»Die Juden, die, von Christus aufgewiegelt, fortwährend Unruhe stifteten, verbannte er aus Rom.«
Sueton, XII vitae imperatorum: Claudius
»Als Jüngling, während der ersten fünf Jahre seiner Regierung, bewies er so viel Größe und förderte er Rom auf so mannigfaltige Weise, daß Trajan mit gutem Grund so oft versichert, die Taten aller anderen Kaiser würden von den Leistungen Neros während dieser fünf Jahre in den Schatten gestellt.«
Aurelius Victor, De caesaribus, 5
Ich war sieben Jahre alt, als mir der Veteran Barbus das Leben rettete. Ich erinnere mich noch gut, wie ich meine alte Amme Sophronia überlistete, um ans Ufer des Orontes hinuntergehen zu können. Dieser reißende, an Wirbeln reiche Strom zog mich an, und ich beugte mich über das Brückengeländer, um die Wasserblasen zu betrachten. Da trat Barbus an mich heran und fragte freundlich: »Möchtest du schwimmen lernen, mein Junge?«
Als ich bejahte, blickte er sich um, packte mich am Genick und im Schritt und schleuderte mich weit in den Fluß hinaus. Dann stieß er einen wilden Schrei aus, rief Herkules und den römischen Jupiter, den Sieger, an, warf seinen zerlumpten Mantel auf die Brücke und sprang mir ins Wasser nach.
Bei seinen Schreien strömten die Leute zusammen, und alle sahen und bezeugten übereinstimmend, daß Barbus sein eigenes Leben aufs Spiel setzte, um mich vor dem Ertrinken zu retten, mich an Land brachte und auf dem Boden hin und her wälzte, bis ich das Wasser von mir gab, das ich geschluckt hatte. Als Sophronia, schreiend und sich die Haare raufend, herbeigelaufen kam, hob Barbus mich eben auf seine starken Arme und trug mich, obgleich ich vor Widerwillen gegen seine schmutzigen Kleider und seinen nach Wein stinkenden Atem strampelte und um mich schlug, nach Hause.
Mein Vater war von meinem Abenteuer nicht sehr erbaut. Er bot Barbus jedoch Wein an und glaubte seiner Versicherung, ich sei am Ufer gestolpert und ins Wasser gefallen. Ich widersprach Barbus nicht, da ich mir angewöhnt hatte, in Gegenwart meines Vaters stillzuschweigen; ja, ich lauschte hingerissen, als Barbus bescheiden berichtete, daß er in seinen Legionärsjahren sowohl die Donau als auch den Rhein und sogar den Euphrat in voller Rüstung durchschwommen hatte. Auch mein Vater trank Wein, um seinen Schrecken zu betäuben, wurde selbst gesprächig und erzählte, wie er in seiner Jugend, als er die Philosophenschule auf Rhodos besuchte, eine Wette eingegangen war, daß er von Rhodos ans Festland zu schwimmen imstande sei. Zuletzt waren er und Barbus sich von Herzen einig, daß es hoch an der Zeit sei, mich schwimmen zu lehren. Mein Vater gab Barbus neue Kleider, so daß dieser, als er sich umzog, Gelegenheit hatte, seine zahlreichen Narben vorzuzeigen.
Von jener Stunde an blieb Barbus in unserem Hause und nannte meinen Vater seinen Hausvater. Er begleitete mich zur Schule und holte mich, sofern er nicht zu betrunken war, nach der Schule wieder ab. Vor allem aber erzog er mich zu einem Römer, denn er war wirklich in Rom zur Welt gekommen und aufgewachsen und hatte volle dreißig Jahre in der Fünfzehnten Legion gedient. Mein Vater holte darüber genaue Erkundigungen ein, denn er mochte zwar ein zerstreuter und zurückgezogen lebender Mensch sein, aber er war nicht dumm und hätte niemals einen entsprungenen Legionär in seinem Hause beherbergt.
Dank Barbus lernte ich nicht nur schwimmen, sondern auch reiten. Auf seine Vorstellungen hin kaufte mir mein Vater ein eigenes Pferd, so daß ich in die Jungritterschaft in Antiochia aufgenommen werden konnte, sobald ich vierzehn war. Zwar hatte Kaiser Gajus Caligula den Namen meines Vaters mit eigener Hand aus der Rolle des Ritterstandes gestrichen, aber in Antiochia wurde meinem Vater dies eher zur Ehre denn zur Schande angerechnet, da man sich dort nur zu gut erinnerte, was für ein Taugenichts Caligula schon als Knabe gewesen war. Er wurde übrigens später im Großen Zirkus in Rom ermordet, als er die Absicht geäußert hatte, sein Lieblingspferd zum Senator zu ernennen.
Zu jener Zeit hatte mein Vater bereits, ohne es zu wollen, eine solche Stellung in Antiochia erreicht, daß man ihn gern unter den Gesandten gesehen hätte, die die Stadt nach Rom schickte, um Kaiser Claudius zu seiner Thronbesteigung zu beglückwünschen. Gewiß wäre dies eine Gelegenheit für ihn gewesen, seine alte Ritterwürde wiederzuerlangen, aber mein Vater weigerte sich standhaft, nach Rom zu reisen. Wie sich später herausstellte, hatte er dafür seine gewichtigen Gründe. Er selbst behauptete jedoch damals, er wolle am liebsten in Stille und Demut leben und trage kein Verlangen nach der Ritterwürde.
Ebenso zufällig wie Barbus in unser Haus gekommen war, vermehrte sich auch das Vermögen meines Vaters. Er versicherte oft auf seine griesgrämige Art, daß er kein Glück mehr gehabt habe, seit bei meiner Geburt die einzige Frau gestorben war, die er jemals wirklich geliebt hatte. Schon in Damaskus hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, alljährlich am Todestag meiner Mutter auf den Markt zu gehen und den einen oder andern elenden Sklaven zu kaufen. Hatte er ihn dann einige Zeit in seinem Hause gehalten und wieder zu Kräften gebracht, ging er mit ihm zu den Behörden, erlegte das Lösegeld für ihn und gab ihm seine Freiheit zurück.
Er gestattete diesen Freigelassenen, nach ihm den Namen Marcius – nicht aber Manilianus – anzunehmen, und gab ihnen Geld, damit sie sich in dem Gewerbe niederlassen konnten, das sie erlernt hatten. So wurde aus einem seiner Freigelassenen Marcius der Seidenhändler und aus einem anderen Marcius der Fischer. Marcius der Barbier verdiente sich ein Vermögen, indem er Frauenperücken nach der neuesten Mode herrichtete. Von allen der reichste jedoch war Marcius der Bergmann, der hernach meinen Vater zwang, ein stillgelegtes Kupferbergwerk in Kilikien zu kaufen. Mein Vater beklagte sich gern darüber, daß es ihm nicht vergönnt sei, das geringste Werk der Barmherzigkeit zu tun, ohne gleich selbst Nutzen und Ehre davon zu haben.
Als er sich nach siebenjährigem Aufenthalt in Damaskus in Antiochia niederließ, war er dank seinen Sprachkenntnissen und seiner Besonnenheit eine Zeitlang Berater des Prokonsuls, vor allem in Angelegenheiten, welche die Juden betrafen, die er auf seinen früheren Reisen in Judäa und Galiläa gründlich kennengelernt hatte. Er war ein friedfertiger, gutmütiger Mann und zog allen Gewaltmaßnahmen stets eine Lösung im Guten vor. Auf diese Weise gewann er hohes Ansehen unter den Einwohnern Antiochias und wurde, als er seine Ritterwürde verloren hatte, in den Rat der Stadt gewählt; nicht etwa, weil man ihm ein ungewöhnliches Maß an Entschlossenheit und Tatkraft zutraute, sondern weil jede Partei glaubte, sich seiner bedienen zu können.
Als Caligula verlangte, daß seine Statue im Tempel zu Jerusalem und in allen Synagogen in den Provinzen aufgestellt werde, verstand mein Vater nur zu gut, daß dies zu bewaffnetem Aufruhr führen konnte. Er riet den Juden, sie sollten, anstatt nutzlose Einwände vorzubringen, lieber versuchen, Zeit zu gewinnen. Tatsächlich gaben die Juden Antiochias dem römischen Senat zu verstehen, sie hätten die Absicht, dem Kaiser Gajus aus eigenen Mitteln wahrhaft kostbare Statuen in ihren Synagogen zu errichten, behaupteten dann jedoch das eine Mal, die Statuen seien nicht gut gelungen, und das andere Mal, ungünstige Vorzeichen verhinderten ihre Aufstellung. Als Kaiser Gajus dann ermordet wurde, lobte man meinen Vater um seiner klugen Voraussicht willen. Ich glaube jedoch nicht, daß er von dem Mord im voraus gewußt hat. Er hatte nur, wie es seine Art war, Zeit gewinnen wollen, um zu verhindern, daß es unter den Juden zu Unruhen käme, die dem Handel der Stadt hätten schaden können.
Doch konnte mein Vater auch eigensinnig sein. Als Mitglied des Stadtrates weigerte er sich mit aller Bestimmtheit, für Zirkusvorstellungen mit wilden Tieren und Gladiatoren Gelder zur Verfügung zu stellen, und wollte selbst von Theateraufführungen nichts wissen. Auf Anraten seiner Freigelassenen ließ er jedoch immerhin eine Säulenhalle bauen, die seinen Namen trug. Aus der Vermietung der Läden, die darin untergebracht waren, bezog er so hohe Einkünfte, daß ihm sogar dieses Unternehmen zum Vorteil anschlug, von der Ehre ganz zu schweigen.
Die Freigelassenen meines Vaters konnten nicht verstehen, warum er mich so knapp hielt und von mir verlangte, daß ich mich mit seiner eigenen einfachen Lebensweise zufriedengab. Sie wetteiferten darin, mir Geld zu schenken, das ich gut brauchen konnte, gaben mir schöne Kleider, ließen meinen Sattel und mein Zaumzeug kostbar verzieren und bemühten sich nach besten Kräften, meine unüberlegten Streiche zu bemänteln und zu decken. Jung und töricht, wie ich war, fühlte ich mich nämlich gedrängt, mich in allen Dingen ebenso, wenn nicht noch mehr, hervorzutun wie die geachtetsten Jünglinge der Stadt, und die Freigelassenen meines Vaters meinten in ihrem Unverstand, dies müsse sowohl ihrer eigenen Stellung als auch der meines Vaters zugute kommen.
Barbus brachte meinen Vater zu der Einsicht, daß ich die lateinische Sprache erlernen mußte. Das einfache Legionärslatein des Veteranen reichte jedoch nicht weit. Daher sah mein Vater darauf, daß ich die Geschichtswerke des Virgil und des Titus Livius las. Barbus erzählte mir ganze Abende lang von den Hügeln Roms, seinen Sehenswürdigkeiten, seinen Überlieferungen, Göttern und Kriegsherren, so daß mich zuletzt heiße Sehnsucht nach Rom ergriff. War ich doch kein Syrer, sondern Römer von Geburt, aus dem Geschlecht der Manilier und Maecener, wenngleich meine Mutter nur eine Griechin gewesen war. Selbstverständlich versäumte ich nicht, Griechisch zu lernen, und mit fünfzehn kannte ich schon viele Dichter der Griechen. Zwei Jahre lang war Timaios von Rhodos mein Lehrer. Mein Vater hatte ihn nach den Unruhen auf Rhodos gekauft und wollte ihn später freilassen, aber Timaios lehnte dies voll Bitterkeit ab und erklärte, es bestehe kein wirklicher Unterschied zwischen Sklaven und Freien, sondern die Freiheit wohne allein in den Herzen der Menschen.
Der bittere Timaios unterwies mich in der Lehre der Stoa und verachtete meine Lateinstudien, da die Römer in seinen Augen Barbaren waren und er tiefen Groll gegen Rom hegte, das Rhodos seiner ererbten Freiheit beraubt hatte.
Unter den jungen Burschen, die an den Reiterspielen teilnahmen, gab es etwa zehn, die einander an tollen Streichen zu überbieten trachteten. Wir hatten einen Eidbund gegründet und einen Baum erwählt, dem wir Opfer darbrachten. Als wir eines Tages von den Reitübungen heimkehrten, beschlossen wir in unserem Übermut, in gestrecktem Galopp durch die Stadt zu reiten, wobei jeder einen der Kränze an sich reißen sollte, die an den Türen der Läden hingen. Wir hatten weiter nichts im Sinn, als die Händler zu ärgern, doch ich bekam aus Versehen einen schwarzen Kranz aus Eichenlaub zu fassen, den man vor die Tür gehängt hatte, um anzuzeigen, daß im Hause jemand gestorben war. Ich hätte wissen müssen, daß dies ein böses Vorzeichen war, und in meinem Innersten erschrak ich auch, aber ich hängte den Kranz dennoch an unserem Opferbaum auf.
