Die Spinnenwelt hatte einen Mond; der Felshaufen war von L1 in eine Synchronbahn auf der Länge von Weißenberg bugsiert worden. Nach den Maßstäben der meisten bewohnbaren Welten war es ein erbärmlicher Mond, vom Planeten aus kaum zu sehen. Vierzigtausend Kilometer draußen glomm der Klumpen von Diamanten und Eis trübe im Licht der Sterne und der Sonne. Dennoch erinnerte er die halbe Welt daran, dass das Universum nicht war, wofür sie es gehalten hatten.
Vor und hinter dem Felshaufen erstreckte sich eine Kette von winzigen Sternen, Glasperlen, die Jahr für Jahr heller wurden: die Temps und Werkstätten der Spinnen. In den ersten Jahren waren es die primitivsten Bauwerke, die jemals im Weltraum geflogen waren, billig und überladen mit Vorrichtungen und Besatzung, auf Cavoritflügeln emporgetragen. Doch die Spinnen lernten schnell und gut…
Es hatte schon früher Staatsbanketts im arachnischen Großen Temp gegeben. Der König selbst war in die Umlaufbahn aufgestiegen, als die Flotte nach Triland abgeflogen war. Das waren vier Sternenschiffe gewesen, wiederhergestellt von den neuen Großindustrien seines Reichs und der ganzen Welt. Und die Flotte hatte nicht nur Dschöng-Ho-Leute und Triländer und ehemalige Aufsteiger befördert. Zweihundert Spinnen waren an Bord gewesen, angeführt von Jirlib Lichtberg und Rachner Thrakt. Sie besaßen erste praktische Umsetzungen der verbesserten Staustrahltriebwerke und Kälteschlaf-Ausrüstungen. Wichtiger noch, sie führten die Schlüssel für das codierte Wissen mit sich, das über die Lichtjahre nach Triland und Canberra abgestrahlt worden war.
Zum Abflug waren nahezu zehntausend Spinnen in den Weltraum gekommen, der König auf einer der ersten gesamtarachnischen Fähren, und jenes ›Bankett‹ hatte sich über mehr als dreihundert Kilosekunden erstreckt. Seither gab es mehr Spinnen als Menschen im arachnanahen Raum.
Pham Nuwen war das nur recht. Kundenzivilisationen sollten das Territorium um ihre Planeten dominieren. Zum Teufel, für die Dschöng Ho war das die wichtigste Funktion der Leute vor Ort -Häfen zu sein, wo Schiffe repariert und neu ausgerüstet werden konnten, Märkte zu sein, die den Flug über interstellare Entfernungen zu einem einträglichen Geschäft machten.
Für diesen zweiten Abflug war das Große Temp fast ebenso überlaufen wie beim Triland-Abschied, doch das eigentliche Bankett war viel kleiner, zehn, fünfzehn Leute. Pham wusste, dass Ezr und Qiwi und Trixia und Viki die Sache klein genug arrangiert hatten, dass die Leute reden und gehört werden konnten. Es war vielleicht das letzte Mal, dass so viele von den überlebenden Hauptakteuren einander an einem Ort sahen.
Der Festsaal des arachnischen Großen Temps war etwas Neues im Universum. Die Spinnen waren jetzt erst zweihundert Megasekunden im Weltraum, kaum sieben von ihren Jahren. Der Festsaal war ihr erster Versuch mit Erhabenheit in der Schwerkraft. Für die Biotechnik der Dschöng-Ho-Parks reichten ihre Fähigkeiten noch nicht. Eigentlich hatten die meisten Spinnen noch gar nicht begriffen, dass lebende Parks das größte Symbol für Macht und Kunstfertigkeit im Weltraum waren. Vielmehr hatten die Ingenieure des Königs Anleihen bei der anorganischen Bauweise der Dschöng Ho gemacht und versucht, ihre eigenen architektonischen Traditionen an die Schwerelosigkeit anzupassen. Binnen eines Jahrhunderts würden sie ihre Anstrengungen zweifellos als lachhaft betrachten. Oder vielleicht würden die Fehler Teil der Tradition werden.
Die Außenwand war mosaikartig aus Hunderten von durchsichtigen Platten zusammengesetzt, gehalten von einem Strebennetz aus Titan. Manche bestanden aus Diamant, manche aus Quarz, manche waren für Phams Augen fast undurchsichtig. Die Spinnen bevorzugten immer noch direkte Ansichten. Bildtapeten und menschliche Abbildungstechniken wurden nicht annähernd ihrem Sichtspektrum gerecht. Die polyederförmige Oberfläche wölbte sich wie eine Blase von fünfzig Metern Durchmesser nach außen. An ihrer Basis hatten die Spinnenarchitekten eine in Terrassen gegliederte Erhebung errichtet, die zu den Bankett-Tischen an der Spitze anstieg.
