Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt
Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte;
Doch euren Augen soll ihn jetzt die Kunst
Auch euren Herzen menschlich näher bringen: –
Sie sieht den Menschen in des Lebens Drang
Und wälzt die größre Hälfte seiner Schuld
Den unglückseligen Gestirnen zu.
Die Sage, womit sich die folgenden Blätter beschäftigen, gehört jenem Teil des südlichen Teutschlands an, welcher sich zwischen den Gebirgen der Alb und des Schwarzwaldes ausbreitet: das erstere dieser Gebirge schließt von Nordwest nach Süden in verschiedener Breite sich ausdehnend, in einer langen Bergkette dieses Land ein, der Schwarzwald aber ziehet sich von den Quellen der Donau bis hinüber an den Rhein und bildet mit seinen schwärzlichen Tannenwäldern einen dunklen Hintergrund für die schöne, fruchtbare, weinreiche Landschaft, die vom Neckar durchströmt an seinem Fuße sich ausbreitet und Württemberg heißt.
Dieses Land schritt aus geringem, dunklem Anfang unter mancherlei Kämpfen siegend zu seiner jetzigen Stellung unter den Nachbarstaaten hervor. Es erregt dies um so größere Bewunderung, wenn man die Zeit bedenkt, in welcher sein Name zuerst aus dem Dunkel tritt; jene Zeit, wo mächtige Grenznachbarn, wie die Stauffen, die Herzoge von Teck, die Grafen von Zollern um seine Wiege gelagert waren; wenn man die inneren und äußeren Stürme bedenkt, die es durchzogen und oft selbst seinen Namen aus den Annalen der Geschichte zu vertilgen drohten.
Gab es ja doch sogar eine Zeit, wo der Stamm seiner Beherrscher auf ewig aus den Hallen ihrer Väter verdrängt schien, wo sein unglücklicher Herzog aus seinen Grenzen fliehen und in drückender Verbannung leben mußte, wo fremde Herren in seinen Burgen hausten, fremde Söldner das Land bewachten, und wenig fehlte, daß Württemberg aufhörte zu sein, jene blühenden Fluren zerrissen und eine Beute für viele oder eine Provinz des Hauses Österreich wurde.
Unter den vielen Sagen, die von ihrem Lande und der Geschichte ihrer Väter im Munde der Schwaben leben, ist wohl keine von so hohem romantischem Interesse, als die, welche sich an die Kämpfe der eben erwähnten Zeit, an das wunderbare Schicksal jenes unglücklichen Fürsten knüpft. Wir haben versucht, sie wiederzugeben, wie man sie auf den Höhen von Lichtenstein und an den Ufern des Neckars erzählen hört, wir haben es gewagt, auch auf die Gefahr hin, verkannt zu werden. Man wird uns nämlich entgegenhalten, daß sich der Charakter Ulerichs von Württemberg[1] nicht dazu eigne, in einem historischen Romane mit milden Farben wiedergegeben zu werden; man hat ihn vielfach angefeindet, manches Auge hat sich sogar daran gewöhnt, wenn es die lange Bilderreihe der Herzoge Württembergs mustert, mit scheuem Blick vom ältern Eberhard auf Christoph[2] überzuspringen, als seie das Unglück eines Landes nur allein in seinem Herrscher zu suchen, oder als seie es verdienstlich, das Auge mit Abscheu zu wenden von den Tagen der Not.
Und doch möchte es die Frage sein, ob man nicht in Beurteilung dieses Fürsten nur seinem erbittertsten Feinde Ulerich von Hutten nachbetet, der, um wenig zu sagen, hier allzusehr Partei ist, um als leidenschaftloser Zeuge gelten zu können; die Stimmen aber, die der Herzog und seine Freunde erhoben, hat der rauschende Strom der Zeit übertäubt, sie haben die zugleich anklagende und richtende Beredsamkeit seines Feindes, jene donnernde »Philippica in ducem Ulericum« nicht überdauert.
Wir haben fast alle gleichzeitige Schriftsteller, die Stimmen eines längstvergangenen, vielbewegten Jahrhunderts gewissenhaft verglichen und fanden keinen, der ihn geradehin verdammt. Und wenn man bedenkt, welch gewaltigen Einfluß Zeit und Umgebungen auf den Sterblichen auszuüben pflegen, wenn man bedenkt, daß Ulerich von Württemberg unter der Vormundschaft schlechter Räte aufwuchs, die ihn zum Bösen anleiteten um ihn nachher zu mißbrauchen, wenn man sich erinnert, daß er in einem Alter die Zügel der Regierung in die Hände bekam, wo der Knabe kaum zum Jüngling reif ist, so muß man wenigstens die erhabenen Seiten seines Charakters, hohe Seelenstärke und einen Mut, der nie zu unterdrücken ist, bewundern, sollte man es auch nicht über sich vermögen, die Härten damit zu mildern, die in seiner Geschichte das Auge beleidigen.
Das Jahr 1519, in welches unsere Sage fällt, hat über ihn entschieden, denn es ist der Anfang seines langen Unglückes. Doch darf die Nachwelt sagen, es war der Anfang seines Glückes; war ja doch jene lange Verbannung ein läuterndes Feuer, woraus er weise und kräftiger als je hervorging; es war der Anfang seines Glückes, denn seine späteren Regentenjahre wird jeder Württemberger segnen, der die religiöse Umwälzung, die dieser Fürst in seinem Vaterlande bewerkstelligte, für ein Glück ansieht.
In jenem Jahre war alles auf die Spitze gestellt. Der Aufruhr des Armen Konrad war sechs Jahre früher mit Mühe gestillt, doch war das Landvolk hie und da noch schwierig, weil der Herzog sie nicht für sich zu gewinnen wußte, seine Amtleute auf ihre eigene Faust arg hausten und Steuern auf Steuern erhoben wurden. Den Schwäbischen Bund, eine mächtige Vereinigung von Fürsten, Grafen, Rittern und freien Städten des Schwaben- und Frankenlandes hatte er wiederholt beleidigt, hauptsächlich auch dadurch, daß er sich weigerte, ihm beizutreten. So sahen also alle seine Grenznachbarn mit feindlichen Blicken auf sein Tun, als wollten sie nur Gelegenheit abwarten, ihn fühlen zu lassen, welch mächtiges Bündnis er verweigert habe. Der Kaiser Maximilian, der damals noch regierte, war ihm auch nicht ganz hold, besonders seit er im Verdacht war, den Ritter Götz von Berlichingen unterstützt zu haben, um sich an dem Kurfürsten von Mainz zu rächen.
Der Herzog von Bayern, ein mächtiger Nachbar, dazu sein Schwager, war ihm abgeneigt, weil Ulerich mit der Herzogin Sabina nicht zum besten lebte. Zu allem diesem kam, um sein Verderben zu beschleunigen, die Ermordung eines fränkischen Ritters, der an seinem Hofe lebte. Glaubwürdige Chronisten sagen, das Verhältnis des Johann von Hutten zu Sabina sei nicht so gewesen, wie es der Herzog gerne sah; daher griff ihn der Herzog auf einer Jagd an, warf ihm seine Untreue vor, forderte ihn auf, sich seines Lebens zu erwehren und stach ihn nieder. Die Huttischen, hauptsächlich Ulerich von Hutten, erhoben ihre Stimmen wider ihn, und in ganz Teutschland erscholl ihr Klage- und Rachegeschrei.
Auch die Herzogin, die durch stolzes, zänkisches Wesen Ulerich schon als Braut aufgebracht und ihm keine gute Ehe bereitet hatte, trat jetzt als Gegnerin auf, entfloh mit Hülfe Dieterichs von Spät, und sie und ihre Brüder traten als Kläger und bittere Feinde bei dem Kaiser auf.[3] Es wurden Verträge geschlossen und nicht gehalten, es wurden Friedensvorschläge angeboten und wieder verworfen, die Not um den Herzog wuchs von Monat zu Monat, und dennoch beugte sich sein Sinn nicht, denn er meinte, recht getan zu haben. Der Kaiser starb in dieser Zeit; er war ein Herr, der Ulerich trotz den vielen Klagen dennoch Milde bewiesen hatte; an ihm starb dem Herzog ein unparteiischer Richter, den er in diesen Bedrängnissen so gut hätte brauchen können, denn das Unglück kam jetzt schnell.
Man feierte das Leichenfest des Kaisers zu Stuttgart in der Burg, als dem Herzog Kunde kam, daß Reutlingen, eine Reichsstadt, die in seinem Gebiete lag, seinen Waldvogt auf Achalm erschlagen habe. Diese Städtler hatten ihn schon oft empfindlich beleidigt, sie waren ihm verhaßt und sollten jetzt seine Rache fühlen. Schnell zum Zorn gereizt wie er war, warf er sich aufs Pferd, ließ die Lärmtrommeln tönen durch das Land, belagerte die Stadt und nahm sie ein. Der Herzog ließ sich von ihnen huldigen und die Reichsstadt war württembergisch.[4]
Aber jetzt erhob sich der Schwäbische Bund mit Macht, denn diese Stadt war ein Glied desselben gewesen. So schwer es auch sonst hielt, diese Fürsten, Grafen und Städte alle aufzubieten, so weilten sie doch hier nicht, sondern hielten zusammen, denn der Haß ist ein fester Kitt. Umsonst waren Ulerichs schriftliche Verteidigungen[5]; das Bundesheer sammelte sich bei Ulm und drohte mit einem Einfall.
So war also in dem Jahr 1519 alles auf die Spitze gestellt. Konnte der Herzog das Feld behaupten, so behielt er recht und es war nicht zu zweifeln, daß er dann großen Anhang bekommen würde; gelang es dem Bunde, den Herzog aus dem Felde zu schlagen, dann wehe ihm, wo so vieles zu rächen war, durfte er keine Schonung erwarten.
Die Blicke Teutschlands hingen bange an dem Erfolg dieses Kampfes, sie suchten begierig durch den Vorhang des Schicksals zu dringen und zu erspähen, was die künftigen Tage bringen werden, ob Württemberg gesiegt, ob der Bund den Walplatz behauptet habe. Wir rollen diesen Vorhang auf, wir lassen Bild an Bild vorüberziehen, möge das Auge nicht zu frühe ermüdet sich davon abwenden.
Oder sollte es ein zu kühnes Unternehmen sein, eine historische Sage der Vorzeit in unsern Tagen wieder zu erzählen? Sollte es unbillig sein, zu wünschen, daß sich die Aufmerksamkeit des Lesers einige kurze Stunden nach den Höhen der Schwäbischen Alb und nach den lieblichen Tälern des Neckars wende?
Die Quellen des Susquehanna und die malerischen Höhen von Boston, die grünen Ufer des Tweed und die Gebirge des schottischen Hochlandes, Alt-Englands lustige Sitten und die romantische Armut der Galen, leben, Dank sei es dem glücklichen Pinsel jener berühmten Novellisten, auch bei uns in aller Munde. Begierig liest man in getreuen Übertragungen, die wie Pilze aus der Erde zu wachsen scheinen, was vor sechzig oder sechshundert Jahren in den Gefilden von Glasgow oder in den Wäldern von Wallis sich zugetragen. Ja, wir werden bald die Geschichte der drei Reiche so genau innehaben, als hätten wir sie nach den gelehrtesten Forschungen ergründet. Und doch ist es meist nur der große Unbekannte, der uns die Bücher seiner Chroniken erschloß und Bild an Bild in unendlicher Reihe vor dem staunenden Auge vorüberführte; er ist es, der diesen Zauber bewirkte, daß wir in Schottlands Geschichte beinahe besser bewandert sind, als in der unserigen, und daß wir die religiösen und weltlichen Händel unserer Vorzeit bei weitem nicht so deutlich kennen, als die Presbyterianer und Episkopalen Albions.
Und in was besteht der Zauber, womit jener unbekannte Magier unsere Blicke und unsere Herzen nach den »bergigten Heiden« seines Vaterlandes zog? Vielleicht in der ungeheuern Masse dessen, was er erzählt, in der grauenvollen Anzahl von hundert Bänden, die er uns über den Kanal schickte? Aber auch wir haben mit Gottes und der Leipziger Messen Hülfe Männer von achtzig, hundert und hundertundzwanzig! Oder haben vielleicht die Berge von Schottland ein glänzenderes Grün, als der teutsche Harz, der Taunus und die Höhen des Schwarzwaldes; ziehen die Wellen des Tweed in lieblicherem Blau als der Neckar und die Donau, sind seine Ufer herrlicher als die Ufer des Rheins? Sind vielleicht jene Schotten ein interessanterer Menschenschlag als der, den unser Vaterland trägt, hatten ihre Väter röteres Blut als die Schwaben und Sachsen der alten Zeit, sind ihre Weiber liebenswürdiger, ihre Mädchen schöner als die Töchter Teutschlands? Wir haben Ursache daran zu zweifeln, und hierin kann also jener Zauber des Unbekannten nicht liegen.
Aber darin liegt er wohl, daß jener große Novellist auf historischem Grund und Boden geht, nicht als ob der unserige weniger geschichtlich wäre, aber wir haben ja schon seit Jahrhunderten uns angewöhnt, unter fremdem Himmel zu suchen, was bei uns selbst blühte, und wie wir die rohen Stoffe ausführen, um sie in anderer Form mit Bewunderung und Ehrfurcht als teure Kleinode wieder in unsere Grenzen aufzunehmen, so bewundern wir jedes Fremde und Ausländische nicht, weil es groß oder erhaben, sondern weil es nicht in unseren Tälern gewachsen ist.
Doch auch wir hatten eine Vorzeit, die reich an bürgerlichen Kämpfen, uns nicht weniger interessant dünkt als die Vorzeit des Schotten; darum haben auch wir gewagt, ein historisches Tableau zu entrollen, das, wenn es auch nicht jene kühnen Umrisse der Gestalten, jenen zauberischen Schmelz der Landschaft aufweist, und wenn das an solche Herrlichkeiten gewöhnte Auge umsonst die süße, bequeme Magie der Hexerei und den von Zigeunerhand geschürzten Schicksalsknoten darin sucht, ja wenn sogar unsere Farben matt, unser Crayon stumpf erscheint, doch eines zur Entschuldigung für sich haben möchte, ich meine die historische Wahrheit.
Was soll doch dies Trommeten sein?
Was deutet dies Geschrei?
Will treten an das Fensterlein,
Ich ahne, was es sei.
Nach den ersten trüben Tagen des März 1519 war endlich am 12. ein recht freundlicher Morgen über der Reichsstadt Ulm aufgegangen. Die Donaunebel, die um diese Jahreszeit immer noch drückend über der Stadt liegen, waren schon lange vor Mittag der Sonne gewichen, und immer freier und weiter wurde die Aussicht in die Ebene über den Fluß hinüber.
Aber auch die engen kalten Straßen mit ihren hohen dunkeln Giebelhäusern hatte der schöne Morgen heller als sonst beleuchtet, und ihnen einen Glanz, eine Freundlichkeit gegeben, die zu dem heutigen festlichen Ansehen der Stadt gar trefflich paßte. Die große Herdbruckergasse – sie führt von dem Donautor an das Rathaus – stand an diesem Morgen gedrängt voll Menschen, die sich Kopf an Kopf wie eine Mauer an den beiden Seiten der Häuser hinzogen, nur einen engen Raum in der Mitte der Gasse übriglassend; ein dumpfes Gemurmel gespannter Erwartung lief durch die Reihen, und brach nur in ein kurzes Gelächter aus, wenn etwa die alten, strengen Stadtwächter eine hübsche Dirne, die sich zu vorlaut in den freigelassenen Raum gedrängt hatte; etwas unsanft mit dem Ende ihrer langen Hellebarde zurückdrängten, oder wenn ein Schalk sich den Spaß machte, »Sie kommen, sie kommen«, rief, alles lange Hälse machte und schaute, bis es sich zeigte, daß man sich wieder getäuscht habe.
Noch dichter aber war das Gedränge da, wo die Herdbruckergasse auf den Platz vor dem Rathaus einbiegt; dort hatten sich die Zünfte aufgestellt; die Schiffer-Gilde mit ihren Altmeistern an der Spitze, die Weber, die Zimmerer, die Bräuer, mit ihren Fahnen und Gewerbzeichen, sie alle waren im Sonntagswams und wohlbewaffnet zahlreich dort versammelt.
Bot aber schon die Menge hier unten einen fröhlichen, festlichen Anblick dar, so war dies noch mehr der Fall mit den hohen Häusern der Straßen selbst. Bis an die Giebeldächer waren alle Fenster voll geputzter Frauen und Mädchen, um welche sich die grünen Tannen und Taxuszweige, die bunten Teppiche und Tücher, mit welchen die Seiten geschmückt waren, wie Rahmen um liebliche Gemälde zogen.
Das anmutigste Bild gewährte wohl ein Erkerfenster im Hause des Herrn Hans von Besserer. Dort standen zwei Mädchen, so verschieden an Gesicht, Gestalt und Kleidung, und doch beide von so ausgezeichneter Schönheit, daß, wer sie so von der Straße betrachtete, eine Weile zweifelhaft war, welcher er wohl den Vorzug geben möchte.
Beide schienen nicht über achtzehn Jahre zu haben, die eine größere war zart gebaut; reiches braunes Haar zog sich um eine freie Stirne, die gewölbten Bogen ihrer dunkeln Brauen, das ruhige blaue Auge, der feingeschnittene Mund, die zarten Farben der Wangen – sie gaben ein Bild, das unter unsern heutigen Damen für sehr anziehend gelten würde, das aber in jenen Zeiten, wo noch höheren Farben, volleren Formen der Apfel zuerkannt wurde, nur durch seine gebietende Würde neben der andern Schönen sich geltend machen konnte.
Diese, kleiner und in reichlicherer Fülle als ihre Nachbarin, war eines jener unbesorgten immer heiteren Wesen, welche wohl wissen, daß sie gefallen. Ihr hellblondes Haar war nach damaliger Sitte der Ulmer Damen in viel Löckchen und Zöpfchen geschlungen, und zum Teil unter ein weißes Häubchen voll kleiner künstlicher Fältchen gesteckt, das runde frische Gesichtchen war in immerwährender Bewegung, noch rastloser glitten die lebhaften Augen über die Menge hin, und der lächelnde Mund, der alle Augenblicke die schönen Zähne sehen ließ, zeugt deutlich, daß es unter den vielerlei abenteuerlichen Gruppen und Gestalten nicht an Gegenständen fehle, die ihrer fröhlichen Laune zur Zielscheibe dienen mußten.
Hinter den beiden Mädchen stand ein großer bejahrter Mann; seine tiefen strengen Züge, seine buschigen Augenbrauen, sein langer dünner, schon ins Graue spielender Bart, selbst sein ganz schwarzer Anzug, der wunderlich gegen die reichen bunten Farben um ihn her abstach, gaben ihm ein ernstes, beinahe trauriges Aussehen, das kaum ein wenig milder wurde, wenn ein Schimmer von Freundlichkeit, hervorgelockt durch die glücklichen Einfälle der Blondine, wie ein Wetterleuchten durch das finstere Gesicht zog. Diese Gruppe, so verschieden in sich durch Farbe und Schattierung, wie durch Charakter und Jahre, zog hin und wieder die Aufmerksamkeit der Untenstehenden auf sich. Manches Auge hing an den schönen Mädchen, und sie beschäftigten eine Weile durch ihre überraschende Erscheinung jene müßige Menge, die schon ungeduldig zu werden anfing, daß das Schauspiel, dessen sie harrten, noch immer sich nicht zeigen wollte.
Es ging schon stark auf Mittag; die Menge wogte immer ungeduldiger, preßte sich stärker, und hin und wieder hatte sich schon einer oder der andere aus den Reihen der ehrsamen Zünfte auf den Boden gelagert, da tönten drei Stückschüsse von der Schanze auf dem Luginsland herüber, die Glocken des Münsters begannen tiefe volle Akkorde über die Stadt hinzurollen, und im Augenblick hatten sich die verworrenen Reihen geordnet.
»Sie kommen, Marie, sie kommen«, rief die Blonde im Erkerfenster, und schlang ihren Arm um den Leib ihrer Nachbarin, indem sie sich weiter zum Fenster hinausbeugte. Das Haus des Herrn von Besserer bildete die Ecke der vorerwähnten Straße, von dem Erker konnte man hinab beinahe bis an das Donautor, und hinüber bis in die Fenster des Rathauses, sehen, und die Mädchen hatten also ihren Standpunkt trefflich gewählt, um das Schauspiel, dessen sie harrten, ganz zu genießen.
Die Gasse zwischen den beiden Reihen des Volkes war indes mit Mühe weiter gemacht worden, die Stadtwächter stellten sich mit weit ausgestreckten Hellebarden auf, tiefe Stille herrschte unter der ungeheuren Menge, nur das Geläute der Glocken tönte noch fort.
Jetzt hörte man den dumpfen Schall der Pauken, vermischt mit den hohen Klängen der Zinken und Trompeten, und durch das Tor herein bewegte sich ein langer glänzender Zug von Reitern. Die Stadtpauker und Trompeter, die berittene Schar der Ulmer Patriziersöhne war eine zu alltägliche Erscheinung, als daß das Auge lange darauf verweilt hätte. Als aber das schwarze und weiße Banner der Stadt, mit dem Reichsadler, als Fahnen und Standarten aller Größen und Farben, zum Tor hereinschwankten, da gedachten die Zuschauer, daß jetzt der rechte Augenblick gekommen sei.
Auch unsere Schönen im Erkerfenster schärften jetzt ihre Blicke, als man die Menge am untern Teil der Straße ehrerbietig die Mützen abnehmen sah.
Auf einem großen starkknochigen Rosse nahte ein Mann, dessen kräftige Haltung, dessen heiteres, frisches Ansehen in sonderbarem Kontrast stand, mit der tief gefurchten Stirne und dem schon ins Graue spielenden Haar und Bart. Er trug einen zugespitzten Hut mit vielen Federn, einen Brustharnisch über ein enganschließendes rotes Wams, Beinkleider von Leder mit Seide ausgeschlitzt, die wohl von neuem recht hübsch gewesen sein mochten, aber durch Regen und Strapazen eine einförmige dunkelbraune Farbe erhalten hatten. Weite schwere Reiterstiefel schlossen sich unter den Knien an. Seine einzige Waffe ein ungewöhnlich großes Schwert mit langem Griffe ohne Korb, vollendet das Bild eines gewaltigen, unter Gefahren früh ergrauten Kriegers. Der einzige Schmuck dieses Mannes war eine lange goldene Kette von dicken Ringen, fünfmal um den Hals gelegt, an welcher ein Ehrenpfennig von gleichem Metall auf die Brust herabhing.
»Sagt geschwind, Oheim! wer ist der stattliche Mann, der so jung und alt aussieht«, rief die Blonde, indem sie das Köpfchen ein wenig nach dem schwarzen Herrn, der hinter ihr stand, zurückbeugte.
»Das kann ich dir sagen, Berta«, antwortete dieser, »es ist Georg von Frondsberg[6], oberster Feldhauptmann des bündischen Fußvolkes, ein wackerer Mann, wenn er einer besseren Sache diente!«
»Behaltet Eure Bemerkungen für Euch, Herr Württemberger«, entgegnete ihm die Kleine, indem sie lächelnd mit dem Finger drohte, »Ihr wißt, daß die Ulmer Mädchen gut bündisch sind!«
Der Oheim aber, ohne sich irremachen zu lassen, fuhr fort: »Jener dort auf dem Schimmel ist Truchseß Waldburg, der Feldlieutenant[7], dem auch etwas von unserem Württemberg wohl anstünde; dort hinter ihm kommen die Bundesobersten; weiß Gott, sie sehen aus wie Wölfe, die nach Beute gehen.«
»Pfui! verwitterte Gestalten!« bemerkte Berta, »ob es wohl auch der Mühe wert war, Bäschen Marie, daß wir uns so putzten? Aber siehe da, wer ist der junge schwarze Reiter auf dem Braunen? sieh nur das bleiche Gesicht und die feurigen schwarzen Augen! Auf seinem Schilde steht, ›ich hab's gewagt.‹«
»Das ist der Ritter Ulerich von Hutten«, erwiderte der Alte, »dem Gott seine Schmähworte gegen unsern Herzog verzeihen wolle. Kinder! das ist ein gelehrter frommer Herr; er ist zwar des Herzogs bitterster Feind, aber ich sage so, denn was wahr ist, muß wahr bleiben![8]
Und siehe, da sind Sickingens[9] Farben, wahrhaftig da ist er selbst; schaut hin Mädchen, das ist Franz von Sickingen, sie sagen, er führe tausend Reiter in das Feld, der ist's mit dem blanken Harnisch und der roten Feder.«
»Aber sagt mir Oheim«, fragte Berta wieder, »welches ist denn Götz von Berlichingen, von dem uns Vetter Kraft so viel erzählt; er ist ein gewaltiger Mann und hat eine Faust von Eisen; reitet er nicht mit den Städten?«
»Götz und die Städtler nenne nie in einem Atem«, sprach der Alte mit Ernst; »er hält zu Württemberg.«[10]
Ein großer Teil des Zuges war während diesem Gespräch am Fenster vorübergezogen, und mit Verwunderung hatte Berta bemerkt, wie gleichgültig und teilnahmslos ihre Base Marie hinabschaue. Es war zwar sonst des Mädchens Art, sinnend, zuweilen wohl auch träumend auszusehen, aber heute, bei einem so glänzenden Aufzug so ganz ohne Teilnahme zu sein, deuchte ihr ein großes Unrecht. Sie wollte sie eben zur Rede stellen, als ein Geräusch von der Straße her, ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein mächtiges Roß bäumte sich in der Mitte der Straße unter Ihrem Fenster, wahrscheinlich scheue gemacht durch die flatternden Fahnen der Zünfte. Sein hoch zurückgeworfener Kopf verdeckte den Reiter, so daß nur die wehenden Federn des Baretts sichtbar waren; aber die Gewandtheit und Kraft, mit welcher er das Pferd herunterriß und zum Stehen brachte, ließ einen jungen mutigen Reiter ahnen. Das lange hellbraune Haar war ihm von der Anstrengung über das Gesicht herabgefallen, als er es zurückschlug, traf sein Blick das Erkerfenster.
»Nun dies ist doch einmal ein hübscher Herr«, flüsterte die Blonde ihrer Nachbarin zu, so heimlich, so leise, als fürchte sie von dem schönen Reiter gehört zu werden, »und wie er artig und höflich ist! siehe nur, er hat uns gegrüßt ohne uns zu kennen!«
Aber das stille Bäschen Marie schien der Kleinen nicht viel Aufmerksamkeit zu schenken; ein glühendes Rot zog über die zarten Wangen. Ja! wer die ernste Jungfrau gesehen hatte, wie sie so kalt auf den Zug hinabsah, hätte wohl nie geahnet, daß so viel holde Freundlichkeit um diesen Mund, so viel Liebe in diesem sinnenden Auge wohnen könnte, als in jenem Augenblick sichtbar wurde, wo sie durch ein leichtes Neigen des Hauptes den Gruß des jungen Reiters erwiderte.
Der kleinen Schwätzerin war unsere flüchtige aber wahre Bemerkung über dem Anblick des schönen Mannes völlig entgangen; »Nur schnell Oheim«, rief sie und zog den alten Herrn am Mantel, »wer ist dieser in der hellblauen Binde mit Silber? Nun?«
»Ja liebes Kind«, antwortete der Oheim, »den habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Seinen Farben nach steht er in keinem besonderen Dienst, sondern reitet wohl auf seine eigene Faust gegen meinen Herzog und Herrn, wie so viele Hungerleider, die sich an unseren Töpfen laben wollen.«
»Mit Euch ist doch nichts anzufangen«, sagte die Kleine und wandte sich unmutig ab; »die alten und gelehrten Herren kennet Ihr alle auf hundert Schritte und weiter; wenn man aber einmal nach einem hübschen, höflichen Junker fragt, wißt Ihr nichts. Du bist auch so Marie, machtest Augen auf den Zug hinunter, als ob es eine Prozession an Fronleichnam wäre; ich wette, du hast das Schönste von allem nicht gesehen, und hattest noch den alten Frondsberg im Kopfe, als ganz andere Leute vorbeiritten!«
Der Zug hatte sich während dieser Strafrede Bertas vor dem Rathause aufgestellt, die bündische Reiterei, die noch vorüberzog, hatte wenig Interesse mehr für die beiden Mädchen, als daher die Herren abgesessen und zum Imbiß ins Rathaus gezogen waren, als die Zünfte ihre Glieder auflösten und das Volk sich allmählich zu verlaufen begann, zogen auch sie sich vom Fenster zurück.
Berta schien nicht ganz zufrieden zu sein. Ihre Neugier war nur halb befriedigt. Sie hütete sich übrigens wohl, vor dem alten, ernsten Oheim etwas merken zu lassen. Als aber dieser das Gemach verließ, wandte sie sich an ihre Base, die noch immer träumend am Fenster stand:
»Nein! wie einen doch so etwas peinigen kann! Ich wollte viel darum geben, wenn ich wüßte, wie er heißt; daß du aber auch gar keine Augen hast, Marie! Ich stieß dich doch an, als er grüßte. Siehe, hellbraune Haare, recht lang und glatt, freundliche dunkle Augen, das ganze Gesicht ein wenig bräunlich, aber hübsch, sehr hübsch. Ein Bärtchen über dem Mund, nein! ich sage dir – Wie du jetzt nur wieder gleich rot werden kannst«, fuhr die Blonde in ihrem Eifer fort, »als ob zwei Mädchen, wenn sie allein sind, nicht von dem schönen Mund eines jungen Herrn sprechen dürften. Dies geschieht oft bei uns; aber freilich bei deiner seligen Frau Muhme in Tübingen und bei deinem ernsten Vater in Lichtenstein, kamen solche Sachen nicht zur Sprache, und ich sehe schon, Bäschen Marie träumt wieder, und ich muß mir ein Ulmer Stadtkind suchen, wenn ich auch nur ein klein wenig schwatzen will.«
Marie antwortete nur durch ein Lächeln, das wir vielleicht etwas schelmisch gefunden hätten; Berta aber nahm den großen Schlüsselbund vom Haken an der Türe, sang sich ein Liedchen und ging, um noch einiges zum Mittagessen zu rüsten. Denn wenn man ihr auch etwas zu große Neugierde vorwerfen konnte, so war sie doch eine zu gute Haushälterin, als daß sie über der flüchtigen Erscheinung des höflichen Reiters das Zugemüse und den Nachtisch vergessen hätte.
Sie hüpfte hinaus und ließ ihre Base allein bei ihren Gedanken; und auch wir stören sie nicht, wenn sie jetzt die schönen Bilder der Erinnerung durchgeht, die jene Erscheinung mit einemmal aus dem tiefen, treuen Herzen hervorgerufen hatte, wenn sie jener Zeit gedenkt, wo ein flüchtiger Blick von ihm, ein Druck seiner Hand, ihre Tage erhellte, wenn sie jener Nächte gedenkt, wo sie im stillen Kämmerlein, unbelauscht von der seligen Muhme, jene Schärpe flocht, deren freudige Farben sie heute aus ihren Träumen weckten; wir lauschen nicht, wenn sie errötend und mit niedergeschlagenen Augen sich fragt, ob Bäschen Berta den süßen Mund des Geliebten richtig beschrieben habe?
Steigt deine Hoffnung wieder?
Ist nicht dein Herz entbrannt?
Du fühlst dich, Jüngling wieder
Im alten Schwabenland.
Der festliche Aufzug, den wir auf den letzten Blättern beschrieben haben, galt den Häuptern und Obersten des Schwäbischen Bundes, der an diesem Tage, auf seinem Marsch von Augsburg, wo er sich versammelt hatte, in Ulm einzog. Der Leser kennt aus der Einleitung die Lage der Dinge. Herzog Ulerich von Württemberg hatte durch die Unbeugsamkeit, mit welcher er trotzte, durch die allzuheftigen Ausbrüche seines Zornes und seiner Rache, durch die Kühnheit, mit welcher er, der einzelne, so vielen verbündeten Fürsten und Herren die Stirne bot, zuletzt noch durch die plötzliche Einnahme der Reichsstadt Reutlingen den bittersten Haß des Bundes auf sich gezogen. Der Krieg war unvermeidlich, denn es stand nicht zu erwarten, daß man Ulerich, nachdem man so weit gegangen, friedliche Vorschläge tun werde.
Hiezu kamen noch die besonderen Rücksichten, die jeden leiteten. Der Herzog von Bayern, um seiner Schwester Sabina Genugtuung zu verschaffen, die Schar der Huttischen um ihren Stammesvetter zu rächen, Dieterich von Spät[11] und seine Gesellen, um ihre Schmach in Württembergs Unglück abzuwaschen, die Städte und Städtchen, um Reutlingen wieder gut bündisch zu machen, sie alle hatten ihre Banner entrollt und sich mit blutigen Gedanken und lüstern nach gewisser Beute eingestellt.
Bei weitem friedlicher und fröhlicher waren bei diesem Einzug die Gesinnungen Georgs von Sturmfeder, jenes »artigen Reiters«, der Bertas Neugierde in so hohem Grade erweckt, dessen unerwartete Erscheinung Mariens Wangen mit so tiefem Rot gefärbt hatte. Wußte er doch kaum selbst, wie er zu diesem Feldzug kam, da er, obgleich den Waffen nicht fremd, doch nicht zunächst für das Waffenwerk bestimmt war. Aus einem armen aber angesehenen Stamme Frankens entsprossen, war er frühe verwaist von einem Bruder seines Vaters erzogen worden. Schon damals hatte man angefangen, gelehrte Bildung als einen Schmuck des Adels zu schätzen. Daher wählte sein Oheim für ihn diese Laufhahn. Die Sage erzählt nicht, ob er auf der hohen Schule in Tübingen, die damals in ihrem ersten Erblühen war, in Wissenschaften viel getan. Es kam nur die Nachricht bis auf uns, daß er einem Fräulein von Lichtenstein, die bei einer Muhme in jener Musenstadt lebte, wärmere Teilnahme schenkte, als den Lehrstühlen der berühmtesten Doktoren. Man erzählt sich auch, daß das Fräulein mit ernstem, beinahe männlichem Geiste alle Künste, womit andere ihr Herz bestürmten, gering geachtet habe. Zwar kannte man schon damals alle jene Kriegslisten, ein hartes Herz zu erobern, und die Jünger der alten Tubinga hatten ihren Ovid vielleicht besser studiert als die heutigen, es sollen aber weder nächtliche Liebesklagen, noch fürchterliche Schlachten und Kämpfe um ihren Besitz die Jungfrau erweicht haben. Nur einem gelang es, dieses Herz für sich zu gewinnen, und dieser eine war Georg. Sie haben zwar, wie es stille Liebe zu tun pflegt, niemand gesagt, wann und wo ihnen der erste Strahl des Verständnisses aufging und wir sind weit entfernt, uns in dieses süße Geheimnis der ersten Liebe eindrängen zu wollen, oder gar Dinge zu erzählen, die wir geschichtlich nicht belegen können; doch können wir mit Grund annehmen, daß sie schon bis zu jenem Grad der Liebe gediehen waren, wo man, gedrängt von äußeren Verhältnissen, gleichsam als Trost für das Scheiden, ewige Treue schwört; denn als die Muhme in Tübingen das Zeitliche gesegnete, und Herr von Lichtenstein sein Töchterlein zu sich holen ließ, um sie nach Ulm, wo ihm eine Schwester verheiratet war, zu weiterer Ausbildung zu schicken, da merkte Rose, Mariens alte Zofe, daß so heiße Tränen und die Sehnsucht, mit welcher Maria noch einmal und immer wieder aus der Sänfte zurücksah, nicht den bergigten Straßen, denen sie Valet sagen mußten, allein gelte.
