Dritter Teil

I

In Schwaben, wo dein Vater Herzog war,

Wo ihn und dich ein biederes Volk geliebt,

Wo mancher jetzt auf seiner Feste haust,

Der unter deinem Banner einst gekämpft,

Dort muß von dir noch ein Gedächtnis sein,

Dorthin sei unser irrer Pfad gelenkt,

Des Schwarzwalds dichter Schatten nehm uns auf.

L. Uhland

Wohl nie so schwül hat ein Sommer über Württemberg gelegen, als der des Jahres 1519. Das ganze Land hatte dem Bunde gehuldiget, und meinte es werde jetzt Ruhe haben. Aber jetzt erst zeigten die Bundesglieder deutlich, daß es nicht die Wiedereinnahme von Reutlingen gewesen sei, was sie zusammenführte. Sie wollten bezahlt sein, sie wollten Entschädigung haben für ihre Mühe. Die einen wollten, man solle Württemberg unter sie teilen, die andern, man solle es an Östreich verkaufen, die dritten wollten es Ulerichs Kindern erhalten – aber unter des Bundes Obervormundschaft. Sie stritten sich um den Besitz des Landes, auf das weder der eine noch der andere gerechte Ansprüche machen konnte. Das Land selbst war in Spaltung und Parteien. Es sollte die Kriegskosten decken, und doch war niemand da, der zahlen wollte. Die Ritterschaft hielt es für eine erwünschte Gelegenheit, sich ganz vom Lande loszusagen, und sich für unabhängig zu erklären. Die Bürger und Bauern waren ausgesogen, ihre Felder waren verwüstet und zertreten, sie sahen nirgends eine Aussicht sich zu erholen; die Geistlichkeit wollte auch nicht allein bezahlen, und so war alles in Hader und Streit. Es ging auch vielen tief zu Herzen, daß ihr angeborner Fürst so schnöde behandelt worden war; manchen kam jetzt, da der Herzog fern von dem Lande seiner Väter in Verbannung hauste, Reue und Sehnsucht an. Sie verglichen sein Regiment mit dem jetzigen; es war nicht besser, wohl aber schlimmer geworden. Aber sie lebten unter zu hartem Zwang, als daß sie ihre Schmerzen hätten offenbaren können.

Der Regentschaft des Bundes entging diese Unzufriedenheit des Volkes nicht; sie mußte, wie sich in alten Berichten findet, »manche seltsame und böse Rede« hören. Sie suchten durch geschärfte Strenge sich Anhänglichkeit zu erwerben; sie streuten Lügen über den Herzog aus.[37] Man gebot den Priestern gegen ihn zu predigen, wer von ihm Gutes rede, soll gefangen werden, wer ihn heimlich unterstütze, soll der Augen beraubt, sogar enthauptet werden.

Aber Ulerich hatte noch treue Leute unter dem Landvolk, die ihm auf geheimen Wegen Kunde brachten, wie es in Württemberg stehe. Er saß in seiner Grafschaft Mömpelgard, und harrte dort mit den Männern, die ihm ins Unglück gefolgt waren, auf günstige Gelegenheit in sein Land zu kommen. Er schrieb an viele Fürsten, er beschwor sie ihm zu Hülfe zu kommen; aber keiner nahm sich seiner sehr tätig an. Er schrieb an die zur neuen Kaiserwahl versammelten Kurfürsten, sie halfen nicht; das einzige was sie taten, war, dem neuen Kaiser in seiner Kapitulation eine Klausel anzuhängen, die Württemberg und den Herzog betraf – er hat sie nicht geachtet. Als sich der Herzog von aller Welt also verlassen sah, wankte er dennoch nicht, sondern setzte alles daran, sein Land mit eigener Macht wiederzuerobern. Es waren einige Umstände, die für ihn sehr günstig schienen. Der Bund hatte nämlich, als er Kunde bekam, daß sich niemand des Vertriebenen annehmen wolle, seine Völker entlassen. Die meisten Städte und Burgen behielten nur sehr schwache Besatzungen, und selbst in Stuttgart waren nur wenige Fähnlein Knechte gelassen worden.

Durch diese Maßregel aber hatte sich der Bund einen Feind erworben, den man geringschätzte, der aber viel zur Änderung der Dinge beitrug – es waren dies die Landsknechte. Diese Menschen aus allen Enden und Orten des Reiches zusammengelaufen, boten gewöhnlich dem ihre Hülfe an, der sie am besten zahlte; für was und gegen wen sie kämpften war ihnen gleichgültig. Um sie zu halten mußte man ihnen vieles nachsehen, und Raub, Mord, Plünderung, Brandschatzen, führten sie auf ihre eigene Faust aus, um sich zu entschädigen, wenn sie den Sold nicht richtig bekamen. Georg von Frondsberg war der erste gewesen, der sie durch sein Ansehen im Heere, durch tägliche Übungen und unerbittliche Strenge, einigermaßen im Zaum hielt; er hatte sie in regelmäßige Rotten und Fähnlein eingeteilt, er hatte ihnen bestimmte Hauptleute gegeben, er hatte sie gelehrt, geordnet in Reihen und Gliedern zu fechten. Sie zeigten aber jetzt, daß sie aus einer guten Schule kamen; denn als sie vom Bunde entlassen waren, liefen sie nicht wie früher, zerstreut durch das Land, um Dienste zu suchen, sondern rotteten sich zusammen, richteten zwölf Fähnlein auf, erwählten aus ihrer Mitte Hauptleute[38], und selbst einen Obersten in der Person des langen Peters. Sie waren schwürig auf den Bund, nährten sich von Raub und Brandschatzen im Land, und führten Krieg auf eigene Rechnung. Die Anarchie war in Württemberg so groß, daß ihnen niemand die Spitze bot. Der Bund hatte sich an Streitkräften entblößt, und war zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, als daß er das arme Land von dieser Bande befreit hätte; die Ritterschaft war uneinig, sie saßen auf den Schlössern und sahen ruhig diesem Treiben zu; die Besatzung der Städte war zu gering, um ihnen mit Kraft Einhalt zu tun, und Bürger und Bauern sahen sogar diesen Haufen gerne, wenn seine Forderungen nur nicht allzu groß waren, denn die Landsknechte schimpften weidlich auf den Bund, dem niemand hold war; ja es ging sogar die Sage, diese Kriegsmänner seien nicht abgeneigt, dem Herzog wieder zu seinem Land zu verhelfen.

Es war ein schöner Morgen in der Mitte Augusts, als sich diese Leute in einem Wiesentale gelagert hatten, das der Grenze von Baden zunächst gelegen war. Die riesigen, schwarzen Tannen und Föhren, die das Tal auf drei Seiten einschlossen, gehörten noch dem Schwarzwald an, und das Flüßchen, das durch das Tal eilte, war die Würm. Halb überschattet vom Wald, halb in den Weidenbüschen des Tales versteckt, lag das kleine Heer in wunderlichen Gruppen und pflegte der Ruhe. In der Entfernung von zweihundert Schritten sah man Posten aufgestellt, deren blitzende Lanzen oder rotglühende Lunden schon von weitem Furcht einjagten. In der Mitte des Tales im Schatten einer Eiche saßen fünf Männer um einen ausgespannten Mantel, den sie als Tisch gebrauchten, um ein Spiel auf ihm zu spielen, das heute noch den Namen Landsknecht führt. Diese Männer zeichneten sich vor ihren übrigen Genossen durch breite, rote Binden aus, die sie über die Schulter und Brust herabhängen hatten, sonst aber hatte ihre Bekleidung auch das zerrissene und morsche Aussehen, wie das der übrigen Soldateska. Einige hatten Sturmhauben auf, andere große Filzhüte mit eisernen Bändern beschlagen, dazu Lederkoller, welche von Regen, Staub und Biwaks alle mögliche Schattierungen erhalten hatten.

Bei näherem Blick erkannte man übrigens noch zwei Dinge, durch welche sie sich von ihren Kameraden unterschieden. Sie führten nämlich keine Donnerbüchsen oder Spieße, wie sie die Landsknechte gewöhnlich trugen, sondern Raufdegen von ungemeiner Länge und Breite. Auch hatten sie, wie es damals die Edelleute und Anführer trugen, auf ihren Hüten und Sturmhauben, bunte, wallende Federbüsche aus Hahnenschwänzen, um sich ein ritterliches Ansehen zu geben.

Die fünf Männer schienen große Geschicklichkeit im Spiel zu besitzen, vorzüglich aber einer, der sich mit dem Rücken an die Eiche lehnte. Es war dies ein langer wohlbeleibter Mann. Er hatte einen Hut auf, dessen Rand sich wie ein bedeutender Mühlstein um den Kopf zog; der Hut war mit einer Goldtresse besetzt, auf der Stirnseite war er mit dem goldenen Bild des heiligen Petrus geschmückt, aus welchem zwei ungeheure rote Hahnenfedern hervorragten. Dieser Mann mußte weit in der Welt herumgekommen sein, denn er konnte auf französisch, italienisch, ungarisch fluchen, seinen Bart aber trug er ungarisch, er hatte ihn nämlich mit Pech so zusammengedreht, daß er wie zwei eiserne Stacheln auf beiden Seiten der Nase eine Spanne in die Luft hinausstarrte.

»Canto cacramento!« rief dieser große Mann mit einem dröhnenden Baß, »der kleine Wenzel ist mein; drauf! ich stech ihn mit dem Eichelkönig.«

»Mein ist er, mit Verlaub«, rief sein Nebenmann, »und der König dazu; da liegt die Eichelsau!«

»Mord de ma Vich, zagt der Franzoz; Hauptmann Löffler, Ihr wollt Eurem Oberst diesen Stich abjagen? Schämt Euch, schämt Euch; daz ist ein Rebeller, der daz tut; Gott straf mein Zeel, Ihr wollt mich vom Regiment absetzen?« Der große Mann funkelte zu diesen Worten gräßlich mit den Augen, schob seinen großen Hut auf das Ohr, daß seine überhängenden Augenbrau'n und eine mächtige rote Narbe auf der Stirne sichtbar wurden, die ihm ein ungemein kriegerisches Ansehen gaben.

»Beim Spiel, Herr Oberst Peter, gilt keine Kriegsordnung«, antwortete der andere Spieler. »Ihr könnet uns Hauptleuten befehlen, ein Städtchen zu blockieren und zu brandschatzen, aber beim Spiel ist jeder Landsknecht so gut wie wir.«

»Ihr zeid ein Meuter, ein Rebeller gegen die Obrigkeit, Gott straf mein Zeel, und wäre es nicht gegen meine Würde, ich wollt Euch in Kochstücke mazakerieren; aber spielt weiter.«

»Da liegt ein Daus« – »drauf der Quater« – »den stech ich mit dem Zinken«, – »Schellenwenzel, wer sticht den? –«

»Ich«, sprach der Große, »da liegt der Schellenkönig, Mordblei! der Stich ist mein.«

»Wie bringst du den Schellenkönig rauf?« rief ein kleines, dürres Männchen mit spitzigem Gesicht und kleinen, giftigen Äuglein und heiserer Stimme, »hab ich nicht gesehen als du ausgabst, daß er unten liegt? Er hat betrogen, der lange Peter hat schändlich betrogen.«

»Muckerle, Hauptmann vom achten Fähnlein! ich rat Euch, haltet Euer Maul«, sagte der Oberst, »Bassa manelka, ich versteh keinen Spaß; die Mauz zoll den Löwen nicht erzürnen.«

»Und ich sag's noch einmal; wo hättest du sonst den König her? Vor dem Papst und dem König von Frankreich will ich's beweisen; du falscher Spieler!«

»Muckerle«, erwiderte der Oberst, und zog kaltblütig seinen Degen aus der Scheide, »bete noch ein Ave Maria und ein Gratias, denn ich schlage dich tot, zo wie daz Spiel auz ist«

Die übrigen drei Männer wurden durch diese Streitigkeiten aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Sie erklärten sich für den kleinen Hauptmann, und gaben nicht undeutlich zu verstehen, daß man dem Obersten wohl dergleichen zutrauen könnte; dieser aber vermaß sich hoch und teuer, er habe nicht betrogen. »Wenn der heilige Petruz, mein gnädiger Herr Patron, den ich auf dem Hut trage, sprechen könnte, der würde mir, zo wahr er ein christlicher Landsknecht war, bezeugen, daß ich nicht betrogen!«

»Er hat nicht betrogen«, sagte eine tiefe Stimme, die aus dem Baum zu kommen schien. Die Männer erschraken und schlugen Kreuze wie vor einem bösen Spuk, selbst der tapfere Oberst erbleichte und ließ die Karte fallen, aber hinter dem Baum hervor trat ein Bauersmann, der mit einem Dolch bewaffnet war, und eine Zither an einem ledernen Riemen auf der Schulter hängen hatte. Er sah die Männer mit unerschrockenen Blicken an und sagte: »Es ist wie ich sagte, dieser Herr da hat nicht betrogen, er bekam schon beim Ausgeben, Schellen und Eichelkönig, Fünfe und Vier von Laub und den Schippenunter in die Hand.«

»Ha! du bist ein wackerer Kerl«, rief der Oberst vergnügt, »zo wahr ich ein ehrlicher Landsknecht – will zagen Oberst bin, ez ist all wahr waz du gezagt hast.«

»Was ist denn das?« rief der kleine Hauptmann Muckerle mit giftigen Blicken, »wie hat sich der Bauer daher eingeschlichen, ohne daß unsere Wachen ihn meldeten? Das ist ein Spion, man muß ihn hängen!«

»Zei nicht wunderlich, Muckerle; daz ist kein Spioner; komm, zez dich zu mir. Bist ein Spielmann, daß du die Cittarra umhängst, wie ein Spanier, wenn er zu zeinem Schätzerl geht?«

»Ja Herr! ich bin ein armer Spielmann; Eure Wachen haben mich nicht angehalten, als ich aus dem Wald kam. Ich sah Euch spielen, und wagte es den Herren zuzusehen.«

Die Hauptleute dieses Freikorps waren nicht gewohnt so höflich mit sich sprechen zu hören, daher faßten sie Zuneigung zu dem Spielmann, und luden ihn sehr herablassend ein, sich zu ihnen zu setzen, denn sie hatten in fremden Kriegsdiensten gelernt, daß große Könige und Feldherren sehr vertraulich mit den Meistern des Gesanges umgehen.

Der Oberste tat einen Trunk aus einer zinnernen Flasche, bot sie dem kleinen Hauptmann und sprach mit heiterer Miene: »Muckerle, daz zoll mein Tod zein, waz ich getrunken, wenn ich nicht allez vergesse; Hader und Zank haben ein Ende; wir wollen nicht weiterspielen, ihr Herren; ich liebe Gezang und Lautenspiel, wie wäre ez, wenn wir uns aufspielen ließen?«

Die Männer willigten ein, und warfen die Karten zusammen; der Spielmann stimmte seine Zither, und fragte was er singen solle?

»Sing ein Lied vom Spiel!« rief einer; »weil wir gerade dran sind.«

Der Spielmann sann ein wenig nach und hub an:


»Von dem Zinken, Quater und As

Kommt mancher in des Teufels Gaß,

Von Quater, Zinken und von Dreien

Muß mancher Waffengo schreien,

Von As, Seß und Daus

Hat mancher gar ein ödes Haus,

Von Quater Drei und Zinken

Muß mancher lauter Wasser trinken.

Von Zinken, Drei und Quater

Weinen oft Mutter, Kind und Vater,

Von Zinken, Quater und Seß

Muß Jungfrau, Metz und Agnes,

Oft gar lang unberaten bleiben

Will er die Läng das Spiel betreiben.«[39]


Der Oberst Peter und die Hauptleute lobten das Lied und reichten dem Spielmann zum Dank die Flasche; »Gott gesegne es euch«, sagte dieser, indem er die Flasche zurückgab; »viel Glück zu eurem Zuge; ihr seid wohl Obersten und Hauptleute des Bundes und ziehet wieder zu Feld? darf man fragen gegen wen?«

Die Männer sahen sich an und lächelten, der Oberst aber antwortete ihm: »Ganz unrecht habt Ihr nicht, wir haben früher dem Bund gedient, jetzt aber dienen wir niemand alz unz zelbst, und wer Leute braucht wie wir zind.«

»Die Schweizer werden heuer ein gutes Jahr haben, man sagt ja, der Herzog wolle wieder ins Land?«

»Aller Hund Krümmen komme auf die Schweizer«, rief der Oberst; »wie übel zind zie an ihm gefahren; der gute Herzog hat all zeine Hoffnung auf zie gesetzt, und diavolo maledetto wie haben zie ihn im Stich gelassen bei Blaubeuren!!«

»Sie haben ihn schändlich gelassen«, sagte der Hauptmann Muckerle mit heiserer Stimme; »aber doch so man's beim Licht b'sieht, so g'schieht ihm wohl halb recht, dann er sollt sie je wohl kennt haben; es leit doch am Tag, daß sie kein dick's Brittlein bohren. Der Tüfell hol sie all«

»Ja, der Herzog hat halt nichts Besseres haben können«, entgegnete der Spielmann; »freilich wenn er solche Herren gehabt hätte, wie ihr und eure tapfere Fähnlein, da wäre der Bund noch bei Ulm.«

»Du hast da ein wahrez Wort gesprochen, guter Gezell! Landsknecht' hätte er zollen haben und keine Schwyzer. Und hält er zich jetzt wieder zu ihnen, zo weiß ich waz ich von ihm halte. Landsknecht' hätt er zollen haben, ich zag's noch einmal. Nicht wahr, Magdeburger?«

»Dat well ich man och meenen«, antwortete der Magdeburger. »Landsknechte oder keener können den Heertog wieder eup den Stuhl setzen. Die Schweizer können man gar nichts als mit den Hellebarden in die Glieder stechen; dat ist all ihre Kunst. Aber Ihr solltet man sehen, wie wir die Donnerbüchsen laden, uf die Gabel legen un mit dem Lunden drauf, dat dich dat Wetter; dat Manäfer macht uns keener nich nach; Gott straf mir keener. Sie brauchen ein halve Stunde, um ihre Kugeln loszuschießen, und wir Landsknecht eene halbe Vertelstund.«

»Ja, alle Achtung vor den Herren Landsknechten«, sagte der Spielmann, und lüftete ehrerbietig die Mütze; »freilich euch Herren sollt er haben. Aber der Bund wird euch so gut belohnt haben, daß ihr dem armen Herzog nicht zu Hülfe ziehen möget.«

»Gelohnt, socht er?« rief der fünfte Hauptmann und lachte; »jo wenn er 's Geld von Blech schlagen könnt. Der schwäbisch' Hund! bei denen gilt's Sprichwort:


›Dien wohl und fordre keinen Sold,

So werden dir die Herren hold.‹


Ich sog schlecht hot er uns bezohlt; und wenn Seine Durchlaucht der Herr Herzog mi hoben will, i steh 'nem z'Dienst wie jedem.«

»Staberl, du hast recht«, sagte der Oberst, und wichste den ungarischen Bart. »Mordblei, die Kaz ist gern, wo man sie strählet; wenn der Herr Ulerich gut zahlt, zo wird, Gott straf mein Zeel, unsere ganze Mannschaft mit ihm ziehen.«

»Nun, das werdet Ihr bald sehen können«, entgegnete der Bauer listig lächelnd, »habt Ihr noch keine Antwort vom Herzog auf Eure Botschaft?«

Der Oberst Peter ward feuerrot bis in die Stirne. »Mordelement! wer bist denn du, Menschenkind, daz du mein Geheimnuz weißt? wer hat dir gezagt, daz ich zum Herzog schickte.«

»Zum Herzog hob Er g'schickt, Peter? Wos hobt er denn für G'heimnis mitenonder, doß wir's nit wissen dörften? Sog es nur gleich!«

»Nun, ich hab gedacht, ich müsse wieder einmal für euch alle denken wie immer und hab einen Mann zum Herzog geschickt, ihm in unzerm Namen einen schönen Gruz entboten und fragen lassen, ob er unz brauchen könnt. Dez Monats für den Mann einen halben Dicktaler, uns Obersten und Hauptleut aber ein Goldgülden und täglich vier Maaz alten Wein.«

»Dat is keen bitterer Vorschlach, der Teiwel! eenen Goldgülden monatlich? ich bin dabei und es wird keener wat dagegen haben. Hast du Antwort von den Heertog?«

»Bis jetzt noch keine; aber Bassa manelka! wie kamst du zu meinem Geheimnuz, Bauer? Ich hau dir ein Ohr ab, Gott straf mein Zeel, zo tu ich, wie mein Patron der heilige Petruz, war auch ein Landsknecht, dem Malchuz, der war von den jüdischen Schwyzern, ein Hellebardierer. Zag schnell oder ich hau.«

»Langer Peter!« rief der kleine Hauptmann Muckerle, mit ängstlicher Stimme, »laß um Gotts willen den gehen; der ist fest und kann hexen; ich weiß noch wie heut, daß wir ihn in Ulm fangen sollten und in Herrn von Krafts des Ratschreibers Stall kamen, wo er sich aufhielt, denn er war ein Kundschafter, so machte er sich klein und immer kleiner, bis er ein Spatz wurde und über uns 'naus flog.«

»Waz?« schrie der tapfere Oberst und rückte von dem Spielmann hinweg, »der ist's? Wo dann der Magistrat auzrufen ließ, man zolle alle Spatzen totschießen, weil zich ein württemberger Spioner in einen verwandelt habe? Man heißt zie glaub ich, jetzt noch die Ulmer Spatzen!«

»Der ist's«, flüsterte Muckerle; »es ist der Pfeifer von Hardt, ich hab ihn gleich erkannt.«

Der Oberst und die Hauptleute hatten sich von ihrem Erstaunen noch nicht ganz erholt. Sie sahen den Mann, von welchem der Ruf so wunderbare Dinge erzählte, halb ängstlich, halb neugierig an. Er selbst hatte ein zu wohlgeübtes Ohr, als daß er nicht verstanden hätte, was diese Leute unter sich flüsterten; aber er tat, als bemerke er ihr Staunen und Verstummen nicht; er beschäftigte sich ruhig mit seiner Zither. Endlich faßte sich der lange Peter, wohlbestallter Oberst dieses Heeres ein Herz, zwirbelte den Bart einigemal, zog dann den ungeheuern Hut vom Kopf und sprach: »Verzeihet doch, lieber Gezelle, wertgeschätzter Pfeifer, daß wir zo ohne alle Umstände mit Euch verfahren zind; konnten wir denn wissen, wen wir da neben unz haben? Zeit vielmal gegrüßet, hab schon oft, Gott straf mein Zeel, gedacht, möchte nur einmal den fürtrefflichen Kerl zehen, den Pfeifer von Hardt, der in Ulm am hellen Tag alz Spatz auzgeflogen.«

»Ist schon gut«, unterbrach ihn der Spielmann unmutig; »lasset die alten Geschichten ruhen. Nun, von wegen des Herzogs kam mir die Nachricht zu, ich soll euch Herren auf den heutigen Tag aufsuchen, und wenn ihr noch geneigt wäret, mit ihm zu ziehen, so wolle er gerne zahlen, was ihr ihm vorgeschlagen.«

»Canto cacramento! daz ist ein frommer Herr! ein Goldgülden dez Monats und täglich vier Maaz Wein! Er zoll leben!«

»Und wann wird er kommen?« fragte der Hauptmann Löffler; »wo werden wir zu ihm stoßen?«

»Wenn kein Unglück geschehen ist, heute noch. Heute ist er auf Heimsheim losgebrochen, die Besatzung ist schwach, wenn er sie überwältigt hat, rückt er heute noch weiter.«

»Schaut! reitet dort unten nicht ein Geharnischter? Sieht aus wie ein Ritter!« Die Männer sahen aufmerksam nach dem Ende des Tales; dort sah man einen Helm und Harnisch in der Sonne blinken, auch ein Pferd wurde hie und da sichtbar. Der Pfeifer von Hardt sprang auf und klimmte auf die Eiche hinan; von diesem hohen Standpunkt konnte er das Tal besser übersehen; noch war der Reiter zu fern, als daß er seine Züge hätte unterscheiden können, aber er glaubte seine Feldbinde zu erkennen, er glaubte den Mann zu erkennen, den er in dieser Stunde erwartete.

»Was siehst du?« riefen die Hauptleute, »ist es einer, der zufällig durchs Tal reitet, oder glaubst du, er kommt vom Herzog?«

»Richtig, weiß und blau ist die Schärpe«, sprach der Pfeifer; »das ist sein langes Haar, so sitzt er zu Pferd, ei du Goldjunge, willkommen in Württemberg! Jetzt sieht er eure Wachen, jetzt reitet er auf sie zu, schau wie die Bursche ihre Lanzen vorstrecken und die Beine ausspreizen!«

»Ja, was Landsknechte sind, die verstehen den Kriegsbrauch; darf keiner vorbei, wo die Hauptleute liegen, ohne daß er Rede steht.«

»Halt! jetzt rufen sie ihn an; er spricht mit ihnen, sie deuten hieher; er kommt!« Der Pfeifer von Hardt stieg mit freudeglühendem Gesicht vom Baum herab.

»Diavolo maledetto! bassa marendete! Zie werden ihn doch nicht allein reiten lassen? ez wird doch einer zein Roß am Zügel führen nach Kriegesbrauch! Wie? ist ez ein Ritter, der kommt?«

»Ein Edelmann so gut wie einer im Reich«, antwortete der Pfeifer; »und der Herzog ist ihm sehr gewogen.« Bei dieser Nachricht standen die Hauptleute auf, denn, ob sie sich gleich nicht wenig einbildeten, Hauptleute zu heißen, so wußten sie doch, daß sie eigentlich nur Landsknechte und dem Ritter jedes Zeichen von Ehrerbietung schuldig seien. Der Oberst aber setzte sich gravitätisch am Fuß der Eiche nieder, strich den Bart, daß er hell glänzte, setzte den großen Hut mit der Hahnenfeder zurecht, stützte sich auf seinen großen Hieber und erwartete so den Ritter.

II

Der Herzog ist gekommen,

Er liegt nicht weit im Feld;

Er hat's dem Feind genommen,

Er bringt 'nen Sack mit Geld.

G. Schwab

Dem Platze, wo die Hauptleute und der lange Peter, ihr Oberst, versammelt waren, nahte sich jetzt ein geharnischter Reiter, dessen Pferd von zwei Landsknechten geführt wurde. Der Ritter hatte das Visier seines blanken Helmes herabgeschlagen, die breiten Schultern und die kräftigen Lenden und Beine waren mit Platten und Schienen von Stahl verhüllt, aber die wallenden Federn seines Helmbusches und die wohlbekannten Farben einer Schärpe, die über den Panzer herablief, die Haltung und das edle, kräftige Wesen des Nahenden hatten dem Pfeifer von Hardt längst gesagt, wen er zu erwarten habe. Und er betrog sich nicht, denn einer der Knechte trat jetzt vor den Oberst und berichtete, daß der »Edle von Sturmfeder« mit den Anführern der gesamten Landsknechte etwas zu sprechen habe.

Der lange Peter antwortete im Namen der übrigen: »Zag ihm, er ist willkommen, Peter Hunzinger der Oberst, Ztaberl von Wien, Kunrad der Magdeburger, Balthasar Löffler und der tapfere Muckerle, wohlbestallte Hauptleute erwarten ihn zum Gespräch. – Gott straf mein Zeel, er hat einen schönen Harnisch und einen Helm wie der König Franz; aber zein Gaul dürfte besser zein, Mordblei! er ist an allen vieren steif!«

»Dos ist holt, sog ich, weil er den gonzen Sommer g'stonden ist in Mömpelgard beim Herzog.«

Die Männer belächelten den Witz des Wieners, doch hüteten sie sich, ihre Freude laut werden zu lassen, denn der Ritter hielt nicht allzu ferne. Noch immer machte er aber keine Miene, abzusteigen und sich ihnen zu nahen; er sprach mit dem Knecht, schlug dann das Visier auf und zeigte ein schönes freundliches Gesicht. »Steht dort nicht Hanns der Spielmann?« rief er mir lauter Stimme. »Erlaubet, daß er ein wenig zu mir trete.«

Der Oberst nickte dem Pfeifer zu, er ging und der Junker schwang sich vom Pferde. »Willkommen in Württemberg, edler Herr«, rief der Mann von Hardt, indem er den Handschlag des Junkers treuherzig erwiderte. »Bringt Ihr gute Botschaft? ich seh's Euch an den Augen an, es steht gut mit dem Herzog.«

»Komm! tritt hier ein wenig auf die Seite«, sagte Georg von Sturmfeder mit freudiger Hast. »Wie steht es auf Lichtenstein? denkt sie an mich? hast du einen Brief, ein paar Zeilen? o gib schnell! was läßt sie mir sagen, guter Hanns?«

Der Pfeifer lächelte schlau über die Ungeduld des liebenden Jünglings »Einen Brief hab ich nicht; keine Zeile. Sie ist gesund und der alte Herr auch; das ist alles was ich weiß.«

»Wie!« unterbrach ihn Georg; »keinen Gruß? keine Botschaft? So hat sie dich gewiß nicht ziehen lassen!«

»Als ich vorgestern Abschied nahm, sagte das Fräulein: ›Sag ihm, er soll sich sputen, daß er einziehet in Stuttgart,‹ sie wurde geradeso rot wie Ihr jetzt, als sie dies sprach.«

Der junge Mann errötete voll freudiger Gefühle, sein Auge glänzte und ein freundliches Lächeln zeigte, daß er den Sinn dieser Worte verstanden habe.

»Bald, bald werden wir einziehen, so Gott will«, sagte er. »Aber wie lebten sie diesen langen Sommer; nur dreimal kam uns Botschaft von ihnen zu! Warst du oft auf Lichtenstein, Hanns? War sie traurig? was sprach sie?«

»Lieber Herr«, antwortete der Mann von Hardt, »geduldet Euch noch, auf dem Marsch will ich Euch ein langes und breites erzählen, für jetzt nur so viel: sobald der Alte hört, daß Ihr auf Stuttgart ziehet, will er von Lichtenstein aufbrechen und Euch die Braut zuführen. Denn er zweifelt nicht, daß Ihr die Stadt überwältiget. Habt Ihr Heimsheim?«

»Wir haben es; ich jagte mit zwölf Reitern in die Tore, ehe sie sich's versahen. Die Besatzung war zwar etwas stärker, als wir, aber mutlos und unzufrieden. Ich handelte mit ihnen in des Herzogs Namen, da glaubten sie, er liege mit vielen Truppen noch im Hinterhalt und ergaben sich. So weit wären wir nun in Württemberg, aber wie ist der Weg weiterhin?«

»Offen, bis ins Herz offen. Ich bringe Euch wichtige Nachricht vom Ritter von Lichtenstein, daß die gewaltigen Herren aus dem Lande sind, wisset Ihr –«

»Sie halten einen Bundestag in Nördlingen[40], ist's nicht so? freilich wissen wir's, denn auf diese Nachricht, brach der Herzog aus Baden auf.«

»Nun, und wenn die Katzen fort sind, tanzen die Mäuse auf dem Tisch! Die Besatzungen sind überall unbesorgt; an den Herzog denkt kein Bündler mehr, sie sind nur aufmerksam auf den Bundestag, welchen Herrn wir bekommen werden; den Österreicher, den Bayer, den Prinzen Christophel oder ob uns der Städtebund, Augsburg und Aalen, Nürnberg und Bopfingen regieren werde.«

»Welche Augen sie machen werden«, rief Georg lächelnd, »wenn der Stuhl schon besetzt ist, um welchen sie streiten!


›Der Frosch hüpft wieder in sein Pfuhl,

Wenn er auch säß auf einem goldnen Stuhl‹,


sagt's Sprichwort; sie werden ihre Büchsen auf die Schulter nehmen und 's Regieren sein lassen.«

»Und die Württemberger? wie denken sie jetzt vom Herzog? glaubst du, er wird viel Anhang finden? Werden sie uns zu Hülfe ziehen?«

»Was Bürger und Bauern sind, ja. Von der Ritterschaft weiß ich's nicht und der alte Herr zuckte die Achsel, wenn ich ihn fragte und murmelte ein paar Flüche. Ich fürchte, es steht hier nicht alles, wie es soll. Aber Bürger und Bauern, die sind für den Herzog. Es sind allerlei sonderbare Zeichen geschehen, die das Volk aufmuntern. So ist neulich im Remstal ein Stein vom Himmel gefallen, drauf war ein Hirschgeweih eingegraben und die Worte: ›Hie gut Württemberg allweg‹ und auf der andern Seite soll man auf lateinisch gelesen haben: ›Herzog Ulerich soll leben!‹ «[41]

»Vom Himmel gefallen, sagst du?«

»So sagt man. Die Bauern hatten große Freude dran, aber die bündischen Herren wurden zornig, nahmen die Schulzen gefangen und wollten ihnen abpressen, woher der Stein des Anstoßes komme. Und als man bei hoher Strafe verbot, vom Herzog zu sprechen, da lachten die Männer und sagten, jetzt träumen wir von ihm. Alles wünscht ihn zurück, denn sie wollen sich lieber von ihrem anerkannten Herrn drücken als von Fremden die Haut abziehen lassen.«

»Gut; der Herzog und seine Reiter können in wenigen Stunden hier sein. Sein Plan ist, sich gerade durchs Land nach Stuttgart zu schlagen. Ist die Hauptstadt unser, so fällt uns auch das Land zu. Und wie ist es mit den Landsknechten dort? wollen sie mitziehen?«

»Fast hätte ich die vergessen«, sagte Hanns; »sie werden ungeduldig werden, wenn wir sie zu lange warten lassen. Gehet doch recht klug mit ihnen um, es sind stolze Gesellen und lassen sich Hauptleute schelten; aber haben wir die fünfe gewonnen, so sind zwölf Fähnlein des Herzogs. Besonders mit dem Oberst, dem langen Peter, müßt Ihr gar höflich sein.«

»Welcher ist der lange Peter?«

»Der dicke Mann, der unter der Eiche sitzt. Er hat einen steifen Schnauzbart und einen vornehmen Hut auf dem Kopf. Der ist der Höchste unter ihnen.«

»Ich will mit ihm reden, wie du sagst«, antwortete der junge Mann und ging mit dem Pfeifer zu den Landsknechten. Die lange Unterredung der beiden hatte sie schon etwas unmutig gemacht und der kleine Muckerle schoß stechende Blicke auf den Gesandten des Herzogs. Als dieser aber mit edlem Anstand und freiem, siegendem Blick unter sie trat, wurden sie schüchtern und verlegen, und als er sie endlich mit höflichen, schmeichelhaften Worten anredete, wurden ihre tapfere Herzen von der Anmut Georgs von Sturmfeder für des Herzogs Sache gewonnen.

»Wohlerfahrner Oberst«, sprach er, »tapfere Hauptleute der versammelten Landsknechte, der Herzog von Württemberg hat sich den Grenzen seines Landes genaht, hat die Stadt Heimsheim erobert und ist willens, auf gleiche Weise sein ganzes Herzogtum wieder an sich zu bringen –«

»Gott straf mein Zeel, er hat recht; tät'z auch zo machen –«

»Er hat den tapfern Arm und die fürtreffliche Kriegskunst der Landsknechte erprobt, als sie noch gegen ihn standen, er versieht sich zu ihnen, daß sie ihm mit gleichem Mute jetzt beistehen werden, und verspricht ihnen mit seinem fürstlichen Wort, die Bedingungen zu halten, die sie ihm angeboten haben.«

»Ein frommer Herr«, murmelten sie untereinander mit beifälligem Nicken, »ein Goldgülden des Monats – und Mordblei – täglich vier Maß Wein für die Hauptleut!«

Der Oberst stand auf, entblößte sein kahles Haupt zum Gruß und sprach, von manchem Räuspern der Verlegenheit unterbrochen. »Wir danken Euch, hochedler Herr, wollen'z tun, wollen mitziehen – wir wollen dem Schwäbischen Bund heimgeben, waz er unz getan, zo wollen wir. Die allerbesten und tapfersten, wie auch fürtrefflichsten Leute haben zie fortgeschickt, als brauchten zie keine Landsknechte mehr. Da steht zum Beispiel der Hauptmann Löffler. Wenn'z einen tapferern Landsknecht gibt in der Christenheit, zo laß ich mir die Haut vom Leib schälen, und laß mich braten wie eine Zau. Da steht der Staberl von Wien; zo einen hat die Zonne noch nie beschienen und der Mond. – Da ist dann der Magdeburger, wie der, ficht keiner in der Türkei – und der Muckerle da, man zollt ihm'z nicht anzehen; aber daz ist der beste Schütz mit der Donnerbüchs und trifft auf vierzig Gäng inz Schwarze. – Von mir mag ich nicht reden, Eigenlob stinkt; aber Bassa manelka in Spanien und Holland hab ich gedient und Canto cacramento in Italia und Teutschland, Mordblei! in jedem Heere kennt man den langen Peter. Gott straf mein Zeel, wenn ich und die andern hinter den schwäbischen Hund, wollt zagen Bund, komme, diavolo maledetto! da werden zie daz Haazenpanier ergreifen und mit den Absätzen hinter sich hauen!«

Es war dies die längste Rede, die der lange Peter in seinem Leben gehalten hat und noch in späten Jahren, als er längst bei Pavia den Ruhm der deutschen Landsknechte mit dem Tod besiegelt hatte, führten seine Genossen, wenn sie den jüngern Kameraden vom langen Peter erzählten, diesen Moment als einen der erhabensten seines Lebens auf. Wie er dagestanden sei auf das lange Schwert gestützt, den großen Hut mit der Hahnenfeder kühn auf das Ohr gerückt, die rechte Hand in die Seite gestemmt und die Beine ausgespreizt, da habe ihm nichts gefehlt als ein besseres Wams und eine Gnadenkette, um ihn für einen echten Oberst und wahrhaften Feldherrn zu halten.

Die Hauptleute luden jetzt den Junker von Sturmfeder ein, eine Musterung über das neugeworbene Heer zu halten. Der dumpfe Schall der ungeheuern Trommeln, tönte durchs Tal und weckte die Schläfer aus ihrer Ruhe. Noch schien Frondsbergs kriegerischer Geist und sein strenger Ordnungssinn über ihnen zu schweben, denn in wenigen Augenblicken hatten sie sich zu drei großen Kreisen gebildet, die je aus vier Fähnlein bestanden. Einem Auge, das an die schnelle, taktmäßige Bewegung, die schöne Haltung und die gleiche Farbe der Regimenter unserer Zeit gewöhnt ist, möchte wohl jener Anblick überraschend, ja lächerlich erschienen sein. Die Landsknechte waren nach ihrem Geschmack gekleidet, doch hatte die Mode der Zeit im Schnitt ein wenig Gleichförmigkeit in ihren Anzug gebracht. Sie trugen gewöhnlich enge Wämser von Leder, oder auch Lederwesten mit Ärmeln von grobem Tuch. Die Lenden staken in ungeheuer weiten Pluderhosen, die am Knie zugebunden, durch ihre Litzenschwere noch etwas tiefer herunterhingen. Die vollen Waden umgaben grobe Strümpfe von hellen Farben und die Füße waren mit groben Bundschuhen von ungefärbtem Leder bekleidet. Ein Hut, eine Tuch- oder Ledermütze, eine erbeutete oder für eigene Rechnung gekaufte Blechhaube bedeckte den Kopf und die bärtigen Gesichter dieser Männer, die oft zwanzig Jahre unter allen Heeren und Himmelsstrichen Europas dienten, hatten einen kühnen, martialischen Ausdruck. Ihre Bewaffnung bestand in einem langen Dolch und einer Hellebarde, ein Teil war auch mit Donnerbüchsen bewaffnet, die man mit Lunden losbrannte.