Nach arachnischen Maßstäben war die Steigung sanft, mit breit ausladenden Stufen. Für menschliche Augen war die Erhebung ein Hochsitz mit steil abfallenden Flanken, und die Treppen waren seltsame, breite Leitern. Doch die Gesamtwirkung war — für Menschen wie für Spinnen —, dass man, wo auch immer man um die Bankett-Tafel saß, auf den halben Himmel hinausschauen konnte. Das Große Temp war ein langgestrecktes Bauwerk, Gezeiten stabilisiert, und der Festsaal befand sich an dem der Arachna zugewandten Ende. Für jemanden, der genau nach oben schaute, füllte die Spinnenwelt einen Großteil des Blickfeldes. Für jemanden, der zur Seite blickte, bildeten der Felshaufen und die Temps der Menschen eine wohlgeordnete Ansammlung, jedes Jahr länger als zuvor. In der Gegenrichtung sah man die Königlichen Werften. Aus dieser Entfernung erschienen die Werften als formlose Zusammenballung von Lichtern, wo ab und zu winzige Blitze aufzuckten. Die Spinnen waren dabei, die Werkzeuge zur Herstellung von Werkzeugen zu bauen. In vielleicht einem weiteren Jahr würden sie die Mittelachse für ihr erstes Staustrahlschiff in Angriff nehmen.
Anne und Pham trafen exakt zur festgelegten Zeit ein. Das Bankett mochte zwar klein sein, doch die Gastgeber hatten es als förmlich deklariert. Sie schwebten die Erhebung hinan, vorbei an Stufe um Stufe, berührten hin und wieder die Treppen, um Richtung auf den runden Tisch an der Spitze zu halten. Die Gastgeber waren bereits zugegen, Trixia und Viki, Qiwi und Ezr, ebenso die anderen Gäste, Arachner wie auch Menschen. Anne und Pham kamen wie vorgesehen als Letzte, die Gäste des Abschieds.
Nachdem sie Platz genommen hatten, kamen Spinnen als Servierer aus der Basis der Erhebung und brachten eine Auswahl verschiedener Spinnen- und Menschenspeisen. Die beiden Arten konnten tatsächlich miteinander essen, wenngleich jede die Nahrung der anderen größtenteils grotesk fand.
Sie aßen die Hors d’ceuvres nach Spinnentradition schweigend. Dann erhob sich Trixia Bonsol von ihrem Platz unter den Spinnen und hielt eine vorbereitete Rede, so würdevoll wie nur irgendeine bei Jirlibs Abschied. Pham stöhnte lautlos. Außer Belga Untersiedel waren hier alle eng befreundet. Er wusste, dass sie wohl kaum förmlicher als er selbst waren. Doch dem Anlass eignete eine Traurigkeit, und die schien größer zu sein, als es selbst bei einem normalen Abschied sein sollte. Er schaute sich verstohlen am Tisch um. So ernst, die Menschen in der Gesellschaftskleidung für Schwerelosigkeit, die mindestens tausend Jahre zurückreichte. Doch es war unwahrscheinlich, dass sie hier diplomatische Feinheiten beachten müssten. Untersiedel war wahrscheinlich das heikelste Wesen hier, doch sogar sie hielt es nicht sehr mit Förmlichkeit. Wenn jetzt nicht jemand das Wort ergriff, konnte das ganze Bankett ablaufen, ohne dass sie sich wirklich unterhielten.
Als Trixia fertig war und sich setzte, schüttete also Pham sacht einen halben Liter Wein in die Luft über seinem Platz am Tisch. Die dunkelrote Flüssigkeit schwabbelte in sich hin und her, peinlicherweise verschüttet, würde sie noch peinlicher werden, je nachdem, wen sie schließlich traf. Pham steckte den Finger in das zitternde Nass und drehte ihn ein bisschen hin und her. Der Flüssigkeitsklumpen streckte sich, bildete unter der eigenen Oberflächenspannung einen Kranz. Jetzt hatte er jedenfalls ihre Aufmerksamkeit erregt, bei den Spinnen noch mehr als bei den Menschen. Pham winkte einen Servierer weg, der mit einer Vakuumserviette bereitstand. Er grinste sein Publikum an. »Hübscher Trick, was?«
Qiwi beugte sich vor und schaute zu ihm herüber. »Es wäre ein hübscherer Trick, wenn du das Zeug sauber wieder herunterbringst.« Sie grinste ebenfalls. »Ich muss es wissen, meine Tochter spielt auch mit ihrem Essen.«
»Ja. Also, ich werde es beisammenhalten, solange ich kann.« Er hatte aus dem rotierenden Kranz wieder eine schwabbelnde Kugel geformt. Bisher hatte er nicht einmal die Spitze seiner Manschetten befleckt. Qiwi schaute mit angespanntem, professionellem Interesse zu. Das war die Art Trick, den sie einmal mit Milliarden Tonnen schweren Felsen ausgeführt hatte. Er zweifelte nicht daran, dass Kira Vinh-Lisolet mit ihrem Essen spielte; Qiwi ermutigte den kleinen Racker wahrscheinlich.