Bald darauf langte auch ein Sendschreiben an Georg an, worin ihm sein Oheim die Frage beibrachte, ob er jetzt nach vier Jahren noch nicht gelehrt genug sei? Dieser Ruf kam ihm erwünscht; seit Mariens Abreise waren ihm die Lehrstühle der gelehrten Doktoren, die finstere Hügelstadt, ja selbst das liebliche Tal des Neckars verhaßt geworden. Mit neuer Kraft erfrischte ihn die kalte Luft, die ihm von den Bergen entgegenströmte, als er an einem schönen Morgen des Februar aus den Toren Tübingens seiner Heimat entgegenritt, wie die Sehnen seiner Arme in dem frischen Morgen sich straffer anzogen, wie die Muskeln seiner Faust kräftiger in die Zügel faßten, so erhob sich auch seine Seele zu jenem frischen heiteren Mute, der diesem Alter so eigen ist, wenn die Gewißheit eines süßen Glückes im Herzen lebt, und vor dem Auge, das Erfahrung noch nicht geschärft, Unglück noch nicht getrübt hat, die Zukunft heiter und freundlich sich ausbreitet. Wie der klare See, der das heitere Bild, das auf ihn herabschaut, nicht minder freundlich zurückwirft, und mit diesen reizenden Farben seine Tiefe verhüllt, so hat gerade das Ungewisse dieser Zukunft seinen eigentümlichen Reiz. Man glaubt im Kopf und Arm Kraft genug zu tragen, um dem Glück seine Gunst abzuringen, und dies Vertrauen auf sich selbst gibt bei weitem mutigere Zuversicht, als die mächtigste Hülfe von außen.
So war die Stimmung Georgs von Sturmfeder, als er durch den Schönbuchwald seiner Heimat zuzog. Zwar brachte ihn dieser Weg dem Liebchen nicht näher, zwar konnte er nichts sein nennen als das Roß, das er eben ritt und die Burg seiner Väter, von welcher der Volkswitz sang:
Ein Haus auf drei Stützen,
Wer vorn hereinkommt,
Kann hinten nicht sitzen.
Aber er wußte, daß dem festen Willen hundert Wege offenstehen, um zum Ziel zu gelangen, und der alte Spruch des Römers: »Fortes fortuna juvat«, hatte ihm noch nie gelogen.
Wirklich schienen auch seine Wünsche nach einer tätigen Laufbahn bald in Erfüllung zu gehen.
Der Herzog von Württemberg hatte Reutlingen, das ihn beleidigt hatte, aus einer Reichsstadt zur Landstadt gemacht und es war kein Zweifel mehr an einem Krieg.
Der Erfolg schien aber damals sehr ungewiß. Der Schwäbische Bund, wenn er auch erfahrenere Feldherrn und geübtere Soldaten zählte, hatte doch in allen Kriegen durch Uneinigkeit sich selbst geschadet. Ulerich, auf seiner Seite, hatte vierzehntausend Schweizer, tapfere kampfgeübte Männer geworben, aus seinem eigenen Lande konnte er, wenn auch minder geübte, doch zahlreiche und tüchtige Truppen ziehen und so stand die Waage im Februar 1519 noch ziemlich gleich.
Wo alles um ihn her Partei nahm, glaubte Georg nicht müßig bleiben zu dürfen. Ein Krieg war Ihm erwünscht; es war eine Laufbahn, die ihn seinem Ziele, um Marie würdig freien zu können, bald nahebringen konnte.
Zwar zog ihn sein Herz weder zu der einen, noch zu der andern Partei. Vom Herzog sprach man im Lande schlecht, des Bundes Absichten schienen nicht die reinsten. Als aber durch Geld und Klagen der Huttischen und durch die Aussicht auf reiche Beute bestochen achtzehn Grafen und Herren, deren Besitzungen an sein Gütchen grenzten, auf einmal[12] dem Herzog ihre Dienste aufsagten, da schien es ihn zum Bunde zu ziehen. Den Ausschlag gab die Nachricht, daß der alte Lichtenstein mit seiner Tochter in Ulm sich befinde; auf jener Seite, wo Marie war, durfte er nicht fehlen, und so bot er dem Bunde seine Dienste an.
Die fränkische Ritterschaft unter Anführung Ludwigs von Hutten, zog sich am Anfang des März gegen Augsburg hin, um sich dort mit Ludwig von Bayern und den übrigen Bundesgliedern zu vereinigen. Bald hatte sich das Heer gesammelt, und ihr Weg glich einem Triumphzug, je näher sie dem Gebiete ihres Feindes kamen.
Herzog Ulerich war bei Blaubeuren, der äußersten Stadt seines Landes gegen Ulm und Bayern hin, gelagert. In Ulm sollte jetzt noch einmal zuvor im großen Kriegsrat der Feldzug besprochen werden, und dann hoffte man in kurzer Zeit die Württemberger zur entscheidenden Schlacht zu nötigen. An friedliche Unterhandlungen wurde, da man so weit gegangen war, nicht mehr gedacht, Krieg war die Losung und Sieg der Gedanke des Heeres als ein frischer Morgenwind ihnen die Grüße des schweren Geschützes von den Wällen der Stadt entgegentrug, als das Geläute aller Glocken zum Willkomm vom anderen Ufer der Donau herübertönte.
Wohl schlug auch Georgs Herz höher bei dem Gedanken an seine erste Waffenprobe; aber wer je in ähnlicher Lage sich befand, wird ihn nicht tadeln, daß auch friedlichere Gedanken in seiner Seele aufzogen und ihn Kampf und Sieg vergessen ließen. Als zuerst, noch in weiter Ferne, das kolossale Münster aus dem Nebel auftauchte, als nachher der verhüllende Dunstschleier herabfiel und die Stadt mit ihren dunkeln Backsteinmauern, mit ihren hohen Tortürmen sich vor seinen Blicken ausbreitete, da kamen alle Zweifel, die er früher tief in die Brust zurückgedrängt hatte, schwerer als je über ihn. »Schließen jene Mauern auch die Geliebte ein? hat nicht ihr Vater seinem Herzog treu, vielleicht in die feindlichen Scharen sich gestellt, und darf der, dessen ganze Hoffnung darauf beruht, den Vater zu gewinnen, darf er sich jenem gegenüberstellen, ohne sein ganzes Glück zu vernichten? Und ist der Vater auf feindlicher Seite, kann Marie möglicherweise noch in jenen Mauern sein. Und wenn alles gut wäre, wenn unter der festlichen Menge, die sich zum Anblick des einziehenden Heeres drängt, auch Marie auf ihn herabschaut, hat sie auch die Treue noch bewahrt, die sie geschworen? –«
Doch der letzte Gedanke machte bald einer freudigeren Gewißheit Raum, denn wenn sich auch alles Unglück gegen ihn verschwor, Mariens Treue, er wußte es, war unwandelbar. Mutig drückte er die Schärpe, die sie ihm gegeben, an seine Brust, und als jetzt die Ulmer Reiterei sich an den Zug anschloß, als die Zinken und Trompeten ihre mutigen Weisen anstimmten, da kehrte seine alte Freudigkeit wieder, stolzer hob er sich im Sattel, kühner rückte er das Barett in die Stirne, und als der Zug in die festlich geschmückten Straßen einbog, musterte sein scharfes Auge alle Fenster der hohen Häuser, um sie zu erspähen.
Da gewahrte er sie, wie sie ernst und sinnend auf das fröhliche Gewühl hinabsah, er glaubte zu erkennen, wie ihre Gedanken in weiter Ferne den suchten, der ihr so nahe war, schnell drückte er seinem Pferde die Sporen in die Seite, daß es sich hoch aufbäumte und das Pflaster von seinem Hufschlag ertönte. Aber als sie sich zu ihm herabwandte, als Auge dem Auge begegnete, als ihr freudiges Erröten dem Glücklichen sagte, daß er erkannt und noch immer geliebt sei, da war es um die Besinnung des guten Georg geschehen; willenlos folgte er dem Zuge vor das Rathaus und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte ihn seine Sehnsucht alle Rücksichten vergessen lassen, und unwiderstehlich zu dem Eckhaus mit dem Erker hingezogen.
Schon hatte er die ersten Schritte nach jener Seite getan, als er sich von kräftiger Hand am Arm angefaßt fühlte.
»Was treibet Ihr, Junker«, rief ihm eine tiefe wohlbekannte Stimme ins Ohr, »dort hinauf geht es die Rathaustreppe. Wie? ich glaube, Ihr schwindelt, wäre auch kein Wunder, denn das Frühstück war gar zu mager. Seid getrost, Freundchen, und kommt. Die Ulmer führen gute Weine, wir wollen Euch mit altem Remstaler anstreichen.«
Wenn auch der Fall aus seinem Freudenhimmel, in welchem er einige Minuten geschwebt hatte, auf den Rathausplatz in Ulm etwas unsanft war, so wußte er doch dem alten Herrn von Breitenstein, seinem nächsten Grenznachbar in Franken, Dank, daß er ihn aus seinen Träumen aufgeschüttelt und von einem übereilten Schritte zurückgehalten hatte.
Er nahm daher freundlich den Arm des alten Herrn und folgte mit ihm den übrigen Rittern und Herren, die sich von dem scharfen Morgenritte an der guten Mittagskost, die ihnen die freie Reichsstadt aufgesetzt hatte, wieder erholen wollten.
Ich höre rauschende Musik, das Schloß ist
Von Lichtern hell. Wer sind die Fröhlichen?
Der Saal des Rathauses, wohin die Angekommenen geführt wurden, bildete ein großes, längliches Viereck. Die Wände und die zu der Größe des Saales unverhältnismäßig niedere Decke waren mit einem Getäfer von braunem Holz ausgelegt, unzählige Fenster mit runden Scheiben, worauf die Wappen der edlen Geschlechter von Ulm mit brennenden Farben gemalt waren, zogen sich an der einen Seite hin, die gegenüberstehende Wand füllten Gemälde berühmter Bürgermeister und Ratsherrn der Stadt, die beinahe alle in der gleichen Stellung, die Linke in die Hüfte, die Rechte auf einen reichbehängten Tisch gestützt, ernst und feierlich auf die Gäste ihrer Enkel herabsahen. Diese drängten sich in verworrenen Gruppen um die Tafel her, die in Form eines Hufeisens aufgestellt, beinahe die ganze Weite des Saales einnahm. Der Rat und die Patrizier, die heute im Namen der Stadt die Honneurs machen sollten, stachen in ihren zierlichen Festkleidern mit den steifen schneeweißen Halskrausen wunderlich ab gegen ihre bestaubten Gäste, die in Lederwerk und Eisenblech gehüllt, oft gar unsanft an die seidenen Mäntelein und samtenen Gewänder streiften. Man hatte bis jetzt noch auf den Herzog von Bayern gewartet, der einige Tage vorher eingetroffen, zu dem glänzenden Mittagsmahl zugesagt hatte, als aber sein Kämmerling seine Entschuldigung brachte, gaben die Trompeten das ersehnte Zeichen, und alles drängte sich so ungestüm zur Tafel, daß nicht einmal die gastfreundliche Ordnung des Rates, die je zwischen zwei Gäste einen Ulmer setzen wollten, gehörig beobachtet wurde.
Breitenstein hatte Georg auf einen Sitz niedergezogen, den er ihm als einen ganz vorzüglichen anpries. »Ich hätte Euch«, sagte der alte Herr, »zu den Gewaltigen da oben, zu Frondsberg, Sickingen, Hutten und Waldburg setzen können, aber in solcher Gesellschaft kann man den Hunger nicht mit gehöriger Ruhe stillen. Ich hätte Euch ferner zu den Nürnbergern und Augsburgern führen können, dort unten, wo der gebratene Pfau steht – weiß Gott sie haben keinen übeln Platz –, aber ich weiß, daß Euch die Städtler nicht recht behagen, darum habe ich Euch hieher gesetzt. Schauet Euch hier um, ob dies nicht ein trefflicher Platz ist? Die Gesichter umher kennen wir nicht, also braucht man nicht viel zu schwatzen. Rechts haben wir den geräucherten Schweinskopf mit der Zitrone im Maul, links eine prachtvolle Forelle, die sich vor Vergnügen in den Schwanz beißt, und vor uns diesen Rehziemer, so fett und zart wie auf der ganzen Tafel keiner mehr zu finden ist.«
Georg dankte ihm, daß er mit so viel Umsicht für ihn gesorgt habe, und betrachtete zugleich flüchtig seine Umgebung. Sein Nachbar rechts war ein junger zierlicher Herr, von etwa 25 bis 30 Jahren. Das frischgekämmte Haar, duftend von wohlriechenden Salben, der kleine Bart, der erst vor einer Stunde mit warmen Zänglein gekräuselt worden sein mochte, ließen Georg, noch ehe ihn die Mundart davon überzeugte, einen Ulmer Herrn erraten. Der junge Herr, als er sah, daß er von seinem Nachbar bemerkt wurde, bewies sich sehr zuvorkommend, indem er Georgs Becher aus einer großen silbernen Kanne füllte, auf glückliche Ankunft und gute Nachbarschaft mit ihm anstieß, und auch die besten Bissen von den unzähligen Rehen, Hasen, Schweinen, Fasanen und wilden Enten, die auf silbernen Platten umherstanden, dem Fremdling aufs Teller legte.
Doch diesen konnte weder seines Nachbars zuvorkommende Gefälligkeit noch Breitensteins ungemeiner Appetit zum Essen reizen. Er war noch zu sehr beschäftigt mit dem geliebten Bilde, das sich ihm beim Einzug gezeigt hatte, als daß er die Ermunterungen seiner Nachbarn befolgt hätte. Gedankenvoll sah er in den Becher, den er noch immer in der Hand hielt, und glaubte, wenn die Bläschen des alten Weines zersprangen und in Kreisen verschwebten, das Bild der Geliebten aus dem goldenen Boden des Bechers auftauchen zu sehen. Es war kein Wunder, daß der gesellige Herr zu seiner Rechten, als er sah, wie sein Gast, den Becher in der Hand, jede Speise verschmähe, ihn für einen unverbesserlichen Zechbruder hielt. Das feurige Auge, das unverwandt in den Becher sah, der lächelnde Mund des in seinen Träumen versunkenen Jünglings schien ihm einen jener echten Weinkenner anzuzeigen, die auf fein geübter Zunge den Gehalt des edlen Trankes lange zu prüfen pflegen.
Um der Ermahnung des wohledlen Rates, den Gästen das Mahl so angenehm als möglich zu machen, gehörig nachzu kommen, suchte er auf der entdeckten schwachen Seite dem jungen Mann beizukommen. Es war zwar gegen die Gewohnheit des jungen Ulmers, Wein zu trinken, aber dem jungen Mann zulieb, der etwas so Hohes und Gebietendes an sich hatte, mußte er schon ein übriges tun. Er schenkte sich seinen Becher wieder voll und begann: »Nicht wahr, Herr Nachbar, das Weinchen hat Feuer und einen feinen Geschmack? Freilich ist es kein Würzburger, wie Ihr ihn in Franken gewohnt sein werdet, aber es ist echter Ellfinger aus dem Ratskeller und immer seine achtzig Jahre alt.«
Verwundert über diese Anrede, setzte Georg den Becher nieder und antwortete mit einem kurzen »Ja, ja –« der Nachbar ließ aber den einmal aufgenommenen Faden nicht so bald wieder fallen. »Es scheint«, fuhr er fort, »als munde er Euch doch nicht ganz, aber da weiß ich Rat. Heda! gebt eine Kanne Uhlbacher hieher. – Versuchet einmal diesen, der wächst zunächst an des Württembergers Schloß; in diesem müßt Ihr mir Bescheid tun: Kurzen Krieg, großen Sieg!«
Georg, dem dieses Gespräch nicht recht zusagte, suchte seinen Nachbar auf einen anderen Weg zu bringen, der ihn zu anziehenderen Nachrichten führen konnte: »Ihr habt«, sprach er, »schöne Mädchen hier in Ulm, wenigstens bei unserem Einzug glaubte ich deren viele zu bemerken.«
»Weiß Gott«, entgegnete der Ulmer, »man könnte damit pflastern.«
»Das wäre vielleicht so übel nicht«, fuhr Georg fort, »denn das Pflaster Eurer Straßen ist herzlich schlecht. Aber sagt mir, wer wohnt dort in dem Eckhaus mit dem Erker, wenn ich nicht irre, schauten dort zwei feine Jungfrauen heraus, als wir einritten.«
»Habt Ihr diese auch schon bemerkt?« lachte jener, »wahrhaftig, Ihr habt ein scharfes Auge und seid ein Kenner. Das sind meine lieben Basen mütterlicherseits, die kleine Blonde ist eine Besserer, die andere ein Fräulein von Lichtenstein, eine Württembergerin, die auf Besuch dort ist.«
Georg dankte im stillen dem Himmel, der ihn gleich mit einem so nahen Verwandten Mariens zusammenführte. Er beschloß den Zufall zu benützen, und wandte sich so freundlich er nur konnte, zu seinem Nachbar: »Ihr habt ein paar hübsche Mühmchen, Herr von Besserer...«
»Dieterich von Kraft nenne ich mich«, fiel er ein, »Schreiber des Großen Rates –«
»Ein paar schöne Kinder, Herr von Kraft; und Ihr besuchet sie wohl recht oft?«
»Ja wohl«, antwortete der Schreiber des Großen Rates, »besonders seit die Lichtenstein im Hause ist. Zwar will mein Bäschen Berta etwas eifersüchtig werden, denn im Vertrauen gesagt, wir waren vorher ein Herz und eine Seele, aber ich tue als merke ich es nicht, und stehe mit Marien um so besser.«
Diese Nachricht mochte nicht so gar angenehm in Georgs Ohren klingen, denn er preßte die Lippen zusammen und seine Wangen färbten sich dunkler.
»Ja lachet nur«, fuhr der Ratsschreiber fort, dem der ungewohnte Geist des Weines zu Kopfe stieg, »wenn Ihr wüßtet, wie sie sich beide um mich reißen. Zwar – die Lichtenstein hat eine verdammte Art freundlich zu sein, sie tut so vornehm und ernst, daß man nicht recht wagt, in ihrer Gegenwart Spaß zu machen, noch weniger läßt sie ein wenig mit sich schäkern wie Berta, aber gerade das kommt mir so wunderhübsch vor, daß ich eilfmal wiederkomme, wenn sie mich auch zehnmal fortgeschickt hat. Das macht aber«, murmelte er nachdenklicher vor sich hin, »weil der gestrenge Herr Vater da ist, vor dem scheut sie sich, laßt nur den einmal über der Ulmer Markung sein, so soll sie schon kirre werden.«
Georg wollte sich nach dem Vater noch weiter erkundigen, als sonderbare Stimmen ihn unterbrachen. Schon vorher hatte er mitten durch das Geräusch der Speisenden diese Stimmen zu hören geglaubt, wie sie in schleppendem, einförmigem Ton ein paar kurze Sätze hersagten, ohne zu verstehen was es war. Jetzt hörte er dieselben Stimmen ganz in der Nähe, und bald bemerkte er welchen Inhaltes ihre eintönigen Sätze waren. Es gehörte nämlich in den guten alten Zeiten, besonders in Reichsstädten zum Ton, daß der Hausvater und seine Frau, wenn sie Gäste geladen hatten, gegen die Mitte der Tafel aufstanden, und bei jedem einzelnen umhergingen, mit einem herkömmlichen Sprüchlein zum Essen und Trinken zu nötigen.
Diese Sitte war in Ulm so stehend geworden, daß der Hohe Rat beschloß, auch an diesem Mahl keine Ausnahme zu machen, sondern ex officio einen Hausvater samt Hausfrau aufzustellen, um diese Pflicht zu üben. Die Wahl fiel auf den Bürgermeister und den ältesten Ratsherrn.
Sie hatten schon zwei Seiten der Tafel »nötigend« umgangen, kein Wunder, daß ihre Stimmen durch die große Anstrengung endlich rauh und heiser geworden waren, und ihre freundschaftliche Aufmunterung wie Drohung klang. Eine rauhe Stimme tönte in Georgs Ohr: »Warum esset Ihr denn nicht, warum trinket Ihr denn nicht?« Erschrocken wandte sich der Gefragte um, und sah einen starken, großen Mann mit rotem Gesicht – ehe er noch auf die schrecklichen Töne antworten konnte, begann an seiner andern Seite ein kleiner Mann mit einer hohen dünnen Stimme:
»So esset doch und trinket satt
was der Magistrat Euch vorgesetzt hat.«
»Hab ich's doch schon lange gedacht, daß es so kommen würde«, fiel der alte Breitenstein ein, indem er ein wenig von der Anstrengung, mit welcher er den Rehziemer bearbeitet hatte, ausruhte.
»Da sitzt er und schwatzt, statt die köstlichen Braten zu genießen, die uns die Herren in so reichlicher Fülle vorgesetzt haben.«
»Mit Verlaub«, unterbrach ihn Dieterich von Kraft, »der junge Herr ißt nichts, er ist ein Zechbruder und trefflicher Weinschmecker; hab ich's nicht gleich weggehabt, daß er gerne zu tief ins Glas guckt? Darum tadle ihn keiner, wenn er sich lieber an den Uhlbacher hält.«
Georg wußte gar nicht wie er zu dieser sonderbaren Schutzrede kam; er war im Begriff sich zu entschuldigen, als ihn ein neuer Anblick überraschte. Breitenstein hatte sich jetzt über den Schweinskopf mit der Zitrone im Maul, erbarmt, hatte die Zitrone geschickt aus dem Rachen des Tieres operiert, und begann mit großem Behagen und geübter Hand die weitere Sektion vorzunehmen, da trat der Bürgermeister auch zu ihm, und eben als er an einem guten Bissen kaute, hub er an: »Warum esset Ihr denn nicht, warum trinket Ihr denn nicht?« Dieser sah den Nötigenden mit starren Blicken an, zum Reden hatten seine Sprachorgane keine Zeit. Er nickte daher mit dem Haupte und deutete auf die Reste des Rehziemers; der kleine Mann mit der Fistelstimme ließ sich aber nicht irremachen, sondern sprach freundschaftlichst:
»So esset doch und trinket satt
was der Magistrat Euch vorgesetzt hat.«
So war es nun in den »guten alten Zeiten«! Man konnte sich wenigstens nicht beklagen, nur zu einem Schauessen geladen worden zu sein. Bald aber bekam die Tafel eine andere Gestalt. Die großen Schüsseln und Platten wurden abgetragen und geräumigere Humpen, größere Kannen, gefüllt mit edlem Weine, aufgesetzt. Die Umtränke und das in Schwaben schon damals sehr häufige Zutrinken begann, und nicht lange, so äußerte auch der Wein seine Wirkungen. Dieterich Spät und seine Gesellen sangen Spottlieder auf Herzog Ulerich und bekräftigten jeden Fluch oder schlechten Witz, den einer ausbrachte mit Gelächter oder einem guten Trunke. Die fränkischen Ritter würfelten um die Güter des Herzogs und tranken einander das Tübinger Schloß im Weine ab. Ulerich von Hutten und einige seiner Freunde hielten in lateinischer Sprache eine laute Kontrovers mit einigen Italienern wegen des Angriffes auf den römischen Stuhl, den kurz zuvor ein unberühmter Mönch in Wittenberg unternommen hatte; die Nürnberger, Augsburger und einige Ulmer Herren, die sich zusammengetan hatten, waren über den Glanz ihrer Republiken in Streit geraten, und so füllte Gelächter, Gesang, Zanken und der dumpfe Klang der silbernen und zinnernen Becher, den Saal.
Nur am oberen Ende der Tafel herrschte anständigere, ruhigere Fröhlichkeit. Dort saß Georg von Frondsberg, der alte Ludwig Hutten, Waldburg Truchseß, Franz von Sickingen und noch andere ältliche, gesetzte Herren.
Dorthin wandte jetzt auch der Bundeshauptmann Hans von Breitenstein, nachdem er sich genugsam gesättiget hatte, seine Blicke und sprach zu Georg: »Das Lärmen um uns her will mir gar nicht behagen, wie wäre es, wenn ich Euch jetzt dem Frondsberger vorstellte, wie Ihr in den letzten Tagen gewünscht habt?«
Georg, dessen Wunsch schon lange war, dem Kriegsobersten bekannt zu werden, stand freudig auf, um dem alten Freunde zu folgen. Wir werden ihn nicht tadeln, daß sein Herz bei diesem Gange ängstlicher pochte, seine Wangen sich höher färbten, seine Schritte je näher er kam, ungewisser und zögernder wurden. Wen haben nicht in seiner Jugend, wenn er einem glänzenden, ruhmbekränzten Vorbild nahte, ähnliche Gefühle bestürmt? Wem sank da nicht sein eigenes Ich zur Unbedeutendheit zusammen, während der Gefeierte zum Riesen wuchs. Georg von Frondsberg galt schon damals für einen der berühmtesten Feldherren seiner Zeit. Italien, Frankreich und Teutschland erzählten von seinen Siegen, und die Kriegskunst wird ihn ewig in ihren Annalen nennen, denn er war der Stifter und Gründer eines geordneten, in Reihen und Gliedern fechtenden Fußvolkes. Sagen und Chroniken erhielten das Bild dieses Helden bis auf unsere Tage, und wer gedenkt nicht unwillkürlich jener homerischen Helden wenn er von diesem Manne liest: »Er war so stark an Gliedern, wenn er den Mittelfinger der rechten Hand ausstreckte, daß er damit den stärksten Mann, so sich steif stellte, vom Platz stoßen, ein rennendes Pferd beim Zaum ergreifen und stellen, die großen Büchsen und Mauerbrecher allein von einem Ort zum andern führen konnte?« Zu ihm führte Breitenstein den Jüngling.
»Wen bringt Ihr uns da, Hans?« rief Georg von Frondsberg, indem er den hochgewachsenen, schönen, jungen Mann mit Teilnahme betrachtete.
»Seht ihn Euch einmal recht an, werter Herr«, antwortete Breitenstein, »ob Euch nicht beifällt, in welches Haus er gehören mag?«
Aufmerksamer betrachtete ihn der Feldhauptmann, auch der alte Truchseß von Waldburg wandte prüfend sein Auge herüber. Georg war schüchtern und blöde vor diese Männer getreten; aber sei es, daß die freundliche, zutrauliche Weise Frondsbergs ihm Mut machte, sei es, daß er fühlte, wie wichtig der Augenblick für ihn sei, er bekämpfte die Scham den Blicken so vieler berühmter Männer ausgesetzt zu sein, und sah ihnen entschlossen und mutig ins Gesicht.
»Jetzt, an diesem Blick erkenne ich dich«, sagte Frondsberg und bot ihm die Hand, »du bist ein Sturmfeder?«
»Georg Sturmfeder«, antwortete der junge Mann, »mein Vater war Burkhardt Sturmfeder, er fiel, wie man mir sagte, in Italien an Eurer Seite.«
»Er war ein tapferer Mann«, sprach der Feldhauptmann, dessen Auge immer noch sinnend auf Georgs Zügen ruhte, »an manchem warmen Schlachttag hat er treu zu mir gehalten, wahrlich sie haben ihn allzufrühe eingescharrt! Und du«, setzte er freundlicher hinzu, »du hast dich eingestellt, um seiner Spur zu folgen? Was treibt dich schon so frühe aus dem Neste und bist kaum flick?«
»Ich weiß schon«, unterbrach ihn Waldburg mit rauher, unangenehmer Stimme; »das Vögelein will sich ein paar Flöckchen Wolle suchen, um das alte Nest zu flicken!«
Diese rohe Anspielung auf die verfallene Burg seiner Ahnen jagte eine hohe Glut auf die Wangen des Jünglings. Er hatte sich nie seiner Dürftigkeit geschämt, aber dieses Wort klang so höhnend, daß er sich zum ersten Male dem reichen Spötter gegenüber recht arm fühlte. Da fiel sein Blick über Truchseß Waldburg hin durch die Scheiben auf jenes wohlbekannte Erkerfenster; er glaubte Mariens Gestalt zu erblicken und sein alter Mut kehrte wieder. »Ein jeder Kampf hat seinen Preis, Herr Ritter«, sagte er, »ich habe dem Bund Kopf und Arm angetragen; was mich dazu treibt, kann Euch gleichgültig sein.«
»Nun, nun!« erwiderte jener, »wie es mit dem Arm aussieht, werden wir sehen, im Kopfe muß es aber nicht so ganz hell sein, da Ihr aus Spaß gleich Ernst macht.«
Der gereizte Jüngling wollte wieder etwas darauf erwidern, Frondsberg aber nahm ihn freundlich bei der Hand: »Ganz wie dein Vater, lieber Junge, nun du willst zeitlich zu einer Nessel werden.[13] Und wir werden Leute brauchen, denen das Herz am rechten Flecke sitzt. Daß du dann nicht der letzte bist, darfst du gewiß sein.«
Diese wenigen Worte aus dem Munde eines durch Tapferkeit und Kriegskunst unter seinen Zeitgenossen hochberühmten Mannes, übten so besänftigende Gewalt über Georg, daß er die Antwort, die ihm auf der Zunge schwebte, zurückdrängte, und sich schweigend von der Tafel in ein Fenster zurückzog, teils um die Obersten nicht weiter zu stören, teils um sich genauer zu überzeugen, ob die flüchtige Erscheinung, die er vorhin gesehen, wirklich Marie gewesen sei?
Als Georg die Tafel verlassen hatte, wandte sich Frondsberg zu Waldburg: »Das ist nicht die Art, Herr Truchseß, wie man tüchtige Gesellen für unsere Sache gewinnt, ich wette, er ging nicht mit halb soviel Eifer für die Sache von uns, als er zu uns brachte.«
»Müßt Ihr dem jungen Laffen auch noch das Wort reden?« fuhr jener auf, »was braucht es da? er soll einen Spaß von seinem Oberen ertragen lernen.«
»Mit Verlaub«, fiel ihm Breitenstein ins Wort, »das ist kein Spaß, sich über unverschuldete Armut lustig zu machen, ich weiß aber wohl, Ihr seid seinem Vater auch nie grün gewesen.«
»Und«, fuhr Frondsberg fort, »sein Oberer seid Ihr ganz und gar noch nicht. Er hat dem Bunde noch keinen Eid geleistet, also kann er noch immer hinreiten, wohin er will; und wenn er auch unter Euren eigenen Fahnen diente, so möchte ich Euch doch nicht raten, ihn zu hänseln, er sieht mir nicht darnach aus, als ob er sich viel gefallen ließe!«
Sprachlos vor Zorn über den Widerspruch, den er in seinem Leben nie ertragen konnte, blickte Truchseß den einen und den andern an, mit so wutvollen Blicken, daß sich Ludwig von Hutten schnell ins Mittel warf, um noch ärgeren Streit zu verhüten: »Laßt doch die alten Geschichten!« rief er. »Oberhaupt wäre es gut, wir heben die Tafel auf. Es dunkelt draußen schon stark und der Wein wird zu mächtig. Dieterich Spät hat schon zweimal des Württembergers Tod ausgebracht, und die Franken dort unten sind nur noch nicht einig, ob man seine Schlösser niederbrennen oder verteilen soll.«
»Laßt sie immer«, lachte Waldburg bitter, »die Herren dürfen ja heute machen was sie wollen, Frondsberg wird ihnen doch das Wort reden.«
»Nein«, antwortete Ludwig Hutten; »wenn einer von so etwas reden darf, bin ich es, als der Bluträcher meines Sohnes; aber ehe noch der Krieg erklärt ist, müssen solche Reden unterbleiben. Mein Vetter Ulerich spricht mir auch zu heftig mit den Italienern, über den Mönch von Wittenberg, und er verschwatzt sich zu sehr, wenn er in Zorn geratet. Laßt uns aufbrechen.«
Frondsberg und Sickingen stimmten ihm bei, sie standen auf, und als die nächsten um sie her ihrem Beispiel folgten, war der Aufbruch allgemein.
Wollt ihr wissen was die Augen sein,
Womit ich sie sehe durch alle Land?
Es sind die Gedanken des Herzens mein,
Damit schau ich durch Mauer und Wand.
Georg hatte in dem Fenster, wohin er sich zurückgezogen, nicht so entfernt gestanden, daß er nicht jedes Wort der Streitenden gehört hätte. Er freute sich der warmen Teilnahme, mit welcher Frondsberg sich des unberühmten, verwaisten Jünglings angenommen hatte, zugleich aber konnte er es sich nicht verbergen, daß sein erster Schritt in die kriegerische Laufbahn ihm einen mächtigen, erbitterten Feind zugezogen hatte. Der Truchseß war zu bekannt im Heere wegen seines unversöhnlichen Stolzes, als das Georg hätte glauben dürfen, Huttens vermittelnde und besänftigende Worte haben jede Erinnerung an diesen Streit verlöscht, und daß Männer von Gewicht, wie Waldburg, in solchen Fällen, der vielleicht unschuldigen Ursache ihres Zornes die Schuld nicht erlassen, war ihm aus manchen Fällen wohlbekannt. Ein leichter Schlag auf seine Schulter unterbrach seine Gedanken und er sah, als er sich umwandte, seinen freundlichen Nebensitzer, den Schreiber des Großen Rates vor sich.
»Ich wette, Ihr habt Euch noch nach keinem Quartier umgesehen«, sprach Dieterich von Kraft, »und es möchte Euch auch jetzt etwas schwer werden, denn es ist bereits dunkel und die Stadt ist überfüllt.«
Georg gestand, daß er noch nicht daran gedacht habe, er hoffe aber, in einer der öffentlichen Herbergen noch ein Plätzchen zu bekommen.
»Da möchte ich doch nicht so sicher darauf bauen«, entgegnete jener, »und gesetzt, Ihr fändet auch in einer solchen Schenke einen Winkel, so dürft Ihr doch sicherlich darauf rechnen, daß Ihr schlecht genug bedient seid. Aber wenn Euch meine Wohnung nicht zu gering scheint, so steht sie Euch mit Freuden offen.«
Der gute Ratsschreiber sprach mit so viel Herzlichkeit, daß Georg nicht Anstand nahm, sein Anerbieten anzunehmen, obgleich er beinahe befürchtete, die gastfreundliche Einladung möchte seinen Wirt gereuen, wenn die gute Laune zugleich mit den Dünsten des Weines verflogen sein werde. Jener aber schien über die Bereitwilligkeit seines Gastes hoch erfreut; er nahm mit einem herzlichen Handschlag seinen Arm und führte ihn aus dem Saal.
