählt habe«, sagte Mike rasch. »Sarn. Ohne ihn hätten wir das alles

nicht geschafft.«

»Sarn, so ...« Trautman machte ein nachdenkliches Gesicht. »Sie kommen mir bekannt vor. Haben wir uns schon einmal gesehen?« »Das ist gut möglich«, antwortete Sarn. »Ich habe zu Argos’ Leibwache gehört.« »Und jetzt haben Sie einfach die Seiten gewechselt?«, fragte Trautman misstrauisch. »Das spielt jetzt wirklich keine Rolle«, mischte sich Singh ein. »Verschwinden wir von hier. Schnell!« Trautman musterte ihn und Sarn noch einmal kurz mit finsteren Blicken, dann zuckte er mit den

Schultern und widmete sich wieder seinen Kontrollinstrumenten. Die NAUTILUS zitterte stärker und das Grollen der Maschinen nahm an Lautstärke zu. Auf dem Bildschirm konnte Mike sehen, wie sich das Schiff scheinbar träge vom Steg entfernte und dabei langsam tiefer ins Wasser sank. Draußen, vor dem großen Fenster, durch das man aus dem Salon direkt ins Meer blicken konnte, begann das Wasser zu sprudeln. »Was sind das für Leute, die ihr mitgebracht habt?«, fragte Trautman.

»Sie gehören zu mir«, antwortete Sarn. »Ein paar Männer mit ihren Familien, die ich in der Kürze der Zeit erreichen konnte. Es war Singhs Vorschlag.«

Mike sah den Inder überrascht an und Singh zuckte fast verlegen mit den Schultern. »Die NAUTILUS war ohnehin darauf vorbereitet, Passagiere aufzunehmen«, sagte er im Tonfall der Verteidigung. »Auf diese Weise können wir wenigstens einige retten.«

Mike war noch immer erstaunt. Natürlich hatte Singh vollkommen richtig gehandelt. Er fragte sich sogar, warum er nicht selbst auf diese an sich nahe liegende Idee gekommen war. Aber dass sie nach allem, was er erlebt hatte, ausgerechnet von Singh kam, überraschte ihn doch. Gleichzeitig erleichterte es ihn aber auch. Anscheinend hatte Argos’ Einfluss Singh doch nicht ganz so sehr verändert, wie er bisher befürchtet hatte.

»Wir tauchen«, sagte Trautman. »Singh, ich brauche deine Hilfe.«

»Was ist mit Serena?«, fragte Mike. »Ich möchte sie sehen!«

»Ich lasse deine Freundin holen und das Felltier auch. Keine Sorge.« Sarn lächelte aufmunternd, machte einen halben Schritt aus dem Salon und wechselte ein paar Worte mit jemandem, der draußen auf dem Gang stand. Währenddessen trat Singh neben Trautman und begann mit geschickten Bewegungen am Kontrollpult zu hantieren. Mike war ein bisschen überrascht, als er feststellte, dass Singh auch die neu hinzugekommenen Geräte so selbstverständlich bediente, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan.

»Was genau ist das?« Mike deutete auf das Pult, hinter dem Singh stand.

»Der Gefechtsstand«, antwortete der Inder.

»Gefechtsstand?«,ächtzte Mike.

Trautman nickte düster. »Talas und seine Ingenieure waren fleißig«, sagte er. »Die NAUTILUS ist jetzt bis an die Zähne bewaffnet.«

»Aber sie ist doch kein Kriegsschiff«, protestierte Mike.

»Jetzt schon«, antwortete Singh lakonisch. »Es gefällt mir genauso wenig wie dir – aber wir werden die Waffen brauchen. Da sind sie!«

Es dauerte eine Sekunde, bis Mike begriff, was Singh mit seinen letzten Worten meinte. Auf dem kleinen Bildschirm war jetzt das Meer vor dem Bug der NAUTILUS zu erkennen. Inmitten des grünen, schäumenden Wassers waren drei schlanke, pfeilförmige Umrisse erschienen. Im allerersten Moment dachte Mike, es handle sich um bizarre Tiefseeungeheuer, dann erkannte er, dass es künstliche Gebilde waren.

»Was ist das?«, fragte er verblüfft.

»Jäger«, antwortete Trautman. »Argos’ Privatflotte. Sie sind klein, aber ziemlich gefährlich.«

Mike war vollkommen fassungslos. Alles, was er bisher von Lemura gesehen hatte, hatte ihn den Eindruck gewinnen lassen, sich in einer fast steinzeitlichen Welt zu befinden. Und nun erblickte er drei Miniatur-Tauchboote, deren Technik sich durchaus mit der der NAUTILUS messen konnte! Sein Zorn auf Argos stieg ins Unermessliche. Wie viele Menschen hatten sich wohl zu Tode gearbeitet, damit Argos’ Ingenieure diese drei – wie hatte Singh sie genannt – Jäger bauen konnten?

»Achtung!«, schrie Trautman. »Sie schießen!«

Mike sah weder einen Torpedo noch die Spuren irgendeiner anderen Waffe, doch schon im nächsten Augenblick dröhnte die NAUTILUS unter einem gewaltigen Schlag und legte sich spürbar auf die Seite. Aus der Tiefe des Schiffes hallte ein Chor gellender Schreie an ihre Ohren. Die NAUTILUS richtete sich schwerfällig wieder auf und Singh schlug mit der Faust auf einen Schalter. Einer der Jäger schien plötzlich von einem gewaltigen Faustschlag getroffen zu werden und zerbarst in tausend Stücke. Die beiden anderen Jagd-U-Boote wechselten blitzschnell ihren Kurs. Singhs nächster Schuss ging fehl. Die Jäger waren unheimlich schnell und so wendig wie Fische.

»Ich begreife nicht, warum sie die NAUTILUS stehlen mussten, wenn sie in der Lage sind, solche Schiffe zu bauen«, murmelte Mike.

Singh warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu, antwortete aber nicht. Eine Sekunde später dröhnte die NAUTILUS unter einem weiteren Einschlag der unbekannten Waffe. Trautman fluchte und versuchte hektisch, das Schlingern des Schiffes zu stabilisieren. Singh schoss erneut und verfehlte sein Ziel auch diesmal.

»Sie sind zu schnell für uns!«

»Können sie die NAUTILUS beschädigen?«, fragte Mike angstvoll.

»Nicht wirklich«, antwortete Trautman ohne ihn anzusehen. »Gottlob haben Argos’ Ingenieure das Schiff ausgezeichnet gepanzert. Aber sie können uns aufhalten und das ist schlimm genug.«

»Wieso?«

»Weil Argos noch ein paar andere Überraschungen auf Lager hat«, knurrte Singh.»Festhalten!«

Das letzte Wort hatte er geschrien. Die NAUTILUS erbebte unter gleich zwei Treffern und legte sich so stark auf die Seite, dass Mike sich hastig irgendwo festklammerte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Trautman fluchte erneut, betätigte hastig einen Schalter und die Irisblende vor dem großen Fenster begann sich zu schließen. Panzerung oder nicht, dachte Mike, wenn eines der unsichtbaren Geschosse das Fenster trifft und zerschmettert, ist es um uns geschehen.

Als sich das Zittern des Bodens beruhigte, kam Sarn zurück. Er war nicht allein. Serena betrat dicht hinter ihm den Salon und zwischen ihren Füßen lief ein schwarzes, struppiges Fellbündel, das Mike aus einem einzelnen gelb glühenden Auge anblinzelte.

Das ist wieder einmal typisch!erklang Astaroths Stimme in seinen Gedanken.Kaum lasse ich euch eineStunde allein, steckt ihr bis über beide Ohren in Schwierigkeiten!

Mike ignorierte den Kater, war mit einem Satz bei Serena und schloss sie in die Arme. »Serena!«, rief er überglücklich. »Gott sei Dank, Serena! Du bist gesund und ...«

Er sprach nicht weiter. Serena erwiderte seine Umarmung nicht, sondern versteifte sich regelrecht. Mit klopfendem Herzen trat er einen halben Schritt zurück und sah dem Mädchen ins Gesicht.

In seinem Hals war plötzlich ein bitterer Kloß. Für ein paar Sekunden musste er mit aller Kraft gegen die Tränen ankämpfen. Er hatte geahnt, ja, im Grunde sogar gewusst, was ihn erwartete, und trotzdem brach ihm der Anblick fast das Herz. Serenas Augen waren leer. Ihr Bewusstsein war so ausgelöscht wie das Bens und der anderen. So wie es sein eigenes gewesen war, bevor Astaroth ihn geheilt hatte.

»Serena!«, sagte er. »Erkennst du mich denn nicht? Ich bin es! Mike!«

Serena sah ihn nur fragend an. Einen Moment lang schien so etwas wie Erkennen in ihren Augen aufzublitzen, doch dann gestand sich Mike ein, dass er nur etwas in ihrem Blick sah, was er sehenwollte;nicht, was wirklich darin war.

Gib dir keine Mühe,sagte Astaroth.Sie weiß nicht, wer du bist. Sie hat nicht einmal mich erkannt. Bei ihr war Argos ganz besonders gründlich.