So standen sie mit ausgespreizten Beinen, Fuß an Fuß geschlossen, wie ein festes Bollwerk und Georgs kriegerischen Sinn erfreute der Anblick dieser kampfgeübten Männer, die wohl zu wissen schienen, daß sie vereinzelt nichts, aber in Massen verbunden auch einer zahlreichen Schar von Feinden, furchtbar seien.

Die Hauptleute hatten den Kriegesbrauch und das Kommandowort ihrer früheren Anführer wohl im Gedächtnis behalten; sie traten daher mit dem jungen Ritter in einen dieser Kreise und der tiefe, weit tönende Baß des langen Peters befahl: »Gebt acht ihr Leut! kehrt euch um!«

Schnell hatten sich die Kreise nach innen gekehrt, und vernahmen nun die Reden ihrer Hauptleute, die ihnen jene Aufforderung des Herzogs von Württemberg auseinandersetzten. Ein freudiges Gemurmel zeigte, daß sie mit diesen Bedingungen zufrieden seien und Ulerich von Württemberg so eifrig dienen wollten, als sie vorher gegen ihn gedient hatten. Die Hauptleute ließen jetzt auch einige Übungen machen und Georg bewunderte die Geschicklichkeit der Landsknechte und glaubte fest man werde es in der Kriegskunst auf Erden schwerlich noch viel weiter bringen. Er täuschte sich! Doch sein Irrtum ist so verzeihlich, als jener unserer Großväter, welche die Heroen des großen Friederich für unübertrefflich hielten und den gottlosen Spott ihrer Enkel über Zopf- und Kamaschendienst nicht ahneten. Und wird nicht eine Zeit kommen, wo man auch über die guten alten Zeiten von 1829 lächeln wird? Freilich, so schlanke Taillen wie heutzutage sah man bei den Landsknechten und ihren Hauptleuten Anno 1519 nicht. Doch hätten jene martialischen Figuren einem ganzen heutigen Heere mit Normalbärten aushelfen können.

Etwa nach einer Stunde meldeten die Vorposten, daß man unten im Tale von der Gegend von Heimsheim her, Waffen blinken sehe, und wenn man das Ohr auf die Erde lege, seien die Tritte vieler Rosse deutlich zu vernehmen.

»Das ist der Herzog«, rief Georg, »führt mein Pferd vor, ich will ihm entgegenreiten.«

Der junge Mann galoppierte durch das Tal hin und die Hauptleute und ihre Gesellen blickten ihm nach und bewunderten die Kraft und Gewandtheit, mit welcher er in der schweren Rüstung aufs Pferd gesprungen war, lobten seinen Anstand und seine Haltung, solange sie ihn noch sehen konnten. Bald mischte sich sein Helmbusch mit den Büschen und Lanzenspitzen, die man unten im Tal bemerkte. Sie kamen näher, jetzt sah man Helme blinken, jetzt wurden die Reiter bis um die Brust sichtbar, jetzt erschienen sie auf einmal auf einer kleinen Anhöhe und man konnte die ganze Schar übersehen. Der Pfeifer von Hardt schaute mit blitzenden Augen in die Ferne. Seine Brust hob und senkte sich, die Freude schien ihn des Atems zu berauben, sprachlos nahm er den Obersten an der Hand und deutete auf die Reiterschar.

»Welcher ist der Herzog«, fragte dieser, »ist'z der auf dem Mohrenschimmel?«

»Nein, das ist der edle Herr von Hewen; seht Ihr das Banner von Württemberg, wie, seh ich recht? bei Gott, der Junker von Sturmfeder darf es tragen!«

»Daz ist eine große Ehr! Mordblei, ist erst fünfundzwanzig und darf die Fahne tragen! in Frankreich darf das nur der Connetabel tun, der erste Mann nach dem König Franz. Dort heißt man'z Ohrenflamme und ist aus lauter Gold. Aber welcher ist der Herzog Ulerich?«

»Seht Ihr den im grünen Mantel mit den schwarz und roten Federn auf dem Helm? er reitet neben dem Banner und spricht mit dem Junker, er reitet einen Rappen und zeigt gerade mit dem Finger auf uns – seht, das ist der Herzog.«

Die Reiterschar mochte ungefähr vierzig Pferde betragen, sie bestand meist aus Edelleuten und ihren Dienern, die dem Herzog in seine Verbannung nachgezogen waren, oder von seinem Einfall benachrichtigt, an der Grenze seines Landes sich an ihn angeschlossen hatten. Sie waren alle wohlberitten und bewaffnet. Georg von Sturmfeder trug Württembergs Panier, neben ihm ritt ganz geharnischt der Herzog. Als dieser Zug jetzt den Landsknechten etwa auf zweihundert Schritte nahe war, erhob der lange Peter seine Stimme und sprach: »Gebt acht, ihr Leut. Wann Zeine Durchlaucht nahe ist, und ich meinen Hut vom Scheitel reiße, zo schreiet: ›Vivat Ulericus!‹ schwenket die Fähnlein in der Luft; und ihr Trommler, rasselt auf euren Fellen, daß euch das Donnerwetter! schlagt den Wirbel wie beim Sturm auf eine Festung, Bassa manelka, haut drauf und wenn der Schlegel bricht – zo begrüßen die tapfern Landsknecht einen Fürsten.«

Diese kurze Anrede tat ihre vollkommene Wirkung; die kriegerische Schar murmelte das Lob des Herzogs, sie schüttelten ihre Hellebarden, stampften ihre Büchsen klirrend auf den Boden und die Trommler faßten ihre Schlegel krampfhaft in die Hand und als jetzt Georg von Sturmfeder, der Bannerträger von Württemberg, ansprengte und hinter ihm hoch zu Roß, erhaben wie in den Tagen seiner Herrschaft, mit kühnen, gebietenden Blicken Herzog Ulerich von Württemberg sich zeigte, da entblößte der lange Peter ehrfurchtsvoll sein Haupt, die Trommeln rasselten wie zum Sturm einer Feste, die Fähnlein neigten sich zum Gruß, und die Landsknechte riefen ein tausendstimmiges »Vivat Ulericus!«

Der Bauersmann von Hardt war still in der Ferne gestanden, hatte nicht auf diese kriegerischen Grüße gehört, seine ganze Seele schien nur in seinem Auge zu liegen, das trunken an seinem Herrn hing. Der Herzog hielt den Rappen an, blickte um sich und es war tiefe Stille unter den vielen Menschen. Da trat der Bauer vor, kniete nieder, hielt ihm den Bügel zum Absteigen und sprach: »Hie gut Württemberg alleweg!«

»Ha! bist du es, Hanns, mein Geselle im Unglück, der mir den ersten Gruß von Württemberg bringt? Meine Edeln habe ich hier erwartet, daß sie mich begrüßen bei meinem ersten Schritt auf württembergischem Grund, meinen Kanzler und meine Räte, wo sind die Hunde? Die Stände meiner Landschaft, wo blieben sie, will man mich nicht wiedersehen in der Heimat? Ist keiner von allen da, mir den Bügel zu halten, als der Bauer?«

Seine Begleiter drängten sich staunend um den Herzog her, als sie ihn also sprechen hörten. Sie wußten nicht, war es Ernst oder bitterer Scherz über sein Unglück; sein Mund schien zu lächeln, aber sein Auge blitzte mutig und seine Stimme klang ernst und befehlend. Sie sahen einander wegen dieser düstern Laune zweifelhaft an, aber der Pfeifer von Hardt erwiderte seinem Fürsten:

»Diesmal ist's nur der Bauer, der Euch auf Württembergs Boden hilft, aber verachtet nicht ein treues Herz und eine feste Hand. Die andern werden schon auch kommen, wenn sie hören, daß der Herr Herzog wieder im Lande sei.«

»Meinst du?« sprach Ulerich bitter lachend, indem er sich vom Pferde schwang. »Sie werden auch kommen. Bis jetzt haben wir wenig Kunde davon; aber ich will anklopfen an ihren Türen, daß sie merken sollen, es ist der alte Herr, der in sein Haus will!«

»Sind dies die Landsknecht, die mir dienen wollen?« fuhr er fort, indem er aufmerksam das kleine Heer betrachtete; »sie sind nicht übel bewaffnet und sehen männlich aus. Wieviel sind es?«

»Zwölf Fähnlein, Euer Durchlaucht«, antwortete der Oberst Peter, der noch immer mit gezogenem Hut vor ihm stand und hie und da verlegen den ungarischen Bart zwirbelte. »Lauter geübte Leut, Gott straf mein Zeel, tut mir leid, wenn ich geflucht hab, der König in Frankreich hat sie nicht besser.«

»Wer bist denn du?« fragte ihn der Herzog, der die große dicke Figur mit dem langen Hieber und dem roten Gesicht verwundert anschaute.

»Ich bin eigentlich ein Landsknecht meines Zeichenz, man nennt mich den langen Peter, jetzt aber wohlbestallter Oberst verzammelter –«

»Was, Oberst! diese Narrheit muß aufhören. Ihr mögt mir wohl ein tapferer Mann sein, aber zum Hauptmann seid Ihr nicht gemacht. Ich selbst will Euer Oberst sein und zu Hauptleuten werde ich einige meiner Ritter machen.«

»Bassa manelk – tut mir leid, wenn ich geflucht hab, aber erlaubt, Herr Herzog einem alten Kerl ein Wort, daz ist gegen unzern Pakt mit dem Goldgülden monatlich und den vier Maaz Wein tagtäglich. Da steht zum Beispiel der Staberl aus Wien, 'z gibt keinen Tapferern unter dem Mond –«

»Schon gut, Alter, schon gut! auf die Goldgülden und den Wein soll mir's nicht ankommen. Wer bisher Hauptmann war, soll es richtig bekommen; nur den Befehl müßt Ihr abgeben. Habt Ihr Pulver und Kugeln?«

»Das will ich meenen!« sagte der Magdeburger, »wir haben noch von Euer Durchlaucht eigenem Pulver und Blei, was wir in Tübingen mitgenommen. Wir haben Munition auf achtzig Schuß für den Mann.«

»Gut; Georg von Hewen und Philipp von Rechberg, ihr teilt euch in die Knechte, jeder nimmt sechs Fähnlein. Ihr da, die ihr euch Hauptleute nennet, könnet bei den einzelnen Fähnlein bleiben und den beiden Herren an die Hand gehen. Ludwig von Gemmingen seid so gut, und nehmet den Oberbefehl über das Fußvolk. Jetzt geraden Wegs auf Leonberg. Freu dich, mein treuer Bannerträger«, sagte Ulerich, als er sich aufs Pferd schwang, »so Gott will, ziehen wir morgen in Stuttgart ein.«

Die Reiterschar, den Herzog an der Spitze, zog fürder. Der lange Peter stand noch immer unverrückt auf dem Platz, den Hut mit der stolzen Hahnenfeder in der Hand und schaute den Reitern nach.

»Daz ist einmal ein Fürst!« sprach er zu den Hauptleuten, die neben ihm standen. »Waz der für eine gewaltige Stimme hat und wie er greulich mit den Augen funkelt, daz ez einem angst und bange wird. Hu, ich meine, er woll mich mit Haut und Haar verschlucken, alz er mich fragte: ›Wer bist denn du?‹«

»Mir wor's grod, wie wenn einer siedend Wasser über mein Leib schütten tät. In Wien ist doch auch 'n Kaiser, aber der tut nit so gwaltig wie der do!«

»Also Hauptleut sind wer gwesen«, sprach der Hauptmann Muckerle, »die Herrlichkeit hat nit lang dauert.«

»Narr! daz ist mir recht. ›Würde bringt Bürde‹, zagt ein Sprichwort. Die anderen haben oft nicht recht gehorcht, wenn wir befohlen haben, Diavolo, hat doch erst heute einer mich ausgelacht. Hat allez einen besseren Schick, wenn'z die Herren anführen; den Goldgülden und die vier Maaz haben wir ja doch, und daz bleibt die Hauptzache.«

»Dat meen ich ooch! und dat haben wer dem langen Peter tu verdanken. Er soll leben!«

»Dank' schön! aber daz zag ich, der Herr wird dem Bund aufzünden, Mordblei! wenn der erst ein Schwert in die Hand nimmt, der jagt die Städtler allein auz dem Land! Und zeine Räte und Kanzler und die Landschaft! Habt ihr gehört, wie greulich er über die geflucht hat? Ich möcht in keinez Haut stecken.«

Das Wirbeln der Trommeln unterbrach das Gespräch dieser tapferen Krieger; diese Töne erschollen nicht mehr auf ihren Befehl, aber der lange Peter war in seinen vielen Feldzügen so sehr an den Wechsel von Glück und Unglück, von Hoheit und Niedrigkeit gewöhnt worden, daß er über den Sturz seines Regiments nicht trauerte. Gelassen nahm er die Hahnenfeder von dem großen Hut, legte die rote Schärpe und den langen Hieber, die Zeichen seiner Würde ab und ergriff eine Hellebarde. »Gott straf mein Zeel, ez ist schwer für einen Kerl wie ich, zwölf Fähnlein zu regieren«, sagte er, als er sich wieder als guter Landsknecht in die Reihen seiner Kameraden stellte. »Aber bei Sankt Petruz, dem trefflichen Landsknecht – er muß jetzt auch Oberst zein in den himmlischen Heerscharen Kyrie Eleyzon! – der Mensch muß allez probieren auf Erden.« Die Landsknechte schüttelten ihm die Hand und bestätigten es; es tat seinem tapferen Herzen wohl, zu hören, er habe sein Kommando trefflich verwaltet. Die drei Ritter, ihre Anführer, saßen auf und stellten sich zu ihren Fähnlein, die Landsknechte richteten sich in gewohnter Ordnung zum Marsch und Ludwig von Gemmingen ließ die Trommeln rühren zum Aufbruch.

III

Erstiegen ist der Wall, wir sind im Lager!

Jetzt werft die Hülle der verschwiegnen Nacht

Von euch, die euren stillen Zug verhehlte,

Und macht dem Feinde eure Schreckensnähe

Durch lauten Schlachtruf kund –

Schiller

Es war in der Nacht vor Mariä Himmelfahrt, als Herzog Ulerich vor dem Rotenbildtor in Stuttgart anlangte. Er hatte auf seinem Zuge schnell das Städtchen Leonberg erobert und war dann unaufhaltsam immer weiter gedrungen. Vieles Volk lief zu, denn wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht verbreitet, daß der Herzog wieder im Lande sei. Jetzt erst zeigte es sich, wie wenig Freunde der Bund sich erworben hatte; denn überall wurde die Freude laut, daß das gehässige Regiment des Bundes ein Ende habe, daß das angestammte Fürstenhaus wieder in seine alten Rechte sich einsetze.

Auch nach Stuttgart war bald diese Nachricht vorgedrungen und hatte die verschiedensten Empfindungen dort erregt. Der Adel, der sich in der Stadt befand, wußte nicht, was er sich vom Herzog zu versehen hatte; die Übergabe von Tübingen war noch in zu frischem Gedächtnis, als daß er ganz unbesorgt gewesen wäre. Aber die Erinnerung an den glänzenden Hof Ulerichs von Württemberg, an die fröhlichen Tage, die sie dort verlebt hatten, die Vergleichung dieser Zeit mit dem freudenlosen Leben der Bundesräte mochte sie günstig für den Herzog stimmen, wenn auch mancher Ursache hatte, seine Wiederkehr nicht gerade herbeizuwünschen. Die Bürgerschaft konnte ihre Freude über diese Nachrichten kaum verbergen; sie verließen ihre Häuser, traten haufenweise auf den Straßen zusammen und besprachen sich über die Dinge, die ihrer warteten. Sie schimpften leise aber weidlich auf den Bund, ballten grimmig ihre Fäuste in der Tasche, und waren überaus patriotisch gesinnt. Sie erinnerten sich der erlauchten Ahnen des vertriebenen Fürsten, es war sein Name Württemberg, den auch sie trugen, sie zählten so manchen wackeren Herrn aus der Familie auf, unter welchem sie und ihre Väter glücklich gelebt, der Württembergs Namen berühmt gemacht hatte. Auch der Gedanke tat ihnen wohl, daß von ihrer Entscheidung für den einen oder den andern Teil so viel abhänge, weil man im ganzen Lande auf die Stuttgarter sehe. Sie waren zwar weit entfernt gegen die bündische Besatzung auf ihre eigene Faust einen Aufruhr zu unternehmen, aber sie sprachen zueinander: »Gevatter, wart nur, bis es Nacht wird; da wollen wir den Reichsstädtlern zeigen, wo sie her sind, wir Stuttgarter.«

Dem bündischen Statthalter, Christoph von Schwarzenburg entging diese Bewegung unter den Bürgern nicht. Zu spät sah er ein, wie töricht man getan habe, das Heer zu entlassen. Er wandte sich an die Bundesstände, die noch zu Nördlingen versammelt waren und begehrte Hülfe, aber er selbst gab die Hoffnung auf, Stuttgart so lange halten zu können, bis ein neues Heer im Feld erschienen sei. Er traf zwar einige Anstalten zur Gegenwehr, aber die Blitzesschnelle, mit welcher der Herzog erschien, vereitelte alle seine Bemühungen. Als er sah, daß er den Bürgern nicht trauen könne, daß ihm der Adel nicht beistehe, daß die Besatzung nicht einmal zur Sicherung der Tore hinreiche entwich er bei Nacht und Nebel mit den Bundesräten nach Eßlingen. Ihre Flucht war so eilig und geheim, daß sie sogar ihre Familien zurückließen und niemand in der Stadt ahnte, daß der Statthalter und die Räte nicht mehr in den Mauern seien. Daher waren die Anhänger des Bundes noch immer getrosten Mutes, und glaubten nicht an die Gerüchte von der schnellen Annäherung des Herzogs.

Der Marktplatz war damals noch das Herz der Stadt Stuttgart; zwar hatten sich schon zwei große Vorstädte, die Sankt Leonhards- und die Turnieracker-Vorstadt um sie gelagert, welche mit Graben, Mauern und starken Toren versehen, das Ansehen eigener Städte bekommen hatten; aber noch standen die Ringmauern und Tore der Altstadt, und ihre Bürger sahen nicht ohne Stolz herab auf die Vorstädtler. Der Marktplatz war es, wo nach alter Sitte bei jeder besondern Gelegenheit die Bürger sich versammelten; auch an dem wichtigen Abend vor Mariä Himmelfahrt strömten sie dorthin zusammen. Zur Zeit, wo der Bürger noch mit der Wehre an der Seite auftreten durfte, hatte sein öffentlich gesprochenes Wort auch mehr zu bedeuten als in späteren Tagen, wo Tinte, Feder und Papier die Oberhand gewannen. Und wahrlich, die Bürger von Stuttgart waren bei Nacht und in Massen versammelt ganz andere Leute als morgens. Mancher, der, hätte man ihn vormittags um seine Meinung wegen des Herzogs gefragt, antwortete: »Was geht es mich an, bin ein friedlicher Bürgersmann«, erhob jetzt seine Stimme und schrie: »Wir wollen dem Herzog die Tore öffnen, fort mit den Bündischen – wer ist ein guter Württemberger?«

Der Mond schien hell auf die versammelte Menge herab, die unruhig hin und her wogte. Ein verworrenes Gemurmel drang von ihnen in die Lüfte; noch schienen sie unschlüssig, vielleicht weil keiner kühn genug war, sich an die Spitze zu stellen. Aus den hohen Giebelhäusern, die den Platz einschlossen, schauten viele hundert Köpfe auf den Markt hernieder; es waren die Weiber und Töchter der Versammelten, die ängstlich und gespannt auf das Gemurmel lauschten. Denn die Stuttgarter Mädchen waren damals ein neugieriges Völkchen und hielten es im Herzen aus Mitleiden mit dem Herzog.

Schon wurde das Murmeln der Menge immer lauter und verständlicher; der Ruf: »Wir wollen die Knechte vom Tor wegjagen und die Stadt dem Herzog auftun«, immer deutlicher, da sah man einen langen, hageren Mann auf eine Bank am Brunnen springen, wo er die ganze Menge überragte. Er focht mit ungeheuer langen Armen in der Luft umher, tat einen weiten Mund auf und schrie mit heiserer Stimme um Gehör. Es wurde nach und nach stiller auf dem Platz, man vernahm einzelne Worte aus seiner Rede: »Was? die ehrsamen Bürger von Stuttgart wollen ihren Eid brechen – habt ihr nicht dem Bunde geschworen? Wem wollet ihr die Tore öffnen? Dem Herzog? Er kommt mit ganz geringer Mannschaft, denn er hat ja kein Geld, um Leute zu bezahlen und da müsset dann ihr wieder den Beutel auftun und blechen! Da wird's heißen, Stuttgart zahlt zehntausend Gulden, weil es von uns abgefallen ist. Hört ihr? zehntausend Gulden sollt ihr zahlen!«

»Wer ist denn der lange Kerl?« fragten sich die Männer. – »Er hat nicht unrecht – werden tüchtig zahlen müssen. – Ist er ein Bürger, der da oben? Wer seid Ihr«, rief einer der Kühnsten; »woher wollt Ihr wissen, was wir zahlen müssen?«

»Ich bin der berühmte Doktor Calmus«, sprach der Redner mit feierlicher Stimme, »und weiß das ganz genau. Und wen wollt ihr vertreiben? Den Kaiser, das Reich, den Bund; so viele reiche Herren wollt ihr vor den Kopf stoßen? und warum? wegen dem Utz, der euch das Fell über die Ohren zieht; denkt nur an das geringere Gewicht, an die harten Jagdfrevel. Jetzt hat er gar kein Geld mehr; er ist ein Lump, hat alles verspielt in Mömpelgard –«

»Halt Er sein Maul«, schrieen die Bürger, »was geht das Ihn an, Er ist kein hiesiger Bürger, fort mit dem Kahlmäuser – schlagt ihn tot – werft ihn als Fisch in den Brunnen – der Herzog soll leben!«

Doktor Calmus erhob noch einmal seine Stimme, aber die Bürger überschrieen ihn. In diesem Augenblick kam ein neuer Trupp Bürger aus der obern Vorstadt herabgesprungen. »Der Herzog ist vor dem Rotenbildtor«, riefen sie, »mit Reiter- und Fußvolk. Wo ist der Statthalter? wo sind die Bundesräte? Er will in die Stadt schießen, wenn man nicht aufmacht! – Fort mit den Bündischen – wer ist gut württembergisch?«

Der Tumult wuchs von Sekunde zu Sekunde. Die Bürger schienen noch unschlüssig, da bestieg ein neuer Redner die Bank; es war ein feiner Herr, der durch sein schmuckes Äußere einen Augenblick den Bürgern imponierte: »Bedenket ihr Männer«, rief er mit feiner Stimme, »was wird der durchlauchtige Bundesrat dazu sagen, wenn ihr –«

»Was scheren wir uns um den Durchlauchtigen!« überschrie man ihn, »fort! reißt ihn herab mit dem rosenfarbenen Mäntelein und dem glatten Haar – das ist ein Ulmer! fort mit ihm – auf ihn, er ist von Ulm!«

Aber ehe sie noch diesen Entschluß ausführten, trat ein kräftiger Mann hinauf, warf mit einem Schlag den Doktor rechts und den Ulmer mit dem rosenfarbenen Mäntelein links von der Bank, und winkte mit der Mütze in die Luft. »Still! das ist der Hartmann«, flüsterten die Bürger, »der versteht's, hört was er spricht.«

»Höret mich!« sprach dieser; »der Statthalter und die Bundesräte sind nirgends zu finden, sie sind entflohen und haben uns im Stich gelassen, drum greifet diese beiden da, wir wollen sie als Geiseln behalten. Und jetzt hinauf ans Rotenbildtor. Dort steht unser rechter Herzog, 's ist besser wir machen selbst auf, als daß er mit Gewalt eindringt, wer ein guter Württemberger ist, folgt mir nach.«

Er stieg herab von der Bank, und jubelnd umgab ihn die Menge; die beiden Fürsprecher des Bundes wurden, ehe sie sich dessen versahen, gebunden und fortgeführt. Jetzt ergoß sich der Strom der Bürger vom Marktplatz zum obern Tor, hinaus über den breiten Graben der alten Stadt in die Turnieracker-Vorstadt, am Bollwerk vorbei zum Rotenbildtor. Die bündischen Knechte, die das Tor besetzt hielten, wurden schnell übermannt, das Tor ging auf, die Zugbrücke fiel herab und legte sich über den Stadtgraben.

Dort hatten indessen die Anführer des Fußvolkes ihre besten Truppen aufgestellt, denn man wußte nicht genau, wie die Bündischen sich bei der Annäherung des Herzogs benehmen werden. Ulerich selbst hatte die Posten beritten. Vergeblich suchte Georg von Sturmfeder ihn zu überzeugen, daß die Besatzung von Stuttgart so schwach sei, daß sie ihnen nicht die Spitze bieten könne, vergeblich stellte er ihm vor, daß die Bürger ihn zurücksehnen, und willig ihre Tore öffnen werden; der Herzog schaute finster in die Nacht hinaus, preßte die Lippen zusammen und knirschte mit den Zähnen.

»Das verstehst du nicht«, murmelte er dem Jüngling zu; »du kennst die Menschen nicht; sie sind alle falsch, traue niemand als dir selbst. Sie drehen den Mantel nach jedem Wind! – Aber diesmal will ich sie fassen; meinst du, ich habe mein Land umsonst mit dem Rücken angesehen?«

Georg konnte diese Stimmung des Herzogs nicht begreifen. Im Unglück war er fest, sogar mild und sanft gewesen, hatte von manchem schönen Brauch gesprochen, den er einführen wolle, wenn er wieder ins Land komme, hatte selten Zorn über seine Feinde, beinahe nie Unmut über die Untertanen gezeigt, die von ihm abgefallen waren; aber sei es, daß mit dem Anblick der vaterländischen Gegenden auch das Gefühl der Kränkung stärker als zuvor in ihm erwachte, sei es, daß es ihm unangenehm auffiel, daß der Adel und die Stände noch nichts hatten von sich hören lassen, er war, seit er die Grenzen Württembergs überschritten, nicht freudig, gehoben, erwartungsvoll, sondern ein stolzer Trotz blitzte aus seinen Augen, seine Stirne war finster, und eine gewisse Strenge und Härte im Urteil, fiel seinen Umgebungen, besonders Georg von Sturmfeder auf, der sich in diese neue Seite von Ulerichs Charakter nicht gleich zu finden wußte.

Die Aufforderung an die Stadt mochte wohl schon seit einer halben Stunde ergangen sein; bald war die Frist abgelaufen, die er ihnen gegeben hatte, und noch immer war keine Antwort da; man hörte nur ein ängstliches Hin- und Herrennen in der Stadt, aus welchem man weder gute noch böse Zeichen deuten konnte.

Der Herzog ritt zu den Landsknechten vor, die erwartungsvoll auf ihren Hellebarden und Donnerbüchsen lehnten. Die drei Ritter, welche sie führten, standen am Graben, und hielten durch ihre Anwesenheit die Knechte in Ruhe und Ordnung. Beim Schein des Mondes betrachtete Georg ängstlich Ulerichs Züge. Die Ader auf seiner Stirne war aufgelaufen, eine tiefe Röte lag auf seinen Wangen, und seine Augen brannten in düsterer Glut.

»Hewen! laß Leitern anschleppen«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Der Donner und das Wetter! es ist mein eigen Haus, vor dem ich stehe, und die Hunde wollen mich nicht einlassen. Ich laß noch einmal blasen, machen sie dann nicht sogleich auf, so schmeiß ich Feuer in die Stadt, daß ihre Käfigte zusammenbrennen.«

»Bassa manelka, waz mich daz freut!« sagte der lange Peter, der in der ersten Rotte neben dem Herzog stand, leise zu seinen Kameraden. »Jetzt werden Leitern beigeschleppt, wie die Katzen wir hinauf, mit den Hellebarden über die Mauer gestochen, daz die Kerl herunter müssen, mit den Büchsen drein gepfeffert, Canto cacramento!«

»Dat will ik meenen!« flüsterte der Magdeburger, »und dann hinunter in die Stadt, angezündet an den Ecken, geplündert gebürstet! da will ik man och bei sin.«

»Um Gottes willen, Herr Herzog«, rief Georg von Sturmfeder, welcher die Reden des Herzogs und die greuliche Freude der Landsknechte wohl vernommen hatte; »wartet nur noch ein kleines Viertelstündchen, es ist ja Eure eigene Residenzstadt. Sie beraten sich vielleicht noch. –«

»Was haben sie sich lange zu beraten?« entgegnete Ulerich unwillig; »ihr Herr ist hier außen vor dem Tor und fordert Einlaß. Ich habe schon zu lange Geduld gehabt. Georg' breite mein Panier aus im Mondschein, laß die Trompeter blasen, fordere die Stadt zum letztenmal auf! Und wenn ich dreißig zähle nach deinem letzten Wort, und sie haben noch nicht aufgemacht, beim heiligen Hubertus, so stürmen wir. Spute dich, Georg!«

»O Herr! bedenket eine Stadt, Eure beste Stadt! wie lange habt Ihr in diesen Mauern gelebt, wollt Ihr Euch ein solches Brandmal aufrichten? Gebt noch Frist.«

»Ha!« lachte der Herzog grimmig, und schlug mit dem Stahlhandschuh auf den Brustharnisch, daß es weithin tönte durch die Nacht; »ich sehe, dich gelüstet nicht sehr in Stuttgart einzuziehen und dein Weib zu verdienen. Aber bei meiner Ungnade, jetzt kein Wort mehr, Georg von Sturmfeder. Schnell ans Werk. Ich sag, roll mein Panier auf, blast Trompeter, blast, schmettert sie auf aus dem Schlaf, daß sie merken, ein Württemberger ist vor dem Tor, und will trotz Kaiser und Reich in sein Haus. Ich sag, fordere sie auf, Sturmfeder.«

Georg folgte schweigend dem Befehl; er ritt bis dicht vor den Graben, und rollte das Panier von Württemberg auf. Die Strahlen des Mondes schienen es freundlich zu begrüßen, sie beleuchteten es deutlich und zeigten seine Felder und Bilder. Auf eine große Fahne von roter Seide war Württembergs Wappen eingewoben. Der Schild zeigte vier Felder. Im ersten waren die württembergischen Hirschhörner angebracht, im zweiten die Würfel von Teck, im dritten die Reichssturmfahne, die dem Herzog als Reichsbannerträger zukam, und im vierten die Fische von Mömpelgard, der Helm aber trug die Krone und das Uracher Jägerhorn. Der junge Mann schwenkte das schwere Panier in der starken Hand, drei Trompeter ritten neben ihm auf und schmetterten ihre wilden Fanfaren gegen die verschlossene Pforte.

Im Tore öffnete sich ein Fenster; man fragte nach dem Begehr. Georg von Sturmfeder erhob seine Stimme und rief: »Ulerich, von Gottes Gnaden Herzog zu Württemberg und Teck, Graf zu Urach und Mömpelgard, fordert zum zweiten- und letztenmal seine Stadt Stuttgart auf, ihm willig und sogleich die Tore zu öffnen. Widrigenfalls wird er die Mauer stürmen und die Stadt als feindlich ansehen.«

Noch während Georg dieses ausrief, hörte man das verworrene Geräusch vieler Tritte und Stimmen in der Stadt, es kam näher und näher, und wurde zum Tumult und Geschrei.

»Gott straf mein Zeel, zie machen einen Auzfall!« sagte der lange Peter, laut genug, um vom Herzog verstanden zu werden.

»Du könntest recht haben«, erwiderte dieser, indem er sich plötzlich zu dem erschrockenen Landsknecht wandte. »Schließt dichter an, streckt die Piken vor und haltet die Lunden bereit; wir wollen sie empfangen nach Verdienst.«

Die ganze Linie zog sich vom Graben zurück, nur die drei ersten Fähnlein stellten sich da, wo die Zugbrücke sich ans Land legen mußte, auf. Ein Wall von Piken starrte jedem Angriff entgegen und die Schützen hatten die Donnerbüchsen aufgelegt und hielten die Lunden über dem Zündloch; tiefe Stille der Erwartung war auf dieser Seite, desto brausender drang der Lärm aus der Stadt herüber. Die Brücke fiel herab, aber keine Feinde waren es, die zu einem Ausfall herüberdrangen, sondern drei alte graue Männer kamen aus dem Tor; sie trugen das Wappen der Stadt und die Schlüssel.

Als der Herzog dies sah, ritt er etwas freundlicher hinzu. Georg folgte ihm und betrachtete diese Übergabe. Zwei dieser Männer schienen Ratsherren oder Bürgermeister zu sein; sie beugten das Knie vor dem Herrn und überreichten ihm die Zeichen ihrer Unterwerfung. Er gab sie seinen Dienern und sagte zu den Bürgern: »Ihr habt Uns etwas lange warten lassen vor der Türe; wahrhaftig, wir wären bald über die Mauer gestiegen und hätten eigenhändig eure Stadt zu unserem Empfang beleuchtet, daß euch der Rauch die Augen hätte beizen sollen. Der Teufel! warum ließet ihr so lange warten?«

»O Herr!« sagte einer der Bürger; »was die Bürgerschaft betrifft, die war gleich bereit, Euch aufzutun, wir haben auch etliche vornehme Herren vom Bunde hier, die hielten lange und gefährliche Reden an das Volk, um es gegen Euch aufzuwiegeln. Das hat so lange verzögert.«

»Ha! wer sind diese Herren? Ich hoffe nicht, daß ihr sie habt entkommen lassen! mich gelüstet ein Wort mit ihnen zu sprechen.«

»Bewahre, Euer Durchlaucht! wir wissen, was wir unserm Herrn schuldig sind. Wir haben sie sogleich gefangen und gebunden. Befehlt Ihr, daß wir sie bringen?«

»Morgen früh ins Schloß! will sie selbst verhören, schicket auch den Scharfrichter; werde sie vielleicht köpfen lassen.«

»Schnelle Justiz, aber ganz nach Verdienst!« sprach hinter den beiden Bürgern eine heisere, krächzende Stimme.

»Wer spricht da mir ins Wort?« fragte der Herzog und schaute sich um; zwischen den beiden Bürgern heraus trat eine sonderbare Gestalt. Es war ein kleiner Mann, der den Höcker, womit ihn die Natur geziert hatte, unter einem schwarzen seidenen Mantel schlecht verbarg; ein kleines spitziges Hütlein saß auf seinen grauen, schlichten Haaren, tückische Äuglein funkelten unter buschigen, grauen Augenbrauen und der dünne Bart, der ihm unter der hervorspringenden Adlernase hing, gab ihm das Ansehen eines sehr großen Katers. Eine widerliche Freundlichkeit lag auf seinen eingeschrumpften Zügen, als er vor dem Herzog das Haupt zum Gruß entblößte, und Georg von Sturmfeder faßte einen unerklärlichen Abscheu und ein sonderbares Grauen vor diesem Mann gleich beim ersten Anblick.

Der Herzog sah den kleinen Mann an und rief freudig: »Ha! Ambrosius Volland unser Kanzler! Bist du auch noch am Leben? Hättest zwar früher schon kommen können, denn du wußtest, daß Wir wieder ins Land dringen – aber sei Uns deswegen dennoch willkommen.«

»Allerdurchlauchtigster Herr!« antwortete der Kanzler Ambrosius Volland, »bin wieder so hart vom Zipperlein befallen worden, daß ich beinahe nicht aus meiner Behausung kommen konnte; verzeihen daher, Euer –«

»Schon gut, schon gut!« rief der Herzog lachend, »will dich schon kurieren vom Zipperlein. Komm morgen früh ins Schloß, jetzt aber gelüstet uns, Stuttgart wiederzusehen. Heran mein treuer Bannerträger!« wandte er sich mit huldreicher Miene zu Georg; »du hast treulich Wort gehalten, bis an die Tore von Stuttgart; ich will's vergelten. Bei Sankt Hubertus, jetzt ist die Braut dein nach Recht und Billigkeit. Trag mir meine Fahne vor, wir wollen sie aufpflanzen auf meinem Schloß und jenes bündische Banner in den Staub treten! Gemmingen und Hewen, ihr seid heute nacht noch meine Gäste; wir wollen sehen, ob uns die Herren vom Schwabenbund noch ein Restchen Wein übriggelassen haben!«

So ritt Herzog Ulerich, umgeben von den Rittern, die seinem Zuge gefolgt waren, wieder in die Tore seiner Residenz. Die Bürger schrieen Vivat und die schönen Mädchen verneigten sich freundlich an den Fenstern zum großen Ärgernis ihrer Mütter und Liebhaber, denn alle dachten, diese Grüße gelten dem schönen jungen Ritter, der des Herzogs Banner trug und beleuchtet vom Fackelschein wie Sankt Georg der Lindwurmtöter aussah.

IV

O Burg, von Geistern tapfrer Ahnen

Die tatenfreudig hier gelebt,

Und wackrer Fürsten Ruhm umschwebt,

Oh, deren Bild mit frommem Mahnen

Sich in des Nahen Bilder webt.

Ph. Conz

Das alte Schloß zu Stuttgart hatte damals, als es Georg von Sturmfeder am Morgen nach des Herzogs Einzug beschaute, nicht ganz die Gestalt, wie es noch in unsern Tagen zu sehen ist, denn dieses Gebäude wurde erst von Ulerichs Sohn, Herzog Christoph aufgeführt. Das Schloß der alten Herzoge von Württemberg stand übrigens an derselben Stelle und war in Plan und Ausführung nicht sehr verschieden von Christophs Werk, nur daß es zum größten Teil aus Holz gebaut war. Es war umgeben von breiten und tiefen Graben, über welche gegen Mitternacht eine Brücke in die Stadt führte. Ein großer, schöner Vorplatz diente in früheren Zeiten dem fröhlichen Hofe Ulerichs zum Tummelplatz für ritterliche Spiele und mancher Reiter wurde von des Herzogs eigener gewaltiger Hand in den Sand geworfen. Die Zeichen dieses ritterlichen Sinnes sprachen sich auch in andern Teilen des Gebäudes aus. Die Halle im unteren Teil des Schlosses war hoch und gewölbt wie eine Kirche, daß die Ritter in dieser »Tyrnitz« bei Regentagen fechten und Speere werfen und sogar die ungeheuren Lanzen ungehindert darin handhaben konnten. Von der Größe dieser fürstlichen Halle zeugt die Aussage der Chronisten, daß man bei feierlichen Gelegenheiten dort oft zwei- bis dreihundert Tische gedeckt habe. Von da führte eine steinerne Treppe aufwärts so breit, daß zwei Reiter nebeneinander hinaufreiten konnten. Dieser großartigen Einrichtung des Schlosses entsprach die Pracht der Zimmer, der Glanz des Rittersaales und die reichen, breiten Galerien, die zum Tanz und Spiele eingerichtet waren.