Der Platz vor dem Rathaus bot indes einen ganz eigenen Anblick dar. Die Tage waren noch kurz und die Abenddämmerung war über der Tafel unbemerkt hereingebrochen; man hatte daher Fackeln und Windlichter angezündet, ihr dunkelroter Schein erhellte den großen Raum nur sparsam und spielte in zitternden Reflexen an den Fenstern der gegenüberstehenden Häuser und auf den blanken Helmen und Brustharnischen der Ritter. Wildes Ruten nach Pferden und Knechten scholl aus der Halle des Rathauses, das Klirren der nachschleppenden Schwerter, das Hin-und Herrennen der vielen Menschen mischte sich in das Gebell der Hunde, in das Wiehern und Stampfen der ungeduldigen Rosse, eine Szene, die mehr einem in der Nacht vom Feinde überfallenen Posten, als dem Aufbruch von einem friedlichen Mahle glich.
Überrasche blieb Georg unter der Halle stehen. Der Anblick so vieler, fröhlicher Gesichter, der kräftigen Gestalten, die in jugendlichem Mute ansprengten, kühne Reiterkünste übten und dann singend und jubelnd in kleinen Haufen abzogen und in der Nacht verschwanden, dieser nächtliche, flüchtige Anblick erinnerte ihn, wie ungewiß, wie schnell auch diese Tage vorübergehen werden, wie alle diese fröhlichen Gesellen dem tiefen Ernste des Krieges entgegenziehen, wie mancher, noch ehe der Frühling völlig heraufginge, mit seinem Körper den grünenden Rasen decken werde. Wie sie gefallen sein werden, ohne mit ihrem Blute etwas eingelöst zu haben, als die Träne eines Kameraden und den kurzen Ruhm als brave Männer vor dem Feinde geblieben zu sein.
Unwillkürlich streifte sein Auge nach jener Seite hin, wo er seinen Kampfpreis wußte. Er sah dort viele Leute an den Fenstern stehen, aber der schwärzliche Rauch der Fackeln, der wie eine Wolke über den Platz hinzog, verhüllte die Gegenstände wie mit einem Schleier und ließ sie nur wie ungewisse Schatten sehen; unbefriedigt wandte er sein Auge ab. »So ist auch meine Zukunft«, sagte er zu sich, »das Jetzt ist helle, aber wie dunkel, wie ungewiß das Ziel!«
Sein freundlicher Wirt riß ihn aus diesem düstern Sinnen mit der Frage: wo seine Knechte mit seinen Pferden seien? Wenn der Platz, worauf sie standen, heller erleuchtet gewesen wäre, so hätte vielleicht der gute Kraft eine flüchtige aber brennende Röte, die bei dieser Frage über Georgs Wangen zog, bemerken können. »Ein junger Kriegsmann«, antwortete er schnell gefaßt, »muß sich so viel möglich selbst zu helfen wissen, daher habe ich keine Diener bei mir. Mein Pferd aber habe ich Breitensteins Knechten übergeben.«
Der Ratsschreiber lobte im Weiterschreiten die Strenge des jungen Mannes gegen sich selbst, gestand aber, daß er, wenn er einmal zu Feld ziehe, den Dienst nicht so strenge lernen werde. Ein Blick auf sein zierlich geordnetes Haar und den fein gekräuselten Bart, überzeugten Georg, daß sein Begleiter aus voller Seele spreche, und die zierliche, bequeme Wohnung, in welcher sie bald darauf anlangten, widersprach diesem Glauben nicht.
Das Hauswesen des Herrn von Kraft war eine sogenannte Junggesellenwirtschaft, denn Herrn Dieterichs Eltern waren längst abgeschieden, als er in das Mannesalter und zugleich in seinen Posten beim Großen Rat eintrat. Er hätte sich vielleicht längst um eine Genossin seiner Herrlichkeit umgesehen, wenn nicht die Anmut des Junggesellenlebens, der nicht zu verachtende Vorteil, von allen jungen Damen der Stadt als eine gute Partie (nach heutigen Begriffen) angesehen und honoriert zu werden, vor allem aber, wie man sich ins Ohr flüsterte, die entschiedene Abneigung, die seine alte Amme und Haushälterin vor einer jungen Gebieterin hegte, ihn immer von diesem Schritte abgehalten hätte.
Herr Dieterich hatte ein großes Haus nicht weit vom Münster, einen schönen Garten am Michelsberg, sein Hausgeräte war im besten Stande, die großen eichenen Kasten voll des köstlichsten Linnenzeuges, das die Kraftinnen und ihre Zofen seit vielen Generationen in den langen Winterabenden zusammengesponnen hatten, die eiserne Truhe im Schlafzimmer enthielt eine erkleckliche Anzahl von Goldgülden, Herr Dieterich selbst war ein hübscher, solider Herr, ging immer geschniegelt und gebügelt, mit gesetztem, anständigem Gang in den Rat, hatte einen guten Haus- und Ratverstand, war aus einer alten Familie, war es ein Wunder, wenn die ganze Stadt sein Leben pries und jedes hübsche Ulmer Stadtkind sich glücklich geschätzt hätte, in diesen bequem ausstaffierten Ehehimmel zu kommen?
Georg kamen übrigens diese Verhältnisse bei näherer Besichtigung nichts weniger als lockend vor. Die einzigen Hausgenossen des Ratsschreibers waren, ein alter grauer Diener, zwei große Katzen und die unförmlich dicke Amme. Diese vier Geschöpfe starrten den Gast mit großen, bedenklichen Augen an, die ihm bewiesen, wie ungewohnt ihnen ein solcher Zuwachs der Haushaltung sei. Die Katzen umgingen ihn schnurrend, mit gekrümmtem Rücken, die Amme schob unmutig an der ungeheuren Buckelhaube von Golddraht und fragte, ob sie für zwei Personen das Abendessen zurichten solle? Als sie aber nicht nur ihre Frage bestätigen hörte, sondern auch den Auftrag (man war ungewiß, war es Bitte oder Befehl) bekam, das Eckzimmer im zweiten Stock für den Gast zuzurüsten, da schien ihre Geduld erschöpft; sie ließ einen wütenden Blick auf ihren jungen Gebieter schießen und verließ mit ihrem Schlüsselbund rasselnd das Gemach. Georg hörte noch lange die hohltönenden Treppen unter ihren schweren Tritten erbeben, und die öde Stille des großen Hauses gab in vielfältigem Echo das Gepolter der Türen zurück, welche sie im Grimme hinter sich zuwarf.
Der graue Diener hatte indessen einen Tisch und zwei große Armstühle an den ungeheuren Ofen gerückt; den Tisch besetzte er mit einem schwarzen Kasten, stellte zu beiden Seiten desselben ein Licht und einen silbernen Becher mit Wein und entfernte sich dann, nachdem er einige leise Worte mit seinem Herrn gewechselt hatte. Herr Dieterich lud seinen Gast ein, an seiner gewöhnlichen Abendunterhaltung teilzunehmen. Er öffnete den schwarzen Kasten, es war ein Brettspiel.
Georg graute vor dieser Unterhaltung seines Gastfreundes, als er ihm erzählte, daß er seit seinem zehenten Jahre alle Abende mit der Amme an diesem Spiele sich ergötze. Wie öde, wie unheimlich kam ihm das ganze Haus vor. Das Rennen und Laufen der Amme hatte doch noch an Leben und Bewegung erinnert, jetzt aber lag Grabesstille über den weiten Gängen und Gemächern, nur zuweilen vom Knistern der Lichter, vom Ticken des Holzwurmes im schwärzlichen Getäfer und dem eintönigen Rollen der Würfel unterbrochen. Das Spiel hatte nie etwas Anziehendes für ihn gehabt, seine Gedanken waren auch ferne davon und die tiefe Melancholie der öden Gemächer und der Gedanke, nur wenige Straßen von ihr entfernt, doch den langersehnten Anblick der Geliebten entbehren zu müssen, breitete düstere Schatten über seine Seele. Nur die ungeheuchelte Freude Herrn Dieterichs, beinahe alle Spiele zu gewinnen, die seinem gutmütigen Gesicht etwas Angenehmes verlieh, entschädigte ihn für den Verlust der langsam hinschleichenden Stunden.
Mit dem Schlag der achten Stunde führte Dieterich seinen Gast zum Abendbrot, das die Amme trotz ihres Unmutes, trefflich bereitet hatte, denn sie wollte der Ehre des Kraftischen Hauses nichts vergeben. Hier öffnete auch der Ratsschreiber wieder die Schleusen seiner Beredsamkeit, indem er seinem Gaste das Mahl durch Gespräch zu würzen suchte. Aber umsonst spähete dieser, ob er nicht von seinem schönen Mühmchen reden werde; nur eine Ausbeute bekam er, Kraft zählte unter den württembergischen Rittern, die in Ulm anwesend seien, auch den Ritter von Lichtenstein auf. Doch schon dieses Wort erweckte dankbare Gefühle gegen die Wendung seines Schicksales in ihm. Jetzt erst freute er sich, einer Partei beigetreten zu sein, die ihm sonst außer den berühmten Namen, die sie an der Spitze trug, ziemlich gleichgültig war. So aber hatte auch ihr Vater sich in dem Sammelplatze des Heeres eingefunden, und durfte er auch nicht hoffen, daß ihm das Glück vergönnen werde, an der Seite des teuren Mannes zu fechten, so trug er doch die Gewißheit in der Brust, ihm beweisen zu können, daß Georg von Sturmfeder nicht der letzte Kämpfer im Heere sei.
Der Hausherr führte ihn nach aufgehobener Tafel in sein Schlafgemach und schied von ihm mit einem herzlichen Glückwunsch für seine Ruhe. Georg sah sich das Gemach, das man ihm angewiesen hatte, näher an, und fand, daß es ganz zu dem öden Hause passe. Die runden, vom Alter geblendeten Scheiben der Fenster, das dunkle Täferwerk an Wand und Decke, der große weit vorspringende Ofen, selbst das ungeheure Bette mit breitem Himmel und steifen, schweren Gardinen, sie gewährten ein düsteres, beinahe trauriges Aussehen. Aber dennoch war alles zu seiner Bequemlichkeit eingerichtet. Frische, schneeweiße Linnen blinkten ihm einladend aus dem Bette entgegen, als er die Vorhänge zurückschlug; der Ofen verbreitete eine angenehme Wärme, eine Nachtlampe war an der Decke aufgehängt, und selbst der Schlaftrunk, ein Becher wohlgewürzten warmen Weines, war nicht vergessen. Er zog die Gardinen vor, und ließ die Bilder des vergangenen Tages an seiner Seele vorüberziehen. Geordnet und freundlich kamen sie anfangs vorüber, dann aber verwirrten sie sich, in buntem Gedränge führten sie seine Seele in das Reich der Träume, und nur ein teures Bild ging ihm heller auf, es war das Bild der Geliebten.
–Ist's kein Wahn?
Will der Holde, Vielgetreue,
Dem ich Herz und Leben weihe,
Heute noch zu Gruß und Kusse nahn?
Georg wurde am anderen Morgen durch ein bescheidenes Pochen an seiner Türe erweckt. Er schlug die Vorhänge seines Bettes zurück und sah, daß die Sonne schon ziemlich hoch stehe. Es wurde wieder und stärker gepocht, und sein freundlicher Wirt, schon völlig im Putz, trat ein. Nach den ersten Erkundigungen wie sein Gast geschlafen habe, kam Herr Dieterich gleich auf die Ursache seines frühen Besuches. Der Große Rat hatte gestern abend noch beschlossen, die Ankunft der Bundesgenossen auch durch einen Tanz zu feiern, der am heutigen Abend auf dem Rathause abgehalten werden sollte. Ihm, als dem Ratsschreiber, kam es zu, alles anzuordnen, was zu dieser Festlichkeit gehörte, er mußte die Stadtpfeifer bestellen, die ersten Familien feierlich und im Namen des Rates dazu einladen, er mußte vor allem zu seinen lieben Mühmchen eilen, um ihnen dieses seltene Glück zu verkündigen.
Er erzählte dies alles mit wichtiger Miene seinem Gaste und versicherte ihn, daß er vor dem Drang der Geschäfte nicht wisse, wo ihm der Kopf stehe. Doch Georg hatte nur für eines Sinn; er durfte hoffen, Marien zu sehen und zu sprechen, und darum hätte er gerne Herrn Dieterich für seine gute Botschaft an das freudig pochende Herz gedrückt.
»Ich sehe es Euch an«, sagte dieser, »die Nachricht macht Euch Freude und die Tanzlust leuchtet Euch schon aus den Augen. Doch Ihr sollt ein paar Tänzerinnen haben, wie Ihr sie nur wünschen könnt; mit meinen Bäschen sollt Ihr mir tanzen, denn ich bin ihr Führer bei solchen Gelegenheiten und werde es schon zu machen wissen, daß Ihr und kein anderer zuerst sie aufziehen sollet; und wie werden sie sich freuen, wenn ich ihnen einen so flinken Tänzer verspreche!« Damit wünschte er seinem Gast einen guten Morgen und ermahnte ihn, wenn er ausgehe, sein Haus zu merken und das Mittagessen nicht zu versäumen.
Herr Dieterich hatte als sehr naher Verwandter schon so frühe am Tag Zutritt im Hause des Herrn von Besserer, besonders heute, da ihn seine vielen Geschäfte bei diesem Morgenbesuche entschuldigten.
Er fand die Mädchen noch beim Frühstück. Wohl hätte dort manche unserer heutigen Damen ein elegantes Dejeuner von gemaltem Porzellain und den, nach den schönsten, antiken Vasen geformten Schokoladebecher vermißt. Aber, wenn es wahr ist, daß natürliche Anmut und Würde auch im geringsten Kleide sich dem Auge nicht verhüllen, so dürfen wir schon mit mehr Mut gestehen, daß Marie und die fröhliche Berta an jenem Morgen ein Biersüppchen verspeisten. Ob aber dieses Geständnis der ästhetischen Haltung dieser Damen nicht Eintrag tut? Es mag sein; wer übrigens Marien und Berta in dem weißen Morgenhäubchen, in dem reinlichen Hauskleide gesehen hätte, würde gewiß auch wie Vetter Kraft, Verlangen getragen haben, dieses Frühstück mit den holden Mädchen zu teilen.
»Ich sehe dir es an, Vetter«, begann Berta, »du möchtest gar zu gerne von unserer Suppe kosten, weil dir deine Amme heute einen Kinderbrei vorgesetzt hat; aber schlage dir diese Gedanken nur gleich aus dem Sinne; du hast Strafe verdient und mußt fasten –«
»Ach, wie wir so sehnlich auf Euch gewartet haben«, unterbrach sie Marie.
»Ja wohl«, fiel ihr Berta in die Rede, »aber bilde dir nur nicht ein, daß wir eigentlich dich erwarteten; nein, ganz allein deine Neuigkeiten.«
Der Ratsschreiber war schon gewohnt von Berta so empfangen zu werden; er wollte daher, um sie zu versöhnen, daß er nicht gestern abend noch ihre Neugierde befriedigt habe, seine Nachrichten in desto längerem Strome geben; aber Berta unterbrach ihn: »Wir kennen«, sagte sie, »deine breiten Erzählungen, und haben auch das meiste vom Erker aus selbst mit angesehen; von eurem Trinkgelage, wo es arg genug hergegangen sein soll, will ich auch nichts wissen, darum antworte mir auf meine Frage.« Sie stellte sich mit komischem Ernst vor ihn hin und fuhr fort: »Dieterich von Kraft, Schreiber eines wohledlen Rates, habt Ihr unter den Bündischen keinen jungen, überaus höflichen Herrn gesehen, mit langem hellbraunem Haar, einem Gesicht, nicht so milchweiß wie das Eure, aber doch nicht minder hübsch, kleinem Bart, nicht so zierlich wie der Eure, aber dennoch schöner, hellblauer Schärpe mit Silber...«
»Ach, das ist kein anderer als mein Gast«, rief Herr Dieterich, »er ritt einen großen Braunen, trug ein blaues Wams, an den Schultern geschlitzt und mit Hellblau ausgelegt?«
»Ja, ja, nur weiter«, rief Berta, »wir haben unsere eigenen Ursachen, uns nach ihm zu erkundigen.«
Marie stand auf und suchte ihr Nähzeug in dem Kasten, indem sie den beiden den Rücken zukehrte; aber die Röte, die alle Augenblicke auf ihren Wangen wechselte, ließ ahnen, daß sie kein Wort von Herrn Dieterichs Erzählung verlor.
»Nun das ist Georg von Sturmfeder«, fuhr der Ratschreiber fort; »ein schöner, lieber Junge. Sonderbar; auch ihr seid ihm gleich beim Einzug aufgefallen« – und nun erzählte er, was am Gastmahl vorgegangen sei, wie ihm der hohe Wuchs, das Gebietende und Anziehende in des Jünglings Mienen gleich anfangs aufgefallen, wie ihn der Zufall zu seinem Nachbar gemacht, wie er ihn immer lieber gewonnen und endlich in sein Haus geführt habe.
»Nun, das ist schön von dir, Vetter«, sagte Berta als er geendet hatte, und reichte ihm freundlich die Hand, »ich glaube, es ist das erstemal, daß du es wagst, Gäste zu haben. Aber das Gesicht der alten Sabine hätte ich sehen mögen, als Junker Dieter so spät noch einen Gast brachte.«
»Oh, sie war wie der Lindwurm gegen Sankt Georg; aber als ich ihr ganz verblümt zu verstehen gab, es könne wohl geschehen, daß ich bald eine meiner schönen Basen heimführen werde...«
»Ach, geh doch!« entgegnete Berta, indem sie ihm hoch errötend ihre Hand entreißen wollte; aber Herr Dieterich, dem sein Mühmchen noch nie so hübsch als in diesem Augenblicke geschienen hatte, drückte die weiche Hand fester, und Mariens ernsteres Bild verlor von Sekunde zu Sekunde an Gehalt, und die Waagschale der fröhlichen Berta, die jetzt in holder Verschämtheit vor ihm saß, stieg hoch in den Augen des glücklichen Ratschreibers.
Marie hatte indes schweigend das Gemach verlassen, und Berta ergriff mit Freuden diese Gelegenheit ein anderes Gespräch einzuleiten.
»Da geht sie nun wieder«, sagte sie und sah Marien nach, »und ich wollte darauf wetten, sie geht in ihre Kammer und weint. Ach, sie hat gestern wieder so heftig geweint, daß ich auch ganz traurig geworden bin.«
»Was hat sie nur?« fragte Dieterich teilnehmend.
»Ich habe so wenig wie früher die Ursache ihrer Tränen erfahren«, fuhr Berta fort, »ich habe gefragt und immer wieder gefragt, aber sie schüttelt dann nur den Kopf, als wenn ihr nicht zu helfen wäre; ›der unselige Krieg!‹ war alles, was sie mir zur Antwort gab.«
»So ist der Alte noch immer entschlossen, mit ihr nach Lichtenstein zurückzugehen?«
»Ja wohl«, war Bertas Antwort, »du hättest nur hören sollen, wie der alte Mann gestern beim Einzug auf die Bündischen schimpfte. Nun – er ist einmal seinem Herzog mit Leib und Seele ergeben, darum mag es ihm hingehen; aber sobald der Krieg erklärt ist, will er mit ihr abreisen.«
Herr Dieterich schien sehr nachdenklich zu werden; er stützte den Kopf auf die Hand und hörte seiner Muhme schweigend zu.
»Und denke«, fuhr diese fort, »da hat sie nun gestern nach dem Einritte der Bündischen so heftig geweint. Du weißt, sie war zwar vorher schon immer ernst und düster, und ich habe sie an manchem Morgen in Tränen gefunden; aber als habe schon dieser Einzug über das ganze Schicksal des Krieges entschieden, so untröstlich gebärdete sie sich. Ich glaube Ulm liegt ihr nicht so am Herzen, aber ich vermute«, setzte sie geheimnisvoll hinzu, »sie hat eine heimliche Liebe im Herzen.«
»Ach freilich, ich habe es ja schon lange gemerkt«, seufzte Herr Dieterich, »aber was kann ich denn davor?«
»Du? was du davor kannst?« lachte Berta, auf deren Gesicht bei diesen Worten alle Trauer verschwunden war; »nein! du bist nicht schuld an ihrem Schmerz. Sie war schon so, ehe du sie nur mit einem Auge gesehen hast!«
Der ehrliche Ratschreiber war sehr beschämt durch diese Versicherung. Er glaubte in seinem Herzen nicht anders, als der Abschied von ihm, gehe der armen Marie so nahe, und fast schien ihr wehmütiges Bild in seinem wankelmütigen Herzen wieder das Übergewicht zu bekommen. Berta aber ließ nicht ab, ihn mit seiner törichten Vermutung zu höhnen, bis ihm auf einmal der Zweck seines Besuches wieder einfiel, den er während des Gespräches ganz aus den Augen verloren hatte. Sie sprang mit einem Schrei der Freude auf, als ihr der Vetter die Nachricht von dem Abendtanz mitteilte.
»Marie, Marie!« rief sie in hellen Tönen, daß die Gerufene bestürzt und irgendein Unglück ahnend, herbeisprang. »Marie, ein Abendtanz auf dem Rathaus!« rief ihr die beglückte Berta schon unter der Türe entgegen.
Auch diese schien freudig überrascht von dieser Nachricht. »Wann? kommen die Fremden dazu?« waren ihre schnellen Fragen, indem ein hohes Rot ihre Wangen färbte, und aus dem ernsten Auge, das die kaum geweinten Tränen nicht verbergen konnte, ein Strahl der Freude drang.
Berta und der Vetter waren erstaunt über den schnellen Wechsel von Schmerz und Freude, und der letztere konnte die Bemerkung nicht unterdrücken, daß Marie eine leidenschaftliche Tänzerin sein müsse. Doch wir glauben, er habe sich hierin nicht weniger geirrt als wenn er Georg für einen Weinkenner hielt.
Als der Ratschreiber sah, daß er jetzt, wo die Mädchen sich in eine wichtige Beratung über ihren Anzug verwickelten, eine überflüssige Rolle spiele, empfahl er sich, um seinen wichtigeren Geschäften nachzugehen. Er beeilte sich, seine Anordnungen zu treffen, und die hohen Gäste und die angesehensten Häuser zu laden. Überall erschien er als ein Bote des Heils, denn wie die Sage erzählt, ist die Freude am Tanzen nicht erst in unseren Tagen über die Mädchen gekommen.
Auch seine Anordnungen waren bald getroffen. Es war noch nicht zum Grundsatz geworden, daß man nur in einer langen Reihe von Zimmern, bei flimmernden Lustres, umgeben von jenen unzähligen, unwesentlichen Dingen, welche die Mode als notwendig preist, fröhlich sein könne. Der Rathaussaal gab hinlänglichen Raum, und die kunstlosen Lampen, die an den Wänden aufgehängt waren, hatten bisher Helle genug verbreitet, die schönen Jungfrauen von Ulm in ihrer Pracht zu sehen.
Doch nicht seine Anordnungen allein waren dem Ratsschreiber gelungen, er hatte nebenbei auch manche geheime Nachricht erspäht, die bis jetzt nur der engere Ausschuß des Rates mit den Bundesobersten teilte.
Zufrieden mit dem Erfolg seiner vielen Geschäfte kam er gegen Mittag nach Hause und sein erster Gang war nach seinem Gaste zu sehen. Er traf ihn in sonderbarer Arbeit. Georg hatte lange in einem schöngeschriebenen Chronikbuch, das er in seinem Zimmer gefunden hatte, geblättert. Die reinlich gemalten Bilder, womit die Anfangsbuchstaben der Kapitel unterlegt waren, die Triumphzüge und Schlachtenstücke, welche mit kühnen Zügen entworfen, mit besonderem Fleiße ausgemalt, hin und wieder den Text unterbrachen, unterhielten ihn geraume Zeit. Dann fing er an, erfüllt von den kriegerischen Bildern, die er angeschaut hatte, seinen Helm und Harnisch, und das vom Vater ererbte Schwert zu reinigen und blank zu machen, indem er, zu großem Ärgernis der Frau Sabine, bald lustige bald ernstere Weisen dazu sang.
So traf ihn sein Gastfreund. Schon unten an der Treppe hatte er die angenehme Stimme des Singenden vernommen; er konnte sich nicht enthalten noch einige Zeit an der Türe zu lauschen, ehe er den Gesang unterbrach.
Es war eine jener ernsten, beinahe wehmütig tönenden Weisen, wie sie durch ihren innern Wert erhalten und fortgetragen, bis auf unsere Tage herabkamen. Noch heute leben sie in dem Munde der Schwaben, und oft und gerne haben wir, ergriffen von ihrer einfachen Schönheit, von den gehaltenen Klängen ihrer vollen Akkorde, an den lieblichen Ufern des Neckars sie belauscht.
Der Sänger begann von neuem:
»Kaum gedacht
War der Lust ein End gemacht.
Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab.
Doch was ist
Aller Erden Freud und Lüst'.
Prangst du gleich mit deinen Wangen,
Die wie Milch und Purpur prangen,
Sieh, die Rosen welken all.
Darum still
Geb ich mich, wie Gott es will.
Und wird die Trompete blasen,
Und muß ich mein Leben lassen,
Stirbt ein braver Reitersmann.«
»Wahrlich, Ihr habt eine schöne Stimme«, sagte Herr von Kraft, als er in das Gemach eintrat, »aber warum singet Ihr so traurige Lieder? Ich kann mich zwar nicht mit Euch messen, aber was ich singe, muß fröhlich sein, wie es einem jungen Mann von achtundzwanzig geziemt.«
Georg legte sein Schwert auf die Seite und bot seinem Gastfreunde die Hand. »Ihr mögt recht haben«, sagte er, »was Euch betrifft; aber wenn man zu Feld reitet wie wir, da hat ein solches Lied große Gewalt und Trost, denn es gibt auch dem Tode eine milde Seite.«
»Nun, das ist ja gerade was ich meine«, entgegnete der Schreiber des Großen Rates, »wozu soll man das auch noch in schönen Verslein besingen, was leider nur zu gewiß nicht ausbleibt. Man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er, sagt ein Sprüchwort; übrigens hat es damit keine Not, wie jetzt die Sachen stehen.«
»Wie? ist der Krieg nicht entschieden?« fragte Georg neugierig. »Hat der Württemberger Bedingungen angenommen?«
»Dem macht man gar keine mehr«, antwortete Dieterich mit wegwerfender Miene, »er ist die längste Zeit Herzog gewesen, jetzt kommt das Regieren auch einmal an uns. Ich will Euch etwas sagen«, setzte er wichtig und geheimnisvoll hinzu, »aber bis jetzt bleibt es noch unter uns; die Hand darauf. Ihr meint der Herzog habe 14000 Schweizer? Sie sind wie weggeblasen. Der Bote, den wir nach Zürch und Bern geschickt haben, ist zurück; was von Schweizern bei Blaubeuren und auf der Alb liegt – muß nach Haus.«
»Nach Haus zurück?« rief Georg erstaunt, »haben die Schweizer selbst Krieg?«
»Nein«, war die Antwort, »sie haben tiefen Frieden, aber kein Geld; glaubt mir, ehe acht Tage ins Land kommen, sind schon Boten da, die das ganze Heer nach Haus zurückrufen.«
»Und werden sie gehen?« unterbrach ihn der Jüngling, »sie sind auf ihre eigene Faust dem Herzog zu Hülfe gezogen, wer kann ihnen gebieten, seine Fahnen zu verlassen?«
»Das weiß man schon zu machen; glaubt Ihr denn, wenn an die Schweizer der Ruf kommt, bei Verlust ihrer Güter und bei Leib- und Lebensstrafe nach Haus zu eilen[14], sie werden bleiben? Ulerich hat zuwenig Geld, um sie zu halten, denn auf Versprechungen dienen sie nicht.«
»Aber ist dies auch ehrlich gehandelt«, bemerkte Georg, »heißt das nicht dem Feinde, der in ehrlicher Fehde mit uns lebt, die Waffen stehlen und ihn dann überfallen?«
»In der Politica, wie wir es nennen«, gab der Ratschreiber zur Antwort, und schien sich dem unerfahrenen Kriegsmann gegenüber kein geringes Ansehen geben zu wollen, »in der Politica wird die Ehrlichkeit höchstens zum Schein angewandt; so werden die Schweizer z.B. dem Herzog erklären, daß sie sich ein Gewissen daraus machen, ihre Leute gegen die freien Städte dienen zu lassen; aber die Wahrheit ist, daß wir dem großen Bären mehr Goldgülden in die Tatze drückten als der Herzog.«
»Nun, und wenn die Schweizer auch abziehen«, sagte Georg, »so hat doch Württemberg noch Leute genug, um keinen Hund über die Alb zu lassen.«
»Auch dafür wird gesorgt«, fuhr der Schreiber in seiner Erläuterung fort, »wir schicken einen Brief an die Stände von Württemberg, und ermahnen sie, das unleidliche Regiment ihres Herzogs zu bedenken, demselben keinen Beistand zu tun, sondern dem Bunde zuzuziehen.«[15]
»Wie?« rief Georg mit Entsetzen, »das hieße ja den Herzog um sein Land betrügen; wollt Ihr ihn denn zwingen, der Regierung zu entsagen, und sein schönes Württemberg mit dem Rücken anzusehen?«
»Und Ihr habt bisher geglaubt, man wolle nichts weiter als etwa Reutlingen wieder zur Reichsstadt machen? Von was soll denn Hutten seine 42 Gesellen und ihre Diener besolden? Wovon denn Sickingen seine 1000 Reiter und 12000 zu Fuß, wenn er nicht ein hübsches Stückchen Land damit erkämpft? Und meint Ihr, der Herzog von Bayern wolle nicht auch sein Teil? Und wir? Unsere Markung grenzt zunächst an Württemberg –«
»Aber die Fürsten Teutschlands«, unterbrach ihn Georg ungeduldig, »meint Ihr, sie werden es ruhig mit ansehen, daß Ihr ein schönes Land in kleine Fetzen reißet? Der Kaiser, wird er es dulden, daß Ihr einen Herzog aus dem Lande jagt?«
Auch dafür wußte Herr Dieterich Rat. »Es ist kein Zweifel, daß Karl seinem Vater als Kaiser folgt; ihm selbst bieten wir das Land zur Obervormundschaft an, und wenn Österreich seinen Mantel darauf deckt, wer kann dagegen sein? Doch, sehet nicht so düster aus; wenn Euch nach Krieg gelüstet, da kann Rat dazu werden. Der Adel hält noch zum Herzog, und an seinen Schlössern wird sich noch mancher die Zähne einbrechen. Wir verschwatzen übrigens das Mittagsmahl, kommt bald nach, daß wir erfahren was Frau Sabina uns gekocht hat.« Damit verließ der Schreiber des Großen Rates von Ulm, so stolzen Schrittes, als wäre er selbst schon Obervormund von Württemberg, das Zimmer seines Gastes.
Georg sandte ihm nicht die freundlichsten Blicke nach. Zürnend schob er seinen Helm, den er noch vor einer Stunde mit so freudigem Mute zu seinem ersten Kampf geschmückt hatte, in die Ecke; mit Wehmut betrachtete er sein altes Schwert, diesen treuen Stahl, den sein Vater in manchem guten Streite geführt, den er sterbend seinem verwaisten Knaben als einziges Erbe vom Schlachtfeld gesendet hatte. »Ficht ehrlich«, war das Symbolum, das der Waffenschmied in die schöne Klinge gegraben hatte, und er sollte sie für eine Sache führen, die ihre Ungerechtigkeit an der Stirne trug? Wo er der Kriegskunst erfahrener Männer, der Tapferkeit des einzelnen die Entscheidung zutraute, da sollten geheime Ränke, die Politica, wie Herr Dieterich sich ausdrückte entscheiden? Wo ihn der fröhliche Glanz der Waffen, die Aussicht auf Ruhm gelockt hatte, da sollte er nur den habgierigen Planen dieser Menschen dienen? Ein altes Fürstenhaus, dem seine Ahnen gerne gedient hatten, sollte er von diesen Spießbürgern vertreiben sehen? Unerträglich wollte ihm auch der Gedanke scheinen, von diesem Kraft sich belehren lassen zu müssen.
Doch dem Unmut über seinen gutmütigen Wirt, konnte er nicht lange Raum geben, wenn er bedachte, daß ja jene Plane nicht in seinem Kopfe gewachsen seien; und daß Menschen, wie dieser politische Ratschreiber, wenn sie einmal ein Geheimnis, einen großen Gedanken in Erfahrung gebracht haben, ihn hegen und pflegen wie ihren eigenen; daß sie sich mit dem adoptierten Kinde brüsten, als wäre es Minerva und aus ihrem eigenen, harten Kopfe entsprungen.
Mit milderen Gedanken kam er zu seinem Gastfreund, als man ihn zu Tisch rief.
Ja, die ganze Ansicht der Dinge wurde ihm nach einigen Stunden bei weitem erträglicher, als er sich erinnerte, daß ja auch Mariens Vater dieser Partei folge; es war ihm, als möchte die Sache doch nicht so schwarz sein, welcher Männer, wie Frondsberg ihre Dienste geliehen.
Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,
Das schnell sich handhabt wie des Messers Schneide –
– Gleich heißt ihr alles schändlich oder würdig,
Bös oder gut. –
Dieses wahre Wort des Dichters möge die Gesinnung Georgs bezeichnen, die Gesinnung Georgs, der vielleicht allzuschnell seine Ansicht über jene Dinge änderte. Und wie die düsteren Falten des Unmuts, auf einer jugendlichen Stirne sich schneller glätten, wie selbst schmerzliche Eindrücke in des Jünglings Seele von freundlichen Bildern leicht verdrängt werden, so erhellte auch Georgs Seele der freudige Gedanke an den Abend.
Man hat uns erzählt, daß unter die schönsten Stunden im Leben der Liebe, die gehören, wo die Erwartung sich an schöne Erinnerungen knüpft. Der Geist seie da ahnungsvoller, das Herz gehobener. So mochte auch Georg fühlen. Er träumte von den schönen Augenblicken, wo es ihm vergönnt sein werde, die Geliebte zu sehen, sie zu sprechen, ihre Hand zu fassen und in ihrem Auge zu lesen.
Und als er sie schwingt nun im luftigen Reigen,
Da flüstert sie leise, sie kann's nicht verschweigen.
Wenn es möglich gewesen wäre, auf einem Trödelmarke oder in der Auktion eines Antiquars ein »Taschenbuch zum geselligen Vergnügen, mit neuen Tanztouren vom Jahr 1519« aufzufinden, wir hätten nicht leicht so angenehm überrascht werden können, als durch einen Fund ähnlicher Art, den uns der Zufall in die Hände spielte.