Wer Antiochia kennt, kann sich ausmalen, was für einen Aufruhr unser Streich verursachte, aber selbstverständlich gelang es den Ordnungswächtern nicht, uns zu überführen. Gleichwohl mußten wir uns stellen und selbst unsere Schuld bekennen, da sonst alle Teilnehmer an den Reiterspielen bestraft worden wären. Wir kamen mit einer Geldbuße davon, denn die Richter wollten sich nicht mit unseren Eltern überwerfen, aber wir begnügten uns hinfort damit, unseren Übermut außerhalb der Stadtmauern auszutoben.
Einmal erblickten wir unten am Fluß eine Schar Mädchen, die mit irgend etwas beschäftigt waren, was unsere Neugier weckte. Wir hielten sie für Bauernmädchen, und ich schlug meinen Eidbrüdern vor, so zu tun, als wollten wir sie rauben, wie einst die Römer die Sabinerinnen geraubt hatten. Ich erzählte ihnen die Geschichte von den Sabinerinnen, und sie fanden sie sehr lustig. Wir ritten also zum Ufer hinab, und jeder packte das Mädchen, das ihm gerade in den Weg kam, und setzte es vor sich in den Sattel. Das ging freilich nicht so leicht, wie wir gedacht hatten, und nicht minder schwierig war es, die kreischenden, strampelnden Mädchen festzuhalten. Zudem wußte ich nicht, was ich mit meinem Mädchen beginnen sollte. Ich kitzelte es, um es zum Lachen zu reizen, und als ich glaubte, ihm deutlich genug gezeigt zu haben, daß es ganz und gar in meiner Gewalt war, ritt ich zurück und ließ es wieder auf den Boden niedergleiten. Meine Kameraden taten dasselbe. Als wir davonritten, warfen uns die Mädchen Steine nach, und wir begannen Böses zu ahnen. Ich selbst hatte sehr wohl bemerkt, daß ich keine Bauerndirn in den Armen hielt.
Tatsächlich handelte es sich um lauter Mädchen aus vornehmen Familien, die aus der Stadt und an den Fluß gezogen waren, um sich zu reinigen und gewisse Opferhandlungen zu vollziehen, die ihre neue Frauenwürde von ihnen forderte. Wir hätten es an den bunten Bändern erkennen müssen, die sie zufällig des Weges Kommenden zur Warnung an den Büschen aufgehängt hatten, aber wer von uns kannte sich schon so genau in den Mysterien junger Mädchen aus!
Die Mädchen selbst hätten um ihres Rufes willen vielleicht geschwiegen. Es war aber eine Priesterin bei ihnen gewesen, die im Eifer ihres Amtes glaubte, wir hätten uns mit voller Absicht der Lästerung schuldig gemacht. Mein Einfall führte daher zu einem entsetzlichen Skandal. Es wurde sogar die Ansicht vorgebracht, wir müßten zur Buße die Mädchen heiraten, deren Tugend wir in hingebungsvoller Opferstunde gekränkt hatten. Zum Glück trug noch keiner von uns die Männertoga.
Mein Lehrer Timaios erzürnte sich so sehr, daß er mir, obwohl er nur ein Sklave war, einen Stockhieb versetzte. Barbus wand ihm den Stock aus der Hand und riet mir, aus der Stadt zu fliehen, denn in seinem Aberglauben fürchtete er auch die syrischen Götter. Timaios fürchtete zwar keine Götter, die er allesamt nur als Sinnbilder betrachtete, aber er meinte, mein Benehmen habe Schande über ihn als Lehrer gebracht. Das schlimmste aber war, daß der Vorfall meinem Vater nicht verheimlicht werden konnte.
Ich war unerfahren und leicht zu beeindrucken, und als ich sah, wie die anderen erschraken und sich entsetzten, begann ich selbst unsere Tat für schrecklicher zu halten, als sie im Grunde war. Timaios, ein alter Mann und Stoiker dazu, hätte wohl mehr Gleichmut bewahren und mich angesichts solcher Schicksalsprüfungen ermutigen sollen, anstatt mich zu demütigen, aber er gab mir seine wahre Denkart und all seine Bitterkeit zu erkennen, als er zu mir sagte: »Für wen hältst du dich eigentlich, du eitles, widerliches Großmaul! Nicht ohne Grund hat dein Vater dir den Namen Minutus gegeben, was der Unbedeutende heißt. Deine Mutter war nichts als eine leichtfertige Griechin, eine Tänzerin und Schlimmeres, vielleicht auch eine Sklavin. Ja, das ist deine Herkunft! Das Gesetz, und nicht eine Laune, bewog Kaiser Gajus, deinen Vater aus der Rolle der Ritter zu streichen, denn er wurde zu der Zeit des Statthalters Pontius Pilatus aus Judäa ausgewiesen, weil er sich mit dem Aberglauben der Juden abgegeben hatte. Er ist nicht einmal ein richtiger Manilius, sondern nur ein Manilianus, ein Adoptivsohn. Er machte sich in Rom mit Hilfe eines schändlichen Testaments ein Vermögen und war in einen Skandal mit einer verheirateten Frau verwickelt, so daß er nie mehr dorthin zurückkehren kann. Du bist also nichts und wirst nie etwas sein, du lasterhafter Sohn eines habsüchtigen Vaters.«
Er würde gewiß noch mehr gesagt haben, wenn ich ihn nicht auf den Mund geschlagen hätte. Ich erschrak augenblicklich über meine Tat, denn es ziemt sich nicht, daß der Schüler den Lehrer schlägt, mag dieser auch Sklave sein. Timaios wischte sich zufrieden das Blut von den Lippen, lächelte böse und sagte: »Ich danke dir, Minutus, mein Sohn, für dieses Zeichen. Was krumm ist, kann nie gerade wachsen, was gewöhnlich ist, kann nie vornehm werden. Und von deinem Vater sollst du noch wissen, daß er heimlich mit den Juden Blut trinkt und in der Abgeschiedenheit seines Zimmers den Becher der Glücksgöttin anbetet. Auf andere Weise könnte auch keinem ohne eigenes Verdienst soviel Erfolg und Reichtum zuteil werden. Ich aber habe nun genug von ihm und von dir und von dieser ganzen ruhelosen Weithin der die Ungerechtigkeit über die Gerechtigkeit siegt und die Weisheit bei der Tür sitzen muß, wenn die Frechheit zum Mahle lädt.«
Ich achtete nicht auf seine Worte, denn ich hatte über meine eigenen Nöte genug nachzudenken. Ein blinder Drang ergriff mich, durch irgendeine kühne Tat zu beweisen, daß ich nicht unbedeutend war, und zugleich wiedergutzumachen, was ich Böses getan hatte. Ich erinnerte mich, wenige Tage zuvor von einem Löwen gehört zu haben, der etwa einen halben Tagesritt von der Stadt entfernt einige Rinder gerissen hatte und den man zu fangen beabsichtigte. Es kam nur noch selten vor, daß ein Löwe sich in die Nähe einer großen Stadt wagte, und das Ereignis wurde daher viel besprochen. Ich dachte, wenn wir, meine Eidbrüder und ich, diesen Löwen lebend einfingen und dem Amphitheater unserer Stadt schenkten, so könnten wir dadurch unsere Missetaten sühnen und überdies Heldenruhm gewinnen.
Dieser Gedanke war so wahnwitzig, daß er nur in dem verwundeten Herzen eines Fünfzehnjährigen entstehen konnte, aber das Verrückteste war wohl, daß Barbus, der an diesem Nachmittag wie üblich betrunken war, meinen Plan ganz außergewöhnlich fand und guthieß. Er hätte sich ihm auch, nach den vielen Erzählungen von seinen Heldentaten, nur schwer widersetzen können. Hatte er nicht selbst unzählige Male Löwen mit dem Netz gefangen, um sich neben seinem knappen Sold ein wenig Geld zu verdienen?
Wir mußten die Stadt unverzüglich verlassen, denn die Ordnungswächter konnten schon auf dem Wege sein, um mich zu verhaften, und auf jeden Fall glaubte ich mit Sicherheit zu wissen, daß man uns spätestens am nächsten Morgen für alle Zukunft unsere Pferde wegnehmen werde. Ich traf noch sechs meiner Kameraden an, denn nur drei von ihnen waren klug genug gewesen, ihren Eltern gleich zu berichten, was geschehen war, worauf diese sie sofort aus der Stadt geschickt hatten.
Meine verängstigten Kameraden waren von meinem Plan so begeistert, daß wir alle miteinander auf der Stelle zu prahlen anfingen. Heimlich führten wir unsere Pferde aus den Ställen und ritten aus der Stadt. Barbus holte unterdessen bei Marcius, dem Seidenhändler, einen Sack voll Silbermünzen, ging damit ins Amphitheater und bestach einen erfahrenen Tierbändiger, uns zu begleiten. Sie beluden einen Karren mit Netzen, Waffen und Schutzledern und stießen bei unserem Opferbaum draußen vor der Stadt zu uns. Barbus hatte auch Fleisch, Brot und ein paar große Krüge Wein mitgenommen. Der Wein machte mir wieder Appetit, denn bis dahin war ich so unruhig und niedergeschlagen gewesen, daß ich es nicht über mich gebracht hatte, auch nur einen Bissen zu essen.
Der Mond schien, als wir uns auf den Weg machten. Barbus und der Tierbändiger ermunterten uns durch Erzählungen vom Löwenfang in den verschiedenen Ländern. Sie beschrieben ihn als etwas dermaßen Einfaches, daß meine Kameraden und ich, vom Wein erhitzt, den beiden nahelegten, sich in unser Unternehmen nicht allzusehr einzumischen, sondern eher darauf bedacht zu sein, daß die ganze Ehre uns zufiel. Das gelobten sie bereitwillig und versicherten, sie wollten uns nur dank ihrer Erfahrenheit mit gutem Rat beistehen, sich aber im übrigen abseits halten. Ich für mein Teil hatte mit eigenen Augen gesehen, wie rasch eine Schar erfahrener Männer einen Löwen mit dem Netz fangen kann und wie leicht es für einen mit zwei Spießen bewaffneten Mann ist, einen Löwen zu töten.
In der Morgendämmerung kamen wir in der Stadt an, von der man uns berichtet hatte. Die Einwohner waren eben im Begriff, ihre Herdfeuer anzuzünden. Doch nun zeigte es sich, daß das Gerücht gelogen hatte, denn die Stadt lebte nicht in Angst und Schrecken, sondern war, im Gegenteil, sehr stolz auf ihren Löwen. Seit Menschengedenken hatte man in diesem Landstrich kein solches Tier mehr zu Gesicht bekommen. Der Löwe hauste in einer nahegelegenen Berghöhle und hatte sich zu einem Bach hinunter einen Wechsel getreten. In der vorausgegangenen Nacht hatte er eine Ziege gefressen, die die Stadtbewohner an einem Baum neben dem Wechsel festgebunden hatten, damit er wertvolleres Vieh verschone. Einen Menschen hatte der Löwe noch nicht angegriffen. Er hatte sogar die Gewohnheit, sich mit einem dumpfen Gebrüll zu melden, wenn er seine Höhle verließ, und war im übrigen nicht wählerisch. In Ermangelung eines Besseren gab er sich mit Aas zufrieden, sofern ihm nicht die Schakale zuvorgekommen waren. In der Stadt hatte man auch schon einen Holzkäfig gebaut, in dem man den Löwen nach Antiochia befördern wollte, um ihn dort zu verkaufen. Ein Löwe, der mit dem Netz gefangen wird, muß nämlich so fest gefesselt werden, daß seine Glieder Schaden nehmen können, wenn man ihn nicht rasch in einen Käfig bringt und die Stricke löst.
Als die Stadtbewohner hörten, was wir planten, waren sie alles andere denn zufrieden, aber zum Glück hatten sie noch keinen Käufer für den Löwen ausfindig gemacht, und sobald sie erfaßten, in welcher Lage wir uns befanden, drangen sie so lange in uns, bis Barbus versprach, ihnen zweitausend Sesterze für das Tier zu zahlen. Um diesen Preis sollten wir den Käfig dazubekommen. Als der Handel abgeschlossen und das Geld ausbezahlt war, begann Barbus plötzlich vor Kälte zu zittern und schlug vor, wir sollten uns alle schlafen legen und die Löwenjagd auf den nächsten Tag verschieben. Indessen mochten sich auch in Antiochia die Gemüter ein wenig beruhigen. Dagegen wandte jedoch der Tierbändiger bedächtig ein, gerade der Vormittag sei die günstigste Zeit, den Löwen aus seiner Höhle zu treiben, denn da habe er gefressen und getrunken und sei schwerfällig und müde vom Schlaf.