Georg maß mit staunendem Auge diese verschwenderische Pracht der Hofburg. Er verglich den kleinen Sitz seiner Ahnen mit diesen Hallen, diesen Höfen, diesen Sälen, wie klein und gering kam es ihm vor! Er erinnerte sich der Sage von der glänzenden Hofhaltung Ulerichs, von seiner prachtvollen Hochzeit, wo er in diesem Schloß siebentausend Gäste aus allen Teilen des deutschen Reiches speiste und tränkte, wo in dem hohen Gewölbe der Tyrnitz und in dem weiten Schloßhofe einen ganzen Monat lang Ritterspiel und Gelage gehalten wurden, und wenn der Abend einbrach, hundert Grafen, Ritter und Edelleute mit Hunderten der schönsten Damen in jenen Sälen und Galerien tanzten! Er blickte hinab in den herrlichen Schloßgarten, das Paradies genannt. Seine Phantasie bevölkerte diese Lustgehege und Gänge mit jenem fröhlichen Gewimmel des fröhlichen Hofes mit den Heldengestalten der Ritter, mit den festlich geputzten Fräulein, mit allem Jubel und Sang, der einst hier erscholl. Aber wie öde und leer deuchten ihm diese Mauern und Gärten, wenn er die Gegenwart mit den Bildern seiner Phantasie verglich. Die Gäste der Hochzeit, der glänzende, lustige Hof ist verschwunden, sprach er zu sich, die fürstliche Gemahlin ist entflohen, der glänzende Frauenkreis, der sie einst umgab, hat sich zerstreut, die Ritter und Grafen, die einst hier schmausten und ein reiches Leben voll Spiel und Tanz verlebten, sind von dem Fürsten abgefallen, die zarten Sprossen seiner Ehe sind in fernen Landen – er selbst sitzt einsam in dieser herrlichen Burg, brütet Rache an seinen Feinden und weiß nicht wie lange er nur in dem Hause seiner Väter bleiben wird; ob nicht aufs neue seine Feinde noch mächtiger heranziehen, ob er nicht noch unglücklicher wird als je zuvor.

Vergebens strebte der Jüngling diese trüben Gedanken, welche der Widerspruch der Pracht seiner Umgebungen mit dem Unglück des Herzogs in ihm erweckt hatten, zu unterdrücken. Vergebens rief er das Bild jenes holden Wesens herauf, das er jetzt bald auf ewig sein nennen durfte, vergebens malte er sich sein häusliches Glück an ihrer Seite mit den lockendsten, reizendsten Farben aus, jene trüben Bilder kehrten immer wieder. Sei es, daß jener Mann durch die Erhabenheit, die er im Unglück gezeigt hatte, einen so großen Raum in der Brust des Jünglings gewonnen hatte, sei es, daß ihn die Natur in einzelnen Augenblicken mit einem unwillkürlichen Gefühl der Ahnung begabte, er blieb sinnend und ernst und es war ihm, als sei der Herzog nichts weniger als glücklich, als müsse er ihn vor irgendeinem drohenden Unglück warnen.

»So überaus ernst, junger Herr?« fragte eine heisere Stimme hinter ihm und weckte ihn aus seinen Gedanken. »Ich dächte doch, Georg von Sturmfeder hätte alle Ursache, heiter und guter Dinge zu sein!«

Der junge Mann wandte sich verwundert um und schaute herab – auf den Kanzler Ambrosius Volland. War ihm dieser Mann schon gestern durch seine widrige Freundlichkeit, durch sein katerhaftes, schleichendes Wesen unangenehm aufgefallen, so war dies heute noch mehr der Fall, da der Kanzler durch überladenen Putz seine Mißgestalt noch mehr herausgehoben hatte. Sein dunkelgelbes verwittertes Antlitz, mit dem ewigen stehenden Lächeln, die grünen Äuglein unter den langen, grauen Wimpern, die roten, entzündeten Ränder der Augenlider, der dünne Katzenbart stachen grell ab gegen ein rotes Barett von Samt und gegen einen Mantel von hellgelber Seide, der über den Höcker des kleinen Mannes hinabfloß. Unter diesem trug er einen grasgrünen Anzug, rosenrot ausgeschlitzt und rosenrote Knieebänder mit ungeheuren Maschen. Sein Kopf stak in den Schultern und das rote Barett stieß hinten sogleich auf den Höcker auf. Der Scharfrichter von Stuttgart pflegte daher zu sagen, unter allen Menschen, die er kenne, sei niemand schwerer zu köpfen als der Kanzler Ambrosius Volland.

Dieser Mann war es, der an Georg von Sturmfeder mit süßem Lächeln hinaufsah, und da ihn dieser noch immer anstarrte, zu sprechen fortfuhr: »Ihr kennet mich vielleicht nicht, wertgeschätzter junger Freund, ich bin aber Ambrosius Volland, Seiner Durchlaucht Kanzler. Ich komme, um Euch einen guten Morgen zu wünschen.«

»Ich danke Euch, Herr Kanzler; viele Ehre für mich, wenn Ihr Euch deswegen herbemühtet.«

»Ehre, wem Ehre gebühret! Ihr seid ja der Ausbund und die Krone unserer jungen Ritterschaft! Ja! wer meinem Herrn so treu beigestanden ist in aller Not und Fährlichkeit, der hat Anspruch auf meinen innigsten Dank und meine absonderliche Verehrung!«

»Ihr hättet das wohlfeiler haben können, wenn Ihr mitgezogen wäret nach Mömpelgard«, erwiderte Georg, den die Lobsprüche dieses Mannes beleidigten. »Treue muß man nie loben, eher Untreue schelten.«

Einen Augenblick blitzte ein Strahl des Zornes aus den grünen Augen des Kanzlers, aber er faßte sich schnell wieder zur alten Freundlichkeit. »Ja wohl, das mein ich auch! Was mich betrifft, so lag ich am Zipperlein hart darnieder und konnte also nicht wohl nach Mömpelgard reisen; werde aber jetzt mit meinem kleinen Licht, das mir der Himmel verliehen, dem Herrn desto tätlicher zur Hand gehen.«

Er hielt einen Augenblick inne und schien Antwort zu erwarten; aber der Jüngling schwieg und maß ihn nur hin und wieder mit einem Blick, den er nicht recht ertragen konnte. »Nun, Euch wird die Freude erst recht angehen. Der Herzog hält erstaunlich viel auf Euch! Natürlich, Ihr verdient es auch im höchsten Grad und der Herzog hat seinen Liebling gut gewählt. Wollet doch erlauben, daß Ambrosius Volland Euch auch eine kleine Erkenntlichkeit zeige. Seid Ihr Freund von schönen Waffen? Kommet in meine Behausung auf dem Markt, wählet Euch aus meiner Armatur was Euch beliebt. Vielleicht dienen Euch schöne Bücher, habe einen ganzen Kasten voll; wählet Euch aus, was Ihr wollet, wie es unter Freunden gebräuchlich. Esset auch zuweilen bei mir zu Mittag, meine Base, ein feines Kind von siebzehn Jahren hält mir haus; sehet ihr nur, hi, hi, hi – sehet ihr nur nicht zu tief in die Augen.«

»Seid ohne Sorgen, bin schon versehen.«

»So? ei das ist recht christlich gedacht; das muß ich loben; man trifft solchen wackern Sinn nicht immer unter unserer heutigen Jugend. Ich sagte es ja gleich; der Sturmfeder, das ist ein Ausbund von Tugenden. Nun, was ich noch sagen wollte, wir sind bis jetzt so zusammen die einzigen von des Herzogs Hofstaat, stehen wir zusammen, so werden nur Leute aufgenommen, die wir wollen. Verstehet mich schon, hi, hi, eine Hand wäscht die andere. Darüber läßt sich noch sprechen; Ihr beehret mich doch zuweilen mit einem Besuche?«

»Wenn es meine Zeit erlauben wird, Herr Kanzler.«

»Würde mich gerne noch länger bei Euch aufhalten, denn in Eurer Gegenwart ist mir ganz wohl ums Herz; muß aber jetzt zum Herrn. Er will heute früh Gericht halten über die zwei Gefangenen, die gestern nacht das Volk aufwiegeln wollten. Wird was geben, der Beltle ist schon bestellt.«

»Der Beltle?« fragte Georg, »wer ist er?«

»Das ist der Scharfrichter, wertgeschätzter, junger Freund.«

»Ich bitte Euch! der Herzog wird doch nicht den ersten Tag seiner neuen Regierung mit Blut beflecken wollen!«

Der Kanzler lächelte greulich und antwortete: »Was das wieder Eurem fürtrefflichen Herzen Ehre macht, aber zum Blutrichter taugt Ihr nicht. Man muß ein Exempel statuieren. Der eine«, fuhr er mit zarter Stimme fort, »der eine wird geköpft, weil er von Adel ist, der andere wird gehängt. Behüt Euch Gott, Lieber!«

So sprach der Kanzler Ambrosius Volland und ging mit leisen Schritten die Galerie entlang den Gemächern des Herzogs zu. Georg sah ihm mit düsteren Blicken nach. Er hatte gehört, daß dieser Mann früher durch seine Klugheit, vielleicht auch durch unerlaubte Künste großen Einfluß auf Ulerich gewonnen hatte; er hatte den Herzog selbst oft mit großer Achtung von der Staatsklugheit dieses Mannes sprechen gehört; aber er wußte nicht warum, er fürchtete für den Herzog, wenn er sich dem Kanzler vertraue, er glaubte Tücke und Falschheit in seinen Augen gelesen zu haben.

Er sah gerade den Höcker und den wehenden gelben Mantel um die Ecke schweben, als eine Stimme neben ihm flüsterte: »Trauet dem Gelben nicht!« Es war der Pfeifer von Hardt, der sich unbemerkt an seine Seite gestellt hatte.

»Wie? bist du es, Hanns?« rief Georg und bot ihm freundlich die Hand. »Kommst du ins Schloß, uns zu besuchen? Das ist schön von dir, bist mir wahrhaftig lieber als der mit dem Höcker; aber was wolltest du mit dem Gelben, dem ich nicht trauen solle?«

»Das ist eben der mit dem Höcker, der Kanzler, der ist ein falscher Mann; ich habe auch den Herzog verwarnt, er soll nicht alles tun, was er ihm rät, aber er wurde zornig und – es mag wahr sein, was er sagte.«

»Was sagte er denn? hast du ihn heute schon gesprochen?«

»Ich kam, um mich zu verabschieden, denn ich gehe wieder heim nach Hardt zu Weib und Kind; der Herr war erst gerührt und erinnerte sich an die Tage seiner Flucht und sagte, ich soll mir eine Gnade ausbitten. Ich aber habe keine verdient, denn was ich getan, ist eine alte Schuld, die ich abgetragen. Da sagte ich, weil ich nichts anders wußte, er soll mich meinen Fuchs frei schießen lassen, und nicht strafen als Jagdfrevel. Des lachte er und sprach: das könne ich tun, das sei aber keine Gnade, ich solle weiter bitten. Da faßte ich ein Herz und antwortete: ›Nun, so bitt ich, Ihr möget dem schlauen Kanzler nicht allzuviel trauen und folgen. Denn ich meine, wenn ich ihn sehe, er meint es falsch – ‹«

»So geht es mir gerade auch«, rief Georg, »es ist, als wolle er mir die Seele ausspionieren mit den grünen Augen und ich wette, er meint es falsch; aber was gab dir der Herzog zur Antwort?«

»›Das verstehst du nicht‹, sagte er, und wurde böse; ›in Klüften und Höhlen magst du wohl bewandert sein, aber im Regiment kennt der Kanzler die Schliche besser als du.‹ Kann sein, ich habe unrecht und es soll mir lieb sein, um den Herzog! Nun lebet wohl, Junker! Gott sei mit Euch; amen.«

»Und wolltest du also gehen; wolltest nicht noch zu meiner Hochzeit bleiben? Ich erwarte den Vater und das Fräulein heute. Bleibe noch ein paar Tage; du warst so oft der Liebesbote und darfst uns nicht fehlen!«

»Was soll so ein geringer Mann, wie ich, bei der Hochzeit eines Ritters? Zwar könnte ich mich hinaufsetzen zu den Spielleuten und auch eines aufspielen zum Ehrentanz, aber das tun andere so gut als ich, und mein Haus verlangt nach mir.«

»Nun, so lebe wohl; grüße mir dein Weib und Bärbele, dein schmuckes Töchterlein und besuche uns fleißig auf Lichtenstein; Gott sei mit dir.«

Dem Jüngling hing eine Träne im Auge, als er dem Bauer die Hand zum Abschied bot, denn er hatte in ihm einen kräftigen, biedern Mann, einen treuen Diener seines Fürsten, einen mutigen Genossen in Gefahren und einen heitern Gesellen im Unglück erkannt. Wohl schwebte ihm noch manche Frage über das geheimnisvolle Walten dieses Mannes, über seine wunderbare Anhänglichkeit an den Herzog auf den Lippen, aber er unterdrückte sie, überwältigt von jener unerklärlichen Macht, von jener natürlichen Größe und Würde, welche den Pfeifer von Hardt auch im unscheinbaren Gewand des Bauers umgab.

»Noch eins!« rief Hanns, als er eben nach dem letzten Händedruck des Junkers scheiden wollte, »wisset Ihr auch, daß Euer ehemaliger Gastfreund und zukünftiger Vetter, Herr von Kraft hier ist?«

»Der Ratsschreiber? wie sollt der hieher kommen? Er ist ja bündisch!«

»Er ist hier, und nicht gerade im anmutigsten Klosett, denn er sitzt gefangen. Gestern abend, als das Volk zusammenlief wegen des Herzogs, soll er für den Bund öffentlich gesprochen haben.«

»Gott im Himmel! das war Dieterich Kraft, der Ratsschreiber? Da muß ich schnell zum Herzog, er richtet schon über ihn und der Kanzler will ihn köpfen lassen! Gehab dich wohl!«

Mit diesen Worten eilte der Jüngling den Korridor entlang zu den Gemächern des Herzogs. Er war in Mömpelgard zu allen Tageszeiten zum Herzog gegangen, daher machten ihm auch jetzt die Türhüter ehrerbietig Platz. Er trat hastig in das Gemach; der Herzog sah ihn verwundert und etwas unwillig an, der Kanzler aber hatte das ewige süße Lächeln wie eine Larve vorgehängt.

»Guten Morgen, Sturmfeder!« rief der Herzog, der in einem grünen, goldgestickten Kleide, den grünen Jagdhut auf dem Kopf am Tisch saß, »hast du gut geschlafen in meinem Schlosse? was führt dich schon so früh zu uns? wir sind beschäftigt.«

Die Augen des jungen Mannes hatten indessen unruhig im Zimmer umhergestreift und den Schreiber des Ulmer Rats in einer Ecke gefunden. Er war blaß wie der Tod, sein sonst so zierliches Haar hing in Verwirrung herab und ein rosenfarbenes Mäntelein, das er über ein schwarzes Kleid trug, war in Fetzen zerrissen. Er warf einen rührenden Blick auf den Junker Georg und sah dann auf zum Himmel, als wollte er sagen, »Mit mir ist's aus!« Neben ihm standen noch einige Männer und auch ein langer, hagerer Mann, den er schon gesehen zu haben sich erinnerte. Die Gefangenen wurden von Petrus, dem tapfern Magdeburger und dem Kasperl aus Wien bewacht. Sie standen mit ausgespreizten Beinen, die Hellebarden auf den Boden gestemmt, kerzengerade auf ihrem Posten.

»Ich sag, wir haben zu tun«, fuhr der Herzog fort; »was schaust du nur immer nach dem rosenfarbenen Menschenkind; das ist ein verstockter Sünder; das Schwert wird schon für ihn gewetzt.«

»Euer Durchlaucht erlauben mir nur ein Wort«, entgegnete Georg. »Ich kenne jenen Mann und wollte mich mit Hab und Gut für ihn verbürgen, daß er ein friedlicher Mann ist und gewiß kein Verbrecher, der den Tod verdiente.«

»Bei Sankt Hubertus, das ist kühn! Die Natur hat sich geändert. Mein Kanzler, der treffliche Jurist, hat sich aufgeputzt wie ein junger Krieger und mein junger Krieger dort will den Advokaten machen! Was sagt Ihr dazu, Ambrosius Volland?«

»Hi, hi! ich habe Euer Durchlaucht durch meine Person Spaß machen wollen; weiß aus früherer Zeit, daß Ihr einen kleinen Scherz liebet; nun, der liebe, gute Sturmfeder will die Lustbarkeit vermehren und den Juristen spielen. Hi, hi, hi! wird ihm aber nichts helfen, dem Rosenfarbenen. Majestätsverbrechen! wird halt doch geköpft, der im Mäntelein.«

»Herr Kanzler!« rief der Jüngling vor Unmut glühend. »Der Herr Herzog wird mir bezeugen können, daß ich mich nie zum Schalksnarren hergegeben habe. Diese Rolle mache ich andern nicht streitig. Und mit Menschenleben spiele und scherze ich nie!

Es ist mein wahrer Ernst, ich verbürge mich mit meinem Leben für gegenwärtigen Edlen von Kraft, Ratsschreiber in Ulm. Ich hoffe, meine Bürgschaft kann angenommen werden.«

»Wie?« sagte Ulerich, »das ist wohl der zierliche Herr, dein Gastfreund, von dem du mir so oft erzähltest? Tut mir leid um ihn, aber er wurde in einem Aufruhr unter sehr gefährlichen Umständen gefangen!«

»Freilich!« krächzte Ambrosius, »ein crimen laesae majestatis!«

»Erlaubet Herr! ich habe die Rechte lange genug studiert, um zu wissen, daß hier durchaus nicht von einem solchen Verbrechen die Rede sein kann. Gestern nacht waren die Bundesräte und der Statthalter noch hier; folglich war Stuttgart noch in Gewalt des Bundes, und der Ratsschreiber, der durchaus kein Untertan Seiner Durchlaucht ist, hat nicht anders gehandelt, als jeder bündische Soldat, der auf Befehl seines Oberen gegen uns zu Felde zog.«

»Ei, die Jugend, die Jugend! wie Ihr alles überhaspelt, junger, sehr wertgeschätzter Freund! Sobald der Herzog die Stadt aufgefordert hatte, und den animum possidendi hatte, war auch alles, was in den Mauern sich befand, sein. Folglich wer eine Verschwörung gegen ihn anzettelte, ist ein Majestätsverbrecher. Besagter Herr von Kraft aber hat schrecklich gefährliche Reden an das Volk gehalten.«

»Nicht möglich; es wäre ganz gegen seine Art und Weise! Herr Herzog! das kann nicht sein!«

»Georg!« sagte dieser ernst, »wir haben lange Geduld gehabt, dich anzuhören. Es hilft deinem Freunde doch nichts. Hier liegt das Protokoll; der Kanzler hat, ehe ich kam, ein Zeugenverhör angestellt, worin alles sonnenklar bewiesen ist. Wir müssen ein Exempel statuieren! Wir müssen unsere Feinde recht ins Herz hinein verwunden, der Kanzler hat ganz recht, darum kann ich keine Gnade geben.«

»So erlaubt mir nur noch eine Frage an ihn und die Zeugen, nur ein paar Worte.«

»Ist gegen alle Form Rechtens«, fiel der Kanzler ein; »ich muß dagegen protestieren, Lieber; es ist ein Eingriff in mein Amt.«

»Laß ihn, Ambrosius; mag er meinetwegen noch ein paar Fragen an den armen Sünder tun, er ist doch verloren.«

»Dieterich von Kraft«, fragte Georg, »wie kommt Ihr hieher?«

Der arme Ratsschreiber, den der Tod schon an der Kehle gefaßt hatte, verdrehte die Augen und seine Zähne schlugen aneinander; endlich konnte er einige Worte herausstoßen: »Bin hieher geschickt worden vom Rat, wurde Schreiber beim Statthalter –«

»Wie kamet Ihr gestern nacht zu den Bürgern von Stuttgart?«

»Der Statthalter befahl mir abends, wenn etwa die Bürger sich aufrührerisch zeigten, sie anzureden und zu ihrer Pflicht und Eid zu verweisen.«

»Ihr sehet, er kam also auf höheren Befehl dorthin; wer nahm Euch gefangen?« fuhr Georg zu fragen fort.

»Der Mann, der neben Euch steht.«

»Ihr habt diesen Herrn gefangen? also müßt Ihr auch gehört haben, was er sprach? was sagte er denn?«

»Ja, was wird er gesagt haben«, antwortete der Bürger, »er hat keine sechs Worte gesprochen, so warf ihn der Bürgermeister Hartmann von der Bank herunter; ich weiß noch, er hat gesagt: ›Aber bedenket, ihr Leute, was wird der durchlauchtigste Bundesrat dazu sagen!‹ Das war alles, da nahm ihn der Hartmann beim Kragen und warf ihn herunter. Aber dort der Doktor Calmus, der hielt eine längere Rede.«

Der Herzog lachte, daß das Gemach dröhnte und sah bald Georg, bald den Kanzler an, der ganz bleich und verstört sich umsonst bemühte, sein Lächeln beizubehalten. »Das war also die gefährliche Rede, das Majestätsverbrechen? ›Was wird der Bundesrat dazu sagen!‹ Armer Kraft! wegen dieses kraftvollen Sprüchleins verfielst du beinahe dem Scharfrichter. Nun, das haben selbst unsere Freunde oft gesagt: ›Was werden die Herren sagen, wenn sie hören, der Herzog ist im Land.‹ Deswegen soll er nicht bestraft werden. Was sagst du dazu, Sturmfeder!«

»Ich weiß nicht, was Ihr für Gründe habt, Herr Kanzler«, sagte der Jüngling, indem sein Auge noch immer von Unmut strahlte, »die Sachen so auf die Spitze zu stellen, und dem Herrn Herzog zu Maßregeln zu raten, die ihn überall – ja ich sage es, die ihn überall als einen Tyrannen ausschreien müssen. Wenn es nur Diensteifer ist, so habt Ihr diesmal schlecht gedient.«

Der Kanzler schwieg, und warf nur einen grimmigen, stechenden Blick aus den grünen Äuglein auf den jungen Mann. Der Herzog aber stund auf und sprach: »Laß mir mein Kanzlerlein gehen, diesmal freilich war er zu strenge. Da – nimm deinen rosenroten Freund mit dir; gib ihm zu trinken auf die Todesangst, und dann mag er laufen wohin er will. Und du Hund von einem Doktor, der du zu schlecht zu einem Hundedoktor bist, für dich ist ein württembergischer Galgen noch zu gut. Gehängt wirst du doch noch einmal, ich will mir die Mühe nicht geben. Langer Peter! nimm diesen Burschen, binde ihn rückwärts auf einen Esel und führe ihn durch die Stadt; und dann soll man ihn nach Eßlingen führen – zu den hochweisen Räten, wo er und sein Tier hingehöre. Fort mit ihm.«

Die Züge des Doktor Kahlmäuser, in welchen schon der Tod gesessen war, heiterten sich auf; er holte freier Atem und verbeugte sich tief. Peter, Kasperle und der Magdeburger fielen mit grimmiger Freude über ihn her, luden ihn auf ihre breiten Schultern und trugen ihn weg.

Der Ratsschreiber von Ulm vergoß Tränen der Rührung und Freude; er wollte dem Herzog den Mantel küssen, doch dieser wandte sich ab und winkte Georg, den Gerührten zu entfernen.

V

O tu es nicht! Tu's nicht!

Sieh deine reinen edlen Züge wissen

Noch nichts von dieser unglücksel'gen Tat:

Bloß deine Einbildungskraft befleckt sie;

Die Unschuld will sich nicht vertreiben lassen

Aus deiner hoheitblickenden Gestalt.

Schiller

Der Schreiber des großen Rates schien noch nicht Fassung genug erlangt zu haben, um auf dem Weg durch die Gänge und Galerien des Schlosses die vielen Fragen seines Erretters zu beantworten. Er zitterte noch an allen Gliedern, seine Kniee wankten, und oft drehte er sich um und schaute mit verwirrten Blicken hinter sich, als fürchte er, den Herzog möchte seine Gnade gereuen, und der greuliche Kanzler im gelben Mantel möchte ihm nachschleichen, und ihn plötzlich am Genick packen. Auf Georgs Zimmer angekommen, sank er erschöpft auf einen Stuhl, und es verging noch eine gute Weile, ehe er geordnet zu denken und zu antworten vermochte.

»Eure Politika, Vetter! hat Euch einen schlimmen Streich gespielt,« sagte Georg; »was fällt Euch aber auch ein, in Stuttgart als Volksredner auftreten zu wollen? Wie konntet Ihr überhaupt nur Eure bequeme Haushaltung, die sorgsame Pflege der Amme und die Nähe der holden Berta fliehen, um hier dem Statthalter zu dienen?«

»Ach! sie ist es ja gerade, die mich in den Tod geschickt hat. Berta ist an allem schuld; ach, daß ich nie mein Ulm verlassen hätte! Mit dem ersten Schritte über unsere Markung fing mein Jammer an.«

»Berta hat Euch fortgeschickt?« fragte Georg; »wie, seid Ihr nicht zum Ziele Eurer Bemühungen gelangt? Sie hat Euch abgewiesen, und aus Verzweiflung seid Ihr –«

»Gott behüt; Berta ist so gut als meine Braut. Ach, das ist gerade der Jammer! Wie Ihr von Ulm abgezogen waret, bekam ich Händel mit Frau Sabina, der Amme; da entschloß ich mich, und hielt bei meinem Oheim um das Bäschen an. Nun habt Ihr aber dem Mädchen durch Euer kriegerisches Wesen gänzlich den Kopf verrückt. Sie wollte, ich solle vorher zu Feld ziehen und ein Mann werden wie Ihr. – Dann wolle sie mich heiraten. Ach, du gerechter Gott!«

»Und da seid Ihr förmlich zu Feld gezogen gegen Württemberg? Welche kühne Gedanken das Mädchen hat!«

»Bin zu Feld gezogen; die Strapazen vergesse ich in meinem Leben nicht! Mein alter Johann und ich rückten mit dem Bundesheer aus. Das war ein Jammer! Mußten oft täglich acht Stunden reiten. Die Kleider kamen in Unordnung, alles wurde bestaubt und unsauber, der Panzer drückte mich wund; ich hielt es nicht mehr aus, und Johann lief heim nach Ulm, da bat ich um eine Stelle bei der Feldschreiberei, mietete mir eine Sänfte und zwei tüchtige Saumrosse dazu, und so ging es doch erträglicher.«

»Da wurdet Ihr also zu Feld getragen, wie der Hund zum Jagen. Habt Ihr auch einem Treffen beigewohnt?«

»O ja; bei Tübingen kam ich hart ins Gedränge. Keine zwanzig Schritte von mir wurde einer maustot geschossen. Ich vergesse den Schrecken nicht, und wenn ich achtzig Jahr alt werde! Als wir dann das Land völlig besiegt hatten, bekam ich die ehrenvolle Stelle beim Statthalter. Wir lebten ruhig und in Frieden; da kommt auf einmal wieder der unruhige Herr ins Land; ach, daß ich meinem Kopf gefolgt, und mit den Bundesobersten nach Nördlingen auf den Bundestag gezogen wäre; aber ich scheute die beschwerliche Reise.«

»Warum seid Ihr aber nicht mit dem Statthalter davongegangen, als wir kamen. Der sitzt jetzt im trockenen in Eßlingen, bis wir ihn weiterjagen.«

»Er hat uns im Stiche gelassen und meinem Kopf alles anvertraut; und beinahe hätte ich mit dem Kopf dafür büßen müssen. Ich dachte nicht, daß die Gefahr so groß sei, ließ mich von Doktor Calmus verführen, eine Rede ans Volk zu halten und Württemberg dem Bunde zu retten. Das hätte gewiß Aufsehen gemacht, und Berta wäre noch eins so freundlich gewesen. Aber die Leute da unten in Württemberg sind Barbaren, und ohne alle Lebensart; sie ließen mich nicht einmal zum Wort kommen, warfen mich herab, und behandelten mich ganz gemein und roh. Seht nur meinen Mantel an, wie sie ihn zerrissen haben! Es ist schade dafür, er hat mich vier Goldgulden gekostet, und Berta behauptete immer, daß mir rosenfarb so gut zu Gesicht stehe.«

Georg wußte nicht, ob er über die Torheit des Schreibers lachen, oder es als hohen stoischen Gleichmut bewundern sollte, daß er, kaum dem Tode entgangen, sein zerrissenes Mäntelein bedauern konnte. Er wollte ihn noch weiter über seine Schicksale befragen, als ihn ein Geräusch vom Vorplatz des Schlosses her ans Fenster lockte; er sah hinaus und winkte schnell Herrn Dieterich herbei, um ihm das Schauspiel gefallener irdischer Größe zu zeigen.

Der Doktor Calmus hielt seinen Umzug durch die Stadt. Er saß verkehrt auf einem Esel; die Landsknechte hatten ihn wunderlich ausgeschmückt, sie hatten ihm eine spitzige Mütze von Leder aufgesetzt, an deren Spitze eine Hahnenfeder angebracht war. Vor ihm gingen zwei Trommler, zu seinen Seiten sah man in gravitätischen Schritten den Magdeburger und den Wiener, den ehemaligen Hauptmann Muckerle und seinen tapfern Oberst gehen, die hin und wieder mit den Enden ihrer Hellebarden den Esel zu kühnen Sprüngen antrieben. Ein ungeheurer Volkshaufe umschwärmte ihn und warf ihn mit Eiern und Erde.

Der Ratsschreiber schaute trübselig auf seinen Gefährten hinab und seufzte: »'s ist hart, auf dem Esel reiten zu müssen«, sagte er, »aber doch immer noch besser als gehängt werden.« Er wandte sich ab von dem Schauspiel und blickte nach einer andern Seite des Schloßplatzes. »Wer kommt denn hier?« fragte er den jungen Ritter. »Schaut, in einem solchen Kasten zog ich zu Felde.«

Georg wandte sich um. Er sah einen Zug von Reisigen, die eine Sänfte in ihrer Mitte führten. Ein alter Herr zu Pferd folgte dem Zug, der jetzt aufs Schloß einbeugte; Georg sah schärfer hinab, »Sie sind's«, rief er, »wahrhaftig, es ist der Vater und in der Sänfte wird sie sitzen!« In einem Sprung war er zur Türe hinaus, und der Ratsschreiber sah ihm staunend nach. »Wer soll es sein, welcher Vater?« fragte er; er schaute noch einmal durchs Fenster, die Sänfte hielt vor der Zugbrücke des Schlosses, und in demselben Augenblicke stürzte Georg aus dem Tor. Herr Dieterich sah ihn die Türe der Sänfte ungestüm aufreißen, eine verschleierte Dame stieg aus, sie schlug den Schleier zurück – und wunderbar! es war das Bäschen Marie von Lichtenstein. »Ei! sehe doch einer; er küßt sie auf öffentlicher Straße«, sprach der Ratsschreiber kopfschüttelnd vor sich hin, »was das eine Freude ist. Aber wehe, jetzt kommt der Alte um die Sänfte herum, der wird Augen machen! Der wird schimpfen! – doch wie! er nickt dem Junker freundlich zu, er steigt ab; er umarmt ihn. Nein! das geht nicht mit rechten Dingen zu.«

Und dennoch schien es durchaus mit rechten Dingen zuzugehen; denn als der Schreiber des Großen Rates aus dem Zimmer auf die Galerie trat, um sich zu überzeugen, daß ihn seine Augen getäuscht haben müssen, kam sein Oheim der alte Herr von Lichtenstein die Treppe herauf. An der rechten Hand führte er Georg von Sturmfeder, an der linken – Bäschen Marie. Welche Veränderung war mit jenen holden Zügen vorgegangen, die sich so tief in sein Herz, in sein Gedächtnis geprägt hatten.

In Ulm war sie ihm zum erstenmal wie ein Bote aus einem unbekannten Lande erschienen, so erhaben war der Blick ihrer schönen blauen Augen, so majestätisch ihre Stirne, so sinnig jenes kleine Fleckchen zwischen den schönen dunkeln Bogen der Brau'n. Er hatte oft und viel darüber nachgedacht, in was denn der Zauber bestehe, der ihn so unwiderstehlich feßle? Die Ulmer Mädchen hatten frischere Wangen, lebhaftere Augen, ein schalkhafteres Lächeln und den fröhlichen frischen Glanz einer heitern Jugend. Und dennoch war Marie unter ihnen gestanden, still und groß wie eine Königin. War es vielleicht der dunkle Schleier ihrer Wimpern, der sich oft mit unnennbarem Reiz über das Auge herabsenkte, um das Geheimnis einer stillen Träne zu verhüllen? Waren es die feinen geschlossenen Lippen, von süßer Wehmut umlagert? War es der zarte Wechsel der Farben auf ihren Zügen, die bald nur gebietende Hoheit auszustrahlen, bald das reizende Geheimnis leidender Liebe zu verraten schienen? Bertas Heiterkeit, Bertas fröhliche neckende Gunst hatte dieses ernstere Bild längst aus seinem Herzen verdrängt, und doch fühlte der arme Herr Dieterich die alte Wunde wieder bluten, als das Fräulein von Lichtenstein sich nahte. Aber welcher unbekannten Macht sollte er es zuschreiben, daß Mariens Züge einen ganz anderen Ausdruck gewonnen hatten? Wohl lag noch eine hohe Würde in ihrer Haltung, auf ihrer Stirne, aber in ihren Augen glühte eine stille Freude, ihr Mund lächelte und scherzte, auf ihren Wangen waren die schönsten Rosen aufgeblüht. Sprachlos hatte Dieterich von Kraft diese Erscheinung angestarrt, und jetzt erst wurde auch er von dem alten Ritter bemerkt. »Seh ich recht«, rief dieser, »Dieterich Kraft, mein Neffe! was führt denn dich nach Stuttgart, kommst du etwa zur Hochzeit meiner Tochter mit Georg von Sturmfeder? Aber wie siehst du aus? Was fehlt dir doch? Du bist so bleich und elend, und deine Kleider hängen dir in Fetzen vom Leibe!«

Der Ratsschreiber sah herab auf das rosenfarbene Mäntelein und errötete: »Weiß Gott«, rief er, »ich kann mich vor keinem ehrlichen Menschen sehen lassen! Diese verdammten Württemberger, diese Weingärtner und Schustersjungen haben mich so zerfetzt. Aber wahrhaftig! der ganze durchlauchtige Bund ist in meiner Person angegriffen und beleidigt!«

»Ihr dürft froh sein, Vetter! daß Ihr so davongekommen seid«, sagte Georg, indem er die Angekommenen in sein Gemach einführte; »bedenket Herr Vater, gestern nacht, als wir vor den Toren standen, hielt er Reden an die Bürger, um sie aufzuwiegeln gegen uns; da hat ihn heute frühe der Kanzler wollen köpfen lassen; mit großer Mühe bat ich ihn los, und jetzt klagt er die Württemberger wegen seines zerfetzten Mänteleins an.«

»Mit gnädiger Erlaubnis«, sagte Frau Rosel, und verbeugte sich dreimal vor dem Ratsschreiber, »wenn Ihr meine Hülfe annehmen wollet, so will ich den Mantel flicken, daß es eine Lust ist. Da geht's wie im Sprüchwort: ›Hat der Junge den Rock zerrissen, hat der Alt' ihn flicken müssen.‹«

Herrn Dieterich war diese Hülfe sehr angenehm; er bequemte sich zu der Frau Rosel ans Fenster zu sitzen, um sich seine Gewänder zurechtrichten zu lassen. Sie zog aus ihrer großen Ledertasche Zwirn von allen Farben und machte sich an die Wunden, die ihm die Württemberger geschlagen hatten. Sie unterhielt ihn dabei mit ergötzlichen Reden von der Haushaltung und der Zubereitung verschiedener Speisen, die in Frau Sabinas Kochregister nicht vorgekommen waren. Entfernt von diesem Paar um die ganze Breite des Zimmers, saßen Georg und Marie im traulichen Flüstern der Liebe. Weder der gelehrte Johannes Tethingerus, noch ein Johannes Bezius, weder Gabelkofer noch Crusius, so wichtige Kunden wir ihnen über diese Zeiten verdanken, melden uns, was diese beiden an jenem Morgen zusammen flüsterten, nur so viel können wir berichten, daß eine süße Ruhe auf Mariens Zügen lag, daß sie die schönen Augen bald freudig aufschlug, bald verschämt wieder senkte, daß sie bald lächelte, bald tief errötete, und manche Frage des Geliebten mit Küssen zurückdrängte.

Der Leser wird es uns Dank wissen, wenn wir ihn von einer Szene, die so wenig historischen Grund und Boden, also nach neueren Begriffen auch keinen Wert hat, hinwegführen, und den Schritten des Ritters von Lichtenstein folgen. Er hatte seine Tochter unter der Pflege Georgs, seinen Neffen unter der kunstreichen Hand der Frau Rosalia gelassen, und schritt nun den Gemächern des Herzogs zu. Seine Züge, welchen Alter und Erfahrung einen sinnenden Ernst eingedrückt hatten, erschienen in dieser Stunde noch ernster – beinahe traurig. Dieser Mann hatte von seinen Vätern die Liebe zum Hause Württemberg geerbt, Gewohnheit und Neigung hatten ihn an die Regenten gefesselt, die während seines langen Lebens über Württemberg geherrscht hatten, und das Unglück und die Verleumdung, welche auf Ulerich unablässig hereinstürmten, hatten das Herz des alten Herrn nicht von diesem Herzog losreißen können – sie fesselten ihn nur mit noch stärkeren Banden. Mit der Freude eines Bräutigams, der zur Hochzeit zieht, mit der Kraft eines Jünglings hatte er den weiten und beschwerlichen Weg von seinem Schloß nach Stuttgart zurückgelegt, als man ihm gemeldet hatte, daß der Herzog Leonberg erobert habe und auf Stuttgart zu ziehe. Keinen Augenblick zweifelte er an dem Siege des Herzogs und so traf es sich, daß er schon am andern Morgen der neuen Herrschaft Ulerichs nach Stuttgart kam.

Nicht so fröhlicher Art waren die Nachrichten, die ihm Georg mitteilte, als er mit ihm und Marien die Treppe heraufstieg. »Der Herzog«, hatte ihm jener zugeflüstert, »der Herzog ist nicht so wie er sollte; Gott weiß was er mit seinem Lande machen will, er hat unterweges sonderbare Reden fallen lassen, und ich fürchte er ist nicht in den besten Händen. Der Kanzler Ambrosius Volland –« Dieser einzige Name reichte hin, in dem Ritter von Lichtenstein große Besorgnisse aufzuregen. Er kannte diesen Volland, er wußte, daß er zwar gelehrt, in allen Regierungsgeschäften überaus wohlerfahren, zu jedem, auch dem schwersten Dienst bereit, aber dabei ein Mann sei, der zum wenigsten schon öfter ein gewagtes, wo nicht falsches Spiel gespielt habe.