Wir waren nämlich in vorliegender Historie bis an dieses Kapitel gekommen, das um der Sage zu folgen, von einem Abendtanz handeln soll; da fiel uns mit einem Male der Gedanke schwer aufs Herz, daß wir ja nicht einmal wissen, wie und was man in jenen Zeiten getanzt habe.
Wir hätten zwar schlechthin sagen können, »sie tanzten«; aber wie leicht wäre es geschehen gewesen, daß eine unserer freundlichen Leserinnen einen Anachronismus gemacht, und etwa Georg von Frondsberg in ihren Gedanken einen Cotillon hätte vortanzen lassen. In dieser Verlegenheit stießen wir auf das sehr selten gewordene Buch: »Vom Anfang, Ursprung und Herkommen der Turniere im heiligen römischen Reich. Frankfurt 1564.« Wir fanden in diesem teuren Folianten, unter andern trefflichen Holzschnitten einige, die einen solchen Abendtanz vorstellten, wie er zu Zeiten Kaiser Maximilians, etwa ein Jahr vor dieser Historie, gehalten wurde.
Wir dürfen beinahe mit Gewißheit annehmen, daß der Abendtanz im Ulmer Rathaussaal sich in nichts von jenem angeführten unterschied, und man wird sich den deutlichsten Begriff eines solchen Vergnügens machen, wenn wir eines dieser Bilder beschreiben.
Den Vordergrund nehmen Zuschauer und die Pfeifer, Trommler und Trompeter ein, die, nach dem Ausdrucke des Turnierbuches, »eins aufblasen«. Zu beiden Seiten, mehr dem Hintergrunde zu, steht die tanzlustige Jugend, in reiche schwere Stoffe gekleidet. In unseren Tagen siehet man bei solchen Gelegenheiten nur zwei Grundfarben, Schwarz und Weiß, worein sich die Herren und Damen, wie in Nacht und Tag geteilt haben; anders zu jenen Zeiten. Ein überraschender Glanz der Farben strahlt uns aus jenem Bilde entgegen. Das herrlichste Rot vom brennendsten Scharlach bis zum dunkelsten Purpur, jenes brennende Blau, das uns noch heute an den Gemälden alter Meister überrascht, sind die freudigen Farben ihrer malerisch drapierten Gewänder. Die Mitte der Szene nimmt der eigentliche Tanz ein. Er hat am meisten Ähnlichkeit mit der Polonaise, denn er ist ein Umzug im Saale. Den Zug eröffnen vier Trompeter mit langen Wappenfahnen an den Instrumenten; diesen folgt der Vortänzer und seine Dame, diese Stelle begleitet bei jedem Tanze wieder ein anderer, und es entschied hiebei nicht die Geschicklichkeit, sondern der Rang des Tänzers. Auf diese folgen zwei Fackelträger und dann Paar um Paar der lange Zug der Tanzenden. Die Damen schreiten ehrbar und züchtig einher, die Männer aber setzen ihre Füße wunderlich, wie zu kühnen Sprüngen, einige scheinen auch mit den Absätzen den Takt zu stampfen, wie wir auf jeder Kirchweihe in Schwaben noch heutzutage sehen können.
So war der Abendtanz zu Ulm. Man blies schon längst zum ersten auf, als Georg von Sturmfeder in den Rathaussaal eintrat. Seine Blicke schweiften durch die Reihen der Tanzenden, und endlich trafen sie Marien. Sie tanzte mit einem jungen, fränkischen Ritter seiner Bekanntschaft, schien aber der eifrigen Rede, die er an sie richtete, nicht Gehör zu geben. Ihr Auge suchte den Boden, ihre Miene konnte Ernst, beinahe Trauer ausdrücken; ganz anders als die übrigen Fräulein, die in der wahren Tanzseligkeit schwimmend, ein Ohr der Musik, das andere dem Tänzer liehen, und die freundlichen Augen bald ihren Bekannten, um den Beifall in ihren Mienen zu lesen, bald ihren Tänzern zuwandten, um zu prüfen, ob ihre Aufmerksamkeit auch ganz gewiß auf sie gerichtet sei?
In gehaltenen Tönen hielten jetzt die Zinken und Trompeten aus und endeten; Herr Dieterich Kraft hatte seinen Gastfreund bemerkt und kam ihn, wie er versprochen, zu seinen Muhmen zu führen. Er flüsterte ihm zu, daß er selbst schon für den nächsten Tanz mit Bäschen Berta versagt sei, doch habe er soeben um Mariens Hand für seinen Gast geworben.
Beide Mädchen waren auf die Erscheinung des ihnen so interessanten Fremden vorbereitet gewesen, und dennoch bedeckte die Erinnerung dessen, was sie über ihn gesprochen, Bertas angenehme Züge mit hoher Glut, und die Verwirrung, in welche sie sein Anblick versetzte, ließ sie nicht bemerken, welches Entzücken ihm aus Mariens Auge entgegenstrahlte, wie sie bebte, wie sie mühsam nach Atem suchte, wie ihr selbst die Sprache ihre Dienste zu versagen schien.
»Da bringe ich euch Herrn Georg von Sturmfeder, meinen lieben Gast«, begann der Ratschreiber, »der um die Gunst bittet, mit euch zu tanzen.«
»Wenn ich nicht schon diesen Tanz an meinen Vetter zugesagt hätte«, antwortete Berta schneller gefaßt als ihre Base, »so solltet Ihr ihn haben, aber Marie ist noch frei, die wird mit Euch tanzen.«
»So seid Ihr noch nicht versagt, Fräulein von Lichtenstein?« fragte Georg, indem er sich zu der Geliebten wandte.
»Ich bin an Euch versagt«, antwortete Marie. So hörte er denn zum ersten Male wieder die Stimme, die ihn so oft mit den süßesten Namen genannt hatte, er sah in diese treuen Augen, die ihn noch immer so hold anblickten, wie vormals.
Die Trompeten schmetterten in den Saal; der Oberfeldlieutenant Waldburg Truchseß, dem man den zweiten Tanz gegeben hatte, schritt mit seiner Tänzerin vor, die Fackelträger folgten, die Paare ordneten sich, und auch Georg ergriff Mariens Hand und schloß sich an. Jetzt suchten ihre Blicke nicht mehr den Boden, sie hingen an denen des Geliebten; und dennoch wollte es ihm scheinen, als mache sie dieses Wiedersehen nicht so glücklich wie ihn, denn noch immer lag eine düstere Wolke von Schwermut oder Trauer um ihre Stirne. Sie sah sich um, ob Dieterich und Berta, das nächste Paar nach ihnen, nicht allzu nahe sei. – Sie waren ferne.
»Ach Georg«, begann sie, »welch unglücklicher Stern hat dich in dieses Heer geführt!«
»Du warst dieser Stern, Marie«, sagte er, »dich habe ich auf dieser Seite geahnet, und wie glücklich bin ich, daß ich dich fand! Kannst du mich tadeln, daß ich die gelehrten Bücher beiseite legte und Kriegsdienste nahm? Ich habe ja kein Erbe als das Schwert meines Vaters; aber mit diesem Gute will ich wuchern, daß der deinige sehen soll, daß seine Tochter keinen Unwürdigen liebt.«
»Ach Gott; du hast doch dem Bunde noch nicht zugesagt?« unterbrach sie ihn.
»Ängstige dich doch nicht so, mein Liebchen, ich habe noch nicht völlig zugesagt; aber es muß nächster Tage geschehen. Willst du denn deinem Georg nicht auch ein wenig Kriegsruhm gönnen; warum magst du um mich so bange haben? Dein Vater ist alt und zieht ja doch auch mit aus.«
»Ach, mein Vater, mein Vater!« klagte Marie, »er ist ja – doch brich ab, Georg, brich ab – Berta belausche uns; aber ich muß dich morgen sprechen, ich muß , und sollte es meine Seligkeit kosten. Ach! wenn ich nur wüßte wie?«
»Was ängstigt dich denn nur so?« fragte Georg, dem es unbegreiflich war, wie Marie statt sich der Freude des Wiedersehens hinzugeben, nur an die Gefahren dachte, denen er entgegengehe? »Du stellst dir die Gefahren größer vor als sie sind«, flüsterte er ihr tröstend zu: »Denke an nichts, als daß wir uns jetzt wiederhaben, daß ich deine Hand drücken darf, daß Auge in Auge sieht wie sonst. Genieße jetzt die Augenblicke, sei heiter!«
»Heiter? o diese Zeiten sind vorbei, Georg! höre und sei standhaft – mein Vater ist nicht bündisch!«
»Jesus Maria! was sagst du«, rief der Jüngling und beugte sich, als habe er das Wort des Unglücks nicht gehört, herab zu Marien; »o sage, ist denn dein Vater nicht hier in Ulm?«
Sie hatte sich stärker geglaubt; sie konnte nicht mehr sprechen; bei dem ersten Laut wären ihre Tränen unaufhaltsam geflossen; sie antwortete nur durch einen Druck der Hand, und ging mit gesenktem Haupt nach Kraft suchend, ihren Schmerz zu bekämpfen, neben Georg her. Endlich siegte der starke Geist dieses Mädchens über die Schwäche ihrer Natur, die einem so großen, tiefen Kummer beinahe erlegen wäre. »Mein Vater«, flüsterte sie, »ist Herzog Ulerichs wärmster Freund, und sobald der Krieg entschieden ist, führt er mich heim auf den Lichtenstein!«
Betäubend wirbelten jetzt die Trommeln, in volleren Tönen schmetterten die Trompeten, sie begrüßten den Truchseß, der eben an dem Musikchor vorüberzog; er warf ihnen, wie es Sitte war, einige Silberstücke zu, und von neuem erhob sich ihr betäubender Jubel.
Das leise Gespräch der Liebenden verstummte vor der rauhen Gewalt dieser Töne, aber ihr Auge hatte sich in diesem Schiffbruch ihrer Liebe um so mehr zu sagen, und sie bemerkten nicht einmal wie ein Geflüster über sie im Saal erging, das sie als das schönste Paar pries.
Aber nur zu wohl hatte Berta diese Bemerkungen der Menge gehört. Sie war zu gutmütig, als daß Neid darüber in ihre Seele gekommen wäre, aber sie setzte sich doch im Geiste an Mariens Platz, und fand, daß man vielleicht das Paar nicht minder schön gefunden hätte. Auch das Gespräch, das zwischen den beiden begonnen hatte, fiel ihr auf. Die ernste Base, die selten oder nie mit einem Mann lange sprach, schien mehr und angelegentlicher zu reden, als ihr Tänzer. Die Musik hinderte sie zu verstehen, was gesprochen wurde; die Neugierde, die man vielleicht nicht mit Unrecht jungen Mädchen ausschließlich zuschreibt, wurde in ihr rege, sie zog ihren Tänzer näher an das vordere Paar, um – ein wenig zu lauschen; aber war es Zufall oder Absicht, das Gespräch verstummte als sie näher kam, oder wurde so leise geführt, daß sie nichts davon verstand.
Ihr Interesse an dem schönen, jungen Mann wuchs mit diesen Hindernissen; noch nie war ihr der gute Vetter Kraft so lästig geworden, als in diesen Augenblicken; denn die zierlichen Redensarten, womit er ihr Herz zu umspinnen gedachte, verhinderten sie, jene genauer zu beobachten. Sie war froh, als endlich der Tanz sich endigte. Denn sie durfte hoffen, daß der nächste an des jungen Ritters Seite desto angenehmer für sie sein werde.
Sie täuschte sich nicht in ihrer Hoffnung Georg kam, sie um den nächsten Tanz zu bitten, der auch sogleich begann, und sie hüpfte fröhlich an seiner Seite in die Reihen. Aber es war nicht mehr derselbe, der vorhin mit Marien so freundlich gesprochen hatte. Verstört, einsilbig, in tiefe Gedanken versunken, war der junge Mann an ihrer Seite, und es war nur zu sichtbar, daß er sich immer erst wieder sammeln mußte, wenn er eine ihrer Fragen beantworten sollte.
War dies jener »höfliche Reiter«, welcher sie, ohne daß sie sich je gesehen hatten, so freundlich grüßte? War es derselbe, welcher so heiter, so fröhlich war, als ihn Vetter Kraft zu ihnen führte? Derselbe, der mit Marien so eifrig sich unterredet hatte? Oder sollte diese – –? ja es war klar. Marie hatte ihm besser gefallen, ach! vielleicht weil sie die erste war, die mit ihm tanzte. Je weniger Berta gewohnt war, sich der ernsten Marie nachgesetzt zu sehen, um so mehr befremdete sie dieser Sieg ihrer Base, um so mehr glaubte sie sich beeifern zu müssen, ihren Rang, ihre Gaben geltend zu machen. Sie setzte daher mit ihrer heiteren Geschwätzigkeit das Gespräch über den bevorstehenden Krieg, das sie mit Mühe angesponnen hatte, fort, als sie nach Beendigung des Tanzes zu Marie und dem Ratsschreiber traten. »Nun? und der wievielste Feldzug ist es denn, Herr von Sturmfeder, dem Ihr jetzt beiwohnet?«
»Es ist mein erster«, antwortete dieser kurz abgebrochen, denn er war unmutig darüber, daß jene ihn noch immer im Gespräch halte, da er mit Marie so gerne gesprochen hätte.
»Euer erster?« entgegnete Berta verwundert, »Ihr wollt mir etwas weismachen, da habt Ihr ja schon eine mächtige Narbe auf der Stirne.«
»Die bekam ich auf der hohen Schule«, antwortete Georg.
»Wie? Ihr seid ein Gelehrter?« fragte jene eifrig weiter. »Nun, und da seid Ihr gewiß recht weit weg gewesen; etwa in Padua oder Bologna, oder gar bei den Ketzern in Wittenberg.«
»Nicht so weit als Ihr meint«, entgegnete er, indem er sich zu Marien wandte; »ich war in Tübingen.«
»In Tübingen?« rief Berta voll Verwunderung. Wie ein Blitz erhellte dies einzige Wort, alles was ihr bisher dunkel war, und ein Blick auf Marien, die mit niedergeschlagenen Augen, mit der Röte der Scham auf den Wangen, vor ihr stand, überzeugte sie, daß die lange Reihe von Schlüssen, die sich an jenes Wort anschlossen, ihren nur zu sicheren Grund haben. Jetzt war ihr auf einmal klar, warum sie der artige Reiter begrüßte, warum Marie weinte, die ihn gewiß gerne auf der feindlichen Seite gesehen hätte, warum er so viel mit jener gesprochen, warum er bei ihr selbst so einsilbig war. Es war keine Frage, sie kannten sich, sie mußten sich längst gekannt haben.
Beschämung war das erste Gefühl, das bei dieser Entdeckung Bertas Herz bestürmte, sie errötete vor sich selbst, wenn sie sich gestand, nach der Aufmerksamkeit eines Mannes gestrebt zu haben, dessen Seele ein ganz anderer Gegenstand beschäftigte. Unmut über Mariens Heimlichkeit verfinsterte ihre Züge. Sie suchte Entschuldigung für ihr eigenes Betragen, und fand sie nur in der Falschheit ihrer Base. Hätte diese ihr gestanden, in welchem Verhältnis sie zu dem jungen Manne stehe, sie hätte ihr nie ihre Teilnahme an ihm gezeigt, er wäre ihr dann, meinte sie, höchst gleichgültig geblieben, sie hätte nie diese Beschämung erfahren. Wir haben es von guter Hand, daß junge Damen große Beleidigungen, tiefere Schmerzen im Gefühl ihrer Würde mit Anstand zu ertragen wissen; daß sie aber oft, wenn es sich um geringe Dinge handelt, nicht Gleichmut genug besitzen, um das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, nicht Großmut genug, um zu vergessen.
Berta hat an diesem Abend den unglücklichen jungen Mann keines Blickes mehr gewürdigt, was ihm übrigens über dem größeren Schmerz, der seine Seele beschäftigte, völlig entging. Sein Unglück wollte es auch, daß er nie mehr Gelegenheit fand, Marien wieder allein und ungestört zu sprechen; der Abendtanz ging zu Ende, ohne daß er über Mariens Schicksal und über die Gesinnungen ihres Vaters gewisser wurde, und Marie fand kaum noch auf der Treppe Gelegenheit ihm zuzuflüstern, er möchte morgen in der Stadt bleiben, weil sie vielleicht irgendeine Gelegenheit finden würde, ihn zu sprechen.
Verstimmt kamen die beiden Schönen nach Hause. Berta hatte auf alle Fragen Mariens kurze Antwort gegeben, und auch diese, sei es, daß sie ahnete, was in ihrer Freundin vorgehe, sei es, weil sie selbst ein großer Schmerz beschäftigte, war nach und nach immer düsterer, einsilbiger geworden.
Aber auf beiden lastete die Störung ihres bisherigen freundschaftlichen Verhältnisses erst recht schwer, als sie ernst und schweigend in ihr Gemach traten. Sie hatten sich bisher alle jene kleinen Dienste geleistet, welche junge Mädchen nur noch zu engerer Freundschaft verbinden. Wie ganz anders war es heute! Berta hatte die silberne Nadel aus dem reichen blonden Haar gezogen, daß es in langen Ringellocken über den schönen Nacken herabströmte. Sie versuchte, es unter das Nachthäubchen zu stecken; ungewohnt, diese Arbeit ohne Mariens Hülfe zu verrichten, kam sie nicht damit zustande, aber zu stolz, ihre Feindin, wie sie Marien in ihrem Sinne nannte, ihre Verlegenheit merken zu lassen, warf sie das Häubchen in die Ecke und ergriff ein Tuch, um es um das Haar zu winden.
Schweigend nahm Marie das verworfene Häubchen wieder auf, und trat hinzu, das Haar ihrer Base nach gewohnter Weise zu ordnen und aufzubinden.
»Hinweg, du Falsche!« rief die erzürnte Berta, indem sie die hilfreiche Hand zurückstieß.
»Berta, hab ich dies um dich verdient?« sprach Marie mit Ruhe und Sanftmut. »O wenn du wüßtest, wie unglücklich ich bin, du würdest sanfter gegen mich sein!«
»Unglücklich?« lachte jene laut auf, »unglücklich; vielleicht weil der artige Herr nur einmal mit dir tanzte?«
»Du bist recht hart, Berta«, antwortete Marie, »du bist böse auf mich, und sagst mir nicht einmal warum?«
»So? Du willst also nicht wissen, daß du mich betrogen hast? nicht wissen, wie mich deine Heimlichkeiten dem Spott und der Beschämung aussetzen? Ich hätte nie geglaubt, daß du so schlecht, so falsch an mir handeln würdest!«
Von neuem erwachte in Berta das kränkende Gefühl, sich hintangesetzt zu sehen; ihre Tränen strömten, sie legte die heiße Stirne in die Hand und die reichen Locken flossen über ihr zusammen und verhüllten die Weinende.
Tränen sind die Zeichen milderen Schmerzens; Marie kannte diese Tränen und fuhr mit mehr Vertrauen fort: »Berta! Du schiltst meine Heimlichkeit; ich sehe du hast erraten, was ich nie von selbst sagen konnte. Setze dich selbst in meine Lage; ach, du selbst, so heiter und offen du bist, du selbst hättest mir dein Geheimnis nicht vertrauen können. Aber jetzt ist es ja aus; du weißt, was meine Lippen auszusprechen sich scheuten; ich liebe ihn, ja ich werde geliebt, und nicht erst von gestern her. Willst du mich hören? darf ich dir alles sagen?«
Bertas Tränen flossen noch immer; sie antwortete nicht auf jene Fragen, aber Marie hub an zu erzählen, wie sie Georg im Hause der seligen Muhme kennengelernt habe; wie sie ihm gut gewesen, lange ehe er ihr seine Liebe gestanden; alle jene schönen Erinnerungen lebten in ihr auf, mit glühenden Wangen, mit strahlendem Auge führte sie die Vergangenheit herauf; sie erzählte von so mancher schönen Stunde, vom Schwur ihrer Treue, von ihrem Abschied. »Und jetzt«, fuhr sie mit wehmütigem Lächeln fort, »jetzt hat ihn dieser unglückliche Krieg auf diese Seite geführt; er hört, wir seien hier in Ulm, er glaubt nicht anders, als mein Vater sei dem Bunde beigetreten, er hofft, mich durch sein Schwert zu verdienen, denn er ist arm, recht arm! O Berta, du kennst meinen Vater; er ist so gut, aber auch so strenge, wenn etwas seiner Meinung widerspricht. Wird er einem Manne seine Tochter geben, der sein Schwert gegen Württemberg gezogen hat? Siehe, das waren meine Tränen! Ach, ich wollte dir so oft sagen, warum sie fließen, aber eine unbesiegbare Scham schloß meine Lippen; kannst du mir noch zürnen? Muß ich mit dem Geliebten auch die Freundin verlieren?«
Auch Mariens Tränen flossen, und Berta fühlte den eigenen Schmerz von dem größern Kummer der Freundin besiegt. Sie umarmte Marien schweigend und weinte mit ihr.
»In den nächsten Tagen«, fuhr diese fort, »will mein Vater Ulm verlassen, und ich muß ihm folgen. Aber noch einmal muß ich Georg sprechen, nur ein Viertelstündchen; Berta, du kannst gewiß Gelegenheit geben; nur ein ganz kleines Viertelstündchen!«
»Du willst ihn doch nicht der guten Sache abwendig machen?« fragte Berta.
»Was nennst du die gute Sache?« antwortete Marie. »Des Herzogs Sache ist vielleicht nicht minder gut als die eure; du sprichst so, weil ihr bündisch seid; ich bin eine Württembergerin, und mein Vater ist seinem Herzoge treu. Doch sollen wir Mädchen über den Krieg entscheiden? Laß uns lieber auf Mittel sinnen, ihn noch einmal zu sehen.«
Berta hatte über der Teilnahme, mit welcher sie der Geschichte ihrer Base zugehört hatte, ganz vergessen, daß sie ihr jemals gram gewesen war. Sie war überdies für alles Geheimnisvolle eingenommen, daher kamen ihr diese Mitteilungen erwünscht; sie fühlte, wie wichtig und ehrenvoll der Posten einer Vertrauten sei und gab sich daher alle mögliche Mühe, dem liebenden Paare mit ihrem Scharfsinn zu dienen.
»Ich hab's gefunden«, rief sie endlich aus, »wir laden ihn geradezu in den Garten.«
»In den Garten?« fragte Marie schüchtern und ungläubig, »und durch wen?«
»Sein Wirt, der gute Vetter Dieterich muß ihn selbst bringen«, antwortete sie, »das ist herrlich, und dieser darf auch kein Wörtchen davon merken, laß nur mich dafür sorgen.«
Marie, entschlossen und stark bei großen Dingen, zitterte doch bei diesem gewagten Schritte. Aber ihre mutige, fröhliche Base wußte ihr alle Bedenklichkeiten auszureden, und mit zurückgekehrter, mit erneuerter Hoffnung und befreit von der Last des Geheimnisses, umarmten sich die Mädchen, ehe sie sich zur Ruhe legten.
Und wie ein Geist schlingt um den Hals
Das Liebchen sich herum:
»Willst mich verlassen, liebes Herz
Auf ewig?« und der bittre Schmerz
Macht 's arme Liebchen stumm.
Sinnend und traurig saß Georg am Mittag nach dem festlichen Abend in seinem Gemach. Er hatte Breitenstein besucht und wenig Tröstliches für seine Hoffnungen erfahren. Der Kriegsrat hatte sich an diesem Morgen versammelt und unwiderruflich war der Krieg beschlossen worden. Zwölf Edelknaben waren, die Absagebriefe des Herzogs von Bayern, der Ritterschaft und gesamter Städte an ihre Lanzen geheftet, zum Gögglinger Tor hinausgejagt, um die Feindesbotschaft dem Württemberger nach Blaubeuren zu bringen. Auf den Straßen rief man einander fröhlich diese Nachricht zu, und die Freude, daß es jetzt endlich ins Feld gehen werde, stand deutlich auf allen Gesichtern geschrieben. Nur einen traf diese Kunde wie das schreckliche Machtwort seines Schicksals. Der Gram trieb ihn aus dem Kreise der fröhlichen Gesellen, die jetzt den Weinstuben zuzogen, um in lautem Jubel das Geburtsfest des Krieges zu begehen und das Los künftiger Siege im Würfelspiel zu belauschen. Ach! ihm waren ja schon die Würfel gefallen! ein blutiges Schlachtfeld dehnte sich zwischen ihm und seiner Liebe aus, sie war ihm auf lange, vielleicht auf ewig verloren.
Eilige Tritte, welche die Treppe heraufstürmten, weckten ihn aus seinem Brüten. Der Ratsschreiber steckte den Kopf in die Türe. »Glück auf, Junker!« rief er, »jetzt hebt der Tanz erst recht an. Aber Ihr wißt es vielleicht noch gar nicht? der Krieg ist angekündigt, schon vor einer Stunde sind unsere Absageboten ausgeritten.«
»Ich weiß es«, antwortete sein finsterer Gast.
»Nun, und hüpft Euch das Herz nicht freier? Habt Ihr auch gehört – nein, das könnt Ihr nicht wissen«, fuhr Dieterich fort, indem er zutraulich näher zu ihm trat, »daß die Schweizer bereits abziehen?«
»Wie, sie ziehen?« unterbrach ihn Georg, »also hat der Krieg schon ein Ende?«
»Das möchte ich nicht gerade behaupten«, fuhr der Ratsschreiber bedenklich fort, »der Herzog von Württemberg ist noch ein junger, mutiger Herr und hat noch Ritter und Dienstleute genug. Zwar wird er wohl keine offene Feldschlacht mehr wagen, aber er hat feste Städte und Burgen. Da ist einmal der Höllenstein und darin Stephan von Lichow, ein Mann wie Eisen. Da ist Göppingen, das Philipp von Rechberg auch nicht auf den ersten Stückschuß ergeben wird; da ist Schorndorf, Rothenberg und Asperg, da ist vor allem Tübingen, das er tüchtig befestigt hat. Es wird noch mancher ins Gras beißen, bis Ihr Eure Rosse im Neckar tränket.
Nun, nun!« fuhr er fort, als er sah, daß seine Nachrichten die finstere Stirne seines schweigenden Gastes nicht aufheitern konnten. »Wenn Ihr diese kriegerischen Botschaften nicht freundlich aufnehmet, so schenkt Ihr vielleicht einem friedlicheren Auftrag ein geneigtes Ohr. Sagt einmal, habt Ihr nicht irgendwo eine Base?«
»Base? ja, warum fragt Ihr?«
»Nun sehet, jetzt erst verstehe ich die verwirrten Reden, die vorhin Berta vorbrachte. Als ich aus dem Rathaus kam, winkte sie mir hinauf und befahl mir, meinen Gast heute nachmittag in ihren Garten an der Donau zu führen. Marie habe Euch etwas sehr Wichtiges an Eure Base, die sie sehr gut kenne, aufzutragen. Ihr müßt mir schon den Gefallen tun, mitzugehen. Solche Geheimnisse und Aufträge sind zwar gewöhnlich nicht weit her und ich wollte wetten, sie geben Euch ein Müsterlein für den Webstuhl oder eine Probe feiner Wolle, oder ein tiefes Geheimnis der Kochkunst, oder gar ein paar Körnlein von einer seltenen Blume mit, denn Marie ist eine große Gärtnerin – doch, wenn Ihr gestern an dem Mädchen Gefallen gefunden habt, gehet Ihr wohl selbst gerne mit.«
Mitten in den schmerzlichen Gedanken an die Scheidestunde mußte Georg über die List der Mädchen lachen; freundlich bot er dem guten Boten die Hand und schickte sich an, ihn in den Garten zu begleiten.
Dieser lag an der Donau, ungefähr zweitausend Schritte unter der Brücke; er war nicht groß, zeugte aber von Sorgfalt und Fleiß. Die schönen Obstbäume waren zwar noch nicht belaubt und die in wunderlichen Formen abgestochenen Beete hatten noch keine Blumen, aber ein langer Taxusgang, der an dem Ufer des Flusses sich hinzog, und in eine geräumige Laube endete, gab durch sein helles Grün einen lebhaften Anblick und hinlänglichen Schutz gegen die, einem weißen Hals und schönen Armen so gefährlichen Strahlen der Märzsonne. Dort, auf dem breiten bequemen Steinsitze, wo die Lücken der Laube eine freie Aussicht die Donau hinauf und hinab gewährten, hatten die Mädchen unter mancherlei Gesprächen der jungen Männer geharrt.
Marie saß traurig, in sich gekehrt; sie hatte den schönen Arm auf eine Lücke der Laube aufgestützt, und das von Gram und Tränen müde Köpfchen in die Hand gelegt. Ihr dunkles, glänzendes Haar hob die Weiße ihres Teint um so mehr heraus, als stiller Kummer ihre Wangen gebleicht, und schlaflose Nächte dem lieblichen blauen Auge seinen sonst so überraschenden Glanz geraubt und ihm einen matteren, vielleicht nur um so anziehenderen Schimmer von Melancholie gegeben hatten. Das vollendete Bild fröhlichen Lebens, saß die frische, runde, rosige Berta neben ihr. Wie ihre gelblichen Locken mit Mariens dunklen Haaren, ihr rundes, frisches Gesichtchen mit den ovalen, schärferen Formen ihrer Base, wie ihre freundlichen, beweglichen hellbraunen Augen in auffallendem Kontrast stunden mit dem sinnenden, geistvollen Blick Mariens: so wurde auch jede ihrer raschen, lebhaften Bewegungen zum Gegensatz gegen jene stille Trauer.
Berta schien ihre rosigste Laune hervorgeholt zu haben, um ihre Base zu trösten oder doch ihren großen Schmerz zu zerstreuen. Sie erzählte und schwatzte, sie lachte und ahmte die Gebärde und Sprache vieler Leute nach, sie versuchte alle jene tausend kleinen Künste, womit die Natur ihre fröhliche Tochter ausstattete; aber wir glauben, daß sie wenig ausrichtete, denn nur hie und da gleitete ein wehmütiges, schnell verschwebendes Lächeln über Mariens feine Züge hin.
Endlich ergriff sie, als gar nichts mehr helfen wollte, ihre Laute, die in der Ecke stand. Marie besaß auf diesem Instrument große Fertigkeit, und Berta hätte sich sonst nicht leicht bewegen lassen, vor der Meisterin zu spielen. Doch heute hoffte sie durch ihr Geklimper wenigstens ein Lächeln ihrer Base zu entlocken. Sie setzte sich mit großem Ernste nieder und begann:
»Fragt mich jemand, was ist Minne?
Wüßt ich gern auch darum meh(r).
Wer nun recht darüber sinne
Sag mir, warum tut sie weh?
Minne ist Liebe, tut sie wohl;
Tut sie weh, heißt sie nicht Minne.
Oh, dann weiß ich, wie sie heißen soll.«
»Wo hast du dies alte, schwäbische Liedchen her?« fragte Marie, die der einfachen Musik und dem lieblichen Text gerne ihr Ohr lieh.
»Nicht wahr, es ist hübsch? aber es kommt noch viel hübscher, wenn du hören willst«, antwortete Berta; »das hat mich in Nürnberg ein Meistersänger, Hans Sachs, gelehrt, es ist übrigens nicht von ihm, sondern von Walther von der Vogelweide, der wohl vor dreihundert Jahren gelebt und geliebt hat. Höre nur weiter:
Ob ich recht erraten könne,
Was die Minne sei? so sprecht ja;
Minne ist zweier Herzen Wonne;
Teilen sie gleich, so ist sie da.
Doch – soll ungeteilt sein,
So kann ein Herz allein sie nicht enthalten;
Willst du mir helfen, traute Jungfrau mein?
Nun hast du geteilt mit dem armen Junker?« fragte die schelmische Berta ihre errötende Base. »Vetter Kraft möchte gerne auch mit mir teilen, einstweilen kann er aber seinen ganzen Part allein tragen. Doch du wirst mir wieder ernst, ich muß schon noch ein Liedchen des alten Herrn Walthers singen:
Ich weiß nicht, wie es damit geschah,
Meinem Auge ist's noch nie geschehen,
Seit ich sie in meinem Herzen sah
Kann ich sie auch ohne Augen sehen;
Da ist doch ein Wunder mit geschehen,
Denn wer gab es, daß es ohne Augen
Sie zu aller Zeit mag sehen?
Wollt ihr wissen, was die Augen sein,
Womit ich sie sehe durch alle Land,
Es sind die Gedanken des Herzens mein
Damit schau ich durch Mauer und Wand,
Und hüten diese sie noch so gut,
Es schauen sie mit vollen Augen
Das Herz, der Wille und mein Mut.«
Marie lobte das Lied des Herrn Walther von der Vogelweide als einen guten Trost beim Scheiden; Berta bestätigte es. »Ich weiß noch einen Reim«, sagte sie lächelnd, und sang:
»Und zog sie auch weit in das Schwabenland,
Seine Augen schauen durch Mauer und Wand,
Seine Blicke bohren durch Fels und Stein,
Er schaut durch die Alb nach dem Lichtenstein!«
Als Berta noch im Nachspiel zu ihrem Liedchen begriffen war, ging die Gartenpforte; Männertritte tönten den Gang herauf, und die Mädchen standen auf, die Erwarteten zu empfangen.
»Herr von Sturmfeder«, begann Berta nach den ersten Begrüßungen, »verzeihet doch, daß ich es wagte, Euch in meines Vaters Garten einzuladen; aber meine Base Marie wünscht Euch Aufträge an eine Freundin zu geben. – Nun, und daß wir andern nicht zu kurz kommen«, setzte sie zu Herrn Kraft gewandt hinzu, »so wollen wir eines plaudern und den Abendtanz von gestern mustern.« Damit ergriff sie ihres Vetters Hand und zog ihn mit sich den Gang hinab.
