13

Es waren sechs - fünf der panzergroßen, braunen Käferkreaturen, die Net und die Sharks Reiter nannten, und ein fast doppelt so großes, aber sehr viel schlankeres Etwas, das Charity an eine fette Libelle erinnerte und sich so ungeschickt auf seinen kurzen Beinchen bewegte, daß klar wurde, daß sein eigentliches Element die Luft war.

Im Nacken jedes einzelnen dieser Ungeheuer saß eine jener vierarmigen Insektenkreaturen, die Charity schon mehrmals zu Gesicht bekommen hatte. Einzig die Riesenlibelle trug zwei Reiter: einen der Vierarmigen - und Raoul.

»Das ist doch kein Zufall mehr«, murmelte Skudder.

Er wirkte mehr verstört als erschrocken. Sie waren aus dem Haus getreten, so wie Dutzende von anderen Sharks, die das überraschende Auftauchen der Moroni herbeigelockt hatte.

Und es kamen immer noch mehr. Im gleichen Maße, in dem sich die sechs gewaltigen Kreaturen die Straße hinaufschoben, füllte sich der Platz vor und hinter ihnen mit abenteuerlich gekleideten Gestalten.

Charity hatte bisher ganz automatisch angenommen, daß der Anblick der Sternenmonster für Skudder und seine Sharks eine Alltäglichkeit sein mußte, aber plötzlich begriff sie, daß das ganz und gar nicht stimmte. Diese Stadt hier gehörte den Sharks, und die Riesenkreaturen hatten darin so wenig verloren wie sie oder Niles und seine Leute. Die Spannung, die plötzlich in der Luft lag, war fast greifbar. Die Sharks waren erstaunlich ruhig, beinahe diszipliniert, aber Charity spürte, daß sie die Reiter nicht unbedingt als Freunde betrachteten. Eher als Eindringlinge.

»Sieht so aus, als hätte uns dein Freund verladen«, sagte Gurk. »Ich habe dieser Ratte gleich nicht getraut.«

Skudder machte eine ärgerliche Handbewegung. »Sei ruhig!« zischte er. »Ich will hören, was sie wollen. Vielleicht hat es ja nichts zu bedeuten.«

Aber daran glaubte er selbst nicht, das spürte Charity. Trotzdem warf auch sie Gurk einen warnenden Blick zu, sah sich unbehaglich um und folgte dann Skudder, der der Prozession der Ungeheuer entgegenging.

Die Giganten blieben stehen. Skudder musterte den vordersten Reiter mit gespielter Ruhe, drehte sich dann herum und schritt fast gelassen auf die titanische Libelle zu. Einige Sharks - ihre Zahl mußte auf mehr als hundert angestiegen sein, dachte Charity - wollten sich zu ihm gesellen, aber Skudder scheuchte sie mit einer unwilligen Handbewegung zurück. Zwei Schritte vor der riesigen Libelle blieb er stehen und legte den Kopf in den Nacken. Vor dem gigantischen Insekt sah er aus wie ein Zwerg.

»Hallo, Raoul«, sagte er ruhig. »Du kommst zu früh. Und du hast lieben Besuch mitgebracht, wie ich sehe.«

Raoul war zu weit entfernt, als daß Charity auf seinem Gesicht irgendeine Reaktion ablesen konnte, aber seine Stimme klang nervös, als er antwortete.

»Tut mir leid, Skudder«, sagte er. »Sie ... sind mir auf halber Strecke entgegengekommen.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den schwarzgepanzerten Insektenkrieger vor sich. »Das ist R'hen. Daniel schickt ihn.«

»Daniel, so?« Skudder schüttelte den Kopf, als amüsiere ihn diese Antwort. »Willst du nicht absteigen, Raoul?« fragte er harmlos. »Es spricht sich so schlecht, wenn ich zu dir aufsehen muß.«

Raoul zögerte. Nicht nur Charity bemerkte, daß er einen sehr langen, fast verständigen Blick mit R'hen tauschte, ehe er Skudders Befehl endlich nachkam. Mit einer Bewegung, die so fließend war, als hätte er das schon unzählige Male gemacht, schwang er sich aus dem Nacken der Reitlibelle und kam federnd vor Skudder auf dem Boden auf. Skudder musterte ihn kalt, dann drehte er sich herum und winkte Charity.

Widerwillig setzte sie sich in Bewegung. Jeder einzelne Schritt kostete sie große Kraft, und es wurde schwerer, je mehr sie sich den Insektenmonstern näherte. Es war wie damals, im Sternenschiff, als sie der fremden Technik der Außerirdischen das erste Mal gegenübergestanden hatte, und später in New York, beim Kampf gegen die Monsterkrieger - es war, als spürte etwas in ihr das unsagbar Fremde, Böse, das die Seele dieser titanischen Kreaturen ausmachte. Plötzlich war sie sehr sicher, daß Niles recht gehabt hatte, als er behauptete, Moron symbolisiere die dunkle Seite der kosmischen Kräfte.

Skudder machte eine komplizierte Handbewegung, die sowohl sie als auch R'hen einschloß. »Ich nehme an, Daniel hat ihn geschickt, um Captain Laird abzuholen«, sagte er. »Er ist zu früh. Sag ihm das.«

Raoul schluckte nervös. Er hatte Angst, das war unübersehbar.