»Aber warum?«, fragte Mike.Weil er Angst vor ihr hat,antwortete Astaroth. »Angst?«Ihre geistigen Kräfte sind ebenso groß wie seine eigenen, hast du das schon vergessen? fragteAstaroth.

Sie kann ihre Magie nicht mehr ausüben, aber die Kraft ist noch da. Argos hat wohl gehofft, sie späterfür sich selbst nutzen zu können.

»Kannst du ihr helfen?«, fragte Mike.Ich glaube schon,antwortete Astaroth,aber nicht jetzt. Sie braucht Zeit. Und Ruhe.Wie um seine Worte zu unterstreichen, erbebte die NAUTILUS unter einem weiteren Treffer. Mike hob

rasch den Blick zum Bildschirm und sah, dass sie mittlerweile dicht über den Grund des unterseeischen

Hafenbeckens dahinglitten. Singh feuerte mit den neuen Waffen der NAUTILUS zurück. Er verfehlte die Jäger auch diesmal, aber der Meeresboden neben einem der beiden pfeilförmigen Schiffe explodierte wie unter dem Einschlag einer Bombe.

»Da ist die Ausfahrt«, sagte Trautman. »Verdammt! Sie schließen die Tore!« Inmitten des sprudelnden grünen Wassers sah Mike den Rand der gewaltigen Unterseekuppel. Genau vor

dem Bug der NAUTILUS befand sich ein riesiges, sechseckiges Tor, groß genug, um fünf Schiffe von den Abmessungen der NAUTILUS passieren zu lassen. Aber Mike sah auch die gewaltigen Torflügel, die sich schnell davor schoben. Sie würden es nicht schaffen.

Trautman hatte Recht: Die Jäger konnten die NAUTILUS möglicherweise nicht wirklich beschädigen, aber ihr hartnäckiger Beschuss verlangsamte das Schiff, und das war alles, was nötig war. Wenn sie die Tore schlossen, dann war die NAUTILUS unwiderruflich in der Unterseekuppel gefangen.

»Das schaffen wir nicht«, sagte Trautman.

»O doch«, antwortete Singh grimmig. »Haltet euch fest!«

Auf Trautmans Gesicht erschien ein bestürzter, ja, beinahe entsetzter Ausdruck, und noch bevor Mike wirklich begriff, was das bedeuten mochte, hämmerte Singhs geballte Faust auf das Kontrollpult. Mike starrte fassungslos auf den Bildschirm und sah, wie sich zwei schlanke Schatten vom Bug der NAUTILUS lösten und auf das Unterwassertor zurasten.

»Singh!«,brüllte Trautman.»Bist du wahnsinnig geworden?«

Singhs Antwort ging im Krachen einer ungeheuren Explosion unter. Ein grellweißer Blitz löschte für einen Moment das Bild auf dem Monitor aus, und noch bevor die tanzenden Funken vor Mikes Augen verschwanden, schien die NAUTILUS vom Fußtritt eines Riesen getroffen und wie ein Spielzeug davongewirbelt zu werden. Diesmal blieb niemand im Salon auf den Füßen.

Mike blieb einige Sekunden benommen liegen und wartete, dass das Schiff und der Rest der Welt aufhörten, sich um ihn zu drehen. Die NAUTILUS schaukelte noch immer wild hin und her. Der Boden kippte von links nach rechts und wieder zurück und aus dem bisher gleichmäßigen Brummen der Motoren war ein unregelmäßiges, mühsames Stampfen und Schnauben geworden.

Langsam richtete sich Mike auf. Sein Kopf dröhnte und er hatte sich eine Rippe angeschlagen, die entsetzlich wehtat. Trotzdem galt sein erster Blick Serena.

Die Atlanterin richtete sich neben ihm auf; benommen, aber offensichtlich unverletzt. Neben ihr versuchte ein zerrupftes schwarzes Fellbündel auf die Pfoten zu kommen und in Mikes Gedanken erklang ein wahrer Schwall der unflätigsten Flüche, die Mike je gehört hatte. Er ignorierte sie und stand auf.

Auf der anderen Seite des Kontrollpultes zogen sich Singh und Trautman in die Höhe. Trautmans Gesicht war blutig, aber er sah viel mehr wütend als verletzt aus.

Mike blickte auf den Bildschirm. In den riesigen Torflügeln gähnte jetzt ein gewaltiges, gezacktes Loch. Von den beiden Jagd-U-Booten war keine Spur mehr zu sehen. Die Explosion der beiden Torpedos hatte sie entweder zerstört oder so weit davongewirbelt, dass sie im Moment keine Gefahr mehr darstellten.

Mike begriff erst nach und nach, was das, was Singh getan hatte,wirklichbedeutete. Ungläubig starrte er den Inder an. »Warum ... warum hast du das ... getan?«, stammelte er.

»Weil wir sonst gefangen gewesen wären«, antwortete Singh. »Würdest du gerne den Rest deines Lebens hier unten verbringen?«

»Das ist Wahnsinn!«, keuchte Mike. »Die ganze Kuppel hätte

zusammenstürzen können! Hier unten leben fast

zwanzigtausend Menschen, Singh!«

»Und?«, fragte der Inder kalt. »Sie sterben doch sowieso in ein paar Tagen.«

Ein Schlag ins Gesicht hätte Mike nicht härter treffen können. Er wollte irgendetwas sagen, aber er konnte es nicht. Der Mann, der vor ihm stand, schien nichts, aber auch rein gar nichts mehr mit dem Singh gemein zu haben, den er bisher gekannt hatte.

Jetzt spinnt er total,maulte Astaroths Stimme in seinen Gedanken.Ich glaube, um ihn muss ich mich wohl zuerst kümmern. Argos hat sein Gehirn noch mehr verdreht als das der anderen.

Nicht jetzt,antwortete Mike auf dieselbe, lautlose Art.Bitte geh nach unten und kümmere dich um Ben und die anderen. Sie sind in dem kleinen Raum neben dem Lager.

Astaroth fügte noch ein paar wenig schmeichelhafte Bemerkungen über Singhs Geisteszustand hinzu, stand dann aber gelassen auf und trollte sich. Mike hatte ihn nicht nur fortgeschickt, weil er sich um Ben und die anderen sorgte, die in der winzigen Kammer eingesperrt waren. Er hatte plötzlich das sichere Gefühl, dass er Ben und die beiden anderen vielleichtbrauchte.Niemand konnte sagen, für welcheunangenehme Überraschung Singh noch gut war. Was um alles in der Welt hatte Argos Singh nur angetan?

Während Mike mit Astaroth geredet hatte, war es Trautman gelungen, die Kontrolle über die NAUTILUS zurückzuerlangen und das Schiff zu stabilisieren. Das Motorengeräusch klang nun wieder gleichmäßig. Langsam, aber allmählich wieder schneller werdend, bewegte sich die NAUTILUS auf die gewaltsamgeschaffene Öffnung zu und glitt hindurch.

Mike hielt den Atem an, als sie die gewaltige Unterseekuppel verließen. Mit einem Mal umgab sie vollkommene Schwärze. Die NAUTILUS befand sich jetzt im offenen Meer und auf ihrem Rumpf lastete der Druck von mehr als fünftausend Metern Wasser; eine Belastung, die das Schiff normalerweise kaum lange ausgehalten hätte. Doch nichts von alledem, was Mike erwartete, geschah. Das gequälte Stöhnen des Rumpfes blieb ebenso aus wie das Krachen überlasteter Nieten und das Knistern von Metall, das die Grenzen seiner Tragfähigkeit erreicht hatte. Wie Trautman es gesagt hatte, konnte die NAUTILUS jetzt viel tiefer tauchen als zuvor. Argos’ Ingenieure hatten ein wahres Wunder vollbracht.

Mike sah in Trautmans und Singhs Gesicht und ein einziger Blick reichte aus, um ihm klarzumachen, dass die Gefahr noch nicht vorüber war. Beide starrten konzentriert auf den Bildschirm und auch Sarn wirkte plötzlich angespannt, beinahe ängstlich. Bevor Mike eine entsprechende Frage stellen konnte, schaltete Trautman die großen Scheinwerfer der NAUTILUS ein. Im Schein der turmdicken Lichtstrahlen erkannte Mike eine Anzahl kleiner, silbrig glänzender Umrisse, die sich zu schnell bewegten, um sie identifizieren zu können. Trotzdem erinnerten sie ihn an etwas. Und es war keine gute Erinnerung ...

»Sind das ... Haie?«, murmelte er. »IndieserTiefe? Aber das ist doch unmöglich!«

»Es sind keine normalen Haie«, antwortete Trautman und Singh sagte:

»Du hast vorhin gefragt, wieso sie die NAUTILUS brauchen. Da hast du die Antwort.«

Mike sah noch einmal hin und sein Atem stockte, als ihm klar wurde, was Singh mit seinen Worten meinte. Die silbrigen Umrisse, deren Zahl immer mehr und mehr zunahm, waren tatsächlich Haie; Tiere der unterschiedlichsten Gattung: Tigerhaie, Hammerhaie, die gefürchteten weißen Haie, aber auch Arten, wie Mike sie noch niemals erblickt hatte. Alle Tiere waren groß, aber es waren auch wahre Giganten unter ihnen, zwanzig Meter lange Walhaie und andere, noch viel größere Kolosse.