Georg hatte sich zu Marie auf die Bank gesetzt. Sie lehnte sich an seine Brust und weinte heftig. Die süßesten Worte, die er ihr zuflüsterte, vermochten nicht, ihre Tränen zu stillen. »Marie«, sagte er, »du warst ja sonst so stark, wie kannst du nun gerade jetzt allen Glauben an ein besseres Geschick, alle Hoffnung aufgeben?«
»Hoffnung?« fragte sie wehmütig, »mit unserer Hoffnung, mit unserem Glück ist es für ewig aus.«
»Siehe«, antwortete Georg, »eben dies kann ich nicht glauben; ich trage die Gewißheit unserer Liebe in mir so innig, so tief, und ich sollte jemals glauben, daß sie untergehen könne?«
»Du hoffst noch? So höre mich ganz an. Ich muß dir ein tiefes Geheimnis sagen, an dem das Leben meines Vaters hängt. Mein Vater ist so sehr ein bitterer Feind des Bundes, als er ein Freund des Herzogs ist; er ist nicht nur deswegen hier, um sein Kind heimzuholen, nein, er sucht die Plane des Bundes zu erforschen und mit Geld und Rede zu verwirren. Und glaubst du, ein so bitterer Gegner des Bundes werde seine einzige Tochter einem Jüngling geben, der in unserem Verderben sich emporzuschwingen sucht? Einem, der sich an Menschen anschließt, die kein Recht, sondern nur Raub suchen?«
»Dein Eifer führt dich zu weit, Marie«, unterbrach sie der Jüngling; »du mußt wissen, daß mancher Ehrenmann in diesem Heere dient!«
»Und wenn dies wäre«, fuhr jene eifrig fort, »so sind sie betrogen und verführt, wie auch du betrogen bist.«
»Wer sagt dir dies so gewiß«, entgegnete Georg, welcher errötete, die Partei, die er ergriffen, von einem Mädchen so erniedrigt zu sehen, obgleich er ahnete, daß sie so unrecht nicht habe; »wer sagt dir dies so gewiß? kann nicht dein Vater auch verblendet und betrogen sein? Wie mag er nur mit so vielem Eifer die Sache dieses stolzen, herrschsüchtigen Mannes führen, der seine Edlen ermordet, der seine Bürger in den Staub tritt, der an seiner Tafel das Mark des Landes verpraßt und seine Bauern verschmachten läßt?«
»Ja, so schildern ihn seine Feinde,« antwortete Marie, »so spricht man von ihm in diesem Heere, aber frage dort unten an den Ufern des Neckars, ob sie ihren angestammten Fürsten nicht lieben, wenngleich seine Hand zuweilen schwer auf ihnen ruht. Frage jene Männer, die mit ihm ausgezogen sind, ob sie nicht freudig ihr Blut für den Enkel Eberhards geben, ehe sie diesem stolzen Herzog von Bayern, diesen räuberischen Edlen, diesen Städtlern ihr Land abtreten.«
Georg schwieg eine Zeitlang nachdenklich; »Aber wie entschuldigen denn diese warmen Verteidiger den Mord des Hutten?« fragte er.
»Ihr sprecht immer von Eurer Ehre«, antwortete Marie, »und wollt nicht leiden, daß ein Herzog seine Ehre verteidige? Hutten ist nicht meuchelmörderisch gefallen, wie seine Anhänger in alle Welt ausgeschrieen haben, sondern im ehrlichen Kampfe, worin der Herzog selbst sein Leben einsetzte. Ich will nicht alles verteidigen, was er tat; aber man soll nur auch bedenken, daß ein junger Herr, wie der Herzog, von schlechten Räten umgeben, nicht immer weise handeln kann. Aber er ist gewiß gut, und wenn du wüßtest, wie mild, wie leutselig er sein kann!«
»Es fehlt nur noch, daß du ihn auch den schönen Herzog nennst«, sagte Georg bitter lächelnd, »du wirst reichen Ersatz finden für den armen Georg, wenn er es der Mühe wert hält, mein Bild aus deinem Herzen zu verdrängen.«
»Wahrlich, dieser kleinlichen Eifersucht habe ich dich nicht fähig gehalten«, antwortete Marie, indem sie sich mit Tränen des Unmuts, im Gefühl gekränkter Würde abwandte. »Glaubst du denn, das Herz eines Mädchens könne nicht auch warm für die Sache ihres Vaterlandes schlagen?«
»Sei mir nicht böse«, bat Georg, der mit Reue und Beschämung einsah, wie ungerecht er sei, »gewiß, es war nur Scherz!«
»Und kannst du scherzen, wo es unser ganzes Lebensglück gilt?« entgegnete Marie; »morgen will der Vater Ulm verlassen, weil der Krieg entschieden ist; wir sehen uns vielleicht lange, lange nicht mehr, und du magst scherzen? Ach, wenn du gesehen hättest, wie ich so manche Nacht mit heißen Tränen zu Gott flehte, er möge dein Herz hinüber auf unsere Seite lenken, er möge uns vor dem Unglück bewahren, auf ewig getrennt zu sein, gewiß du könntest nicht so grausam scherzen!«
»Er hat es nicht zum Heil gelenkt«, antwortete Georg, düster vor sich hinblickend.
»Und sollte es nicht noch möglich sein«, sprach Marie, indem sie seine Hand faßte und mit dem Ausdruck bittender Zärtlichkeit, mit der gewinnenden Sanftmut eines Engels ihm ins Auge sah, »sollte es nicht noch möglich sein? Komm mit uns, Georg, wie gerne wird der Vater einen jungen Streiter seinem Herzog zuführen. Ein Schwert wiegt viel in solchen Zeiten, sagte er oft, er wird es dir hoch anschlagen, wenn du ihm folgst, an seiner Seite wirst du kämpfen, mein Herz wird dann nicht zerrissen, nicht geteilt sein, zwischen jenseits und diesseits; mein Gebet, wenn es um Glück und Sieg fleht, wird nicht zitternd zwischen beiden Heeren irren!«
»Halt ein!« rief der Jüngling und bedeckte seine Augen, denn der Sieg der Überzeugung strahlte aus ihren Blicken, die Gewalt der Wahrheit hatte sich auf ihren süßen Lippen gelagert. »Willst du mich bereden, ein Überläufer zu werden? Gestern zog ich mit dem Heere ein, heute wird der Krieg erklärt und morgen soll ich zu dem Herzog hinüberreiten? Kann dir meine Ehre so gleichgültig sein?«
»Die Ehre?« fragte Marie und Tränen entstürzten ihrem Auge; »sie ist dir also teurer als deine Liebe? wie anders klang es, als mir Georg ewige Treue schwur. Wohlan! sei glücklicher mit ihr als mit mir! Aber möge dir, wenn dich der Herzog von Bayern auf dem Schlachtfeld zum Ritter schlägt, weil du in unsern Fluren am schrecklichsten gewütet, wenn er dir ein Ehrenkettlein umhängt, weil du Württembergs Burgen am tapfersten gebrochen, möge dir der Gedanke deine Freude nicht trüben, daß du ein Herz brachst, das dich so treu, so zärtlich liebte!«
»Geliebte!« antwortete Georg, dessen Brust widerstreitende Gefühle zerrissen, »dein Schmerz läßt dich nicht sehen, wie ungerecht du bist. Doch es sei! daß du siehest, daß ich den Ruhm, der mir so freundlich winkte, der Liebe zum Opfer zu bringen weiß, so höre mich: Hinüber zu euch darf ich nicht. Aber ablassen will ich von dem Bunde, möge kämpfen und siegen wer da will – mein Kampf und Sieg war ein Traum, er ist zu Ende!«
Marie sandte einen Blick des Dankes zum Himmel und belohnte die Worte des jungen Mannes mit süßem Lohne. »O glaube mir«, sagte sie, »ich fühle, wieviel dich dieses Opfer kosten muß. Aber siehe mir nicht so traurig an dein Schwert hinunter; wer frühe entsagt, der erntet schön, sagt mein Vater, es muß uns doch auch einmal die Sonne des Glückes scheinen. Jetzt kann ich getrost von dir scheiden; denn wie auch der Krieg sich enden mag, du kannst ja frei vor meinen Vater treten, und wie wird er sich freuen, wenn ich ihm sage, welch schweres Opfer du gebracht hast!«
Bertas helle Stimme, die der Freundin ein Zeichen gab, daß der Ratsschreiber nicht mehr zurückzuhalten sei, schreckte die Liebenden auf. Schnell trocknete Marie die Spuren ihrer Tränen und trat mit Georg aus der Laube.
»Vetter Kraft will aufbrechen«, sagte Berta, »er fragt, ob der Junker ihn begleiten wolle?«
»Ich muß wohl, wenn ich den Weg nach Hause nicht verfehlen soll«, antwortete Georg; so teuer ihm die letzten Augenblicke vor einer langen Trennung von Marie gewesen wären, so kannte er doch die strenge Sitte seiner Zeit zu gut, als daß er ohne den Vetter, als Landfremder bei den Mädchen geblieben wäre.
Schweigend gingen sie den Garten hinab, nur Herr Dieterich führte das Wort, indem er in wohlgesetzten Worten seinen Jammer beschrieb, daß seine Base morgen schon Ulm verlassen werde. Aber Berta mochte in Georgs Augen gelesen haben, daß ihm noch etwas zu wünschen übrigbleibe, wobei der uneingeweihte Zeuge überflüssig war; sie zog den Vetter an ihre Seite und befragte ihn so eifrig über eine Pflanze, die gerade zu seinen Füßen mit ihren ersten Blättern aus der Erde sproßte, daß er nicht Zeit hatte, zu beobachten, was hinter seinem Rücken vorgehe.
Schnell benützte Georg diesen Augenblick, Marien noch einmal an sein Herz zu ziehen, aber das Rauschen von Mariens schwerem, seidenen Gewande, Georgs klirrendes Schwert weckten den Ratsschreiber aus seinen botanischen Betrachtungen; er sah sich um, und o Wunder! er erblickte die ernste, züchtige Base in den Armen seines Gastes.
»Das war wohl ein Gruß an die liebe Base in Franken?« fragte er, nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt hatte.
»Nein, Herr Ratsschreiber«, antwortete Georg, »es war ein Gruß an mich selbst, und zwar von der, die ich einst heimzuführen gedenke. Ihr habt doch nichts dagegen, Vetter?«
»Gott bewahre! ich gratuliere von Herzen«, antwortete Herr Dieterich, der von dem ernsten Blick des jungen Kriegsmannes und von Mariens Tränen etwas eingeschüchtert wurde. »Aber der Tausend, das heiß ich veni, vidi, vici; ich scherwenzte schon ein Vierteljahr um die Schöne, und habe mich kaum eines Blickes erfreuen können. Und heute muß ich nun gar den Marder selbst herausführen, der mir das Täubchen vor dem Mund wegstiehlt.«
»Verzeihe den Scherz, Vetter, den wir uns mit dir machten«, fiel ihm Berta ins Wort, »sei vernünftig und laß dir die Sache erklären.« Sie sagte ihm, was er zu wissen brauchte, um gegen Mariens Vater zu schweigen. Mehr durch die freundlichen Blicke Bertas besänftigt, versprach er zu schweigen, unter der Bedingung, setzte er schalkhaft hinzu, daß sie etwa auch einen solchen Gruß an ihn bestelle.
Berta verwies ihm, wiewohl nicht allzu strenge, seine unartige Forderung, und fragte ihn neckend an der Gartentüre noch einmal um die Naturgeschichte des ersten Veilchens, das die Sonne hervorgelockt hatte. Er war gutmütig genug, eine lange und gelehrte Erklärung darüber zu geben, ohne weder durch Mariens leises Weinen, noch durch Georgs klirrendes Schwert sich unterbrechen zu lassen. Ein dankender Blick Mariens, ein freundlicher Handschlag von Berta belohnte ihn dafür beim Scheiden, und noch lange wehten die Schleier der schönen Bäschen, über den Gartenzaun hin, den Scheidenden nach.
Im stillen Klostergarten
Eine bleiche Jungfrau ging;
Der Mond beschien sie trübe,
An ihrer Wimper hing
Die Träne zarter Liebe.
Ulm glich in den nächsten Tagen einem großen Lager. Statt der friedlichen Landleute, der geschäftigen Bürger, die sonst ehrbaren und ruhigen Schrittes ihrem Gewerbe nach, durch die Straßen gingen, sah man überall nur wunderliche Gestalten mit Sturmhauben und Eisenhüten, mit Lanzen, Armbrüsten und schweren Büchsen. Statt der Ratsherren, in ihrer einfachen schwarzen Tracht, zogen stolze Ritter, mit wehenden Helmbüschen, ganz mit Stahl bedeckt, begleitet von einer großen Schar bewaffneter Dienstleute, über die Plätze und Märkte. Noch lebhafter war dies kriegerische Bild vor den Toren der Stadt; auf einem Anger an der Donau übte Sickingen seine Reiterei, auf einem großen Blachfelde gegen Söflingen hin, pflegte Frondsberg sein Fußvolk zu tummeln.
An einem schönen Morgen, etwa drei bis vier Tage nachdem Marie von Lichtenstein mit ihrem Vater Ulm verlassen hatte, sah man eine ungeheure Menge Menschen aus allen Ständen auf jener Wiese versammelt, um diesen Übungen Frondsbergs zuzusehen. Sie betrachteten diesen Mann, dem ein so großer Ruf vorangegangen war, vielleicht mit nicht geringerem Interesse als wir, wenn wir die kaiserlichen oder königlichen Söhne des Mars, die Dienste eines Feldherrn verrichten sahen. Knüpft sich ja doch gerade an die Person eines ausgezeichneten Führers das Interesse, das dem ganzen Heere gilt, ja wir meinen oft die Schlachten, von denen uns die Sage oder öffentliche Blätter erzählen, um so deutlicher zu verstehen, wenn wir uns die Gestalt des Heerführers vor das Auge zurückrufen können.
So mochte es wohl auch damals den Bewohnern von Ulm zumut sein, wenn sie ihre engen Straßen verließen, um den Mann des Tages in seinem Handwerk zu sehen. Die Geschicklichkeit, mit der er sein Fußvolk, das sonst in zerstreuten Haufen gefochten hatte, zu geschlossenen Massen vereinigte; die Schnelligkeit, womit sie sich nach seinem Winke nach allen Seiten schwenkten oder in furchtbare, von Piken und Donnerbüchsen starrende Kreise zusammenzogen; seine mächtige Stimme, die selbst die Trommeln übertönte, seine erhabene, kriegerische Gestalt, dies alles gewährte ein so neues, anziehendes Bild, daß auch die bequemsten Bürger es nicht scheuten, einen langen Vormittag auf dem Anger zu stehen, und unbeweglich dieses Schauspiel zu genießen.
Der Feldhauptmann schien an diesem Morgen noch freundlicher und fröhlicher zu sein, als sonst. Mochte ihn der warme Anteil, den die guten Ulmer an ihm nahmen, und der auf allen Gesichtern geschrieben stand, erfreuen? Mochte ihm hier außen in dem schönen Morgen, unter seinen Waffenübungen wohler sein, als in den engen, kalten Straßen der Stadt? Er blickte so freundlich auf die Menge hin, daß jeder glaubte, von ihm besonders beachtet und begrüßt zu werden, und der Ausruf: »Ein wackerer Herr, ein braver Ritter«, jedem seiner Schritte folgte.
Besonders freundlich schien er immer an einer Stelle zu sein; wenn er vorübersprengte, so durfte man gewiß sein, daß er dort mit dem Schwerte oder der Hand herübergrüßte und traulich nickte.
Die Hintersten stellten sich auf die Zehen, um den Gegenstand seiner freundlichen Winke zu sehen; die Näherstehenden sahen sich fragend an und verwunderten sich, denn keiner der versammelten Bürger schien dieser Auszeichnung würdig. Als Frondsberg wieder vorübersprengte, und die Zeichen seiner Gnade wiederholte, gaben wohl hundert Augen recht genau acht, und es fand sich, daß die Grüße einem großen, schlanken, jungen Mann gelten mußten, der in der vordersten Reihe der Zuschauer stand. Das Wams von feinem Tuch und Seidenschlitzen, die hohen Barettfedern, mit welchen der Morgenwind spielte, sein langes Schwert und eine Feldbinde oder Schärpe zeichneten ihn auf den ersten Blick vor seinen Nachbarn aus, die minder geschmückt als er, auch durch untersetztere Figuren und breite Gesichter sich nicht zu ihrem Vorteil von ihm unterschieden.
Der Jüngling schien aber zum Ärgernis der guten Spießbürger nicht sehr erfreut über die hohe Gnade, die ihm vor ihren Augen zuteil ward. Schon seine Stellung, das Haupt gesenkt, die Arme über die Brust gekreuzt, schienen nicht anständig genug für einen feinen Junker, wenn er von einem alten Kriegshelden gegrüßt wurde. Überdies errötete er bei jedem Gruß des Feldhauptmanns, dankte nur durch ein leichtes Neigen, und sah ihm mit so düsteren Blicken nach, als gälte es ein langes Scheiden, und dieser Gruß wäre der letzte eines lieben Freundes gewesen.
»Ein sonderbarer Kauz der Junker dort«, sagte der Obermeister aller Ulmer Weber zu seinem Nachbar, einem wackeren Waffenschmidt; »ich gäbe mein Sonntagswams um einen solchen Gruß von dem Frondsberger, und dieser da muckt nicht darüber. Hieß es nicht in der ganzen Stadt, ›was hat der Meister Kohler mit dem Frondsberg; waren ja neulich miteinander wie zwei Brüder? Oh, die kennen einander schon lange‹, hieß es dann, ›und sind gute Freunde von alters her.‹ Ich kann mich ordentlich ärgern, daß ein so gescheuter und gewaltiger Herr solch einen Laffen all Paternosterlang grüßt!«
Der Waffenschmidt, ein kleiner, alter Kerl hatte ihm seinen Beifall zugenickt: »Gott straf mich, Ihr habt recht, Meister Kohler! Stehen nicht dort ganz andere Leut, die er grüßen könnte; ist nicht der Herr Bürgermeister auf dem Platz, und steht dort nicht mein Gevatter, der Herr von Besserer am Eck? Ich wollt dem Junker den Kopf beugen lernen, wenn ich Herr wäre; aber glaubt mir, der da beugt seinen Nacken nicht, und wenn der Kaiser selbst käme. Er muß auch etwas Rechtes sein; denn der Ratsschreiber, mein Nachbar, der sonst allen Gästen feind ist, hat ihn in seiner Behausung.«
»Der Kraft?« fragte der Weber verwundert, »ei, ei! aber halt, dahinter steckt ein Geheimnis. Das ist gewiß so ein junger Potentat, oder gar des Bürgermeisters von Köln sein Sohn, der auch unter dem Heer mitreiten soll. Steht nicht dort des Kraften alter Johann?«
»Weiß Gott er ist's«, fiel der Waffenschmidt ein, den die Vermutungen des Webers neugierig gemacht hatten; »er ist's, und ich will ihn beichten lassen, trotz dem Probst von Elchingen.« Aber so klein auch der Raum zwischen den beiden Bürgern und dem alten Diener des Kraftischen Hauses war, so konnte doch der Schmied nicht zu ihm durchkommen, so dicht standen die Zuschauer. Endlich drang die gewichtige Miene des Obermeisters aller Weber durch, denn er war reich und angesehen in der Stadt; er erwischte den alten Johann, und zog ihn zu dem Schmied. Doch auch der alte Johann konnte wenig Bescheid geben, er wußte nichts, als daß sein Gast ein Herr von Sturmfeder sei; »übrigens muß er nicht ›weit her‹ sein«, setzte er hinzu, »denn er reitet ein Landpferd und hat keine Dienstleute mit sich; meinem Herrn aber wird der Gast übel bekommen, denn unsere alte Sabine, die Amme ist wie ein Drache, daß er die Hausordnung stört, und ungefragt, nur so mir nichts dir nichts ein fremdes Menschenkind mit Stiefel und Sporen ins Haus schleppt.«
»Nichts für ungut«, fiel ihm der Obermeister in die Rede, »Euer Herr, Johann, ist ein Narr! Die alte Hexe – Gott verzeih mir's – hätte ich schon lange auf die Straße geworfen, wo sie hingehört. Hat der Herr doch sein gutes Alter, und soll sich behandeln lassen, als läge er noch in den Windeln.«
»Ihr habt gut reden, Meister Kohler«, antwortete der alte Diener, »aber das versteht Ihr doch nicht recht. Auf die Gasse werfen? Wer soll denn nachher haushalten?«
»Wer?« schrie der erhitzte Weber; »wer? ein Weib soll er nehmen, eine Hausfrau wie ein anderer Christ und Ulmer Bürger auch; was hat er nötig als Junggeselle zu leben? und allen Mädchen in der Stadt nachzulaufen? Hab ich ihn nicht neulich angetroffen, wie er meiner Katharine schöngetan hat? Schiff und Geschirr hätte ich ihm mögen an den Kopf werfen, dem gestrengen Herrn; so aber – seine Mutter selig hat manch schönes Tafelstück bei mir weben lassen, die brave Frau – so mußt ich meine Mütze abziehen und sagen: ›Gehorsamen guten Abend, und was befehlen Euer Wohledlen!‹ Daß dich der –«
»Ei schau einer!« sagte Johann mit unmutigem Gesicht; »ich habe immer gedacht, ein Herr wie der Ratsschreiber, mein Herr, könne in allen Ehren mit Eurem Töchterlein ein Wort wechseln, ohne daß die böse Welt –«
»So? ein Wort wechseln, und abends nach der Versperglock im März? Er heiratet sie doch nicht, und meint Ihr, meines Kindes guter Ruf müsse nicht so rein sein, wie Eures Herrn seine weiße Halskrause? Das könnt ich brauchen!«
Der Obermeister hatte während seinen eifrigen Reden den alten Johann an der Brust gepackt und seine Stimme so erhoben, daß die Umstehenden aufmerksam wurden; der Meister Schmidt hielt es daher für das beste, den Erzürnten mit Gewalt wegzuziehen, und er verhütete so zwar weitere Streitigkeiten, doch konnte er nicht verhüten, daß es schon um Mittag in der ganzen Stadt hieß: Herr von Kraftens Johann habe noch in seinen alten Tagen eine Liebschaft mit des Obermeisters Töchterlein, und seie von dem erzürnten Vater auf der Wiese darüber zur Rede gestellt worden.
Die Übungen des Fußvolkes waren indes zu Ende gegangen, das Volk verlief sich, und auch den jungen Mann, der die unschuldige Ursache zu jenem Streit gewesen war, sah man seine Schritte der Stadt zuwenden; sein Gang war langsam und ungleich, sein Gesicht schien bleicher als sonst, seine Blicke suchten noch immer den Boden oder schweiften mit dem Ausdruck von Sehnsucht oder stillem Gram nach den fernen blauen Bergen, den Grenzmauern von Württemberg.
Noch nie hatte sich Georg von Sturmfeder so unglücklich gefühlt, als in diesen Stunden. Marie war mit ihrem Vater abgereist; sie hatte ihn noch einmal beschwören lassen, seinem Versprechen treu zu sein, und wie unglücklich machte ihn dieses Versprechen! Wohl hatte es ihn damals nicht geringen Kampf gekostet es zu geben; aber der betäubende Schmerz des Abschiedes, der Gram des geliebten Mädchens hatten überwunden. Doch jetzt, wo er mit festerem Blicke seinen Umgebungen, seiner Zukunft ins Auge sah, wie traurig, wie schwierig erschien ihm seine Lage! Nichts davon zu sagen, daß alle seine goldenen Träume, alle jene kühnen Hoffnungen von Ruhm und Ehre mit einemmal verschwanden, nichts davon zu sagen, daß auch sein Ziel, das so nahe lag, Marien durch Kriegsdienste zu verdienen, ungewiß in die Weite hinausgerückt war – er sollte auf die Gefahr hin, von Männern, deren Achtung ihm teuer war, verkannt zu werden, diese Fahnen verlassen, gerade in einem Augenblick, wo man der Entscheidung entgegenging. Von Tag zu Tag, solange es ihm nur möglich war, verschob er diese Erklärung; wo sollte er Gründe, wo Worte hernehmen, vor dem alten, tapfern Degen Breitenstein, seinem väterlichen Freunde seinen Abzug zu rechtfertigen; mit welcher Stirne sollte er vor den edlen Frondsberg treten? Ach, jene freundlichen Grüße, womit er den Sohn seines tapfern Waffengenossen zu freudigem Kampfe aufzumuntern schien, hatten ihn mit tausend Qualen gefoltert. An seiner Seite war sein Vater gefallen, er hatte gehört, wie der Sterbende den Ruhm seines Namens und ein leuchtendes Beispiel als einziges Erbe dem unmündigen Knaben zusandte; dieser Mann war es, der ihm jetzt so liebevoll die Schranken öffnete, und auch ihm mußte er in so zweideutigem Lichte erscheinen.
Er hatte sich unter diesen trüben Gedanken langsam dem Tore der Stadt genähert, als er sich plötzlich am Arm ergriffen fühlte; er sah sich um, ein Mann, dem Anschein nach ein Bauer, stand vor ihm.
»Was willst du«, fragte Georg etwas unwillig, in seinen Gedanken unterbrochen zu werden.
»Es kommt darauf an, ob Ihr auch der Rechte seid«, antwortete der Mann. »Sagt einmal, was gehört zu Licht und Sturm?«
Georg wunderte sich ob der sonderbaren Frage und betrachtete jenen genauer. Er war nicht groß aber kräftig; seine Brust war breit, seine Gestalt gedrungen. Das Gesicht von der Sonne braun gefärbt, wäre flach und unbedeutend gewesen, wenn nicht ein eigener Zug von List und Schlauheit um den Mund, und aus den grauen Augen Mut und Verwegenheit geleuchtet hätten. Sein Haar und Bart war dunkelgelb und gerollt; er trug einen langen Dolch im ledernen Gurt, in der einen Hand hielt er eine Axt, in der andern eine runde, niedere Mütze von Leder, wie man sie noch heute bei dem schwäbischen Landvolk sieht.
Während Georg diese flüchtigen Bemerkungen machte, wurden auch seine Züge lauernd beobachtet.
»Ihr habt mich vielleicht nicht recht verstanden, Herr Ritter«, fuhr jener nach kurzem Stillschweigen fort; »was paßt zu Licht und Sturm, daß es zwei gute Namen gibt?«
»Feder und Stein!« antwortete der junge Mann, dem es auf einmal klarwurde, was unter jener Frage verstanden sei; »was willst du damit?«
»So seid Ihr Georg von Sturmfeder«, sagte jener, »und ich komme von Marien von –«
»Um Gottes willen, sei still Freund, und nenne keine Namen«, fiel Georg ein, »sage schnell, was du mir bringst.«
»Ein Brieflein, Junker!« sprach der Bauer, indem er die breiten, schwarzen Kniegürtel, womit er seine ledernen Beinkleider umwunden hatte, auflöste, und einen Streifen Pergament hervorzog.
Mit hastiger Freude nahm Georg das Pergament; es waren wenige Worte mit glänzend schwarzer Dinte geschrieben; den Zügen der Schrift sah man aber an, daß sie einige Mühe gekostet haben mochten, denn die Mädchen von 1519 waren nicht so flink mit der Feder, um ihre zärtlichen Gefühle auszudrücken, als die in unseren Tagen, wo jede Dorfschöne ihrem Geliebten zum Regiment eine Epistel, so lange als die 3. St. Johannis schreiben kann. Die Chronik, woraus wir diese Historie genommen, hat uns jene Worte aufbewahrt, welche Georgs gierige Blicke aus den verworrenen Zügen des Pergamentes entzifferten:
»Bedenk deinen Eid. – Flieh beizeit.
Gott dein Geleit. – Marie dein in Ewigkeit.«
Es liegt ein frommer, zarter Sinn in diesen Worten; und wer sich ein liebendes Herz dazu denkt, wie es mit diesen Zeilen in die Ferne fliegen möchte, ein Auge voll Zärtlichkeit umflort von einem Schleier stiller Tränen, einen holden Mund, der das Blättchen noch einmal küßt, verschämte Wangen, die bei diesem geheimnisvollen Gruße erröten – wer dies hinzudenkt, der wird es Georg nicht verargen, daß er einige Augenblicke wie trunken war. Ein freudiger, glänzender Blick, nach den fernen blauen Bergen hin, dankte der Geliebten für ihren tröstenden Spruch und wahrlich er war auch zu keiner andern Zeit nötiger gewesen als gerade jetzt, um den gesunkenen Mut des jungen Mannes zu erheben. Wußte er doch, daß ein Wesen, das teuerste was für ihn auf der Erde lebte, ihn nicht verkannte. Der Schluß jener Zeilen erhob sein Herz zur alten Freudigkeit, er bot dem guten Boten die Hand, dankte ihm herzlich und fragte, wie er zu diesen Zeilen gekommen sei.
»Dacht ich's doch«, antwortete dieser, »daß das Blättchen keinen bösen Zauberspruch enthalten müsse. Denn das Fräulein lächelte so gar freundlich, als sie es mir in die rauhe Hand drückte. Es war vergangenen Mittwoch, daß ich nach Blaubeuren kam wo unser Kriegsvolk stand. Es ist dort in der Klosterkirche ein prächtiger Hochaltar, worauf die Geschichte meines Patrons des Täufers Johannes vorgestellt ist. Vor sieben Jahren als ich in großer Not und einem schmählichen Ende nahe war, gelobt ich alle Jahre um diese Zeit eine Wallfahrt dahin. So hielt ich es alle Jahre seit der Zeit, daß mich der Heilige durch ein Wunder von Henkers Hand errettet hat. Wenn ich nun mein Gebet verrichtet hatte, ging ich allemal zum Herrn Abt, um ihm ein paar schöne Gänse oder ein Lamm zu bringen, oder was er sonst gerade gerne hat. – Aber ich mache Euch Langeweile mit meinem Geschwätz, Junker?«
»Nein, nein, erzähle nur weiter«, antwortete Georg, »komm, setze dich zu mir auf jene Bank.«
»Das würde sich schön schicken!« entgegnete der Bote, »wenn ein Bauer an des Junkers Seite sitzen wollte, den der Oberfeldhauptmann vor aller Augen so oft grüßte; erlaubt mir, daß ich mich vor Euch hinstelle.«
Georg ließ sich auf einen Steinsitz am Wege nieder, der Bauer aber fuhr auf seine Axt gestützt, in seiner Erzählung fort: »Ich hatte diesmal bei den unruhigen Zeiten wenig Lust zur Wallfahrt, aber ›gebrochener Eid, tut Gott leid‹, heißt es, und so mußte ich mein Gelübde vollbringen. Wie ich vom Gebet aufstund, um dem Abt zu bringen was recht ist, sagte mir einer der Pfaffen, daß ich diesmal nicht zu seiner Ehrwürden könne, weil viele Herren und Ritter dort zu Besuch seien. Ich bestand aber doch darauf, denn der Abt ist ein leutseliger Herr, und hätte mir's nicht verziehen, wenn ich ihn nicht heimgesucht hätte. Wenn Ihr je ins Kloster hinauskommt, so vergesset nicht nach der Treppe zu schauen, die vom Hochaltar zum Dorment führt. Sie geht durch die dicke Mauer, welche die Kirche ans Kloster schließt, und ist lang und schmal. Dort war es, wo mir das Fräulein begegnet ist. Es kommt mir nämlich ein feines Weibsbild im Schleier mit Brevier und Rosenkranz die Treppe herab, entgegen; ich drücke mich an die Wand um sie vorbeizulassen, sie aber bleibt stehen und spricht: ›Ei Hanns, woher des Wegs?‹ «
»Woher kennt Euch denn das Fräulein?« unterbrach ihn Georg.
»Meine Schwester ist ihre Amme und –«
»Wie, die alte Rose ist Eure Schwester?« rief der junge Mann. »Habt Ihr sie auch gekannt?« sagte der Bote, »ei seh doch einer! aber daß ich weiter sage: ich hatte eine große Freude sie wiederzusehen, denn ich besuchte meine Schwester häufig in Lichtenstein, und habe das Fräulein gekannt als man sie noch in ihres Vaters Schwertkuppel gehen lernte. Aber ich hätte sie kaum wiedererkannt, so groß war sie geworden, und die roten Wangen sind auch weg wie der Schnee am ersten Mai. Ich weiß nicht wie es ging, aber mich dauerte ihr Anblick in der Seele, und ich mußte fragen was ihr fehle, und ob ich ihr nicht etwas helfen könne? Sie besann sich eine Weile und sagte dann: ›Ja, wenn du verschwiegen wärest, Hanns, könntest du mir wohl einen großen Dienst leisten!‹ Ich sagte zu, und sie bestellt mich bis nach der Vesper.«
»Aber wie kommt sie nur in das Kloster«, fragte Georg; »sonst darf ja doch kein Weiberschuh über die Schwelle.«
»Der Abt ist mit ihrem Vater befreundet, und da so viel Volk in Blaubeuren liegt, so ist sie dort besser aufgehoben als im Städtchen, wo es toll genug zugeht. Nach der Vesper, als alles still war, kam sie ganz leise in den Kreuzgang. Ich sprach ihr Mut zu, wie es eben unsereins versteht, da gab sie mir dies Blättchen und bat mich, Euch aufzusuchen.«
»Ich danke dir herzlich, guter Hanns«, sagte der Jüngling. »Aber hat sie dir sonst nichts an mich aufgetragen?«
»Ja«, antwortete der Bote, »mündlich hat sie mir noch etwas aufgetragen; Ihr sollt Euch hüten, man habe etwas mit Euch vor.«
»Mit mir?« rief Georg; »das hast du nicht recht gehört, wer und was soll man mit mir vorhaben?«
»Da frage Ihr mich zuviel«, entgegnete jener, »aber wenn ich es sagen darf, so glaube ich die Bündischen. Das Fräulein setzte noch hinzu, ihr Vater habe davon gesprochen, und hat nicht der Frondsberg Euch heute zugewinkt und Euch geehrt wie des Kaisers Sohn, daß sich jedermann darob verwunderte? Glaubt nur es hat allemal etwas zu bedeuten, wenn solch ein Herr so freundlich ist.«
Georg war überrascht von der richtigen Bemerkung des schlichten Bauers; er entsann sich auch, daß Mariens Vater tief in die Geheimnisse der Bundesobersten eingedrungen sei, und vielleicht etwas erfahren habe, was sich zunächst auf ihn bezöge? Aber er mochte sinnen wie er wollte, so konnte er doch nichts erfinden, was zu dieser geheimnisvollen Warnung Mariens gepaßt hätte. Mit Mühe riß er sich aus diesem Gewebe von Vermutungen, indem er den Boten fragte, wie er ihn so schnell gefunden habe?
»Dies wäre ohne Frondsberg so bald nicht geschehen«, antwortete er; »ich sollte Euch bei Herrn Dieterich von Kraft aufsuchen. Wie ich aber die Straße hereinging, da sah man viel Volk auf den Wiesen. Ich dachte, eine halbe Stunde mache nichts aus, und stellte mich auch hin, um das Fußvolk zu betrachten. Wahrlich der Frondsberg hat es weit gebracht. – Nun da war mir's, als hörte ich nahe bei mir Euren Namen nennen, ich sah mich um, es waren drei alte Männer, die sprachen von Euch und deuteten auf Euch hin, ich aber merkte mir Eure Gestalt und folgte Euren Schritten, und weil ich meiner Sache doch nicht ganz gewiß war, so gab ich Euch das Rätsel von Sturm und Licht auf.«
»Das hast du klug gemacht«, sagte Georg lächelnd »aber dennoch komme in mein Haus, daß man dir etwas zu essen reiche; wann kehrst du wieder heim?«
Hanns bedachte sich eine Weile; endlich aber sagte er, indem ein schlaues Lächeln um seinen Mund zog: »Nichts für ungut, Junker, aber ich habe dem Fräulein versprechen müssen, nicht eher von Euch zu weichen, als bis Ihr dem bündischen Heer Valet gesagt habt!«
»Und dann?« fragte Georg.