Unsicher wandte er sich um, legte den Kopf in den Nacken und rief R'hen einige Worte in einer schrillen, völlig unverständlichen Sprache zu, die nur aus Pfeif- und Klicklauten zu bestehen schien.

»Dein Freund ist sehr talentiert«, sagte sie.

Skudder nickte und schwieg, aber Raoul hatte die Worte deutlich gehört. Nervös sah er zu Charity hinüber und wandte sich erst nach einer Weile wieder an R'hen. Der Libellenreiter antwortete in der gleichen Sprache, die er allerdings ungleich besser als Raoul beherrschte.

»Nun?« fragte Skudder lauernd.

Raoul druckste einen Moment herum. »Er ... er sagt, er weiß nichts von Captain Laird«, sagte er schließlich. »Er sagt, Daniel ... hat ihn geschickt, um ... um die Exekution zu überwachen.«

»So, sagte er das?« Skudder klang nicht einmal besonders überrascht.

Raoul wich seinem Blick aus und schwieg.

»Weißt du was, Raoul?« fuhr Skudder nach einer Sekunde fort, noch immer im gleichen, fast beiläufigen Tonfall. »Ich glaube dir kein Wort.«

»Was willst du damit sagen?« fragte Raoul.

»Mir geschehen in letzter Zeit ein paar Zufälle zuviel«, antwortete Skudder. »Du bist ihnen ganz zufällig begegnet, wie? Ebenso zufällig wie vorgestern, als ich dich zurückgeschickt habe. Weißt du, ich habe mich schon die ganze Zeit über gefragt, woher Daniel wußte, daß sie die Tiefen sucht.«

»Woher soll ich das wissen?« sagte Raoul gepreßt. Nervös sah er sich um. Die Straße rings um die Reiterkolonne war jetzt schwarz vor Sharks.

»Ich denke schon, daß du es weißt«, sagte Skudder ruhig. »Unser Freund Daniel ist immer ziemlich gut informiert, findest du nicht? So gut, als gäbe es hier jemanden, der ihn auf dem laufenden hält.«

Aus den Reihen der Sharks erklang jetzt ein drohendes Murren.

Ein paar der Männer rückten näher, blieben aber wieder stehen, als eine der Käferkreaturen drohend den Schädel hob.

»Willst du behaupten, daß ich ein Spitzel bin?« fragte Raoul trotzig.

Skudder nickte. »Ja.«

Es dauerte eine ganze Weile, bis Raoul reagierte. Und als er es tat, schien er eingesehen zu haben, daß es wenig Sinn hatte, weiter zu leugnen. In seinen Augen stand ein trotziges Funkeln.

»Gut, du hast recht«, sagte er wütend. »Ich arbeite für Daniel.«

Ein wütender Schrei gellte irgendwo hinter ihm auf. Charity sah, wie einige der Sharks abermals näher rückten. Ein paar Messer wurden gezogen. Jemand entsicherte ein Gewehr.

Skudder hob hastig die Hand. »Nicht«, sagte er. »Laßt ihn reden.«

»Ich arbeite für Daniel!« wiederholte Raoul trotzig. »Und? Das tun wir doch alle, oder?«

»Du bist ein mieser, kleiner Verräter«, sagte Skudder kalt.

»Ach, bin ich das?« Raoul reckte kampflustig das Kinn vor. »Vielleicht bin ich nur ein wenig vernünftiger als du.«

»Indem du uns bespitzelst?«

»Indem ich dafür sorge, daß wir nicht alle umgebracht werden!« schrie Raoul. »Verdammt, hast du wirklich geglaubt, mit dieser idiotischen Idee durchzukommen? Du hättest Daniel keine fünf Minuten damit täuschen können!« Er schüttelte zornig den Kopf.

»Du bist zu weich, Skudder«, sagte er. »Du riskierst das Leben aller hier, um ... um dieses Pack zu retten.«

Skudder blickte ihn lauernd an. »Was wird das, Raoul?« fragte er. »Eine kleine Palastrevolution? Bist du scharf auf meinen Posten?«

»Nein«, fauchte Raoul. »Ich bin scharf darauf, weiterzuleben.«

»Hast du uns deshalb an Daniel verkauft?« fragte Skudder ruhig.

»Verkauft!« Raoul schnaubte. »Wach endlich auf, Skudder! Du träumst, wenn du glaubst, daß du irgend etwas ohne Daniels Einverständnis tun könntest. Verdammt, ja, ich arbeite für ihn, aber ich habe es für uns getan. Glaubst du wirklich, auch nur einer von uns wäre noch am Leben, wenn er es nicht wollte?«

»Und was schlägst du vor?« fragte Skudder, noch immer in diesem ruhigen, fast beiläufigen Ton. »Daß wir vierhundert Leute erschießen, nur weil Daniel es so will?«

Für eine Sekunde wurde es still; absolut still, aber Charity sah das Entsetzen auf den Gesichtern der Sharks. Keiner außer ihnen und Raoul hatte bisher von Daniels Befehl gewußt. Sie begann sich zu fragen, ob sie die Sharks nicht trotz allem falsch eingeschätzt hatte.