Er ließ das glänzend rote Zeug über seinem Platz schweben und winkte den Servierern, den nächsten Gang zu bringen. »Ich werde euch später ein paar Tricks zeigen, passt nur auf.«
Viktoria Lichtberg erhob sich ein kleines Stück von ihrem Sitzgitter. Ihre Mundhände modulierten ihre Stimme zu einem traurigen Zwitschern. »Tricks… lange traurig vergangen… drexip.« Zumindest glaubte Pham, das habe sie gesagt. Selbst nach all der Zeit — sogar mit dem Umsetzergerät, das die Tonlage senkte und alle Phoneme hörbar machte — war die Spinnensprache schwieriger als jede menschliche Sprache, von der er wusste. Trixia, die neben Lichtberg saß, lächelte und gab ihre eigene Übersetzung. »Wir werden deine Tricks vermissen, Zauberer.« In ihrer Stimme lag dieselbe Traurigkeit, die er in den Spinnenklängen hörte. Verdammt. Bei denen klingt das wie eine Totenfeier.
Also lächelte Pham strahlend und tat so, als habe er nicht verstanden. »Ja. In weniger als einer Megasekunde werden Anne und ich fort sein.« Zusammen mit tausend anderen, Aufsteigern, ehemals Fokussierten und sogar ein paar von der Dschöng Ho. Drei Sternenschiffe und tausend Mann Besatzung. »Wenn wir zurückkehren, werden vielleicht zwei Jahrhunderte vergangen sein. Aber he! Bei der Dschöng Ho gibt es oft längere Trennungen. Ich weiß, dass in euren Werften Schiffe im Bau sind.« Er deutete auf das Flackern am Himmel hinter Viktoria Lichtberg. »Viele von euch werden auch auf Reise gehen. Sehr wahrscheinlich werden sich manche von uns wiedersehen — und wenn es so weit ist, werden wir neue Geschichten auszutauschen haben, wie es bei der Dschöng Ho und anderen Sternenfahrern immer der Fall ist.«
Ezr Vinh nickte. »Ja, es wird künftige Begegnungen geben, selbst wenn wir nicht wissen, wo wir uns treffen werden und wann. Doch für viele von uns wird dies das letzte Treffen sein.« Ezr wich seinem Blick aus. Im Grunde zweifelt sogar Ezr. Und Ezr hatte die Hälfte seines Gewinns aus dieser Mission hergegeben, um Pham und Anne bei den Vorbereitungen zu helfen.
Doch Qiwi legte Ezr die Hand auf die Schulter. »Ich sage, wir legen ein paar Fixpunkte für ein Treffen fest, ganz so, wie es die Großen Familien tun.« Eine Zeit und einen Ort und eine Lebensspanne, die vergangen sein würde. Sie schaute zu Anne hinüber und lächelte. Jetzt war Qiwi Mutter und Ingenieur. Meistens schien sie der glücklichste Mensch ringsum zu sein. Doch manchmal sah Pham noch einen Schatten, vielleicht, wenn sie an ihre Mutter dachte, die andere Kira. Qiwi billigte diese Mission nach Balacrea. Verdammt, er war sicher, sie würde mitfliegen, wenn nicht Ezr und ihre Kinder wären und die neue Welt, die sie hier erschuf. Ezr hatte viel gelernt, was die Führung von Menschen anging, sogar noch mehr, seit er jetzt wirklich der Flottenverwalter für alle Menschen war. Doch Qiwis Genie war der Rahmen, den Ezr brauchte. Sie war es, die herausfinden konnte, welche Technik die Spinnen am höchsten schätzen würden. Ohne die Geschäfte, die sie zustande gebracht hatte, wäre die Werft der Spinnen noch ein Traum. Ezr hatte sich selbst immer als gescheiterten jüngeren Sohn betrachtet. Ichfrage mich, ob er und Qiwi wirklich verstehen, was sie hier erschaffen. Sie hatten Kinder, ebenso Jau und Rita und viele andere. Gonle und Benny hatten einen Kindergarten für all die neuen Kleinen gebaut, einen Ort, wo Kinder und Kupplinge spielten, während ihre Eltern zusammen arbeiteten. Das Unternehmen der Menschen und Spinnen wuchs von Jahr zu Jahr. Wie vor langer Zeit Sura Vinh, würden Qiwi und Ezr vielleicht selber nicht viel reisen, doch diesem Teil des Dschöng-Ho-Raums stand eine Explosion von Licht bevor, die Geburt von etwas Neuem, das Canberra und Namqem in den Schatten stellen würde.
Eine Explosion von Licht. Ja! »Also legen wir den Fixpunkt fest! Die nächste Neue Sonne — oder vielleicht ein paar Megasek danach, weil ich mich zu erinnern glaube, dass es ein bisschen ungemütlich ist, wenn die Sonne gerade aufflammt.« Ungefähr zwei Jahrhunderte. Das wird gut zu meinen anderen Plänen passen.
Viktoria durch Trixia: »Ja, kurz nach der nächsten Hellzeit. Hier im Großen Temp — um wie viel größer es dann auch sein mag.«
»Einverstanden.«
»Einverstanden!« Die Stimmen kamen rings vom Tisch.