»Und dann gehe ich stracks nach Lichtenstein, und bringe ihr die gute Nachricht von Euch; wie wird sie sich sehnen! alle Tage steht sie wohl im Gärtchen auf dem Felsen, und sieht ins Tal hinab, ob der alte Hanns noch nicht kommt!«
»Die Freude soll ihr bald werden«, antwortete Georg, »vielleicht reite ich schon morgen, und dann schreibe ich vorher noch ein Brieflein.«
»Aber greifet es doch klug an«, sagte der Bote, »das Pergament darf nicht breiter sein als jenes, das ich brachte. Denn ich muß es wieder im Kniegürtel verstecken. Man weiß nicht, was einem in so unruhiger Zeit begegnen kann, und dort sucht es niemand.«
»Es sei so«, antwortete Georg, indem er aufstand. »Für jetzt lebe wohl, um Mittag komme zu Herrn von Kraft, nicht weit vom Münster. Gib dich für meinen Landsmann aus Franken aus, denn die Ulmer sind den Württembergern nicht grün.«
»Sorgt nicht, Ihr sollt zufrieden sein«, rief Hanns dem Scheidenden zu. Er sah dem schlanken Jüngling nach und gestand sich, daß das holde Pflegekind seiner Schwester keine üble Wahl getroffen habe, wenn auch die rosigen Wangen des Kindes bei der ersten Liebe der Jungfrau etwas von ihren blühenden Farben verloren hatten.
Was unter dieser Sonne kann es geben,
Das ich nicht hinzuopfern eilen will,
Wenn Sie es wünschen? – Fliehen Sie!
Georg war es von Anfang bange, wie sich sein neuer Bekannter in dem Kraftischen Hause benehmen werde. Er fürchtete nicht ohne Grund, jener möchte sich durch seine Mundart, durch unbedachte Äußerungen verraten, was ihm höchst unangenehm gewesen wäre; denn, je fester er bei sich beschlossen hatte, das Bundesheer in den nächsten Tagen zu verlassen, um so weniger mochte er in Verdacht geraten, in Verbindung nach dem Württemberg hinüber zu stehen. Konnte und durfte er ja doch im schlimmen Falle, wenn der Bote entdeckt würde, wenn er bekannte, an ihn geschickt worden zu sein, die Geliebte nicht verraten. Er wollte umkehren und den Mann aufsuchen, ihn bitten, sich so bald als möglich zu entfernen, aber als er bedachte, daß dieser schon längst von dem Platz ihrer Unterredung sich entfernt haben müsse, daß er indes zu Kraft kommen könne, schien es ihm geratener, dahin vorauszueilen, um jenem dort die nötigen Winke zu geben und ihn vor Unvorsichtigkeit zu bewahren.
Und doch, wenn er sich das kühne Auge, die kluge verschlagene Miene des Mannes ins Gedächtnis rief, glaubte er hoffen zu dürfen, daß Marie, obgleich ihr keine große Wahl übrigblieb, keinem unsicheren Mann diese Botschaft anvertraut haben konnte.
Und wirklich traute er seinem Auge, seinem Ohr kaum, als ihm um Mittag ein Landsmann aus Franken gemeldet, und sein Liebesbote hereingeführt ward. Welche Gewalt mußte dieser Mensch über sich haben. Es war derselbe, und doch schien er ein ganz anderer. Er ging gebückt, die Arme hingen schlaff an dem Körper herab, selten schlug er die Augen auf, sein Gesicht hatte einen Ausdruck von Blödigkeit, der Georg ein unwillkürliches Lächeln abnötigte. Und als er dann zu sprechen anfing, als er ihn in fränkischer Mundart begrüßte, und mit der geläufigen Zunge eines geborenen Franken dem Herrn von Kraft auf seine mancherlei Fragen antwortete, da kam er in Versuchung, an übernatürliche Dinge zu glauben; die Märchen seiner Kindheit stiegen in seinem Gedächtnisse auf, wo ein freundlicher Zauberer oder eine huldreiche Fee in allerlei Gestalten dem Dienst zweier Liebenden sich widmet, und sie glücklich mitten durch das feindselige Schicksal hindurchführt.
Der Zauber war zwar bald gelöst, als er mit dem Boten auf seinem Zimmer allein war, und ihn der gute Schwabe von seiner Persönlichkeit versicherte, aber doch konnte er ihm seine Bewunderung nicht versagen, über die Rolle, die er so gut gespielt.
»Glaubt deshalb nicht minder an meine Ehrlichkeit«, antwortete der Bauer, »man wird oft genötigt, von Jugend auf durch solche Künste sich fortzuhelfen, sie schaden keinem und tun doch dem gut, der sie kann.«
Georg versicherte, ihm nicht minder zu trauen als vorher, der Bote aber bat dringend, er möchte doch jetzt auch auf seine Abreise denken, er möchte bedenken wie sehr sich das Fräulein nach dieser Nachricht sehne, daß er nicht früher heimkehren dürfe, als bis er diese Gewißheit bringen könne.
Georg antwortete ihm, daß er nur noch den Abmarsch des Bundesheeres abwarten wolle, um in seine Heimat zurückzukehren.
»Oh, da braucht Ihr nicht mehr lange zu warten«, antwortete der Bote; »wenn sie morgen nicht aufbrechen, so ist es übermorgen, denn das Land ist offen bis ins Herz hinein. Ich darf Euch trauen, Junker, darum sag ich Euch dies.«
»Ist es denn wahr, daß die Schweizer abgezogen sind«, fragte Georg, »und daß der Herzog keine Feldschlacht mehr liefern kann?«
Der Bote warf einen lauernden Blick im Zimmer umher, öffnete behutsam die Türe, und als er sah, daß kein Lauscher in der Nähe sei, begann er:
»Herr! ich war bei einem Auftritt, den ich nie vergesse, und wenn ich neunzig Jahre alt werde! Schon unterwegs waren mir auf der Alb große Scharen der heimziehenden Schweizer begegnet; ihre Räte und Landamtmänner hatten sie heimgerufen; bei Blaubeuren standen aber noch über achttausend Mann, jedoch lauter gute Württemberger und nichts andres drunter.«
»Und der Herzog«, unterbrach ihn Georg, »wo war denn dieser? –«
»Der Herzog hatte in Kirchheim zum letztenmal mit den Schweizern unterhandelt, aber sie zogen ab, weil er sie nicht bezahlen konnte.[16] Da kam er gen Blaubeuren, wo sich sein Landvolk gelagert hatte. Gestern morgen wurde durch Trommelschlag bekannt gemacht, daß sich bis neun Uhr alles Volk auf den Klosterwiesen einstellen solle. Es waren viele Männer, die dort versammelt waren, aber jeder dachte ein und dasselbe. Seht, Junker! der Herzog Ulerich ist ein gestrenger Herr, und weiß den Bauer nicht für sich zu gewinnen. Die Steuern sind hart, der Jagdfrevel ist scharf und grausam, am Hof aber wird verpraßt was man uns genommen hat. Aber wenn ein solcher Herr im Unglück ist, da ist es gleich ein anderes Ding. Jetzt fiel uns allen nur ein, daß er ein tapferer Mann und unser unglücklicher Herzog sei, dem man wolle das Land mit Gewalt entreißen. Es ging ein Gemurmel unter uns, daß der Herzog wolle eine Schlacht liefern, und jeder drückte das Schwert fester in der Hand, grimmig schüttelten sie ihre Speere und riefen den Bündlern Verwünschungen zu. Da kam der Herzog –«
»Du sahst den Herzog, du kennst ihn?« rief Georg neugierig. »O sprich, wie sieht er aus? –«
»Ob ich ihn kenne?« sagte der Bote mit sonderbarem Lächeln, »wahrhaftig ich sah ihn als es ihm nicht wohl war mich zu sehen. Der Herr ist noch ein junger Mann, wenn es viel ist, ist er zweiunddreißig Jahr. Er ist stattlich und kräftig, und man sieht ihm an, daß er die Waffen zu führen weiß. Augen hat er wie Feuer, und es lebt keiner, der ihm lange hineinschaute. – Der Herzog trat in den Kreis, den das bewaffnete Volk geschlossen hatte, und es war Totenstille unter den vielen Menschen. Mit vernehmlicher Stimme sprach er, daß er sich also verlassen, nimmer zu helfen wüßte.[17] Diejenigen, worauf er gehofft, seien ihm benommen, seinen Feinden sei er ein Spott; denn ohne die Schweizer könne er keine Schlacht wagen. Da trat ein alter, eisgrauer Mann hervor, der sprach: ›Herr Herzog! habt Ihr unsern Arm schon versucht, daß Ihr die Hoffnung aufgebt? schaut, diese alle wollen für Euch bluten; ich habe Euch auch meine vier Buben mitgebracht, hat jeder einen Spieß und ein Messer, und so sind hier viele Tausend; seid Ihr des Landes so müde, daß Ihr uns verschmäht?‹ Da brach dem Ulerich das Herz; er wischte sich Tränen aus dem Auge und bot dem Alten seine Hand. ›Ich zweifle nicht an eurem Mut‹, sprach er mit lauter Stimme. ›Aber wir sind unserer zu wenig; so daß wir nur sterben können aber nicht siegen. Geht nach Haus ihr guten Leute und bleibet mir treu. Ich muß mein Land verlassen und im bitteren Elend sein. Aber mit Gottes Hülfe hoffe ich auch wieder hereinzukommen.‹ So sprach der Herzog, unsere Leute aber weinten und knirschten mit den Zähnen und zogen ab in Trauer und Unmut. –«[18]
»Und der Herzog?« fragte Georg.
»Von Blaubeuren ist er weggeritten, wohin weiß man nicht. In den Schlössern aber liegt die Ritterschaft, sie zu verteidigen, bis der Herzog vielleicht andere Hülfe bekommt.« –
Der alte Johann unterbrach hier den Boten und meldete, daß der Junker auf zwei Uhr in den Kriegsrat beschieden sei, der in Frondsbergs Quartier gehalten werde; Georg war nicht wenig erstaunt über diese Nachricht; was konnte man von ihm im Kriegsrat wollen? Sollte Frondsberg schon ein Mittel gefunden haben, ihn zu empfehlen?
»Nehmt Euch in acht, Junker«, sprach der Bote, als der alte Johann das Gemach verlassen hatte, »und bedenkt das Versprechen, das Ihr dem Fräulein gegeben, vor allem erinnert Euch, was sie Euch sagen ließ: Ihr sollt Euch hüten, weil man etwas mit Euch vorhabe. Mir aber erlaubt, als Euer Diener in diesem Haus zu bleiben; ich kann Euer Pferd besorgen und bin zu jedem Dienst erbötig.«
Georg nahm das Anerbieten des treuen Mannes mit Dank an und Hanns trat auch sogleich in seinen Dienst, denn er band seinem jungen Herrn das Schwert um, und setzte ihm das Barett zurecht. Er bat ihn noch unter der Türe, seines Schwures und jener Warnung eingedenk zu sein.
Dem unbegreiflichen Ruf in den Kriegsrat und der sonderbar zutreffenden Warnung Mariens nachsinnend, ging Georg dem bezeichneten Hause zu; man wies ihn dort eine breite Wendeltreppe hinan, wo er in der ersten Türe rechts, die Kriegsobersten versammelt finden sollte. Aber der Eingang in dieses Heiligtum ward ihm nicht so bald verstattet; ein alter bärtiger Kriegsmann fragte, als er die Türe öffnen wollte, nach seinem Begehr, und gab ihm den schlechten Trost, es könne höchstens noch eine halbe Stunde dauern, bis er vorgelassen werde; zugleich ergriff er die Hand des jungen Mannes und führte ihn einen schmalen Gang hindurch, nach einem kleinen Gemach, wo er sich einstweilen gedulden solle.
Wer je in besorgter Erwartung einsam und allein auf der Marterbank eines Vorzimmers saß, der kennt die Qual, die Georg in jener Stunde auszustehen hatte. Das ungeduldige Herz pocht der Entscheidung entgegen, alle Nerven sind gespannt, das Auge möchte die Türe durchbohren, das Ohr schärft sich, wenn in der Ferne eine Türe knarrt, Schritte über den Hausgang rauschen oder undeutliche Stimmen im anstoßenden Zimmer lauter werden. Aber die Türen haben umsonst getönt, die Schritte immer näher und näher kommend, gehen vorüber, der ungleiche Ton der Stimmen sinkt zum Geflüster herab. Die Bretter des Fußbodens und die Fenster des Nachbarhauses sind bald gezählt, und schon wieder zeigt der helle Ton der Glocke eine umsonst verlebte halbe Stunde an. Das Ohr begleitet alle Glocken und Uhren der Stadt, bemerkt ihre hohen und tiefen Töne – auch sie haben ausgeschlagen. Man steht auf, man macht einen Gang durch das enge Gemach, horch! da geht wieder eine Türe, gewichtige Schritte kommen den Gang herauf, die Klinke der Türe bewegt sich nach so langer Zeit wieder –
»Georg von Frondsberg läßt Euch seinen Gruß vermelden«, sprach der alte Kriegsmann, der nach so langer Zeit wieder zu Georg kam, »es könnte vielleicht noch eine Weile dauern; doch sei dies ungewiß, darum sollet Ihr hierbleiben. Er schickt Euch hier einen Krug Wein zum Vespern.«
Der Diener setzte den Wein auf den breiten Fenstersims des Zimmers, denn ein Tisch war nicht vorhanden, und verließ das Gemach.
Georg sah ihm staunend nach; er hätte dies nicht für möglich gehalten; über eine Stunde war schon verschwunden, und noch nicht? Er griff zu dem Wein, er war nicht übel, aber wie konnte ihm in seiner traurigen Einsamkeit das Glas munden?
Es ist ein gewöhnlicher Fehler junger Leute in Georgs Jahren, daß sie sich für wichtiger halten, als es ihre Stellung in der Welt eigentlich mit sich bringt. Der gereiftere Mann wird eine Beeinträchtigung seiner Würde eher verschmerzen oder wenigstens sein Mißfallen zurückhalten, während der Jüngling empfindlicher über den Punkt der Ehre leichter und schneller aufbraust. Kein Wunder daher, daß Georg, als er nach zwei tödlich langen Stunden in den Kriegsrat abgeführt wurde, nicht in der besten Laune war. Er folgte schweigend dem ergrauten Führer, der ihn hieher geleitet hatte, den langen Gang hin.
An der Türe wandte sich jener um und sagte freundlich: »Verschmäht den Rat eines alten Mannes nicht, Junker, und legt die trotzige, finstere Miene ab; es tut nicht gut bei den gestrengen Herren da drinnen.«
Georg war in dem Augenblick zu wenig Herr über sich, als daß er den wohlgemeinten Rat hätte befolgen können, er dankte ihm durch einen Händedruck, ergriff dann rasch die gewaltige eiserne Türklinke und die schwere, eichene Zimmertüre drehte sich ächzend auf.
Um einen großen, schwerfälligen Tisch saßen acht ältliche Männer, die den Kriegsrat des Bundes bildeten. Einige davon kannte Georg. Jörg Truchseß, Freiherr von Waldburg, nahm als Oberster-Feldlieutenant den obersten Platz an dem Tische ein, auf beiden Seiten von ihm saßen Frondsberg und Franz von Sickingen, von den übrigen kannte er keinen, als den alten Ludwig von Hutten; aber die Chronik hat uns ihre Namen treulich aufbewahrt, es saßen dort noch Christoph Graf zu Ortenberg, Alban von Closen, Christoph von Frauenberg und Diepolt von Stein; bejahrte, im Heere angesehene Männer.
Georg war an der Türe stehengeblieben, Frondsberg aber winkte ihm freundlich näher zu kommen. Er trat bis an den Tisch, und überschaute nun mit dem freien kühnen Blick, der ihm so eigen war, die Versammlung. Aber auch er wurde von den Versammelten beobachtet, und es schien, als fänden sie Gefallen an dem schönen, hochgewachsenen Jüngling, denn mancher Blick ruhte mit Wohlwollen auf ihm, einige nickten ihm sogar freundlich zu.
Der Truchseß von Waldburg hob endlich an: »Georg von Sturmfeder, wir haben uns sagen lassen, Ihr seid auf der Hochschule in Tübingen gewesen, ist dem also?«
»Ja Herr Ritter«, antwortete Georg.
»Seid Ihr in der Gegend von Tübingen genau bekannt?« fuhr jener fort.
Georg errötete bei dieser Frage; er dachte an die Geliebte, die ja nur wenige Stunden von jener Stadt entfernt, auf ihrem Lichtenstein war; doch er faßte sich bald und sagte: »Ich kam zwar nicht viel auf die Jagd, auch habe ich sonst die Gegend wenig durchstreift, doch ist sie mir im allgemeinen bekannt.«
»Wir haben beschlossen«, fuhr Truchseß fort, »einen sicheren Mann in jene Gegend zu schicken, auszukundschaften was der Herzog von Württemberg bei unserem Anzug tun wird. Es soll auch über die Befestigung des Schlosses Tübingen, über die Stimmung des Landvolkes in jener Gegend genaue Nachricht eingezogen werden; ein solcher Mann kann dem Württemberger durch Klugheit und List mehr Abbruch tun als hundert Reiter, und wir haben – – Euch dazu ausersehen.«
»Mich?« rief Georg voll Schrecken.
»Euch, Georg von Sturmfeder; zwar gehört Übung und Erfahrung zu einem solchen Geschäft, aber was Euch dran abgeht, möge Euer Kopf ersetzen.«
Man sah dem Jüngling an, daß er einen heftigen Kampf mit sich kämpfte. Sein Gesicht war bleich, sein Auge starr, seine Lippen fest zusammengeklemmt. Die Warnung Mariens war ihm jetzt auf einmal klar; aber wie fest er auch bei sich beschloß, den Antrag auszuschlagen, wie erwünscht beinahe diese Gelegenheit erschien, um dem Bunde zu entsagen, so kam ihm die Entscheidung doch zu überraschend, er scheute sich, vor den berühmten Männern seinen Entschluß auszusprechen.
Der Truchseß rückte ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her, als der junge Mann so lange mit seiner Antwort zögerte: »Nun? wird's bald? warum besinnt Ihr Euch so lange?« rief er ihm zu.
»Verschonet mich mit diesem Auftrag«, sagte Georg nicht ohne Zagen, »ich kann, ich darf nicht.«
Die alten Männer sahen sich erstaunt an, als trauten sie ihren Ohren nicht. »Ihr dürft nicht, Ihr könnt nicht«, wiederholte Truchseß langsam, und eine dunkle Röte, der Vorbote seines aufsteigenden Zornes lagerte sich auf seine Stirne und um seine Augen.
Georg sah, daß er sich in seinen Ausdrücken übereilt habe; er sammelte sich und sprach mit freierem Mute: »Ich habe Euch meine Dienste angeboten um ehrlich zu fechten, nicht aber um mich in Feindesland zu schleichen und hinterrücks nach seinen Gedanken zu spähen. Es ist wahr, ich bin jung und unerfahren, aber so viel weiß ich doch, um mir von meinen Schritten Rechenschaft geben zu können; und wer von Euch, der Vater eines Sohnes ist, möchte ihm zu seiner ersten Waffentat raten, den Kundschafter zu machen?«
Der Truchseß zog die dunkeln, buschigen Augenbrauen zusammen, und schoß einen durchdringenden Blick auf den Jüngling, der so kühn war, anderer Meinung zu sein als er. »Was fällt Euch ein, Junker!« rief er; »Eure Reden helfen Euch jetzt nichts, es handelt sich nicht darum, ob es sich mit Eurem kindischen Gewissen verträgt was wir Euch auftragen; es handelt sich um Gehorsam, wir wollen es, und Ihr müßt!«
»Und ich will nicht!« entgegnete ihm Georg mit fester Stimme. Er fühlte, daß mit dem Zorn über Waldburgs beleidigenden Ton sein Mut von Minute zu Minute wachse, er wünschte sogar, der Truchseß möchte noch weiter in seinen Reden fortfahren, denn jetzt glaubte er sich jeder Entscheidung gewachsen.
»Ja freilich, freilich!« lachte Waldburg in bitterem Grimm, »das Ding hat Gefahr, so allein in Feindesland herumzureiten. Ha! Ha! Da kommen die Junker von Habenichts und Binnichts und bieten mit großen Worten und erhabenen Gesichtern ihren Kopf und ihren tapferen Arm an, und wenn es drauf und dran kommt, wenn man etwas von ihnen haben will, so fehlt es am Herz. Doch Art läßt nicht von Art, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – und wo nichts ist: da hat der Kaiser das Recht verloren.«
»Wenn dies eine Beleidigung für meinen Vater sein soll«, antwortete Georg erbittert, »so sitzen hier Zeugen, die ihm bezeugen können, daß er in ihrem Gedächtnisse als ein Tapferer lebt. Ihr müßt viel getan haben in der Welt, daß Ihr Euch herausnehmt auf andere so tief herabzusehen!«
»Soll ein solcher Milchbart mir vorschreiben was ich reden soll?« unterbrach ihn Waldburg; »was braucht es da das lange Schwatzen? ich will wissen, Junkerlein, ob Ihr morgen Euer Pferd satteln, und Euch nach unseren Befehlen richten wollet oder nicht!«
»Herr Truchseß«, antwortete Georg mit mehr Ruhe als er sich selbst zugetraut hatte; »Ihr habt durch Eure scharfe Reden nichts gezeigt, als daß Ihr wenig wisset, wie man mit einem Edelmann, der dem Bunde seine Dienste anbot, wie man mit dem Sohn meines tapfern Vaters sprechen müsse. Ihr habt aber als Oberster dieses Rates im Namen des Bundes zu mir gesprochen und mich so tief beleidigt, als ob ich Euer ärgster Feind wäre, darum kann ich nichts tun, als wie Ihr selbst befehlt, mein Roß satteln, aber gewiß nicht zu Eurem Dienst. Es ist mir nicht länger Ehre, diesen Fahnen zu folgen, nein, ich sage mich los und ledig von Euch für immer; gehabt Euch wohl!«
Der junge Mann hatte mit Nachdruck und Festigkeit gesprochen, und wandte sich, zu gehen.
»Georg!« rief Frondsberg, indem er aufsprang, »Sohn meines Freundes! –«
»Nicht so rasch, Junker«, riefen die übrigen, und warfen mißbilligende Blicke auf Waldburg; aber Georg war, ohne sich umzusehen, aus dem Gemach geschritten, die eiserne Klinke schlug klirrend ins Schloß und die gewaltigen Flügel der eichenen Pforte lagerten sich zwischen ihn und den wohlmeinenden Nachruf der besser gesinnten Männer; sie schieden Georg von Sturmfeder auf ewig von dem Schwäbischen Bunde.
O wenn die Nacht des Grames dich umschlinget,
Mit schwerem Leid dein wundes Herz oft ringet,
Wenn nur der Stern, der nach der Sonne stehet,
Der Liebe Stern in dir nicht untergehet.
Georg fühlte sich leichter, als er auf seinem Zimmer über das Vorgefallene nachdachte. Jetzt war ja entschieden, was zu entscheiden er so lange gezögert hatte, entschieden auf eine Weise, wie er sie besser nicht hätte wünschen können. So hatte er jetzt einen guten Grund, das Heer sogleich zu verlassen, und der Oberstfeldlieutenant mußte die Schuld sich selbst beimessen.
Wie schnell hatte sich doch alles in den vier Tagen gewendet; wie verschieden waren die Gesinnungen, mit denen er in diese Stadt einzog, von denen, die ihn aus ihren Mauern hinaustrieben! Damals, als der Donner der Geschütze, der feierliche Klang aller Glocken, die lockenden Töne der Trompeten ihn begrüßten, wie schlug da sein Herz dem Kampf entgegen, um Marien zu verdienen. Und als er das erstemal vor jenen Frondsberg geführt wurde, wie erhebend war der Gedanke, unter den Augen dieses Mannes zu streiten, aus seinem Munde sich Ruhm zu erwerben! – Und wie erkaltete bald darauf sein Eifer, als der Bund in seinen Augen jenen Glanz verlor, mit welchem ihn seine jugendliche Phantasie umgeben hatte; wie schämte er sich, sein Schwert für die zu ziehen, die nur von Eigennutz und Habgier getrieben, das schöne Land sich zur Beute ausersehen hatten! Wie schrecklich der Gedanke, Marie und die Ihrigen auf der feindlichen Seite zu wissen, treu ergeben dem unglücklichen Fürsten, den auch er aus seinen Grenzen zu jagen helfen sollte? Um eine solche Sache sollte er jenes teure Herz brechen, das unter jedem Wechsel treu für ihn schlug? »Nein! Du hast es wohl mit mir gemeint«, sprach er, indem sein Auge dem Strahl der Abendsonne, der durch die runden Scheiben hereinfiel, hinauf zu dem blauen Himmel folgte; »du hast es wohl mit mir gemeint, was jedem andern, der heute an meiner Stelle stand, zum Verderben gewesen wäre, hast du für mich zum Heil gelenkt!« Jene Heiterkeit, die, seit er wußte, wie furchtbar sich das Geschick zwischen ihn und die Geliebte stellte, einem trüben Ernste gewichen war, kehrte wieder auf seine Stirne, um seinen Mund zurück; er sang sich ein frohes Lied, wie in seinen frohesten Augenblicken. –
Erstaunt betrachtete ihn der eintretende Herr von Kraft. »Nun das ist doch sonderbar«, sagte er, »ich eile nach Haus, um meinen Gast in seinem gerechten Schmerz zu trösten, und finde ihn so fröhlich wie nie; wie räume ich das zusammen?«
»Habt Ihr noch nie gehört, Herr Dieterich«, entgegnete Georg, der für geratener hielt, seine Fröhlichkeit zu verbergen, »habt Ihr nie gehört, daß man auch aus Zorn lachen und im Schmerz singen könne?«
»Gehört hab ich es schon, aber gesehen nie bis zu diesem Augenblick«, antwortete Kraft.
»Nun, und Ihr habt also auch von der verdrüßlichen Geschichte gehört«, fragte Georg, »man erzählt sich es gewiß schon auf allen Straßen?«
»O nein«, antwortete der Ratsschreiber, »man weiß nirgens etwas davon, man hätte ja zugleich Eure geheime Sendung nach Württemberg damit ausposaunen müssen. Nein! ich habe, Gott sei Dank, so meine eigenen Quellen, und erfahre manches noch in der Stunde wo es getan oder gesprochen wurde. Aber nehmt mir's nicht übel, Ihr habt da einen dummen Streich gemacht!«
»So?« antwortete Georg lächelnd, »und warum denn?«
»Bot sich Euch nicht die schönste Gelegenheit, Euch auszuzeichnen? Wem wären die Bundesobersten mehr Dank schuldig als –«
»Sagt es nur heraus«, unterbrach ihn Georg, »– als dem Kundschafter in des Feindes Rücken. Es ist nur schade, daß mein Vater und die Ehre meines Namens mich vor, nicht hinter den Feind bestimmt haben, es sei denn, daß er vor mir fliehe.«
»Dies sind Bedenklichkeiten, die ich nicht bei Euch gesucht hätte; wahrlich, wenn ich so bekannt in jener Gegend wäre, wie Ihr, man hätte es mir nicht zweimal sagen dürfen.«
»Ihr habt hierzuland vielleicht andere Grundsätze über diesen Punkt«, sagte Georg nicht ohne Spott, »als wir in unserem Franken, das hätte Truchseß von Waldburg bedenken und einen Ulmer schicken sollen.«
»Ihr bringt mich da eben recht noch auf etwas anderes; der Oberfeldlieutenant! Wie habt Ihr ihn Euch so zum Feinde machen mögen, denn daß dieser Euch das Geschehene in seinem Leben nicht verzeiht, dürft Ihr gewiß sein.«
»Das ist mein geringster Kummer«, antwortete Georg, »aber eines tut mir weh, daß ich den Übermütigen, der schon meinem Vater Böses getan, wo er konnte, nicht vor meine Klinge stellen, und ihm zeigen kann, daß der Arm nicht so ganz zu verachten ist, den er heute von sich gestoßen hat.«
»Um Gottes willen«, fiel Kraft ein, »sprecht nicht so laut, er könnte es hören; überhaupt müßt Ihr Euch sehr zusammennehmen, wenn Ihr ferner im Heere unter ihm dienen wollt!«
»Ich will den Herrn Truchseß von meinem verhaßten Anblick bald befreien; so Gott will, habe ich die Sonne zum letztenmal in Ulm untergehen sehen!«
»So wäre es wahr«, fragte Herr von Kraft mit Staunen, »was man noch dazusetzte und was ich nicht glauben konnte: Georg von Sturmfeder will wegen dieser Kleinigkeit unsere gute Sache verlassen?«
»Verletzung der Ehre ist nirgends eine Kleinigkeit«, antwortete Georg ernst, »am wenigsten bei einem Stand wie der unserige; was aber Eure gute Sache betrifft, so habe ich nachgerade eingesehen, daß ich weder für eine gute Sache noch für eine gute Meinung, sondern für ein paar große Herren und für ein paar Mauern voll Spießbürger mich schlagen sollte.«
Der unangenehme Eindruck, den besonders die letzten Worte auf den Ratsschreiber machten, entging ihm nicht, er fuhr daher, indem er seine Hand ergriff und drückte, ruhiger fort: »Nehmt mir meine scharfen Worte nicht übel, mein freundlicher Wirt, weiß Gott, ich habe Euch nicht damit beleidigen wollen; aber aus Eurem eigenen Munde habe ich die Gesinnungen und Zwecke der verschiedenen Parteien in diesem Heere erfahren, schreibt es Euch selbst zu, wenn ich meinen eigenen Weg einschlage, da Ihr mir die Binde von den Augen genommen habt.«
»Ihr habt so unrecht gerade nicht, guter Junker; es wird bunt hergehen, wenn die Herren erst das schöne Land da drüben unter sich teilen. Aber da habe ich gedacht, es gehe ja in einem hin, Ihr könntet Euch auch Euer Scherflein dabei verdienen. Man sagt, Ihr dürft es mir aber nicht übelnehmen, Euer Haus sei etwas herabgekommen, da meinte ich –«
»Nichts davon«, fiel Georg rasch ein, gerührt von der Gutmütigkeit seines Gastfreundes, »das Haus meiner Väter zerfällt, unsere Tore hängen auf gebrochenen Angeln, auf der Zugbrücke wächst Moos, und auf dem hohen Wartturm hausen Eulen. In fünfzig Jahren steht vielleicht noch ein Turm oder ein Mäuerchen, und erinnert den Wanderer, daß hier einst ein ritterliches Geschlecht hauste. Aber, wenn auch die morschen Mauern über mir zusammenstürzen, und den letzten meines Stammes unter ihren Trümmern begraben, niemand soll von mir sagen: ich habe für ungerechtes Gut das Schwert meines Vaters gezogen.«
»Jeder nach seiner Weise«, antwortete Dieterich, »es klingt dies alles recht schön, aber ich für meinen Teil würde mir schon etwas gefallen lassen, um mein Haus anständig und wohnlich wieder herzustellen. – Möget Ihr übrigens Euren Entschluß ändern oder nicht, auf jeden Fall hoffe ich, werdet Ihr es Euch noch einige Tage bei mir gefallen lassen.«
»Ich erkenne Eure Güte«, antwortete Georg, »aber Ihr seht, daß ich unter den gegenwärtigen Umständen nichts mehr in dieser Stadt zu tun habe. Ich gedenke mit Anbruch des Morgens zu reiten.«
»Nun, und kann man Euch Grüße mitgeben?« sagte der Ratsschreiber mit überaus schlauem Lächeln; »Ihr reitet doch den nächsten Weg nach Lichtenstein?«
Der junge Mann errötete bis in die Stirne hinauf. Es war zwischen ihm und seinem Gastfreund seit Mariens Abreise noch nie über diesen Gegenstand zu Sprache gekommen, um so mehr überraschte ihn jetzt die schlaue Frage seines Gastfreundes. »Ich sehe«, sagte er, »daß Ihr mich noch immer falsch verstehet. Ihr glaubet, ich habe dem Bunde nur deswegen den Rücken zugewandt, um mich an die Feinde anzuschließen? Wie möget Ihr nur so schlimm von mir denken!«
»Ach, geht mir doch!« entgegnete der kluge Ratsschreiber; »niemand anders als mein reizendes Bäschen hat Euch von uns abwendig gemacht. Ihr hättet wohl zu allem, was der Bund getan, ein Auge zugedrückt, wenn der alte Lichtenstein auch mitgemacht hätte; nun er auf der anderen Seite steht, glaubt Ihr auch schnell umsatteln zu müssen!«
Georg mochte sich verteidigen wie er wollte, der Ratsschreiber war zu fest von seiner eigenen Klugheit überzeugt, als daß er sich diese Meinung hätte ausreden lassen. Er fand diesen Schritt auch ganz natürlich, und sah nichts Böses oder Unehrliches darin. Mit einem herzlichen Gruß an die Base in Lichtenstein verließ er das Zimmer seines Gastes. Doch auf der Schwelle wandte er sich noch einmal um. »Fast hätte ich das Wichtigste vergessen«, sagte er, »ich begegnete Georg von Frondsberg auf der Straße; er läßt Euch bitten heute abend noch zu ihm in sein Haus zu kommen.«
Georg hatte sich zwar selbst vorgestellt, daß ihn Frondsberg nicht ohne Abschied werde ziehen lassen, und doch war ihm bange vor dem Anblick dieses Mannes, der es so gut mit ihm gemeint, und dessen freundliche Plane er so schnell durchkreuzt hatte. Er schnallte unter den Gedanken an diesen schweren Gang sein Schwert um, und wollte eben seinen Mantel zurecht richten, als ein sonderbares Geräusch von der Treppe her seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Schwere Tritte vieler Menschen näherten sich seiner Türe, er glaubte Schwerter und Hellebarden auf dem Estrich seines Vorsaales klirren zu hören, er machte schnell einige Schritte gegen die Türe, um sich von dem Grund seiner Vermutung zu überzeugen.