Barbus und er legten also ihren Lederschutz an, und geführt von einigen Männern aus der Stadt ritten wir auf den Berg zu. Die Männer zeigten uns den Wechsel und die Tränke des Löwen sowie seine Fährte und ein Häufchen frischer, kräftig riechender Losung, vor der unsere Pferde scheuten. Als wir uns langsam der Höhle näherten, wurde der Aasgeruch immer stärker. Unsere Pferde begannen zu zittern, rollten die Augen und weigerten sich schließlich weiterzugehen. Wir waren gezwungen abzusitzen und die Pferde fortzuschicken, so sehr hatte sie die bloße Witterung erschreckt. Zu Fuß gingen wir weiter auf die Höhle zu, bis wir das grollende Schnarchen des Löwen vernahmen. Er schnarchte so gewaltig, daß der Boden unter unseren Füßen bebte; doch wer weiß, vielleicht waren es auch unsere eigenen Beine, die zitterten, als wir da zum erstenmal in unserem Leben vor der Höhle eines Löwen standen.
Die Männer aus der Stadt hatten nicht die geringste Angst vor ihrem eigenen Löwen. Sie versicherten, er werde nun ruhig bis zum Abend durchschlafen, ja sie schworen sogar, sie hätten ihn zu einem so faulen und fetten Löwen herausgefüttert, daß unsere größte Schwierigkeit gewiß darin bestehen werde, ihn zu wecken und ins Freie zu jagen.
Zwischen den Büschen vor der Höhle hatte der Löwe einen breiten Pfad ausgetreten, und zu beiden Seiten dieses Pfades stiegen die Felsen so steil und so hoch, daß Barbus und der Tierbändiger sich in Sicherheit bringen und uns von dort oben mit ihren guten Ratschlägen helfen konnten. Sie zeigten uns, in welchem Abstand von der Höhle wir das schwere Netz ausspannen sollten, das links und rechts von je dreien gehalten werden mußte. Der siebente sollte hinter dem Netz hin und her springen und schreien, so daß der schlaftrunkene und von der Sonne geblendete Löwe auf ihn losrannte und mitten ins Netz stürzte. Dann brauchten wir nur noch das Netz über ihm zusammenzuschlagen und ihn recht fest einzuwickeln, wobei wir lediglich darauf zu achten hätten, daß wir den Fängen und Pranken nicht zu nahe kämen. Als wir die Sache bedachten, fanden wir, daß sie nicht so einfach war, wie die beiden da oben auf dem Felsen sie darstellten.
Wir ließen uns auf dem Boden nieder, um zu beraten, wer von uns in die Höhle gehen und den Löwen wecken solle. Barbus meinte, das beste wäre es, die Bestie mit einem Lanzenschaft zu reizen, ohne sie zu verletzen, und der Tierbändiger versicherte, er hätte uns diese kleine Gefälligkeit gern erwiesen, allein seine Knie seien steif vor Gicht und im übrigen wolle er uns ja auch nicht um die Ehre bringen.
Meine Kameraden beobachteten mich verstohlen aus den Augenwinkeln und erklärten sich aus reiner Gutherzigkeit bereit, mir die Ehre zu überlassen. Meinem Kopf sei schließlich der Plan entsprungen, und ich sei es auch gewesen, der sie dazu überredet hatte, den Raub der Sabinerinnen zu spielen, womit ja dieses Abenteuer seinen Anfang genommen habe. Mit der scharfen Witterung des Löwen in der Nase beeilte ich mich, meine Kameraden daran zu erinnern, daß ich meines Vaters einziger Sohn war, und als wir den Fall näher untersuchten, entdeckten wir, daß in der Tat fünf von uns einzige Söhne waren, was möglicherweise unser Betragen erklärt. Einer hatte nur Schwestern, und der Jüngste, Charisios, machte geltend, daß sein einziger Bruder stotterte und noch an einigen anderen Gebrechen litt.
Als Barbus sah, daß mich meine Kameraden immer mehr bedrängten und ich zuletzt gezwungen sein würde, in die Höhle zu gehen, nahm er einen großen Schluck aus seinem Weinkrug, rief mit zitternder Stimme Herkules an und versicherte, er liebe mich mehr als seinen eigenen Sohn, wenn man davon absehe, daß er nie einen Sohn gehabt habe. Der Auftrag zieme sich nicht für mich, sagte er, aber er, ein alter Legionär, sei bereit, in die Schlucht niederzusteigen und den Löwen zu wecken. Sollte ihn dieser Versuch das Leben kosten, was wegen seiner schlechten Augen und schwach gewordenen Beine leicht möglich wäre, so wünsche er nur, daß ich für einen stattlichen Scheiterhaufen sorgte und eine Gedächtnisrede auf ihn hielte, damit seine zahllosen ruhmvollen Taten allgemein bekannt würden. Im übrigen gedenke er, mir durch seinen Tod zu beweisen, daß alles, was er mir im Lauf der Jahre von seinem Wagemut berichtet hatte, wenigstens zum Teil wahr sei.
Als er allen Ernstes mit einer Lanze in der Hand die Felswand herabzuklettern begann, wurde auch mir weh ums Herz, und wir umarmten einander und vergossen zusammen einige Tränen. Ich konnte nicht zulassen, daß er, ein alter Mann, für mich und meine Missetaten sein Leben opferte, und bat ihn, meinem Vater zu berichten, daß ich wenigstens dem Tode wie ein Mann entgegengetreten sei, nachdem ich ihm schon im Leben nichts als Unglück gebracht hatte. Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben, und nun hatte ich, wenngleich ohne böse Absicht, Schande über seinen guten Namen gebracht.
Barbus reichte mir einen Weinkrug und hieß mich trinken, da, wie er sagte, nichts wirklich weh tun kann, wenn man nur genug Wein im Leibe hat. Ich trank also, und dann ließ ich meine Kameraden schwören, daß sie wenigstens das Netz ordentlich festhalten und um keinen Preis fallen lassen würden. Darauf packte ich meine Lanze mit beiden Händen und schlich den Löwenwechsel entlang durch die Schlucht. In meinen Ohren dröhnte das Schnarchen des Raubtiers, und schon sah ich es lang hingestreckt in der Höhle liegen. Ich stieß es, ohne recht hinzusehen, mit der Lanze, hörte es aufbrüllen, schrie selbst laut auf und lief schneller als je bei einem Wettrennen mitten in das Netz hinein, das meine Kameraden in der Eile hochgerissen hatten, ohne zu warten, bis ich darübergesprungen war.
Während ich in den Maschen des Netzes um mein Leben strampelte, kam der Löwe hinkend und winselnd aus seiner Höhle, blieb verwundert stehen und blinzelte mich an. Er war so riesengroß und furchtbar, daß meine Kameraden seinen Anblick nicht ertrugen, das Netz fallen ließen und flohen. Der Tierbändiger gab brüllend seine Ratschläge und schrie, wir müßten das Netz über den Löwen werfen, bevor er sich ans Tageslicht gewöhnt habe und wirklich gefährlich werde.
Auch Barbus schrie und ermahnte mich, Geistesgegenwart zu bewahren und dessen eingedenk zu sein, daß ich ein Römer und ein Manilier sei. Sollte ich in Not geraten, werde er sogleich niedersteigen und den Löwen mit seinem Schwert töten, zuerst aber müsse ich versuchen, ihn lebend zu fangen. Ich weiß nicht, welche von diesen beiden Möglichkeiten mich die bessere dünkte, aber jedenfalls gelang es mir, mich aus dem Netz zu befreien, nachdem meine Kameraden es losgelassen hatte. Ihre Feigheit machte mich rasend. Das Netz in den Fäusten haltend, drehte ich mich um und blickte dem Löwen ins Auge. Mit majestätischer Miene und zugleich bekümmert und gekränkt starrte er zurück, hob das eine Hinterbein, das blutete, und winselte leise. Ich stemmte das Netz mit aller Kraft in die Höhe, denn es war sehr schwer für einen einzelnen Mann, und warf es. Der Löwe tat im gleichen Augenblick einen Sprung nach vorn, verfing sich in den Stricken und fiel auf die Seite. Unter schrecklichem Gebrüll wälzte er sich auf dem Boden hin und her und zog selbst die Maschen immer fester um sich, so daß er mir nur einen einzigen Prankenhieb versetzen konnte, der mir allerdings zu spüren gab, welche Kräfte in dem Tier steckten, denn ich flog Hals über Kopf in die Büsche, was mir zweifellos das Leben rettete.
Barbus und der Tierbändiger feuerten sich gegenseitig mit lauten Rufen an. Letzterer nahm seine Holzgabel, setzte sie dem Löwen auf den Hals und drückte ihn gegen den Boden. Barbus gelang es unterdessen, ihm eine Seilschlinge über das eine Hinterbein zu streifen. Nun wollten uns die syrischen Bauern zu Hilfe kommen, aber ich schrie und fluchte und verbat es ihnen, denn ich wollte, daß meine feigen Kameraden mit mir zusammen den Löwen fesselten, da ja sonst unser Plan nicht ausgeführt wurde. Zuletzt taten sie es auch, obwohl sie von den Krallen des Löwen noch einige Kratzer und Schrammen abbekamen. Der Tierbändiger zog unsere Schlingen und Knoten nach, bis der Löwe so fest gebunden war, daß er sich kaum noch rühren konnte. Währenddessen saß ich zitternd vor Wut auf dem Boden und war gleichzeitig so erregt, daß ich mich zwischen meine Knie erbrach.
Die syrischen Bauern schoben eine lange Stange unter den gefesselten Pranken des Löwen hindurch und machten sich mit ihrer Last auf den Weg zur Stadt. Als er so auf der Stange hing, war er nicht mehr so groß und prachtvoll wie in dem Augenblick, da er aus seiner Höhle in die Sonne getreten war. Er war vielmehr ein alter, schwacher, von Höhen zerbissener Löwe, dessen Mähne schon mehrere kahle Stellen aufwies und der mit stumpfen Zähnen auf seinem Knebel kaute. Ich befürchtete, er könnte unterwegs die Fesseln abstreifen. Dann aber wandte ich mich an meine Kameraden und sagte ihnen, was ich von ihnen im einzelnen und von unserem Eidbund im allgemeinen hielt. Ich hätte nun immerhin das eine gelernt, sagte ich, daß man sich in der Gefahr auf keinen Menschen verlassen dürfe. Meine Kameraden schämten sich für ihr Verhalten und ließen meine Vorwürfe still über sich ergehen. Dann aber erinnerten sie mich an unseren Schwur und daran, daß wir beschlossen hatten, den Löwen gemeinsam zu fangen. Sie gönnten mir ja gern den größeren Anteil an der Ehre, aber sie hätten schließlich auch ihren Beitrag geleistet, und bei diesen Worten wiesen sie mir ihre Kratzer vor. Ich wiederum zeigte ihnen meinen Arm, der noch immer stark blutete, so daß mir ganz schwach in den Knien wurde. Zuletzt einigten wir uns darauf, daß wir bei diesem heldenmütigen Abenteuer allesamt für unser ganzes Leben mit Narben gezeichnet worden seien. In der Stadt feierten wir ein Fest und brachten dem Löwen, sobald wir ihn glücklich in den festen Käfig eingesperrt hatten, ehrerbietig ein Opfer dar. Barbus und der Tierbändiger tranken sich einen Rausch an, während die Mädchen der Stadt uns zu Ehren Reigen tanzten und uns Kränze flochten. Am nächsten Tag mieteten wir einen Ochsenkarren, luden den Käfig darauf und ritten mit bekränzten Stirnen hinter dem Gespann her, nachdem wir uns vergewissert hatten, daß unsere Verbände deutlich sichtbare Blutflecke aufwiesen.
Am Stadttor von Antiochia wollte uns die Wache anhalten und die Pferde beschlagnahmen, aber ihr Befehlshaber war klüger und schloß sich unserem Zug an, als wir ihm sagten, wir seien unterwegs zum Rathaus, um uns zu stellen. Zwei Ordnungswächter bahnten uns mit ihren Stöcken den Weg, denn wie es in Antiochia üblich ist, hatten sich sogleich alle Müßiggänger versammelt, als die Kunde von einem ungewöhnlichen Ereignis durch die, Stadt lief. Zuerst schmähte uns der Volkshaufe, da das Gerücht ging, wir hätten alle Jungfrauen und die Götter der Stadt geschändet. Vom Lärm und Geschrei der Leute aufgeschreckt, begann unser Löwe zu brüllen und brüllte, von seiner eigenen Stimme angestachelt, immer lauter, so daß unsere Pferde wieder schwitzten, scheuten und sich bäumten.
Möglich, daß der erfahrene Tierbändiger an dem Gebrüll des Löwen nicht ganz schuldlos war. Jedenfalls machte uns nun das Volk bereitwillig Platz, und einige Frauen riefen uns sogar mitleidige Worte zu und weinten, als sie unsere blutbefleckten Verbände erblickten.
Wer mit eigenen Augen die breite, meilenlange Hauptstraße Antiochias mit ihren endlosen Säulengängen gesehen hat, wird verstehen, daß unser Marsch immer mehr einem Triumphzug und immer weniger einem Bußgang glich. Es dauerte nicht lange, und der wankelmütige Haufe begann Blumen auf unseren Weg zu streuen. Wir waren jung, unser Selbstbewußtsein erwachte wieder, und als wir endlich vor dem Rathaus angekommen waren, fühlten wir uns eher als Helden denn als Verbrecher.