»Du hast gar keine andere Wahl«, sagte Raoul trotzig. »Sie oder wir.«

»Und du glaubst, ich würde das akzeptieren? Wie lange bist du jetzt bei uns, Raoul - zehn Jahre? Und du hast in der ganzen Zeit nicht begriffen, daß wir uns nichts vorschreiben lassen. Auch nicht von Daniel.«

»Idiot«, sagte Raoul kalt. »Du hast nichts begriffen, Skudder. Wir haben von Anfang an nur hier gelebt, weil Moron es wollte.« Wütend deutete er auf die Reiter hinter sich. »Sie sind die wahren Herren hier!«

»O ja, und es geht euch ja so gut unter ihrer Herrschaft«, mischte sich Niles ein. »Sie geben euch ein paar Waffen und Treibstoff und sehen im übrigen zu, wie ihr ihre Schmutzarbeit erledigt und zum Dank auch noch verreckt, ohne es zu merken.«

Skudder sah ihn verwirrt an. »Was soll das heißen.«

Niles schürzt wütend die Lippen. »Ich wollte es euch nicht sagen«, antwortete er. »Ich wollte zusehen, wie ihr alle vor die Hunde geht, Skudder. Aber jetzt ...« Er machte eine weit ausholende Handbewegung. »Wer hat euch erlaubt, in dieser Stadt zu leben? Daniel?«

Skudder nickte verwirrt, während sich auf Raouls Gesicht ein Ausdruck ungläubigen Schreckens ausbreitete. »Ja. Wieso?«

»Weil sie euch umbringt, eure famose Stadt«, antwortete Niles hart.

»Was willst du damit sagen?«

Niles lächelte dünn. »Hast du dich nie gefragt, was es wohl gewesen ist, das diese Stadt zerstört hat?« fragte er. »Nein? Ich will es dir sagen: Es war eine Atombombe. Hier ist alles verstrahlt. Es ist lange her, aber die Strahlung reicht noch immer, um euch irgendwann umzubringen.«

»Das ist nicht wahr!« protestierte Skudder.

»Nein?« Niles lachte böse. »Deine Leute sterben nicht manchmal einfach so? Ihr leidet nicht unter einer Krankheit, bei der ihr erst Ausschlag bekommt und dann immer schwächer werdet?«

»Er lügt!« behauptete Raoul. Er klang nicht sehr überzeugend.

»Nein«, sagte Charity. »Er sagt die Wahrheit.«

»Du weißt überhaupt nichts!« brüllte Raoul. Wütend sprang er vor, packte Charity beim Arm und versetzte ihr einen Stoß.

Und im gleichen Moment, in dem er sie berührte, wußte sie es.

Plötzlich begriff sie, warum sie sich in seiner Nähe stets so unwohl gefühlt hatte und warum er den Lasertreffer so ungerührt hingenommen hatte - und ebenso plötzlich wußte sie auch, daß es nicht nur die Reiter und die vierarmigen Insektenkrieger waren, deren Nähe sie innerlich zu Eis erstarren ließ.

»Niles sagte die Wahrheit«, sagte sie ruhig. »Und Raoul weiß das auch ganz genau.« Sie sah Skudder an. »Er gehört nämlich zu ihnen.«

Plötzlich ging alles unglaublich schnell. Skudder fuhr herum und starrte seinen Stellvertreter aus ungläubig aufgerissenen Augen an, während Raoul zurücksprang, gegen die Libelle prallte und blitzschnell unter seine Jacke griff. In seiner Hand lag plötzlich eine kleine, silberglänzende Waffe.

Skudder ließ sich zur Seite fallen, versetzte Charity einen Stoß, der sie in die entgegengesetzte Richtung taumeln ließ, und griff gleichzeitig nach dem Beil, das an seinem Gürtel hing. Raouls Waffe stieß einen fingerdicken, blendendweißen Blitz aus, aber der Energiestrahl verfehlte Skudder und traf einen der hinter ihm stehenden Sharks. Der Mann flammte auf wie eine Fackel und zerfiel in Sekundenbruchteilen zu Asche, aber Raoul kam nicht dazu, noch einmal zu schießen.

Skudders Beil traf seinen Schädel und spaltete ihn.

Charity vergaß den Anblick nie mehr im Leben. Raoul prallte zurück und ließ die Waffe fallen. Ein hoher, pfeifender Ton drang aus seiner Brust, während sein Kopf auseinanderklappte, entlang einer sauberen, rasiermesserscharf gezogenen Linie, nicht wie eine Wunde, sondern so, als bestünde sein Körper aus zwei Kunststoffhälften, die sich jetzt trennten.

Und darunter kam der wirkliche Raoul zum Vorschein.

Das Wesen war nur halb so groß wie ein Mensch und von nachtschwarzer Farbe. Sein Körper war fast formlos, ein zuckendes, pulsierendes Etwas, das in ein Dutzend unterschiedlich großer Segmente aufgeteilt war und über ein Dutzend spinnendürrer Glieder verfügte. Faustgroße, unendlich böse Augen starrten Skudder und Charity an.

Und das Wesen war keineswegs tot oder verletzt. Langsam, mit spinnenartigen, abrupten Bewegungen, kroch es aus der Raoul-Maske heraus, richtete sich zitternd auf und tastete mit zweien seiner zahllosen Arme nach seiner Waffe.

Es erreichte sie nie.

Hinter Charity erscholl plötzlich ein gellender Schrei, und dann stürzte eine große, dunkelhäutige Gestalt an ihr und Skudder vorbei und warf sich mit weit ausgebreiteten Armen auf das Ungeheuer.