Aber noch ehe er die Türe erreicht hatte, ging diese auf, das matte Licht einiger Kerzen ließ ihn mehrere bewaffnete Kriegsknechte sehen, die seine Türe umstellt hatten. Jener alte Kriegsmann, der ihn heute vor dem Kriegsrat empfangen hatte, trat aus ihrer Mitte hervor:
»Georg von Sturmfeder!« sprach er zu dem Jüngling, der mit Staunen zurücktrat, »ich nehme Euch auf Befehl eines Hohen Bundesrates gefangen.«
»Mich? gefangen?« rief Georg mit Schrecken. »Warum? wessen beschuldigt man mich denn?«
»Das ist nicht meine Sache«, antwortete der Alte mürrisch, »doch wird man Euch vermutlich nicht lange in Ungewißheit lassen. Jetzt aber seid so gut und reicht mir Euer Schwert und folget mir auf das Rathaus.«
»Wie? Euch soll ich mein Schwert geben?« entgegnete der junge Mann mit dem Zorn beleidigten Stolzes, »wer seid Ihr, daß Ihr mir meine Waffen abfordern könnet? da muß der Rat ganz andere Leute schicken als Euch, so viel verstehe ich auch von Eurem Handwerk!«
»Um Gottes willen, gebt doch nach«, rief der Ratsschreiber, der sich bleich und verstört an seine Seite gedrängt hatte, »gebt nach; Widerstand kann Euch wenig nützen; Ihr habt es mit dem Truchseß zu tun«, flüsterte er heimlicher; »das ist ein böser Feind, bringt ihn nicht noch ärger gegen Euch auf.«
Der alte Kriegsmann unterbrach die Einflüsterungen des Ratsschreibers: »Es ist wahrscheinlich das erstemal, Junker«, sagte er, »daß Ihr in Haft genommen werdet, deswegen verzeihe ich Euch gern die unziemlichen Worte gegen einen Mann, der oft in einem Zelt mit Eurem Vater schlief. Euer Schwert möget Ihr auch immerhin behalten; ich kenne diesen Griff und diese Scheide, und habe den Stahl, den sie verschließt, manchen rühmlichen Kampf ausfechten sehen. Es ist löblich, daß Ihr viel darauf haltet, und es nicht in jede Hand kommen lassen möget. Aber aufs Rathaus müßt Ihr mit, denn es wäre töricht, wenn Ihr der Gewalt Trotz bieten wolltet.«
Der Jüngling, dem alles wie ein Traum erschien, ergab sich schweigend in sein Schicksal, er trug dem Ratsschreiber heimlich auf, zu Frondsberg zu gehen und diesen von seiner Gefangenschaft zu unterrichten. Er wickelte sich tiefer in seinen Mantel, um auf der Straße bei diesem unangenehmen Gang nicht erkannt zu werden, und folgte dem ergrauten Führer und seinen Lanzknechten.
Die Eisentür geht auf, des Kerkers schwarze Wand
Erhellt ein blasser Schein, er höret jemand gehen
Und stemmt sich auf, und sieht –
Die Truppe, den Gefangenen in der Mitte, bewegte sich schweigend dem Rathaus zu. Nur eine einzige Fackel leuchtete ihnen voran, und Georg dankte dem Himmel, daß sie nur sparsame Helle verbreitete; denn er glaubte, alle Menschen, die ihn begegneten, müßten es ihm ansehen, daß er ins Gefängnis geführt werde. Nächst diesem beschäftigte ihn unterwegs vorzüglich ein Gedanke: es war das erste Mal in seinem Leben, daß er in ein Gefängnis geführt wurde, er dachte daher nicht ohne Grauen an einen feuchten, unreinlichen Kerker; das Burgverlies in seinem alten Schlosse, das er als Knabe einmal besucht hatte, kam ihm immer vor das Auge; er war einigemal im Begriff, seinen Führer darüber zu befragen, doch drängte der Gedanke, man möchte es für kindische Furcht ansehen, seine Frage immer wieder zurück.
Nicht wenig war er daher überrascht, als man ihn in ein geräumiges, schönes Zimmer führte, das zwar nicht sehr wohnlich aussah, denn es enthielt nur eine leere Bettstelle und einen ungeheuern Kamin, aber in Vergleichung mit den Bildern seiner Phantasie eher einem Prunkgemach als einem Gefängnis glich. Der alte Kriegsmann wünschte dem Gefangenen gute Nacht und zog sich mit seinen Knechten zurück, ein kleiner, hagerer, sehr ältlicher Mann trat ein; der große Schlüsselbund, welcher an seiner Seite hing und jeden seiner Schritte wie mit Kettengerassel bezeichnete, gab ihn als den Rathausdiener oder Schließer kund. Er legte schweigend einige große Scheite Holz ins Kamin und bald loderte ein behagliches Feuer auf, das dem jungen Mann in der kalten Märznacht sehr zustatten kam. Auf die Bretter der breiten, leeren Bettstelle breitete der Schließer eine große, wollene Decke, und das erste Wort, das Georg aus seinem Munde hörte, war die freundliche Einladung an den Gefangenen, sich's bequem zu machen. Die harten Brettchen nur mit einer dünnen Decke überlegt, mochten nun freilich nicht sehr einladend aussehen, doch lobte Georg die Bemühungen des Alten und sein Gefängnis.
»Das ist halt die Ritterhaft«, belehrte ihn der Schließer, »die für den gemeinen Mann ist unter der Erde und nicht so schön; doch ist sie dafür desto besuchter.«
»Hier war wohl seit langer Zeit niemand?« fragte Georg, indem er das öde Gemach musterte.
»Der letzte war vor sieben Jahren ein Herr von Berger, er ist in jenem Bett verschieden; Gott sei seiner armen Seele gnädig! Es schien ihm aber hier zu gefallen, denn er ist schon in mancher Mitternacht aus seiner Bahre heraufgestiegen, um sein altes Zimmer zu besuchen.«
»Wie?« sagte Georg lächelnd, »hieher soll er sich nach seinem Tode noch bemüht haben?«
Der Schließer warf einen scheuen Blick in die Ecken des Zimmers, die von dem unruhigen Flackern des Kaminfeuers kaum erhellt, sich bald vor-, bald zurückzudrängen schienen; er legte das Holz mehr zurecht und brummte: »Man spricht so mancherlei.«
»Und auf jener Decke ist er verschieden?« rief Georg, den bei allem jugendlichen Mut doch ein unwillkürlicher Schauder überlief.
»Ja, Herr!« flüsterte der Schließer leise, »dort auf jener Decke ist er abgefahren, Gott gebe, daß es nicht tiefer als ins Fegefeuer ging. Wir nennen deswegen die Decke nur das Leichentuch, das Zimmer aber heißt des Ritters Totenkammer!« Mit leisen Schritten, als fürchte er, durch jeden Laut den Toten zu erwecken, schlich er aus dem Gemach, desto vernehmlicher rauschten außen seine Schlüssel in dem Türschloß, als feierten sie seinen Triumph, einem greulichen Spuk entflohen zu sein.
»Also auf dem Leichentuch in des Ritters Totenkammer?« dachte Georg und fühlte, wie sein Herz lauter pochte. Man hatte zwar damals das menschliche Gemüt noch nicht wie in unsern Tagen durch eigene Gespenster- und Schauerbücher für das Grauenhafte empfänglich gemacht; doch hatten Ammen und alte Knechte hinlänglich dafür gesorgt, den Geist des Junkers Georg mit diesem reichlich wuchernden Unkraut anzupflanzen.
Er war daher unschlüssig, ob er sich auf das Leichentuch legen sollte oder nicht? Aber er sah keinen Stuhl, keine Bank in der ganzen Totenkammer, der Boden mit Backsteinen zierlich ausgelegt, war noch kälter als das kalte feuchte Leichentuch; er begann sich dieser Untersuchungen, dieses Zögerns zu schämen, und bald nahm ihn das gastliche Lager des Verstorbenen auf.
Auch das härteste Lager ist weich für den, der mit gutem Gewissen zur Ruhe geht. Georg hatte sein Nachtgebet gesprochen und war bald entschlummert. Aber aus dem Leichentuch stiegen wunderliche Träume auf und lagerten sich bange über den jungen Mann; er sah deutlich, wie der alte Schließer zu dem großen Schlüsselloch hereinguckte und sich segnete, daß er auf der anderen Seite der Türe stehe, denn in der Totenkammer begann es recht unheimlich zu werden. Es fing an, wunderlich umherzurauschen, auf den Backsteinen schlurften alte Sohlen in häßlichen Tönen; Georg glaubte zu träumen, er ermannte sich, er horchte, er horchte wieder, aber es war keine Täuschung; schwere Tritte tönten im Gemach. Jetzt wurde das Feuer heller angeschürt; der ungewisse Schein der Flamme spielte um eine große dunkle Gestalt; sie bewegte sich, der Weg vom Kamin zum Bette war gar nicht weit. Die Schritte kommen näher, das Leichentuch wird angefaßt und geschüttelt; Georg, von unabwendbarer Furcht befallen, drückt die Augen zu, aber als die Decke gerade neben seinem Haupte gefaßt wurde, als eine kalte, schwere Hand sich auf seine Stirne legte, da riß er sich los aus seiner Angst, er sprang auf, und maß mit ungewissen Blicken jene dunkle Gestalt, die jetzt dicht vor ihm stand; hell flackerten die Flammen im Kamine, sie beleuchteten die wohlbekannten Züge Georgs von Frondsberg.
»Ihr seid es, Herr Feldhauptmann?« rief Georg, indem er freier atmete und seinen Mantel zurecht richtete, um den Ritter nach Würde zu empfangen.
»Bleibt, bleibt«, sagte jener und drückte ihn sanft auf sein Lager nieder; »ich setze mich zu Euch auf das Bett und wir plaudern noch ein Halbstündchen, denn es ist auf allen Glocken erst neun Uhr und in Ulm schläft noch niemand als dieser Sprudelkopf, dem man zur Abkühlung heute nacht recht hart gebettet hat.« Er faßte Georgs Hand und setzte sich zu seinen Füßen auf das Bett.
»Oh, wie kann ich diese milde Nachsicht verdienen«, sprach Georg, »stehe ich nicht in Euren Augen als ein Undankbarer da, der Euer Wohlwollen zurückstößt, und was Ihr gütig für ihn angesponnen, mit rauher Hand zerreißt?«
»Nein, mein junger Freund!« antwortete der freundliche Mann, »du stehst vor meinen Augen als der echte Sohn deines Vaters; geradeso schnell fertig mit Lob und Tadel, mit Entschluß und Rede war er; daß er ein Ehrenmann dabei war, weiß ich wohl; aber ich weiß auch, wie unglücklich ihn sein schnelles Aufbrausen, sein Trotz, den er für Festigkeit ausgab, machten.«
»Aber saget selbst, edler Herr!« entgegnete Georg, »konnte ich heute anders handeln? Hatte mich nicht der Truchseß aufs Äußerste gebracht?«
»Du konntest anders handeln, wenn du die Weise und Art dieses Mannes beachtetest, welche sich dir letzthin schon kundgab. Auch hättest du denken können, daß Leute genug da waren, die dir kein Unrecht geschehen ließen. Du aber schüttetest das Kind mit dem Bade aus und liefst weg.«
»Das Alter soll kälter machen«, erwiderte der junge Mann »aber in der Jugend hat man heißes Blut; ich kann alles ertragen, Härte und Strenge, wenn sie gerecht sind und meine Ehre nicht kränken. Aber kalter Spott, Hohn über das Unglück meines Hauses kann mich zum wütenden Wolf machen. Wie kann ein so hoher Mann nur Freude daran haben, einen so zu quälen?«
»Auf diese Art äußert sich immer sein Zorn«, belehrte ihn Frondsberg; »je kälter und schärfer er aber von außen ist, desto heißer kocht in ihm die Wut. Er war es, der auf den Gedanken kam, dich nach Tübingen zu senden, teils weil er sonst keinen wußte, teils auch um dir das Unrecht, das er dir angetan, wiedergutzumachen. Denn in seinem Sinne war diese Sendung höchst ehrenvoll. Du aber hast ihn durch deine Weigerung gekränkt und vor dem Kriegsrat beschämt.«
»Wie?« rief Georg; »der Truchseß hat mich vorgeschlagen? So kam also jene Sendung nicht von Euch?«
»Nein«, gab ihm der Feldhauptmann mit geheimnisvollem Lächeln zur Antwort; »nein! ich habe ihm sogar mit aller Mühe abgeraten, dich zu senden, aber es half nichts, denn die wahren Gründe konnte ich ihm doch nicht sagen. Ich wußte, ehe du eintratst, daß du dich weigern würdest, dies Amt anzunehmen. – Nun reiße doch die Augen nicht so auf, als wolltest du mir durch das lederne Koller ins Herz hineinschauen. Ich weiß allerlei Geschichten von meinem jungen Trotzkopf da!«
Georg schlug verwirrt die Augen nieder. »So kamen Euch die Gründe nicht genügend vor, die ich angab?« sagte er; »was wolle Ihr denn so Geheimnisvolles von mir wissen?«
»Geheimnisvoll? nun so gar geheimnisvoll ist es gerade nicht, denn merke für die Zukunft: wenn man nicht verraten sein will, so muß man weder bei Abendtänzen sich gebärden wie einer, der von Sankt Veits Tanz befallen ist, noch nachmittags um drei Uhr zu schönen Mädchen gehen. Ja, mein Sohn! ich weiß allerlei«, setzte er hinzu, indem er lächelnd mit dem Finger drohte, »ich weiß auch, daß dieses ungestüme Herz gut württembergisch ist.«
Georg errötete und vermochte den lauernden Blick des Ritters nicht auszuhalten. »Württembergisch?« entgegnete er, indem er sich mit Mühe gefaßt hatte, »da tut Ihr mir unrecht; nicht mit Euch zu Feld ziehen zu wollen, heißt noch nicht sich an den Feind anschließen; gewiß ich schwöre Euch –«
»Schwöre nicht«, fiel ihm Frondsberg rasch ins Wort, »ein Eid ist ein leichtes Wort, aber es ist doch eine drückend schwere Kette, die man bricht oder von der man zerbrochen wird. Was du tun wirst, das wird so sein, daß es sich mit deiner Ehre verträgt. Nur eines mußt du dem Bunde an Eidesstatt geloben, und dann erst wirst du deiner Haft entlassen: in den nächsten vierzehn Tagen nicht gegen uns zu kämpfen.«
»So legt Ihr mir also dennoch falsche Gesinnungen unter?« sprach Georg bewegt; »das hätte ich nicht gedacht! und wie unnötig ist dieser Schwur! Für wen, und mit wem sollte ich denn auf jener Seite kämpfen? Die Schweizer sind abgezogen, das Landvolk hat sich zerstreut, die Ritterschaft liegt in den Festungen und wird sich hüten, den nächsten besten, der vom Bundesheer herüberläuft, in ihre Mauern aufzunehmen, der Herzog selbst ist enflohen –«
»Entflohen?« rief Frondsberg aus, »entflohen? das weiß man noch nicht so gewiß; warum hätte der Truchseß dann die Reiter ausgeschickt?« setzte er hinzu; »und überhaupt, wo hast du diese Nachrichten alle her? Hast du den Kriegsrat belauscht? oder sollte es wahr sein, was einige behaupten wollen, daß du verdächtige Verbindungen nach Württemberg hinüber unterhältst?«
»Wer wagt dies zu behaupten?« rief Georg erblassend.
Frondsbergs durchdringende Augen ruhten prüfend auf den Zügen des jungen Mannes. »Höre, du bist mir zu jung und ehrlich zu einem Bubenstücke«, sagte er, »und wenn du etwas solches im Schilde führtest, hättest du dich wohl nicht vom Bunde losgesagt, sondern auch ferner Württembergs Spion gemacht.«
»Wie? spricht man so von mir?« unterbrach ihn Georg; »wenn Ihr nur ein Fünkchen Liebe zu mir habt, so nennt mir den schlechten Kerl, der so von mir spricht!«
»Nur nicht gleich wieder so aufbrausend«, entgegnete Frondsberg und drückte die Hand des jungen Mannes; »du kannst denken, daß, wenn ein solches Wort öffentlich gesprochen würde, oder ich an diese Einflüsterungen glaubte, Georg von Frondsberg nicht zu dir käme. Aber etwas muß denn doch an der Sache sein. Zu dem alten Lichtenstein kam öfters ein schlichter Bauersmann in die Stadt; er fiel nicht auf zu einer Zeit, wo so vielerlei Menschen hier sind. Aber man gab uns geheime Winke, daß dieser Bauer ein verschlagener Mann und ein geheimer Botschafter aus Württemberg sei. Der Lichtensteiner zog ab, und der Bauer und sein geheimnisvolles Treiben war vergessen. Diesen Morgen hat er sich wieder gezeigt. Er soll vor der Stadt lange Zeit mit dir gesprochen haben, auch wurde er in deinem Haus gesehen. Wie verhält sich nun diese Sache?«
Georg hatte ihm mit wachsendem Staunen zugehört. »So wahr ein Gott über mir ist«, sagte er, als Frondsberg geendet hatte, »ich bin unschuldig. Heute frühe kam ein Bauer zu mir und –«
»Nun, warum verstummst du auf einmal«, fragte Frondsberg, »du glühst ja über und über, was ist es denn mit diesem Boten?«
»Ach! ich schäme mich, es auszusprechen, und dennoch habt Ihr ja schon alles erraten; er brachte mir ein paar Worte von – meinem Liebchen!« Der junge Mann öffnete bei diesen Worten sein Wams und zog einen Streifen von Pergament hervor, den er dort verborgen hatte. »Seht, dies ist alles, was er brachte«, sagte er, indem er es Frondsberg bot.
»Das ist also alles?« lachte dieser, nachdem er gelesen hatte; »armer Junge! und du kennst also diesen Mann nicht näher? Du weißt nicht, wer er ist?«
»Nein, er ist auch weiter nichts, als unser Liebesbote, dafür wollte ich stehen!«
»Ein schöner Liebesbote, der nebenher unsere Sachen auskundschaften soll; weißt du denn nicht, daß es der gefährlichste Mann ist? es ist der Pfeifer von Hardt.«
»Der Pfeifer von Hardt?« fragte Georg, »zum erstenmal höre ich diesen Namen; und was ist es dann, wenn er der Pfeifer von Hardt ist?«
»Das weiß niemand recht, er war im Aufstand vom Armen Konrad einer der schrecklichsten Aufrührer, nachher wurde er begnadigt; seit der Zeit führt er ein unstetes Leben, und ist jetzt ein Kundschafter des Herzogs von Württemberg.«
»Und hat man ihn aufgefangen?« forschte Georg weiter, denn unwillkürlich nahm er wärmeren Anteil an seinem neuen Diener.
»Nein, das gerade ist das Unbegreifliche; man machte uns so still als möglich die Anzeige, daß er sich wieder in Ulm sehen lasse; in Eurem Stall soll er zuletzt gewesen sein, und als wir ihn ganz in geheim aufheben wollten, war er über alle Berge. Nun, ich glaube deinem Wort und deinen ehrlichen Augen, daß er in keinen andern Angelegenheiten zu dir kam. – Du kannst dich übrigens darauf verlassen, daß er, wenn es derselbe ist, den ich meine, nicht allein deinetwegen sich nach Ulm wagte. Und solltest du je wieder mit ihm zusammentreffen, so nimm dich in acht, solchem Gesindel ist nicht zu trauen. Doch der Wächter ruft zehn Uhr. Lege dich noch einmal aufs Ohr und verträume deine Gefangenschaft. Vorher aber gib mir dein Wort wegen der vierzehn Tage, und das sage ich dir, wenn du Ulm verläßt ohne dem alten Frondsberg Lebewohl zu sagen –«
»Ich komme, ich komme«, rief Georg, gerührt von der Wehmut des verehrten Mannes, die jener umsonst unter einer lächelnden Miene zu verbergen suchte. Er gab ihm Handtreue, wie es der Kriegsrat verlangte, der Ritter aber verließ mit langsamen Schritten die Totenkammer.
Nur einmal noch laß leuchten
Mir deiner Augen Strahl,
Laß hören deine Stimme
Nur noch ein einzig Mal!
Die Mittagssonne des folgenden Tages sendete drückende Strahlen auf einen Reiter, welcher über den Teil der Schwäbischen Alb, der gegen Franken ausläuft, hinzog. Er war jung, mehr schlank als fest gebaut, und ritt ein hochgewachsenes Pferd von dunkelbrauner Farbe; er war wohlbewaffnet mit Brustharnisch, Dolch und Schwert; einige andere Stücke seiner Armatur, als der Helm und die aus Eisenblech getriebenen Arm- und Beinschienen, waren am Sattel befestigt. Die hellblau und weiß gestreifte Feldbinde, die von der rechten Schulter sich über die Brust zog, ließ erraten, daß der junge Mann von Adel war, denn diese Auszeichnung war damals ein Vorrecht höherer Stände.
Er war auf einem Berggipfel angekommen, welcher eine weite Aussicht ins Tal hinab gewährte. Er hielt sein schnaubendes Roß an, wandte es zur Seite und genoß nun den schönen Anblick, der sich vor seinem Auge ausbreitete. Vor ihm eine weite Ebene von waldigen Höhen begrenzt, durchströmt von den grünen Wellen der Donau; zu seiner Rechten die Hügelkette der württembergischen Alb, zu seiner Linken in weiter, weiter Ferne die Schneekuppen der Tiroler Alpen. In freundlichem Blau spannte der Himmel seinen Bogen über diese Szene, und seine sanften lichten Farben kontrastierten sonderbar mit den schwärzlichen Mauern Ulms, das am Fuße des Berges lag, mit seinem dunkelgrauen, ungeheuren Münsterturm. Die dumpfen Glocken dieser alten Kirche begannen in diesem Augenblick den Mittag einzuläuten, ihre Töne zogen in langen, beruhigenden Akkorden über die Stadt über die weite Ebene, bis sie sich an den fernen Bergen brachen, und zitternd in das Blau der Lüfte verschwebten, als wollten sie auf ihrer melodischen Leiter die Wünsche der Menschen zum Himmel tragen.
»So begleitet ihr also den Scheidenden wie ihr seinen Eintritt begrüßt habt«, rief der junge Reiter, »mit denselben Tönen, mit denselben feierlichen Akkorden sprechet ihr zu ihm, wann er kommt und geht; wie anders, wie so ganz anders deutete ich eure ehernen Stimmen, als mein Ohr euch zum erstenmal lauschte. Da vernahm ich in euch verwandte Töne, es klang mir wie ein Ruf zur Geliebten! Und jetzt, da ich scheide, ohne Aussicht, ohne Freude, jetzt ruft ihr mir dieselben Töne entgegen? Die Geburt meiner seligen Hoffnung habt ihr ebenso eingeläutet, wie jetzt das Grabgeläute meiner Hoffnung? Das Bild des Lebens!« setzte er wehmütig hinzu, indem er nach einem langen Abschiedsblick auf dieses Tal, auf diese Mauern, sein Pferd wandte. »Das Bild des Lebens! Um Wiege und Sarg schweben sie in gleichen Tönen, und die Glocken meiner Hauskapelle haben an jenem fröhlichen Tage, wo man mich zur Taufe trug, mir ebenso getönt, wie sie mir tönen werden, wenn man den letzten Sturmfeder zu Grabe trägt!«
Das Gebirge wurde jetzt steiler, und Georg, denn als diesen haben unsere Leser den jungen Reiter schon längst erkannt, Georg ließ sein Pferd langsam hinschreiten, indem er seinen Gedanken nachhing. Es war der Weg nach seiner Heimat, und die Vergleichungen, die er zwischen dieser Heimkehr und dem fröhlichen Auszug anstellte, mochten nicht dazu beitragen, seine düsteren Gefühle aufzuhellen. Der gesterige Tag, der schnelle Wechsel heftiger Empfindungen, seine Verhaftung, zuletzt noch heute der Abschied von Männern, die ihm wohlwollten, hatte ihn heftig angegriffen.
Wie treuherzig und gutmütig hatte Dieterich von Kraft sein zierlicher Gastfreund seine Abreise bedauert; wie gleich war sich dieser gute Mensch in seinem Wohlwollen gegen ihn geblieben, vom ersten Becher an, den er mit ihm im Rathaussaale geleert, bis zum Abschiedstrunk, den er seinem Gast noch auf das Pferd hinauf kredenzte; und wie hatte er ihm gelohnt? Beschäftigt mit sich selbst hatte er ihn wenig geachtet, übersehen. Wie hatte er dem biedern Breitenstein, wie dem Helden Frondsberg, der ihn vor den Augen eines Heeres wie seinen Liebling ausgezeichnet hatte, wie hatte er ihnen vergolten? Wahrlich, es ist für ein edles Gemüt kein Gedanke drückender, als der, für undankbar zu gelten bei Männern, in deren Augen wir geachtet sein möchten.
Er hatte unter diesen trüben Gedanken eine gute Strecke auf dem Gebirgsrücken zurückgelegt. Die Strahlen der Märzsonne wurden immer drückender, die Pfade rauher, und er beschloß, unter dem Schatten einer breiten Eiche sich und seinem Pferde Mittagsruhe zu gönnen. Er stieg ab, schnallte den Sattelgurt leichter und ließ das ermüdete Tier die sparsam hervorkeimenden Gräser aufsuchen. Er selbst streckte sich unter der Eiche nieder, und so gerne er sich dem Schlafe überlassen hätte, wozu nach dem ermüdenden Ritte ihn der kühle Schatten einlud, so hielt ihn doch die Besorgnis, in so unruhigen Zeiten in einem Lande, das so nahe dem Schauplatz des Krieges lag, um sein Roß und vielleicht gar um seine Waffen zukommen, einige Zeit wach, bis er in jenen Zustand versank, wo die Seele zwischen Wachen und Schlafen umsonst mit dem Körper kämpft, der ungestüm seine Rechte fordert.
Er mochte wohl ein Stündchen so geschlummert haben, als ihn das Wiehern seines Pferdes aufschreckte; er sah sich um und gewahrte einen Mann, der, ihm den Rücken gekehrt, sich mit dem Tier beschäftigte. Sein erster Gedanke war, daß man seine Unachtsamkeit benützen, und das Pferd entführen wolle; er sprang auf, zog sein Schwert und war in drei Sprüngen dort. »Halt! was hast du da mit dem Pferd zu schaffen!« rief er, indem er seine Hand etwas unsanft auf die Schulter des Mannes legte.
»Habt Ihr mich denn schon wieder aus Eurem Dienst entlassen, Junker?« antwortete dieser und wandte sich zu ihm; in den listigen, kühnen Augen, an dem lächelnden Mund erkannte Georg sogleich den Boten, den ihm Marie gesandt hatte: er war noch unschlüssig, wie er sich gegen ihn benehmen sollte, denn Frondsbergs Warnung schreckte ihn ab, Mariens Zuversicht empfahl ihn, doch der Bauer fuhr fort, indem er ihm eine gute Handvoll Heu vorzeigte: »Ich konnte mir wohl denken, daß Ihr keinen Futtersack mitnehmen werdet; auf den Bergen da oben sieht es noch schlecht aus mit dem Gras, da habe ich denn Eurem Braunen einen Armvoll Heu mitgebracht; es hat ihm trefflich behagt.« So sprach der Bauer, und fuhr ganz gelassen fort dem Pferd das Futter hinzureichen.
»Und woher kommst du denn?« fragte Georg, nachdem er sich ein wenig von seinem Erstaunen gesammelt hatte.
»Nun, Ihr seid ja so schnell von Ulm weggeritten, daß ich Euch nicht gleich folgen konnte«, antwortete jener.
»Lüge nicht!« unterbrach ihn der junge Mann; »sonst kann ich dir fürder nicht vertrauen. Du kommst jetzt nicht aus jener Stadt her?«
»Nun, Ihr werdet mich doch nicht schelten, daß ich mich etwas früher auf den Weg machte als Ihr?« sagte der Bauer und wandte sich ab; doch entging Georg nicht, daß jenes listige Lächeln wieder über sein Gesicht zog.
»Laß mein Pferd jetzt stehen«, rief Georg ungeduldig, »und komm mit mir unter die Eiche dort; da setze dich hin und sprich, aber ohne auszuweichen, warum hast du gestern abend so plötzlich die Stadt verlassen?«
»An den Ulmern lag es nicht«, entgegnete jener, »sie wollten mich sogar einladen länger bei ihnen zu bleiben, und wollten mir freie Kost und Wohnung geben.«
»Ja, ins tiefste Verlies wollten sie dich stecken, wo weder Sonne noch Mond hinscheint, und wohin die Kundschafter und Späher gehören.«
»Mit Verlaub, Junker«, erwiderte der Bote, »da wäre ich, wiewohl ein paar Stockwerke tiefer, in dieselbe Behausung gekommen wie Ihr?«
»Hund von einem Aufpasser!« rief der Junker ungeduldig, indem Zorn seine Wangen rötete, »willst du meines Vaters Sohn in eine Reihe stellen mit dem Pfeifer von Hardt!«
»Was sprecht Ihr da?« fuhr der Mann an seiner Seite mit wilder Miene auf; »was nennt Ihr für einen Namen? kennt Ihr den Pfeifer von Hardt?« Er hatte vielleicht unwillkürlich bei diesen Worten die Axt, die neben ihm lag, in seine nervige Rechte gefaßt. Seine gedrungene feste Gestalt, seine breite Brust, gaben ihm trotz seiner nicht ansehnlichen Größe, doch das Ansehen eines nicht zu verachtenden Kämpfers; sein wildrollendes Auge, sein eingepreßter Mund möchten manchen einzelnen Mann außer Fassung gebracht haben.
Der Jüngling aber sprang mutig auf, er warf sein langes Haar zurück, und ein Blick voll Stolz und Hoheit begegnete dem finsteren Auge jenes Mannes; er legte seine Hand an den Griff seines Schwertes und sagte ruhig und fest: »Was fällt dir ein, dich so vor mich hinzustellen und mit dieser Stirne mich zu fragen; du bist, wenn ich nicht irre, der, den ich nannte, du bist dieser Meuter und Anführer von aufrührerischen Hunden; pack dich fort, auf der Stelle, oder ich will dir zeigen wie man mit solchem Gesindel spricht!«
Der Bauer schien mit seinem Zorn zu ringen; er hieb die Axt mit einem kräftigen Schwung in den Baum, und stand nun ohne Waffe vor dem zürnenden, jungen Mann. »Erlaubet«, sagte er, »daß ich Euch für ein andermal warne, daß Ihr Euren Gegner, und sei er auch nur ein geringer Bauersmann wie ich, nicht zwischen Euch und Eurem Braunen stehen lasset; denn wenn ich Euren Befehl, mich fortzupacken, hätte aufs schnellste befolgen wollen, wäre er mir trefflich zustatten kommen.«
Ein Blick dahin überzeugte Georg, daß der Bauer wahr gesprochen habe; errötend über diese Unvorsichtigkeit, die beweisen konnte, wie wenig er noch Erfahrung im Kriege besitze, ließ er seine Hand von dem Griff seines Schwertes sinken, und setzte sich, ohne etwas zu erwidern, auf die Erde nieder. Der Bauer folgte, jedoch in ehrerbietiger Entfernung, seinem Beispiel und sprach: »Ihr habt ganz recht, daß Ihr mir grollt, Herr von Sturmfeder, aber wenn Ihr wüßtet, wie weh mir jener Name tut, würdet Ihr vielleicht meine schnelle Hitze verzeihen! Ja! ich bin der, den man so nennt, aber es ist mir ein Greuel, mich also rufen zu hören; meine Freunde nennen mich Hanns, aber meinen Feinden gefällt jener Name, weil ich ihn hasse.«
»Was hat dir dieser unschuldige Name getan?« fragte Georg, »warum nennt man dich so? warum willst du dich nicht so nennen lassen?«
»Warum man mich so nennt?« antwortete jener; »ich bin aus einem Dorf, das heißt Hardt, und liegt im Unterland nicht weit von Nürtingen; meinem Gewerbe nach bin ich ein Spielmann, und musiziere auf Märkten und Kirchweihen, wenn die ledigen Bursche und die jungen Mägdlein tanzen wollen. Deswegen nannte man mich den Pfeifer von Hardt. Aber dieser Name hat sich mit Untat und Blut befleckt in einer bösen Zeit, darum habe ich ihn abgetan und kann ihn nimmer leiden.«
Georg maß ihn mit einem durchdringenden Blick, indem er sagte: »Ich weiß wohl, in welcher bösen Zeit; als ihr Bauern gegen euern Herzog rebelliert habt, da warst du einer von den ärgsten. Ist's nicht also?«
»Ihr seid wohlbekannt mit dem Schicksal eines unglücklichen Mannes«, sagte der Bauer finster zu Boden blickend; »Ihr müßt aber nicht glauben, daß ich noch derselbe bin. Der Heilige hat mich gerettet und meinen Sinn geändert, und ich darf sagen, daß ich jetzt ein ehrlicher Mann bin.«
»Oh, erzähle mir«, unterbrach ihn der Jüngling, »wie ging es zu in jenem Aufruhr? wie wurdest du gerettet, wie kommt's, daß du jetzt dem Herzog dienst?«
»Das alles will ich auf ein andermal versparen«, entgegnete jener; »denn ich hoffe nicht zum letztenmal an Eurer Seite zu sein; erlaubt mir dafür, daß ich auch Euch etwas frage; wo soll Euch denn dieser Weg hinführen? da geht nicht die Straße nach Lichtenstein!«
»Ich gehe auch nicht nach Lichtenstein«, antwortete Georg niedergeschlagen; »mein Weg führt nach Franken zu dem alten Oheim; das kannst du dem Fräulein vermelden, wenn du nach Lichtenstein kommst.«
»Und was wollt Ihr beim Oheim? Jagen? das könnt Ihr anderswo ebensogut; Langeweile haben? die kauft Ihr allerorten wohlfeil; kurz und gut, Junker«, setzte er gutmütig lächelnd hinzu, »ich rate Euch, wendet Euer Roß und reitet so ein paar Tage mit mir in Württemberg umher; der Krieg ist ja so gut als beendigt; man kann ganz ungehindert reisen.«
»Ich habe dem Bund mein Wort gegeben, in vierzehn Tagen nicht gegen ihn zu fechten; wie kann ich also nach Württemberg gehen?«
»Heißt denn das gegen ihn fechten, wenn Ihr ruhig Eure Straße ziehet? So also, vierzehn Tage lang, in vierzehn Tagen glauben sie den Krieg vollendet? Wird noch mancher nach vierzehn Tagen den Kopf verstoßen an den Mauern von Tübingen. Kommt mit, es ist ja nicht gegen Euren Eid!«
»Und was soll ich in Württemberg«, rief Georg schmerzlich, »soll ich recht in der Nähe sehen, wie meine Kriegsgesellen bei Eroberung der Festen sich Ruhm erwerben? Soll ich den Bundesfahnen, denen ich auf ewig Lebewohl gesagt und den Rücken gekehrt, noch einmal begegnen? Nein! nach Franken will ich ziehen, in meine Heimat«, sagte er düster, indem er die umwölkte Stirn in die Hand stützte, »in meine alte Mauern will ich mich begraben, und träumen, wie ich hätte glücklich sein können!«
»Das ist ein schöner Entschluß für einen jungen Mann von Euerm Schrot und Korn! Habt Ihr denn in Württemberg gar nichts zu tun, als des armen Herzogs Burgen zu stürmen? Nun, reitet immerhin«, fuhr er fort, indem er den Jüngling mit listigem Lächeln anblickte, »versucht einmal, ob der Lichtenstein nicht im Sturm genommen werden könne?«
Der junge Mann errötete bis in die Stirne hinauf, »wie magst du nur jetzt deinen Scherz treiben«, sagte er, halb in Unmut, halb lächelnd, »wie magst du mit meinem Unglück spaßen?«
»Fällt mir nicht ein, Scherz mit meinem gnädigen Junker zu treiben«, antwortete sein Gefährte; »es ist mein voller Ernst, daß ich Euch bereden möchte, dorthin zu ziehen.«
»Und was dort tun?«
»Nun! den alten Herrn für Euch gewinnen, und die Tränen des bleichen Fräuleins stillen, das wegen Euch Tag und Nacht weint!«
»Und wie soll ich auf den Lichtenstein kommen? der Vater kennt mich nicht, wie soll ich mit ihm bekannt werden?«
»Seid Ihr der erste Rittersmann, der nach Sitte der Väter eine freie Zehrung in einem Schloß fordert? Lasset nur mich dafür sorgen, so sollt Ihr bald auf den Lichtenstein kommen!«
Der Jüngling sann lange Zeit nach, er erwog alle Gründe für und wider, er bedachte, ob es nicht gegen seine Ehre sei, statt vom Schauplatz des Krieges sich zu entfernen, in eine Gegend zu reisen, wohin sich der Krieg notwendig ziehen mußte. Doch als er bedachte, wie mild die Bundesobersten selbst seinen Abfall angesehen hatten, wie sie sogar im Fall seines völligen Übertrittes zum Feinde nur vierzehn Tage Frist angesetzt hatten, als ihm Mariens trauernde Miene, ihre stille Sehnsucht auf ihrem einsamen Lichtenstein vorschwebte, da neigte sich die Schale nach Württemberg.