Es war nicht das erste Mal, dass Mike diese unterirdische Haifisch-Armee sah. Schon als die NAUTILUS die Stadt auf dem Meeresgrund erreicht hatte, war sie von zahllosen Haien der unterschiedlichsten Art flankiert worden. Diesmal aber waren es mehr, sehr viel mehr der gefährlichen Tiere. Und er sah nicht nur die unheimlichen Riesenhaie, von denen einige fast halb so lang wie die NAUTILUS zu sein schienen, sondern zwischen ihnen auch kleinere, bizarre Geschöpfe, die wie eine grauenhafte Mischung aus Mensch und Haifisch aussahen. Er war Wesen wie diesen schon mehrmals begegnet – an Bord der NAUTILUS, im Wrack des gesunkenen Frachters, aus dem sie Argos’ Kameraden geborgen hatten, und das letzte Mal am vergangenen Morgen, in den unterirdischen Erzgruben Lemuras.

»Sieh hin«, sagte Singh.

Nicht dass seine Aufforderung nötig gewesen wäre. Mike war viel zu gebannt von dem unheimlichen Anblick, als dass es ihm auch nur möglich gewesen wäre, den Blick vom Bildschirm zu lösen; selbst wenn er es gewollt hätte.

Die Anzahl der Haie wuchs immer weiter. Es mussten mittlerweile nicht mehr Hunderte sein, sondern Tausende. Die Raubfische umkreisten die NAUTILUS in dichten Schwärmen.

»Es scheint zu funktionieren«, murmelte Trautman gepresst.

»Was?«, fragte Mike.

Trautman deutete auf einen der gigantischen Walhaie. Mike schätzte die Länge des Tieres auf fünfunddreißig Meter, wenn nicht mehr. »Den Burschen da erkenne ich wieder«, sagte er. »Als wir das letzte Mal versucht haben, die Kuppel zu verlassen, haben er und ein paar seiner Brüder die NAUTILUS beinahe in Stücke gerissen.«

Aus Mikes Beunruhigung wurde allmählich nackte Angst. Er glaubte Trautman aufs Wort. Der Walhai war nicht annähernd so groß wie die NAUTILUS, aber Mike wusste, wie unvorstellbar stark diese Tiere waren. Einem Angriff gleich Dutzender dieser Kolosse würde nicht einmal die NAUTILUS standhalten.

Seltsamerweise griffen die Tiere jedoch nicht an. Es wurden immer noch mehr und sie kamen auch näher, hielten aber trotzdem einen gewissen Abstand zur NAUTILUS ein. Zwischen ihnen gewahrte er immer mehr der unheimlichen Haifischmenschen.

»Wächter«, murmelte er. »Chris nannte sieWächter.«

Singh nickte grimmig. »Ein letzter Gruß von Serenas Vater«, sagte er mit zornbebender Stimme. »Die alten Atlanter haben diese Ungeheuer erschaffen, um Lemura zu bewachen. Sie sind erbarmungslos. Schlimmer als Maschinen.«

»Deshalb sind sie immer in unserer Nähe aufgetaucht, seit wir Argos begegnet sind«, murmelte Mike. »Sie waren hinter ihm her, gar nicht hinter uns.«

»Niemand kann ihnen entkommen«, bestätigte Singh. »Sie wurden dazu erschaffen, die Bewohner Lemuras zu bewachen und überall aufzuspüren, ganz egal, wohin sie auch fliehen.«

Auf dem kleinen Bildschirm entstand plötzlich hektische Bewegung. Die Hai-Armee teilte sich. Der größte Teil blieb bei der NAUTILUS zurück, aber Hunderte der Tiere bewegten sich auf das gewaltige Loch in der Unterseekuppel zu, durch das die NAUTILUS herausgekommen war. Eine Sekunde später erkannte Mike auch den Grund dafür: Die beiden Jagd-U-Boote, die ihnen schon im Hafenbecken zu schaffen gemacht hatten, schossen wie große silberne Fische aus der Kuppel heraus und nahmen unverzüglich Kurs auf die NAUTILUS.

»Diese Narren!«, sagte Singh verächtlich. »Sie werden sich nur selbst umbringen!«

Als hätten sie nur auf diese Worte gewartet, stürzten sich Dutzende von Haien auf die Jäger. Die meisten Tiere verfehlten ihr Ziel, denn die winzigen Tauchboote bewegten sich mit geradezu unglaublicher Schnelligkeit, aber einige trafen eben doch. Die kleineren Haie wurden einfach zur Seite geschleudert, doch dann prallte einer der Walhaie gegen die vordere Maschine. Der Jäger wurde zurückgeschleudert und begann hilflos zu trudeln und damit war sein Schicksal besiegelt. Blitzartig stürzten sich Dutzende von Haien auf das winzige Tauchboot und das Wasser schien für einen Moment regelrecht zu kochen. Als es vorbei war, sanken mindestens ein Dutzend Haifische auf den Meeresboden, aber von dem Jäger war nur noch ein verbeultes, aufgerissenes Wrack übrig, aus dem eine Kette silberner Luftblasen aufstieg.

Der zweite Jäger überlebte seinen Kameraden nur um Sekunden. Der Steuermann musste die Ausweglosigkeit seiner Situation begriffen haben, denn er versuchte zu wenden und die Kuppelstadt wieder zu erreichen, aber die Haie ließen ihm keine Chance. Die grauen Wächter erfüllten ihre Aufgabe gnadenlos. Niemand, der in der Unterseekuppel geboren war, durfte sie verlassen, ohne mit dem Leben dafür zu bezahlen.

»Dummköpfe!«, sagte Singh verächtlich. »Sie hätten wissen müssen, was passiert. Geschieht ihnen Recht!« Mike nahm diese neuerliche Ungeheuerlichkeit kaum noch zur Kenntnis, aber er nahm sich fest vor, dass sich Astaroth zuerst umSinghkümmern würde, wenn alles vorbei war.

Falls sie dann noch lebten, hieß das.

Die überlebenden Haie kehrten zurück und schlossen sich der schwimmenden Armee an, die die NAUTILUS umkreiste. »Wieso ... greifen sie uns nicht an?«, murmelte Mike.

»Aus demselben Grund, aus dem sie die NAUTILUS verschont haben, als wir hergekommen sind«, antwortete Trautman. »Sie wurden dazu geschaffen, die Gefangenen in Lemura zu bewachen, aber sie können keinem Menschen ein Leid antun.« Er sah Singh an. Seine Augen leuchteten kurz und triumphierend auf. »Es funktioniert, Singh! Eure Gegenwart hier macht es ihnen unmöglich, die NAUTILUS anzugreifen!«

Eure Gegenwart?dachte Mike. Wieso benutzte Trautman diese

sonderbare Formulierung?

Bevor er den Gedanken weiter verfolgen konnte, erscholl ein helles, durchdringendes Scharren. Mike fuhr erschrocken zusammen und wirbelte herum. Das Scharren wiederholte sich und jetzt begriff er auch, woher es kam: Etwas kratzte an der Scheibe hinter der geschlossenen Irisblende.

»Was bedeutet das?«, flüsterte Trautman. Singh zuckte nur wortlos die Achseln und presste die Lippen zusammen. Mike sah auf dem Bildschirm, wie sich die Hai-Armee mehr und mehr der NAUTILUS näherte. Er konnte selbst nicht genau sagen, was, aber an den Bewegungen der Tiere war plötzlich etwas ungemein Bedrohliches. Dann begriff er, dass sie sich zum Angriff sammelten.

Auch Singh schien zu demselben Schluss gekommen zu sein, denn er streckte die Hände nach den Kontrollinstrumenten der Waffen aus.

»Um Gottes willen!«, keuchte Mike. »Nicht! Ein Schuss und wir sind tot!«

Singh zog die Hand so erschrocken zurück, als hätte er eine glühende Herdplatte berührt. Das Kratzen an der Scheibe wiederholte sich. Es klang fordernder, befehlender.

»Machen Sie die Blende auf«, sagte Mike. »Trautman! Schnell!«

Trautman sah ihn eine Sekunde lang fassungslos an, aber dann reagierte er und drückte einen Knopf auf dem Pult vor sich. Ein helles Summen erklang und die Irisblende vor dem Fenster schob sich auseinander und Mike starrte in einen wahren Albtraum von Gesicht.

Das Wesen hatte den Körperbau eines Menschen, zugleich aber

auch deutlich etwas von einem Fisch. Seine Haut war so grob und zäh wie die eines Haies und sein Gesicht war eine Grauen erregende Mischung aus dem eines Haies und etwas, was einmal menschlich gewesen war. Zwischen den Fingern seiner Hände spannten sich dünne, zähe Schwimmhäute.

Mike war zutiefst entsetzt, aber der Grund für dieses Entsetzen war nicht allein das Furcht einflößende Äußere der Kreatur. Noch viel mehr erschütterte ihn der Gedanke, dass die Vorfahren dieses Geschöpfes einmal Menschen gewesen waren. Argos und die anderen Herrscher von Lemura waren seiner Meinung nach Verbrecher, die etwas wirklich Schreckliches getan hatten – aber der, der diese Geschöpfe erschaffen hatte, musste ein wahres Monster gewesen sein. Einen Moment lang weigerte er sich einfach zu glauben, dass es Serenas Vater gewesen sein sollte.