Belga Unterberg surrte und zischelte, und wie üblich verstand Pham nichts von dem, was sie sagte, außer dass ihr Ton voll trotzigen Unglaubens war. Zum Glück stand ihr als Chefin des Königlichen Geheimdienstes ein Vollzeit-Übersetzer zu. Zinmin Broute saß neben ihr und lauschte ihr mit der Andeutung eines Lächelns. Broute schien die alte Schreckschraube tatsächlich gern zu haben. Als sie fertig war, verbannte er das Lächeln von seinem Gesicht und setzte eine tüchtig finstere Miene auf. »Das ist schreiende Dummheit oder eine menschliche Verrücktheit, die ich noch nicht verstehe. Sie haben drei Schiffe, und damit wollen Sie das Aufsteiger-Imperium stürzen? Aber die letzten sieben Jahre hindurch haben Sie uns immer wieder gesagt, dass wir Spinnen keine Invasion von außen zu fürchten brauchen, dass eine planetare Zivilisation mit hoch entwickelter Technik immer eine erfolgreiche Verteidigung zustande bringt. Die Aufsteiger müssen in ihren Heimatgebieten Tausende von Militärschiffen haben, und doch reden Sie davon, sie zu stürzen. Haben Sie uns belogen, oder hängen Sie einfach einem Wunschdenken nach?«
Viktoria Lichtberg surrte eine Frage, aber so einfach und deutlich, dass Trixia nicht zu übersetzen brauchte. »Aber vielleicht… bekommt ihr Hilfe… von weiter entfernten Teilen der Dschöng Ho?«
»Nein«, sagte Ezr. »Ich… Um ehrlich zu sein, wir von der Dschöng Ho kämpfen nicht gern. Es ist um so viel leichter, die Tyranneien einfach sich selbst zu überlassen. ›Lasst sie mit sich selber Handel treiben‹, wie ein altes Sprichwort bei uns lautet.«
Anne Reynolt hatte die ganze Zeit über geschwiegen. Jetzt sagte sie: »Schon in Ordnung, Ezr. Ihr habt uns geholfen…« Sie wandte sich an Belga Untersiedel. »Frau General, jemand muss es tun. Die Aufsteiger und Fokus sind etwas Neues. Wenn man sie in Ruhe lässt, werden sie einfach noch stärker werden — und eines Tages werden sie kommen, um euch zu schlucken.«
Im Zucken von Untersiedels längsten Armen war Ungläubigkeit offensichtlich. »Ja, noch mehr Widersprüche. Die letzten Jahre über haben Sie uns überredet, Ihnen über den Handel hinaus mit Bewaffnung und Ausrüstung beizustehen.« Ein menschlicher Sprecher hätte vielleicht einen Blick in Richtung von Viktoria Lichtberg geworfen; Viktoria fand in diesen Dingen Gehör beim König. »Doch was nützt es, wenn Sie Selbstmord begehen? So sehe ich die Chancen.«
Anne lächelte, doch Pham bemerkte, dass die Frage in ihr Anspannung erzeugte. Belga Untersiedel hatte in offizielleren Foren diese Fragen immer wieder aufgeworfen, und es war unwahrscheinlich, dass sie jetzt eine irgend befriedigende Antwort erhalten würde. Die Fragen verfolgten auch Anne. Doch Belga begriff nicht, dass für Anne Reynolt diese Mission bessere Chancen bot, als sie je gehabt hatte. »Kein Selbstmord, Frau General. Wir haben spezielle Vorteile, und Pham und ich wissen, wie man sie nutzt.« Sie legte ihre Hand auf die Phams. »Ich habe einen der wenigen Kommandeure in der Geschichte der Menschheit für meine Sache gewonnen, dem so etwas gelungen ist.«
Ja, die strentmannische Sache war ähnlich. Gott helfe mir. Einen Moment lang sagte niemand etwas. Der halbe Liter Wein war nach oben weggedriftet. Pham steckte den Finger in sein Rotationszentrum und holte den Wein sanft herunter vor die Stelle, wo er saß. »Wir haben konkretere Vorteile als meine furchtlose Führung. Anne weiß so viel wie jeder Hülsenmeister darüber, wie das innere System funktioniert.« Und ihre kleine Flotte würde einige überraschende Apparaturen mit sich führen, die ersten Erzeugnisse der neuen Menschen-Spinnen-Technik. Doch das war nicht die größte Stärke der Flotte. Die Besatzungen der drei Schiffe waren größtenteils ehemals Fokussierte, die die Mechanismen der Aufsteiger-Automatik verstanden und die sie ebenso sehr wie Anne stürzen wollten. Es waren sogar ein paar von den ursprünglichen unfokussierten Aufsteigern dabei. Während er sprach, sah Pham, wie ihn Jau Xin aufmerksam beobachtete — und wie Rita Liao Jau beobachtete. Sie würden mitkommen, wenn sie nicht ihre drei Kleinen hätten. Und selbst jetzt bestand eine Chance. Pham blieben noch vier Tage, um sie zu überreden. Vor der Reise zur Arachna war Xin Pilotenverwalter für Naus Onkel gewesen. Und die letzten Meldungen von der Balacrea zeigten, dass die Nau-Clique wieder die Oberhand hatte.