»Noch einmal will ich sie sehen, nur noch einmal sie sprechen«, dachte er. – »Nun wohlan«, rief er endlich, »wenn du mir versprichst, daß nie davon die Rede sein soll, mich an die Württemberger anzuschließen; daß ich nicht als Anhänger eures Herzogs, sondern als Gast in Lichtenstein behandelt werde, wenn du dies versprichst, so will ich folgen.«
»Für mich kann ich dies wohl versprechen«, antwortete der Bauer, »aber wie kann ich etwas geloben für den Ritter von Lichtenstein?«
»Ich weiß, wie du mit ihm stehst, und daß du oft zu ihm nach Ulm kamst und er sein Vertrauen in dich setzt; so gut du ihm geheime Botschaft aller Art bringen konntest, nicht minder kannst du ihm auch dies beibringen!«
Der Pfeifer von Hardt sah den jungen Mann lange staunend an: »Woher wißt Ihr dies?« rief er, »doch – die, welche mich verfolgten, können auch dies gesagt haben. Nun gut, ich verspreche Euch, daß Ihr überall so angesehen sein sollt, als Ihr wollet; besteiget Euer Roß, ich will Euch führen, und Ihr sollt willkommen sein auf Lichtenstein!«
Da spricht der arme Hirte: »Des mag noch werden Rat,
Ich weiß geheime Wege, die noch kein Mensch betrat,
Kein Mensch mag sie ersteigen, nur Geißen klettern dort,
Wollt Ihr sogleich mir folgen, ich bring Euch sicher fort.«
Von jenem Bergrücken, wo Georg den Entschluß gefaßt hatte, seinem geheimnisvollen Führer zu folgen, gab es zwei Wege in die Gegend von Reutlingen, wo Mariens Bergschloß, der Lichtenstein, lag. Der eine war die offene Heerstraße, welche von Ulm nach Tübingen führt. Sie führte durch das schöne Blautal, bis man bei Blaubeuren wieder an den Fuß der Alb kam, von da quer über dieses Gebirge, vorbei an der Feste Hohen-Urach, gegen Sankt Johann und Pfullingen hin. Dieser Weg war sonst für Reisende, die Pferde, Sänften oder Wagen mit sich führten, der bequemere. In jenen Tagen aber, wo Georg mit dem Pfeifer von Hardt über das Gebirge zog, war es nicht ratsam, ihn zu wählen. Die Bundestruppen hatten schon Blaubeuren besetzt, ihre Posten dehnten sich über die ganze Straße bis gegen Urach hin, und verfuhren gegen jeden, der nicht zum Heer gehörte, oder zu ihnen sich bekannte, mit großer Strenge und Erbitterung. Georg hatte seine Gründe, diese Straße nicht zu wählen, und sein Führer war zu sehr auf seine eigene Sicherheit bedacht, als daß er dem jungen Mann von diesem Entschluß abgeraten hätte.
Der andere Weg, eigentlich ein Fußpfad, und nur den Bewohnern des Landes genau bekannt, berührte auf einer Strecke von beinahe zwölf Stunden nur einige einzeln stehende Höfe, zog sich durch dichte Wälder und Gebirgsschluchten, und hatte, wenn er auch hie und da, um die Landstraße zu vermeiden, einen Bogen machte, und für Pferde ermüdend und oft beinahe unzugänglich war, doch den großen Vorteil der Sicherheit.
Diesen Pfad wählte der Bauer von Hardt und der Junker willigte mit Freuden ein, weil er hoffen durfte, hier auf keine Bündischen zu stoßen. Sie zogen rasch fürbaß, der Bauer war immer an Georgs Seite, wenn die Stellen schwierig wurden, führte er sorgsam sein Pferd und bewies überhaupt so viele Aufmerksamkeit und Sorgfalt für Reiter und Roß, daß in Georgs Seele jene Warnungen Frondsbergs vor diesem Manne immer mehr an Gewicht verloren und er nur einen treuen Diener in ihm sah.
Georg unterhielt sich gerne mit ihm; er urteilte über manche Dinge, die sonst außer dem Kreise des Landmanns liegen, klug und scharfsinnig und mit einem so schlagenden Witz, daß er dem sonst ernsten, jungen Mann, den seine zweifelhafte Lage oft trübe stimmte, unwillkürlich ein Lächeln abnötigte. Von jeder Burg, die in der Ferne aus den Wäldern auftauchte, wußte er eine Sage zu erzählen, und die Klarheit und Lebendigkeit, mit welcher er vortrug, bewies, daß er bei manchem Hochzeitschmaus, bei manchem Kirchweihtanz neben seinem Amt als Spielmann auch das eines Erzählers übernommen haben müsse. Nur sooft Georg auf sein eigenes Leben, besonders auf jene Periode kommen wollte, wo der Pfeifer von Hardt eine bedeutende Rolle in dem Aufruhr des Armen Konrad gespielt hatte, brach er düster ab, oder wußte mit mehr Geläufigkeit, als man dem schlichten Mann zugetraut hätte, das Gespräch auf andere Gegenstände zu bringen.
So waren sie ohne Aufenthalt fortgereist; Hanns wußte immer voraus, wann wieder ein Gehöfte kam, wo sie Erfrischung für sich und gutes Futter für das Pferd finden würden. Überall war er bekannt, überall wurde er freundlich, wiewohl, wie es Georg schien, meistens mit Staunen aufgenommen. Er flüsterte dann gewöhnlich ein Viertelstündchen mit dem Hausvater, während die Hausfrau dem jungen Ritter emsig und freundlich mit Brot, Butter und unvermischtem Äpfelwein aufwartete und die »Büebla« und »Mädla« den hohen, schlanken Gast, seine schönen Kleider, seine glänzende Schärpe, die wallenden Federn seines Barettes, bewunderten. War dann das kleine Mahl verzehrt, hatte Georgs Pferd wieder Kräfte gesammelt, so begleitete das ganze Haus den Scheidenden bis an die Türe, und der junge Reiter konnte zu seiner Beschämung niemals die Gastfreundschaft der guten Leute belohnen, mit abwehrenden Blicken auf den Pfeifer von Hardt, weigerten sie sich standhaft, seine kleinen Gaben anzunehmen. Auch dieses Rätsel löste ihm sein Begleiter nicht; denn seine Antwort: »Wenn die Leute nach Hardt kommen, kehren sie auch wieder bei mir ein«, schien nur eine ausweichende Antwort zu sein.
Die Nacht brachten sie ebenfalls in einem dieser zerstreuten Höfe zu, wo die Hausfrau ihrem vornehmen Gast mit nicht geringerer Bereitwilligkeit auf der Ofenbank ein Bett zurechtmachte, als sie ihm zu Ehren ein paar Tauben geopfert und einen dickgeschmälzten Haberbrei aufgetragen hatte.
Den folgenden Tag setzten sie ihre Reise auf dieselbe Art fort, nur kam es Georg vor, als ob sein Führer mit noch mehr Vorsicht als gestern zu Werke gehe; denn er ließ, wenn sie sich einem Hof nahten, den Reiter wohl fünfhundert Schritte davon haltmachen, nahte sich behutsam den Gebäuden, und erst, nachdem er alles sorgfältig ausgespähet hatte, winkte er dem Junker, zu folgen. Georg befragte ihn umsonst, ob es in dieser Gegend gefährlicher sei, ob die Bundestruppen schon in der Nähe seien? er sagte nichts Bestimmtes darüber.
Doch gegen Mittag, als die Gegend lichter wurde, und der Weg sich mehr gegen das ebene Land herabzuziehen schien, schien auch die Reise gefährlicher zu werden; denn der Spielmann von Hardt schien sich von jetzt an gar nicht mehr den Wohnungen nähern zu wollen, sondern hatte sich in einem Hof mit einem Sack versehen, der Futter für das Pferd und hinlängliche Viktualien für sie beide enthielt; es schien, als ob er meist noch einsamere Pfade als bisher aufsuche; auch glaubte Georg zu bemerken, daß sie nicht mehr dieselbe Richtung befolgen wie früher, sondern sehr stark zur Rechten einbiegen.
Am Rand eines schattigen Buchenwäldchens, wo eine klare Quelle und frischer Rasen zur Ruhe einlud, machten sie halt; Georg stieg ab, und sein Führer bereitete aus seinem Sack ein gutes Mittagsmahl. Nachdem er das Pferd versehen hatte, setzte er sich zu den Füßen des jungen Ritters und begann mit großem Appetit zuzugreifen.
Georg hatte seinen Hunger gestillt und betrachtete jetzt mit aufmerksamem Auge die Gegend. Es war ein schönes breites Tal, in welches sie hinabsahen. Ein kleines Flüßchen eilte schnell durchhin, die Felder, wovon es begrenzt war, schienen gut und fleißig angepflanzt, eine freundliche Burg erhob sich auf einem Hügel am andern Ende des Tales, die ganze Gegend war freundlicher als der Gebirgsrücken, über welchen sie gezogen waren.
»Es scheint, wir haben die Alb verlassen?« sagte der junge Mann, indem er sich zu seinem Gefährten wandte, »dieses Tal, jene Hügel sehen bei weitem freundlicher aus, als der Felsenboden und die öden Weideplätze, die wir durchzogen. Selbst die Luft weht hier milder und wärmer als oben, wo uns die Winde oft so hart anfaßten.«
»Ihr habt recht geraten, Junker«, sagte Hanns, indem er die Reste ihrer Mahlzeit sorgfältig in den Sack legte; »diese Täler gehören schon zum Unterland, und jenes Flüßchen, das Ihr sehet, strömt in den Neckar.«
»Wie kommt es aber, daß wir so weit vom Weg abbiegen?« fragte Georg; »es kam mir schon oben im Gebirge vor, als haben wir die alte Richtung verlassen, aber du wolltest nie darauf hören. Dieser Weg muß, soviel ich die Lage von Lichtenstein kenne, viel zu weit rechts führen.«
»Nun, ich will es Euch jetzt sagen«, antwortete der Bauer, »ich wollte Euch auf der Alb nicht unnötig bange machen, jetzt aber sind wir, so Gott will, in Sicherheit; denn im schlimmsten Fall sind wir keine vier Stunden mehr von Hardt, wo sie uns nichts mehr anhaben sollen!«
»In Sicherheit?« unterbrach ihn Georg verwundert, »wer soll uns etwas anhaben?«
»Ei, die Bündischen«, erwiderte der Spielmann, »sie streifen auf der Alb und oft waren ihre Reiter keine tausend Schritte mehr von uns; mir für meinen Teil wäre es nicht lieb gewesen, in ihre Hände zu fallen, denn sie sind mir, wie Ihr wohl wisset, gar nicht grün; und auch Euch wäre es vielleicht nicht ganz recht, gefangen vor den Herrn Truchseß geführt zu werden!«
»Gott soll mich bewahren!« rief der Junker; »vor den Truchseß? lieber lasse ich mich auf der Stelle totschlagen. Was wollen sie denn aber hier? Es ist ja hier in der Nähe keine Feste von Württemberg, und du sagtest mir ja doch, sie können ungehindert durchs Land ziehen; wornach streifen sie denn?«
»Seht Junker! es gibt überall schlechte Leute; was ein rechter Württemberger ist, der läßt sich eher die Haut abziehen, als daß er den Herzog verrät, nach welchem die Bündler jetzt ein Treibjagen halten. Aber der Truchseß soll unter der Hand einen ganzen Haufen Gold versprochen haben, wenn man ihn fängt; er hat seine Reiter ausgeschickt, diese streifen jetzt überall und die Leute sagen, es gebe einige unter den Bauern, die sich vom Gold blenden lassen, und den Spürhunden alle Klingen und Schlupfwinkel zeigen.«[19]
»Nach dem Herzog sollen sie streifen? Der ist ja aus dem Lande geflohen, oder wie andere sagen, in Tübingen, auf seinem festen Schlosse, wo ihn vierzig Ritter beschützen.«
»Ja, die vierzig Edlen sind dort«, antwortete der Bauer mit schlauer Miene; »auch des Herzogs Söhnlein, der Christoph ist dort, das hat seine Richtigkeit, ob aber der Herzog selbst dort ist, weiß niemand recht. Im Vertrauen gesagt, wie ich ihn kenne, schließt er sich auch nur zur höchsten Not in eine Feste ein; er ist ein kühner, unruhiger Herr; und es ist ihm wohler in den Wäldern und Bergen, wenn es auch Gefahr hat.«
»Den Herzog also suchen sie? also müßte er hier in der Nähe sein?«
»Wo er ist, weiß ich nicht«, erwiderte der Pfeifer von Hardt, »und ich wollte wetten, dies weiß niemand als Gott; aber wo er sein wird, weiß ich«, setzte er hinzu, und es schien Georg, als ob ein Strahl von Begeisterung aus dem Auge dieses Mannes breche: »wo er sein wird, wenn die Not am höchsten ist, wo seine Getreuen sich zu ihm finden werden, wo manche treue Brust zur Mauer werden wird, um den Herrn in der Not gegen diese Bündler zu schützen. Denn ist er auch ein strenger Herr, so ist er doch ein Württemberger, und seine schwere Hand ist uns lieber als die gleißenden Worte des Bayern und des Österreichers.«
»Und wenn sie den unglücklichen Fürsten erkennen, wenn sie auf ihn stoßen? hat er nicht seine Gestalt verhüllt und unkenntlich gemacht? Du hast mir einmal sein Gesicht beschrieben und ich glaube ihn beinahe vor mir zu sehen, besonders sein gebietendes, glänzendes Auge. Aber wie ist seine Gestalt?«
»Er mag kaum acht Jahre älter sein als Ihr«, entgegnete jener, »er ist nicht so groß, als Ihr, aber in vielem Euch ähnlich an Gestalt; besonders wenn Ihr zu Pferd saßet und ich hinter Euch ging, da gemahnte es mich oft und ich dachte, so, geradeso sah der Herzog aus, in den Tagen seiner Herrlichkeit.«
Georg war aufgestanden, um nach seinem Pferd zu sehen; die Worte des Bauern hatten ihn um seine Sicherheit besorgt gemacht, und er sah jetzt erst ein, wie töricht er gehandelt, in diesem Kriegesstrudel sich durch ein okkupiertes Land stehlen zu wollen. Es wäre ihm höchst unangenehm gewesen, in diesem Augenblicke gefangen zu werden; zwar konnte er nach seinem Eide reisen wohin er wollte, wenn er nur in den nächsten vierzehn Tagen keinen tätlichen Anteil an dem Kampfe gegen den Bund nahm; aber er fühlte, welch nachteiliges Licht es dennoch auf ihn werfen müßte, in dieser Gegend, so weit von dem Weg nach seiner Heimat aufgegriffen zu werden, und dazu noch in Gesellschaft eines Mannes, der den Bundesobersten sehr verdächtig, sogar gefährlich geschienen hatte. Umzukehren war keine Möglichkeit, denn es ließ sich beinahe mit Gewißheit annehmen, daß die Bundestruppen bereits die ganze Breite der Alb eingenommen haben; das sicherste schien, sich zu beeilen, über die äußersten Posten des Heeres hinauszukommen; man hatte dann die Gefahr im Rücken, vor und neben sich aber freie Bahn.
Das sonst so muntere Tier, das seinen Herrn über diese Gefahren hinaustragen sollte, hing die Ohren; die große Eile und die ermüdenden, steinigen Fußpfade hatten seine Kraft geschwächt; zu seinem großen Verdruß bemerkte Georg sogar, daß es auf dem linken Vorderfuß nicht gerne auftrete, was nach einem achtstündigen Weg über scharfe, eckigte Felsen nicht zu verwundern war. Der Bauer bemerkte die Verlegenheit des Junkers; er untersuchte das Tier, und riet, es noch einige Stunden stehen zu lassen, gab aber zugleich den Trost, er seie der Gegend so kundig, daß sie eine große Strecke in der Nacht zurücklegen können.
Es ziehen vom Schwabenbunde
Die Jäger durchs Gefild,
Die spüren in die Runde
Nach einem Fürstenwild.
Der junge Mann ergab sich in sein Schicksal, und suchte Zerstreuung in der lieblichen Aussicht, die sich noch bei weitem herrlicher seinen Augen öffnete, als ihn der Bauer etwa fünfzig Schritte höher geführt hatte. Sie standen auf einer Felsenecke, die einen schönen Ausläufer der Schwäbischen Alb begrenzte. Ein ungeheures Panorama breitete sich vor den erstaunten Blicken Georgs aus, so überraschend, von so lieblichem Schmelz der Farben, von so erhabener Schönheit, daß seine Blicke eine geraume Zeit wie entzückt an ihnen hingen. Und wirklich, wer je mit reinem Sinn für Schönheiten der Natur, ohne himmelhohe Alpen, ohne Täler wie das Rheingau zu suchen, die Schwäbische Alb bestiegen hat, dem wird die Erinnerung eines solchen Anblickes unter die lieblichsten der Erde gehören.
Man denke sich eine Kette von Gebirgen, die von der weitesten Entfernung, dem Auge kaum erreichbar, durch alle Farben einer herrlichen Beleuchtung von sanftem Grau, durch alle Nüancen von Blau, am Horizont sich herzieht, bis das dunkle Grün der näher liegenden Berge mit seinem sanften Schmelz die Kette schließt. Auf diesen Gipfeln eines langen Gebirgsrücken erkennt das Auge Schlösser und Burgen ohne Zahl, die wie Wächter auf diese Höhen sich lagern und über das Land hinschauen. Jetzt sind ihre Türme zerfallen, ihre stattlichen Tore sind gebrochen, den tiefen Burggraben füllen Trümmer und Moos, und die Hallen, in welchen sonst laute Freude erscholl, sind verstummt, aber damals, als Georg auf dem Felsen von Beuren stand, ragten sie noch fest und herrlich; sie breiteten sich wie eine undurchbrochene Schar gewaltiger Männer zwischen den Heldengestalten von Staufen und Hohenzollern aus.
»Ein herrliches Land dieses Württemberg«, rief Georg, indem sein Auge von Hügel zu Hügel schweifte; »wie kühn, wie erhaben diese Gipfel und Bergwände, diese Felsen und ihre Burgen; und wenn ich mich dorthin wende gegen die Täler des Neckars wie lieblich jene sanften Hügel, jene Berge mit Obst und Wein besetzt, jene fruchtbaren Täler mit schönen Bächen und Flüssen, dazu ein milder Himmel und ein guter, kräftiger Schlag von Menschen.«
»Ja«, fiel der Bauer ein, »es ist ein schönes Land; doch hier oben will es noch nicht viel sagen, aber was so unter Stuttgart ist, das wahre Unterland, Herr! da ist es eine Freude im Sommer oder Herbst, am Neckar hinabzuwandeln; wie da die Felder so schön und reich stehen, wie der Weinstock so dicht und grün die Berge überzieht, und wie Nachen und Flöße den Neckar hinauf- und hinabfahren, wie die Leute so fröhlich an der Arbeit sind, und die schönen Mädchen singen wie die jungen Lerchen!«
»Wohl sind jene Täler an der Rems und dem Neckar schöner«, entgegnete Georg, »aber auch dieses Tal zu unsern Füßen, auch diese Höhen um uns her haben eigenen, stillen Reiz; wie heißen jene Burgen auf den Hügeln? sage, wie heißen jene fernen Berge?«
Der Bauer überblickte sinnend die Gegend, und zeigte auf die hinterste Bergwand, die dem Auge kaum noch sichtbar aus den Nebeln ragte. »Dort hinten zwischen Morgen und Mittag ist der Roßberg, in gleicher Richtung herwärts, jene vielen Felsenzacken sind die Höhen von Urach. Dort, mehr gegen Abend ist Achalm, nicht weit davon, doch könnt Ihr ihn hier nicht sehen, liegt der Felsen von Lichtenstein.«
»Dort also«, sagte Georg stille vor sich hin, und sein Auge tauchte tief in die Nebel des Abends, »dort wo jenes Wölkchen in der Abendröte schwebt, dort schlägt ein treues Herz für mich; jetzt auch steht sie vielleicht auf der Zinne ihres Felsens und sieht herüber in diese Welt von Bergen, vielleicht nach diesem Felsen hin. O daß die Abendlüfte dir meine Grüße brächten, und jene rosigen Wolken dir meine Nähe verkündeten!«
»Weiter hin, Ihr sehet doch jene scharfe Ecke, das ist die Teck; unsere Herzoge nennen sich Herzoge von Teck, es ist eine gute feste Burg; wendet Eure Blicke hier zur Rechten, jener hohe, steile Berg war einst die Wohnung berühmter Kaiser, es ist Hohenstaufen.«
»Aber wie heißt jene Burg, die hier zunächst aus der Tiefe emporsteigt«, fragte der junge Mann; »sieh nur, wie sich die Sonne an ihren hellen weißen Wänden spiegelt, wie ihre Zinnen in goldenen Duft zu tauchen scheinen, wie ihre Türme in rötlichem Lichte erglänzen.«
»Das ist Neuffen, Herr! auch eine starke Feste, die dem Bunde zu schaffen machen wird.«
Die Sonne des kurzen, schönen Märztages begann während diesem Zwiegespräch der Wanderer hinabzusinken. Die Schatten des Abends rollten dunkle Schleier über das Gebirge, und verhüllten dem Auge die ferneren Gipfel und Höhen. Der Mond kam bleich herauf, und überschaute sein nächtliches Gebiet. Nur die hohen Mauern und Türme von Neuffen rötete die Sonne noch mit ihren letzten Strahlen, als sei dieser Felsen ihr Liebling, von welchem sie ungern scheide. Sie sank, auch diese Mauern hüllten sich in Dunkel, und durch die Wälder zog die Nachtluft, geheimnisvolle Grüße flüsternd dem heller strahlenden Mond entgegen.
»Jetzt ist die wahre Tageszeit für Diebe und für flüchtige Reisende, wie wir«, sagte der Bauer, als er des Junkers Pferd aufzäumte; »sei es noch um eine Stunde, so ist die Nacht kohlschwarz, und dann soll uns, bis die Sonne wieder aufgeht, kein bündischer Reiter ausspüren!«
»Glaubst du es habe Gefahr?« sagte Georg, indem er seine Hand nach dem Helm ausstreckte, und das dünne Barett abnahm. »Meinst du nicht, wir sollen uns besser wappnen?«
»Laßt hängen, Junker«, rief der Bauer lachend, »solch eine Sturmhaube ist an sich schon kalt, und gibt in einer frischen Nacht nicht sehr warm; lasset immer Euer Barett sitzen; in dieser Gegend suchen sie den Herzog nicht, und sollten sie kommen, wir zwei fürchten ihrer vier nicht.«
Der junge Mann ließ zögernd seinen schönen Helm am Sattelknopf hängen, er schämte sich, weniger Mut zu zeigen als sein Begleiter, der unberitten, nur durch eine dünne lederne Mütze geschützt, und mit einer einfachen Axt schlecht bewaffnet war. Er schwang sich auf. Sein Führer ergriff die Zügel des Rosses, und schritt voran den Berg hinab.
»Du meinst also«, fragte Georg nach einer Weile, »bis hieher werden sich die bündischen Reiter nicht wagen?«
»Es ist nicht wohl möglich«, antwortete der Pfeifer, »Neuffen ist ein starkes Schloß und hat gute Besatzung; sie werden es zwar in kurzer Zeit mit Heeresmacht belagern, aber Gesindel wie die Handvoll Reiter des Truchseß wagt sich doch nicht in die Nähe einer feindlichen Burg.«
»Schau! wie hell und schön der Mond scheint«, rief der Jüngling, der, noch immer erfüllt von dem Anblick auf dem Berge, die wunderlichen Schatten der Wälder und Höhen, die hellglänzenden Felsen betrachtete; »siehe wie die Fenster von Neuffen im Mondlicht schimmern!«
»Es wäre mir lieber er schiene heute nacht nicht«, entgegnete sein Führer, indem er sich zuweilen besorgt umsah; »dunkle Nacht wäre besser für uns, der Mond hat schon manchen braven Mann verraten. Doch jetzt steht er gerade über dem Reißenstein, wo der Riese gewohnt hat, es kann nicht mehr lange dauern, so ist er hinunter.«
»Was schwatzt du da von einem Riesen, der auf dem Reißenstein gewohnt hat?«
»Ja, dort hat vor langer Zeit ein Riese gewohnt[20], das hat seine Richtigkeit; dort über dem Berg, gerade wo jetzt der Mond steht, liegt ein Schloß, das heißt der Reißenstein; es gehört jetzt den Helfensteinern; es liegt auf jähen Felsen, weit oben in der Luft, und hat keine Nachbarschaft als die Wolken und bei Nacht den Mond. Geradeüber von der Burg auf einem Berge, worauf jetzt der Heimenstein steht, liegt eine Höhle, und darinnen wohnte vor alters ein Riese. Er hatte ungeheuer viel Gold, und hätte herrlich und in Freuden leben können, wenn es noch mehr Riesen und Riesinnen außer ihm gegeben hätte. Da fiel es ihm ein, er wolle sich ein Schloß bauen, wie es die Ritter haben auf der Alb. Der Felsen gegenüber schien ihm gerade recht dazu.
Er selbst aber war ein schlechter Baumeister; er grub mit den Nägeln haushohe Felsen aus der Alb und stellte sie aufeinander, aber sie fielen immer wieder ein und wollten kein geschicktes Schloß geben. Da legte er sich auf den Beurener Felsen, und schrie ins Tal hinab nach Handwerkern, Zimmerleute, Maurer, Steinmetze, Schlosser, alles solle kommen und ihm helfen; er wolle gut bezahlen.
Man hörte sein Geschrei im ganzen Schwabenland vom Kocher hinauf bis zum Bodensee, vom Neckar bis an die Donau, und überallher kamen die Meister und Gesellen, um dem Riesen das Schloß zu bauen. – Reitet aus dem Mondschein, Junker, hieher in den Schatten, Euer Harnisch glänzt wie Silber, und könnte leicht den Spürhunden in die Augen glänzen!
Nun, um wieder auch den Riesen zu kommen, so war es lustig anzusehen, wie er vor seiner Höhle im Sonnenschein saß, und über dem Tal drüben auf dem hohen Felsen sein Schloß bauen sah, die Meister und Gesellen waren flink an der Arbeit und bauten wie er ihnen über das Tal hinüber zuschrie; sie hatten allerlei fröhlichen Schwank und Kurzweil mit ihm, weil er von der Bauerei nichts verstand. Endlich war der Bau fertig und der Riese zog ein, und schaute aus dem höchsten Fenster aufs Tal hinab, wo die Meister und Gesellen versammelt waren, und fragte sie, ob ihm das Schloß gut anstehe, wenn er so zum Fenster herausschaue. Als er sich aber umsah, ergrimmte er, denn die Meister hatten geschworen, es sei alles fertig, aber an dem obersten Fenster wo er heraussah, fehlte noch ein Nagel.
Die Schlossermeister entschuldigten sich und sagten, es habe sich keiner getraut vors Fenster hinaus in die Luft zu sitzen und den Nagel einzuschlagen. Der Riese aber wollte nichts davon hören, sondern zahlte den Lohn nicht aus, bis der Nagel eingeschlagen sei.
Da zogen sie alle wieder in die Burg, die wildesten Bursche vermaßen sich hoch und teuer, es sei ihnen ein geringes, den Nagel einzuschlagen, wenn sie aber an das oberste Fenster kamen und hinausschauten in die Luft, und hinab in das Tal, das so tief unter ihnen lag, und ringsum nichts als Felsen, da schüttelten sie den Kopf und zogen beschämt ab. Da boten die Meister zehnfachen Lohn, wer den Nagel einschlage, und es fand sich lange keiner.
Nun war ein flinker Schlossergeselle dabei, der hatte die Tochter seines Meisters lieb und sie ihn auch, aber der Vater war ein harter Mann und wollte sie ihm nicht zum Weibe geben, weil er arm war. Der faßte sich ein Herz und gedachte, er könne hier seinen Schatz verdienen oder sterben; denn das Leben war ihm verleidet ohne sie; er trat vor den Meister, ihren Vater, und sprach: ›Gebt Ihr mir Eure Tochter, wenn ich den Nagel einschlage?‹ der aber gedachte seiner auf diese Art loszuwerden, wenn er auf die Felsen hinabstürze und den Hals breche, und sagte ja.
Der flinke Schlossergeselle nahm den Nagel und seinen Hammer, sprach ein frommes Gebet und schickte sich an zum Fenster hinauszusteigen, und den Nagel einzuschlagen für sein Mädchen. Da erhob sich ein Freudengeschrei unter den Bauleuten, daß der Riese vom Schlaf aufwachte und fragte was es gebe. Und als er hörte, daß sich einer gefunden habe, der den Nagel einschlagen wolle, kam er, betrachtete den jungen Schlosser lange und sagte: ›Du bist ein braver Kerl und hast mehr Herz als das Lumpengesindel da; komm ich will dir helfen.‹ Da nahm er ihn beim Genick, daß es allen durch Mark und Bein ging, hob ihn zum Fenster hinaus in die Luft und sagte: ›Jetzt hau draufzu; ich lasse dich nicht fallen.‹
Und der Knecht schlug den Nagel in den Stein, daß er fest saß; der Riese aber küßte und streichelte ihn, daß er beinahe ums Leben kam, führte ihn zum Schlossermeister und sprach, ›diesem gibst du dein Töchterlein.‹ Dann ging er hinüber in seine Höhle, langte einen Geldsack heraus, und zahlte jeden aus bei Heller und Pfenning. Endlich kam er auch an den flinken Schlossergesellen; zu diesem sagte er: ›Jetzt gehe heim, du herzhafter Bursche, hole deines Meisters Töchterlein, und ziehe ein in diese Burg, denn sie ist dein.‹
Des freuten sich alle; der Schlosser ging heim und – –«
»Horch! hörtest du nicht das Wiehern von Rossen?« rief Georg, dem es in der Schlucht, die sie durchzogen, ganz unheimlich wurde. Der Mond schien noch hell, die Schatten der Eichen bewegten sich, es rauschte im Gebüsch, und oft wollte es ihm bedünken, als sehe er dunkle Gestalten im Wald neben ihm hergehen.
Der Pfeifer von Hardt blieb stehen, ungeduldig, daß ihn der Junker nicht bis zum Ende erzählen lasse: »Es kam mir vorhin auch so vor, aber es war der Wind, der in den Eichen ächzt, und der Schuhu rief im Gebüsch. Wären wir nur das Wiesental noch hinüber, da ist es so offen und hell, wie bei Tag; jenseits fängt wieder der Wald an, da ist es dann dunkel, und hat keine Not mehr. Gebt Eurem Braunen die Sporen und reitet Trab über das Tal hin, ich laufe neben Euch her.«
»Warum denn jetzt auf einmal Trab«, fragte der junge Mann; »meinst du, es hat Gefahr? Gestehe nur, nicht wahr, du hast sie auch gesehen die Gestalten im Wald, die neben uns herschlichen. Glaubst du, es sind Bündische?«
»Nun ja«, flüsterte der Bauer, indem er sich umsah, »mir war es auch, als ob uns jemand nachschleiche; drum sputet Euch, daß wir aus dem verdammten Hohlweg herauskommen, und dann im Trab über das Tal hinüber, weiterhin hat es keine Gefahr.«
Georg machte sein Schwert locker in der Scheide, und nahm die Zügel seines Rosses kräftiger in die Faust. Schweigend zogen sie die Schlucht hinab, beleuchtet von so hellem Mondschein, daß der junge Mann jeden Zug seines Gefährten erkennen konnte und deutlich sah, daß er seine Axt auf die Schulter nahm, und ein Messer, das er im Wams verborgen hatte, herausnahm und in den Gürtel steckte.
Sie wollten eben am Ausgang des Hohlweges in das Tal einbiegen, da rief eine Stimme im Gebüsch: »Das ist der Pfeifer von Hardt, drauf Gesellen, der dort auf dem Roß muß der Rechte sein.«
»Fliehet, Junker, fliehet«, rief sein treuer Führer, und stellte sich mit seiner Axt zum Kampf bereit; doch Georg zog sein Schwert, und in demselben Augenblick sah er sich von fünf Männern angefallen, während sein Gefährte schon mit drei andern im Handgemenge war.
Der enge Hohlweg hinderte ihn, sich seiner Vorteile zu bedienen, und auf die Seiten auszubiegen. Einer packte die Zügel seines Rosses, doch in demselben Augenblick traf ihn Georgs Klinge auf die Stirne, daß er ohne Laut niedersank, doch die andern, wütend gemacht durch den Fall ihres Genossen, drangen noch stärker auf ihn ein und riefen ihm zu, sich zu ergeben; aber Georg, obgleich er schon am Arm und Fuß aus mehreren Wunden blutete, antwortete nur durch Schwerthiebe.
»Lebendig oder tot«, rief einer der Kämpfenden, »wenn der Herr Herzog nicht anders will, so mag er's haben.« Er rief's, und in demselben Augenblick sank Georg von Sturmfeder, von einem schweren Hieb über den Kopf getroffen, nieder. In tödlicher Ermattung schloß er die Augen, er fühlte sich aufgehoben und weggetragen, und hörte nur das grimmige Lachen seiner Mörder, die über ihren Fang zu triumphieren schienen.
Nach einer kleinen Weile ließ man ihn auf den Boden nieder, ein Reiter sprengte heran, saß ab und trat zu denen, die ihn getragen hatten. Georg raffte seine letzte Kraft zusammen, um die Augen noch einmal zu öffnen. Er sah ein unbekanntes Gesicht das sich über ihn herabbeugte; »Was habt ihr gemacht?« hörte er rufen, »dieser ist es nicht, ihr habt den Falschen getroffen. Macht, daß ihr fortkommt, die von Neuffen sind uns auf den Fersen.« Matt zum Tode schloß Georg sein Auge, nur sein Ohr vernahm wilde Stimmen und das Geräusch von Streitenden, doch auch dieses zog sich ferne; feuchte Kälte drang aus dem Boden des Wiesentales, und machte seine Glieder erstarren, aber ein süßer Schlummer senkte sich auf den Verwundeten herab, und mit dem letzten Gedanken an die Geliebte entschwanden seine Sinne.