»Was tut er da?«, flüsterte Singh.

Mike antwortete nicht gleich, sondern raffte all seinen Mut zusammen und trat dichter ans Fenster heran. Der Wächter bewegte sich zur Seite, um ihn genauer ansehen zu können. Mike schauderte, als er in seine riesigen, starren Haifischaugen blickte.

»Was tut er?«, fragte Singh noch einmal. Seine Stimme zitterte und schien kurz davor, einfach umzukippen.

»Ich glaube, sie sind sich nicht sicher«, sagte Mike. »Sie haben Recht, Trautman. Sie spüren unsere Anwesenheit. Aber sie fühlen auch die der Lemurer. Sie wissen nicht, was sie tun sollen.« Er überlegte einen Moment angestrengt, dann winkte er Serena herbei.

»Serena! Singh! Kommt her!«

Serena setzte sich gehorsam in Bewegung, wie er es erwartet hatte, aber Singh zögerte endlose Sekunden, ehe er hinter seinem Pult hervorkam und an Mikes Seite trat. Der Haifischmann bewegte sich unruhig. Sein Blick tastete über Mikes und Serenas Gesichter, taxierte einen Moment lang Singh und kehrte dann zu Mike zurück. Er konnte die Unsicherheit des Geschöpfes regelrecht spüren.

»Es genügt nicht«, murmelte Trautman. »Wir sind zu wenige!«

Vielleicht stimmte das. Die Kreatur blickte immer wieder von ihm zu Serena, Singh und wieder zurück, aber ihre Unsicherheit schien mit jedem Blick noch zu wachsen.

»Wir brauchen die anderen«, murmelte er. Vielleicht reichte es, wenn er dem Wächter mehrunbeteiligte Menschenzeigte, die es nicht angreifen durfte. »Astaroth!«

Er bekam keine Antwort und wiederholte seinen Ruf in Gedanken und so intensiv er nur konnte.

Astaroth! Wo bleibst du?Diesmal bekam er sofort eine Antwort.Jetzt hetz mich nicht!maulte der Kater.Ich bin fast da!Astaroth! Wir haben keine Zeit für Scherze! dachteMike konzentriert.Du musst Ben, Chris und Juan

hierher bringen! So schnell wie möglich! Es ist lebenswichtig!Okay, okay, okay,nörgelte Astaroth.Ich bin schon da. Noch diese Tür und ...Plötzlich verstummte die lautlose Stimme des Katers und das mitten im Wort. Mike wartete eine oder

zwei Sekunden vergeblich darauf, dass Astaroth weitersprach, dann rief er in Gedanken ein paar Mal seinen Namen, so intensiv er nur

konnte. Erbekam keine Antwort. Inherrschte nur Stille. »Verdammt!«, murmelte er. »Was ist?«, fragte Singh nervös. »Astaroth«,antwortete Mike. »Erseinen antwortetGedanken nicht! Irgendetwas stimmt da nicht!« Er überlegte nur eine Sekunde,dann kam er zu einem Entschluss.»Ich muss zu ihm!«

»Bist du verrückt?«, keuchte Singh. »Du kannst doch nicht weggehen! Sie werden uns angreifen!«

»Das werden sie sowieso«, antwortete Mike. »Ich muss die anderen holen. Halt sie auf, irgendwie!«

Er gab Singh gar keine Gelegenheit zu widersprechen, sondern fuhr herum und rannte aus dem Salon, so schnell er konnte. Irgendetwas war dort unten passiert und er musste herausfinden, was. Er wusste einfach, dass es wichtig war.

Vielleicht lebenswichtig.

Der Weg nach unten wurde zu einem wahren Spießrutenlauf. In der NAUTILUS herrschte eine unglaubliche Enge. Mike hatte alle Mühe, sich durch den überfüllten Gang zu quetschen. Männer, Frauen und Kinder drängelten sich buchstäblich auf jedem Fußbreit Boden. Selbst auf der Treppe nach unten saßen Menschen und stapelten sich Kisten und Säcke mit mitgebrachten Waren und hier und da entdeckte er auch einige von Argos’ Kriegern, die ihre Waffen abgegeben hatten, aber zum Großteil unverletzt waren. Offenbar waren sie klug genug gewesen, den zahlenmäßig hoffnungslos überlegenen Angreifern nicht allzu viel Widerstand entgegenzusetzen. Wenn er den Lärm bedachte, den sie gehört hatten, dann hatte der Kampf erstaunlich wenige Opfer gefordert.

Da die NAUTILUS hoffnungslos überfüllt war, brauchte er fast zehn Minuten, um das untere Deck und den Eingang der Kammer zu erreichen, in der er Ben und die anderen zurückgelassen hatte.

Die Tür stand weit offen. Zwei der Männer, die er mit an Bord genommen hatte, waren auf den Gang herausgetreten und sahen ihm ausdruckslos entgegen und Mikes Herz begann zu klopfen, während er die letzten Schritte zurücklegte. Seine Fantasie gaukelte ihm die düstersten Schreckensbilder vor, die hinter der Tür auf ihn warten mochten.

Der Anblick, der sich ihm bot, war aber vollkommen anders. Ben, Juan und Chris saßen zusammengekauert in einer Ecke und starrten mit leerem Blick vor sich hin. Astaroth saß

zwischen ihnen und putzte Selbstverständlichste von der Welt.sich,alswäreesdas»Astaroth?«, fragte Mike. »Warum antwortest Astaroth antwortete auch jetzteinmalauf seine Stimme, sonderndu nicht?«nicht, fuhrer fort,reagierte sichinnicht aller

Seelenruhe auf Katzenart zu putzen. Mike sah ihn noch eine Sekunde lang verwirrt an, dann war er mit einem Schritt bei ihm, ließ sich in die Hocke sinken und drehte den Kater fast gewaltsam herum.

Astaroth fauchte, bleckte warnend die Zähne und schlug mit der Pfote nach ihm. Mike zog die Hand erschrocken zurück, aber nicht schnell genug – auf seinem Handrücken blieb ein langer, blutiger Kratzer zurück.

»Bist du verrückt geworden?«, ächzte Mike. »Astaroth, was ist denn in dich gefahren?« Astaroth fauchte noch einmal, entfernte sich rückwärts gehend noch ein Stück weit von ihm und fuhr dann herum, um schnell wie der Blitz aus dem Raum zu fliehen. Mike sah ihm erschrocken nach.

Als er sich wieder aufrichtete, raschelte es unter seinen Füßen. Überrascht sah er an sich herab und bemerkte, dass er auf eines der Paketstücke getreten war – den Sack, den er selbst hereingebracht hatte. Eigentlich ohne selbst genau zu wissen, warum, ließ er sich noch einmal in die Hocke sinken und öffnete den Sack.

Er enthielt nichts außer eingetrockneten, braunen und grünen Blättern. Blätter einer ganz bestimmten Art, die Mike schon einmal gesehen hatte ...

Und dann wusste er auch, wo.

»Der Kristallwald«, murmelte er. Blätter wie diese waren auf den Bäumen in dem kleinen Hain gewachsen, in dem sie auf Sarn gewartet hatten. Demselben Wald, in dem Astaroth das erste Mal so sonderbar reagiert hatte, ohne sich hinterher auch nur daran erinnern zu können.

Mike dachte einen Moment angestrengt nach, dann winkte er einen der Männer zu sich herein. »Du da!«, sagte er. »Der Kristallwald! Was weißt du darüber?«

»Der Kristallwald?« Der Mann sah ihn fragend an. »Was soll damit sein? Wieso fragst du?«

»Ich will nur wissen, warum er diesen Namen hat«, sagte Mike. »Ich habe dort keine Kristalle gesehen.«

»Darüber weiß ich nichts«, antwortete der Mann. »Ich war niemals dort.«

In einer Welt, die so klein wie Lemura ist, ist dies im Grunde nicht vorstellbar, dachte Mike. Aber er verzichtete darauf, dem Mann eine entsprechende Frage zu stellen. Er spürte ganz deutlich, dass er diese Frage nicht beantwortenwollte.Aber warum?

»Es sind die Blätter«, sagte Juan plötzlich. »Sie enthalten die Kristalle. Sie wachsen darin.«

Mike starrte Juan einen Moment lang verwirrt an, dann betrachtete er die vertrockneten Blätter noch einmal genauer. Als er sie mit spitzen Fingern auseinander zupfte, rieselten unzählige winzige, schimmernde Kristallsplitter zu Boden, keiner davon größer als ein Stecknadelkopf.

»Woher weißt du das?«, fragte er verblüfft. »Wir mussten die Blätter ernten«, sagte Juan, »bevor wir in die Eisengruben kamen. Es ist gefährlich.«

»Gefährlich?«

»Man bekommt schlechte Träume, wenn man zu lange in ihrer Nähe ist«, sagte Juan. »Manche sind gestorben.«

Mike ließ das Blatt behutsam wieder zu Boden sinken, rieb sich sorgfältig die Kristallsplitter von den Händen und stand auf. Auf eine entsprechende Geste hin erhoben sich auch Ben und die anderen und verließen die Kammer. Mike folgte ihnen, blieb dann aber noch einmal stehen und sah auf den prall gefüllten Sack hinab. Kristalle, die schlechte Träume bringen ...