Die Stadtväter erlaubten uns zunächst, unseren Löwen der Stadt zu schenken und Jupiter, dem Beschützer, zu weihen, der in Antiochia meist Baal genannt wird. Dann erst wurden wir den Strafrichtern vorgeführt. Mit diesen unterhandelte indessen schon ein berühmter Anwalt, den mein Vater hinzugezogen hatte, und unser freiwilliges Erscheinen machte tiefen Eindruck auf sie. Die Pferde nahmen sie uns freilich weg, dagegen halfen alle unsere Vorstellungen nichts, und wir bekamen harte Worte über die Sittenlosigkeit der Jugend zu hören. Was für einer Zukunft ging man entgegen, wenn die Söhne der besten Familien der Stadt, dem Volk ein schlechtes Beispiel gaben, und wie anders war doch alles gewesen, als unsere Väter und Vorväter noch jung waren!
Als ich mit Barbus nach Hause kam, hing ein Totenkranz vor unserer Tür, und anfangs wollte niemand mit uns sprechen, nicht einmal Sophronia. Zuletzt brach sie jedoch in Tränen aus und berichtete, mein Lehrer Timaios habe sich am Abend zuvor ein Becken mit heißem Wasser bringen lassen und sich dann die Pulsadern geöffnet. Erst am Morgen hatte man ihn leblos aufgefunden. Mein Vater hatte sich in sein Zimmer eingeschlossen und nicht einmal seine Freigelassenen empfangen, die erschienen waren, um ihn zu trösten.
Niemand hatte den stets mürrischen und übelnehmerischen Timaios, dem man nichts recht machen konnte, geliebt, aber nun, da er tot war, drückte mich das Gewissen. Ich hatte ihn, meinen Lehrer, geschlagen und durch mein Benehmen Schande über ihn gebracht, und deshalb packte mich nun das Entsetzen. Ich vergaß, daß ich einem Löwen mutig ins Auge geblickt hatte, und mein erster Gedanke war, für ewige Zeiten zu fliehen, zur See zu gehen, Gladiator zu werden oder mich in einer der fernsten Legionen Roms anwerben zu lassen, in den Ländern des Schnees und des Eises oder an den heißen Grenzen Parthiens. Doch konnte ich nicht aus der Stadt fliehen, ohne festgenommen und ins Gefängnis gesteckt zu werden, und so dachte ich in meinem Trotz daran, dem Beispiel des Timaios zu folgen und auf diese Weise meinem Vater alle Verantwortung abzunehmen und ihn von meiner ärgerniserregenden Gegenwart zu befreien.
Mein Vater empfing mich jedoch ganz anders, als ich gedacht hatte, und ich hätte eigentlich darauf gefaßt sein müssen, da er sich doch in allem anders benahm als andere Menschen. Übernächtigt und verweint stürzte er mir entgegen, schloß mich in seine Arme, drückte mich fest an seine Brust, küßte mich auf die Wangen und auf das Haar und wiegte mich sanft hin und her. Auf solche Weise und so zärtlich hatte er mich noch nie in den Armen gehalten, denn als ich klein war und mich nach seinen Liebkosungen sehnte, hatte er mich nie berühren oder auch nur ansehen wollen.
»Minutus, mein Sohn«, flüsterte er. »Ich glaubte schon, ich hätte dich für immer verloren und du seist mit dem alten Trunkenbold ans Ende der Welt geflohen, da ihr Geld mitgenommen hattet. Wegen Timaios brauchst du dir keine Gedanken zu machen, denn der wollte sich nur für sein Sklavenlos und seine nichtsnutzige Philosophie an dir und mir rächen, und es gibt nichts auf dieser Welt, was so schlimm wäre, daß es nicht auf irgendeine Art gesühnt oder vergeben werden könnte.«
Und nach einer Weile fuhr er fort: »O Minutus, ich tauge nicht dazu, jemanden zu erziehen, habe ich doch nicht einmal mich selbst erziehen können. Aber du hast die Stirn und die Augen deiner Mutter und ihre kurze gerade Nase, und auch ihren schönen Mund hast du. Kannst du mir meine Hartherzigkeit und alles, was ich an dir versäumte, vergeben?«
Seine unbegreifliche Zärtlichkeit stimmte auch mich weich, so daß ich laut zu weinen begann, obwohl ich schon fünfzehn Jahre alt war. Ich warf mich vor meinem Vater nieder, umschlang seine Knie mit den Armen, bat ihn um Vergebung für all die Schande, die ich ihm angetan hatte, und gelohte, mich zu bessern, wenn er nur dieses eine Mal noch Nachsicht üben wollte. Da fiel auch mein Vater vor mir auf die Knie und umarmte und küßte mich, so daß wir nun beide auf den Knien lagen und uns abwechselnd um Verzeihung baten. Ich war darüber, daß mein Vater sowohl Timaios’ Tod als auch meine Schuld auf sich nehmen wollte, so froh und erleichtert, daß ich noch lauter weinte.
Als aber Barbus meine Klagelaute hörte, konnte er nicht länger an sich halten. Polternd drang er mit gezücktem Schwert und erhobenem Schild ins Zimmer ein, da er glaubte, mein Vater prügle mich, und gleich hinter ihm erschien heulend und plärrend Sophronia, die mich aus den Armen meines Vaters riß und an ihren üppigen Busen drückte. Barbus und die Amme baten meinen grausamen Vater, lieber sie zu schlagen, da sie in höherem Maß als ich die Schuld an allem trügen. Ich sei ja noch ein Kind und hätte mit meinen unschuldigen Streichen gewiß nichts Böses beabsichtigt.
Mein Vater stand verwirrt auf und verwahrte sich heftig gegen den Vorwurf der Grausamkeit, indem er den beiden versicherte, er habe mich weder geschlagen noch schlagen wollen. Als Barbus erkannte, in welcher Gemütsverfassung mein Vater sich wirklich befand, rief er laut alle Götter Roms an und schwor, er werde sich in sein Schwert stürzen, um wie Timaios seine Schuld zu sühnen. Der Alte ereiferte sich so sehr, daß er sich allen Ernstes ein Leid angetan haben würde, wenn wir drei, mein Vater, Sophronia und ich, ihm nicht mit vereinten Kräften das Schwert und den Schild entrissen hätten. Was er eigentlich mit dem Schild im Sinne gehabt hatte, begriff ich nicht recht. Er selbst erklärte mir später, er habe befürchtet, mein Vater könnte ihn auf den Kopf schlagen wollen, und sein alter Schädel vertrüge kräftige Hiebe nicht mehr so gut wie einst in Armenien.
Mein Vater bat Sophronia, das beste Fleisch holen und ein Festmahl bereiten zu lassen, da wir Ausreißer gewiß hungrig seien und er selbst seit der Entdeckung, daß ich aus dem Haus verschwunden und daß es ihm so ganz und gar mißglückt war, seinen eigenen Sohn zu erziehen, nicht einen Bissen gegessen hatte. Er ließ auch alle seine Freigelassenen in der Stadt einladen, da sie meinetwegen in großer Sorge gewesen waren.
Mit eigener Hand wusch mein Vater meine Wunden, bestrich sie mit heilenden Salben und verband sie mit frischem Linnen, obwohl ich die blutigen Binden ganz gern noch eine Weile getragen hätte. Barbus hatte währenddessen Gelegenheit, von dem Löwen zu berichten, und mein Vater klagte sich noch heftiger an, da sein Sohn sich genötigt gesehen hatte, lieber im Rachen eines Löwen den Tod zu suchen als zu seinem eigenen Vater zu gehen und einen dummen Streich zu gestehen.
Zuletzt war Barbus vom vielen Reden durstig geworden und ging, und ich blieb mit meinem Vater allein zurück. Mein Vater wurde sehr ernst und sagte, er sehe nun ein, daß er mit mir über meine Zukunft sprechen müsse, denn ich sollte ja nun bald die Männertoga bekommen. Er wußte jedoch nicht, wie er beginnen sollte, da er noch nie mit mir gesprochen hatte, wie ein Vater mit seinem Sohne spricht. Er sah mich nur bekümmert an und suchte vergeblich nach Worten, die ihm helfen konnten, mich zu erreichen.
Auch ich blickte ihn an und sah, daß sein Haar dünn geworden und daß sein Gesicht voller Furchen war. Er war nun den Fünfzig näher als den Vierzig, und ich sah in ihm einen alternden, einsamen Mann, der weder sein Leben noch die Reichtümer, die er seinen Freigelassenen verdankte, zu genießen imstande war. Ich betrachtete seine Buchrollen, und zum erstenmal fiel mir auf, daß es in seinem Zimmer nicht ein einziges Götterbild gab, ja nicht einmal das Bild irgendeines Genius. Da mußte ich an die böswilligen Anschuldigungen denken, die Timaios vorgebracht hatte.
»Marcus, mein Vater«, begann ich. »Mein Lehrer Timaios hat böse Worte über dich und meine Mutter gesagt, bevor er starb. Deshalb schlug ich ihn auch auf den Mund. Ich will meine schlimme Tat nicht entschuldigen, aber berichte du mir nun über meine Mutter und dich selbst. Ich habe ein Recht, alles zu erfahren, auch wenn es nichts Gutes sein sollte. Wie könnte ich sonst als Mann für mich und meine Taten einstehen!«
Mein Vater sah gequält drein, rang die Hände und wich meinem Blick aus. Zögernd sagte er: »Deine Mutter starb, als sie dich gebar, und das konnte ich weder dir noch mir selbst verzeihen, bis ich heute endlich bemerkte, daß du deiner Mutter Ebenbild bist, wenn auch von höherem Wuchs. Erst als ich fürchtete, dich verloren zu haben, gingen mir die Augen auf, und ich begriff, daß ich letzten Endes für kaum etwas anderes mehr leben kann als für dich, mein Sohn.«
»War meine Mutter eine Tänzerin, ein leichtes Frauenzimmer und eine Sklavin, wie Timaios behauptete?« fragte ich geradeheraus.