Pham blickte von Gesicht zu Gesicht, während er die Pläne schilderte. Ezr und Qiwi, Trixia und Viktoria, sicherlich Jau und Rita: Sie halten das nicht wirklich für eine Totenfeier. Sie verstehen, dass wir gute Chancen haben, aber sie machen sich Sorgen um uns. »Und wir haben Naus Aufzeichnungen und die Sendungen studiert, die er erhalten hat — die wir immer noch von Balacrea erhalten. Wir haben ihnen weisgemacht, die Aufsteiger hätten hier gesiegt. Unser Plan geht davon aus, dass wir ins Planetensystem eindringen können, ehe sie erkennen, dass wir keine Freunde sind. Wir wissen eine Menge über die internen Fraktionen an der Spitze ihrer Gesellschaft. Alles in allem…« Alles in allem war es vielleicht etwas, was sie lieber bleiben lassen sollten. Doch Anne hatte Recht, was den Fokus betraf, und Anne wollte das mehr als alles andere. Und danach, nun ja, da war dann sein großes Projekt, und Anne dabei zu haben, wäre alle Risiken wert. »Alles in allem haben wir eine Chance. Es wird ein Glücksspiel sein, ein Abenteuer. Ich wollte unser Flaggschiff die Wildgans nennen, doch Anne hat es mir nicht erlaubt.«
»Ha!«, sagte Anne. »Ich glaube, Aufsteigers Lohn ist ein viel passenderer Name. Wenn wir gesiegt haben, kannst du es die Wildgans nennen!«
Der erste Gang des Banketts kam gerade, und Pham hatte keine Gelegenheit, ihr zu antworten. Stattdessen zeigte er den anderen, dass man wirklich einen halben Liter Rotwein in den Trinkballon zurückstecken kann, ohne irgendwelche kleineren Tröpfchen zu erzeugen. Er grinste vor sich hin. Nicht einmal die anderen von der Dschöng Ho hatten das bisher gesehen. Das war einfach einer von den Vorteilen, wenn man weit herumgekommen war.
Das Bankett dauerte etliche Kilosekunden. Sie hatten Zeit, über vieles zu sprechen, sich zu erinnern, wo sie gewesen waren, und der Freunde zu gedenken, die gestorben waren, um diesen Tag möglich zu machen. Doch die größte Überraschung kam erst unmittelbar gegen Ende, als Anne etwas sagte, dass niemand von den Spinnen, nicht einmal Viktoria Lichtberg, geahnt hatte.
Anne hatte sich im Verlauf des Banketts entspannt. Pham wusste, dass sie sich in Gruppen von Leuten immer noch nicht richtig wohl fühlte. Sie konnte fast jede Rolle spielen, doch in ihr war eine Schüchternheit, die nicht zum Vorschein kam, außer wenn sie ganz offen war. Sie hatte gelernt, diesen Leuten zu vertrauen; solange das Thema nicht berührt wurde, was sie mit dem Aufstieg anfangen müsse, konnte sie wirklich mit sich selbst im Reinen sein. Und Anne Reynolt hatte noch vieles, was ihre Freunde hier brauchten. Mehr als jeder andere verstand sie die vormals Fokussierten. Pham hörte ihrem Geplauder mit Trixia Bonsol und Viktoria Lichtberg zu, wie sie Möglichkeiten vorschlug, wie sie noch mehr Übersetzungsdienste bekommen könnte. Vom Augenblick an, da ich dich gesehen habe, bist du mir als etwas ganz Besonderes erschienen. Das flammend rote Haar, die blasse, fast rosa Haut. Solch ein Kontrast zu seinem eigenen schwarzen Haar und der rauchigen Hautfarbe. In diesem Teil des Menschenraums war ihr Aussehen wirklich sehr selten. Doch dann hatte er erfahren, was hinter diesen Augen steckte, die Klugheit, der Mut… Ihr nach Balacrea zu folgen, würde es wert sein, selbst wenn es keine Pläne für später gäbe.
An die Menschen wurden Digestifs verteilt. Das Äquivalent bei den Spinnen waren kleine schwarzen Kugeln, die man zerbiss und aussog und die Reste in kunstvolle Spucknäpfe spie.
Pham brachte gerade einen Trinkspruch auf den Erfolg der Vorhaben jeder Gruppe aus — und auf das Treffen, das sie in zweihundert Jahren anberaumt hatten.