»Was habt ihr damit gemacht?«, fragte er. »Wofür sind diese Kristalle gut?«

»Ich weiß es nicht, Herr«, antwortete Juan. »Die Krieger haben sie abgeholt und in den Palast gebracht.«

Plötzlich hatte Mike das Gefühl, der Lösung aller Fragen so nahe zu sein wie nie zuvor. Irgendetwas stimmte nicht, nicht nur mit Astaroth und seinen Freunden, sondern mit dieser ganzenSituation.Und er wusste einfach, dass er alle Teile der Antwort bereits besaß und nur nicht in der Lage war, sie in die richtige Reihenfolge zu sortieren.

Doch er kam auch diesmal nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu verfolgen. In dem Gang hinter ihm entstand Aufregung, dann gellte ein Chor entsetzter Schreie durch das Schiff. Verwirrt und vollkommen ratlos drehte sich Mike herum –

Und erstarrte vor Entsetzen.

Nur ein Dutzend Schritte entfernt hatte sich die Tür der Tauchkammer geöffnet und eine riesenhafte, graue Gestalt trat heraus.

Es war kein Mensch. Über den breiten, muskulösen Schultern thronte ein gewaltiger kahler Schädel, ohne dass es einen Hals dazwischen gab. Die zu weit an den Seiten stehenden starren Augen blickten kalt und waren von einem Intellekt erfüllt, der vollkommen anders war als der eines Menschen. Das Geschöpf hatte keine Nase und sein Mund war der eines Haifisches, breit und geschlitzt und starrend vor Zähnen.

Das Auftauchen des Monsters löste eine Panik aus. Die Menschen flohen entsetzt, wobei sie sich rücksichtslos gegenseitig niederrempelten und die aus dem Weg stießen, die das Pech hatten, nicht schnell genug laufen zu können. Nach wenigen Augenblicken waren Mike, die drei anderen Jungen und Astaroth mit dem Haifischmann allein. Das Wesen sah den Fliehenden einen Moment lang aus seinen unheimlichen Fischaugen nach, dann drehte es sich langsam herum und machte einen Schritt in Mikes Richtung. Hinter ihm trat ein weiterer grauer Riese aus der Schleusenkammer und Mike glaubte zu sehen, dass sich hinter diesem noch mehr Haifischmänner in der Tauchkammer aufhielten. Trautman musste entweder vergessen haben, die äußere Schleusenkammer zu schließen – oder die Geschöpfe waren in der Lage, den komplizierten Mechanismus zu bedienen.

Astaroth trat mit lautlosen Schritten neben ihn und sah aus einem gelb leuchtenden Auge zu dem Haifischwesen auf.

Ist wieder alles in Ordnung mit dir?fragte Mike in Gedanken.

Wieder?fragte Astaroth.Was soll das bedeuten?

Astaroth erinnerte sich offensichtlich nicht mehr daran, wieder einen kurzzeitigen Gedächtnisverlust erlitten zu haben, und Mike sprach ihn auch nicht darauf an. Jetzt war wirklich nicht der richtige Moment dafür.

Das Haifischwesen kam näher. Sein Blick glitt taxierend über Mikes Gesicht, löste sich von ihm und glitt dann über die Gesichter der drei anderen.

Kannst du seine Gedanken lesen?fragte Mike.

Nein,antwortete Astaroth.Aber ich ...spüreirgendwie, was in ihm vorgeht. Du brauchst keine Angst vorihm zu haben. Er ist nicht feindselig. Nur verwirrt.

Das Geschöpf trat einen weiteren Schritt auf ihn zu, blieb wieder stehen und drehte sich dann mit einem Ruck um. Im allerersten Moment hoffte Mike, dass es zurück in die Tauchkammer gehen würde, um das Schiff auf demselben Weg wieder zu verlassen, auf dem es gekommen war. Stattdessen jedoch öffnete sich die Tür noch mehr und zwei weitere Wächter traten hinaus.

»Sie ... sie wollen in den Salon!«, begriff Mike. »Nichts wie hinterher! Wenn sie auf Sarn und seine Leute treffen, geschieht eine Katastrophe!«

Astaroth raste auf der Stelle los, während Mike versuchte, Ben, Chris und Juan gleichzeitig vor sich herzuscheuchen. Obwohl sie mehr stolperten als gingen, holten sie die drei Wächter noch vor der Treppe ein und drängelten sich an ihnen vorbei. Mikes Herz klopfte bis zum Hals, als er den unheimlichen Geschöpfen dabei ganz nahe kam, aber die drei anderen zeigten nicht einmal eine Spur von Furcht.

Sie rasten die Wendeltreppe hinauf, legten einen kurzen Endspurt ein und stolperten hintereinander in den Salon. Trautman stand noch immer hinter den Kontrollinstrumenten, während Singh und Sarn nebeneinander vor dem Fenster standen und gebannt hinaussahen. Serena saß auf dem Sofa auf der anderen Seite des großen Raumes und Astaroth war auf ihren Schoß gesprungen, hopste aufgeregt herum und miaute in hohen, fast hysterischen Tönen. Mike hatte eine vage Vorstellung davon, was der Kater versuchte, aber er war ziemlich sicher, dass seine Zeit nicht ausreichen würde.

»Es werden immer mehr«, murmelte Singh. »Was haben sie vor?«

Mike sah an ihm und Sarn vorbei aus dem Fenster. Die Zahl der Haifische war ins Unermessliche gestiegen, sodass man den Ozean dahinter kaum noch erkennen konnte. Sie bildeten eine regelrechte Mauer vor der NAUTILUS.

»Vielleicht sollten wir weiterfahren«, murmelte Sarn. »Nur ganz vorsichtig.«

»Nein!«, sagte Mike rasch. Sarn, Trautman und Singh sahen ihn fragend an und Mike fügte mit einer nervösen Geste zum Fenster hinzu: »Wenn wir das tun, greifen sie an. Sie sind unschlüssig. Sie wissen nicht, was sie tun sollen.«

»Woher willst du das wissen?«, fragte Sarn. »Niemand kann sagen, was –«

Er verstummte mit einem scharfen, erschrockenen Laut und Singhs Augen weiteten sich entsetzt, als sein Blick auf die Gestalt hinter Mike fiel. Mike musste sich nicht herumdrehen, um zu wissen, was er und der Lemurer sahen.

»Nicht bewegen!«, keuchte er. »Sarn, mach keinen Fehler! Sie tun uns nichts!«

Die drei Haifischwesen bewegten sich langsam an ihm vorbei und weiter in den Raum hinein. Sarn zog abermals scharf die Luft ein und konnte einfach nicht mehr anders als einen Schritt vor den grauen Kolossen zurückzuweichen, und auch Singh versteifte sich sichtbar. Anders als Ben, Juan und Chris hatte er eindeutig Angst vor den Wächtern.

Es war, als bliebe die Zeit stehen. Zwei der Haifischmänner nahmen links und rechts der Tür Aufstellung, während der dritte mit langsamen Schritten auf Singh und die beiden anderen zuging. Sarn wich zitternd vor Furcht weiter zurück, bis er mit dem Rücken gegen das Fenster stieß. Singhs Blick flackerte. Auch er konnte sich kaum noch beherrschen und selbst Trautman war so weit hinter sein Kommandopult zurückgewichen, wie er nur konnte. Mike hatte selten so große Angst auf dem Gesicht eines Menschen gesehen wie jetzt auf dem Trautmans. Ganz verständlich waren ihm seine und Singhs Reaktion allerdings nicht. Schließlich hatten die beiden mit eigenen Augen gesehen, dass die Haifischmänner ihnen nichts zu Leide taten, sondern ihnen ganz im Gegenteil halfen, wenn sie in Gefahr waren.

»Sie werden uns nichts tun!«, sagte Mike noch einmal. Selbst in seinen eigenen Ohren klangen die Worte nicht überzeugend, sondern eher beschwörend. Was, wenn er sich irrte? Als sie die Armee der grauen Wächter das erste Mal passiert hatten, da waren an Bord der NAUTILUS drei Lemurer und sieben Menschen gewesen. Damals hatten die künstlich erschaffenen Geschöpfe darauf verzichtet, das Schiff anzugreifen. Jetzt befanden sich sieben Menschen und mehr alszweihundertLemurer an Bord des Schiffes. Vielleicht waren es einfach zu viele. Trautmans Fluchtplan basierte auf der Annahme, dass die Anwesenheit unbeteiligter Menschen an Bord der NAUTILUS die Wächter von einem Angriff abhalten würde. Wenn er sich geirrt hatte, dann würden sie diesen Irrtum alle mit dem Leben bezahlen.

Astaroth stieß ein hohes, fast klägliches Wimmern aus – und dann tat er etwas vollkommen Verrücktes: Er sprang mit einem einzigen Satz von Serenas Schoß hinunter und raste auf den Haifischmenschen zu, als wollte er ihn attackieren. Im allerletzten Moment wich er zur Seite, wirbelte herum und rannte zu Serena zurück. Der Wächter starrte ihm aus seinen unheimlichen Fischaugen nach, drehte sich mit einer schwerfällig wirkenden Bewegung ganz herum und tapste auf Serena zu.