Mein Vater erschrak und rief: »Wie kannst du solche Worte in den Mund nehmen, Minutus! Deine Mutter war vornehmer als jede andere Frau, die ich gekannt habe, und Sklavin war sie auf keinen Fall, wenngleich sie sich aufgrund eines Gelübdes für einige Zeit dem Dienst an Apoll geweiht hatte. Mit ihr zusammen war ich einst in Galiläa und Jerusalem, um den König der Juden und sein Reich zu suchen.«
Diese Worte bestärkten meinen schrecklichen Verdacht, und ich erwiderte mit unsicherer Stimme: »Timaios sagte, du seist in die Verschwörung der Juden verwickelt gewesen, so daß der Statthalter dich aus Judäa ausweisen mußte. Deshalb also verlorst du deine Ritterwürde und nicht nur dank einer Laune des Kaisers Gajus.«
Nun begann auch die Stimme meines Vaters zu zittern, als er erklärte: »All dies wollte ich dir berichten, sobald du selbst zu denken gelernt hättest und ich dich nicht zu zwingen brauchte, Dinge zu denken, die ich selbst nicht recht verstehe. Doch nun stehst du an einem Scheideweg und mußt wählen, welche Richtung du einschlagen willst. Ich kann nur die Hände ringen und hoffen, daß du richtig wählst. Zwingen kann ich dich zu nichts, denn ich habe nur Unsichtbares zu bieten, das ich selbst nicht begreife.«
»Vater«, sagte ich erschrocken, »du hast dich doch nicht insgeheim zum Glauben der Juden bekehren lassen, nachdem du so viel mit ihnen zu schaffen hattest?«
»Aber Minutus«, antwortete mein Vater verwundert. »Du warst mit mir im Bad und bei den Leibesübungen und hast dich selbst davon überzeugen können, daß ich nicht das Zeichen ihres Bundes am Körper trage. Ich wäre ja ausgelacht worden.«
Er unterbrach sich und fuhr nach einer Weile fort: »Ich bestreite nicht, daß ich viel in den heiligen Schriften der Juden gelesen habe, um sie besser verstehen zu lernen. Doch im Grunde bin ich ihnen aber übel gesinnt, weil sie selbst es waren, die ihren König ans Kreuz schlugen. Auch um des schmerzlichen Todes deiner Mutter willen grollte ich den Juden und sogar ihrem König, der am dritten Tage von den Toten auferstand und ein unsichtbares Reich gründete. Seine jüdischen Jünger glauben gewiß noch immer, daß er eines Tages wiederkehren und ein sichtbares Reich gründen wird, doch all dies ist sehr verworren und wider die Vernunft, so daß ich dich nichts lehren kann. Deine Mutter hätte es besser gekonnt, denn als Frau verstand sie besser als ich, was es mit diesem Reich für eine Bewandtnis hat, und ich kann noch immer nicht fassen, weshalb sie deinetwegen sterben mußte.«
Ich begann am Verstande meines Vaters zu zweifeln und dachte wieder, daß er doch in allen Dingen anders als die meisten Menschen war. Ich fragte hitzig: »Da hast du gewiß mit den Juden bei ihren abergläubischen Mysterien Blut getrunken?«
Mein Vater sah mich traurig an und erwiderte: »Das ist etwas, was du nicht verstehen kannst, weil du nichts davon weißt.« Er nahm einen Schlüssel, sperrte eine Truhe auf, entnahm ihr einen abgenützten hölzernen Becher, umfaßte ihn zärtlich mit beiden Händen, zeigte ihn mir und sagte: »Dies ist der Becher deiner Mutter Myrina, und aus diesem Becher haben wir zusammen einen Trank der Unsterblichkeit getrunken, in einer mondlosen Nacht auf einem Berg in Galiläa. Und obgleich wir beide daraus tranken, wurde der Becher nicht leer. Der König zeigte sich uns in jener Nacht und sprach mit einem jeden, obwohl wir über fünfhundert waren. Zu deiner Mutter sagte er, sie werde in ihrem Leben nicht mehr zu dürsten brauchen. Später mußte ich seinen Jüngern versprechen, niemals andere in diese Dinge einzuweihen, denn nach ihrem Dafürhalten gehört das Reich allein den Juden, und ich als Römer habe kein Teil daran.«
Ich verstand, daß dieser Becher, nach Timaios Ansicht der der Glücksgöttin, verzaubert war. Als ich ihn in die Hand nahm, spürte und sah ich jedoch nur einen schäbigen Holzbecher, obwohl mich bei dem Gedanken, daß meine Mutter ihn in der Hand gehalten und hochgeschätzt hatte, eine schmerzliche Rührung überkam. Ich sah meinen Vater mitleidig an und sagte: »Ich kann dir wegen deines Aberglaubens keine Vorwürfe machen, denn die Zauberkunststücke der Juden haben schon Klügeren als dir den Kopf verdreht. Zweifellos hat dir dieser Becher Reichtum und Erfolg gebracht. Von der Unsterblichkeit will ich lieber nicht reden, um dich nicht zu kränken, und wenn du einen wiederauferstandenen Gott suchst, so gibt es deren genug unter den alten: Osiris und Tammuz, Attis, Adonis und Dionysos und viele andere. Doch das alles sind Gleichnisse und Sagen, die von denen in Ehren gehalten werden, die in die Mysterien eingeweiht sind. Gebildete Menschen trinken kein Blut mehr, und von Mysterien habe ich mehr als genug, seit ich junge Mädchen kennengelernt habe, die bunte Bänder in die Büsche hängen.«
Mein Vater schüttelte den Kopf, drückte seine Handflächen gegeneinander und sagte bekümmert: »Wenn ich es dir nur verständlich machen könnte!«
»Ich verstehe mehr als genug, obgleich ich noch nicht erwachsen bin«, versicherte ich ihm. »Ich habe hier in Antiochia immerhin einiges gelernt. Du sprichst von dem, den sie den Gesalbten oder Christus nennen, und dieser neue Aberglaube ist noch verderblicher und schändlicher als die anderen Lehren der Juden. Es stimmt, daß er gekreuzigt wurde, aber er war weder ein König noch ist er auferstanden, sondern seine Anhänger stahlen seine Leiche aus dem Grab, um sich vor dem Volk nicht schämen zu müssen. Es lohnt sich nicht, über ihn zu reden. Genügt es nicht, wenn die Juden sich seinetwegen zanken?«
Mein Vater ließ jedoch nicht locker. »Er war ganz gewiß ein König«, sagte er. »Es stand sogar in drei Sprachen auf seinem Kreuz, und ich habe es selbst gelesen: ›Jesus von Nazareth, König der Juden.‹ Wenn du schon den Juden nicht glauben willst, so mußt du doch dem römischen Statthalter glauben. Es ist auch nicht wahr, daß die Jünger seine Leiche stahlen. Die Hohenpriester bestachen vielmehr die Wächter, damit sie es bezeugten. Ich weiß es, denn ich war dort und sah es mit eigenen Augen, ja ich begegnete sogar ihm selbst nach seiner Auferstehung am Ostufer des Galiläischen Meeres oder glaubte zumindest noch immer, daß er es war. Er selbst hieß mich in die Stadt Tiberias gehen, wo deine Mutter damals in arger Bedrängnis lebte, und so lernte ich sie durch ihn kennen. Seit diesen Geschehnissen sind sechzehn Jahre vergangen, aber jetzt, wo du mich durch dein Unvermögen, mich zu verstehen, aufregst, sehe ich alles wieder lebendig vor mir.«
Ich durfte mir nicht erlauben, meinen Vater gegen mich aufzubringen, und sagte hastig: »Ich will keineswegs über göttliche Dinge mit dir streiten. Ich möchte nur eines wissen: kannst du nach Rom reisen, wann immer du willst? Timaios behauptete, du dürftest dich wegen gewisser Dinge in deiner Vergangenheit nie wieder in Rom blicken lassen.«
Mein Vater richtete sich auf, runzelte die Stirn, sah mir streng in die Augen und sagte: »Ich bin Marcus Mecentius Manilianus und kann nach Rom zurückkehren, wann ich will. Ich bin kein Landflüchtiger, und Antiochia ist, wie du selbst wissen müßtest, kein Verbannungsort. Ich hatte meine eigenen persönlichen Gründe, Rom fernzubleiben. Heute könnte ich wieder in Rom leben, wenn es unbedingt sein müßte, denn ich bin nun älter geworden und würde nicht mehr so leicht gewissen Einflüssen unterliegen wie in jungen Jahren. Nach anderen Gründen brauchst du mich nicht zu fragen. Du würdest sie nicht verstehen.«
Seine Worte machten mich froh, und ich rief: »Du sprachst von einem Scheideweg und von meiner Zukunft, die ich mir selbst wählen müsse. Woran dachtest du?«
Mein Vater trocknete sich zögernd die Stirn, bedachte sich eine lange Weile und sagte endlich: »Die Männer hier in Antiochia, die am besten über den Weg unterrichtet sind, beginnen allmählich zu begreifen, daß das Reich nicht nur den Juden gehört. Ich habe den Verdacht, nein, um ganz aufrichtig zu sein, ich weiß, daß sie auch unbeschnittene Griechen und Syrer getauft haben und an ihrem geheimen Mahl teilnehmen lassen. Es hat deshalb viel Streit gegeben, aber jetzt wirkt hier ein Jude von der Insel Kypros, dem ich einmal persönlich in Jerusalem begegnete, als der Geist über sie kam, und dieser hat als seinen Gehilfen einen gewissen Saulus aus Tarsos, einen Juden, kommen lassen, den ich ebenfalls schon früher einmal sah, in Damaskus, als sie ihn in die Stadt führten. Er hatte nämlich bei einer göttlichen Offenbarung das Augenlicht verloren, gewann es aber, wie ich hörte, später wieder zurück. Sei dem, wie ihm wolle. Ich mag nichts behaupten, was ich nicht weiß, aber das sage ich: der Mann ist es wert, daß man ihn kennenlernt, und es ist mein heißester Wunsch, daß du diese Männer aufsuchst und ihre Lehre anhörst. Wenn es ihnen gelingt, dich zu überzeugen, werden sie dich als einen Untertan in Christi Reich taufen und an ihrem Mahl teilnehmen lassen. Ohne Beschneidung brauchst du nicht zu befürchten, unter das jüdische Gesetz zu fallen.«
Ich traute meinen Ohren nicht und rief: »Wünschst du wirklich, daß ich mich in die jüdischen Mysterien einweihen lasse, um irgendeinen gekreuzigten König und ein Reich zu verehren, das es nicht gibt, denn wie soll ich etwas, was man nicht sehen kann, anders nennen?«
Mein Vater sagte ungeduldig: »Es ist mein Fehler. Ich finde offenbar nicht die richtigen Worte, da es mir nicht gelingt, dich zu überzeugen. Jedenfalls versäumst du nichts, wenn du dir anhörst, was diese Männer zu sagen haben.«
Der bloße Gedanke entsetzte mich. »Nie im Leben lasse ich zu, daß die Juden mich mit ihrem Weihwasser bespritzen!« rief ich. »Und ich werde auch nie mit ihnen Blut trinken. Ich würde ja das letzte verlieren, was von meinem guten Ruf noch übrig ist!«
Noch einmal versuchte mein Vater geduldig zu erklären, daß dieser Saulus ein gebildeter Mann war, der die Rhetorenschule in Tarsos besucht hatte, und daß nicht nur Sklaven und Handwerker, sondern auch viele vornehme Frauen Antiochias heimlich zu ihm gingen und ihm lauschten.
Ich hielt mir die Ohren zu, stampfte auf den Boden und schrie laut und unbeherrscht: »Nein, nein, nein!«
Mein Vater kam wieder zur Vernunft und sagte in kühlerem Ton: »Es soll geschehen, was du willst. Der gelehrte Kaiser Claudius hat errechnet, daß nächsten Frühling achthundert Jahre seit Gründung der Stadt vergangen sein werden. Dieses Jubiläum hat zwar schon der Gott Augustus feiern lassen, und es leben noch viele, die damals dabei waren, aber es soll nun noch einmal begangen werden, und das wäre für uns eine ausgezeichnete Gelegenheit, nach Rom zu reisen.«
Bevor er noch geendet hatte, umarmte und küßte ich ihn und rannte vor Freude im Zimmer umher, denn ich war ja noch ein Knabe. In diesem Augenblick trafen die Freigelassenen zum Festmahl ein, und er ging in die Aula hinaus, um sie zu begrüßen und ihre Geschenke entgegenzunehmen. Ich mußte mich neben meinen Vater stellen, zum Zeichen, daß er mir in allem beizustehen gedachte. Sie freuten sich, als sie es sahen, streichelten mir übers Haar, trösteten mich wegen des Verlusts meines Pferdes und bewunderten meinen Verband.
Als sie sich zu Tisch gelegt hatten und ich zu Füßen meines Vaters auf einem Schemel Platz genommen hatte, denn liegen durfte ich als Minderjähriger noch nicht, erklärte mein Vater, daß es der Zweck dieser Zusammenkunft sei, im Kreise der Familie über meine Zukunft zu beraten. »Das soll euch jedoch nicht den Appetit verderben«, fügte er lächelnd hinzu. »Stärken wir uns also zunächst mit Wein. Der Wein löst die Zunge, und wir brauchen kluge Worte und guten Rat.«
Er schüttete keinen Wein auf den Boden, aber Barbus ließ sich von seiner Ungläubigkeit nicht beeindrucken. Er opferte an meines Vaters Stelle den Göttern und sagte mit lauter Stimme den Spruch. Ich folgte seinem Beispiel, und auch die Freigelassenen tauchten zumindest einen Finger in den Wein und sprengten ein paar Tropfen auf den Boden, wenn sie auch nichts Vernehmliches dazu sagten. Mein Herz schwoll vor Liebe, als ich sie alle ansah, und ich wünschte in meinem Innern, daß ich zu einem Mann heranwüchse, mit dessen Ansehen auch das ihre zunähme. Von meinem Vater erwarteten sie nichts mehr und hatten sich mit seiner Eigenart abgefunden.
Mein Vater sagte indessen: »Als ich euch freikaufte, ließ ich euch von – dem Trank der Unsterblichkeit aus dem Holzbecher meiner verstorbenen Gemahlin trinken. Ihr aber habt nie andere Schätze gesammelt als die Reichtümer dieser Welt, die von einer Stunde zur anderen enden kann. Es ist mir wohl vorbestimmt, daß ich an Überfluß und Sättigung leiden und mich mit lauter unnützen Geschäften abgeben muß, denen ich nicht den geringsten Wert beimesse, da ich nichts anderes will, als in Stille und Demut leben.«
Die Freigelassenen beeilten sich zu versichern, daß auch sie in Stille und Demut zu leben versuchten, soweit dies eben für erfolgreiche Geschäftsleute angehe. Wer mit seinem Reichtum prahle, müsse nur höhere Steuern zahlen und der Stadt Schenkungen machen. Und seiner Vergangenheit könne sich keiner von ihnen rühmen, da sie Sklaven gewesen waren, so daß man besser darüber schwieg.
Darauf sagte mein Vater: »Euretwegen und weil mein Sohn Minutus so halsstarrig ist, kann ich dem neuen Weg nicht folgen, der nun auch den Unbeschnittenen, Griechen wie Römern, offensteht, denn wollte ich mich zum Christusglauben bekennen, wie dieser neue Weg zum Unterschied von der alten Lehre der Juden genannt wird, so müßtet ihr und mein ganzes Haus meinem Vorbild folgen, und ich glaube nicht, daß solcher Zwang jemandem nützen würde. Ich glaube übrigens auch nicht, daß etwa Barbus irgendeines Geistes teilhaftig würde, wenn ihm einer seine Hände aufs Haupt legte und ihn anhauchte. Von Minutus, der beim bloßen Gedanken an dergleichen die Beherrschung verlor und zu schreien begann, will ich lieber schweigen.