Ezr Vinh lehnte sich um Qiwi herum und schaute ihn an. »Und nach unserem Treffen dann? Nachdem ihr die Balacrea und den Frenk befreit habt? Was dann? Wann werdet ihr uns endlich davon erzählen?«
Anne lächelte Pham zu. »Ja, erzähl ihnen von unserer Wildgansjagd.« [1]
»Hmm.« Phams Verlegenheit war nicht vollends gespielt. Außer mit Anne hatte er noch nicht darüber gesprochen. Vielleicht, weil der Plan sogar im Vergleich zu seinen grandiosen Plänen der Vergangenheit grandios war. »Also gut. Ihr wisst, warum wir zur Arachna gekommen sind: das Rätsel des EinAus-Sterns und der Existenz von intelligentem Leben hier. Wir haben vierzig Jahre unter dem Joch von Tomas Nau zugebracht, aber dennoch interessante Dinge erfahren.«
Ezr: »Stimmt. An keinem anderen Ort hat die Menschheit so viele wunderbare Dinge gefunden.«
»Wir Menschen glaubten, wir wüssten, was unmöglich ist. Nur ein paar Verrückte fragten sich noch, ob es vielleicht anders wäre, hauptsächlich Astronomen, die ferne Rätsel beobachten. Also, der EinAus-Stern war das Erste davon, das wir aus der Nähe gesehen haben. Und seht, was wir gefunden haben: eine Stellarphysik, die wir nicht richtig verstehen, Cavorit, das wir noch weniger verstehen…«
Pham brach ab, als er den Blick in Qiwis Augen gewahr wurde. Sie erinnerte sich an etwas aus einem Albtraum. Sie schaute weg, doch Pham sprach nicht weiter, und nach einem Moment sagte sie sehr leise: »Tomas Nau pflegte so zu reden. Tomas war ein bösartiger Mensch, aber…« Aber böse Menschen — die gefährlichsten von ihnen — haben oft kluge Ideen. Sie schluckte und fuhr dann fester fort: »Ich erinnere mich, wie die Fokussierten DNS-Analysen des Ozeaneises durchführten, das wir heraufgeholt hatten. Die Vielfalt — sie war größer als auf tausend Welten. Die Analytiker glaubten, das liege an der Vielfalt von Lebensnischen auf der Arachna. Tomas… Tomas glaubte vielmehr, es gebe so große Vielfalt, weil einst, vor sehr langer Zeit, die Arachna ein Kreuzweg war.«
Ezr nahm Qiwis Hand. »Nicht nur Tomas Nau. Wir alle haben uns darüber gewundert. Es gibt hier viel zu viel kristallinen Kohlenstoff — die Diamant-Forams, der Felshaufen. Jemandes Computer? Aber die Forams sind zu klein, und unsere L1-Felsen sind zu groß… und jetzt sind sie bloß totes Gestein.«
Auf der anderen Seite des Tisches sagte Jau Xin: »Vielleicht nicht vollends. Immerhin gibt es Cavorit.«
Belga Untersiedel raspelte etwas, das nicht beeindruckt wirkte; Viktoria surrte Gelächter. Einen Augenblick später kam Zinmins Übersetzung: »Also haben die Khelmschen Verwerfe einen neuen Gläubigen, nur dass jetzt unsere Welt eine Müllhalde ist und wir Spinnen uns aus dem Müll-Ungeziefer der Götter entwickelt haben. Wenn das wahr ist, wo ist der Rest des Super-Imperiums?«
»Ich… ich weiß nicht. Bedenken Sie, dass das vor fünfzig bis hundert Millionen Jahren war. Vielleicht hatten sie einen Krieg. Eine der einfachsten Erklärungen für euer Sonnensystem ist, dass es ein Kriegsgebiet war, wo eine Sonne zerstört und alle Planeten bis auf einen verdampft wurden.« Und dieser eine Überlebende war von einer großen Magie beschützt worden. »Oder vielleicht hat sich das Imperium zu etwas anderem weiterentwickelt oder es überlässt es uns, uns in unserem eigenen Tempo zu entwickeln.« Manche von den Möglichkeiten klangen sehr dumm, wenn man sie laut aussprach.
Untersiedels Esshände spreizten sich in einer Geste, die Pham als zweifelndes Lächeln erkannte. »Das hört sich wirklich an wie Khelm! Aber schauen Sie, Ihre ›Theorie‹ erklärt alles Mögliche, ohne dass sie irgendetwas zu tun ermöglicht, geschweige denn, dass sie Wege aufzeigt, wie man sie überprüfen kann.«
Gonle Fong stieß die Hand in die Luft, eine unbewusst übernommene Spinnengeste. »Wo also liegt der Streitpunkt? ›Die Arachna ist ein Ort, wo einst alle Gescheiterten Träume wahr waren.‹ Schön. Es ist eine einfache Annahme, die alles umfasst. Zugleich leben wir im Hier und Heute, ein paar hundert Lichtjahre, ein paar tausend Jahre. Wie immer die Erklärung lauten mag, wir können den Gewinn eines ganzen Lebens einbringen, indem wir nur mit dem spielen, was wir jetzt auf der Arachna finden!«
Pham nickte höflich. »Ja. Eine gute Dschöng-Ho-Haltung. Aber, Gonle — ich bin in einer Zivilisation von Burgen und Kanonen geboren worden. Ich habe lange gelebt — Kälteschlaf nicht gerechnet — und eine Menge gesehen. Seit dem Zeitalter der Morgenröte haben wir Menschen ein wenig hier gelernt, ein wenig da — doch hauptsächlich haben wir gelernt, welche Grenzen es gibt. Planetarische Zivilisationen steigen auf und fallen. Auf dem Gipfel sind sie wunderbar, aber es gibt so viel Dunkelheit.« Burgen und Kanonen — und Schlimmeres. »Und sogar die Dschöng Ho — wir überleben und gedeihen, doch wir haben Grenzen gefunden, denen wir uns nur nähern können, wie die Lichtgeschwindigkeit. Ich bin bei der Brisgo-Lücke an diesen Grenzen gescheitert. Als ich vom Fokus erfuhr, glaubte ich, es könnte ein Weg sein, die Dunkelheit zwischen den Zivilisationen zu beenden. Ich habe mich getäuscht.« Er schaute Anne in die Augen. »Also habe ich meinen Traum aufgegeben, den Traum meines ganzen Lebens… und mich dann umgeschaut. Hier auf der Arachna haben wir endlich etwas gefunden, das von außerhalb unserer Grenzen stammt. Es ist ein winziger Blick, den wir erhaschen, Splitter und Bodensatz von ungeheuer strahlender Herrlichkeit. Gonle, es gibt solche und solche Planungshorizonte… Ezr hat mich gefragt, was ich tun will, nachdem wir die Aufsteiger gestürzt und uns alle wieder getroffen haben. Nun, einfach dies: Ich werde dorthin gehen, wo die Arachna hergekommen ist.«