»Wenn der Herzog diesem sein Vertrauen schenkt, wenn er nur seine Ratschläge befolgt, dann sei Gott gnädig. Dem Ambrosius ist das Land ein Stück Leder, das man nach Willkür handhaben kann, er wird es zurechtschneiden wollen zu einem Koller für den Herzog und die Abschnipfel für sich behalten. Aber wie Frau Rosel zu sagen pflegt: ›Zerschneiden kann jeder Narr, aber wie zusammennähen?‹ « So sprach der alte Herr von Lichtenstein zu sich, als er durch die Galerien ging; er streichelte unmutig seinen langen weißen Bart, und seine Augen glühten vom Eifer für die gute Sache Württembergs.

Er wurde sogleich vorgelassen, und traf den Herzog in großer Beratung mit Ambrosio. Der letztere hatte eine ungeheure Schwanenfeder in der einen Hand, in der andern hielt er ein Pergament, das mit schwarzer, roter und blauer Dinte in vielen zierlichen Schnörkeln beschrieben war. Der Herzog spielte mit einem großen Sigill, das er in der Hand hielt, er schien mit sich zu kämpfen, er sah bald seinen Kanzler durchdringend an, bald heftete sich sein Blick wieder auf das Sigill. Sie waren beide so vertieft, daß Lichtenstein einige Minuten im Zimmer stand, ohne von ihnen bemerkt zu werden; er betrachtete mit großer Teilnahme die edlen Züge Ulerichs von Württemberg. Er sah, wie auf seiner Stirne, in seinen sprechenden Augen, so verschiedene Empfindungen wechselten. Bald runzelte sich seine Stirne, seine Augenbrau'n zuckten, sein Auge rollte, dann glätteten sich diese Falten, aus seinen Blicken strahlte nur ein tiefer Ernst, der in Nachdenken überging, und oft schien ein Anflug von Güte den strengen Ausdruck seiner Züge zu mildern. Aber der im gelben Mäntelein, mit der Schwanenfeder in der Hand, stand wie der Versucher vor ihm; er wandt' und drehte sich vor ihm, wie die Schlange im Paradies, und das ewig stehende Lächeln, der Ausdruck von Ehrlichkeit, den er seinen grünen Äuglein zu geben wußte, wenn ihn sein Herr scharf ansah, sollten einladen den Apfel anzubeißen.

»Ich kann nicht begreifen«, sprach er mit heiserer feiner Stimme, »warum Ihr es nicht tun möget. Hat wohl Cäsar so lange gezaudert, als er über den Rubikon ging? Ein großer Mann hat große Mittel nötig, und die Mitwelt und die Nachwelt wird Euch preisen, daß Ihr diese Fesseln von Euch geworfen.«

»Weißt du dies so gewiß, Ambrosius Volland?« entgegnete der Herzog, indem er ihn düster anblickte. »Man wird sagen: Herzog Ulerich war ein Tyrann. Er hat die alte Ordnung umgestoßen, die seinen Vätern heilig war, er hat den Vertrag, den er selbst aufgerichtet, gebrochen, er hat sein Land wie ein fremdes behandelt, er hat die Gesetze nicht gehalten, die –«

»Erlaubet«, unterbrach ihn jener, »es kommt nur allein auf die Frage an: ›Wer ist Herr? der Herzog oder das Land?‹ Wenn das Land Herr ist, dann ist's was anderes. Dann freilich sind allerlei Pakten, Verträge, Klauseln und dergleichen nötig. Die Ritterschaft, die Prälaten und die Landschaft sind dann Meister, und Euer Durchlaucht – nun, sind dann der, welcher den Namen dazu hergibt. Seid Ihr aber, was man so eigentlich Herr nennt, dann seid Ihr es auch, der Gesetze gibt. Jetzt habt Ihr das Heft in der Hand; jetzt noch seid Ihr Herr und Meister. Drum fort mit dem alten Recht, hier ist ein neues – da, nehmt in Gottes Namen die Feder, unterzeichnet.«

Der Herzog stand noch eine Weile unschlüssig, seine Wangen glühten, seine ganze Gestalt richtete sich höher auf, aber sein Auge haftete noch am Boden. Jetzt schlug er es auf, und es blitzte vom Gefühl seiner Würde. »Ich heiße Württemberg«, sagte er; »ich bin das Land und das Gesetz – ich unterschreibe.« Er streckte die Rechte aus, die Schwanenfeder aus der Hand seines Kanzlers zu empfangen, aber mit sanfter Gewalt wurde sein Arm von einer fremden Hand ergriffen und weggezogen. Erstaunt sah er sich um, und blickte in die ruhigen aber ernsten Züge des Ritters von Lichtenstein.

»Ha! willkommen«, rief er, »mein getreuer Lichtenstein; sogleich steh ich Euch Rede, lasset mich nur zuvor dies Pergament unterzeichnen.«

»Erlauben Euer Durchlaucht«, sagte der alte Mann, »Ihr habt mir eine Stimme zugesagt in Eurem Rat, darf ich nicht auch wissen um die erste Verordnung, die Ihr an Euer Land ergehen lasset.«

»Mit Euer hochedeln Erlaubnis«, fiel Ambrosius Volland hastig ein, »das Ding hat Eile; die Bürgerschaft von Stuttgart versammelt sich schon auf der Wiese; diese Schrift muß ihr vorgelesen werden; es hat wahrhaftig Eile.«

»Nun, Ambrosius!« sagte der Herzog, »So gar eilig ist es nicht, daß wir unserem alten Freund die Sache nicht mitteilen sollten. Wir haben nämlich beschlossen, uns huldigen zu lassen, und zwar nach neuen Verträgen und Gesetzen. Die alten sind null und nichtig.«

»Das habt Ihr beschlossen? um Gottes willen, habt Ihr auch bedacht, zu was dies führt? Habt Ihr nicht erst vor wenigen Tagen den Tübinger Vertrag beschworen?«

»Tübingen!« rief der Herzog mit schrecklicher Stimme, indem seine Augen von Zorn glühten. »Tübingen! nenne dies Wort nicht mehr. Dort hatte ich all meine Hoffnung, dort war mein Land, meine Kinder, ha, und dort haben sie mich verraten und verkauft. Ich bat, ich flehte, sie sollen zu mir halten, ich wolle Gut und Blut mit ihnen teilen – nichts! man wollte von Ulerich nichts mehr; das neue Regiment gefiel ihnen besser, im Elend haben sie mich schmachten lassen, haben zugegeben, daß ihr Herzog in Verbannung war, haben geduldet, daß der Name Württemberg ein Hohngelächter wurde in allen Reichen – jetzt bin ich wieder Herr und Meister, habe das Heft in der Hand, und will mir's nicht wieder aus der Hand wenden lassen. Haben sie ihren Eid vergessen, bei Sankt Hubertus, so ist mein Gedächtnis auch nicht länger. Tübinger Vertrag? Ich sag, der Teufel soll alles holen, was mit diesem Namen sich verknüpft!«

»Aber bedenken Euer Durchlaucht!« sprach Lichtenstein, von diesem Ausbruch der Leidenschaft erschüttert, »bedenket doch, welchen Eindruck ein solcher Schritt auf das Land machen muß. Noch habt Ihr nichts als Stuttgart und die Gegend; noch liegen in Urach, Asperg, Tübingen, Göppingen, überall noch bündische Besatzungen. Wird die Landschaft Euch beistehen, den Bund zu verjagen, wenn sie hört, auf welche neue Ordnung sie huldigen solle?«

»Ich sag: ist mir die Landschaft beigestanden, als ich Württemberg mit dem Rücken ansehen mußte? Sie haben mich laufen lassen und dem Bund gehuldigt!«

»Vergebt mir, Herr Herzog«, entgegnete der Alte mit bewegter Stimme; »dem ist nicht also. Ich weiß noch wohl den Tag bei Blaubeuren. Wer hielt da zu Euch, als die Schweizer abzogen? Wer bat Euch nicht vom Land zu lassen, wer wollte Euch sein Leben opfern? Das waren achttausend Württemberger. Habt Ihr den Tag vergessen?«

»Ei, ei, Wertester!« sagte der Kanzler, dem es nicht entging, welchen mächtigen Eindruck diese Worte auf Ulerich machten. »Ei! Ihr sprechet doch auch etwas zu kühnlich. Ist übrigens jetzt auch gar nicht die Rede von damals, sondern von jetzt. Die Landschaft ist von der alten Huldigung gänzlich abgekommen, hat dem Bunde eine andere Huldigung getan; Seine Durchlaucht ist jetzt als ein neuangekommener Herr anzusehen; er hat dies Land mit Gewalt erobere; hat sich nun der Bund auf besondere Verträge huldigen lassen, so kann es der Herzog ebenso halten. Neuer Herr, neu Gesetz. Man kann sich in allewege nach eigenem Gutdünken huldigen lassen. Soll ich die Feder eintauchen, gnädiger Herr?«

»Herr Kanzler!« sagte Lichtenstein mit fester Stimme, »habe alle mögliche Ehrfurcht vor Eurer Gelahrtheit und Einsicht, aber was Ihr da sagt, ist grundfalsch und kein guter Rat. Jetzt gilt es zu wissen, wen das Volk liebt. Der Bund hat durch sein Walten im Land alles gegen sich aufgebracht, es war die rechte Zeit, daß Seine Durchlaucht wiederkam, jetzt fliegen ihm alle Herzen zu –; wird er sie nicht gewaltsam von sich stoßen, wenn er alles Alte umreiße und nach eigener neuerer Satzung schaltet und waltet! Oh, bedenkt, bedenkt, die Liebe eines Volkes ist eine mächtige Stütze!«

Der Herzog stand mit untergeschlagenen Armen da, düster vor sich hinblickend, er antwortete nicht. Desto eifriger tat dies der Kanzler im gelben Mäntelein. »Hi, hi, hi! wo habt Ihr die schönen Sprüchlein her? Liebwerter, Hochgeschätzter! Liebe des Volkes, sagt Ihr? Schon die Römer wußten was davon zu halten sei. Seifenblasen, Seifenblasen! hätt Euch für gescheiter gehalten. Wer ist denn das Land? hier, hier steht es in persona, das ist Württemberg; dem gehört's; hat's geerbt und jetzt noch dazu erobert. Volksliebe! Aprillenwetter! wäre ihre Liebe so stark gewesen, so hätten sie nicht dem Bunde gehuldigt.«

»Der Kanzler hat recht!« rief Ulerich aus seinen Gedanken erwachend. »Du magst es gut meinen, Lichtenstein. Aber er hat diesmal recht. Meine Langmut hat mich zum Land hinaufgetrieben; Jetzt bin ich wieder da; und sie sollen fühlen, daß ich Herr bin. Die Feder her, Kanzler, ich sag so will ich's; so wollen wir uns huldigen lassen!«

»O Herr! tut nichts in der ersten Hitze! wartet bis Euer Blut sich abkühlt. Rufet die Landschaft zusammen; machet Änderungen nach Eurem Sinne, nur jetzt nicht, nur nicht solange der Bund noch Land besitzt in Württemberg; es könnte Euch schaden bei den übrigen. Gestattet nur noch eine kurze Frist. –«

»So?« unterbrach ihn der Kanzler, »daß man dann alsgemach wieder in das alte Wesen hineinkommt. Gebt acht, wenn die Landschaft erst beisammen ist, wenn sie sich erst zusammen beraten, meinet Ihr, da werden sie so gutwillig nachgeben. Hi! hi! da wird man Gewalt anwenden müssen, und das macht erst verhaßt. Schmiedet das Eisen, solange es warm ist. Oder gelüstet Euer Durchlaucht wieder ganz gehorsamlich unter das alte Joch zu stehen, und den Karren zu ziehen?«

Der Herzog antwortete nicht. Er riß mit einer hastigen Bewegung Feder und Pergament dem Kanzler aus der Hand, warf einen schnellen durchdringenden Blick auf ihn und den Ritter, und ehe noch dieser es verhindern konnte, hatte Ulerich seinen Namen unterzeichnet. Der Ritter stand in stummer Bestürzung; er senkte bekümmert das Haupt auf die Brust herab. Der Kanzler blickte triumphierend auf den Ritter und den Herzog. Doch dieser ergriff eine silberne Glocke, die auf dem Tisch stund, und klingelte. Ein Diener erschien und fragte nach seinem Befehl.

»Ist die Bürgerschaft versammelt?« fragte er.

»Ja, Euer Durchlaucht! auf den Wiesen gegen Cannstatt sind sie versammelt. Amt und Stadt; die Landsknechte rücken soeben aus; sechs Fähnlein.«

»Die Landsknechte? wer gab die Erlaubnis?«

Der Kanzler zitterte vor dem Ton dieser Frage. »Es ist nur wegen der Ordnung«, sagte er, »ich habe gedacht, weil es bei solchen Fällen gebräuchlich sei, daß bewaffnete Mannschaft –«

Der Herzog winkte ihm zu schweigen; er begegnete einem trüben, fragenden Blick des alten Lichtenstein, der ihn erröten machte. »Mit meinem Befehl geschah es nicht«, sprach er, »doch – es möchte auffallen, wenn wir sie zurückriefen. Es ist ja gleichgültig. Man bringe mir den roten Mantel und den Hut; schnell!«

Der Herzog trat ans Fenster, und sah schweigend hinaus; der Kanzler schien nicht recht zu wissen, ob sein Herr erzürnt sei oder nicht, er wagte nicht zu sprechen, und der Ritter von Lichtenstein verstarrte in seinem trüben Schweigen. So standen sie geraume Zeit, bis sie von den Dienern unterbrochen wurden. Es traten vier Edelknaben ins Gemach, der erste trug den Mantel, der zweite den Hut, der dritte eine Kette von Gold und der vierte des Herzogs Schlachtschwert. Sie bekleideten den Herzog mit dem Fürstenmantel von purpurrotem Samt mit Hermelin verbrämt. Sie reichten ihm den Hut, der die rot und gelbe Farbe des Hauses Württemberg in reichen wehenden Federn zeigte, diese wurden zusammengehalten von einer Agraffe aus Gold und Edelsteinen, die eine Grafschaft wert war. Der Herzog bedeckte sein Haupt mit diesem Hut. Seine kräftige Gestalt schien in diesem fürstlichen Schmuck noch erhabener als zuvor, und die freie, majestätische Stirne, das glänzende Auge sahe gebietend unter den wallenden Federn hervor. Er ließ sich die Kette umhängen, steckte das Schlachtschwert an, und winkte seinem Kanzler aufzubrechen.

Noch immer sprach der Ritter von Lichtenstein kein Wort; mit bekümmerter Miene hatte er diesen Anstalten zugesehen, und sich dann abgewendet. Der Herzog schritt mit leichtem Neigen des Hauptes, an dem alten Ritter vorüber zur Türe, und die wunderliche Figur des Kanzlers Ambrosius Volland folgte ihm mit majestätischen Schritten. Hatte der Herr den Alten nicht gegrüßt, glaubte auch der Kanzler ihm dies nicht schuldig zu sein, er warf nur einen tückischen Blick nach dem Platz hinüber wo jener noch immer stand, und sein großer, zahnloser Mund verzog sich zu einem höhnischen Lächeln. In der Türe stand der Herzog stille, er sah rückwärts, seine bessere Natur schien über ihn zu siegen, er kehrte zur Verwunderung des Kanzlers zurück und trat zu Lichtenstein.

»Alter Mann!« sagte er, indem er vergeblich strebte, seine tiefe Bewegung zu unterdrücken, »du warst mein einziger Freund in der Not, und in hundert Proben habe ich deine Treue bewährt gefunden, du kannst es mit Württemberg nicht schlimm meinen; ich fühle, es ist einer der wichtigsten Schritte meines Lebens, und ich gehe vielleicht einen gewagten Gang; – aber wo es das Höchste gilt, muß man alles wagen. –«

Der Ritter von Lichtenstein richtete sein greises Haupt auf in den weißen Wimpern hingen Tränen; er ergriff Ulerichs Hand: »Bleibet«, rief er, »nur diesmal, diesmal folget meiner Stimme; mein Haar ist grau; ich habe lange gelebt, Ihr erst drei Jahrzehnte. –« Indem ertönten die Trommeln der Landsknechte in dem Hof. Das ungeduldige Stampfen der Rosse drang herauf, und die Herolde stießen zur Huldigung rufend, in die Trompeten.

»›Jacta alea esto!‹ war der Wahlspruch Cäsars«, sagte der Herzog mit mutiger Miene; »jetzt gehe ich über meinen Rubikon. Aber dein Segen möchte mir frommen, alter Mann, zum Rat ist es zu spät!«

Der Ritter blickte schmerzlich aufwärts; die Stimme versagte ihm, er drückte segnend seines Herzogs Rechte an die Brust. Noch zögerte Ulerich bei ihm, da streckte der Kanzler den langen dürren Arm unter dem gelben Mäntelein hervor, winkte ihm mit der Pergamentrolle; er war anzuschauen wie der Versucher, dem es gelingt, eine arme Seele mit sich hinabzuziehen. Ulerich von Württemberg riß sich los und ging, um sich von seiner Hauptstadt huldigen zu lassen.

VI

Kein Feuer, keine Kohle

Kann glühen so heiß,

Als eine stille Liebe,

Von der niemand nichts weiß.

Altes Sprichwort

Die Besorgnisse des alten Herrn schienen nicht so ungegründet gewesen zu sein, als Ambrosius Volland sie dargestellt hatte. Ein sehr großer Teil des Landes fiel zwar dem Herzog zu, weil die Vorliebe für den angestammten Regenten, der Druck des Bundes und die anfangs so siegreichen Waffen Ulerichs, viele bewogen, die Huldigung, die sie gezwungenerweise dem Bunde getan, zu vergessen und sich für Württemberg zu erklären.

Aber die neue Huldigung, die alle frühern Verträge umstieß, das Gerücht, daß manche Stadt durch Gewalt zu diesen Formen gezwungen worden sei, bewirkte wenigstens, daß der Herzog keine Popularität gewann, ein Mangel, der in so zweifelhafter Lage oft nur zu bald fühlbar wird. Noch beharrten Urach, Göppingen und Tübingen auf ihren, dem Bund geleisteten Pflichten, denn ihre bündisch gesinnten Obervögte zwangen sie mit Gewalt dazu; zu Urach hauste Dieterich Spät, des Herzogs bitterster Feind; er brachte in wenigen Tagen so viel Mannschaft auf, daß er nicht nur sein ganzes Amt im Zaume hielt, sondern auch Einfälle in die Ländereien machte, die dem Herzog wieder zugefallen waren. Es ging auch das Gerücht, die Bundesstände seien schnell von Nördlingen aufgebrochen, jeder in seine Heimat geeilt, um frische Heere aufzubieten und Ulerich zum zweitenmal auf Leben und Tod zu bekämpfen.

Ulerich selbst schien weder der einen noch der andern dieser Besorgnisse Raum zu geben. Er pflog bei verschlossenen Türen mit Ambrosius Volland Rat; man sah viele Eilboten kommen und abgehen, aber niemand erfuhr, was sie brachten. In Stuttgart aber glaubte man fest, der Herzog müsse in der fröhlichsten Stimmung sein, denn wenn er mit seinem glänzenden Gefolge durch die Straßen ritt, alle schönen Jungfrauen grüßte und mit den Herren zu seiner Seite scherzte und lachte, da sagten sie: »Herr Ulerich ist wieder so lustig, wie vor dem Armen Konrad.« Er hatte seinen Hofstaat wieder glänzend eingerichtet. Zwar war es nicht mehr wie früher der Sammelplatz der bayerischen, schwäbischen und fränkischen Grafen und Herren, zwar fehlte die Fürstin, die sonst einen schönen Kranz blühender Fräulein um sich versammelt hatte, aber dennoch fehlte es nicht an schönen Frauen und schmucken Edeln seinen Hof zu verherrlichen, und die Luft dieser Stadt schien schon damals der Schönheit so günstig zu sein, daß die bunten Reihen in den Sälen und Hallen des Schlosses nicht einer gewöhnlichen Versammlung, sondern einer Auswahl aus den schönen Frauen des Landes glich.

Tänze und Ritterspiele waren in ihre alten Rechte eingesetzt worden, Fest drängte sich an Fest und Ulerich schien eifrig nachholen zu wollen, was er in der Zeit seines Unglücks versäumt hatte. Keines der geringsten dieser Feste war die Hochzeit Georgs von Sturmfeder mit der Erbin von Lichtenstein.

Der alte Herr hatte sich lange nicht entschließen können, sein Wort zu halten; nicht daß er die Wahl seiner Tochter mißbilligt hätte, denn er liebte seinen Eidam väterlich, er sah in ihm seine eigene Jugend wieder aufblühen, er schlug ihm seine freiwillige Verbannung mit dem Herzog hoch an; aber wie der Horizont von Ulerichs Glück, so war auch die Stirne des alten Mannes noch immer umwölkt, denn er ahnte, daß es nicht so bleiben werde, wie es jetzt war, und tief schmerzte es ihn, daß der Herzog in so mancher wichtigen Angelegenheit von seinem Rat nicht Gebrauch machte, sondern alles heimlich mit seinem Kanzler abhandelte. So hatte er unschlüssig und betrübt diesen Tag der Freude immer hinausgeschoben, aber die schönen Augen seiner Tochter, in welchen er oft einen leisen Vorwurf zu lesen glaubte, Georgs Bitten nötigten ihm endlich einen bestimmten Termin ab. Der Herzog ließ es sich nicht nehmen, die Hochzeit auszurichten Er mochte sich jener Nächte erinnern, wo der Vater nicht müde ward, ihm seine Anhänglichkeit zu bezeugen; wo die zarte Tochter keinen Sturm, keine Kälte scheute, um ihn am Burgtor zu empfangen, um ihn mit warmen Speisen zu laben. Er mochte sich noch aus der jüngsten Vergangenheit der Opfer erinnern, die ihm der Bräutigam gebracht hatte, er zeigte auf glänzende Art, wie er Treue, Aufopferung und Liebe, die sich ihm so selten bewährt hatten, zu vergelten wisse. Der Ritter und seine Tochter waren bisher noch immer seine Gäste im Schloß zu Stuttgart gewesen, jetzt ließ er ein schönes Haus nächst der Kollegiaten-Kirche mit neuem Hausgeräte versehen und übergab am Vorabend der Hochzeit den Schlüssel dem Fräulein von Lichtenstein, mit dem Wunsche, sie möchte es, sooft sie in Stuttgart sei, bewohnen.

Und jetzt endlich war der Tag gekommen, welchen Georg oft in ungewisser Ferne aber immer mit gleicher Sehnsucht geschaut hatte. Er rief sich am Morgen dieses Tages das ganze Leben seiner Liebe zurück; er wunderte sich, wie alles so ganz anders gekommen war, als er sich gedacht hatte. Wie hätte er, als er damals durch den Schönbuch nach der Heimat zog, denken können, daß das Glück, die Geliebte ganz zu besitzen, nicht mehr so ferne liegen werde, als er fürchtete. Wie hätte er, als er sich an das Bundesheer anschloß, ahnen können, daß der Herzog, welchen er zu bekriegen kam, sein Glück gründen werde. Mit welch heiterer Ruhe dachte er jetzt an die Stürme jener Tage zurück, wo es ihm zuerst wieder möglich geworden war, der Geliebten ein Wörtchen der Liebe zuzuflüstern, wo er die Schreckenskunde vernahm, daß ihr Vater ein Feind des Bundes, sie mit sich hinwegführen werde; wo er in Bertas Garten die unglücklichste Stunde seines Lebens im schmerzlichen Abschied von der Geliebten hinbrachte, wo er auf lange, vielleicht auf ewig verloren glaubte, was heute auf ewig sein werden sollte. Jedes Wort der Geliebten kehrte wieder in seiner Erinnerung, und er mußte aufs neue ihre hohe Zuversicht, ihren schönen Glauben an ein gütiges Geschick bewundern, den sie auch damals, wo die Zukunft mit einem düsteren Schleier verhüllt, und keine Aussicht, keine Hoffnung mehr war, nicht verlor, den sie mit dem letzten Abschiedskusse auch ihm mitzuteilen wußte.

»Er hat uns nicht gelogen, dieser Glaube«, sprach der junge Mann, von der Erinnerung bewegt, zu sich, »es lebt eine heilige, ahnungsvolle Stimme in ihrer reinen Seele, und ihr klares Auge das in dem meinigen die Gewißheit meiner Liebe las, tauchte auch damals tief in die Zukunft und verkündete Glück, es wird sie auch jetzt nicht täuschen, wenn es ein süßes, ungestörtes Glück in unserer Verbindung liest.«

Ein bescheidenes Pochen an der Türe unterbrach die lange Gedankenreihe, die sich an den heutigen Tag knüpfen, und in die ferne Zukunft hinausziehen wollte. Es war Herr Dieterich von Kraft, der stattlich geschmückt zu ihm eintrat.

»Wie?« rief dieser Schreiber des Großen Rates zu Ulm, und schlug voll Verwunderung die Hände zusammen. »Wie? in diesem Wams wollet Ihr Euch doch hoffentlich nicht trauen lassen? Es ist schon neun Uhr, die Gänge und Treppen des Schlosses wimmeln von Hochzeitgästen, die von Samt und Seide glänzen, und Ihr, die Hauptperson im Stück, schauet ruhig zum Fenster hinaus, statt Euren Anzug zu besorgen?«

»Dort liegt der ganze Staat«, erwiderte Georg lächelnd; »Barett und Federn, Mantel und Wams, alles aufs schönste zubereitet, aber Gott weiß, ich habe noch nicht daran gedacht, daß ich dieses Flitterwerk an mich hängen solle. Dies Wams ist mir lieber als jedes schöne neue. Ich habe es in schweren, aber dennoch glücklichen Tagen getragen.«

»Ja, ja! ich kenne es wohl; das habt Ihr bei mir in Ulm getragen, und es ist mir noch wohl erinnerlich, wie Euch Berta in diesem blauen Kleid abschilderte, daß ich recht eifersüchtig ward. Aber Flitterwerk nennt Ihr die Kleider da? Ei, der Tausend! Hätte ich nur mein Leben lang solche Flitter. Ha, das weiße Gewand mit Gold gestickt, und der blaue Mantel von Samt! Kann man was Schöneres sehen? Wahrlich Ihr habt mit Umsicht ausgewählt, das mag trefflich stehen zu Euren braunen Haaren.«

»Der Herzog hat mir es zugeschickt«, antwortete Georg, indem er sich ankleidete, »mir wäre alles zu kostbar gewesen.«

»Ist doch ein prächtiger Herr, der Herzog, und jetzt erst, seit ich einige Zeit hier bin, sehe ich ein, daß man ihm bei uns in Ulm zuviel getan hat. An einem solchen Hofe ist es doch was anderes als in den Städten; und Herzog von Württemberg klingt auch schöner als Bürgermeister von Ulm. Und doch möcht ich nicht in seiner Haut stecken; Ihr werdet sehen, Vetter, es geht noch einmal bergab mit ihm.«

»Das ist Euer altes Lied, Herr Dieterich; erinnert Ihr Euch noch, wie Ihr damals in Ulm großtatet mit Eurer Politika und wie Ihr regieren wolltet in Württemberg? Wie ist es denn jetzt?«

»Ist nicht alles eingetroffen«, erwiderte der Ratsschreiber mit weiser Miene; »weiß noch wie heute, daß ich prophezeite die Schweizer ziehen heim, die Landschaft werden wir für uns gewinnen, und die Burgen werden wir einnehmen.«

»Ja, ja! Ihr habt sie erobern helfen«, lachte Georg, »seid ja in einer Sänfte zu Feld getragen worden; aber damals sagtet Ihr auch, der Herzog werde nie zurückkehren, und jetzt sitzt er ganz warm und ruhig hier.«

»Nicht so ruhig als Ihr glaubt. Zwar ich wollte ihm und Euch wünschen, er behielte sein Land; uns hat es doch nichts genützt, die großen Herren nehmen alles für sich, an unsereinen kam nichts als etwa die Ehre für den Bund geköpft zu werden; möchte es ihm wohl gönnen; aber – glaubet mir, es sieht nicht so ruhig aus, als man hier meint. Die vertriebenen Räte haben von Eßlingen aus an den Kaiser und das Reich geschrieben und geklagt, der Bund ist wieder auf den Beinen; bei Ulm steht schon wieder ein neues Heer.«

»Gerede, nichts weiter; ich weiß gewiß, daß der Herzog sich mit Bayern versöhnen wird.«

»Ja will, aber nicht versöhnen wird. Das hat noch manchen Haken. Aber was sehe ich; Ihr werdet doch nicht den alten Fetzen von einer Feldbinde zu dem stattlichen Hochzeitschmuck anlegen wollen? Pfui, das paßt nicht zusammen, lieber Vetter.«

Der Bräutigam betrachtete die Schärpe mit inniger Liebe. »Das verstehet Ihr nicht«, sagte er, »wie gut sich dies zum Hochzeitgewande schickt. Es ist ihr erstes Geschenk; sie flocht sie heimlich bei Nacht auf ihrem Kämmerlein, als ihr die Kunde kam, daß sie bald scheiden müsse. Sie hat manche Träne hineingewoben, hat das Gewebe oft an die Lippen gedrückt, drum ward es mir eine Zauberbinde, und meinen Augen ein Trost, wenn ich im Unglück auf die Brust herniedersah. Sie darf nicht fehlen diese Binde, hat sie die Not mit mir getragen, so sei sie mir ein heiliger Schmuck am Tage des Glückes.«

»Nun, wie Ihr wollt, hängt sie in Gottes Namen um, jetzt noch das Barett aufgesetzt und schnell den Mantel umgehängt, sie läuten schon das erste drüben in der Kirche. Sputet Euch, lasset das Bräutlein nicht so lange warten!«

Der Ratsschreiber stellte sich noch einmal vor den jungen Mann, und musterte mit strengen Kenneraugen seinen Anzug. Er zog dort eine Spange schärfer an, er verwischte dort eine Falte, steckte hier eine Feder höher, und immer zufriedener wurden seine Blicke. Er gestand sich, daß der große, schlanke junge Mann, sein schöner Kopf, die klaren mutigen Augen ganz des lieblichen Bäschens würdig sei. »Weiß Gott«, sagte er, »Ihr sehet aus, Vetter, als wäret Ihr von unserem Herrgott gerade zum Hochzeiter erschaffen worden. Es ist mir lieb, daß Euch heute Berta nicht sehen kann, es möchte ihr wieder auf acht Tage schwindelnd werden, dem armen Kind! – Kommt, kommt; ich fühle mich stolz, Euer Geselle zu sein; wenn ich auch vierzehn Tage zu spät nach Ulm zurückkehre.« –

Georgs Wangen röteten sich, sein Herz pochte, als er sein Gemach verließ. Die Freude, die Erwartung, die Erfüllung jahrelanger Wünsche bestürmten seine Sinne, und wie trunken ging er neben Herrn Dieterich durch die Galerien. Die Türe ging auf, und Marie im Glanze ihrer Schönheit stand umgeben von vielen Frauen und Fräulein, die vom Herzog eingeladen, heute ihre Begleitung bilden sollten. Marie errötete, als sie den Geliebten sah, sie betrachtete ihn staunend, als seien seine Züge heute mit einem neuen Glanze übergossen, sie schlug die Augen nieder, als sie seinen freudetrunkenen Blicken begegnete. Was hätte Georg dafür gegeben, die Geliebte an sein Herz ziehen, den Morgengruß der Liebe auf ihre Lippen drücken zu dürfen, aber die strenge Sitte der Zeit trennte an diesem Tage durch eine weite Kluft, was sich sonst schon längst gefunden hätte. Dem Bräutigam war es nicht erlaubt, die Hand der Braut zu berühren, ehe sie der Priester in die seinige legte, und der Braut wurde es übel aufgenommen, wenn sie den Bräutigam gar zuviel und gar zu lange ansah. Züchtig, ehrbar, die Augen auf den Boden geheftet, die Hände unter der Brust gefaltet, mußte sie stehen – so wollt es die Sitte.

Bei mancher andern möchte diese Stellung erzwungen und steif erschienen sein, doch, wie die Natur über ihre lieblichsten Töchter in jeder Lage, in Trauer und Freude, den Zauber der Schönheit ausgießt, so war auch diese unnatürliche Haltung der Braut, bei Marien zum gelungensten Bild geworden; die zarte Röte, die alle Augenblicke auf ihren Wangen wechselte, der süße Mund, in dessen Winkeln ein Lächeln aufzukeimen schien, der feine weiche Vorhang der gesenkten Lider, die zarten Fransen der dunkeln Wimpern, durch welche die blauen glänzenden Augen wie eine aufgehende Sonne kaum sichtbar durchschimmerten, sie gaben ein Bild holder verschämter Liebe, die dem Geliebten die Arme öffnen, die seinen Namen mit den süßesten Tönen aussprechen, die die Augen aufschlagen möchte, um ihm durch einen Blick ihre Wünsche zu verkünden; doch die mächtigere Natur, das verwirrende Gefühl der Beschämung windet ihr die Hände nur noch fester zusammen, schlägt die zarte Hülle der Wimpern vor das glühende Auge herab, und verschließt den Mund, daß er nur heimlich und stille lächelt, aber das Geheimnis der Liebenden nicht ausspricht.

Verschwunden war die erhabene Haltung Mariens, verschwunden die Majestät ihrer Stirne und jener gebietende ernste Blick, der auch den Kühnsten gefesselt hätte; aber man war versucht, jene erhabeneren Schönheiten nicht zurückzuwünschen; lag doch in diesem verschämten Bekenntnis, durch einen Blick des Geliebten überwunden zu sein, ein höherer Reiz, als wenn das stolze Auge frei um sich geblickt, und dieser geschlossene Mund das Geständnis der Liebe laut und offen ausgesprochen hätte. So hatte die Natur Marien an diesem Tage einen neuen Zauber verliehen, der so mächtig wirkte, daß Georg einige Momente seine Braut verwunderungsvoll betrachtete und sein Herz sich stolzer hob, im Gefühle dieses liebliche Kind sein nennen zu dürfen.

Jetzt kam auch der Herzog, der den Ritter von Lichtenstein an der Hand führte. Er musterte mit schnellen Blicken den reichen Kreis der Damen, und auch er schien sich zu gestehen, daß Marie die schönste sei. »Sturmfeder!« sagte er, indem er den Glücklichen auf die Seite führte, »dies ist der Tag, der dich für vieles belohnt. Gedenkst du noch der Nacht, wo du mich in der Höhle besuchtest und nicht erkanntest? Damals brachte Hanns, der Pfeifer, einen guten Trinkspruch aus: ›Dem Fräulein von Lichtenstein! möge sie blühen für Euch.‹ – Jetzt ist sie dein, und was nicht minder schön ist, auch dein Trinkspruch ist erfüllt; Wir sind wieder eingezogen in die Burg Unserer Väter.«

»Mögen Euer Durchlaucht dieses Glück so lange genießen, als ich an Mariens Seite glücklich zu sein hoffe. Aber Eurer Huld und Gnade habe ich diesen schönen Tag zu verdanken, ohne Euch wäre vielleicht der Vater –«

»Ehre um Ehre, du hast Uns treulich beigestanden, als Wir Unser Land wiedererobern wollten, drum gebührte es sich, daß auch Wir dir beistanden, um sie zu besitzen. – Wir stellen heute deinen Vater vor, und als solchem wirst du Uns schon erlauben, nach der Kirche deine schöne Frau auf die Stirne zu küssen.«

Georg gedachte jener Nacht, als der Herzog unter dem Tor von Lichtenstein sich auf diesen Tag vertröstete, unwillkürlich mußte er lächeln, wenn er der Würde und Hoheit gedachte, mit welcher die Geliebte den Mann der Höhle damals zurückgewiesen hatte. »Immerhin, Herr Herzog, auch auf den Mund; Ihr habt es längst verdient durch Eure großmütige Fürsprache; ich denke, auch Marie wird sich nicht wieder sträuben, wie damals unter der Halle.«

»Wie?« rief Ulerich errötend; »hat dir das Fräulein etwas gesagt?«

»Kein Wort, Herr! aber ich stand hinter der Türe und sah zu, wie Ihr so herablassend gegen des Ritters Töchterlein waret.«

»Bei Sankt Hubertus«, entgegnete der Herzog lachend, »du bist ein eifersüchtiger Kauz. Das mußt du dir abgewöhnen, sonst hast du keine ruhige Stunde.«

»Freilich, wenn Euer Durchlaucht mir dies raten, so werde ich nie mehr eifersüchtig werden.«

Der Ton dieser Antwort, der einen leisen Spott zu verraten schien, erinnerte den Herzog, daß auch er einst diese Empfindung gehegt, daß sie ihn zu einer blutigen Rache angetrieben habe; er brach schnell ab, denn er liebte solche Erinnerungen nicht. »Laß es gut sein«, sagte er, »es ist Zeit in die Kirche zu gehen. Wer sind deine Gesellen, die dich zum Altar geleiten?«

»Marx Stumpf und der Ulmer Ratsschreiber, ein Vetter von Lichtenstein.«

»Wie, das feine Männlein, den mein Kanzler köpfen lassen wollte? Da hast du links den zierlichsten, und rechts den tapfersten Mann des Schwabenlandes. Glück zu junger Herr, doch will ich dir raten, mehr rechts zu halten als links, dann kann es dir nie fehlen auf Erden, und wärst du so eifersüchtig als ein Türke. Sieh, sieh, da kommt ja der Rechte; sieh, wie seine breite kurze Gestalt sich wunderlich ausnimmt unter den Frauenzimmern. Und wie er sich stattlich angetan hat! Den verschossenen grünen Mantel trug er schon Anno eilf, auf Unserer Hochzeit mit Frau Sabina Lobesan.«

»Kann mich nicht viel mit dem Anzug befassen«, erwiderte der tapfere Ritter von Schweinsberg, der die letzten Worte noch gehört hatte; »auch mit dem Tanzen will es nicht recht gehen, Ihr werdet mich entschuldigen; will aber heute abend im Ritterspiel der neue Eheherr eine Lanze mit mir brechen, so –«

»So willst du ihm aus lauter Zärtlichkeit und Höflichkeit ein paar Rippen einstoßen!« lachte der Herzog; »das heiße ich einen Bräutigamsgesellen von echter Art. Nein, da rate ich dir, Georg, dich lieber links zu halten, der Ulmer wird dir nicht wehe tun«

Die Flügeltüren öffneten sich jetzt, und man sah auf der breiten Galerie das Hofgesinde des Herzogs in Ordnung aufgestellt. An diese schlossen sich die Edelknaben an, welche brennende Kerzen trugen; dann folgte der glänzende Zug der Fräulein und Edelfrauen, die sich zu diesem Feste eingefunden hatten. Sie waren in reiche, mit Gold und Silber durchwirkte Stoffe gekleidet, und jede hatte einen Blumenstrauß und eine Zitrone in der Hand. Die Braut wurde von Georg von Hewen und Reinhardt von Gemmingen geführt. Viele Ritter und Edelleute schlossen sich an diese an, in ihrer Mitte ging Georg von Sturmfeder; Marx Stumpf zu seiner Rechten, der Ratsschreiber Dieterich Kraft zu seiner Linken. Sein ganzes Wesen schien von einer würdigen Freude gehoben, seine Augen blinkten freudig, sein Gang war der Gang eines Siegers. Er ragte mit dem wallenden Haar, mit den wehenden Federn des Baretts weit über seine Gesellen hervor. Die Leute betrachteten ihn staunend, die Männer lobten laut seine hohe, männliche Gestalt, seine edle Haltung, aber die Mädchen flüsterten leise und priesen seine schönen Züge und das freie, glänzende Auge.