Das Wesen, das aus Raoul herausgekrochen war, wirbelte blitzschnell herum. Aber es hatte keine Chance. Niles begrub es einfach unter sich. Das Spinnending bekam seine Waffe zu fassen und versuchte sie hochzureißen, aber trotz seines Alters war Niles noch immer ein Mensch, mehr als doppelt so groß wie das Ungeheuer und viermal so schwer. Seine Hand packte den Arm des Insektenwesens und brach ihn einfach durch; gleichzeitig hämmerte seine andere Faust immer wieder in das flache Gesicht des Monsters.

Plötzlich ertönte ein schriller, unglaublich lauter Schrei. Charity sah, wie zwei der Reiterkreaturen herumfuhren und der Vierarmige im Nacken der Libelle mit gleich drei Händen nach seinen Waffen griff.

Aber er führte die Bewegung nie zu Ende. Mit einem mal ragte der zitternde Griff eines Messers aus seiner Brust. Ein Schuß krachte, dann ein zweiter, und der schwarze Chitinpanzer R'hens zerbarst splitternd.

Dann brach auf der schmalen Straße im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle los. Plötzlich waren überall Schreie und Schüsse und rennende Gestalten, und zwei, drei weitere Vierarmige kippten von den Rücken ihrer gigantischen Reittiere. Skudder schrie wütend auf, nahm Anlauf und riß einen weiteren Insektenkrieger vom Rücken seines Reiters. Aneinandergeklammert fielen sie zu Boden und verschwanden unter der Menge der heranbrandenden Sharks.

Der letzte überlebende Streiter R'hens riß sein Tier herum, zog gleichzeitig seine Waffe und begann ziellos in die Menge zu feuern.

Der Käfer machte einen gigantischen Satz nach vorne, rannte fast ein Dutzend Sharks einfach über den Haufen und packte mit seinen schrecklichen Scheren zu. Charity hörte einen gellenden Todesschrei, der selbst den Lärm des Kampfes für einen Moment übertönte, dann krachten wieder Schüsse, und der Vierarmige sackte reglos vom Rücken seines Tieres.

Aber der Kampf war noch nicht vorbei. Die gigantischen Käfer gerieten in Panik - und sie waren mindestens ebenso schreckliche Gegner wie ihre Reiter! Charity sah, wie eines der Tiere in blinder Angst einfach losstürmte und die Fassade eines Hauses durchbrach.

Das Gebäude kippte über ihm zusammen und begrub auch mehr als ein Dutzend Sharks unter sich.

Charity begriff plötzlich, daß auch sie keineswegs außer Gefahr war. Sie besaß keine Waffe - und die Riesenlibelle vor ihr begann zu toben! Mit einem schrillen, ungeheuer lauten Pfeifen richtete sie sich auf, versuchte die Flügel zu spreizen und sich in die Höhe zu katapultieren. Ihr fürchterlicher Schwanz peitschte; der mannslange Stachel daran tötete in einer einzigen, wuchtigen Bewegung vier, fünf Sharks, und die so zerbrechlich aussehenden Flügel fegten ein halbes Dutzend weiterer Männer einfach von den Füßen. Auch Charity sah einen riesigen Schatten auf sich zu rasen, warf sich instinktiv zu Boden und hörte einen Schrei, als der Libellenflügel einen der Männer hinter ihr traf wie ein gläsernes Schwert.

Ganze Salven von Schüssen wurden abgefeuert. Eines der riesigen Regenbogenaugen der Libelle erlosch, kleine, runde Löcher entstanden in ihrem schimmernden Panzer, aber der Schmerz trieb das Ungeheuer eher noch mehr zur Raserei. Verzweifelt versuchte es sich abzustoßen, fuhr wieder herum und schnappte in blinder Wut nach allem, was sich in seiner Nähe bewegte. Seine fürchterlichen Mandibeln zuckten wie eine gigantische, zweifingrige Hornklaue auf Charity herab.

»Laird! Zur Seite!«

Charity reagierte instinktiv, als sie den Schrei hörte. Blitzschnell rollte sie herum, krümmte sich und schlug schützend die Arme über dem Gesicht zusammen.

Ein fingerdicker Strahl aus blutrotem Licht jagte einen halben Meter an ihr vorbei, traf den Chitinpanzer der Libelle dicht hinter dem Kopf und brannte ein kaum münzgroßes Loch hinein. Das Ungeheuer kreischte, bäumte sich auf die beiden hinteren Beinpaare auf - und explodierte regelrecht, als sich die gesamte Energie des Laserstrahlers in seinem Körper entlud.

Das letzte, was sie halbwegs bewußt mitbekam, war der Anblick Abn El Gurks, der unter der Tür von Skudders Haus stand, Charitys Lasergewehr in den viel zu kleinen Händen hielt und in aller Seelenruhe auf ein weiteres Rieseninsekt anlegte.

Sie konnte nicht länger als ein paar Sekunden bewußtlos gewesen sein, denn als sie wieder zu sich kam, war zwar der Kampf vorbei, aber immer noch erfüllten Stöhnen und Wehklagen die Luft. Charity richtete sich auf. Ihr wurde schwindelig, und der pochende Schmerz in ihrem Hinterkopf wurde übermächtig, aber sie kämpfte dagegen an und stemmte sich vollends in die Höhe. Sie blinzelte ein paarmal und strich sich mit der Hand über das Gesicht, um die Benommenheit zu vertreiben, erst dann schaute sie sich um.