»Was ... was tut er?«, stammelte Singh.»Mike!«

Mike reagierte ohne zu denken. Seine Logik sagte ihm zwar, dass das Geschöpf keine Gefahr für Serena darstellte, aber was er sah, schien das genaue Gegenteil zu bedeuten: Serena saß noch immer mit leeren Blicken da, Astaroth gebärdete sich wie wild, machte einen Buckel, spuckte und fauchte und das mehr als zwei Meter große Ungeheuer bewegte sich unaufhaltsam auf sie zu; eine Kreatur, deren bloßer Anblickuralte, angeborene Ängste in ihm wachrief, gegen die er einfach hilflos war. Mit einem gellenden Schrei stürzte er sich auf den Haifischmann.

Der Wächter machte eine fast nachlässige Bewegung mit der linken, krallenbewehrten Hand und Mike wurde hilflos durch den Raum geschleudert und prallte so hart gegen die Wand, dass er für einen Moment nur noch bunte Sterne sah.

Als sich sein Blick wieder klärte, hatte der Wächter Serena erreicht und beugte sich über sie. Mikes Herz stockte vor Entsetzen, als er gewahrte, wie das Geschöpf die Hände ausstreckte. Seine Pranken waren so gewaltig, dass Serenas Kopf vollkommen darin zu verschwinden schien. Mike sah, wie Serena sichaufbäumte, und der Anblick ließ ihn Schmerz, Übelkeit und seine eigene Furcht vergessen. Blitzschnell sprang er auf die Füße, rannte auf den Wächter zu und schrie Singhs Namen.»Singh! Er bringt sie um!«

Singh rührte sich nicht und Mike stieß sich mit aller Kraft ab und sprang den Haifischmann an. Obwohl der Koloss mindestens dreimal so viel wog wie er und fast anderthalb Mal so groß war, brachte sein ungestümer Anprall das Geschöpf aus dem Gleichgewicht. Es taumelte, ließ von Serena ab und drehte sich mit einer Bewegung herum, die schwerfällig und träge wirkte, aber so kraftvoll war, dass Mike zum zweiten Mal quer durch den Salon geschleudert wurde.

Als er sich diesmal wieder hochrappelte, stand der Wächter über ihm. Seine kalten Fischaugen starrten auf ihn herab und Mike hatte das Gefühl, als blickten diese kalten Augen direkt in seine Seele.

»Singh!«, keuchte Mike.

Singh machte tatsächlich einen halben Schritt in seine Richtung, blieb dann aber wieder stehen. Seine Hände zitterten und in seinen Augen flackerte die nackte Panik.

Der Wächter starrte Mike noch eine weitere Sekunde lang an, dann drehte er sich schwerfällig herum und tat ein paar Schritte zur Seite. Mike stemmte sich mühsam auf Hände und Knie hoch, biss die Zähne zusammen und versuchte aufzustehen. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, aber wenigstens schien sein Bein nicht gebrochen zu sein. Stöhnend humpelte er auf Serena zu und beugte sich über sie.

»Serena! Was ist mit dir?«, fragte Mike. »Was hat er dir angetan?!«

Serena hob langsam den Kopf. Ein Ausdruck vollkommener Hilflosigkeit lag auf ihrem Gesicht. Ihr Blick flackerte. Umständlich setzte sie sich ganz auf, ließ ihren Blick einmal durch den Salon schweifen und sah dann wieder Mike an.

»Mike?«, murmelte sie. »Was ... ist passiert?«

Es dauerte noch eine geschlagene Sekunde, bis Mike überhaupt begriff, was diese Frage bedeutete. Serena hatte seinen Namen ausgesprochen. Sieerinnertesich!

Mike wandte ungläubig den Blick und sah, wie sich der Wächter nun auf Juan zubewegte und die Hände nach ihm ausstreckte, um ihn auf dieselbe Weise zu berühren wie Serena. Juan wich weder vor ihm zurück noch zeigte er das geringste Anzeichen von Furcht. Er wusste, dass ihm das Geschöpf nichts zu Leide tun würde.

Ganz im Gegenteil ...

Mike wandte sich wieder zu Serena um. Sie wirkte noch immer verstört und bis ins Mark erschrocken. Aber die furchtbare Leere war aus ihren Augen verschwunden. Der Wächter hatte den Bann gebrochen, den Argos’ Magie über sie geworfen hatte. Ihre Erinnerungen und ihr freier Wille waren wieder da!

Mike fuhr herum. Juan war zu Boden gesunken und blickte ebenso verwirrt in die Runde. Auch seine Erinnerung war wieder da!

Nacheinander ging der Wächter nun auch zu Chris und Ben und berührte sie auf dieselbe Weise. Dann wandte er sich um und sah Singh an. Der Inder keuchte vor Schrecken und prallte zurück. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck nackter Panik.

»Keine Angst!«, sagte Mike. »Er tut dir nichts, Singh!«

»Das ist nicht Singh«, sagte Serena leise.

Mike erstarrte. Singh wich weiter vor dem Wächter zurück, bis er gegen das Pult stieß, hinter dem Trautman stand. Der Wächter machte noch einen Schritt in seine Richtung und blieb stehen. Seine riesigen Hände öffneten und schlossen sich, als wollte er etwas packen und zerquetschen.

»Was ... hast du gesagt?«, murmelte Mike.

»Das ist nicht Singh«, sagte Serena noch einmal. »Singh war mit mir zusammen in Argos’ Kerker. Die ganze Zeit. Ebenso wie Trautman.«

Mike war wie vor den Kopf geschlagen. Ungläubig sah er Singh an, dann Trautman und dann wieder Singh.

Und dann geschah etwas durch und durch Unheimliches: Zuerst Singhs, dann Trautmans und schließlich auch Sarns Gesichter begannen zu verschwimmen. Ihre Züge lösten sich auf wie Spiegelungen auf klarem Wasser, in das jemand einen Stein geworfen hatte. Als sie sich wieder neu bildeten, hatten sie sich total verändert. Vor Mike standen nun nicht mehr Singh, Trautman und der abtrünnige Krieger, sondern Argos, Vargan und Tarras, die drei Lemurer, die die NAUTILUS seinerzeit gekapert und hierher gebracht hatten.

Waaaaas?!!kreischte Astaroths Stimme in seinen Gedanken.Aber das ist doch unmöglich! Wie konnte er –

»Dich so täuschen?«, fiel ihm Mike laut ins Wort. »Mach dir keine Vorwürfe, Astaroth. Er hat uns alle getäuscht, nicht nur dich.«

»Das war leicht«, sagte Argos abfällig. »Ihr seid dumm. Ihr seht nur das, was ihr zu sehen erwartet.«

Und plötzlich wurde Mike alles klar; so klar, dass er sich fragte, wie um alles in der Welt er auch nur eine Sekunde darauf hatte hereinfallen können. Singhs sonderbares Verhalten, das so gar nicht zu dem Singh passte, den er gekannt hatte. Die überraschende Leichtigkeit, mit der es ihnen gelungen war, sich quer durch die Stadt und an Bord der NAUTILUS zu schleichen. Die Mühelosigkeit, mit der es Sarns angeblichen Rebellen gelungen war, die Krieger an Bord des Schiffes zu überwältigen. Und noch mehr ...

»Wozu das alles, Argos?«, fragte er leise mit bebender Stimme. »Die ... die Männer im Bergwerk. Die Krieger in der Stadt und ... und die Leute an Bord der Jagdschiffe! Du ... du hast deine eigenen Leute umgebracht! Warum?«

»Sie waren nichts wert«, sagte Argos abfällig. »Werkzeuge, die ihren Dienst getan haben. Ich musste es doch glaubhaft gestalten.«

»Das ist dir gelungen«, sagte Mike bitter. »Und ich bin darauf hereingefallen, ich verdammter Narr!«

»Mach dir keine Vorwürfe«, sagte Serena. »Er kann jeden täuschen. Er ist der Meister der Lüge.«

»Aber warum?«, fragte Mike. »Wozu diese Farce, Argos?«

»Weil Lemura untergeht«, antwortete Argos. »Und sie uns niemals gehen lassen würden.«

»Aber ihr wart doch schon draußen!«, begehrte Mike auf. »Ihr wart frei! Warum musstet ihr zurückkommen?!«

»Um ihre Freunde zu holen.« Serena trat mit einem Schritt neben ihn und deutete anklagend auf Argos. »Und weil es ihnen nicht reicht, einfach nur frei zu sein! Der Quell ihrer magischen Macht liegt hier unten in Lemura. Ohne sie wären sie ganz

normale Menschen und das reicht ihnen nicht.«

»Die Blätter aus dem Kristallwald«, vermutete Mike. Deshalb also hatte Astaroth jedes Mal vollständig die Kontrolle verloren, wenn er in die Nähe der sonderbaren Gewächse gekommen war.