So ging der Zug aus dem Tore des Schlosses nach der Kirche, die nur durch einen breiten Platz von ihm getrennt war. Kopf an Kopf standen die schönen Mädchen und die redseligen Frauen, sie musterten die Anzüge der Fräulein, strengten die Blicke an, als die schöne Braut vorbeiging, und waren voll Lobes über den Bräutigam.

Unter den zahlreichen Zuschauern sah man auch eine rüstige, runde Bauersfrau mit ihrem Töchterlein stehen. Diese Frau verneigte sich immerwährend zu großer Belustigung der Städtler umher, die nur der Braut und dem Herzog diese Aufmerksamkeit bewiesen. Sie unterhielt sich dabei eifrig mit ihrer Tochter. Das schöne Kind an ihrer Seite schien aber wenig auf ihre Reden zu achten; sie übersah den glänzenden Zug der Fräulein, ihre hellen Augen waren nur immer auf die nahende Braut gerichtet. Je näher diese kam, desto röter färbten sich die Wangen des Mädchens, das rote Mieder hob und senkte sich ungestüm, und das pochende Herz schien die silbernen Ketten, womit es eingeschnürt war, zersprengen zu wollen. Sie sah Marien fest und durchdringend an, die hohe Schönheit der jungen Braut schien sie zu überraschen, ein wehmütiges Lächeln zuckte um ihren kleinen Mund: »Sie ist's!« rief sie unwillkürlich aus, und verbarg dann schnell ihr Gesicht hinter dem Rücken ihrer Mutter, denn die Umstehenden sahen verwundert nach ihr hin.

»Jo, dia ist's, Bärbele! dia ist grausig schö!« flüsterte die runde Frau, und neigte sich tief. »Jetzt wellet mer uf da Junker bassa.«

Das Mädchen schien diesen Rat nicht erst zu bedürfen, denn sie blickte längst hinüber nach jener Seite, woher er kommen mußte. »Er kommt, er kommt«, hörte sie ihre Nachbarn flüstern, »der ist's in dem weißen Kleid, mit dem blauen Mantel, er geht gerade vor dem Herzog.« Sie sah ihn, nur einen Blick warf sie nach ihm hin, und wagte dann nicht mehr aufzublicken; die tiefe Röte ihrer Wangen verschwand, als er vorüberging, sie zitterte, eine Träne fiel herab auf das rote Mieder; – jetzt war er vorüber, jetzt hob sie das Köpfchen wieder ein wenig auf, und sandte ihm einen Blick nach, der mehr auszudrücken schien, als die reine Bewunderung oder das Staunen der Neugierde.

Als der Zug vorüber war, drängten sich die Zuschauer mit Ungestüm zu den Kirchtüren, und in einem Augenblick war der Platz, der noch kurz zuvor den Anblick einer bunten wogenden Menge dargeboten hatte, wie ausgestorben. Die runde Frau blickte noch immer staunend den schönen geputzten Stadtjungfern nach, welche mit ihren brokatenen Hauben und goldgestickten Miedern, mit ihren feinen langen Röcken, an welchen man nur um Hals und Busen den Zeug allzusehr gespart zu haben schien, in der Bauersfrau mächtige Sehnsucht nach solcher Pracht und Herrlichkeit erweckt hatten.

Als sie sich umwandte, erschrak sie nicht wenig, denn ihr holdes Kind hatte das blühende Gesichtchen in die Hände verborgen und weinte. Sie konnte nicht begreifen was dem Mädchen begegnet sein könne, sie faßte ihre Hand, zog sie herab von den Augen – sie weinte bitterlich. »Was hoscht denn, Bärbele«, fragte sie halb unmutig, doch nicht ohne Teilnahme, »was heulscht denn? Hoscht's denn et gseha? Gang, 's ist jo a Schand! wenn's jo ebber sieht; so sag no worum da heulscht?«

»I wois et, Muater!« flüsterte sie, indem sie vergeblich ihre Tränen zu bezwingen suchte; »es ist mer so weh im Herz drin, i woiß et worum.«

»Laß jetzt bleiba, sag e! Komm, sonst kommemer z'spot in d'Kirch. Hairsch, wie se musizieret und singet? komm, sonst seha mer nix mai!« Die Frau zog bei diesen Worten das Mädchen nach der Kirche. Bärbele folgte, sie bedeckte die Augen mit der weißen Schürze, um nicht den Stadtleuten zum Gespött zu werden, aber die tiefen Seufzer, die sich aus ihrer Brust heraufstahlen, ließen ahnen, daß sie einen tiefen Schmerz vergeblich zu unterdrücken suche. Die Orgel schwieg, der Chorgesang verstummte, als sie an der Kirchtüre anlangten; die Einsegnung des schönen Paares mußte in diesem Augenblick beginnen. Aber vergebens suchte die runde Frau durch die dichten Reihen zu dringen, welche die Türe füllten, sie wurde, sooft sie sich in einen freien Raum zu schieben suchte, unwillig und mit Scheltworten zurückgestoßen.

»Komm, Muater!« sprach das Mädchen, »mer wellet hoim; mer sent arme Leut, uns lasset se et in d'Kirch; komm hoim.«

»Was? d'Kircha sind für älle Leut erschaffa; au für d'arme. Wia, ihr Herra, lent es e bisle do nei. Mer sehet jo gar nix.«

»Waz!« sprach der Mann, an den sie sich gewendet hatte, und kehrte ihr ein rotbraunes Gesicht mit schrecklichem Bart zu. »Waz? packt Euch fort, wir lassen niemand durch; wir zind die allergnädigsten herzoglichen Landsknechte wir, und nach dem Zanktus, hat der Hauptmann befohlen, darf keine Zeele mehr durch; Mordblei! tut mir leid, wenn ich in der Kirche fluche, aber ich zag, weg da!«

»Die Olte muß weg, sogen wer, ober das Dienderl dorf rein; komm Schätzerl! Do konnst's recht gut sehen! schaut's, jetzt stecht ihr der Probst den Ring on, jetzt legt er ihne die Händ zusommen – gib mir en Schmatzerl, dann darfst sehn.« Der Kasperle von Wien streckte bei diesen Worten seine tapfere Hand nach dem Mädchen aus, doch diese schrie laut auf, und entfloh weinend; die runde Frau aber verwünschte die Stadtleute, die Stadtkirchen und die unanständigen Landsknechte, und folgte ihrer Tochter.

VII

So hab ich endlich dich gerettet

Mir aus der Menge wilden Reihn

Du bist in meinen Arm gekettet,

Du bist nun mein, nun einzig mein.

Es schlummert alles diese Stunde,

Nur wir noch leben auf der Welt;

Wie in der Wasser stillem Grunde

Der Meergott seine Göttin hält.

L. Uhland

Herzog Ulerich von Württemberg liebte eine gute Tafel, und wenn in guter Gesellschaft die Becher kreisten, pflegte er nicht so bald das Zeichen zum Aufbruch zu geben. Auch am Hochzeitfeste Mariens von Lichtenstein blieb er seiner Gewohnheit treu.

Man war, als die heilige Handlung in der Kirche vorüber war, in den Lustgarten am Schloß gezogen; dort hatten sich in den Laubgängen und künstlich verschlungenen Wegen die Hochzeitgäste ergangen, oder an den zahmen Hirschen und Rehen im Gehege, oder an den Bären die in einem der Gräben des Schlosses umherwandelten, sich ergötzt. Um zwölf Uhr hatten die Trompeten zur Tafel gerufen. Sie wurde in der Tyrnitz gehalten, einer weiten hohen Halle, die viele hundert Gäste faßte. Diese Halle war die Zierde des Schlosses zu Stuttgart. Sie maß wohl hundert Schritte in der Länge; die eine Seite, die gegen den Garten des Schlosses lag, war von vielen breiten Fenstern unterbrochen, und der freundliche Tag ergoß sich durch die vielfarbigen Scheiben, und erhellte überall das ungeheure Gemach, das mit seinen Wölbungen und Säulen mehr einer Kirche als einem Tummelplatz der Freude glich. Um die drei übrigen Seiten liefen Galerien mit Teppichen reich behängt, sie waren für die Geiger und Trompeter und für die Zuschauer bei einem fürstlichen Mahle bestimmt, oft aber dienten sie den Damen und Kampfrichtern zu Tribünen, wenn nicht der Klang der Becher, sondern Schwerthiebe, das Krachen der Lanzen, das Sausen der Speere, und das Gelächter und Geschrei der Kämpfer beim freien Waffenspiel in der Halle erscholl.

Aber heute sah man hier einen gemischten Kreis schöner Frauen und fröhlicher Männer um reichbesetzte Tafeln sitzen. Auf den Galerien schwangen die Geiger lustig ihre Fiedelbogen, die Zinkenisten bliesen ihre Backen auf, die Trommler schlugen kräftig auf die Felle, und mit Jauchzen und Hallo! stimmte die Volksmenge, die man auf den übrigen Teilen der Galerien zugelassen hatte, ein, wenn die Herren unten einen Trinkspruch ausgebracht hatten. Am oberen Ende der Halle, saß unter einem Thronhimmel der Herzog. Er hatte seinen Hut weit aus der Stirne gerückt, schaute fröhlich um sich, und sprach dem Becher fleißig zu. Zu seiner Rechten, an der Seite des Tisches, saß Marie; jetzt wollte die Sitte nicht mehr, daß sie die Augen niederschlug, und sechs Schritte von dem Geliebten entfernt bleibe. Ein fröhliches Leben war in ihre Augen, um ihren Mund eingezogen; sie blickte oft nach ihrem neuen Gemahl, der ihr gegenüber saß, es war ihr oft, als müsse sie sich überzeugen, daß dies alles kein Traum, daß sie wirklich eine Hausfrau sei, und den Namen, den sie achtzehn Jahre getragen, gegen den Namen Sturmfeder vertauscht habe; sie lächelte, sooft sie ihn ansah, denn es kam ihr vor, als gebe er sich, seit er aus der Kirche kam, eine gewisse Würde. »Er ist mein Haupt«, sagte sie lächelnd zu sich; »mein Herr, mein Gebieter, o der gute Herr! das liebe Haupt!«

Und es war so wie Marie zu bemerken glaubte; Georg fühlte sich gehobener, mit einer neuen Würde umgeben; es schien ihm, als zeigen ihm die Junker mehr Ehrfurcht, als ziehen ihn die älteren Ritter freundlicher zu sich heran, seit er nicht mehr allein in der Welt stand, sondern wie sie, ein Hausvater, vielleicht der Stifter eines glänzenden Geschlechtes geworden war. Denn in den guten alten Zeiten waren die Begriffe noch anders als heutzutag, und man dachte sich den Edelmann und den Bürger nicht anders, als mit Weib und Kindern und überließ das Zölibat den Mönchen.

In die Nähe des Herzogs war der Ritter von Lichtenstein, Marx Stumpf von Schweinsberg und der Kanzler gezogen worden, und auch der Ratsschreiber von Ulm saß nicht ferne, weil er heute als Geselle des Bräutigams diesen Ehrenplatz sich erworben hatte. Der Wein begann schon den Männern aus den Augen zu leuchten und den Frauen die Wangen höher zu färben, als der Herzog seinem Küchenmeister ein Zeichen gab. Die Speisen wurden weggenommen, und im Schloßhof unter die Armen verteilt; auf die Tafel kamen jetzt Kuchen und schöne Früchte, und die Weinkannen wurden für die Männer mit besseren Sorten gefüllt; den Frauen brachte man kleine silberne Becher mit spanischem, süßem Weine. Sie behaupteten zwar keinen Tropfen mehr trinken zu können, doch nippten und nippten sie von dem süßen Nektar immer wieder, bis man die Nagelprobe hätte machen können. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo nach der Sitte der Zeit dem neuen Ehepaar Geschenke überbracht wurden. Man stellte Körbe neben Marien auf, und als die Geiger und Pfeifer von neuem gestimmt hatten und aufzuspielen anfingen, bewegte sich ein langer glänzender Zug in die Halle. Voran gingen die Edelknaben des fürstlichen Hofes, sie trugen goldene Deckelkrüge, Schaumünzen, Schmuck von edlen Steinen als ein Geschenk des Herzogs.

»Mögen euch diese Becher, wenn sie bei den Hochzeiten eurer Kinder, bei den Taufen eurer Enkel kreisen, mögen sie euch an einen Mann erinnern, dem ihr beide im Unglück Liebe und Treue bewiesen, an einen Fürsten, der im Glück euch immer gewogen und zugetan ist.«

Georg war überrascht von dem Reichtum der Geschenke; »Euer Durchlaucht beschämen uns«, rief er, »wollet Ihr Liebe und Treue belohnen, so wird sie nur zu bald um Lohn feil sein.«

»Ich habe sie selten rein gefunden«, erwiderte Ulerich, indem er einen unmutigen Blick über die lange Tafel hinschickte, und dem jungen Mann die Hand drückte, »noch seltener, Freund Sturmfeder, hat sie mir Probe gehalten, drum ist es billig, daß wir die reine Treue mit reinem Golde, und edle Liebe mit edlen Steinen zu belohnen suchen. Doch wie, Eure schöne Frau vergießt Tränen? Ich weiß die Quelle dieses klaren Taues, es ist die Erinnerung an unser bitteres Geschick, die wir selbst heraufbeschworen haben. Hinweg mit diesen Tränen, schöne Frau. Am Hochzeittag ist es kein gutes Zeichen. Doch mit Verlaub Eures Eheherrn will ich jetzt eine alte Schuld einziehen, Ihr wißt noch welche?«

Marie errötete, und warf einen forschenden Blick nach Georg hinüber, als fürchte sie, jenes alte Übel, das sie oft kaum zu beschwören vermochte, möchte wiederkehren. Georg wußte recht wohl, was der Herzog meine, denn jene Szene, die er hinter der Türe belauschte, war ihm noch immer im Gedächtnis; doch er fand Gefallen daran, den Herzog und Marien zu necken, und antwortete als diese noch immer schwieg: »Herr Herzog, wir sind jetzt zusammen ein Leib und eine Seele, wenn also meine Frau in früheren Zeiten Schulden gemacht hat, so steht es mir zu sie zu bezahlen.«

»Ihr seid zwar ein hübscher Junge«, entgegnete Ulerich mit Laune, »und manche unserer Fräuleins hier am Tische möchte vielleicht gerne einen solchen Schuldbrief an Euren schönen Mund einzufordern haben; mir aber kann dies nicht frommen, denn meine Urkunde lautet auf die roten Lippen Eurer Frau.«

Der Herzog stand bei diesen Worten auf und näherte sich Marien, die bald errötend bald erbleichend ängstlich auf Georg herübersah; »Herr Herzog«, flüsterte sie, indem sie den schönen Nacken zurückbog, »es war nur Scherz; – ich bitte Euch.« Doch Ulerich ließ sich nicht irremachen, sondern zog die Schuld samt Zinsen von ihren schönen Lippen ein.

Der alte Herr von Lichtenstein sah bei dieser Szene finster bald auf den Herzog, bald auf seine Tochter, vielleicht mochte ihm Ulerich von Hutten beifallen, denn seine Blicke streiften auch ängstlich auf seinen Schwiegersohn. Der Kanzler Ambrosius Volland aber schaute mit höhnischer Schadenfreude aus den grünen Äuglein auf den jungen Mann; »Hi, hi«, rief er ihm zu; »ich leere meinen Becher auf gutes Wohlsein. Eine schöne Frau ist eine gute Bittschrift in aller Not; wünsche Glück, liebster, wertgeschätzter Herr; hi! hi! 's ist ja auch was Unschuldiges, solange es vor den Augen des Ehemanns geschieht.«

»Allerdings, Herr Kanzler!« erwiderte Georg mit großer Ruhe, »um so unschuldiger als ich selbst dabei war, wie meine Frau Seiner Durchlaucht diesen Dank zusagte. Der Herr Herzog versprach beim Vater für uns zu bitten, daß er mich zu seinem Eidam annehme, und bedung sich dafür diesen Lohn an unserem Hochzeittage.«

Der Herzog sah den jungen Mann mit Staunen an, Marie errötete von neuem, denn sie mochte sich jene ganze Szene ins Gedächtnis zurückrufen, aber keines von beiden widersprach ihm, sei es, weil sie es für unschicklich hielten, ihn Lügen zu strafen, sei es, weil sie ahneten er könne sie belauscht haben. Aber Ulerich konnte doch nicht unterlassen, ihn heimlich um die näheren Umstände zu befragen, er teilte sie ihm in wenigen Worten mit.

»Du bist ein sonderbarer Kauz!« flüsterte der Herzog lachend, »was hättest du denn gemacht, wenn Wir damals ein Küßchen erobert hätten?«

»Ich kannte Euch noch nicht«, flüsterte Georg ebenso leise, »drum hätte ich Euch auf der Stelle niedergestochen und an die nächste Eiche aufgehängt.«

Der Herzog biß sich in die Lippen und sah ihn verwundert an; dann aber drückte er ihm freundlich die Hand und sagte: »Da hättest du alles Recht dazu gehabt, und Wir wären in Unseren Sünden abgefahren. – Doch siehe, da bringen sie wieder Spenden für die Braut.«

Es erschienen jetzt die Diener der Ritter und Edeln, die zur Hochzeit geladen waren, die trugen allerlei seltenes Hausgeräte, Waffen, Stoff zu Kleidern und dergleichen; man wußte zu Stuttgart, daß es der Liebling des Herzogs sei, dem dieses Fest gelte, drum hatte sich auch eine Gesandtschaft der Bürger eingestellt, ehrsame angesehene Männer in schwarzen Kleidern; kurze Schwerter an der Seite; mit kurzen Haaren und langen Bärten. Der eine trug eine aus Silber getriebene Weinkanne, der andere einen Humpen aus demselben Metall, mit eingesetzten Schaumünzen geschmückt. Sie nahten sich ehrerbietig zuerst dem Herzog, verbeugten sich vor ihm, und traten dann zu Georg von Sturmfeder.

Sie verbeugten sich lächelnd auch vor ihm, und der mit dem Humpen hub an:


»Gegrüßet sei das Ehepaar

Und leb zusamt noch manches Jahr;

Um euch zu fristen langes Leben

Will Stuttgart euch ein Tränklein geben.

Des Lebens Tränklein ist der Wein,

Komm guter Geselle schenk mir ein.«


Der andere Bürger goß aus der Flasche den Humpen voll, und sprach während der erste trank:


»Von diesem Tränklein steht ein Faß

Vor eurer Wohnung auf der Gaß.

Es ist vom besten, den wir haben,

Er soll euch Leib und Seele laben;

Er geb euch Mut, Gesundheit, Kraft,

Das wünscht euch Stuttgarts Bürgerschaft.«


Der erstere hatte indessen ausgetrunken und füllte den Becher von neuem, und sprach, indem er ihn dem jungen Mann kredenzte:


»Und wenn ihr trinkt von diesem Wein

Soll euer erster Trinkspruch sein:

›Es leb der Herzog und sein Haus!‹

Ihr trinkt bis auf den Boden aus;

Dann schenkt ihr wieder frischen ein:

›Hoch leb Sturmfeder und Lichtenstein.‹

Und lüstet euch noch eins zu trinken,

Mögt ihr an Stuttgarts Bürger denken.«


Georg von Sturmfeder reichte beiden die Hand, und dankte ihnen für ihr schönes Geschenk; Marie ließ ihre Weiber und Mädchen grüßen, und auch der Herzog bezeugte sich ihnen gnädig und freundlich. Sie legten den silbernen Becher und die Kanne in den Korb zu den übrigen Geschenken, und entfernten sich ehrbaren und festen Schrittes aus der Tyrnitz. Doch die Bürger waren nicht die letzten gewesen, welche Geschenke gebracht hatten; denn kaum hatten sie die Halle verlassen, so entstand ein Geräusch an der Türe, wo die Landsknechte Wache hielten, das selbst die Aufmerksamkeit des Herzogs auf sich zog. Man hörte tiefe Männerstimmen fluchen und befehlen, dazwischen ertönten hohe Weiberstimmen, von denen besonders eine, die am heftigsten haderte, der Gesellschaft am obersten Ende der Tafel sehr bekannt schien.

»Das ist wahrhaftig die Stimme der Frau Rosel!« flüsterte Lichtenstein seinem Schwiegersohn zu, »Gott weiß, was sie wieder für Geschichten hat.«

Der Herzog schickte einen Edelknaben hin, um zu erfahren was das Lärmen zu bedeuten habe; er erhielt zur Antwort, einige Bauernweiber wollen durchaus in die Halle, um den Neuvermählten Geschenke zu bringen; da es aber nur gemeines Volk sei, so wollen sie die Knechte nicht einlassen. Ulerich gab Befehl sie vorzubringen, denn die Sprüchlein der Bürger hatten ihm gefallen, und auch von den Bauersleuten versprach er sich Kurzweil. Die Knechte gaben Raum, und Georg erblickte zu seinem Erstaunen die runde Frau des Pfeifers von Hardt mit ihrem schönen Töchterlein, geführt von der Frau Rosel ihrer Base.

Schon auf dem Wege in die Kirche hatte er die holden Züge des Mädchens von Hardt, die er nicht aus seinem Gedächtnis verloren, zu bemerken geglaubt; aber wichtigere Gedanken und die Heiligkeit des Sakraments, die seine ganze Seele füllten, hatten diese flüchtige Erscheinung verdrängt. Er belehrte die Gesellschaft, wer die Nahenden seien, und mit großem Interesse blickten sie alle auf das Kind jenes Mannes, dessen wunderbares Eingreifen in das Schicksal des Herzogs ihnen oft so unbegreiflich gewesen war, dessen Treue ihnen so erhaben, dessen Hülfe in der Not so willkommen erschienen war. Das Mädchen hatte die blonden Haare, die offene Stirne, die Züge ihres Vaters; nur die List, die aus seinen Augen, die Kühnheit und Kraft, die aus seinem Wesen sprach, war bei ihr, wenn sie nicht schüchtern und blöde war, in eine neckende Freundlichkeit und in rüstiges behendes Wesen übergegangen. So hatte sie Georg erkannt, als er im Hause des Pfeifers wohnte, doch heute schien sie vor den vielen vornehmen Leuten etwas schüchtern, ja es wollte ihm sogar scheinen, als sei ein neuer Zug in ihr Gesicht gekommen, den er früher nicht an ihr bemerkt hatte, eine gewisse Wehmut und Trauer, die sich um ihren Mund und in ihren Augen aussprach.

Die Pfeifersfrau wußte was Lebensart sei, sie verbeugte sich daher von der Türe der Tyrnitz in einem fort, bis sie zum Stuhl des Herzogs kam. Frau Rosel hatte noch die Röte des Zornes auf ihren magern Wangen, denn die Landsknechte, namentlich der Magdeburger und Kaspar Staberl, hatten sie höchlich beleidigt, und sie eine dürre Stange geheißen. Ehe sie noch sich sammeln und den Herrschaften geziemend die Familie ihres Bruders vorstellen konnte, hatte die runde Frau schon einen Zipfel von des Herzogs Mantel gefaßt und ihn an die Lippen gedrückt: »Guetan Obed, Herr Herzich«, sprach sie dazu mit tiefen Knicksen; »wie got Ich's, seit Er wieder in Schtuagerdt send; mei Ma loßt Ich schö grüaßa; mer komme aber et zum Herr Herzich, noi, zu dem Herra dort drübe welle mer. Mer hent a Hochzeitschenke für sei Frau. Do sieztt se jo, gang Bärbele, lang's aus em Krättle.«

»Ach! du lieber Gott«, fiel Frau Rosel ihrer Schwägerin ins Wort; »bitt' untertänigst um Verzeihung, Euer Durchlaucht, daß ich die Leut reingebracht habe; 's ist Frau und Kind vom Pfeifer von Hardt; ach! du Herr Gott, nehmet doch nichts übel, Herr Herzog; die Frau meint's gwiß gut.«

Der Herzog lachte mehr über diese Entschuldigung der Frau Rosel, als über die Reden ihrer Schwägerin: »Was macht denn dein Mann, der Pfeifer? Wird er uns bald besuchen? Warum kam er nicht mit euch?«

»Sell hot sein Grund, Herr!« erwiderte die runde Frau; »wenn's Krieg geit, bleibt er gwiß et aus; do ka mer'n brauche; aber im Frieda? Noi, do denkt er, mit grauße Herra ist's et guet Kirscha fressa.«

Frau Rosel wollte beinahe verzweifeln über die Naivetät der runden Frau, sie zog sie am Rock und am langen Zopfhand, es half nichts, die Frau des Pfeifers sprach zu großer Ergötzung des Herzogs und seiner Gäste immer weiter, und das unauslöschliche Gelächter, das ihre Antworten erregten, schien ihr Freude zu machen. Bärbele hatte indessen mit dem Deckel des Körbchens gespielt, sie hatte einigemal gewagt, ihre Blicke zu erheben, um jenes Gesicht wiederzusehen, das im Fieber der Krankheit so oft an ihrem Busen geruht, und in ihren treuen Armen Ruhe und Schlummer gefunden hatte, jenen Mund wiederzusehen, den sie so oft heimlicherweise mit ihren Lippen berührt hatte, und jene Augen, deren klarer, freundlicher Strahl ewig in ihrem Gedächtnis fortglühte. Sie erhob ihre Blicke immer wieder von neuem doch, wenn sie bis an seinen Mund gekommen war, schlug sie sie wieder – aus Furcht, seinem Auge zu begegnen – – herab.

»Siehe, Marie«, hörte sie ihn sagen, »das ist das gute Kind, das mich pflegte als ich krank in ihres Vaters Hütte lag; das mir den Weg nach Lichtenstein zeigte.«

Marie wandte sich um und ergriff gütig ihre Hand; das Mädchen zitterte, und ihre Wangen färbte ein dunkles Rot; sie öffnete ihr Körbchen und überreichte ein Stück schöner Leinwand und einige Bündel Flachs, so fein und zart wie Seide. Sie versuchte zu sprechen, aber umsonst, sie küßte die Hand der jungen Frau, und eine Träne fiel herab auf ihren Ehering.

»Ei, Bärbele«, schalt Frau Rosel, »sei doch nicht so schüchtern und ängstlich; gnädige Fräulein – wollte sagen, gnädige Frau, habt Nachsicht, sie kommt selten zu vornehmen Leuten. ›Es ist niemand so gut, er hat zweierlei Mut‹ , heißt es im Sprüchwort: das Mädchen kann sonst so fröhlich sein wie eine Schwalbe im Frühling –«

»Ich danke dir, Bärbele!« sagte Marie, »wie schön deine Leinewand ist! Die hast du wohl selbst gesponnen?«

Das Mädchen lächelte durch Tränen; sie nickte ein Ja! – zu sprechen schien ihr in diesem Augenblick unmöglich zu sein. Der Herzog befreite sie von dieser Verlegenheit, um sie noch in eine größere zu ziehen. »Wahrhaftig, ein schönes Kind hat Hanns der Spielmann«, rief er aus, und winkte ihr näher zu treten; »hoch gewachsen und lieblich anzuschauen! schaut nur, Herr Kanzler, was ihr das rote Mieder und das kurze Röckchen gut ansteht; wie? Ambrosius Volland, meinst du nicht, wir könnten durch ein allgemeines Edikt diese niedliche Tracht auch bei unseren Schönen in Stuttgart einführen?«

Der Kanzler verzog sein Gesicht zu einem greulichen Lächeln; er beschaute das errötende Mädchen mit seinen Äuglein vom Kopf bis zu den Füßen. »Man könnte zum Grund angeben«, sagte er, »daß dadurch eine Elle in der Länge erspart würde; so gut Euer Durchlaucht vor einigen Jahren das Maß und Gewicht hat kleiner machen lassen, habt Ihr nach allen Regeln der Logika auch das Recht dem Frauenzimmer die Röcklein zu verkürzen. Wäre aber damit nichts gewonnen, denn – hi, hi, hi! schaut nur, was dort wegfiele, müßten dann die hiesigen Schönen oben wieder ansetzen. Und wer weiß, ob sie sich gerne dazu verstünden? Sie gehören zum Geschlecht der Pfauen, und Ihr wißt schon, daß diese nicht gerne auf ihre Beine sehen.«

»Hast recht! Ambrosius«, lachte der Herzog; »es geht doch nichts über einen gelehrten Herrn! Aber sag einmal, Kind, hast du auch schon einen Schatz? einen Liebsten?«

»Ei was, Euer Durchlaucht!« unterbrach ihn die runde Frau, »wer wird so ebbes von so ema Kind denka! Se ist a ehrlichs Mädle, Herr Herzich!«

Der Herzog schien nicht auf diese Bemerkung zu hören; er betrachtete lächelnd die Verlegenheit, die sich auf den reinen Zügen des Mädchens abspiegelte; sie seufzte leise, sie spielte mit den bunten Bändern ihrer Zöpfe, sie sandte unwillkürlich einen Blick, aber einen Blick voll Liebe auf Georg von Sturmfeder, und schlug dann errötend wieder die Augen nieder. Der Herzog, dem dies alles nicht entging, brach in lautes Lachen aus, in das die übrigen Männer einstimmten. »Junge Frau!« sagte er zu Marien, »jetzt könnt Ihr billig die Eifersucht Eures Herrn teilen, wenn Ihr gesehen hättet was ich sah, könntet Ihr allerlei deuteln und vermuten.«

Marie lächelte und blickte teilnehmend auf das schöne Mädchen; sie fühlte, wie wehe ihr der Spott der Männer tun müsse. Sie flüsterte der Frau Rosel zu, sie und die runde Frau zu entfernen. Auch dieses bemerkte Ulerichs scharfer Blick und seine heitere Laune schrieb es der schnell erwachten Eifersucht zu. Marie aber band ein schönes, aus Gold und roten Steinen gearbeitetes Kreuzchen ab, das sie an einer Schnur um den Hals getragen, und reichte es dem überraschten Mädchen. »Ich danke dir«, sagte sie ihr dazu; »grüße deinen Vater und besuche uns recht oft hier und in Lichtenstein! Wie wäre es, wenn du mir dientest als Zofe? Du sollst es gut haben, und hast ja auch deine Muhme, Frau Rosel, bei uns.«

Das Mädchen erschrak sichtbar; sie schien mit sich zu kämpfen, oft schien ein freundliches Lächeln »ja« sagen zu wollen, aber ebensooft drängte ein schmerzlicher Zug um den Mund diesen Entschluß zurück: »I dank schö; gnädige Frau!« antwortete sie, indem sie Mariens schöne Hand küßte; »aber i mueß daheim bleibe; d'Mueter wird alt und braucht me, b'hüt Ich Gott der Herr, älle Heilige walten über Ich, und die heilige Jungfrau sei Ich gnädig. Lebet gsund und froh mit Euerem Herra, es ist a gueter, lieber Herr!« Noch einmal beugte sich Bärbele herab auf Mariens Hand, und entfernte sich dann mit ihrer Mutter und der Base.

»Hör einmal«, rief ihr der Herzog nach, »wenn deine Mutter einmal zugibt, daß du einen Liebsten bekommst, so bring ihn mir; ich will dich ausstatten, du hübsches Pfeiferskind!«

Unter diesen Szenen war es vier Uhr geworden, und der Herzog hob die Tafel auf. Dies war das Zeichen, daß sich jetzt das Volk von den Galerien entfernen müsse, die sogleich mit Polstern und Teppichen belegt, und zum Empfang der Damen eingerichtet wurden. In dem Parterre der Tyrnitz wurden schnell die Tafeln weggeräumt, Lanzen, Schwerter, Schilde, Helme und der ganze Apparat zu Ritterspielen herbeigeschleppt, und in einem Augenblicke war diese große Halle, die noch soeben der Sitz der Tafelfreuden gewesen war, zum Waffensaal eingerichtet. Wie die Damen in unseren Tagen gerne lauschen, wenn die Männer sich in gelehrte Diskussionen und politische Streitigkeiten einlassen, wie jede wünscht den Geliebten oder Gemahl am scharfsinnigsten urteilen, am schnellzüngigsten disputieren zu hören, so war es in den guten alten Zeiten den Frauen Freude, selbst blutige Kämpfe ihrer Männer zu beobachten, und aus manchem schönen Auge blitzte das Hochgefühl, einem Tapfern anzugehören, manche holde Wange schmückte ein höheres Rot, nicht wenn der Geliebte in Gefahr, sondern wenn er sich zurückzuziehen schien, oder seine Hiebe nicht so kräftig waren wie die seines Gegners.

Es wurden an diesem Abend sogar Pferde in die Halle geführt, und Marie hatte die Freude, ihrem Geliebten den zweiten Dank im Rennen überreichen zu können, denn er machte den Herrn von Hewen zweimal im Sattel wanken. Der tapferste Kämpfer war Herzog Ulerich von Württemberg, eine Zierde der Ritterschaft seiner Zeit. Meldet ja doch die Sage von ihm, daß er an seinem eigenen Hochzeittag, acht der stärksten Ritter des Schwaben- und Frankenlandes in den Sand warf. Nachdem die Ritterspiele einige Stunden gedauert hatten, zog man zum Tanz in den Rittersaal, und den Siegern im Kampfe wurden die Vortänze eingeräumt. Der fröhliche Reigen ertönte bis in die Nacht; der Herzog schien alle Sorgen vor der bangen Zukunft auf den Höcker seines Kanzlers geschoben zu haben, der wie die böse Zeit in einem Fenster saß, und mit bitterem Lächeln einem Vergnügen zuschaute, von welchem ihn seine eigene Mißgestalt ausschloß.

Zum letzten Tanz vor dem Abendtrunk wollte Ulerich die Krone des Festes, die junge, schöne Frau Marie aufrufen, doch im ganzen Saal suchte er und Georg sie vergebens auf, und die lächelnden Frauen gestanden, daß sechs der schönsten Fräulein sie entführt, und in ihre neue Wohnung begleitet haben, um ihr dort, wie es die Sitte wolle, die mysteriösen Dienste einer Zofe zu erzeigen.

»Sic transit gloria mundi!« sagte der Herzog lächelnd; »und siehe, Georg, da nahen sie schon mit den Fackeln, deine Gesellen und zwölf Junker, sie wollen dir ›heimzünden‹ Doch zuvor leere noch einen Becher mit Uns – Geh Mundschenk! bring vom Besten.«

Marx Stumpf von Schweinsberg und Dieterich von Kraft naheten sich mit Fackeln, und boten sich an, Georg nach Hause zu geleiten. An sie schlossen sich zwölf Junker, ebenfalls mit Fackeln an, um dem jungen Mann diese Ehre zu erweisen; denn so wollte es die Sitte der guten alten Zeit. Der Mundschenk goß die Becher voll, und kredenzte sie seinem Herzog und Georg von Sturmfeder.

Ulerich sah ihn lange und nicht ohne Rührung an; er drückte seine Hand und sagte:

»Du hast Probe gehalten. Als ich verlassen und elend unter der Erde lag, hast du dich zu mir bekannt; als jene vierzig meine Burg übergaben und kein Stückchen Württemberg mehr mein war, bist du mir aus dem Land gefolgt, hast mich oft getröstet und auch auf diesen Tag verwiesen. Bleibe mein Freund, wer weiß was die nächsten Tage bringen. Jetzt kann ich wieder Hunderten gebieten, und sie schreie: ›Hoch!‹ auf das Wohl meines Hauses, und doch war mir dein Trinkspruch mehr wert, den du in der Höhle ausbrachtest, und den das Echo beantwortete. Ich erwidere es jetzt und gebe es dir zurück: Sei glücklich mit deinem Weibe, möge dein Geschlecht auf ewige Zeiten grünen und blühen; möge es Württemberg nie an Männern fehlen, so mutig im Glück, so treu im Unglück wie du!«

Der Herzog trank und eine Träne fiel in seinen Becher. Die Gäste stimmten jubelnd in seinen Ruf, die Fackelträger ordneten sich, und seine Gesellen führten Georg von Sturmfeder aus dem Schloß der Herzoge von Württemberg.

VIII

Auch aus entwölkter Höhe

Kann der zündende Donner schlagen,

Darum in deinen glücklichen Tagen

Fürchte des Unglücks tückische Nähe.

Schiller

Der Weg, den die berühmtesten Novellisten unserer Tage bei ihren Erzählungen aus alter oder neuer Zeit einschlagen, ist ohne Wegsäule zu finden, und hat ein unverrücktes, bestimmtes Ziel. Es ist die Reise des Helden zur Hochzeit. Mag sein Weg sich noch so oft krümmen, wagt er es sogar Abstecher zu machen, und in Wirtshäusern und Burgen ungebührlich lange zu verweilen, er eilt nachher um so rascheren Schrittes seinem Ziele zu, und wenn er endlich nach so vielen Leiden mit gehöriger Würde in die Brautkammer geschoben ist, pflegt der Autor dem Leser die Türe vor der Nase zuzuwerfen und das Buch zu schließen. Auch wir hätten mit dem herrlichen Reigen im Schlosse zu Stuttgart schließen, oder den Leser mit dem Fackelzug des Bräutigams aus dem Buche hinausbegleiten können, aber die höhere Pflicht der Wahrheit und jenes Interesse, das wir an einigen Personen dieser Historie nehmen, nötigt uns den geneigten Leser aufzufordern, uns noch einige wenige Schritte zu begleiten, und den Wendepunkt eines Schicksals zu betrachten, das in seinem Anfang unglücklich, in seinem Fortgang günstiger, durch seine eigene Notwendigkeit sich wieder in die Nacht des Elends verhüllen mußte.