Der Anblick war furchtbar. Die gigantischen Käfer und die Riesenlibelle waren so tot wie ihre Reiter, aber die Sharks hatten einen schrecklichen Preis für ihren Sieg bezahlen müssen.

Die Straße war gesäumt von Toten - es mußten weit mehr als ein Dutzend sein - und auch von den anderen Sharks war kaum einer ohne Blessuren davongekommen. Viele der Verletzten hatten so schlimme Wunden erlitten, daß man kein Arzt sein mußte, um zu erkennen, daß sie die nächsten Stunden nicht überleben würden.

Ein Stück entfernt entdeckte sie Skudder, der voller Abscheu auf die Überreste der Kreatur starrte, die einmal Raoul gewesen war.

Langsam wandte er den Kopf. Sein Blick flackerte unstet, und ein abgrundtiefes Grauen spiegelte sich in seinen Augen.

»Was ... was um alles in der Welt war das?« flüsterte er.

Charity schwieg - und was hätte sie auch sagen sollen? Sie wußte selbst auch nicht mehr als er. Sie ließ ihren Blick zu Niles' Leichnam weiterwandern, den jemand von der Kreatur getrennt und ein paar Schritte entfernt auf den Boden gelegt hatte. Ein kalter, irgendwie zielloser Zorn überkam sie. Niles war einmal ihr Freund gewesen, aber das schien mehr als ein paar Ewigkeiten her zu sein.

Sie ließ ihren Blick zu dem Raoul-Wesen zurückwandern und merkte erst jetzt, daß Skudder sie immer noch anstarrte und auf Antwort wartete. Ratlos zuckte sie mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«

»Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Mark war unbemerkt zu ihnen getreten. »Es ist nur eine Vermutung ...« Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und versuchte vergeblich, sich den Ekel nicht allzu deutlich anmerken zu lassen, den der Anblick des getöteten Ungeheuers in ihm auslöste.

»Was wissen Sie?« fragte Skudder.

»Es ... es sind nur Vermutungen.« Mark lächelte nervös. »Die ... Wesen, die wir bisher kennen, sind mehr oder weniger insektoider Abstammung. Die meisten sind uns in kleineren, ansonsten aber nur geringfügig anderen Gattungen aus dem irdischen Tierreich bekannt.«

»Reden Sie nicht lange herum, sondern kommen Sie endlich zur Sache«, unterbrach Skudder ihn barsch. »Was ist mit Raoul passiert?«

»Vermutlich war es eine Art Parasit«, sagte Charity.

Mark sah überrascht auf. »Sie wissen -?«

»Moron hat kein Monopol auf Ungeheuer«, wandte Charity ein.

Sie blickte auf die geborstene Hülle herab, die einmal ein menschlicher Körper gewesen war. Selbst aus allernächster Nähe war nicht festzustellen, ob es sich um ein Kunstprodukt handelte oder wirklich um einen Menschen, dessen Zellmasse durch eine unvorstellbare Metamorphose verwandelt worden war. Mühsam riß sie sich von dem Anblick los und sah Mark an. »Sie denken dasselbe wie ich.«

Skudders Blick wanderte nervös zwischen Marks und ihrem Gesicht hin und her. »Würde es euch etwas ausmachen, mich an eurer kleinen Fachsimpelei teilhaben zu lassen?« fragte er spitz.

»Das ist kein Geheimnis«, sagte Mark. Es fiel ihm immer noch schwer, ganz offen mit dem Mann zu sprechen, den er noch vor einer halben Stunde für seinen Todfeind gehalten haben mußte. Plötzlich lächelte er. »Aber ich dachte immer, als echter Indianer müßten Sie das alles viel besser wissen als wir.«

Skudders Blick wurde finster, und Charity beeilte sich, hinzuzufügen: »Was Mark meint, ist, daß Raoul - der echte Raoul - von einer Art Parasit befallen wurde.«

Skudder erbleichte. »Ihr meint ...«

»Etwas hat ihn von innen heraus aufgefressen, ja«, sagte Mark hart. »Wahrscheinlich war er schon seit Jahren nicht mehr er selbst.«

»Das ist ... monströs«, flüsterte Skudder.

»Es ist ganz normal«, sagte Charity leise. Skudder starrte sie an, und sie fuhr fort: »Denk nur an die Schlupfwespen - sie legen ihre Eier in die Körper anderer Tiere ab. Die Larven schlüpfen dann irgendwann und fressen ihre Wirte bei lebendigem Leibe auf.«

»Aber das sind Tiere!« protestierte Skudder.

»Das sind wir für die Moroni wahrscheinlich auch«, sagte Mark bitter.