Deshalb will ich mich nun um meine Familie kümmern, und was ich tue, das tue ich ganz. Ich reise mit Minutus nach Rom, um mir die allgemeinen Begnadigungen zum Jubiläumsfest zunutze zu machen und meine Ritterwürde zurückzuerlangen. Minutus soll in Rom, in Gegenwart seiner Verwandten, die Männertoga anlegen, und dort soll er auch ein neues Pferd bekommen, nachdem er das seine hier verloren hat.«
Das war für mich eine Überraschung, von der ich nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Ich hatte im günstigsten Falle gehofft, durch meine eigene Kühnheit und meine eigenen Verdienste meinem Vater einst die Ehre zurückgeben zu können, die er dank einer Laune des Kaisers verloren hatte. Für die Freigelassenen dagegen war dies offenbar nichts Neues, und ich entnahm ihren Gesten und Mienen, daß sie schon seit langem in diesem Sinne auf meinen Vater eingewirkt haben mußten, da sie selbst nur Ehre und Gewinn hatten, wenn er seine Ritterwürde zurückbekam. Sie nickten also nur und erklärten, daß sie sich bereits mit den Freigelassenen des Kaisers Claudius in Verbindung gesetzt hätten, die wichtige Ämter in der Verwaltung des Reiches bekleideten. Mein Vater besaß sogar ein Mietshaus auf dem Aventin und Landgüter bei Caere. Er erfüllte daher die Forderungen, die hinsichtlich Vermögen und Grundbesitz an einen Ritter gestellt wurden, mehr als zur Genüge.
Mein Vater bat sie zu schweigen und sagte: »Dies alles ist von geringerer Bedeutung. Das wichtigste ist, daß ich mir endlich Urkunden verschaffen konnte, aus denen Minutus’ Abstammung klar ersichtlich ist, und dazu hat es großer juristischer Sachkenntnis bedurft. Zuerst hatte ich die Absicht, Minutus ganz einfach an Sohnes Statt anzunehmen, sobald er volljährig wäre, aber mein Anwalt überzeugte mich, daß wir damit nichts gewonnen hätten. Seine römische Abstammung wäre in aller Zukunft angezweifelt worden.«
Mein Vater packte einen ganzen Stoß Urkunden aus, las ein wenig daraus vor und erklärte: »Das wertvollste Dokument ist der von den römischen Behörden in Damaskus bestätigte Ehevertrag zwischen Myrina und mir. Er ist ein unwiderlegbares, echtes und rechtskräftiges Zeugnis, denn als meine Gemahlin in Damaskus von mir schwanger wurde, war ich sehr glücklich und darauf bedacht, die Stellung meines zukünftigen Erben im voraus zu festigen.«
Er blickte eine Weile zur Decke empor und fuhr dann fort: »Viel schwieriger war es, über die Herkunft von Minutus’ Mutter Genaues zu erfahren. Ich hielt es damals nicht für wichtig, und wir sprachen nie darüber. Nach langwierigen Nachforschungen gelang es uns endlich, überzeugend nachzuweisen, daß ihr Geschlecht aus der Stadt Myrina herstammt, die nahe bei Kyme in der Provinz Asia liegt.
Mein Anwalt riet mir wegen der Namensgleichheit, bei meinen Nachforschungen von dieser Stadt auszugehen. Es stellte sich heraus, daß ihre Familie ihr Vermögen verlor und sich auf den Inseln im Meer ansiedelte, aber ihre Abstammung ist ohne Zweifel vornehm, und zur Bekräftigung dessen ließ ich meiner Gemahlin Myrina vor dem Rathaus in Myrina eine Statue errichten. Ich machte der Stadt noch andere Schenkungen, damit sie ihr Andenken bewahrte. Mein Bevollmächtigter ließ außerdem das ganze Rathaus, das allerdings nicht groß war, neu erbauen, und die Stadtväter machten sich erbötig, Myrinas Geschlecht bis in die Urzeit zurück zu belegen und von einem der Flußgötter abzuleiten, aber das schien mir denn doch nicht erforderlich. Auf der Insel Kos fand mein Bevollmächtigter einen alten, ehrwürdigen Priester im Äskulaptempel, der sich noch genau an Myrinas Eltern erinnerte und unter Eid versicherte, er sei Myrinas leiblicher Onkel. Als Myrinas und ihrer Brüder unbescholtene, wenngleich mittellose Eltern starben, weihten sich die Geschwister Apoll und verließen die Insel.«
»Wie gern würde ich diesen Onkel meiner Mutter kennenlernen, der doch mein einziger noch lebender Verwandter mütterlicherseits ist!« rief ich eifrig.
»Das ist ganz und gar unnötig«, sagte mein Vater rasch. »Er ist ein sehr alter Mann mit einem schlechten Gedächtnis, und ich habe dafür gesorgt, daß er bis an sein Lebensende ein Dach über dem Kopf, Speise und Trank und einen Pfleger hat. Du brauchst dir nur zu merken, daß du von der Mutter her aus vornehmem griechischem Geschlecht stammst. Später, wenn du einmal erwachsen bist, magst du dich der armen Stadt Myrina erinnern und mit einem passenden Geschenk dafür Sorge tragen, daß man dort nichts vergißt. Ich, dein Vater«, fuhr er eilig fort, »gehöre durch Adoption dem Geschlecht der Manilier an und nenne mich daher Manilianus. Mein Stiefvater, der dem Gesetz nach dein Großvater ist, war der berühmte Astronom Manilius. Er verfaßte ein astronomisches Werk, das noch heute in allen Bibliotheken der Welt studiert wird. Über deinen zweiten Namen, Mecentius, hast du dich gewiß schon gewundert. Dieser Name erinnert an meine eigentliche Herkunft. Der berühmte Maecenas, der Freund des Gottes Augustus, war ein weitschichtiger Verwandter von mir, der seine schützende Hand über meine Eltern hielt, wenngleich er sie dann in seinem Testament vergaß. Er stammte seinerseits von den Herrschern über Caere ab, die schon, lange bevor Aeneas aus Troja floh, Könige waren. Daher geht dein römisches Blut zurück auf die Etrusker. Rechtlich gesehen müssen wir uns jedoch zu den Maniliern zählen, und von den Tuskern schweigt man in Rom besser, da die Römer nicht gern daran erinnert werden, daß sie einst von ihnen beherrscht wurden.«
Mein Vater sprach so hochgestimmt, daß wir alle still und regungslos lauschten. Nur Barbus dachte ab und zu daran, sich mit Wein zu stärken.
»Mein Adoptivvater Manilius war ein armer Mann«, fuhr mein Vater fort. »Er gab sein ganzes Vermögen für Bücher und für seine Wissenschaft aus, anstatt durch seine Weissagekunst Geld zu verdienen, und es war eigentlich nur der Zerstreutheit des Tiberius zuzuschreiben, daß er seine Ritterwürde behalten durfte. Es würde zu weit führen, wollte ich von den Hungerjahren berichten, die ich in meiner Jugend hier in Antiochia als Buchhalter zubrachte. Der hauptsächliche Grund für meine bescheidene Stellung war der, daß ich mir wegen der Armut der Manilier kein Pferd leisten konnte. Als ich nach Rom zurückkehrte, hatte ich jedoch das Glück, die Gunst einer hochgestellten Frau zu gewinnen. Ihren Namen will ich verschweigen. Diese kluge, erfahrene Frau machte mich mit einer betagten, kränklichen, aber edelgesinnten Witwe bekannt, und diese vermachte mir in ihrem Testament ihr gesamtes Vermögen, so daß ich endlich mein Recht, den Goldring zu tragen, bekräftigen konnte, aber da war ich schon dreißig Jahre alt und mochte nicht mehr die Beamtenlaufbahn einschlagen. Außerdem fochten die Verwandten der Witwe das Testament an, ja sie brachten sogar die abscheuliche Beschuldigung vor, die alte Frau sei, nachdem sie das Testament abgefaßt hatte, vergiftet worden. Das Recht war auf meiner Seite, aber wegen des leidigen Prozesses und auch aus anderen Gründen verließ ich Rom und fuhr nach Alexandria, um mich dort mit gewissen Studien zu beschäftigen. In Rom wird zwar viel geklatscht, aber ich glaube nicht, daß sich noch jemand an diesen alten Streit erinnert, der von neidischen, boshaften Menschen vom Zaun gebrochen wurde. Ich spreche überhaupt nur davon, um Minutus zu beweisen, daß es nichts gibt, wessen ich mich zu schämen hätte, und daß nichts mich daran hindert, nach Rom zurückzukehren. Und ich glaube, daß wir nach allem, was geschehen ist, gut daran tun, so bald wie möglich zu reisen und solange das Wetter für die Überfahrt noch günstig ist. So bleibt mir der ganze Winter, um bis zur Jahrhundertfeier meine Angelegenheiten zu ordnen.«
Wir hatten gegessen und getrunken. Die Fackeln vor unserem Haus begannen zu schwelen und zu verlöschen, und in den Lampen versiegte das Öl. Ich selbst hatte mich so still verhalten, wie ich nur konnte, und versucht, die Finger von den Schrammen auf meinen Armen zu lassen, die schon zu jucken begannen. Vor dem Haus hatten sich einige Bettler aus Antiochia versammelt, und nach gutem syrischen Brauch ließ mein Vater die Reste des Mahls an sie verteilen. Als die Freigelassenen eben aufbrechen wollten, drängten sich zwei Juden herein, die sie erst für Bettler hielten und aus dem Haus weisen wollten. Mein Vater eilte ihnen jedoch entgegen, begrüßte sie achtungsvoll und sagte: »Nein, nein, ich kenne diese Männer. Sie sind Boten des höchsten Gottes. Gehen wir alle noch einmal hinein, und hören wir, was sie uns zu sagen haben.«
Der Würdigere von den beiden hielt sich sehr steif und hatte einen grauen Bart. Es stellte sich heraus, daß er ein Kaufmann von der Insel Kypros war. Er oder seine Familie besaß ein Haus in Jerusalem, und dort hatte ihn mein Vater schon vor meiner Geburt aufgesucht. Er hieß Barnabas. Der andere war sichtlich jünger. Er trug einen engen schwarzen Ziegenhaarmantel. Sein Kopf begann schon kahl zu werden. Er hatte abstehende Ohren und Augen, die so stechend blickten, daß die Freigelassenen unwillkürlich zurückwichen und ein abwehrendes Zeichen mit den Fingern machten. Dies war Saulus, von dem mein Vater zu mir gesprochen hatte, aber er war nicht unter seinem eigentlichen Namen bekannt, sondern nannte sich Paulus, aus Demut, wie er sagte, aber auch deshalb, weil sein früherer Name bei den Untertanen Christi einen üblen Klang hatte. Paulus heißt der Geringe, der Unbedeutende, geradeso wie mein eigener Name Minutus, und das machte mich neugierig. Er war kein schöner Mann, aber in seinen Augen, in seinem ganzen Antlitz lag eine solche Glut, daß man keine Lust verspürte, mit ihm Streit zu bekommen. Ich fühlte, daß nichts, was man zu diesem Manne sagte, imstande wäre, ihn zu beeinflussen, daß aber er selbst großen Einfluß auf andere ausübte. Neben ihm wirkte Barnabas, gewiß auch auf Grund seines Alters, ruhig und besonnen.
Den Freigelassenen war die Ankunft dieser beiden Männer lästig, aber sie konnten sich nun nicht mehr entfernen, ohne meinen Vater zu kränken. Barnabas und Paulus traten bescheiden auf. Sie sprachen abwechselnd und berichteten, daß die Ältesten ihrer Versammlung eine Offenbarung gehabt hatten, in der ihnen geheißen worden war, sich auf Reisen zu begeben, um die gute Botschaft zu verkünden, zuerst den Juden, dann den Heiden. Auch in Jerusalem waren sie gewesen und hatten den Heiligen dort Geld gebracht, und deren Älteste hatten ihre Vollmacht durch Handschlag bekräftigt. Danach hatten sie Gottes Wunder mit solcher Kraft verkündet, daß sogar Kranke geheilt wurden. In einer der Städte im Landesinnern war Barnabas für Jupiter in Menschengestalt gehalten worden und Paulus für Merkur, so daß der Priester der Stadt bekränzte Ochsen als Opfer für sie hatte herbeitreiben lassen. Sie hatten alle Mühe gehabt, eine so gottlose Ehrung abzuweisen. Darauf hatten die Juden Paulus vor die Stadt geführt und gesteinigt, waren dann aber aus Angst vor den Behörden geflohen und hatten Paulus in dem Glauben, er habe seinen Geist aufgegeben, auf dem Feld liegengelassen. Er war jedoch wieder zum Leben erwacht.