Das Motto, womit wir diesen Abschnitt bezeichneten, ist eine Geisterstimme, die warnend durch die Weltgeschichte tönt, die von vielen vernommen, von den meisten überhört, von wenigen befolgt wurde; zu allen Zeiten ging ein finsterer Geist durch das Haus der Erde, man vernahm oft sein Rauschen, man suchte es durch die Töne der Freude zu übertäuben. Ulerich von Württemberg hatte jene Stimme in mancher Nacht vernommen, die er sorgenvoll auf seinem Lager durchwachte. Er glaubte das Geräusch vieler Gewappneter, und die dröhnenden Tritte eines Heeres zu vernehmen, er glaubte sie näher und näher um ihn sich lagern zu hören, und wenn er sich auch überzeugte, daß es nur die Nachtluft war, die um die Türme seines Schlosses brauste, so blieb doch eine finstere Ahnung in ihm zurück, daß sein Schicksal noch einmal sich wenden könnte. Jene Warnung des alten Ritters von Lichtenstein tönte oft in seiner Seele wider, und vergeblich strengte er sich an, die künstlichen Folgerungen seines Kanzlers sich zu wiederholen, um ein Verfahren bei sich zu entschuldigen, das ihm jetzt zum wenigsten nicht genug überdacht schien. Denn seine alten Feinde rüsteten sich mit Macht. Der Bund hatte ein neues Heer geworben und drang herab ins Land, näher und näher an das Herz von Württemberg. Die Reichsstadt Eßlingen bot für diese Unternehmungen einen nur zu günstigen Stützpunkt. Sie liegt nur wenige Stunden von der Hauptstadt, beinahe mitten im Lande, und war, sobald das Heer des Bundes die Kommunikation mit ihr hergestellt hatte, eine furchtbare Schanze, um Ausfälle nach Württemberg zu begünstigen und zu decken. Das Landvolk nahm an vielen Orten den Bund günstig auf, denn der Herzog hatte sie durch die neue Art, wie er sich huldigen ließ, ängstlich gemacht. Der Württemberger liebt von jeher das Alte und Hergebrachte. Altes Recht, alte Ordnung, sind ihm goldene Worte, wenn er auch oft nicht weiß, was sie bedeuten, und ob das Neue nicht besser ist. Seine Ruhe, die er bei anderen Zufällen des Lebens zeigt, verläßt ihn, wenn man von Neuerungen spricht, und ein Eigensinn, der sogar Trotz wird, läßt ihn das Alte mit einer Glut, mit einer natürlichen Begeisterung umfassen, die ihm sonst fremd ist, und gänzlich außer seinem Wesen, der ruhigen, biederen Geschäftigkeit, liegt.

Diese Liebe zum Alten hatte der Herzog an seinem Volk erfahren, als er einige Jahre zuvor seinen Räten folgte, und zur Verbesserung seiner Finanzen ein neues Maß und Gewicht einführte. Der »Arme Konrad«, ein förmlicher Aufstand armer Leute hatten ihn nachdenklich gemacht und den Tübinger Vertrag eingeleitet. Diese Liebe zum Alten hatte sich auf eine rührende Weise an ihm gezeigt, als der Bund ins Land fiel, und das Haupt des alten Fürstenstammes verjagen wollte. Ihre Väter und Großväter hatten unter den Herzogen und Grafen von Württemberg gelebt, darum war ihnen jeder verhaßt, der diese verdrängen wollte; wie wenig sie das Neue lieben, hatten sie dem Bunde und seinen Statthaltern oft genug bewiesen.

Der alte angestammte Herzog, ein Württemberger, kam wieder ins Land; sie zogen ihm freudig zu; sie glaubten jetzt werde es wieder hergehen wie »vor alters«; sie hätten recht gerne Steuern bezahlt, Zehnten gegeben, Gülten aller Art entrichtet und Fronen geleistet; sie hätten über Schwereres nicht gemurrt, wenn es nur nach hergebrachter Art geschehen wäre. So gut ward es ihnen aber nicht; die alten Formeln waren aus dem Huldigungseid verschwunden, die Steuern wurden nicht mehr nach hergebrachter Sitte eingezogen, es war alles anders als früher, kein Wunder wenn sie den Herzog als einen neuen Herren ansahen, und murrend nach dem alten Recht verlangten. Sie hatten zu Ulerich kein Zutrauen mehr, nicht weil seine Hand schwerer auf ihnen ruhte als vorher, nicht weil er bedeutend mehr von ihnen wollte als früher, sondern weil sie die neuen Formen mit argwöhnischen Augen ansahen.

Ein Herzog, besonders wenn er einem Ambrosius Volland sein Ohr leiht, erfährt selten genau wie man über ihn denkt, und ob die Maßregeln klug berechnet waren, die ihm seine Räte an die Hand geben. Und dennoch entging Ulerichs hellem Auge die Unzufriedenheit seines Volkes nicht ganz. Er merkte, daß er im schlimmen Falle sich nicht auf sie werde verlassen können, so wenig als auf die Ritterschaft des Landes, die, seit er wieder im Land war, sich sehr neutral verhalten hatte.[42]

Seine Unruhe über diese Bemerkungen suchte er jedem Auge zu verbergen. Er beschwor die wildesten Töne der Freude herauf, und oft gelang es ihm sogar selbst zu vergessen, vor welchem Abgrund er stehe. Er versuchte, um seinem Volk und dem Heer, das er in und um Stuttgart versammelt hatte, Vertrauen und Mut einzuflößen, einige Einfälle, welche die Bündischen von Eßlingen aus in sein Land gemacht hatten, verdoppelt heimzugeben. Er schlug sie zwar und verwüstete ihr Gebiet, aber er verhehlte sich nicht, wenn er nach einem solchen Siege in seine Stellungen zurückging, daß das Kriegsglück ihn vielleicht verlassen könnte, wenn der Bund einmal mit dem großen Heere im Feld erscheinen werde.

Und er erschien frühe genug für Ulerichs zweifelhaftes Geschick. Noch wußte man in Stuttgart wenig oder nichts von dem Aufgebot des Bundes, noch lebte man am Hof und in der Stadt in Ruhe und in Freude, als auf einmal am zwölften Oktober die Landsknechte, welche der Herzog ein Lager bei Cannstatt hatte beziehen lassen, flüchtig nach Stuttgart kamen, und von einem großen bündischen Heer erzählten, das sie zurückgeworfen habe. Jetzt merkten die Bewohner Stuttgarts, daß eine wichtige Entscheidung nahe, jetzt sahen sie ein, daß der Herzog längst um diesen drohenden Einfall gewußt haben müsse, denn er ließ an diesem Tage die Ämter aufbieten, ließ die Truppen sich versammeln, die auf das Land umher verlegt gewesen waren, und hielt noch am Abend dieses Tages eine Musterung über zehntausend Mann.[43]

Noch in der Nacht zog er mit einem großen Teil der Mannschaft aus, um die Stellungen, die ein Teil der Landsknechte zwischen Cannstatt und Eßlingen genommen hatte, zu verstärken.

In jener Nacht wurde in Stuttgart manche Träne von schönen Augen geweint, denn Männer und Jünglinge, was die Waffen führen konnte, zog mit dem Herzog in die Schlacht. Doch das Rauschen des abziehenden Heeres übertönte die Klagen der Mädchen und Frauen, sie verhallten wie das Wimmern eines Kindes im Kampf der Elemente. Mariens Schmerz war stumm, aber groß, als sie den Gatten unter die Türe herabgeleitete, wo die Knechte mit den Rossen für ihn und den Vater hielten. Sie hatten still und einsam, nur mit ihrem Glück beschäftigt, die ersten Tage ihrer Ehe verlebt. Sie dachten wenig an die Zukunft, sie glaubten im Hafen zu sein, und indem sie nur sich selbst lebten, überhörten sie das Flüstern, die geheimnisvolle Unruhe, die einem nahenden Sturm vorangeht. Sie waren gewöhnt, den Vater ernst und düster zu sehen, es fiel ihnen nicht auf, wie sein Auge immer trüber, seine Stirne finsterer, seine Mienen beinahe traurig wurden. Er sah ihr süßes Glück, er fühlte mit ihnen, er verbarg, um sie nicht zu frühe aufzustören, was ihm eine bange Ahnung oft genug sagte. Aber endlich nahte der entscheidende Schlag. Der Herzog von Bayern war bis in die Mitte des Landes vorgedrungen, und der Ruf zu den Waffen schreckte Georg aus den Armen seines geliebten Weibes.

Die Natur hatte ihr eine starke Seele und jene entschiedene Erhabenheit über jedes irdische Verhängnis gegeben, die nur in einer reinen Seele und in der mutigen Zuversicht auf einen höhern Beistand bestehen kann. Sie wußte, was Georg der Ehre seines Namens, und seinem Verhältnis zum Herzog schuldig sei, darum erstickte sie jeden lauten Jammer, und brachte ihrer schwächeren Natur nur jenes Opfer schmerzlicher Tränen, die dem Auge, das den Geliebten tausend Gefahren preisgegeben sieht, unwillkürlich entströmen.

»Siehe, ich kann nicht glauben, daß du auf immer von mir gehst«, sagte sie, indem sie ihre schönen Züge zu einem Lächeln zwang; »wir haben jetzt erst zu leben begonnen, der Himmel kann nicht wollen, daß wir schon Aufhören sollen. Drum kann ich dich ruhig ziehen lassen, ich weiß ja zuversichtlich, daß du mir wiederkehrst.«

Georg küßte die schönen, weinenden Augen, die ihn so mild und voll Trost anblickten. Er dachte in diesem Augenblick nicht an die Gefahr, der er entgegengehe, nicht an die Möglichkeit, daß vielleicht schon das nächste Morgenrot seine Leiche bescheinen werde; er dachte nur daran, wie groß für das teure Wesen, das er in den Armen hielt, der Schmerz sein müßte, wenn er nicht mehr zurückkehrte: wie sie dann ein langes Leben einsam, nur in der Erinnerung an die wenigen Tage des Glückes, fortleben könnte. Er preßte sie heftiger in die Arme, als wolle er dadurch diese schwarzen Gedanken verscheuchen, seine Blicke tauchten tiefer in ihre Augen herab, um dort Vergessenheit zu suchen, und es gelang ihm, wenigstens trug er ein schönes Bild der Hoffnung und der Zuversicht mit sich hinweg.

Die Ritter stießen vor dem Tor gegen Cannstatt zu dem Herzog. Es war dunkle Nacht, das erste Viertel des Mondes und das Heer der Sterne warfen einen matten Schein herab; Georg glaubte zu bemerken, daß der Herzog finster und in sich gekehrt sei, denn seine Augen waren niedergeschlagen, seine Stirne kraus, und er ritt stumm seinen Weg weiter, nachdem er sie flüchtig mit der Hand gegrüßt hatte.

Ein nächtlicher Marsch hat immer etwas Geheimnisvolles, Bedeutendes an sich. Die Sonne, heitere Gegenden, der Anblick vieler Kameraden, der Wechsel der Aussichten locken bei Tag den Soldaten zum Gespräch, wohl auch zum Gesang. Weil die Eindrücke von außen stärker sind, denkt man weniger nach über das Ziel des Marsches, über das Ungewisse des Krieges, über die Zukunft, die niemand dunkler verhängt ist, als dem Kriegsmann im Felde. Ganz anders auf dem Marsch in der Nacht. Man hört nur das Gedröhn des Zuges, den taktartigen Hufschlag der Rosse, ihr Schnauben, das Klirren der Waffen; und die Seele, die durch das Auge keine Bilder mehr empfängt, wird durch dieses eintönige Gemurmel ernster; Scherz und Gelächter sind verstummt, das laute Gespräch sinkt zum Geflüster herab, und auch dieses gilt nicht mehr gleichgültigen Gegenständen, sondern der Entscheidung, welcher man entgegenzieht.

So war auch der Zug in jener Nacht, ernst und von keinem Laut der Freude unterbrochen. Georg ritt neben dem alten Herrn von Lichtenstein, und warf hie und da ängstliche Blicke auf diesen, denn er hing wie von Kummer gebückt im Sattel, und schien ernster als je zu sein. Er hätte beinahe ohne Leben geschienen, wenn nicht hin und wieder ein Seufzer aus seiner Brust heraufgestiegen wäre, und seine glänzenden Augen nach den Wölkchen schauten, die um die bleiche Sichel des Mondes zogen.

»Glaubt Ihr, es werde morgen zum Gefecht kommen, Vater?« flüsterte Georg nach einer Weile.

»Zum Gefecht? zur Schlacht.«

»Wie? Ihr glaubt also, das Bundesheer sei so stark, daß es uns jetzt schon werde die Spitze bieten können? Es ist nicht möglich. Herzog Wilhelm müßte Flügel haben, wenn er seine Bayern herabgeführt hätte, und Frondsberg ist in seinen Entschlüssen bedächtig. Ich glaube nicht, daß sie viel über sechstausend stark sind.«

»Zwanzigtausend«, antwortete der Alte mit dumpfer Stimme.

»Bei Gott, das hab ich nicht gedacht«, entgegnete der junge Mann mit Staunen. »Freilich, da werden sie uns hart zusetzen. Doch wir haben geübtes Volk, und des Herzogs Augen sind schärfer als irgendeines im Bundesheere, selbst als Frondsbergs. Glaubt Ihr nicht auch, daß wir sie schlagen werden?«

»Nein.«

»Nun, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ein großer Vorteil für uns liegt schon darin, daß wir für das Land fechten, die Bündischen aber dagegen; das macht unseren Truppen Mut; die Württemberger kämpfen für ihr Vaterland.«

»Gerade darauf traue ich nicht«, sprach Lichtenstein; »ja wenn der Herzog sich anders hätte huldigen lassen, so aber – hat er das Landvolk nicht für sich; sie streiten, weil sie müssen und ich fürchte, sie halten nicht lange aus.«

»Das wäre freilich schlimm«, erwiderte Georg; »doch die Schwaben sind ein biederes, ehrliches Volk, sie werden den Herzog nicht in der Not verlassen! Wo glaubt Ihr, daß wir dem Feind begegnen? wo werden wir uns stellen?«

»Zwischen Eßlingen und Cannstatt, bei Untertürkheim haben die Landsknechte einige Schanzen aufgeworfen, und stehen dort zu dritthalbtausend Mann; wir werden uns noch in dieser Nacht an sie anschließen.«

Der Alte schwieg und sie ritten wieder eine geraume Zeit stille nebeneinander hin. »Höre Georg!« hub er nach einer Weile an; »ich habe schon oft dem Tod Aug in Auge gesehen, und bin alt genug mich nicht vor ihm zu fürchten; es kann jedem etwas Menschliches begegnen – tröste dann mein liebes Kind, Marie.«

»Vater!« rief Georg, und reichte ihm die Hand hinüber, »denket nicht solches! Ihr werdet noch lange und glücklich mit uns leben.«

»Vielleicht«, entgegnete der alte Mann mit fester Stimme, »vielleicht auch nicht. Es wäre töricht von mir, dich aufzufordern, du sollst dich im Gefecht schonen. Du würdest es doch nicht tun. Doch bitte ich, denk an dein junges Weib, und begib dich nicht blindlings und unüberlegt in Gefahr. Versprich mir dies.«

»Gut, hier habt Ihr meine Hand; was ich tun muß, werde ich nicht ablehnen; leichtsinnig will ich mich nicht aussetzen; aber auch Ihr, Vater, könntet dies geloben.«

»Schon gut, laß das jetzt; wenn ich etwa morgen totgeschossen werden sollte, so gilt mein letzter Wille, den ich beim Herzog niedergelegt habe; Lichtenstein geht auf dich über, du wirst damit belehnt werden. Mein Name stirbt hierzuland mit mir, möge der deinige desto länger tönen.«

Der junge Mann war von diesen Reden schmerzlich bewegt; er wollte antworten, als eine bekannte Stimme seinen Namen rief. Es war der Herzog, der nach ihm verlangte. Er drückte Mariens Vater die Hand und ritt dann schnell zu Ulerich von Württemberg.

»Guten Morgen, Sturmfeder!« sprach dieser, indem seine Stirne sich etwas aufheiterte; »ich sag guten Morgen, denn die Hähne krähen dort unten in dem Dorf. Was macht dein Weib? hat sie gejammert als du wegrittst?«

»Sie hat geweint«, antwortete Georg; »aber sie hat nicht mit einem Wort geklagt.«

»Das sieht ihr gleich; bei Sankt Hubertus, Wir haben selten eine mutigere Frau gesehen. Wenn nur die Nacht nicht so finster wäre, daß ich recht in deine Augen sehen könnte, ob du zum Kampf gestimmt bist und Lust hast, mit den Bündlern anzubinden?«

»Sprecht, wohin ich reiten soll; mitten drauf soll es gehen im Galopp. Glauben Euer Durchlaucht, ich habe in meinem kurzen Ehestand so ganz vergessen, was ich von Euch erlernte, daß man in Glück und Unglück den Mut nicht sinken lassen dürfe?«

»Hast recht; impavidum ferient ruinae; Wir haben es auch gar nicht anders von Unserem getreuen Bannerträger erwartet. Heute trägt meine Fahne ein anderer, denn dich habe ich zu etwas Wichtigerem bestimmt. Du nimmst diese hundertundsechzig Reiter, die hier zunächst ziehen, läßt dir von einem den Weg zeigen, und reitest Trab gerade auf Untertürkheim zu. Es ist möglich, daß der Weg nicht ganz frei ist, daß vielleicht die von Eßlingen schon herabgezogen sind, uns den Paß zu versperren; was willst du tun, wenn es sich so verhält?«

»Nun, ich werfe mich in Gottes Namen mit meinen hundertundsechzig Pferden auf sie und hau mich durch, wenn es kein Heer ist. Sind sie zu stark, so decke ich den Weg bis Ihr mit dem Zug heran seid.«

»Recht gut gesagt, gesprochen wie ein tapferer Degen, und haust du so gut auf sie wie auf mich bei Lichtenstein, so schlägst du dich durch sechshundert Bündler durch. Die Leute, die ich dir gebe, sind gut. Es sind die Fleischer, Sattler und Waffenschmiede von Stuttgart und den anderen Städten. Ich kenne sie aus manchem Kampf, sie sind wacker, und hauen einen Schädel bis aufs Brustbein durch. Das Schwert in der Faust, reiten sie dir in die Hölle, wenn sie dir einmal zugetan sind, und wen sie einmal ans Hirn getroffen haben, der braucht keinen Arzt mehr auf dieser Welt. Das sind die echten Schwabenstreiche.«

»Und bei Untertürkheim soll ich mich aufstellen?«

»Dort triffst du auf einer Anhöhe die Landsknechte unter Georg von Hewen und Schweinsberg. Die Losung is ›Ulericus für immer‹. Den beiden Herren sagst du, sie sollen sich halten bis fünf Uhr, ehe der Tag aufgeht, sei ich mit sechstausend Mann bei ihnen, und dann wollen wir den Bund erwarten. Gehab dich wohl, Georg.«

Der junge Mann erwiderte den Gruß, indem er sich ehrerbietig neigte; er ritt an der Spitze der tapfern Reiter, und trabte mit ihnen das Tal hinauf. Es waren kräftige Gestalten, mit breiten Schultern und starken Armen, unter den Sturmhauben hervor blickten ihn mutige Augen und breite ehrliche Gesichter freundlich an; er fühlte sich ehrenvoll ausgezeichnet eine solche Schar zu führen. Bald ging jetzt der Weg bergan, man näherte sich dem Fuß des Rothenberges, auf dessen Gipfel das Stammschloß von Württemberg weit über das schöne Neckartal hinsah. Es war vom Sternenschimmer matt erhellt, und Georg konnte seine Formen nicht deutlich unterscheiden, aber dennoch blickte er immer wieder nach diesen Türmen und Mauern hinauf; er erinnerte sich jener Nacht, wo Ulerich in der Höhle mit Wehmut von der Burg seiner Väter sprach, von welcher er sonst auf ein schönes Land voll Obst, Wein und Frucht hinabgeschaut, und dies alles sein genannt hatte. Er versank in Gedanken über das unglückliche Schicksal dieses Fürsten, das ihm aufs neue den Besitz des schönen Landes streitig zu machen schien; er dachte nach über die sonderbare Mischung seines Charakters, wie hier wahrhafte Größe oft durch Zorn, Trotz und unbeugsamen Stolz entweiht sei.

»Was Ihr dort unten unterscheiden könnet zwischen den beiden Bäumen«, unterbrach ihn der Reiter, welcher ihm den Weg zeigte, »ist die Turmspitze von Untertürkheim. Es geht jetzt wieder etwas ebener, und wenn wir Trab reiten, können wir bald dort sein.«

Der junge Mann trieb sein Pferd an, der ganze Zug folgte seinem Beispiel, und bald waren sie im Angesicht dieses Dorfes. Hier war eine doppelte Linie von Landsknechten aufgestellt, welche ihnen drohend die Hellebarden entgegenstreckten. An vielen Punkten sah man den rötlichen Schimmer glühender Lunden, die wie Scheinwürmchen durch die Nacht funkelten.

»Halt, wer da?« rief eine tiefe Stimme aus ihren Reihen. »Gebt die Losung!«

»Ulericus für immer«, rief Georg von Sturmfeder. »Wer seid Ihr?«

»Gut Freund!« rief Marx Stumpf von Schweinsberg, indem er aus den Reihen der Landsknechte heraus, und auf den jungen Mann zuritt. »Guten Morgen, Georg; Ihr habt lange auf Euch warten lassen, schon die ganze Nacht sind wir auf den Beinen, und harren sehnlich auf Verstärkung, denn dort drüben im Wald sieht es nicht geheuer aus, und wenn Frondsberg den Vorteil verstanden hätte, wären wir schon längst übermannt.«

»Der Herzog zieht mit sechstausend Mann heran«, erwiderte Sturmfeder. »Längstens in zwei Stunden muß er da sein.«

»Sechstausend, sagst du? bei Sankt Nepomuk, das ist nicht genug; wir sind zu dritthalbtausend, das macht zusammen gegen neuntausend; weißt du, daß sie über zwanzigtausend stark sind, die Bündischen? Wie viel Geschütz bringt er mit?«

»Ich weiß nicht; es wurde erst nachgeführt als wir ausritten.«

»Komm, laß die Reiter absitzen und ruhen«, sagte Marx Stumpf; »sie werden heute Arbeit genug bekommen.«

Die Reiten saßen ab und lagerten sich; auch die Landsknechte lösten ihre Reihen auf und stellten nur starke Posten auf den Anhöhen und am Neckar auf. Marx Stumpf besichtigte alle Anstalten, und Georg legte sich in seinen Mantel gehüllt, nieder, um noch einige Stunden zu ruhen. Die Stille der Nacht, nur durch den eintönigen Ruf der Wachen unterbrochen, senkte ihn bald in einen Schlummer, der seine Seele weit hinweg über Krieg und Schlachten, in die Arme seines Weibes entführte.

IX

In schwarzen Pulverdämpfen

Verbirgt sich Mann und Roß;

Ihr schlagt euch immer kecker

Bergunter alle zumal;

Jetzt sprengt ihr durch den Necker,

Jetzt fechtet ihr im Tal.

G. Schwab

Georg erwachte am Wirbeln der Trommeln, die das kleine Heer unter die Waden riefen. Ein schmaler Saum war am Horizont helle, der Morgen kam, die Truppen des Herzogs sah man in der Ferne daherziehen. Der junge Mann setzte den Helm auf, ließ sich den Brustharnisch wieder anlegen und stieg zu Pferd, den Herzog an der Spitze seiner Mannschaft zu empfangen. Aus Ulerichs Zügen war zwar nicht der Ernst, wohl aber alle Düsterkeit verschwunden. Sein Auge sprühte von einem kriegerischen Feuer, und aus seinen Mienen sprach Mut und Entschlossenheit. Er war ganz in Stahl gekleidet, und trug über seinem schweren Eisenkleid einen grünen Mantel mit Gold verbrämt. Die Farben seines Hauses wehten in seinem großen wallenden Helmbusch. Sonst unterschied er sich in nichts von den übrigen Rittern und Edeln, die ebenfalls in blankes Eisen »bis an die Zähne« gekleidet, den Herzog in einem großen Kreis umgaben. Er begrüßte freundlich Hewen, Schweinsberg und Georg von Sturmfeder, und ließ sich von ihnen über die Stellung des Feindes berichten.[44]

Noch war von diesem nichts zu sehen; nur an dem Saum des Waldes gegen Eßlingen hin, sah man hin und wieder seine Posten stehen. Der Herzog beschloß den Hügel, den die Landsknechte besetzt gehalten hatten, zu verlassen, und sich in die Ebene hinabzuziehen. Er hatte wenig Reiterei, der Bund aber, so berichteten Überläufer, zählte dreitausend Pferde. Im Tal hatte er auf einer Seite den Neckar, auf der andern einen Wald, und so war er wenigstens auf den Flanken vor einem Reiterangriff sicher.

Lichtenstein und mehrere andere widerrieten zwar diese Stellung im Tal, weil man vom Hügel zu nahe beschossen werden könne; doch Ulerich folgte seinem Sinn und ließ das Heer hinabsteigen. Er stellte zunächst vor Türkheim die Schlachtordnung auf und erwartete seinen Feind. Georg von Sturmfeder wurde beordert, in seiner Nähe mit den Reitern, die er ihm anvertraut hatte, zu halten; sie sollten gleichsam seine Leibwache bilden; zu diesen berittenen Bürgern gesellten sich noch Lichtenstein und vierundzwanzig andere Ritter, um bei einem Reiterangriff den Stoß zu verstärken. In jenen Tagen war ein Treffen oft in viele kleine Zweikämpfe zerstreut, die Ritter, die einem Heere folgten, fochten selten in geschlossenen Massen, sondern suchten mit schnellem Blicke einen Gegner unter den Reihen des Feindes, den sie dann mit Schwert und Lanze bekämpften. Eine solche Schar war es, die bei Georgs Reiterhaufen stand, und den Herzog selbst gelüstete es, seine ungeheure Kraft, seine weitberühmte Fertigkeit in einem solchen Zweikampf zu erproben, und nur die inständigen Bitten der Ritter hielten ihn ab, diese romantische Idee auszuführen. Neben dem Herzog hielt eine sonderbare Figur, beinahe wie eine Schildkröte, die zu Pferd sitzt, anzusehen. Ein Helm mit großen Federn saß auf einem kleinen Körper, der auf dem Rücken mit einem gewölbten Panzer versehen war; der kleine Reiter hatte die Kniee weit heraufgezogen, und hielt sich fest am Sattelknopf. Das herabgeschlagene Visier verhinderte Georg zu erkennen, wer dieser lächerliche Kämpfer sei; er ritt daher näher an den Herzog heran und sagte:

»Wahrhaftig, Euer Durchlaucht haben sich da einen überaus mächtigen Kämpen zum Begleiter ausersehen. Sehet nur die dürren Beine, die zitternden Arme, den mächtigen Helm zwischen den kleinen Schultern – wer ist denn dieser Riese?«

»Kennst du den Höcker so schlecht?« fragte der Herzog lachend. »Sieh nur, er hat einen ganz absonderlichen Panzer an, der wie eine große Nußschale anzusehen, um seinen teuren Rücken zu verwahren, wenn es etwa zur Flucht käme. Es ist mein getreuer Kanzler, Ambrosius Volland!«

»Bei der heiligen Jungfrau! dem habe ich bitter unrecht getan«, entgegnete Georg; »ich dachte er werde nie ein Schwert ziehen und ein Roß besteigen, und da sitzt er auf einem Tier so hoch wie ein Elefant, und trägt ein Schwert so groß als er selbst ist. Diesen kriegerischen Geist hätte ich ihm nimmer zugetraut.«

»Meinst du, er reite aus eigenem Entschluß zu Felde? Nein ich habe ihn mit Gewalt dazu genötigt. Er hat mir zu manchem geraten, was mir nicht frommte, und ich fürchte er hat mich mit böslicher Absicht aufs Eis geführt; drum mag er auch die Suppe mit verzehren, die er eingebrockt hat. Er hat geweint, wie ich ihn dazu zwang; er sprach viel vom Zipperlein und von seiner Natur, die nicht kriegerisch sei; aber ich ließ ihn in seinen Harnisch schnüren und zu Pferd heben, er reitet den feurigsten Renner aus meinem Stall!«

Während dies der Herzog sprach, schlug der Ritter vom Höcker das Visier auf, und zeigte ein bleiches, kummervolles Gesicht. Das ewig stehende Lächeln war verschwunden, seine stechenden Äuglein waren groß und starr geworden, und drehten sich langsam und schüchtern nach der Seite; der Angstschweiß stand ihm auf der Stirne und seine Stimme war zum zitternden Flüstern geworden: »Um Gottes Barmherzigkeit willen, wertgeschätzter Herr von Sturmfeder, viellieber Freund und Gönner, leget ein gutes Wort ein, beim gestrengen Herrn, daß er mich aus diesem Fastnachtsspiel entläßt. Es ist des allerhöchsten Scherzes jetzt genug. Der Ritt in den schweren Waffen hat mich grausam angegriffen, der Helm drückt mich aufs Hirn, daß meine Gedanken im Kreise tanzen, und meine Kniee sind vom Zipperlein gekrümmt; bitte, bitte! leget ein gutes Wort ein, für Euren demütigen Knecht, Ambrosius Volland; will's gewißlich vergelten.«

Der junge Mann wandte sich mit Abscheu von dem grauen feigen Sünder. »Herr Herzog«, sagte er, indem ein edler Zorn seine Wangen rötete; »vergönnt ihm, daß er sich entferne. Die Ritter haben ihre Schwerter gelüftet und die Helme fester in die Stirne gerückt, das Volk schüttelt die Speere und erwartet mutig das Zeichen zum Angriff, warum soll ein Feigling in den Reihen von Männern streiten?«

»Er bleibt, sag ich«, entgegnete der Herzog mit fester Stimme »bei dem ersten Schritt rückwärts hau ich ihn selbst vom Gaul herunter. Der Teufel saß auf deinen blauen Lippen, Ambrosius Volland, als du Uns geraten, Unser Volk zu verachten und das Alte umzustoßen. Heute, wenn die Kugeln sausen und die Schwerter rasseln, magst du schauen, ob dein Rat Uns frommte.«

Des Kanzlers Augen glühten vor Wut, seine Lippen zitterten, und seine Mienen verzerrten sich greulich. »Ich habe Euch nur geraten; warum habt Ihr es getan?« sagte er, »Ihr seid Herzog, Ihr habt befohlen und Euch huldigen lassen; was kann denn ich dafür?«

Der Herzog riß sein Pferd so schnell um, daß der Kanzler bis auf die Mähnen seines Elefanten niedertauchte, als erwarte er den Todesstreich. »Bei Unserer fürstlichen Ehre«, rief er mit schrecklicher Stimme, indem seine Augen blitzten, »Wir bewundern Unsere eigene Langmut. Du hast Unsern ersten Zorn benützt, du hast dich in Unser Vertrauen einzuschwatzen gewußt; hätten Wir dir nicht gefolgt, du Schlange, so stünden heute zwanzigtausend Württemberger hier, und ihre Herzen wären eine feste Mauer für ihren Fürsten. Oh, mein Württemberg! mein Württemberg! daß ich deinem Rat gefolgt wäre, alter Freund; ja, es heißt was, von seinem Volk geliebt zu sein!«

»Entfernet diese Gedanken vor einer Schlacht«, sagte der alte Herr von Lichtenstein, »noch ist es Zeit, das Versäumte einzuholen. Noch stehen sechstausend Württemberger um Euch, und bei Gott, sie werden mit Euch siegen, wenn Ihr mit Vertrauen sie in den Feind führet. O Herr! hier sind lauter Freunde, vergebet Euren Feinden, entlaßt den Kanzler, der nicht fechten kann!«

»Nein! her zu mir, Schildkröte! an meine Seite her, Hund von einem Schreiber! wie er zu Rosse sitzt, als hätte ihn unser Herrgott hinaufgeschneit, den Schneemann! Du hast mein Volk verachtet in deiner Kanzlei, und ihnen Gesetze gegeben mit deiner Schwanenfeder, jetzt sollst du sehen wie sie streiten; jetzt sollst du sehen wie Württemberg siegt oder – untergeht. Ha! seht ihr sie dort auf dem Hügel? seht ihr die Fahnen mit dem roten Kreuz? seht ihr das Banner von Bayern? wie ihre Waffen blitzen im Morgenrot, wie ihre Glieder von tausend Lanzen starren, wie der Wind in ihren Helmbüschen spielt. – Guten Tag ihr Herren vom Schwabenbund! jetzt geht mir das Herz auf; das ist ein Anblick für einen Württemberg.«

»Schaut! sie richten schon die Geschütze«, unterbrach ihn Lichtenstein; »zurück von diesem Platz, Herr! hier ist Euer Leben in augenscheinlicher Gefahr; zurück, zurück, wir halten hier; schickt uns Eure Befehle von dort zu, wo Ihr sicher seid.«

Der Herzog sah ihn groß an: »Wo hast du gehört«, sagte er, »daß ein Württemberg gewichen sei, wenn der Feind zum Angriff blasen ließ? meine Ahnen kannten keine Furcht, und meine Enkel werden noch aushalten wie sie, furchtlos und treu! Sieh wie der Berg sich dunkler und dunkler füllt von ihren Scharen. Siehst du jene weißen Wolken am Berg, Schildkröte? hörst du sie krachen? das ist der Donner der Geschütze, der in unsere Reihen schlägt; jetzt wenn du ein gutes Gewissen hast, wirst du leichter Atem holen, denn um dein Leben gibt dir keiner einen Pfennig.«

»Lasset uns beten«, sagte Marx von Schweinsberg, »und dann drauf in Gottes Namen.«

Der Herzog faltete andächtig die Hände, seine Begleiter folgten seinem Beispiel und beteten zum Anfang der Schlacht, wie es Sitte war in den alten Tagen. Der Donner der feindlichen Geschütze tönte schauerlich in diese tiefe Stille, in welcher man jeden Atemzug, jedes leise Flüstern der Betenden hörte. Auch der Kanzler faltete die Hände, aber seine Augen richteten sich nicht gläubig auf zum Himmel, sie irrten zagend an den Bergen umher, und das Beben seines Körpers, sooft Blitz und Rauch aus den Feldstücken des Feindes fuhr, zeigte, daß seine Seele nicht zu dem sich aufzuschwingen vermöge, der aus den Strahlen seiner Morgensonne über Freunde und Feinde herabblickte.

Ulerich von Württemberg hatte gebetet, und zog sein Schwert aus der Scheide; die Ritter und Reisigen folgten ihm, und in einem Augenblick blitzten tausend Schwerter um ihn her. »Die Landsknechte sind schon im Gefecht«, sagte er, indem sein Adlerauge schnell das Tal überschaute; »Georg von Hewen! Ihr rückt ihnen mit tausend zu Fuß nach. Schweinsberg lehne sich mit achthundert an den Wald, und warte bis auf weiteres. Reinhardt von Gemmingen! wollet mit den Eurigen geradeaus ziehen, und den mittleren Raum zwischen dem Wald und dem Neckar einnehmen. Sturmfeder, du bleibst mit deiner Abteilung Reitern; doch bist du jeden Augenblick bereit, vorzubrechen. Gott befohlen, ihr Herren; sollten wir uns hier unten nicht wiedersehen, so grüßen wir uns desto freudiger oben.« Er grüßte sie, indem er sein großes Schwert gegen sie neigte. Die Ritter erwiderten den Gruß und zogen mit ihren Scharen dem Feinde zu, und ein tausendstimmiges »Ulerich für immer!« ertönte aus ihren Reihen.

Das bündische Heer, das auf dem Hügel, den die Herzoglichen früher besetzt gehalten hatten, angekommen war, begrüßte seinen Feind aus vielen Feldschlangen und Kartaunen; dann zogen sie sich allmählich herab ins Tal; sie schienen durch ihre ungeheure Anzahl das kleine Heer des Herzogs erdrücken zu wollen. In dem Augenblick, als die letzten Glieder den Hügel verlassen wollten, wandte sich der Herzog zu Georg von Sturmfeder. »Siehst du ihre Feldstücke auf dem Hügel?« fragte er.

»Wohl; sie sind nur durch wenige Mannschaft bedeckt.«

»Frondsberg glaubt, weil wir nicht über ihn wegfliegen können, sei es unmöglich sein Geschütz zu nehmen. Aber dort am Wald biegt ein Weg links ein, und führt in ein Feld. Das Feld stößt an jenen Hügel. Kannst du mit deinen Reitern ungehindert bis in jenes Feld vordringen, so bist du beinahe schon im Rücken der Bündischen. Dort läßt du die Pferde verschnauben, legst dann an, und im Galopp den Hügel hinauf, die Geschütze müssen unser sein!«

Georg verbeugte sich zum Abschied, aber der Herzog bot ihm die Hand. »Lebe wohl, lieber Junge!« sagte er; »es ist hart von Uns einen jungen Ehemann auf so gefährliche Reise zu schicken, aber Wir wußten keinen Rascheren und Besseren als dich.«

Die Wangen des jungen Mannes glühten, als er diese Worte hörte, und seine Augen blinkten mutig. »Ich danke Euch, Herr, für diesen neuen Beweis Eurer Gnade«, rief er, »Ihr belohnt mich schöner, als wenn Ihr mir die schönste Burg geschenkt hättet. – Lebet wohl, Vater, und grüßt mein Weibchen.«

»So ist's nicht gemeint!« entgegnete lächelnd der alte Lichtenstein; »ich reite mit dir unter deiner Führung –«

»Nein, Ihr bleibet bei mir, alter Freund«, bat der Herzog, »soll mir denn der Kanzler hier im Felde raten? Da könnte ich so übel fahren wie mit seinen anderen Ratschlüssen. Bleibet mir zur Seite; machet den Abschied kurz, Alter! Euer Sohn muß weiter.«

Der Alte drückte Georgs Hand; lächelnd und mit freudigem Mute erwiderte dieser den Abschiedsgruß, schwenkte mit seinen Reitern ab, und »Ulerich für immer!« riefen die Stuttgarter Bürger zu Pferd, welche er in dieser entscheidenden Stunde gegen den Feind führte. Georg betrachtete, als er an dem Waldsaum hinritt, sinnend die Schlacht. Die Württemberger hatten eine gute Stellung, denn der Wald und der Neckar deckte sie, und ihre Flügel und das Zentrum waren stark genug, um auch einen mächtigen Stoß von Reiterei auszuhalten. Er konnte sich aber nicht verhehlen, daß wenn sie sich aus dieser Stellung herauslocken lassen, müssen sie alle diese Vorteile verlieren, weil sie dann entweder zwischen dem Wald und dem linken Flügel einen bedeutenden Zwischenraum lassen, oder um diesen auszufüllen, ihre Schlachtlinie so weit ausdehnen müßten, daß sie an innerer Stärke verlieren würden und leichter durchbrochen werden könnten. Ein großer Nachteil für die Württemberger war auch ihre geringe Anzahl, denn der Feind zählte zwei Dritteile mehr. Er konnte zwar in dem engen Tal seine Streitkräfte nicht entwickeln, und nur wenige Mannschaft auf einmal ins Treffen führen, doch war dies immer genug, um die Herzoglichen unausgesetzt zu beschäftigen, der Feind behielt dadurch immer frische Leute, und es war zu befürchten, daß die sechstausend Württemberger, wenn sie auch noch so tapfer standhalten sollten, endlich aus Ermattung werden unterliegen müssen.

Der Wald nahm jetzt Georg und seine Schar auf; sie rückten still und vorsichtig weiter, denn Georg wußte wohl, wie schwierig es für einen Reiterzug sei, im Wald von Fußvolk angegriffen zu werden. Doch ungefährdet kamen sie bis auf das Feld heraus, das ihnen der Herzog bezeichnet hatte. Rechts über dem Wald hin wütete die Schlacht. Das Geschrei der Angreifenden, das Schießen aus Donnerbüchsen und Feldstücken, das Wirbeln der Trommeln hallte schrecklich herüber.