»Sie meinen, daß sich die Moroni-Larven in ihrem Wirtskörper ausbreiten und ihn irgendwann ganz übernehmen«, führte Skudder den Gedanken zu Ende. »Sie wachsen und ... und verändern ihn von innen, bis -« Er brach ab und starrte auf das herunter, was aus Raoul geworden war. »Aber es sind trotzdem nur Tiere«, sprach er schließlich weiter. »Sie können menschliches Verhalten nicht so perfekt nachahmen, daß niemand einen Unterschied bemerkt.«

»Um das zu verstehen, müßten wir eines dieser Biester lebend in die Hand bekommen«, sagte Charity. »Vielleicht lassen sie das Gehirn ihres Opfers unangetastet und bringen nur seinen Willen unter ihre Kontrolle. Oder sie absorbieren Teile seiner DNA, seine Erinnerungen, sein Wissen, charakterliche Eigenarten und dergleichen, um die Rolle nach außen hin weiterzuspielen. Auf jeden Fall müssen sie intelligenter sein, als ihr bislang geglaubt habt.«

»Und ... wenn er nicht der einzige war?« murmelte Skudder. »Vielleicht gibt es noch mehr? Jeder hier könnte einer der Moroni sein.«

»Nein.« Charity schüttelte den Kopf. »Jedenfalls glaube ich es nicht.«

»Woher willst du das wissen? Woran hast du ihn überhaupt erkannt? Ich kannte Raoul seit Jahren, und nicht einmal ich habe etwas gemerkt.«

Charity sah Skudder ernst an. »Doch«, widersprach sie leise, aber mit sehr fester Stimme. »Du hast es gemerkt. Nicht so deutlich wie ich, aber trotzdem, und bei mir hat es auch lange gedauert, bis ich die richtigen Schlüsse gezogen habe. Die Kopie war perfekt, und es gab keine Unterschiede zu einem echten Menschen, nichts, was man erkennen konnte. Ich habe es einfach nur gespürt.«

»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte Skudder verwirrt.

»Ich mochte ihn von Anfang an nicht«, erklärte Charity. »Irgend etwas an ihm stieß mich ab, ohne daß ich wußte, was es war. Und du hast vorhin zugegeben, daß er dir auch unheimlich wäre. Du hast dieses Gefühl nur unterdrückt, weil du ihm unbedingt vertrauen wolltest, und das war der Fehler. Schon als ich das erste Mal auf die Außerirdischen traf, sogar als ich mich nur in der Nähe ihrer Maschinen befand, habe ich mich so unbehaglich gefühlt. Dann, als ich vorhin direkt vor den Moroni stand, und Raoul mich berührte, habe ich plötzlich gemerkt, daß es die gleiche Art von Unbehagen war.«

»Gefühle.« Skudder versuchte, seiner Stimme einen verächtlichen Tonfall zu verleihen, aber es gelang ihm nicht; was geschehen war, hatte ihn viel zu sehr erschüttert, als daß er seine Unsicherheit verbergen könnte. Er lächelte gezwungen. »Das ist etwas wenig, um sich darauf zu verlassen. Es kann Zufall gewesen sein. Vielleicht hatte sich das ... Ding nur nicht gut genug unter Kontrolle. Es wäre etwas zu einfach, wenn wir sie alle auf diese Art erkennen könnten. Zu einfach, als daß ich mein Leben darauf setzen würde.«

Charity musterte ihn noch einige Sekunden, dann wandte sie sich schweigend um. Skudder wußte so gut wie sie, daß ihnen keine andere Wahl blieb, wollten sie nicht ständig jeden verdächtigen. Jede vernünftige Zusammenarbeit würde unmöglich werden, die Zweifel an der wahren Identität des anderen würden sie einander mehr entzweien und jede Tatkraft lahmen, als die Moroni es vermochten.

Sie wollte zu den verletzten Sharks hinübergehen, um zu sehen, ob sie ihnen helfen konnte, doch Gurk trat ihr in den Weg. »Was geschieht nun mit Mark und seinen Leuten?« fragte er, wobei er abwechselnd sie und Skudder anschaute. »Wir dürfen nicht noch mehr Zeit vertrödeln, sonst war alles umsonst.«

Unwillig verzog Skudder das Gesicht. »Was gibt es da noch zu bereden? Es bleibt bei meiner Entscheidung. Du wirst sie über die Ebene führen, und wir verbrennen die Toten und die Reiter.«

»Dazu bleibt keine Zeit mehr«, widersprach Gurk. »Es kann nicht mehr lange dauern, bis Daniel hier ist. Wenn wir über die Ebene ziehen, wird er uns aus der Luft ent ...«

Skudder trat blitzschnell einen Schritt vor, packte den Zwerg am Kragen und hob ihn scheinbar mühelos noch. »Woher weißt du davon?« zischte er. »Außer Captain Laird war niemand dabei, als ich mit Daniel gesprochen habe, und keiner von uns hat gesagt, daß er herkommen würde. Also - woher weißt du davon?«

Gurk versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien.

»Laß mich los, du Grobian!« zeterte er. Dann sah er die Sinnlosigkeit seiner Bemühungen ein und schnaubte verächtlich.

»Ich bin vielleicht klein, aber deshalb noch lange nicht blöd. Bei dem Aufwand, den Daniel getrieben hat, um Charity in die Hände zu bekommen, wird er so schnell wie möglich mit ihr sprechen wollen. Und am schnellsten geht es, wenn er herkommt, um sie persönlich abzuholen. Außerdem wird er sich mit eigenen Augen davon überzeugen wollen, daß du seinen Befehl ausgeführt hast. Wie du siehst, brauchte ich nur ein bißchen logisch nachzudenken. Und jetzt laß mich endlich runter.«

Diesmal erfüllte Skudder ihm seinen Wunsch. Aus einem Meter Höhe stürzte Gurk zu Boden, rappelte sich mit einem Fluch auf und rieb sich sein Hinterteil.