Trixias Übersetzung seiner Worte ratterte noch einen Moment länger, und dann war rings am Tisch absolutes Schweigen. Ezr saß erstarrt da. Pham und Anne hatten das für sich behalten; in Anbetracht all der anderen Dinge, die geschahen, war das Geheimnis leicht zu bewahren gewesen. Doch Ezr Vinh hatte sein Leben lang das Zeitalter der Morgenröte und die Gescheiterten Träume bewundert, und jetzt sah er, wie sie vielleicht doch noch wahr werden konnten. Der Junge starrte einen Moment lang entzückt vor sich hin. Dann erwachte wieder sein kritisches Denken. Seine Worte waren keine Einwände, er wollte, dass Phams Plan gelänge, aber…
»Welchen Kurs wirst du nehmen? Und…?«
»Welchen Kurs? Das ist die leichte Frage, obwohl wir ein paar Jahrhunderte Zeit haben werden, darüber nachzudenken. Aber schaut, die Menschheit starrt mit Hochtechnologie seit Jahrtausenden auf die Sterne. Das eine ums andere Mal hat fast jede Kundenzivilisation Felder von Hundert-Meter-Spiegeln gebaut und all die anderen schlauen Dinge unternommen, um weit entfernten Dingen nachzuschnüffeln. Wir sehen einige ferne Rätsel. Hie und da nehmen wir über die Galaxis verteilt Staustrahltriebwerke wahr und uralte Funksendungen.«
»Wenn es also mehr gäbe, hätten wir es gesehen«, sagte Ezr, doch er wusste offensichtlich, was kommen würde. Die Argumente waren Alte Geschichte.
»Nur, wenn es ein Ort ist, wo wir hinschauen können. Doch Teile des Galaxiskerns sind ziemlich verdeckt. Wenn unsere Superzivilisation keinen Funk benutzt, wenn sie etwas Besseres als Staustrahlantrieb besitzt… Unten beim Kern ist der einzige Ort, wo sie unserer Entdeckung entgangen sein könnten.« Und die exzentrische Bahn des EinAus-Sterns hatte jene unerforschten Tiefen zumindest durchlaufen.
»Gut, Pham. Ich stimme zu, es passt alles. Aber du redest von dreißigtausend Lichtjahren bis zum Kern, fast so weit wie bis zu den Umbrawolken.«
Gonle: »Das ist hundertmal weiter als alles, was die Dschöng Ho je versucht hat. Ohne Depotzivilisationen unterwegs werden deine Staustrahltriebwerke in weniger als tausend Jahren versagen. Wir können von solch einer Mission träumen, doch sie liegt ganz und gar außerhalb unserer Möglichkeiten.«
Pham grinste sie alle an. »Sie liegt jetzt ganz und gar außerhalb unserer Möglichkeiten.«
»Das sage ich doch! Es ist immer außerhalb gewesen.«
Doch Erz ging ein Licht auf. »Gonle, er meint, dass es in Zukunft anders sein kann.«
»Ja!« Pham beugte sich vor und fragte sich, wie viele von ihnen er mit seinem Traum fesseln könnte. »Macht ein kleines Gedankenexperiment. Versetzt euch zurück ins Zeitalter der Morgenröte. Einige wenige Jahrhunderte lang erwarteten die Leute damals, dass in der Zukunft alles radikal besser würde. Mit der Arachna holt man ein wenig von diesem Geist zurück. Vielleicht glaubt ihr es jetzt nicht. Ihr seht die Zivilisation nicht, die ihr errichtet. Ezr und Qiwi, ihr seid dabei, eine Große Familie zu gründen, die jede andere in der Geschichte der Dschöng Ho in den Schatten stellen wird. Trixia und Viktoria und all die Spinnen werden das Großartigste sein, was unserem Geschäft jemals widerfahren ist. Und ihr fangt eben erst an, die Widersprüche der Arachna zu verstehen. Ihr habt Recht: Heute von einer Reise zum Kern zu reden, ist, als wenn ein Kind in die Brandung watet und davon redet, den Ozean zu überqueren. Aber ich biete euch eine Wette an: Bis zur nächsten Hellzeit werdet ihr die Technik haben, die ich brauche.«
Er schaute zu Anne, die neben ihm saß. Sie erwiderte sein Lächeln, ein Grinsen, das zugleich glücklich und ein wenig spöttisch war. »Anne und ich und die Leute in unserer Dreierflotte haben vor, das Aufsteiger-System zu stürzen. Wenn wir dort Erfolg haben — und das werden wir —, wird es doch immer noch eine Zivilisation mit Hochtechnologie sein. Wir werden eine größere Flotte bauen, mindestens eine Zwanzigerflotte. Und Anne wird mich ihr Flaggschiff in Wildgans umbenennen lassen. Und wir werden hierher zurückkehren und uns ausrüsten, um… auf Suche zu gehen.« Und würde Anne dann wirklich mit ihm kommen? Sie sagte, sie würde es tun. Würde der Sturz der Aufsteiger-Tyrannei die Besessenheit aufheben, die sie antrieb? Vielleicht nicht. Ein Sieg würde ganze Welten wie die Defokussierungs-Station im Obergeschoss von Hammerfest hinterlassen. Vielleicht würde sie nicht imstande sein, die Menschen zu verlassen, die sie gerettet hatte. Was dann? Ich weiß nicht. Einst war er im Alleinsein sehr gut gewesen. Jetzt — wie sonderbar ich mich verändert habe.