Vor ihnen lag der Hügel, von dessen Gipfel eine gute Anzahl Kartaunen in die Reihen der Württemberger spielte; dieser Hügel erhob sich von der Seite des Wäldchens allmählich, und Georg bewunderte den schnellen Blick des Herzogs, der diese Seite sogleich erspäht hatte, denn von jeder andern Seite wäre, wenigstens für Reiter, der Angriff unmöglich gewesen. Das Geschütz wurde, soviel man von unten sehen konnte, nur durch eine schwache Mannschaft bedeckt, und als daher die Pferde ein wenig geruht hatten, ordnete Georg seine Schar, und brach im Galopp an der Spitze der Reiter vor. In einem Augenblick waren sie auf dem Gipfel des Hügels angekommen, und Georg rief den bündischen Soldaten zu, sich zu ergeben.

Sie zauderten, und die Fleischer, Sattler und Waffenschmiede von Stuttgart ersparten ihnen die Mühe, denn mit gewaltigen Streichen hieben sie Helme und Köpfe durch, daß von der Bedeckung bald wenige mehr übrig waren. Georg warf einen frohlockenden Blick auf die Ebene hinab seinem Herzog zu, er hörte das Freudengeschrei der Württemberger aus vielen tausend Kehlen aufsteigen, er sah wie sie frischer vordrangen, denn ihre Hauptfeinde, die Feldstücke auf dem Hügel waren jetzt zum Schweigen gebracht.

Aber in diesem Augenblick der Siegesfreude gewahrte er auch, daß jetzt der zweite und schwerere Teil seiner schnellen Operation der Rückzug gekommen sei; denn auch die Bündischen hatten bemerkt, wie ihr Geschütz plötzlich verstummt sei, und ihre Obersten hatten alsobald eine Reiterschar gegen den Hügel aufbrechen lassen. Es war keine Zeit mehr, die schweren, erbeuteten Feldstücke hinwegzuführen; darum befahl Georg mit Erde und Steinen ihre Mündungen zu verstopfen, und sie auf diese Weise unbrauchbar zu machen. Dann warf er einen Blick auf den Rückweg; zwischen ihm und den Seinigen lag der Wald auf der einen, das feindliche Heer auf der andern Seite. Wurde er nur von Reiterei angegriffen, so war der Rückweg durch den Wald möglich, weil dann der Feind dieselben Schwierigkeiten zu überwinden hatte, wie er. Aber seinem scharfen Auge entging nicht, daß ein großer Haufe bündischen Fußvolkes in den Wald ziehe, um ihm den Rückzug abzuschneiden, und so sah er sich von dem Walde ausgeschlossen. Das große Heer des Bundes zu durchbrechen, sich mit hundertundsechzig Pferden durch zwanzigtausend durchzuschlagen, wäre Tollkühnheit gewesen. Es blieb nur ein Weg, und auch auf diesem war der Tod gewisser als die Rettung. Zur Linken des feindlichen Heeres floß der Neckar. Am anderen Ufer war kein Mann von bündischer Seite; konnte er dieses Ufer gewinnen, so war es möglich sich zum Herzog zu schlagen. Schon waren die Reiter des Bundes wohl fünfhundert stark am Fuß des Hügels angelangt, er glaubte an ihrer Spitze den Truchseß von Waldburg zu erblicken, jedem andern, selbst dem Tod wollte er sich lieber ergeben als diesem.

Drum winkte er den tapfern Württembergern nach der steilern Seite des Hügels hin, die zum Neckar führte. Sie stutzten; es war zu erwarten, daß unter zehn immer acht stürzen würden, so jähe war diese Seite, und unten stand zwischen dem Hügel und dem Fluß ein Haufen Fußvolk, das sie zu erwarten schien. Aber ihr junger, ritterlicher Führer schlug das Visier auf, und zeigte ihnen sein schönes Antlitz, aus welchem der Mut der Begeisterung sie anwehte; sie hatten ihn ja noch vor wenigen Wochen eine holde Jungfrau zur Kirche führen sehen, durften sie an Weib und Kinder denken, da er diese Gedanken weit hinter sich geworfen hatte?

»Drauf, wir wollen sie schlachten«, riefen die Fleischer, »drauf, wir wollen sie hämmern«, riefen die Schmiede, »immer drauf, wir wollen sie lederweich klopfen«, riefen ihnen die Sattler nach, »drauf, mit Gott, Ulerich für immer!« rief der hochherzige Jüngling, drückte seinem Roß die Sporen ein, und flog ihnen voran den steilen Hügel hinab. Die feindlichen Reiter trauten ihren Augen nicht, als sie den Hügel heraufkamen, die verwegene Schar gefangenzunehmen, und sie schon unten, mitten unter dem Fußvolk erblickten. Wohl hatte mancher den kühnen Ritt mit dem Leben bezahlt, mancher war mit dem Roß gestürzt und in Feindeshand gefallen, aber die meisten sah man unten tapfer auf das Fußvolk einhauen, und der Helmbusch ihres Anführers wehte hoch und mitten im Gedräng. Jetzt waren die Reihen des Fußvolkes gebrochen, jetzt drängten sich die Reiter nach dem Neckar – jetzt – setzte ihr Führer an, und war der erste im Fluß. Sein Pferd war stark, und doch vermochte es nicht mit der Last seines gewappneten Reiters gegen die Gewalt des vom Regen angeschwellten Stromes anzukämpfen, es sank, und Georg von Sturmfeder rief den Männern zu, nicht auf ihn zu achten, sondern sich zum Herzog zu schlagen und ihm seinen letzten Gruß zu bringen. Aber in demselben Augenblick hatten zwei Waffenschmiede sich von ihren Rossen in den Fluß geworfen; der eine faßte den jungen Ritter am Arm, der andere ergriff die Zügel seines Pferdes, und so brachten sie ihn glücklich ans Land heraus.

Die Bündischen hatten ihnen manche Kugel nachgesandt, aber keine hatte Schaden getan, und im Angesicht beider Heere, durch den Fluß von ihnen getrennt, setzte die kühne Schar ihren Weg zum Herzog fort. Es war unweit seiner Stellung eine Furt, wo sie ohne Gefahr übersetzen konnten, und mit Jubel und Freudengeschrei wurden sie wieder von den Ihrigen empfangen.

Ein Teil des feindlichen Geschützes war zwar durch diesen ebenso schnellen als verwegenen Zug Georgs von Sturmfeder zum Schweigen gebracht worden, aber das Verhängnis Ulerichs von Württemberg wollte, daß ihn diese kühne Waffentat zu nichts mehr nützen sollte; die Kräfte seiner Völker waren durch die immer erneuerten Angriffe, des an Zahl weit überlegenen Feindes endlich völlig erschöpft worden; die Landsknechte hielten zwar mit ihrem gewöhnlichen kriegerischen Feuer aus, aber ihre Anführer hatten sich schon genötigt gesehen, sie in Kreise zu stellen, um den Andrang der feindlichen Kavallerie abzuwehren; dadurch war die Linie hin und wieder unterbrochen, und das Landvolk, das man durch eilige Bewaffnung nicht zu Kriegern hatte machen können, füllte nur schlecht diese Lücken aus. In diesem Augenblick wurde dem Herzog gemeldet, daß der Herzog von Bayern Stuttgart plötzlich überfallen und eingenommen habe, daß ein neues feindliches Heer in seinem Rücken am Fluß heraufziehe, und kaum noch eine Viertelstunde entfernt sei. Da merkte er, daß er an diesem Tage sein Reich zum zweitenmal verloren habe, daß ihm nichts mehr übrigbleibe, als Flucht oder Tod, um nicht in die Hände seiner Feinde zu fallen. Seine Begleiter rieten ihm, sich in sein Stammschloß Württemberg zu werfen, und sich dort zu halten, bis er Gelegenheit fände heimlich zu entrinnen; er schaute hinauf nach dieser Burg, die von dem Glanz des Tages bestrahlt, ernst auf jenes Tal herabblickte, wo der Enkel ihrer Erbauer den letzten verzweifelten Kampf um sein Herzogtum kämpfte. Aber er erbleichte und deutete sprachlos hinauf, denn auf den Türmen und Mauern dieser Burg erschienen rote, glänzende Fähnlein, die im Morgenwind spielten: die Ritter blickten schärfer hin, sie sahen wie die Fähnlein wuchsen und größer wurden, und ein schwärzlicher Rauch, der jetzt an vielen Stellen aufstieg, zeigte ihnen, daß es die Flamme sei, welche ihre glühende Paniere siegend auf den Zinnen aufgesteckt hatte. Württemberg brannte an allen Ecken, und sein unglücklicher Herr sah mit dem greulichen Lachen der Verzweiflung diesem Schauspiel zu. Jetzt bemerkten auch die Heere die brennende Burg. Die Bündischen begrüßten diese Flammen mit einem Freudengeschrei, den Württembergern entsank der Mut, es war ihnen, als sei dies ein Zeichen, daß das Glück ihres Herzogs ein Ende habe.

Schon tönten die Trommeln des im Rücken heranziehenden Heeres vernehmlicher, schon wich an vielen Orten das Landvolk, da sprach Ulerich: »Wer es noch redlich mit Uns meint, folge nach, Wir wollen Uns durchschlagen durch ihre Tausende oder zugrund gehen. Nimm mein Banner in die Hand, tapferer Sturmfeder, und reite mutig mit uns in den Feind!« Georg ergriff das Panier von Württemberg, der Herzog stellte sich neben ihn, die Ritter und die Bürger zu Pferd umgaben sie, und waren bereit, ihrem Herzog Bahn zu brechen. Der Herzog deutete auf eine Stelle, wo die Feinde dünner standen, dort müsse man durchkommen oder alles sei verloren. Noch fehlte es an einem Anführer, und Georg wollte sich an die Spitze stellen, da winkte ihm der Ritter von Lichtenstein seinen Platz an der Seite des Herzogs nicht zu verlassen, und stellte sich vor die Reiter; noch einmal wandte er die ehrwürdigen Züge dem Herzog und seinem Sohne zu, dann schloß er das Visier und rief: »Vorwärts, hie gut Württemberg alleweg!«

Dieser Reiterzug war wohl zweihundert Pferde stark, und bewegte sich in Form einer Keile im Trab vorwärts. Der Kanzler Ambrosius Volland sah sie mit leichtem Herzen abziehen, denn der Herzog schien ihn ganz vergessen zu haben, und er hielt jetzt mit sich Rat, wie er ohne Gefahr von seinem hochbeinigen Tier herabkommen sollte. Doch der edle Renner des Herzogs hatte mit klugen Augen den Reitern nachgeschaut; solange sie sich im Trab fortbewegten, stand er stille und regungslos, jetzt aber ertönten die Trompeten zum Angriff, man sah das Panier von Württemberg hoch in den Lüften wehen, und die tapfere Reiterschar im Galopp, auf den Feind ansprengen. Auf diesen Moment schien der Renner gewartet zu haben; mit der Schnelligkeit eines Vogels strich er jetzt über die Ebene hin, den Reitern nach; dem Kanzler vergingen die Sinne, er hielt sich krampfhaft am Sattelknopf, er wollte schreien, aber die Blitzesschnelle, womit sein Roß die Luft teilte, unterdrückte seine Stimme; in einem Augenblick hatte er den Zug eingeholt, so schnell sie ihre Rosse auslaufen ließen, er überholte sie, und so hatte es der Kanzler in kurzer Zeit bis zum Anführer der Reiter gebracht. Der Feind stutzte über die sonderbare Gestalt, die mehr einem geharnischten Affen als einem Krieger glich, noch ehe sie sich recht besinnen konnten, war der fürchterliche Mann mitten in ihren Reihen, die Württemberger brachen, trotz des entscheidenden Augenblickes, in ein lustiges Gelächter aus, und auch dieses mochte beitragen, die tapfern Truppen von Ulm, Gmünd, Aalen, Nürnberg und noch zehn andern Reichsstädten, welche dieser unerwartete Angriff traf, zu verwirren; sie zerstiebten vor der ungeheuren Wucht der zweihundert Pferde, und die ganze Schar war im Rücken des Feindes. Sie setzte eilig ihren Marsch fort, und ehe noch die bündische Reiterei zum Nachsetzen herbeigerufen werden konnte, hatte der Herzog mit wenigen Begleitern sich zur Seite geschlagen; er gewann einen großen Vorsprung, denn die Reiterei des Bundes erreichte die berittene Schar der Bürger erst vor den Toren von Stuttgart, und es fand sich unter ihnen weder der Herzog, noch einer seiner wichtigeren Anhänger, außer dem Kanzler Ambrosius Volland, den man halbtot vom Pferde hob. Die bündischen Kriegsleute behandelten ihn, nachdem man ihm die gewölbte Rüstung vom Leib geschält hatte, sehr übel, denn nur seiner fürchterlichen, alle Begriffe übersteigenden Tapferkeit, schrieben sie es zu, daß ihnen der Herzog und mit ihm eine Belohnung von tausend Goldgulden entgangen war. So geschah es, daß dieser tapfere Kanzler, nicht wie sein Herzog in der Schlacht, sondern nach der Schlacht geschlagen wurde.

X

Wohl wieget eines viele Taten auf –

Sie achten drauf –

Das ist um deines Vaterlandes Not

Der Heldentod.

Sieh hin, die Feinde fliehen, blick hinan,

Der Himmel glänzt, dahin ist unsre Bahn.

L. Uhland

Die Nacht, welche diesem entscheidenden Tag folgte, brachten Herzog Ulerich und seine Begleiter in einer engen Waldschlucht zu, die durch Felsen und Gesträuche einen sicheren Versteck gewährte, und noch heute bei dem Landvolk die »Ulerichshöhle« genannt wird. Es war der Pfeifer von Hardt, der ihnen auf ihrer Flucht als ein Retter in der Not erschienen war, und sie in diese Bucht führte, die nur den Bauern und Hirten der Gegend bekannt war. Der Herzog hatte beschlossen, hier zu rasten, um dann, sobald der Tag graute, seine Flucht nach der Schweiz fortzusetzen. Wohl wäre ihm hiezu die Nacht günstiger gewesen, denn die Bundestruppen hatten schon das Land besetzt, und es war wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sie täuschen und ungehindert entkommen werde; aber die Pferde waren von dem heißen Schlachttag ermüdet, und es war unmöglich, den Herzog und seine notwendige Begleitung von neuem beritten zu machen, ohne die Nachforschung des Feindes nach diesem Schlupfwinkel zu leiten.

Die Männer hatten sich um ein spärliches Feuer gelagert. Der Herzog war längst dem Schlummer in die Arme gesunken, und vergaß vielleicht in seinen Träumen, daß er ein Herzogtum verloren habe; auch der alte Herr von Lichtenstein schlief, und Marx Stumpf von Schweinsberg hatte seine mächtigen Arme auf die Kniee gestützt, sein Gesicht in die Hände verborgen, und man war ungewiß, ob er schlafe oder in Kummer versunken, über das Schicksal des Herzogs nachdachte, das sich mit einem Schlag so furchtbar gewendet hatte. Georg von Sturmfeder besiegte die Macht des Schlummers, der sich immer wieder über ihn lagern wollte; er war der jüngste unter allen, und hatte freiwillig in dieser Nacht die Wache übernommen. Neben ihm saß Hanns, der Pfeifer von Hardt; er sah unverwandt ins Feuer, und seine Gedanken schienen sich in einem Liedchen zu sammeln, dessen melancholische Weisen er mit leiser unterdrückter Stimme vor sich hin sang. Wenn das Feuer heller aufflackerte, schaute er mit einem trüben Blick nach dem Herzog, und wenn er sah, daß jener noch immer schlafe, versank er wieder in den flüsternden, traurigen Gesang.

»Du singst eine traurige Weise, Hanns!« unterbrach ihn Georg, den die melancholischen Töne dieses Liedes unheimlich anregten; »es tönt wie Totengesang und Sterblieder, ich kann es nicht ohne Schaudern hören.«

»Wir können alle Tage sterben«, sagte der Spielmann, indem er düster in die Flamme blickte; »drum sing ich gerne ein solches Lied, es ist mir, als könnte ich mit solchen Gedanken würdiger sterben.«

»Wie kommst du auf einmal zu diesen Todesgedanken Hanns? Du warst doch sonst ein fröhlicher Bursche zur Herbstzeit, und deine Zither tönte auf mancher Kirchweih. Da hast du gewiß keine Totenlieder gesungen.«

»Meine Freude ist aus«, erwiderte er und wies auf den Herzog; »all meine Mühe, all meine Sorge war vergebens; es ist aus mit dem Herrn und ich – ich bin sein Schatten; auch mit mir ist's aus; hätte ich nicht Frau und Kind, ich möchte heute nacht noch sterben.«

»Wohl warst du immer sein getreuer Schatten«, sagte der junge Mann gerührt, »und oft habe ich deine Treue bewundert; höre Hanns! wir sehen uns vielleicht lange nicht mehr. Jetzt haben wir Zeit zu schwatzen, erzähle mir was dich so ausschließlich und enge an den Herzog knüpft; wenn es etwas ist, das du erzählen kannst.«

Er schwieg einige Augenblicke und schürte das Feuer zurecht ein unruhiges Feuer blitzte in seinen Augen, und Georg war ungewiß ob es die Flamme oder eine innere Bewegung sei, was seine ausdrucksvollen Züge mit wechselnder Röte übergoß. »Das hat seine eigene Bewandtnis«, sagte er endlich, »und ich spreche nicht gerne davon. Doch Ihr habt recht, Herr, auch mir ist es als werden wir uns lange nicht mehr sehen, so will ich Euch denn erzählen. Habt Ihr nie von dem ›Armen Konrad‹ gehört?«

»O ja«, erwiderte Georg, »das Gerücht davon kam noch weiter als bis zu uns nach Franken; war es nicht ein Aufstand der Bauern? wollte man nicht sogar dem Herzog ans Leben?«

»Ihr habt ganz recht, der Arme Konrad war ein böses Ding. Es mögen nun 7 Jahre sein. Da gab es unter uns Bauern viele Männer, die mit der Herrschaft unzufrieden waren; es waren Fehljahre gewesen, den Reicheren ging das Geld aus, die Armen hatten schon lange keines mehr, und doch sollten wir zahlen ohne Ende, denn der Herzog brauchte gar viel Geld für seinen Hof, wo es alle Tage zuging wie im Paradies.«

»Gaben denn eure Landstände nach, wenn der Herr so viel Geld verlangte?« fragte Georg.

»Sie wagten eben auch nicht immer nein zu sagen, des Herzogs Beutel hatte aber gar ein großes Loch, das wir Bauern mit unserem Schweiß nicht zuleimen konnten. Da gab es nun viele die ließen die Arbeit liegen, weil das Korn das sie pflanzten, nicht zu ihrem Brot wuchs, und der Wein den sie kelterten, nicht für sie in die Fässer floß. Diese, als sie dachten, daß man ihnen nichts mehr nehmen könne als das arme Leben, lebten lustig und in Freuden, nannten sich Grafen zu Nirgendsheim, sprachen viel von ihren Schlössern auf dem Hungerberge und von ihren bedeutenden Besitzungen in der Fehlhalde und am Bettelrain; und diese Gesellschaft war der Arme Konrad.«

Der Pfeifer legte sinnend seine Stirne in die Hand und schwieg.

»Von dir wolltest du ja erzählen, Hanns!« sagte Georg, »von dir und dem Herzog.« –

»Das hätte ich beinahe vergessen«, antwortete dieser. – »Nun«, fuhr er fort, »es kam endlich dahin, daß man Maß und Gewicht geringer machte, und dem Herzog gab, was damit gewonnen wurde. Da ward aus dem Scherz bitterer Ernst. Es mochte mancher nicht ertragen, daß ringsumher volles Maß und Gewicht, und nur bei uns kein Recht sei. Im Remstal trug der Arme Konrad das neue Gewicht hinaus und machte die Wasserprobe.«

»Was ist das«, fragte der junge Mann.

»Ha!« lachte der Bauer, »das ist eine leichte Probe. Man trug den Pfundstein mit Trommeln und Pfeifen an die Rems und sagte: ›Schwimmt's oben, hat der Herzog recht; sinkt's unter, hat der Bauer recht.‹

Der Stein sank unter und jetzt zog der Arme Konrad Waffen an. Im Remstal und im Neckartal bis hinauf gegen Tübingen und hinüber an die Alb standen die Bauern auf und verlangten das alte Recht. Es wurde gelandtagt und gesprochen, aber es half doch nichts. Die Bauern gingen nicht auseinander.«

»Aber du, von dir sprichst du ja gar nicht?«

»Daß ich's kurz sage, ich war einer der Ärgsten«, antwortete Hanns, »ich war kühn und trotzig, mochte nicht gerne arbeiten und wurde wegen Jagdfrevel unmenschlich abgestraft, da trat ich in den Armen Konrad, und bald war ich so arg als der Gaispeter und der Bregenzer. Der Herzog aber, als er sah, daß der Aufruhr gefährlich werden könne, ritt selbst nach Schorndorf. Man hatte uns zur Huldigung zusammenberufen, wir erschienen zu vielen Hunderten – aber bewaffnet. Der Herzog sprach selbst zu uns, aber man hörte ihn nicht an. Da stand der Reichsmarschall auf, erhob seinen goldenen Stab und sprach: ›Wer es mit dem Herzog Ulerich von Württemberg hält, trete auf seine Seite‹; der Gaispeter aber trat auf einen hohen Stein und rief: ›Wer es mit dem Armen Konrad vom Hungerberg hält, trete hieher.‹ Siehe, da stand der Herzog verlassen unter seinen Dienern. Wir andern hielten zu dem Bettler.«

»Oh, schändlicher Aufruhr«, rief Georg vom Gefühl des Unrechts ergriffen, »schändlich vor allen die, welche es so weit kommen ließen! Da war gewiß Ambrosius Volland der Kanzler, an vielem schuld?«

»Ihr könnet recht haben«, erwiderte der Spielmann; »doch höret weiter; der Herzog als er sah, daß seine Sache verloren sei, schwang sich auf sein Roß, wir aber drängten uns um ihn her, doch noch wagte es keiner, den Fürsten anzutasten, denn er sah gar zu gebietend aus seinen großen Augen auf uns herab. ›Was wollt ihr, Lumpen!‹ schrie er und gab seinem Hengst die Sporn, daß er sich hoch aufbäumte und drei Männer niederriß. Da erwachte unser Grimm, sie fielen seinem Roß in die Zügel, sie stachen nach ihm mit Spießen, und ich, ich vergaß mich so, daß ich ihn am Mantel packte und rief: ›Schießt den Schelmen tot.‹«

»Das warst du, Hanns?« rief Georg, und sah ihn mit scheuen Blicken an.

»Das war ich,« sagte dieser langsam und ernst; »aber es ward mir dafür was mir gebührte. Der Herzog entkam uns damals und sammelte ein Heer; wir konnten nicht lange aushalten und ergaben uns auf Gnad und Ungnad. Es wurden zwölf Anführer des Aufruhrs nach Schorndorf geführt und dort gerichtet, ich war auch unter diesen. Aber als ich so im Kerker lag und mein Unrecht und den nahen Tod überdachte, da graute mir vor mir selbst, und ich schämte mich, mit so elenden Gesellen wie die eilf anderen waren, gerichtet zu werden.«

»Und wie wurdest du gerettet?« fragte Georg teilnehmend.

»Wie ich Euch schon in Ulm sagte, durch ein Wunder. Wir zwölf wurden auf den Markt geführt, es sollte uns dort der Kopf abgehauen werden. Der Herzog saß vor dem Rathaus und ließ uns noch einmal vor sich führen. Jene eilfe stürzten nieder, daß ihre Ketten fürchterlich rasselten, und schrieen mit jammernder Stimme um Gnade. Er sah sie lange an und betrachtete dann mich. ›Warum bittest du nicht auch?‹ fragte er. ›Herr‹, antwortete ich, ›ich weiß was ich verdient habe, Gott sei meiner Seele gnädig.‹ Noch einmal sah er auf uns, dann aber winkte er dem Scharfrichter. Sie wurden nach dem Alter gestellt, ich, als der jüngste, war der letzte. Ich weiß wenig mehr von jenen schrecklichen Augenblicken; aber nie vergesse ich den greulichen Ton, wenn die Halsknorpel krachten –«

»Um Gottes willen hör auf«, bat Georg, »oder übergehe das Gräßliche!«

»Neun Köpfe meiner Gesellen staken auf den Spießen, da rief der Herzog: ›Zehn sollen bluten, zwei frei sein. Bringt Würfel her, und laßt die drei dort würfeln!‹ Man brachte Würfel, der Herzog bot sie mir zuerst; ich aber sagte: ›Ich habe mein Leben verwirkt und würfle nicht mehr darüber!‹ Da sprach der Herzog: ›Nun so würfle ich für dich.‹ Er bot den zwei andern die Würfel hin. Zitternd schüttelten sie in den kalten Händen die Würfel, zitternd zählten sie die Augen; der eine warf neun, der andere vierzehn; da nahm der Herzog die Würfel und schüttelte sie. Er faßte mich scharf ins Auge, ich weiß, daß ich nicht gezittert habe. Er warf – und deckte schnell die Hand darauf. ›Bitte um Gnade‹ , sagte er, ›noch ist es Zeit‹. ›Ich bitte, daß Ihr mir verzeihen möget, was ich Euch Leids getan‹ , antwortete ich, ›um Gnade aber bitt ich nicht, ich habe sie nicht verdient und will sterben.‹ Da deckte er die Hand auf, und siehe er hatte achtzehn geworfen. Es war mir sonderbar zumut, es kam mir vor als habe er gerichtet an Gottes Statt. Ich stürzte auf meine Kniee nieder und gelobte fortan in seinem Dienst zu leben und zu sterben. Der zehnte ward geköpft, wir beide waren frei.« –

Mit immer höher steigender Teilnahme hatte Georg der Erzählung des Pfeifers von Hardt zugehört; aber als er schloß, als sich das sonst so kühn und listig blickende Auge mit Tränen füllte, da konnte er sich nicht enthalten seine Hand zu fassen, sie fest und herzlich zu drücken. »Es ist wahr«, sagte der junge Mann, »du hast Schweres an deinem Landesherrn verschuldet, aber du hast auch schrecklich gebüßt, denn du hast den Tod dennoch erlitten; jenes schnelle Zücken des Schwertes ist nichts mehr gegen das Gefühl, so viele bekannte Menschen hinrichten, und sich den Tod immer näher kommen zu sehen! Und hast du nicht durch ein Leben voll Treue, durch Aufopferung und Wagnis aller Art den Fürsten versöhnt, an den du deine Hand legtest? Wie oft hast du ihm Freiheit, vielleicht das Leben gerettet; wahrlich, deine Schuld ist reichlich abgetragen.«

Der arme Mann hatte, nachdem er seine Erzählung geschlossen, wieder mit düsterem Sinnen ins Feuer geschaut. Er hätte ganz teilnahmslos geschienen, wenn nicht unter den Worten Georgs nach und nach ein trübes Lächeln auf seinen Zügen erschienen wäre. »Meint Ihr«, sagte er, »ich hätte gebüßt und meine Schuld abgetragen? Nein, solche Schulden tilgen sich nicht so bald, und ein geschenktes Leben muß für den aufgesetzt werden, der es uns fristete. Das Umherschleichen in den Bergen, Kundschaft bringen aus Feindes Lager, Höhlen zeigen wo man sich verbergen kann, das ist keine schwere Sache, Herr, und das allein tut's nicht. Ich weiß, ich werde noch einmal für ihn sterben müssen – und dann, Herr, nehmt Euch meines Weibes und meiner Tochter an.«

Eine Träne fiel in seinen Bart, doch als schäme er sich so weich zu sein, verbarg er sein Gesicht in der Hand und fuhr fort: »Doch dazu bin ich noch gut genug; wie jeder Kriegsmann, wie jeder im Volk, darf ich für ihn sterben, o könnte ich durch meinen Tod seine Huldigung abändern, und ihm das Land wieder verschaffen, noch in dieser Stunde wollte ich sterben!«

Der Herzog erwachte; er richtete sich auf, er sah mit verwunderten Blicken um sich her, als sei er durch einen Zauber in diese Erdschlucht versetzt, und sehe jetzt erst diese Felsen und Bäume, das spärliche Feuer und die von den Flammen beschienenen Männer, seine Begleiter; er bedeckte seine Augen mit der Hand, doch er sah wieder auf als prüfe er, ob diese Erscheinungen bleiben; – sie blieben, und schmerzlich sah er bald den einen, bald den andern an. »Ich habe heute ein Land verloren«, sprach er, »es hat mich nicht so geschmerzt als dieses Erwachen, denn ich habe es im Traume wieder und noch viel schöner besessen.«

»Seid nicht ungerecht, Herr«, sagte Marx Stumpf von Schweinsberg, indem er sich aus seiner gebückten Stellung aufrichtete; »seid nicht ungerecht gegen diese Wohltat der Natur. Wie unglücklich wäret Ihr, wenn Ihr auch im Schlummer, der Eure Kräfte für das schwere Unglück stärken soll, Euren Verlust noch fühltet, auch da noch so düster darüber gebrütet hättet. Ihr seid finster und verschlossen eingeschlummert, jetzt sind Eure Züge freundlicher und milder, verdanken wir dies nicht auch Eurem Traum?«

»So hätte ich mögen nie erwachen; oh, daß ich Jahrhunderte fortgeträumt hätte, und dann erwacht wäre; es war so schön, so tröstlich was ich träumte!«

Er stützte die Stirne in die Hand und schien schmerzlich bewegt. Der alte Herr von Lichtenstein war von den Stimmen der Sprechenden erweckt worden; er kannte Ulerich und wußte, daß man ihn nicht über seinen schmerzlichen Verlust brüten lassen dürfe; er rückte ihm daher näher und sprach:

»Nun, und wollt Ihr uns nicht auch sagen, was Ihr geträumt habt? vielleicht liegt auch für uns ein Trost darin, denn wisset, ich glaube an Träume, wenn sie in einer wichtigen, verhängnisvollen Stunde in unsere Seele einziehen, und ich glaube sie kommen von oben, um uns zu trösten.«

Der Herzog schwieg noch eine Weile, er schien über die Worte des Ritters nachzusinnen; dann fing er an zu erzählen: »Mein Schwager, Wilhelm von Bayern, hat mir heute zur Probe seiner Freundschaft die Burg meiner Ahnen niedergebrannt. Dort hausten seit undenklichen Zeiten die Württemberger und das Land, das wir besitzen, trägt von diesem Schloß den Namen. Es scheint als habe er damit uns eine Todesfackel anzünden, und mit diesen Flammen unser Wappen und Gedächtnis, und selbst den Namen Württemberg vertilgen wollen. Und fast könnte er recht haben; denn mein einziges Söhnlein, Christoph, ist in fernen Landen, mein Bruder Georg, hat noch keine Kinder, und ich – – bin geschlagen, verjagt, sie haben wiederum mein Land besetzt, und wo ist Hoffnung, daß ich es wieder einmal erlange?! – – Wie ich nun so ganz verlassen und elend hier am Feuer saß, wie ich nachdachte über mein kurzes Glück, und wie ich vielleicht mein Unglück selbst verschuldet habe; wie ich bedachte auf welch schwachen Stützen meine Hoffnung beruhe, und wie selbst der Name Württemberg auslöschen könne, gleich den letzten Funken in der Asche meiner Stammburg, da übermannte mich der Jammer, und bitterer als je fühlte ich die Schläge meines Schicksals. Unter diesen Gedanken entschlief ich. Doch wie im Wachen meine Seele mit Sehnsucht und Trauer auf den Höhen des Rotenberges, und um die rauchenden Trümmer von Württemberg schwebte, so erging sich mein Geist auch im Traume dort.«

Ulerich hielt inne; es war als fülle ein Bild seine Seele, das zu schön, zu groß sei, um es mit sterblichen Lippen zu beschreiben; ein milder Friede lag auf den Zügen des unglücklichsten Fürsten, und ein wunderbarer Glanz drang aus seinen aufwärts gerichteten Augen. Die Männer umher blickten ihn staunend an; sie hingen an seinen Lippen und lauschten auf seine Rede, die ihnen so Wichtiges zu verkünden schien.

»Höret weiter«, fuhr er fort; »ich sah herab auf das schöne Neckartal. Der Fluß zog wie sonst in schönen blauen Bogen hin, aber das Tal und die Berge schienen mir lieblicher, glänzender, die Wälder auf den Höhen waren verschwunden, die Wiesen waren nicht mehr, sondern von Berg zu Berg zog sich ein großer Garten voll grüner Reben, und im Tal sah man Obstbäume und schöne blühende Gärten ohne Zahl. Ich stand entzückt und schaute und schaute immer wieder hin, denn die Sonne erschien freundlicher, der Himmel blauer und reiner, das Grün der Reben und Bäume glänzender als jetzt. Und als ich mein trunkenes Auge erhob und hinüberschaute über den Neckar, da gewahrte ich auf einem Hügel am Fluß ein freundliches Schloß, das im Glanz der Morgensonne sich spiegelte; es lag so friedlich da, daß sein Anblick meiner Seele wohltat, denn keine Gräben und hohe Mauern, keine Türme und Zinnen, kein Fallgatter, keine Zugbrücke erinnerte an den Zwist der Völker, und an das unsichere, wechselnde Geschick der Sterblichen.

Und als ich verwundert über den tiefen Frieden des Tales und jenes unbewachten Schlosses mich umsah, waren auch die Mauern meiner Burg verschwunden; doch hier wenigstens log mir der Traum nicht, denn ich sah ja gestern die Zinnen stürzen und den Wartturm sinken, von welchem sonst mein Panier in den Lüften wehte. Kein Stein von Württemberg war mehr zu sehen, aber ein Tempel stand dort mit Säulen und Kuppel, wie man sie in Rom und Griechenland findet. Ich dachte nach, wie dies alles auf einmal so habe kommen können, da gewahrte ich Männer in fremder Kleidung, die nicht weit von mir standen und auf das Land hinabschauten.

Der eine dieser Männer zog vor den übrigen meine Aufmerksamkeit auf sich; er hatte einen schönen Knaben an der Hand, dem er das Tal zu seinen Füßen, und die Berge umher, und den Fluß und die Städte und Dörfer in der Nähe und Ferne, zeigte. Ich betrachtete den Mann, er trug die Züge meines Bruders Georg[45], und es war mir als müsse er zum Stamm meiner Ahnen gehören und ein Württemberg sein; er stieg mit dem Knaben den Berg hinab ins Tal, und die andern Männer folgten ihm in ehrerbietiger Entfernung; den letzten hielt ich auf und fragte ihn: wer jener gewesen sei, der dem Knaben das Land gezeigt habe? ›Das war der König‹ , sagte er, und stieg den Berg hinab.«

Der Herzog schwieg und sah die Ritter forschend an, als wollte er ihre Meinung hören; sie schwiegen lange, endlich nahm der Ritter von Lichtenstein das Wort und sprach: »Ich bin fünfundsechzig Jahre alt, und habe vieles gesehen und gehört auf Erden, und manches, worüber der menschliche Geist erstaunte, und wo ein frommer Sinn den Finger der Gottheit sah. Glaubet mir, auch die Träume kommen von Gott, denn nichts geschieht auf Erden ohne Ursache. Es hat in alten Zeiten Seher und Propheten gegeben, warum sollte nicht auch in unseren Tagen der Herr seiner Heiligen einen herabsenden, daß er einem Unglücklichen im Traume die dunkeln Pforten der Zukunft öffnen, und ihn einen Blick in künftige, schönere Tage tun lasse? Drum seid getrosten Mutes, Herr! Eure Feste hat der Feind verbrannt, Ihr habt an einem Tage ein Herzogtum verloren, aber dennoch wird Euer Name nicht verlöschen, und Euer Gedächtnis wird nicht verloren sein in Württemberg.«

»Ein König –« sprach der Herzog sinnend, »ist es nicht vermessen, jetzt wo ich hinaus muß ins Elend, jetzt an einen König meines Stammes zu denken? Kann nicht auch die Hölle solche Träume vorspiegeln um uns nachher desto bitterer zu täuschen?«

»Was zweifelt Ihr an der Zukunft?« sagte Schweinsberg lächelnd. »Hätte einer Eurer ritterlichen Ahnen, die auf Württemberg hausten, hätte einer wissen können, daß seine Enkel Herzoge sein, daß das weite, schöne Land ihren Namen Württemberg tragen werde? Nehmet Euren Traum als den Wink des Schicksals hin, daß Euer Name in ferner, ferner Zeit auf diesem Lande bleiben, daß die spätern Fürsten Württembergs die Züge Eures Stammes tragen werden.«

»Wohlan, so will ich hoffen«, erwiderte Ulerich von Württemberg; »will hoffen, daß Uns das Land verbleibe, wie dunkel auch jetzt Unsere Lose seien. Mögen Unsere Enkel nie so harte Zeiten sehen wie Wir; möge man auch von ihnen sagen, sie sind – furchtlos!«

»Und treu!« sprach der Bauer mit Nachdruck, und stand auf. »Doch es ist Zeit, Herr Herzog, daß Ihr aufbrechet. Das Morgenrot ist nicht mehr fern, und über den Neckar wenigstens müssen wir kommen, solange es noch dunkel ist.«

Sie standen auf und waffneten sich; die Pferde wurden herbeigeführt, sie saßen auf, und der Pfeifer ging voran den Weg aus der Schlucht zu zeigen. Die Reise des Herzogs zum Land hinaus war mit großer Gefahr verbunden, denn der Bund suchte seiner mit aller Mühe habhaft zu werden. Um auf einen Weg zu gelangen, wo er sicher seinen Feinden entgehen könnte, war der Herzog genötigt, noch einmal über den Neckar zu gehen. Dieser Übergang war nicht ohne Gefahr; ein starker Gewitterregen hatte den Fluß angeschwellt, so daß es nicht möglich schien, ihn mit den Pferden zu durchschwimmen; die Brücken aber waren zum größten Teil von dem Bunde besetzt worden; doch auch hier wußte Hanns guten Rat, denn er hatte durch treue Leute ausgespäht, daß die Brücke von Köngen noch frei sei; man hatte sich wohl nicht die Mühe genommen, sie zu besetzen, weil sie Eßlingen und dem feindlichen Lager allzu nahe war, als daß man hätte glauben können, der Herzog werde dort vorüberkommen. Dieser Weg schien wegen seiner großen Gefahr, die meiste Sicherheit zu gewähren; ihn wählte Ulerich, und so zogen sie stille und vorsichtig dem Neckar zu.

Als sie aus dem Wald ins Feld herauskamen, säumte schon das Morgenrot den Horizont. Sie ritten jetzt auf besserem Wege schärfer zu, und bald sahen sie den Neckar schimmern, und die hochgewölbte Brücke lag nicht ferne mehr von ihnen. In diesem Augenblick sah sich Georg um, und gewahrte eine bedeutende Anzahl Reiter, die von der Seite her, hinter ihnen, zogen; er machte seine Begleiter darauf aufmerksam; sie sahen sich besorgt um und musterten den Zug, der wohl fünfundzwanzig Pferde betragen mochte. Es schien bündische Reiterei zu sein, denn des Herzogs Völker waren gesprengt, und zogen nicht mehr in so geordneten Scharen wie diese.

Noch zogen jene ruhig ihren Weg, und schienen die kleine Gesellschaft nicht zu bemerken, aber dennoch schien es ratsam, die Brücke zu gewinnen, wo sich drei Wege schieden, ehe man von ihnen angerufen und befragt würde. Der Pfeifer lief voran so schnell er konnte, der Herzog und die Ritter folgten ihm in gestrecktem Trab, und je weiter sie sich von den Bündischen entfernten, desto leichter wurde ihnen ums Herz, denn alle bangten nicht für ihr eigenes Leben, wohl aber für die Freiheit Ulerichs.