Die Freigelassenen fragten verwundert: »Wovon seid ihr besessen, daß es euch nicht genug ist, zu leben wie andere Menschen und euer tägliches Werk zu verrichten, sondern daß ihr euer Leben aufs Spiel setzen müßt, um von Gottes Sohn und der Vergebung der Sünden Zeugnis abzulegen?«
Barbus brach bei der Vorstellung, daß jemand diese beiden Juden für Götter halten konnte, in lautes Gelächter aus, aber mein Vater verwies es ihm. Er stützte den Kopf in beide Hände und klagte: »Ich habe euern Weg kennengelernt und in meiner Eigenschaft als einer der Väter der Stadt oft und oft versucht, Jude mit Jude zu versöhnen. Ich möchte gern glauben, daß ihr die Wahrheit sprecht, aber noch scheint euch der Geist nicht versöhnlich gestimmt zu haben. Im Gegenteil, ihr habt fortwährend Streit miteinander, und der eine sagt dies, der andere das. Die Heiligen in Jerusalem verkauften ihre Habe und warteten tagtäglich auf die Wiederkunft eures Königs. Sie warten nun schon mehr als sechzehn Jahre. Ihr Geld ist aufgebraucht, und sie leben nur noch von Almosen. Was habt ihr dazu zu sagen?«
Paulus versicherte, daß er für sein Teil niemanden gelehrt habe, sich ehrlicher Arbeit zu enthalten und seinen Besitz an die Armen auszuteilen. Barnabas wiederum sagte, ein jeder müsse tun, wie der Geist ihm zu tun befehle. Nachdem man in Jerusalem begonnen hatte, die Heiligen zu verfolgen und zu töten, seien viele in fremde Länder gezogen, auch nach Antiochia, und hätten sich als Händler und Handwerker niedergelassen und auch Erfolg gehabt, der eine mehr, der andere weniger.
Barnabas und Paulus sprachen noch lange weiter, bis die Freigelassenen ihrer müde wurden und sagten: »Nun haben wir genug von Gott gehört. Wir wünschen euch nichts Böses, aber sagt nun, was ihr von unserem Herrn wollt, da ihr spät am Abend bei ihm eindringt und ihn stört. Er hat ohnedies Sorgen genug.«
Darauf berichteten sie, daß ihre Tätigkeit viel böses Blut unter den Juden Antiochias gemacht hatte, so daß sich zuletzt sogar die Parteien der Pharisäer und Sadduzäer gegen sie und die Christen verbündeten. Die Juden betrieben eine eifrige Bekehrungsarbeit zugunsten des Tempels in Jerusalem und hatten von den Gottesfürchtigen reiche Gaben eingesammelt. Aber die Sekte der christlichen Juden lockte die Neubekehrten auf ihre Seite, indem sie ihnen Vergebung der Sünden versprach und behauptete, sie brauchten das jüdische Gesetz nicht mehr zu befolgen. Aus diesem Grunde wollten nun die Juden vor dem Rat der Stadt Anklage gegen die Christen erheben. Barnabas und Paulus versicherten, sie hätten zwar ohnehin die Absicht, Antiochia vorher zu verlassen, aber sie fürchteten, der Rat könnte sie verfolgen und vor Gericht stellen.
Mein Vater freute sich, sie beruhigen zu können. »Ich habe durch zahllose Vermittlungen und Vergleiche erreicht, daß der Rat der Stadt sich nicht mehr in die inneren Glaubensangelegenheiten der Juden einmischt«, sagte er. »Die Juden müssen die Streitigkeiten zwischen ihren verschiedenen Sekten selbst schlichten. Wir betrachten die Christen vom juristischen Standpunkt aus als eine der vielen jüdischen Sekten, obwohl sie weder die Beschneidung noch die buchstabengetreue Befolgung des Gesetzes Mose fordern. Deshalb sind die Ordnungshüter der Stadt verpflichtet, die Christen zu schützen, wenn andere Juden ihnen Gewalt antun wollen. Ebenso ist es aber auch unsere Pflicht, die anderen Juden in Schutz zu nehmen, wenn sie von den Christen behelligt werden.«
»Wir sind beide Juden«, sagte Barnabas tief bekümmert, »aber erst die Beschneidung macht einen zum rechtgläubigen Juden. Daher behaupten nun die Juden Antiochias, daß unbeschnittene Judenchristen rechtlich gesehen keine Juden seien und somit wegen Schmähung des jüdischen Glaubens verurteilt werden könnten.«
Aber mein Vater war sehr starrsinnig, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, und wandte dagegen ein: »Soviel ich weiß, ist der einzige Unterschied zwischen Christen und Juden der, daß die Christen, die beschnittenen wie die unbeschnittenen, glauben, der Messias der Juden, der Gesalbte, habe bereits in Jesus von Nazareth menschliche Gestalt angenommen, sei von den Toten auferstanden und werde früher oder später zurückkehren, um das Tausendjährige Reich zu gründen, während die Juden dies nicht glauben und weiter auf ihren Messias warten. Juristisch gesehen ist es jedoch völlig gleichgültig, ob einer glaubte, daß der Messias schon gekommen sei oder daß er erst kommen werde. Es genügt, daß er an einen Messias glaubt. Die Stadt Antiochia ist weder willens noch befugt, zu entscheiden, ob der Messias gekommen ist oder nicht. Deshalb müssen Juden und Christen die Sache friedlich untereinander ausmachen, anstatt sich gegenseitig zu verfolgen.«
Paulus fuhr auf. »So haben wir es bisher gehalten, und so könnte es auch bleiben, wenn nicht manche beschnittene Christen so feige wären, wie zum Beispiel Kephas, der zuerst mit den unbeschnittenen zusammen aß und sich dann von ihnen zurückzog, weil er die Heiligen in Jerusalem mehr fürchtet als Gott. Ich habe ihm ins Gesicht gesagt, was ich von seiner Feigheit halte, aber der Schaden war schon geschehen, und immer öfter nehmen nun die beschnittenen Christen ihr Liebesmahl getrennt von den unbeschnittenen ein. Deshalb können letztere nicht einmal mehr juristisch als Juden betrachtet werden. Nein, es gibt unter uns weder Juden noch Griechen, weder Sklaven noch Freie, sondern wir sind alle nur noch Glieder Christi.«
Mein Vater bemerkte, daß es unklug wäre, dergleichen vor Gericht zu bezeugen, denn die Christen würden dadurch einen unersetzlichen Vorteil und allen Schutz verlieren. Viel vernünftiger wäre es, wenn sie sich als Juden zu erkennen gäben und alle politischen Vorteile der Juden für sich in Anspruch nähmen, auch wenn sie die Beschneidung und das jüdische Gesetz gering achteten.
Es gelang ihm jedoch nicht, die beiden Juden zu überzeugen. Sie hatten ihre eigene unumstößliche Anschauung, daß ein Jude ein Jude sei und ein Heide ein Heide. Doch könne ein Heide Christ werden, und auf die gleiche Weise könne ein Jude Christ werden, so daß es zwischen ihnen keinen Unterschied mehr gebe, sondern sie eins seien in Christus. Darum bleibe ein Jude doch auch als Christ ein Jude, ein zum Christentum bekehrter Heide müsse sich aber erst beschneiden lassen, um Jude zu werden, und dies sei nun nicht mehr nötig, ja nicht einmal wünschenswert, da alle Welt begreifen müsse, daß ein Christ kein Jude zu sein brauche.
Mein Vater sagte bitter, diese Philosophie übersteige sein Fassungsvermögen. Er sei seinerzeit in aller Demut bereit gewesen, Untertan im Reiche jenes Jesus von Nazareth zu werden, aber man habe ihn nicht aufgenommen, weil er kein Jude war. Der Führer der nazarenischen Sekte habe ihm sogar verboten, über ihren König zu sprechen. Er halte es nach allem für das klügste, weiterhin zu warten, bis die Angelegenheiten dieses Reiches endlich geklärt und auch für einen schlichteren Verstand faßbar wären. Es zeige sich nun, daß die Vorsehung selbst ihn nach Rom schicke, da ihn in Antiochia nur Verdruß erwarte, und zwar von den Juden wie von den Christen, denn nun wisse selbst der beste Mittler keinen Rat mehr.
Immerhin versprach er, dem Rat der Stadt vorzuschlagen, man solle die Christen nicht verurteilen, weil sie den Glauben der Juden geschmäht hätten, da sie durch die Übernahme der von den Juden erfundenen Taufe und dadurch, daß sie einen jüdischen Messias als ihren König verehrten, jedenfalls de facto, wenn schon nicht de jure, sozusagen selbst Juden seien. Schloß sich der Rat dieser Auffassung an, so konnte die Angelegenheit zumindest aufgeschoben und die Klage der Juden fürs erste abgewiesen werden.
Damit gaben sich Barnabas und Paulus, da ihnen nichts anderes übrigblieb, zufrieden. Mein Vater versicherte ihnen noch, daß seine Sympathien mehr den Christen als den Juden gälten. Die Freigelassenen ihrerseits baten meinen Vater, unverzüglich um seine Entlassung aus dem Rat der Stadt anzusuchen, da er mit seinen eigenen Angelegenheiten genug zu tun habe. Mein Vater hielt ihnen jedoch mit gutem Grund entgegen, daß er gerade das nicht tun dürfe, denn ein öffentliches Abschiedsgesuch würde alle glauben machen, er halte mich für schuldig, vorsätzlich die Götter gelästert zu haben.
Die Freigelassenen begannen ernstlich zu fürchten, meines Vaters offenkundige Sympathie für die Christen könne den Verdacht erwecken, er habe mich, seinen Sohn, am Ende gar dazu angestiftet, die unschuldvollen Mysterien der Mädchen zu entweihen, denn es sei ja bekannt, daß die Christen ebenso wie die Juden erbitterte Gegner der Götterbilder, der heiligen Opfer und der überlieferten Mysterien sind.
»Diejenigen, die sich taufen lassen und dann mit ihren Glaubensbrüdern Blut trinken, zerschlagen und verbrennen ihre Hausgötter und vernichten ihre kostbaren Weissagungsbücher, anstatt sie zu einem mäßigen Preis solchen zu überlassen, die noch Verwendung dafür haben«, sagten die Freigelassenen. »Diese leidenschaftliche Unduldsamkeit macht sie gefährlich. Du, unser guter, geduldiger Herr, solltest nichts mehr mit ihnen zu schaffen haben, sonst könnte es deinem Sohn übel ergehen.«
Zur Ehre meines Vaters sei es gesagt, daß er mich nach dem Besuch dieser beiden Juden nicht mehr aufforderte, zu ihnen zu gehen und ihre Lehre anzuhören. Sie zerstritten sich übrigens, nachdem sie sich mit den anderen Juden überworfen hatten, und verließen Antiochia in verschiedenen Richtungen. Nach ihrer Abreise beruhigten sich die rechtgläubigen Juden wieder, denn die besonneneren Christen gingen offenem und öffentlichem Streit aus dem Wege, sonderten sich ab und bildeten eine eigene geheime Gesellschaft.
Auf Anraten meines Vaters wiesen die Väter der Stadt die Klage der Juden gegen Barnabas und Paulus ab und entschieden, daß die Juden ihre Glaubenszwistigkeiten selbst zu schlichten hätten. Im gleichen Sinn wurde die Klage gegen mich und meine Kameraden behandelt und die Entscheidung dem Orakel in Daphne überlassen. Unsere Eltern erlegten schwere Bußen, und wir selbst mußten uns einer Reinigungszeremonie in Daphnes Hainen unterziehen, die drei Tage und drei Nächte dauerte. Die Eltern der Mädchen, die wir gekränkt hatten, wagten danach nicht mehr, uns mit Heiratsangeboten nahezutreten, aber während der Zeremonie in Daphne waren wir gezwungen worden, der Mondgöttin ein gewisses Gelübde abzulegen, über das ich mit meinem Vater nicht sprechen konnte. Er fragte übrigens auch nicht danach.
Gegen seine Gewohnheit ging er mit mir zur nächsten Vorstellung in das Amphitheater, wo wir sieben Jünglinge die Ehrenplätze hinter den obersten Beamten einnehmen durften. Unser Löwe hatte eine Abmagerungskur gemacht und war gehörig aufgereizt worden, so daß er sich in der Arena besser aufführte, als wir zu hoffen gewagt hatten. Einen Verbrecher, der verurteilt worden war, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden, riß er mir nichts dir nichts in Stücke, dann biß er den ersten Gladiator ins Knie und kämpfte unerschrocken, bis ihm der letzte den Fangstoß versetzte. Die Zuschauer johlten vor Vergnügen und ehrten den Löwen und uns, indem sie sich unter lauten Beifallsrufen von ihren Sitzen erhoben. Ich glaube, mein Vater war stolz auf mich, wenn er auch nichts sagte. Einige Tage später nahmen wir Abschied von den weinenden Hausgenossen und reisten, von den Freigelassenen geleitet, zum Hafen Seleukia. Dort bestiegen wir, mein Vater, ich und Barbus, ein Schiff, um nach Neapel zu fahren und von dort aus weiter nach Rom.