Skudder grinste, aber das Mißtrauen war noch nicht ganz aus seinem Gesicht gewichen. »Du denkst für meinen Geschmack ein bißchen zuviel, Zwerg«, sagte er. »Das kann manchmal ungesund sein. Und du weißt immer etwas mehr, als gut für dich ist.«

»Laßt das jetzt«, mischte sich Charity unwirsch ein. »Das ist kaum der richtige Moment zum Streiten. Gurk hat recht. Wir sollten sehen, daß wir von hier wegkommen.«

»Von wir war nie die Rede.«

Skudders Worte kamen so rasch und scheinbar beiläufig, daß ihr erst nach ein paar Sekunden klarwurde, daß der mit dem wir nicht nur sich und seine Leute meinte. »Du gehst ein bißchen zu selbstverständlich davon aus, daß ich dich freilasse«, fügte er hinzu. »Was soll ich Daniel erzählen? Daß wir dich versehentlich auch umgebracht und verbrannt haben? Oder daß du uns erneut entkommen bist?«

»Du wirst ihm gar nichts sagen«, antwortete Charity. »Weil es keinen Sinn hat, länger Theater zu spielen. Daniel wird deinen Bluff in jedem Fall durchschauen, ob du mich auslieferst oder nicht. Vielleicht weiß er schon längst, was hier passiert ist, und wenn nicht, wird er spätestens dann mißtrauisch werden, wenn er von Raouls Tod erfährt. Er wird sich an dir und deinen Männern rächen. Ihr könnt nicht hierbleiben.«

Einer der Sharks kam heran und wechselte leise ein paar Worte mit Skudder. Der Hopi zögerte und überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf und scheuchte den Mann mit einer unwilligen Handbewegung fort, bevor er sich wieder an Charity wandte. »Ich hätte dich erschießen sollen, als ich dich zum ersten Mal sah, das hätte mir einiges erspart. Jetzt ist es leider zu spät«, murmelte er.

»Also schön, was sollen wir deiner Meinung nach jetzt tun?«

Charity deutete auf Mark. »Er und seine Leute werden sterben, wenn du sie zu Fuß in die Ebene hinausschickst. Dann kannst du sie auch gleich hier umbringen. Der einzige halbwegs sichere Unterschlupf ist der Bunker. Laß sie mit den Lastwagen nach SS Nulleins zurückbringen, dann haben sie eine Chance.«

»Daniel weiß von dem Bunker.«

»Das wußte er schon immer«, antwortete Charity. »Verdammt, er war drinnen, genau wie ich. Aber Raoul war der einzige, der den Eingang kannte. Ich weiß, es ist gefährlich, aber es ist eine Chance. Und nicht nur für sie. Auch für euch. Ihr solltet euch ihnen anschließen.«

»Und ebenfalls zu Tiefen werden?« Skudder lachte bitter. »Uns unter der Erde verkriechen und darauf warten, daß Daniel uns findet oder daß ein Wunder geschieht? Du weißt, daß wir so nicht leben könnten. Wir würden durchdrehen.«

»Es wäre nur für ein paar Tage; so lange bis die Wogen sich wieder geglättet hätten. Daniel dürfte Wichtigeres zu tun haben, als wochenlang nach euch zu suchen. Es ist eure einzige Chance.«

Skudder schwieg lange Zeit. Er scharrte mit den Füßen im Sand, und obwohl sein Gesicht unbewegt blieb, ahnte sie, was jetzt in ihm vorging. Von seiner Entscheidung hing das Leben von fast siebenhundert Menschen ab. Ihr fielen Dutzende weitere Argumente ein, die für ihren Vorschlag sprachen und bislang unerwähnt geblieben waren, doch sie wußte auch, daß Skudder jedes dieser Argumente selbst kannte, und so schwieg sie, weil jedes weitere Wort überflüssig gewesen wäre.

»Nein«, sagte er schließlich in einem Tonfall, der zeigte, daß seine Entscheidung endgültig war. »Ich werde Mark und die anderen zum Bunker zurückfahren lassen, aber wir bleiben hier. Wir würden jede Selbstachtung verlieren, wenn wir uns wie Tiere unter der Erde verkriechen würden. Ganz abgesehen davon, daß meine Männer mir nicht gehorchen würden, wenn ich einen solchen Befehl gäbe.«

Gurk schüttelte resignierend den Kopf. Mark schaute Skudder noch einen Moment verständnislos an, dann zuckte er mit den Schultern, drehte sich abrupt um und eilte mit einem gemurmelten: »Wie Sie meinen!« davon.

»Was ist mit euch?« fragte Skudder. »Ihr könnt euch ihnen meinetwegen anschließen, aber ihr könnt auch hierbleiben, wenn ihr wollt.«

»Was ich will«, sagte Charity gedehnt, »ist Stone. Aber nicht hier und nicht jetzt. Er ist nicht so unbesiegbar, wie er euch glauben macht, Skudder. Wenn ich Ort und Zeit bestimmen kann, habe ich eine Chance, ihn zu schlagen.«

Skudder lächelte. »Wenn man dir so zuhört«, murmelte er, »könnte man fast glauben, daß du es wirklich schaffst. Aber du wirst Hilfe dabei brauchen.«

Es dauerte eine Weile, bis Charity begriff, was Skudder überhaupt meinte. »Du willst ...«

»Dich begleiten, ja«, unterbrach sie der Shark.