Annes Lächeln war jetzt sanft. Sie drückte seine Hand und nickte zu dem Abkommen, das sie gerade geschildert hatte. Pham schaute von Gesicht zu Gesicht: Qiwi wirkte verblüfft. Ezr wirkte wie jemand, der verzweifelt gern glauben möchte, aber andere Vorhaben hatte, die ihn ablenkten und für mehr als ein Leben reichen würden. Was die Spinnen anging, so reichte das Spektrum von Untersiedels störrischem »Das will ich sehen« bis…
Während seiner ganzen Rede hatte Viktoria Lichtberg ruhig und schweigend dagesessen, selbst ihre Esshände waren reglos. Jetzt sprach sie, ein dichtes Trällern, leise und traurig und verwundert, sodass Trixia übersetzen musste: »Papa hätte der Plan gefallen.«
»Ja.« Phams Stimme stockte. Unterberg war ein Genie und ein Träumer gewesen, geradewegs aus dem Zeitalter der Morgenröte. Pham hatte längst Trixias ›Videomantie-Tagebücher‹ gelesen, die Geschichte von Unterbergs Gegenlauer. Der Kupp war tief in die Automatik der Aufsteiger eingedrungen, manchmal so tief, dass die fokussierte Anne Reynolt die Manipulationen bemerkte und sie für Beweise für eine Verschwörung unter den Menschen hielt. Am Ende wusste Unterberg, was Fokus war; er wusste, dass die Menschen keine KI oder sonst eine Technik besaßen, die seine enorm übertroffen hätte. Scherkaner Unterberg musste sehr enttäuscht gewesen sein, als er die Grenzen des Fortschritts erfuhr.
Anne nickte, zögerte. Und dann kam der Moment, da sie alle überraschte, auch sich selbst, am meisten aber die Spinnen. Sie reckte den Kopf vor, und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Und warum glaubt ihr, dass er nicht überlebt hat? Er hatte so viel Informationen wie nur irgendeiner von uns — und eine Menge mehr Phantasie. Warum glaubt ihr, dass er nicht auch das hier geplant hat?«
»Anne, ich habe die Tagebücher gelesen. Wenn er am Leben wäre, wäre er hier.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das frage ich mich. Wandertiefe ist etwas, das zu verstehen wir Menschen nicht eingerichtet sind, und Scherkaner war überzeugt, Schmid sei tot. Doch Scherkaner Unterberg hat Menschen wie auch Spinnen mehr als einmal verblüfft. Er hat die Spinnheit in ungeahnte Richtungen geführt — er hat die Tiefe am Himmel gesehen. Ich glaube, er ist irgendwo dort unten und hat vor, alle Rätsel zu überdauern.«
»Es könnte sein… es könnte sein.« Die Worte — Pham konnte nicht sagen, ob sie letzten Endes von Trixia oder Viktoria kamen — wurden in behutsamer Ehrfurcht gesprochen. »Wir wissen eigentlich nicht, wo auf der Hochebene er gelandet ist. Wenn es etwas war, das er vorher erkundet hatte, dann hätte er eine Chance.«
Pham schaute nach draußen zur Arachna. Der Planet erstreckte sich über dreißig Grad, eine große schwarze Perle. Spuren von Gold und Silber glommen überall auf dem Kontinent in die südliche Halbkugel hinein und über den matten Schimmer des Ostmeeres. Und doch gab es noch große Gebiete unerschlossener Dunkelheit, geschützte Landstriche, die bis zum Ende des Dunkels still und kalt bleiben würden. Pham fühlte plötzlich eine erregende Einsicht. Ja. Irgendwo dort unten schlief vielleicht noch ein alter Spinn, wartete auf seine verlorene Dame… und begann seine allergrößte Lauer.
So tief,
so hoch,
so viel zu lernen noch.