»Sie verstärken unsere Kraft«, bestätigte Argos hämisch. »Die Laderäume des Schiffes sind gefüllt damit. Mach dir also keine Sorgen – der Vorrat wird ausreichen, bis wir genügend neue Bäume in eurer Welt angepflanzt haben. Und danach werden wir die Macht in eurer lächerlichen Welt übernehmen.«

»Niemals«, sagte Serena. »Das werden sie nie zulassen!«

Sie deutete auf die drei grauen Kolosse an der Tür, aber Argos lachte nur. Wie hingezaubert erschien plötzlich in seinen und in den Händen der beiden anderen Lemurer die unheimlichen Waffen, mit denen Sarn vorhin einen der Krieger niedergeschossen hatte.

»Glaubst du wirklich, wir hättenAngstvor ihnen?«, fragte Argos höhnisch.

»Schieß und die anderen werden uns alle töten«, sagte Serena. »Sie können die NAUTILUS vernichten.«

»Nicht, solange du an Bord bist, Prinzesschen«, lächelte Argos.

Der Haifischmann trat einen Schritt auf ihn zu. Argos hob seine Waffe drohend höher, aber das Geschöpf zeigte sich nicht beeindruckt davon, sondern ging langsam weiter auf ihn zu. Argos ergriff die Waffe mit beiden Händen und zielte sorgfältig und Serena sagte hastig: »Bleib stehen!«

Der Wächter erstarrte mitten im Schritt und Argos machte ein verblüfftes Gesicht. »Sie ... sie gehorchen dir?«, wunderte er sich.

»Natürlich«, antwortete Serena. »Mein Vater hat sie erschaffen. Glaubst du, sie würden mir etwas tun?« Argos überlegte einen Moment lang angestrengt, doch dann breitete sich ein hässliches Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Na dann besteht ja wohl auch keine Gefahr, dass die Bande da draußen uns angreift, wie?«

»Aber sie werden euch auch nicht gehen lassen«, sagte Mike. Er deutete zum Fenster. Die Armee der Riesenhaie war noch weiter angewachsen. Nicht einmal die NAUTILUS würden einem Angriff der grauen Kolosse länger als eine Sekunde standhalten.

»Da haben wir ein Problem, wie?« Argos grinste unerschütterlich weiter, drehte sich halb herum und zielte plötzlich auf Serena. »Es sieht so aus, als müsste ich dich bedrohen. Oder deine Freunde.«

»Schieß und wir sterben alle«, antwortete Serena. So wie sie die Worte aussprach, klangen sie bitter ernst. Argos sah sie lange und durchdringend an und dabei erlosch das überhebliche Grinsen auf seinen Zügen. Sein Blick flackerte unstet und die Waffe in seiner Hand begann sacht zu zittern, deutete aber weiter auf Serena. Auch er schien zu begreifen, dass Serena nicht bluffte.

»Gib auf, Argos«, sagte Mike. »Sie werden uns niemals gehen lassen.«

»Aber sie greifen auch nicht an«, sagte Tarras. »Erschieß einen der Burschen und wir werden sehen, was geschieht.« Argos schwieg, aber Mike konnte regelrecht sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. »Gib auf«, sagte Mike noch einmal. »Und wenn du uns alle tötest – es wird dich nicht retten.« »Du bluffst«, sagte Argos. Aber seine Stimme klang schon nicht mehr ganz so sicher wie bisher. »Du

würdest dein Leben und das deiner Freunde wegwerfen, nur um uns hier festzuhalten? Ich glaube dir

nicht.« Er schwenkte seine Waffe herum und zielte auf Chris, und Serena tauschte einen blitzschnellen Blick mit dem Wächter. In derselben Sekunde schloss sich der Belagerungsring aus Riesenhaien dichter um die NAUTILUS.

Argos senkte seine Waffe wieder.

»Es ist vorbei, Argos«, sagte Serena. »Ich habe ihnen befohlen, euch hier nicht wegzulassen. Ganz egal, was passiert.« »Und was hast du jetzt vor?«, fragte Argos nervös. »Sollen wir hier bleiben, bis uns der Sauerstoff und

die Lebensmittel ausgehen?«

»Wenn es sein muss, ja«, antwortete Mike hart. Er tauschte einen fragenden Blick mit Ben und den anderen. Alle drei wirkten nervös und voller Furcht, aber auch auf dieselbe Weise entschlossen wie er. »Wollt ihr sterben, ihr Narren?«, fragte Argos. »Nein«, antwortete Mike. »Aber wir werden nicht zulassen, dass ihr in unsere Welt gelangt. Wir haben

gesehen, was ihr aus Lemura gemacht habt. Eher opfern wir unser Leben, ehe wir zulassen, dass du und

deineFreundeüber unsere Welt herfallen!« Er war selbst nicht einmal sicher, ob er wirklich den Mut haben würde, seine Worte in die Tat umzusetzen. Oder ob

Serena so weit gehen würde, sich und sie alle zu opfern.Du kannst dich darauf verlassen, dass sie es tut,erklang Astaroths Stimme in seinen Gedanken.Sie hat keine Wahl und das weiß sie. Eure Welt hätte keine Chance gegen Argos und seine Magie. All eure Waffen und Technik würden euch nichts nutzen!

»Ihr seid ja wahnsinnig«, murmelte Argos. »Dann befinden wir uns ja in guter Gesellschaft«, sagte Ben.

Argos funkelte ihn an, sagte aber nichts und senkte nach einem weiteren Moment sogar seine Waffe, wenn auch nicht ganz. »Und wo sollen wir hin?«, fragte er. »Seid doch nicht dumm! Wir können nicht zurück! Lemura wird untergehen!«

»Ihr bleibt hier«, sagte Serena noch einmal. Wieder sah sie den Wächter an und nur einen Moment später begann sich die Armee der Riesenhaie draußen zu bewegen; langsam, aber auch unaufhaltsam.

»Was tust du?«, keuchte Argos.

»Sie werden angreifen«, sagte Serena. »Ihr könnt die NAUTILUS wenden und nach Lemura zurückfahren oder wir sterben alle.«

»Dann sterben wir eben«, sagte Argos hart. »Wohin sollen wir gehen? Ihr habt die NAUTILUS. Ihr könnt eure Freunde nehmen und nach Hause fahren, aber für uns gibt es kein Zuhause mehr. Lemura stirbt. Vielleicht schon in ein paar Tagen. Warum aber sollten wir euch gehen lassen?«

Mike warf einen Blick aus dem Fenster. Die Armee der Riesenhaie kam unerbittlich näher, wie eine graue, geschuppte Wand aus Fleisch und Knochen, die die NAUTILUS

einfach zermalmen würde. Dahinter, fast nur noch schemenhaft,

war die gigantische Unterwasserkuppel zu erkennen. Er konnte sich täuschen, aber es kam ihm so vor, als hätte sich ihre Form verändert, wäre nicht mehr so eben und perfekt. Hier und da war das zehntausend Jahre alte Material geborsten und ein unaufhörlicher Strom von Luftblasen sprudelte aus den Rissen und begann seinen langen Weg zur Meeresoberfläche. Argos hatte Recht: Lemura starb vor ihren Augen.

»Niemand kann die Menschen dort noch retten«, sagte Argos. »Es hilft ihnen nichts, wenn wir zurückkehren und mit ihnen sterben.«

Mikes Gedanken überschlugen sich. Da war irgendetwas. Etwas von großer Wichtigkeit, das er vergessen hatte und das ...

Dann erinnerte er sich.

»Wie lange könntet ihr die Kuppel noch aufrechterhalten?«, fragte er. »Du und deine Freunde – wenn ihr all eure magische Kraft zusammennehmt. Wie lange würde Lemura noch existieren?«

»Einen Tag«, antwortete Argos verächtlich. »Vielleicht zwei. Aber gib dir keine Mühe. Wenn du unbedingt zusammen mit uns sterben willst, dann hier und jetzt.«

»Niemand muss sterben«, antwortete Mike. »Es gibt noch einen Ausweg. Hört zu!«

Der Stein schlug unmittelbar neben Mike auf den Boden und zerplatzte in mehrere Teile. Er war nicht besonders groß, aber Mike fuhr trotzdem erschrocken zusammen und warf einen besorgten Blick zur Höhlendecke hinauf. Während der letzten vierundzwanzig Stunden hatte der Boden fast ununterbrochen gezittert und der Steinregen hatte einfach kein Ende nehmen wollen. Und er würde auch nicht mehr aufhören. Argos und die anderen Magier hatten all ihre Kräfte vereint, um die Unterseekuppel noch einmal zu stabilisieren, aber nicht einmal sie vermochten Wunder zu bewirken. Trautman hatte prophezeit, dass die Kuppel dem Wasserdruck vielleicht noch einen halben Tag widerstehen konnte, und Mike hielt diese Schätzung mittlerweile für eher zu optimistisch. Mike ließ seinen Blick noch einmal über die Decke gleiten, um sich davon zu überzeugen, dass sich nicht direkt über ihm unversehens ein Felsbrocken lösen würde, der ihn im letzten Moment noch erschlug, dann ging er ein paar Schritte weit, bis er das Ufer des kleinen Sees erreichte, an dem Ben auf ihn wartete.

»Bist du so weit?«, fragte er. »Wir müssen los. Ich habe keine Lust, im letzten Moment noch einen Stein auf den Kopf zu bekommen.«

Ganz so dramatisch war die Situation noch nicht. Argos’ Männer hatten sowohl den Gang, der hier herunterführte, als auch die Höhlendecke mit schweren Balken abgestützt, um der Gefahr eines plötzlichen Einsturzes vorzubeugen. Aber sie würden eine gute Stunde brauchen, um die NAUTILUS zu erreichen – und sie hatten unterwegs noch etwas vor.