»Und ich ebenfalls«, schloß sich ihm Gurk an. »Ihr seid zwar alle verrückt, aber wenigstens ist es in eurer Nähe nie langweilig.«

Auf der riesigen Sitzbank der Harley-Davidson wirkte Gurks Gestalt schlichtweg lächerlich, verloren wie ein Kind, das es sich im Sessel eines Riesen bequem gemacht hatte und jetzt nicht so richtig wußte, was es dort überhaupt sollte. Er grinste zwar, aber dieses Grinsen war nicht echt, und man sah ihm an, wie unwohl er sich in seiner Haut fühlte.

Charity warf ihm ein aufmunterndes Lächeln zu, drehte sich zu ihrer eigenen Maschine um und wartete, bis Net Platz genommen hatte, ehe sie zu ihr stieg. Automatisch streckte sie die Hand nach dem Zündknopf aus, führte die Bewegung aber nicht zu Ende. Es kam auf eine Minute nicht mehr an. Sehr müde schaute sie auf, sah sich um und blickte schließlich der ganz in schwarz gekleideten, breitschultrigen Gestalt entgegen, die den Platz überquerte und sich ihnen näherte.

Es war ein fast unheimlicher Anblick. Eines der Häuser brannte noch immer, und die Flammen schienen Skudders schwarze Ledermontur mit flüssigem Blut zu übergießen. Mehr denn je erinnerte er Charity jetzt an einen Indianer - und nicht nur wegen des archaischen Bogens, den er neben dem Lasergewehr über dem Rücken trug. Sie hatte selten einen Mann gesehen, der so ... ja, so stolz wirkte wie er; trotz allem, was während der letzten Stunden geschehen war.

»Seid ihr soweit?« fragte Skudder, nachdem er herangekommen war.

Charity nickte, aber sie antwortete nicht gleich. Wieder glitt ihr Blick über die Straße, und wieder schauderte sie, als sie das Schlachtfeld sah. Skudders Leute hatten die Toten und Verwundeten fortgeschafft, aber sie wußte, daß es entsetzlich viele gewesen waren.

»Es tut mir leid«, sagte sie unvermittelt.

Skudder lächelte sanft. »Das muß es nicht. Wir hätten nicht anders gehandelt, wenn du nicht gekommen wärst.«

Charity glaubte ihm. Aber das änderte nichts daran, daß sie sich die Schuld an allem gab.

»Daniel hat einen Fehler gemacht«, fuhr Skudder fort. »Er hat geglaubt, wir wären seine Sklaven, wie diese Insektenkreaturen. Aber das sind wir nicht. Ein Shark gehorcht niemandem, außer sich selbst. Raoul hätte das wissen müssen. Er hat lange genug unter uns gelebt.«

»Und was werden sie jetzt tun?« fragte Charity.

Diesmal dauerte es eine Weile, bis Skudder antwortete. »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Erst einmal verschwinden, denke ich. Ein paar werden sich Mark und seinen Tiefen anschließen, und die anderen ...« Er zuckte mit den Schultern. »Bart und ein paar von den Jungs haben gefragt, ob sie uns begleiten dürfen. Ich habe nichts dagegen. Du?«

Charity schüttelte den Kopf. Skudder verwirrte sie. Er machte nicht den Eindruck eines Mannes auf sie, der alles verloren hatte.

»Natürlich nicht«, sagte sie hastig. »Skudder ...?«

»Ja?«

»Du ... mußt nicht mitkommen«, sagte sie. Plötzlich fiel es ihr schwer zu sprechen. »Net und ich kommen schon allein durch.«

»Unsinn«, widersprach Skudder. »Das kommt ihr nicht. Du weißt ja nicht einmal, wo du hinwillst.«

»Diese Rebellen, von denen Niles sprach ...«

»Würdest du nicht einmal ohne mich finden«, unterbrach sie Skudder. Er stieg auf sein Motorrad, kippte die Maschine hoch und ließ den Motor an. »Und außerdem gibt es etwas, was ich zusammen mit dir tun möchte«, fügte er hinzu.

Charity sah ihn fragend an. »So?«

Skudder grinste. »Nicht, was du jetzt denkst. Jedenfalls nicht nur.« Er griff in die Tasche, streckte den Arm aus und ließ etwas in Charitys ausgestreckte Hand fallen. Überrascht erkannte sie, daß es ihre Uhr war.

»Der alte Mann hat recht gehabt, als er erzählte, daß Moron es verbiete, die Zeit zu messen«, sagte Skudder lächelnd. »Aber ich finde so ein Ding ganz praktisch. Was hältst du davon, wenn wir versuchen, auf diesem Planeten wieder einen Kalender einzuführen?«

»Wir zwei allein?« fragte Charity ungläubig.

Skudder lachte. Aber er antwortete nicht, sondern legte einen Gang ein und fuhr so schnell los, daß Gurk hinter ihm ein erschrockenes Kreischen ausstieß.

Und nach ein paar Sekunden folgte ihm Charity.


Ende des zweiten Teils

Загрузка...