Sie hatten die Brücke erreicht, sie zogen hinauf, aber in demselben Augenblick, wo sie oben auf der Mitte der hohen Wölbung angekommen waren, sprangen zwölf Männer mit Spießen, Schwertern und Büchsen bewaffnet, hinter der Brücke hervor und besetzten den Ausgang; der Herzog sah, daß er entdeckt war, und winkte seinen Begleitern rückwärts; Lichtenstein und Schweinsberg, die letzten, wandten ihre Rosse, aber schon war es zu spät, denn die bündischen Reiter, die ihnen im Rücken nachgezogen waren, hatten sich in Galopp gesetzt, und den Eingang der Brücke in diesem Augenblick erreicht und besetzt.

Noch war es zu dunkel, als daß man den Feind genau hätte unterscheiden können, doch nur zu bald zeigten sich seine feindlichen Absichten. »Ergebt Euch, Herzog von Württemberg«, rief eine Stimme, die den Rittern nicht unbekannt schien; »Ihr sehet, es ist kein Ausweg da zur Flucht!«

»Wer bist du, daß Württemberg sich dir ergeben soll?« antwortete Ulerich mit grimmigem Lachen, indem er sein Schwert zog; »du sitzt ja nicht einmal zu Roß; bist du ein Ritter?«

»Ich bin der Doktor Calmus«, entgegnete jener, »und bin bereit, die vielen Liebesdienste zu vergelten, die Ihr mir erwiesen habt. Ein Ritter bin ich, denn Ihr habt mich ja zum Ritter vom Esel gemacht; aber ich will Euch dafür zum Ritter ohne Roß machen. Abgestiegen, sag ich, im Namen des durchlauchtigsten Bundes.«

»Gib Raum, Hanns«, flüsterte der Herzog mit unterdrückter Stimme dem Spielmann zu, der mit gehobener Axt zwischen ihm und dem Doktor stand, »geh, tritt auf die Seite; ihr Freunde schließt euch an, wir wollen plötzlich auf sie einfallen, vielleicht gelingt es durchzubrechen!« Doch nur Georg vernahm diesen Befehl des Herzogs, denn die andern Ritter hielten wohl zehn Schritte hinter ihnen den Eingang besetzt, und waren schon mit den bündischen Reitern im Gefecht, die umsonst dieses ritterliche Paar zu durchbrechen, und zu dem Herzog durchzudringen versuchten. Georg schloß sich an Ulerich an, und wollte mit ihm auf den Doktor und die Knechte einsprengen, aber diesem war das Flüstern des Herzogs nicht entgangen. »Drauf ihr Männer, der im grünen Mantel ist's; lebendig oder tot!« rief er, drang mit seinen Knechten vor und griff zuerst an. Sein langer Arm führte einen fünf Ellen langen Spieß; er zückte ihn nach Ulerich, und es wäre vielleicht um ihn geschehen gewesen, da er ihn in der Dunkelheit nicht gleich bemerkte, doch Hanns kam ihm zuvor, und indem der berühmte Doktor Kahlmäuser nach der Brust seines Herrn stieß, war ihm die Axt des Pfeifers tief in die Stirne gedrungen; er fiel, so lang er war, mit Gebrüll auf die Knechte zurück. Sie stutzten, der Bauersmann schien ein schrecklicher Kämpfer, denn seine Axt schwirrte immer noch in den Lüften, er bewegte sie wie eine Feder hin und her; sie zogen sich sogar einige Schritte zurück. Diesen Augenblick benützte Georg, riß dem Herzog den grünen Mantel ab, hing ihn sich selbst um, und flüsterte ihm zu, sein Pferd zu spornen, und sich über die Brüstung der Brücke hinabzustürzen. Der Herzog warf einen Blick auf die hochgehenden Wellen des Neckars und hinauf zum Himmel; es schien keine andere Rettung möglich, und er wollte lieber auf Leben und Tod den Sprung wagen, als seinen Feinden in die Hände fallen; doch der Anblick, der sich ihm in diesem schrecklichen Moment darbot, zog ihn noch einmal zurück.

Die Knechte hatten die Speere vorgestreckt und drangen vor; der Pfeifer stand noch immer, obgleich aus mehreren Wunden blutend, und schlug mit der Axt ihre Speere nieder. Seine Augen blitzten, seine kühnen Züge trugen den Ausdruck von freudiger Begeisterung, und das Lächeln, das um seinen Mund zog, war nicht das der Verzweiflung, nein, seine mutige Seele erbebte nicht vor dem nahenden Tod, er blickte ihm mit stolzer Freude entgegen, als sei er der Kampfpreis, um den er so viele Sorgen und Gefahren auf sich genommen habe. Noch einen schlug er mit seiner starken Rechten zu Boden, da stieß ihm einer der Knechte von der Seite her die Hellebarde in die Brust, in diese treue Brust, die noch im Tod ein Schild für den unglücklichen Fürsten war, dem nie ein treueres Herz geschlagen hatte. Er wankte, er sank zusammen, er heftete das brechende Auge auf seinen Herrn: »Herr Herzog, wir sind quitt!« rief er freudig aus, und senkte sein Haupt zum Sterben.

An ihm vorüber ging der Weg der Knechte, die mit Freudengeschrei näher zudrangen – da warf sich Georg von Sturmfeder in die Mitte; seine Klinge schwirrte in der Luft, und sooft sie niederfiel, zuckte einer der Feinde am Boden. Es war der letzte Schild Herzog Ulerichs von Württemberg; sank dieser noch, so war Gefangenschaft oder Tod unvermeidlich. Drum wandte er sich zum letzten Mittel; er warf noch einen tränenschweren Blick auf die Leiche jenes Mannes, der seine Treue mit dem Tod besiegelt hatte; dann riß er sein mächtiges Streitroß zur Seite, spornte es, daß es sich hoch aufbäumte, wandte es mit einem starken Druck rechts, und – in einem majestätischen Sprung, setzte es über die Brüstung der Brücke, und trug seinen fürstlichen Reiter hinab in die Wogen des Neckars.

Georg hielt inne zu fechten; er sah dem Herzog nach; Roß und Reiter waren niedergetaucht, doch das mächtige Tier kämpfte mit den Wirbeln, schwamm, arbeitete sich herauf, und wie die beste Barke schwamm es mit dem Herzog den Strom hinab. Dies alles war das Werk weniger Augenblicke, einige der Knechte wollten hinabspringen ans Ufer, um sich des kühnen Ritters zu bemächtigen, doch einer, der Georg am nächsten war, rief ihnen zu: »Laßt ihn schwimmen, an dem ist nichts gelegen, das hier ist der grüne Vogel, das ist der grüne Mantel; den laßt uns fassen.« Georg blickte dankbar auf zum Himmel; er ließ sein Schwert sinken und ergab sich den Bündischen. Sie schlossen einen Kreis um ihn, und ließen es willig geschehen, daß er abstieg und zu der Leiche jenes Mannes trat, der ihnen so schrecklich erschienen war. Georg faßte die Hand, welche noch immer die blutige Axt festhielt. Sie war kalt. Er suchte, ob das treue Herz noch schlage, aber der tödliche Stoß der Lanze hatte es nur zu gut getroffen. Das Auge, das einst so kühn und mutig blickte, war gebrochen, geschlossen der Mund, der auch in den trübsten Stunden einen ungebeugten, frohen Sinn verkündete; seine Züge waren erstarrt, aber noch schwebte um seine Lippen jenes Lächeln, das den letzten Gruß, den er seinem Herrn entbot, begleitet hatte. Georgs Tränen fielen auf ihn herab; er drückte noch einmal die Hand des Pfeifers, schloß ihm die Augen zu und schwang sich auf, um den Knechten in ihr Lager zu folgen.

XI

O schöner Tag, wann endlich der Soldat

Ins Leben heimkehrt, in die Menschlichkeit –

Oh! glücklich wem dann auch sich eine Tür,

Sich zarte Arme sanft umschlingend öffnen.

Schiller

Nach einem Marsch von beinahe drei Stunden näherte sich der Trupp der bündischen Knechte, den Gefangenen in ihrer Mitte, dem Lager. Sie hatten nicht gewagt sich laut zu unterreden, aber ihre Mienen verkündeten großen Triumph, und Georgs scharfem Ohr entging es nicht, wie sie flüsternd den Gewinn berechneten, den sie aus dem Herzog im grünen Mantel ziehen werden. Ein freudiges Gefühl bewegte seine Brust, er glaubte hoffen zu dürfen, daß der unglückliche Fürst durch seine kühne Aufopferung Zeit gewonnen habe, sich zu retten. Nur der Gedanke an Marie trübte auf Augenblicke seine Freude. Wie groß mußte ihr Kummer schon gewesen sein, als sie die Nachricht von dem Ausgang der Schlacht bekam; er hatte ihr zwar durch treue Männer die Nachricht gesandt, daß er unverletzt aus dem Streit gegangen sei; aber wußte er nicht, daß die traurige Entscheidung von Württembergs Schicksal ihre Seele tief betrüben, daß ihre Blicke ängstlich dem Geliebten auf den Gefahren der Flucht folgen werden, daß ihre Sehnsucht zu jeder Stunde seinen Namen nenne und ihn zurückrufe?

Und durfte er hoffen, vom Bunde zum zweitenmal so leicht entlassen zu werden, wie damals in Ulm? Gefangen mit den Waffen in der Hand, bekannt als eifriger Freund des Herzogs – mußte er nicht fürchten, einer langen Gefangenschaft, einer grausamen Behandlung entgegenzugehen? Die Ankunft an dem äußeren Posten des Lagers unterbrach diese düsteren Gedanken. Die Knechte schickten einen aus ihrer Mitte ab, um die Bundesobersten von ihrem Fang zu benachrichtigen und Befehle einzuholen, wohin man ihn führen solle. Es war dies eine peinliche Viertelstunde für Georg; er wünschte wo möglich mit Frondsberg zusammenzutreffen, er glaubte hoffen zu dürfen, daß dieser edle Freund seines Vaters ihm seine gütigen Gesinnungen erhalten haben möchte, daß er ihn zum wenigsten billiger beurteilen werde als Waldburg-Truchseß und so mancher andere, der ihm früher nicht günstig war.

Der Knecht kam zurück; der Gefangene sollte so still als möglich und ohne Aufsehen in das große Zelt geführt werden, wo die Obersten gewöhnlich Kriegsrat hielten. Man schlug zu diesem Gang einen Seitenweg ein, und die Knechte baten Georg, seinen Helm zu schließen, daß man ihn nicht erkenne, ehe er vor den Rat geführt würde. Gerne befolgte er diese Bitte, denn es war ihm in einem solchen Falle nichts unerträglicher, als sich den Blicken neugieriger oder schadenfroher Menschen aussetzen zu müssen. Sie gelangten endlich an das große Zelt. Diener aller Art waren hier versammelt, und die verschiedenen Farben und Binden, mit welchen sie geschmückt waren, ließen auf eine zahlreiche Versammlung edler Herren und Ritter im Innern des Zeltes schließen.

Schon mochte die Nachricht unter sie gekommen sein, daß einige Knechte einen Mann von Bedeutung gefangen haben, denn sie drängten sich nahe herbei, als Georg sich aus dem Sattel schwang, und ihre neugierigen Blicke schienen durch die Öffnungen des Visieres dringen zu wollen, um die Züge des Gefangenen zu schauen. Ein Edelknabe suchte Raum zu machen, und er mußte seine Zuflucht zu dem »Namen der Bundesobersten« nehmen, um diese dichte Masse zu durchbrechen, und dem gefangenen Ritter einen Weg in das Innere des Zeltes zu bahnen. Drei jener Knechte, die ihn begleitet hatten, durften folgen; sie glühten vor Freude, und glaubten nicht anders als jene Goldgülden sogleich in Empfang nehmen zu können, die auf die Person des Herzogs von Württemberg gesetzt waren.

Der letzte Vorhang tat sich auf, und Georg trat mutig und festen Schrittes ein, und überschaute die Männer, die über sein Schicksal entscheiden sollten. Es waren wohlbekannte Gesichter, die ihn so fragend und durchdringend anschauten. Noch waren die düsteren Blicke und die feindliche Stirne des Truchseß von Waldburg seinem Gedächtnis nicht entfallen, und der spöttische, beinahe höhnische Ausdruck in den Mienen dieses Mannes weissagte ihm nichts Gutes. Sickingen, Alban von Closen, Hutten – sie alle saßen wie damals vor ihm, als er dem Bund auf ewig Lebewohl sagte, aber wie vieles hatte sich verändert. Und eine Träne füllte sein Auge, als es auf jene teure Gestalt, auf jene ehrwürdigen Züge fiel, die sich tief in sein dankbares Herz gegraben hatten. Es war nicht Hohn, nicht Schadenfreude, was man in Georg von Frondsbergs Mienen las, nein, er sah den Nahenden mit jenem Ausdruck von würdigem Ernst, von Wehmut an, womit ein edler Mann den tapferen, aber besiegten Feind begrüßt.

Als Georg diesen Männern gegenüberstand, hub der Truchseß von Waldburg an: »So hat doch endlich der Schwäbische Bund einmal die Ehre, den erlauchten Herzog von Württemberg vor sich zu sehen, freilich war die Einladung zu uns nicht allzu höflich, doch –«

»Ihr irrt Euch!« rief Georg von Sturmfeder, und schlug das Visier seines Helmes auf. Als sähen sie Minervas Schild und sein Medusenhaupt, so bebten die Bundesräte vor dem Anblick der schönen Züge des jungen Ritters. »Ha! Verräter! ehrlose Buben! ihr Hunde!« rief Truchseß den drei Knechten zu; »was bringt ihr uns diesen Laffen, dessen Anblick meine Galle aufregt, statt des Herzogs? Geschwind, wo ist er? sprecht!«

Die Knechte erbleichten. »Ist's nicht dieser?« fragten sie ängstlich. »Er hat doch den grünen Mantel an.«

Der Truchseß zitterte vor Wut und seine Augen sprühten Verderben; er wollte auf die Knechte hinstürzen, er sprach davon sie zu erwürgen, aber die Ritter hielten ihn zurück, und Hutten, zornbleich, aber gefaßter als jener, fragte: »Wo ist der Doktor Calmus, laßt ihn hereinkommen, er soll Rechenschaft ablegen, er hat den Zug übernommen.«

»Ach Herr«, sagte einer der Knechte, »der legt Euch keine Rechenschaft mehr ab; er liegt erschlagen auf der Brücke bei Köngen!«

»Erschlagen?« rief Sickingen, »und der Herzog ist entkommen? erzählte ihr Schurken.«

»Wir legten uns, wie uns der Doktor befahl, bei der Brücke in Hinterhalt. Es war beinahe noch dunkel, als wir den Hufschlag von vier Rossen hörten, die sich der Brücke näherten, zugleich vernahmen wir das Zeichen, das uns die Reiter über dem Fluß geben sollten, wenn die Herzoglichen aus dem Wald kämen. ›Jetzt ist's Zeit‹, sagte der Kahlmäuser. Wir standen schnell auf und besetzten den Ausgang der Brücke. Es waren, soviel wir im Halbdunkel unterscheiden konnten, vier Reiter und ein Bauersmann; die zwei hintersten wandten sich um und fochten mit unseren Reitern, die zwei vorderen und der Bauer machten sich an uns. Doch wir streckten ihnen die Lanzen entgegen, und der Doktor rief ihnen zu, sich zu ergeben. Da drangen sie wütend auf uns ein; der Doktor sagte uns, der im grünen Mantel sei der Rechte; und wir hätten ihn bald gehabt, aber der Bauer wenn es nicht der Teufel selbst war, schlug den Doktor und noch zwei von uns nieder. Jetzt stach ihm einer die Hellebarde in den Leib, daß er fiel und dann ging es auf die Reiter. Wir packten allesamt den im grünen Mantel, wie uns der Kahlmäuser geheißen, der andere aber stürzte sich mit seinem Roß über die Brücke hinab in den Neckar und schwamm davon. Wir aber ließen ihn ziehen, weil wir den Grünen hatten, und brachten diesen hieher.«

»Das war Ulerich und kein anderer«, rief Alban von Closen »ha! über die Brücke hinab in den Neckar! das tut ihm keiner nach.«

»Man muß ihm nachjagen«, fuhr der Truchseß auf; »die ganze Reiterei muß aufsitzen und hinab am Neckar streifen, ich selbst will hinaus –«

»O Herr«, entgegnete einer der Knechte. »Da kommt Ihr zu spät; es ist drei Stunden jetzt, daß wir von der Brücke abzogen, der hat einen guten Vorsprung, und kennt das Land wohl besser als alle Reiter!«

»Kerl! willst du mich noch höhnen? ihr habt ihn entkommen lassen, an euch halte ich mich, man rufe die Wache; ich laß euch aufhängen.«

»Mäßigt Euch«, sagte Frondsberg, »die armen Bursche trifft der Fehler nicht; sie hätten sich gerne das Gold verdient, das auf den Herzog gesetzt war. Der Doktor hat gefehlt und Ihr hört, daß er es mit dem Leben zahlte.«

»Also Ihr habt heute den Herzog vorgestellt?« wandte sich Waldburg zu Georg, der stille dieser Szene zugesehen hatte; »müßt Ihr mir überall in den Weg laufen, mit Eurem Milchgesicht? Überall hat Euch der Teufel, wo man Euch nicht braucht. Es ist nicht das erste Mal, daß Ihr meine Pläne durchkreuzet –«

»Wenn Ihr es gewesen seid, Herr Truchseß«, antwortete Georg, »der bei Neuffen den Herzog meuchlings überfallen lassen wollte, so bin ich Euch leider in den Weg gekommen, denn Eure Knechte haben mich niedergeworfen.«

Die Ritter erstaunten über diese Rede, und sahen den Truchseß fragend an. Er errötete, man wußte nicht aus Zorn oder Beschämung, und entgegnete: »Was schwatzt Ihr da von Neuffen; ich weiß von nichts; doch wenn man Euch dort niedergeworfen hat, so wünsche ich, Ihr wäret nimmer aufgestanden, um mir heute vor Augen zu kommen. Doch es ist auch so gut, Ihr habt Euch als einen erbitterten Feind des Bundes bewiesen, habt heimlich und offen für den geächteten Herzog gehandelt, teilet also seine Schuld gegen den Bund und das ganze Reich, seid überdies heute mit den Waffen in der Hand gefangen worden – Euch trifft die Strafe des Hochverrats an dem allerdurchlauchtigsten Bund des Schwaben- und Frankenlandes.«

»Dies dünkt mir eine lächerliche Beschuldigung«, erwiderte Georg mit mutigem Ton; »Ihr wisset wohl, wann und wo ich mich von dem Bunde losgesagt habe; Ihr habt mich auf vierzehn Tage Urfehde schwören lassen; so wahr Gott über mir ist, ich habe sie gehalten. Was ich nachher getan, davon habt Ihr nicht Rechenschafe zu fordern, weil ich Euch nicht mehr verpflichtet war, und was meine Gefangennehmung mit den Waffen in der Hand betrifft, so frage ich euch, edle Herren, welcher Ritter wird, wenn er von sechs oder acht angegriffen wird, sich nicht seines Lebens wehren? Ich verlange von euch ritterliche Haft, und erbiete mich Urfehde zu schwören auf sechs Wochen; mehr könnet ihr nicht von mir verlangen.«

»Wollt Ihr uns Gesetze vorschreiben? Ihr habt gut gelernt bei dem übermütigen Herzog; ich höre ihn aus Euch sprechen; doch keinen Schritt sollt Ihr zu Eurer Sippschaft tun, bis Ihr gesteht, wo der alte Fuchs, Euer Schwiegervater, sich aufhält, und welchen Weg der Herzog genommen hat.«

»Der Ritter von Lichtenstein wurde von Euren Reitern gefangengenommen, welchen Weg der Herzog nahm, weiß ich nicht, und kann es mit meinem Wort bekräftigen.«

»Ritterliche Haft?« rief der Truchseß bitter lachend. »Da irrt Ihr Euch gewaltig; zeiget vorher, wo Ihr die goldenen Sporen verdient habt! Nein, solches Gelichter wird bei uns ins tiefste Verlies geworfen, und mit Euch will ich den Anfang machen.«

»Ich denke dies ist unnötig«, fiel ihm Frondsberg ins Wort; »ich weiß, daß Georg von Sturmfeder zum Ritter geschlagen wurde; überdies hat er einem bündischen Edlen das Leben gerettet, Ihr werdet Euch wohl an die Aussage des Dieterich von Kraft erinnern. Auf Verwenden dieses Ritters wurde er von einem schmählichen Tod befreit, und sogar in Freiheit gesetzt. Er kann dieselbe Behandlung von uns verlangen.«

»Ich weiß, daß Ihr ihm immer das Wort geredet; daß er Euer Schoßkind war, aber diesmal hilft es ihm nicht, er muß nach Eßlingen in den Turm, und jetzt den Augenblick –«

»Ich leiste Bürgschaft für ihn«, rief Frondsberg, »und habe hier so gut mitzusprechen wie Ihr. Wir wollen abstimmen über den Gefangenen, man führe ihn einstweilen in mein Zelt.«

Einen Blick des Dankes warf Georg auf die ehrwürdigen Züge des Mannes, der ihn auch jetzt wieder aus der drohenden Gefahr rettete. Der Truchseß aber winkte mürrisch den Knechten, dem Befehl des Oberfeldhauptmanns zu folgen; und Georg folgte ihnen durch die Straßen des Lagers nach Frondsbergs Zelt.

Nicht lange nachher stand der Mann vor ihm, dem er so unendlich viel zu danken hatte. Er wollte ihm danken, er wußte nicht wie er ihm seine Ehrfurcht bezeugen sollte; doch Frondsberg sah ihn lächelnd an und zog ihn in seine Arme. »Keinen Dank, keine Entschuldigung!« sprach er, »sah ich doch alles dies voraus, als ich in Ulm von dir Abschied nahm, doch du wolltest es nicht glauben, wolltest dich vergraben in die Burg deiner Väter. Ich kann dich nicht schelten; glaube mir, das Feldlager und die Stürme so vieler Kriege haben mein Herz nicht so verhärtet, daß ich vergessen könnte wie mächtig die Liebe zieht!«

»Mein Freund, mein Vater!« rief Georg, indem er freudig errötete.

»Ja, das bin ich; der Freund deines Vaters, dein Vater; drum war ich oft stolz auf dich, wenn du auch in den feindlichen Reihen standest; dein Name wurde so jung du bist, mit Ehrfurcht genannt, denn Treue und Mut ehrt ein Mann, auch an dem Feinde. Und glaube mir, es kam den meisten von uns erwünscht, daß der Herzog entkam; was konnten wir mit ihm beginnen; der Truchseß hätte vielleicht einen übereilten Streich gemacht, den wir alle zu büßen gehabt hätten.«

»Und was wird mein Schicksal sein?« fragte Georg. »Werde ich lange in Haft gehalten werden? wo ist der Ritter von Lichtenstein? O mein Weib! darf sie mich nicht besuchen?«

Frondsberg lächelte geheimnisvoll. »Das wird schwer halten«, sagte er, »du wirst unter sicherer Bedeckung auf eine Feste geführt, und einem Wächter übergeben werden, der dich streng bewachen und nicht so bald entlassen wird! Doch sei nicht ängstlich, der Ritter von Lichtenstein wird mit dir dorthin abgeführt werden, und ihr beide müsset auf ein Jahr Urfehde schwören.«

Frondsberg wurde hier durch drei Männer unterbrochen, die in das Zelt stürmten; es war der Feldhauptmann von Breitenstein und Dieterich von Kraft, die den Ritter von Lichtenstein in ihrer Mitte führten.

»Hab ich dich wieder, wackerer Junge«, rief Breitenstein, indem er Georgs Hand drückte. »Du machst mir schöne Streiche; dein alter Oheim hat dich mir auf die Seele gebunden, ich solle einen tüchtigen Kämpen aus dir ziehen, der dem Bunde Ehre mache, und nun laufst du zu dem Feind, und haust und stichst auf uns, und hättest gestern beinahe die Schlacht gewonnen, durch dein tollkühnes Stückchen auf unsere Geschütze.«

»Jeder nach seiner Art«, entgegnete Frondsberg, »er hat uns aber auch in Feindes Reihen Ehre gemacht.«

Der Ritter von Lichtenstein umarmte seinen Sohn. »Er ist in Sicherheit«, flüsterte er ihm zu, und beider Augen glänzten von Freude, zu der Rettung des unglücklichen Fürsten beigetragen zu haben. Da fielen die Blicke des alten Ritters auf den grünen Mantel, der noch immer um Georgs Schultern hing; er erstaunte, er sah ihn näher an. »Ha! jetzt erst verstehe ich ganz, wie alles so kommen konnte«, sprach er bewegt, und eine Träne der Freude hing in seinen grauen Wimpern; »sie nahmen dich für ihn; was wäre aus ihm geworden, wenn dich der Mut nur einen Augenblick verlassen hätte? Du hast mehr getan als wir alle, du hast gesiegt, wenn wir jetzt auch Besiegte heißen; komm an mein Herz, du würdiger Sohn.«

»Und Marx Stumpf von Schweinsberg?« fragte Georg; »auch er gefangen?«

»Er hat sich durchgehauen, wer vermöchte auch seinen Hieben zu widerstehen; meine alten Knochen sind mürbe, an mir liegt nichts mehr, aber er ist dem Herzog nachgezogen, und wird ihm eine bessere Hülfe sein als fünzig Reiter. Doch den Pfeifer sah ich nicht; sage, wie ist er entkommen aus dem Streit?«

»Als ein Held«, erwiderte der junge Mann, von der Wehmut der Erinnerung bewegt; »er liegt erstochen an der Brücke.«

»Tot?« rief Lichtenstein, und seine Stimme zitterte; »die treue Seele! doch wohl ihm, er hat getan wie ein Edler, und ist gestorben, treu wie es Männern ziemt!«

Frondsberg näherte sich ihnen und unterbrach ihre Reden. »Ihr scheint mir so niedergeschlagen«, sagte er; »seid mutig und getrost, alter Herr! das Kriegsglück ist wandelbar, und Euer Herzog wird wohl auch wieder zu seinem Lande kommen, wer weiß ob es nicht besser ist, daß wir ihn noch auf einige Zeit in die Fremde schickten. Leget Helm und Panzer ab; das Gefecht zum Frühstück wird Euch die Lust zum Mittagessen nicht verdorben haben. Setzet Euch zu uns. Ich erwarte gegen Mittag den Wächter, unter dessen Obhut Ihr auf eine Burg gebracht werden sollet. Bis dahin lasset uns noch zusammen fröhlich sein!«

»Das ist ein Vorschlag der sich hören läßt«, rief Breitenstein. »Zu Tisch ihr Herren; wahrlich Georg, mit dir habe ich nicht mehr gespeist, seit dem Imbiß im Ulmer Rathaussaal. Komm, wir wollen redlich nachholen was wir versäumten.«

Hans von Breitenstein zog Georg zu sich nieder, die anderen folgten seinem Beispiel; die Knechte trugen auf, und der edle Wein machte den Ritter von Lichtenstein und seinen Sohn vergessen, daß sie in mißlichen Verhältnissen, im feindlichen Lager seien, daß sie vielleicht einem ungewissen Geschick, und wenn sie die Reden Frondsbergs recht deuteten, einer langen Gefangenschaft entgegengehen. Gegen das Ende der Tafel wurde Frondsberg hinausgerufen; bald kam er zurück und sprach mit ernster Miene: »So gerne ich noch länger eure Gesellschaft genossen hätte, liebe Freunde, so tut es jetzt not aufzubrechen. Der Wächter ist da, dem ich euch übergeben muß, und ihr müßt euch sputen, wollet ihr heute noch die Feste erreichen.«

»Ist er ein Ritter, dieser Wächter?« fragte Lichtenstein, indem sich seine Stirne in finstere Falten zog; »ich hoffe man wird auf unseren Stand Rücksicht genommen haben, und uns ein anständiges Geleite geben?«

»Ein Ritter ist er nicht«, antwortete Frondsberg lächelnd, »doch ist er ein anständiges Geleite; ihr werdet euch selbst davon überzeugen.« Er lüftete bei diesen Worten den Vorhang des Zeltes, und es erschienen die holden Züge Mariens; mit dem Weinen der Freude stürzte sie an die Brust ihres Gatten, und der alte Vater stand stumm von Überraschung und Rührung, küßte sein Kind auf die schöne Stirne, und drückte die Hand des biedern Frondsberg.

»Das ist euer Wächter«, sprach dieser, »und der Lichtenstein die Feste wo sie euch gefangenhalten soll. Ich sehe es ihren Augen an, sie wird den jungen Herrn nicht zu strenge halten, und der alte wird sich nicht über sie beklagen können; doch rate ich Euch, Töchterchen, habet ein wachsames Auge auf die Gefangenen, lasset sie nicht wieder von der Burg, gestattet nicht, daß sie wieder Verbindungen mit gewissen Leuten anknüpfen, Ihr haftet mit Eurem Kopf dafür!«

»Aber lieber Herr«, entgegnete Marie, indem sie den Geliebten inniger an sich drückte und lächelnd zu dem strengen Herrn aufblickte; »bedenket, er ist ja mein Haupt, wie kann ich ihm etwas befehlen?«

»Eben deswegen hütet Euch, daß Ihr dieses Haupt nicht wieder verlieret; bindet ihn mit einem Liebesknoten recht fest, daß er Euch nicht entlaufe, er ändert nur gar zu leicht die Farbe; wir haben Beispiele!«

»Ich trug nur eine Farbe, mein väterlicher Freund!« entgegnete der junge Mann, indem er in die Augen seiner schönen Frau und auf die Feldbinde niedersah, die seine Brust umzog; »nur eine, und dieser blieb ich treu –«

»Wohlan! so halte ferner nur zu ihr,« sagte Frondsberg, und reichte ihm die Hand zum Abschied. »Lebe wohl! Die Pferde harren vor dem Zelt; bringet Eure Gefangenen sicher auf die Feste, schöne Frau, und gedenket huldreich des alten Frondsberg.«

Marie schied von diesem Edeln mit Tränen in den Augen, auch die Männer nahmen bewegt seine Hand, denn sie wußten wohl, daß ohne seine Hülfe ihr Geschick sich nicht so freundlich gewendet hätte. Noch lange sah ihnen Georg von Frondsberg nach, bis sie an der äußersten Zeltgasse um die Ecke bogen. »Er ist in guten Händen«, sagte er dann, indem er sich zu Breitenstein wandte, »wahrlich, der Segen seines Vaters ruht auf ihm. Ein gutes schönes Weib und ein Erbe, wie wenige sind im Schwabenland.«

»Ja, ja!« erwiderte Hans von Breitenstein, »seiner Klugheit und Vorsicht hat er es nicht zu danken; doch wer das Glück hat führt die Braut heim; ich bin fünfzig alt geworden, und gehe noch auf Freiersfüßen; Ihr auch, Herr Dieterich von Kraft, nicht wahr?«

»Mitnichten und im Gegenteil«, sagte dieser wie aus einem Traum erwachend; »wenn man ein solches Paar sieht, weiß man was man zu tun hat. In dieser Stunde noch setze ich mich in meine Sänfte, reise nach Ulm und führe meine Base heim; lebt wohl ihr Herren!«


Als der Schwäbische Bund Württemberg wiedererobert hatte, richtete er seine Regierung wieder ein und beherrschte das Land wieder wie im Sommer 1519. Die Anhänger des vertriebenen Herzogs mußten Urfehde schwören und wurden auf ihre Burgen verwiesen. Georg von Sturmfeder und seine Lieben, die dieses Schicksal mit betraf, lebten zurückgezogen auf Lichtenstein, und Marien und ihrem Gatten ging in ihrem stillen häuslichen Glück ein neues Leben auf.

Noch oft wenn sie am Fenster des Schlosses standen, und hinabschauten auf Württembergs schöne Fluren, gedachten sie des unglücklichen Fürsten, der einst hier mit ihnen auf sein Land hinabgeblickt hatte; und dann dachten sie nach über die Verkettung seiner Schicksale, und wie durch eine sonderbare Fügung auch ihr eigenes Geschick mit dem seinigen verbunden war; und wenn sie sich auch gestanden, daß ihr Glück vielleicht nicht so frühe, nicht so schön aufgeblüht wäre ohne diese Verknüpfung, so wurde doch ihre Freude durch den Gedanken getrübt, daß der Stifter ihres Glückes noch immer ferne von seinem Lande, im Elend der Verbannung lebe. Erst viele Jahre nachher gelang es dem Herzog, Württemberg wieder zu erobern. Doch als er geläutert durch Unglück als ein weiser Fürst zurückkehrte, als er die alten Rechte ehrte und die Herzen seiner Bürger für sich gewann, als er jene heiligen Lehren, die er in fernem Lande gehört, die so oft sein Trost in einem langen Unglück geworden waren, seinem Volke predigen ließ, und einen geläuterteren Glauben mit den Grundgesetzen seines Reiches verband, da erkannten Georg und Marie den Finger einer gütigen Gottheit in den Schicksalen Ulerichs von Württemberg, und sie segneten den, der dem Auge des Sterblichen die Zukunft verhüllt, und auch hier wie immer durch Nacht zum Lichte führte.

Der Name der Lichtenstein im Württemberger Land, ging mit dem alten Ritter zu Grabe; doch erlebte er noch in hohem Alter die Freude, seine blühenden Enkel waffenfähig zu sehen. So geht Geschlecht um Geschlecht über die Erde hin; das Neue verdrängt das Alte, und nach dem kurzen Zeitraum von fünfzig oder hundert Jahren sind biedere Männer, treue Herzen vergessen; ihr Gedächtnis übertönt der rauschende Strom der Zeiten, und nur wenige glänzende Namen tauchen auf, aus diesen Fluten des Lethe, und spielen in ihrem ungewissen Schimmer auf den Wellen. Doch wohl dem, dessen Taten jene stille Größe in sich tragen, die den Lohn in sich selbst findet, und ohne Dank bei der Mitwelt, ohne Ansprüche auf die Nachwelt entsteht, ins Leben tritt- verschwindet. So ist auch der Name des Spielmanns von Hardt verklungen, und nur leise Nachklänge von seinem Wirken wehen uns an, wenn die Hirten der Gegend die Ulerichshöhle zeigen und von dem Mann sprechen, der seinen unglücklichen Herzog hier verbarg; so sind selbst jene romantischen Züge aus Ulerichs Leben zur Fabel geworden, der Geschichtschreiber verschmäht sie als unwesentliche Außendinge, und sie erscheinen uns nur, wenn man auf den Höhen von Lichtenstein von dem Herzog erzählt, der allnächtlich vor das Schloß kam, und wenn man uns auf der Brücke von Köngen die Stelle zeigt, wo jener »Unerschrockene« den Sprung auf Leben und Tod in die Tiefe wagte.

Und sie erscheinen uns da, diese Sagen, wie ungewisse Schatten, die eine große Gestalt vom Berge in die Nebel des Tales wirft, und der kältere Beobachter lächelt, wenn man ihnen wirkliches Leben und jene Farben verleihen will, die ihr unsicheres Grau zu einem Bild des Lebens umwandeln. Auch Lichtensteins alte Feste ist längst zerfallen, und auf den Grundmauern der Burg erhebt sich ein freundliches Jägerhaus, fast so luftig und leicht wie jene spanischen Schlösser, die man in unseren Tagen auf die Grundpfeiler des Altertums erbaut. Noch immer breiten sich Württembergs Gefilde so reich und blühend wie damals vor dem entzückten Auge aus, als Marie an des Geliebten Seite hinabsah, und der unglücklichste seiner Herzoge den letzten Scheideblick von Lichtensteins Fenstern auf sein Land warf. Noch prangen jene unterirdischen Gemächer, die den Geächteten aufnahmen, in ihrer alten Pracht und Herrlichkeit, und die murmelnden Wasser, die sich in eine geheimnisvolle Tiefe stürzen, scheinen längst verklungene Sagen noch einmal wiedererzählen zu wollen.

Es ist eine schöne Sitte, daß die Bewohner dieses Landes auch aus entfernteren Gegenden, um die Zeit des Pfingstfestes sich aufmachen, um Lichtenstein und die Höhle zu besuchen. Viele hundert schöne Schwabenkinder und holde Frauen, begleitet von Jünglingen und Männern ziehen herauf in diese Berge; sie steigen nieder in den Schoß der Erde, der an seinen kristallenen Wänden den Schein der Lichter tausendfach wiedergibt, sie füllen die Höhle mit Gesang, und lauschen auf ihr Echo, welches die murmelnden Bäche der Tiefe melodisch begleiten, sie bewundern die Werke der Natur, die sich auch ohne das milde Licht der Sonne, ohne das fröhliche Grün der Felder, so herrlich zeigt. Dann steigen sie herauf zum Lichte, und die Erde will ihnen noch schöner bedünken als zuvor; ihr Weg führt immer aufwärts zu den Höhen von Lichtenstein, und wenn dort die Männer im Kreise schöner Frauen, die Becher in der Hand, auf die weiten Fluren hinabschauen, wie sie bestrahlt von einer milden Sonne im lieblichsten Schmelz der Farben sich ausbreiten, dann preisen sie diese lichten Höhen, dann preisen sie ihr gesegnetes Vaterland.

Dann kehrt, wie in den alten Tagen, Gesang und Jubel, und der fröhliche Klang der Pokale auf den Lichtenstein zurück, und weckt das Echo seiner Felsen, und weckt mit ihm die Geister dieser Burg, daß sie die fröhlichen Gäste umschweben, und mit ihnen hinabschauen auf das alte Württemberg. Ob auch das holde Fräulein vom Lichtenstein, ob Georg und der alte Ritter mit ihnen heraufschwebt, ob jener treue Spielmann in den Tagen des Frühlings seinem Grab entsteigt, und wie er im Leben zu tun pflegte, hinaufzieht nach der Burg, das Fest mit Gesang und Spiel zu schmücken –? Wir wissen es nicht; doch wenn wir im Abendscheine auf den Felsen gelagert, die Landschaft überschauten, wenn wir von den alten guten Zeiten und ihren Sagen sprachen, wenn sich die Sonne allmählich senkte, und nur das Schlößchen noch selig und freundlich in seiner Einsamkeit, von den letzten Strahlen mit einem rötlichen Schein umgossen, auf seinem Felsen ruhte – da glaubten wir im Wehen der Nachtluft, im Rauschen der Bäume, im Säuseln der Blätter bekannte Stimmen zu vernehmen, es war uns, als flüstern sie uns ihre Grüße zu, als erzählen sie uns alte Sagen von ihrem Leben und Treiben. Manches haben wir an solchen Abenden erfahren, manches Bild stieg in uns auf, und schien sich vor unseren Blicken zu verwirklichen, und die es uns woben und malten, die uns ihre romantischen Sagen zuflüsterten, wir glauben es waren – die »Geister von Lichtenstein

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