Ben reagierte erst nach wenigen Augenblicken auf Mikes Worte. Er nickte, drehte sich langsam herum und warf dann noch einmal einen Blick auf den See, in den er und die anderen so oft hinabgetaucht waren, um unter Lebensgefahr die

Erzknollen von seinem Grund zu holen.

Auch jetzt war das türkisfarbene Wasser nicht still. Ein fingerdickes, geflochtenes Tau war um einen eisernen Pfahl am Seeufer geschlungen und führte straff gespannt ins Wasser hinab. Eine nicht enden wollende Kette von Männern, Frauen und Kindern tastete sich an diesem Seil entlang und verschwand ohne zu zögern im Wasser. Auf den Gesichtern der Menschen war keine Spur von Furcht oder auch nur Unsicherheit zu erkennen. Die allermeisten von ihnen wussten nicht wirklich, wohin sie gingen oder was sie erwartete. Sie standen noch immer unter Argos’ geistigem Einfluss und im Moment war das vielleicht gut so. Wahrscheinlich, dachte Mike, ist es die einzige Möglichkeit, mehr als zwanzigtausend Menschen innerhalb von weniger als zwei Tagen zu evakuieren. Hätten all diese Leute gewusst, dass sie ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen mussten und die Welt, in der sie geboren und aufgewachsen waren, nie mehr wieder sehen würden, wäre es wahrscheinlich zu einer Panik gekommen, die Hunderte von Opfern forderte.

In dem Wasser vor ihnen bewegte sich ein Schatten und dann tauchte Astaroth aus der Tiefe des Sees auf, sprang mit einem Satz an Land und schüttelte sich das Wasser aus dem Fell.

»Nett, dass du auch schon kommst«, sagte Mike spöttisch. »Wir wollten gerade ohne dich aufbrechen.«

Reizend, dass ihr gewartet habt,antwortete Astaroth auf seine lautlose Art.Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich die ganze Arbeit für euch mache.

Das entsprach nicht unbedingt der Wahrheit, aber Mike war es seit Jahren gewohnt, dass Astaroth zumhemmungslosen Übertreiben neigte. »Ist auf der anderen Seite alles in Ordnung?«, fragte er.

Sie sind alle ziemlich durcheinander,antwortete Astaroth.Argos’ Magie verliert dort schnell ihre Wirkung. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken, wenn sie nach und nach wirklich zu sich kommen.

Wie auf sein Stichwort erschien Argos hinter ihnen. Der zukünftige Ex-König der Lemurer musterte Mike, Ben und den Kater finster, verbiss sich aber jede Bemerkung und sagte nur: »Es wird Zeit für euch. Wir werden nicht mehr lange in der Lage sein, die Kuppel zu stabilisieren.«

Er hat es ziemlich eilig, uns loszuwerden, wie?spöttelte Astaroth.Könnte es vielleicht sein, dass er nochetwas vorhat, von dem wir nichts wissen sollten?

Damit hat er nur zu Recht, dachte Mike. Aber er hatte zugleich alle Mühe, ein schadenfrohes Grinsen zu unterdrücken. »Kommt ihr gut voran?«, fragte er, ohne auf Argos’ Worte einzugehen.

»Es sind fast alle drüben«, antwortete Argos finster. »Ich hoffe, die Zeit reicht noch, um genug Werkzeuge und Waffen in die Höhle zu schaffen.«

»Ihr werdet keine Waffen brauchen«, antwortete Mike. »Das Verbotene Land ist groß genug für euch alle. Viel größer als Lemura. Und es gibt keine gefährlichen Tiere dort.«

»Aber Eingeborene«, antwortete Argos.

»Es sind keine Wilden«, sagte Ben. »Wir haben sie ein paar Mal getroffen, als wir drüben waren. Sie sind nur vorsichtig. Es sind Menschen wie ihr, Argos. Die Nachfahren derer, die angeblich von denWächternin die Tiefe gezogen und ertränkt worden sind. Sie waren niemals eure Feinde, hast du das immer noch nicht begriffen?«

Argos sagte nichts dazu, aber sein Blick machte klar, dass ihn Bens Worte nicht wirklich interessierten. Astaroth war immer noch nicht in der Lage, Argos’ Gedanken zu lesen, aber das war auch gar nicht notwendig. Mike konnte sich ziemlich konkret vorstellen, was Argos und die anderen vorhatten.

Sie würden eine ziemlich unangenehme Überraschung erleben.

»Du hast Recht«, sagte er. »Es wird Zeit. Wir müssen gehen. Ich wünsche dir und deinen Leuten viel Glück in eurer neuen Heimat, Argos. Auch wenn wir uns wahrscheinlich nie wieder sehen werden.«

»Da wäre ich nicht so sicher«, antwortete Argos. In seinen Worten war etwas eindeutig Drohendes und vermutlich waren sie auch ganz genau so gemeint. Mike hielt seinem Blick noch eine Sekunde lang stand, dann zuckte er mit den Schultern und wandte sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen. Astaroth und Ben schlossen sich ihm ebenso schweigend an.

Eine halbe Stunde später erreichten sie den Ausgang der Eisenminen. Sie waren vollkommen allein. Alle Bewohner Lemuras, die sich noch nicht in die riesigen unterirdischen Höhlen geflüchtet hatten, die ihre neue Heimat werden würden, waren bereits unten am Ufer der kleinen Seen, die die einzige Verbindung zwischen Lemura und dem Verbotenen Land darstellten. Sobald die letzten Lemurer die Mine verlassen hatten, würden große Sprengladungen die Durchgänge verschließen und dann gab es kein Zurück mehr.

In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte sich Lemura auf schreckliche Art verändert. In der riesigen Kuppel gähnten nun Dutzende von Rissen, durch die das Wasser immer schneller hereinströmte. Die untere Ebene der Stadt hatte sich längst in einen einzigen riesigen See verwandelt, und was nicht dem Wasser zum Opfer gefallen war, das hatten die immer heftiger werdenden Erdbeben zerstört. Selbst wenn die Kuppel nicht zusammenbrechen würde, so war Lemura schon jetzt unbewohnbar geworden. Plötzlich erschien es ihm angeraten, sich wirklich zu beeilen, um die Stadt und die dort wartende NAUTILUS zu erreichen. Selbst wenn sie sich beeilten, würden sie zwei Stunden brauchen, um zum Hafen zu kommen.

Trotzdem unterbrachen sie ihren Marsch auf halbem Wege noch einmal, um sich mit Singh und Juan zu treffen, die in Argos’ Kristallwald auf sie warteten. Sie hatten eine Anzahl großer Kisten und Kartons in dem kleinen Hain verteilt und diese mit einem Gewirr aus Kabeln und Zündschnüren verbunden.

»Seid ihr fertig?«, fragte Mike.

»Gerade eben«, antwortete Singh. »Und jetzt nichts wie weg!«

Sie stürmten weiter, bis sie eine Entfernung von gut fünfoder sechshundert Metern zwischen sich und den Kristallwald gebracht hatten. Singh, der eine kleine Rolle in der Hand hielt und die Zündschnur davon abwickelte, deutete auf ein Gewirr mächtiger Felsbrocken, zwischen dem sie rasch Deckung suchten. Singh duckte sich als Letzter hinter einen Stein, steckte

das Ende der Zündschnur in Brand und atmete dann hörbar auf.

Während sie der Funken sprühenden Flamme zusahen, die sich rasch auf den Kristallwald zubewegte, fragte Mike: »Ist auf der NAUTILUS alles vorbereitet?«

»Wir haben sämtliche Blätter und Samen hinausgebracht, die sie an Bord geschafft haben«, antwortete Juan. »Und auch die, die wir noch in der Lagerhalle gefunden haben.«

»Dann wird es in der neuen Heimat der Lemurer keinen Kristallwald mehr geben«, sagte Mike zufrieden. »Und keine Magier, die anderen ihren Willen aufzwingen«, fügte Ben hinzu. »Schade, dass ich sein Gesicht nicht sehen kann, wenn er in einer Stunde hierher kommt, um Samen für seine verdammten Kristallbäume zu holen.«

Er lachte und der Laut ging nahtlos in das gewaltige Donnern über, mit dem die Sprengladungen explodierten, die Singh und Juan im Verlauf der letzten beiden Stunden im Kristallwald gelegt hatten. Mike zog hastig den Kopf ein und wartete mit angehaltenem Atem ab, bis der Boden aufhörte zu zittern und keine Trümmer mehr auf sie herabregneten. Dann hob er vorsichtig den Kopf über den Rand ihrer Deckung.

Wo der Kristallwald gewesen war, gähnte nur noch ein gewaltiger Krater, der sich bereits mit Wasser zu füllen begann. Und mit dem Kristallwald war auch zugleich die Quelle von Argos’ magischer Macht verschwunden. Das neue Lemura würde anders aussehen und Mike war ziemlich sicher: besser.

»Also los«, sagte er. »Gehen wir. Ich möchte endlich wieder einmal die Sonne sehen.«

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