Wie soll ich beschreiben, wie einem zumute ist, wenn man mit fünfzehn Jahren im Sonnenglanz des Herbstes in Rom ankommt und von Kind an gewußt hat, daß einen die Erinnerung des Blutes mit diesen heiligen Hügeln und Tälern verbindet? Mir war, als bebte der Boden unter meinen Füßen, um seinen Sohn willkommen zu heißen, und als spräche mir jeder rissige Pflasterstein von einer achthundertjährigen Geschichte. Sogar der schlammige Tiber war mir so heilig, daß mir bei seinem Anblick schwindelte.
Vielleicht war ich einfach erschöpft von den Aufregungen und dem vielen Wachen der langen Reise, aber jedenfalls fühlte ich eine Art glücklichen Rausch, der süßer war als der von Wein. Dies war meine und meiner Väter Stadt, Herrin über die ganze zivilisierte Welt bis Parthien und Germanien.
Barbus sog eifrig schnuppernd die Luft ein, als wir auf dem Weg zum Haus von meines Vaters Tante Laelia waren. »Mehr als vierzig Jahre habe ich den Geruch Roms vermißt«, sagte er. »Es ist ein Geruch, den man nie vergessen kann, und am kräftigsten ist er mitten in der Stadt, in Suburra, so wie jetzt am Abend, wenn der Duft von gekochten Speisen und heißer Wurst sich mit den natürlichen Gerüchen der engen Gassen vermengt. Das ist eine Mischung aus Knoblauch, siedendem Öl, Gewürzkräutern, süßen Dünsten und Weihrauch aus den Tempeln, und über alldem schwebt etwas, was ich nicht anders nennen kann als eben den Geruch Roms, da ich es nirgends sonst gefunden habe. Aber mir scheint, in den vierzig Jahren hat sich seine Zusammensetzung ein wenig verändert, oder vielleicht ist meine Nase schon zu alt geworden. Nur mit Mühe gelingt es mir, den unvergleichlichen Duft meiner Kindheits- und Jugendjahre wahrzunehmen.«
Wir waren zu Fuß in der Stadt angekommen, denn tagsüber dürfen in Rom keine Fahrzeuge verkehren. Es gäbe sonst ein solches Gedränge, daß man nicht mehr von der Stelle käme. Mir oder vielleicht auch sich selbst zuliebe wählte mein Vater nicht den geraden Weg zum Palatin, sondern einen Umweg über das Forum, so daß wir den Palatin zunächst linker Hand erblickten und vor uns das Kapitol aufragte. Dann bogen wir in die alte Tuskerstraße ein, um neben der großen Rennbahn den Palatin zu erreichen. Ich wandte den Kopf hierhin und dorthin, mein Vater nannte geduldig die Namen der Bauwerke und Tempel, und Barbus staunte über die neuen Prachtbauten auf dem Forum, die zu seiner Zeit noch nicht da gestanden waren. Mein Vater schwitzte und atmete schwer. Ich dachte mitleidig, daß er, obwohl noch nicht ganz fünfzig, ein alter Mann war.
Er blieb jedoch erst stehen, um Atem zu schöpfen, als wir vor dem runden Vestatempel ankamen. Durch die Öffnung in seinem Dach stieg die dünne Rauchsäule von Roms heiligem Feuer auf, und mein Vater versprach mir, daß ich, wenn ich wollte, schon am nächsten Tag mit Barbus zusammen die Höhle besichtigen durfte, in der die Wölfin Romulus und Remus gesäugt hatte und die der Gott Augustus als Sehenswürdigkeit für, die ganze Welt hatte instand setzen lassen. Vor der Höhle stand noch der heilige Baum der Wolfsbrüder. Über den Geruch Roms aber sagte mein Vater: »Für mich ist er ein unvergeßlicher Duft von Rosen und Salben, von reinem Linnen und gescheuerten Steinböden, ein Duft, der nirgends auf der Welt seinesgleichen hat, da in ihm etwas von der Erde und der Luft Roms ist, und der bloße Gedanke daran stimmt mich so wehmütig, daß ich lieber tot sein möchte, als noch einmal durch diese unvergeßlichen Straßen wandern. Wir wollen deshalb nicht länger verweilen, damit ich nicht zu sehr gerührt und ergriffen werde und die Selbstbeherrschung verliere, in der ich mich nun seit fünfzehn Jahren übe.«
Doch Barbus klagte im Weitergehen: »Die Erfahrung eines ganzen Lebens hat mich gelehrt, daß es nur einiger Schlucke Weins bedarf, damit meine Sinne und mein ganzes Wesen Düfte und Laute stärker als sonst erleben. Nichts hat mir je so gut geschmeckt in meinem Munde wie die kleinen scharfgewürzten Würste, die in Rom zischendheiß aufgetragen werden. Laßt uns wenigstens so lange Rast machen, wie wir brauchen, um so eine Wurst zu versuchen.«
Mein Vater mußte lachen. Wir waren gerade am Viehmarkt angelangt und traten in eine kleine Schenke, die so alt war, daß ihr Boden schon tief unter die Straßenhöhe gesunken war. Wir beide, Barbus und ich, sogen begehrlich die Luft ein, die nach Wein und heißen Speisen roch, und Barbus rief erfreut aus: »Herkules sei gelobt, es gibt noch Dinge in Rom, die geblieben sind, wie sie einmal waren. Diese Schenke erkenne ich wieder, obgleich ich sie viel größer und geräumiger in Erinnerung hatte. Schnuppere nur eifrig, Minutus, der du jünger bist als ich. Wie findest du diesen Geruch von Fisch und Schlamm, Schilf und Dung, schweißnasser Haut und Räucherwerk aus den Buden in der Rennbahn?«
Er spülte sich den Mund mit Wein, spuckte das Opfer auf den Boden, stopfte sich den Mund mit warmer Wurst voll, kaute und schmeckte mit schief gelegtem Kopf und sagte endlich: »Etwas Altes, längst Vergessenes kehrt da in der Tat in mein Gedächtnis zurück, aber mir scheint, auch mein Gaumen ist schon zu alt geworden, denn so glücklich wie früher bin ich nicht mehr mit einer Wurst im Mund und einem Becher Wein in der Hand.«
Tränen traten ihm in seine runzeligen Augenwinkel, und er seufzte: »Ich bin wahrhaftig so etwas wie ein Geist aus der Vergangenheit, nun da das Jubiläum gefeiert werden soll. Hier habe ich keinen einzigen Bekannten, Verwandten oder Beschützer mehr. Eine neue Generation ist an die Stelle der meinen getreten und weiß nichts mehr von den Dingen der Vergangenheit. Darum haben die schärfsten Würste ihren Geschmack verloren, und der Wein ist schal geworden. Ich hatte gehofft, unter den Prätorianern oder wenigstens bei der Feuerwehr den einen oder anderen Kriegskameraden wiederzufinden, aber nun frage ich mich, ob wir einander denn überhaupt wiedererkennen würden. Weh den Besiegten! Ich bin wie Priamos auf den Trümmern Trojas.«
Der Wirt eilte mit schmalztriefendem Gesicht herbei und fragte, was zu Diensten sei. Er versicherte, man könnte in seinem Hause Wagenlenker aus dem Zirkus, Beamte aus dem Staatsarchiv und Schauspieler antreffen und neuerdings auch Baumeister, die damit beschäftigt waren, die alten Sehenswürdigkeiten Roms für die Jahrhundertfeier instand zu setzen. Sogar mit reizenden kleinen Wölfinnen könne man unter seinem Dach Bekanntschaft schließen. Doch Barbus war untröstlich und erwiderte finster, er möge nicht einmal an Dirnen denken, denn gewiß seien auch die nicht mehr so schmackhaft wie in alten Tagen. Danach stiegen wir den Aventin hinauf, und mein Vater sagte seufzend, wir hätten lieber nicht in diese Schenke gehen sollen, denn die Knoblauchwurst verursache ihm Magenschmerzen, die nicht einmal der Wein zu lindern imstande sei. Er fühle eine schwere Beklemmung in der Brust und sei düsterer Ahnungen voll. Ein Rabe, der zu unserer Linken vorüberflog, dürfte ihn darin bestärkt haben.
Wir kamen an neuen und alten Mietshäusern vorbei und an einigen uralten Tempeln, die neben den großen Gebäuden, tief in den Erdboden eingesunken, verfielen. Auf der anderen Seite des Hügels fand mein Vater dann endlich den Familiensitz der Manilier. Verglichen mit dem unseren in Antiochia war es ein recht kleines, baufälliges Haus, das irgendwann einmal aufgestockt worden war, damit man zusätzlichen Wohnraum gewann. Es war jedoch von einer Mauer und einem verwilderten Garten umgeben. Als mein Vater meine geringschätzige Miene bemerkte, sagte er streng, daß allein schon das Grundstück und der Garten von dem Alter und der Vornehmheit des Hauses Zeugnis ablegten.
Die Träger hatten schon längst unser Reisegepäck vom Capuanischen Tor heraufgebracht, und Tante Laelia war daher auf unseren Besuch gewiß vorbereitet. Sie wartete jedoch, bis mein Vater sich daranmachte, die Träger zu entlohnen, ehe sie die Treppe herabschritt und uns zwischen den Lorbeerbüschen im Garten entgegenkam. Sie war eine große, magere Frau, und sie hatte sich sorgfältig die Wangen geschminkt und ein wenig Schwarz um die Augen aufgetragen. Sie trug einen Ring am Finger und eine Kupferkette um den Hals. Ihre erhobenen Hände zitterten, als sie uns mit einem wohlbemessenen Freudenschrei entgegentrippelte.
Da sich aber mein Vater, bescheiden wie immer, im Hintergrund hielt und selbst mit den Trägern abrechnete, versah sie sich und blieb vor Barbus stehen, duckte sich ein wenig, bedeckte sich das Haupt wie zum Gebet und rief: »Ach, Marcus, was für ein Freudentag! Du hast dich seit deiner Jugend kaum verändert, nur deine Haltung ist besser geworden, und kräftiger bist du auch.«
Mein Vater lachte und rief: »O Tante Laelia, du bist noch ebenso kurzsichtig und zerstreut wie früher. Sieh her, ich bin Marcus. Dieser alte ehrenwerte Veteran ist unser Freund und Begleiter Barbus, einer meiner Klienten.«
Tante Laelia ärgerte sich über ihren Irrtum, trat auf meinen Vater zu, musterte ihn mit funkelnden Blicken, während sie mit zitternden Händen seine Schultern und seinen Bauch betastete, und meinte schließlich: »Kein Wunder, daß ich dich nicht wiedererkannt habe. Dein Gesicht ist feist geworden, dein Bauch ist schlaff, und ich kann meinen Augen kaum trauen, denn früher einmal sahst du doch beinahe gut aus.«
Mein Vater nahm ihr diese Bemerkung nicht übel. Im Gegenteil, er sagte sogar: »Dank für deine Worte, liebe Tante Laelia. Mir fällt ein Stein vom Herzen, denn früher hat mir mein Aussehen nur Kummer eingebracht. Nachdem du mich nicht wiedererkanntest, brauche ich nicht zu* fürchten, daß andere mich erkennen. Du selbst aber bist dir gleichgeblieben, schlank wie eh und je und von edler Miene und Haltung. Die Jahre haben dir nicht das geringste anhaben können. Umarme also meinen Sohn Minutus, und sei zu ihm so gut und zärtlich, wie du es zu mir in meiner Jugend und meines Leichtsinns Tagen warst.« Tante Laelia nahm mich entzückt in die Arme, küßte mich mit ihren dünnen Lippen auf die Stirn und auf die Augen, streichelte mir die Wangen und rief: »Aber Minutus, du hast ja schon einen Flaumbart und bist kein Kind mehr, das ich auf dem Schoß halten kann!«
Sie hielt meinen Kopf zwischen den Händen, betrachtete mich genau und sagte: »Du siehst eher wie ein Grieche denn wie ein Römer aus, aber ich muß gestehen, daß deine grünen Augen und dein helles Haar sehr ungewöhnlich sind. Wärst du ein Mädchen, würde ich dich schön nennen, aber auch so wirst du gewiß eine gute Partie machen. Deine Mutter war, wenn ich mich recht erinnere, Griechin, nicht wahr?«
Erst als sie zu stottern begann und fort und fort redete, ohne selbst recht zu wissen, was sie sagte, begriff ich, daß sie zutiefst erschrocken war. An der Haustür wurden wir von einem kahlköpfigen, zahnlosen Sklaven begrüßt, neben dem eine lahme, einäugige Frau stand. Die beiden fielen vor meinem Vater auf die Knie und sagten einen Spruch auf, den offenbar Tante Laelia sie gelehrt hatte. Mein Vater sah verlegen drein, legte Tante Laelia die Hand auf die Schulter und bat sie, vor uns einzutreten, da sie in diesem Hause die Herrin sei. Das kleine Atrium war voll Rauch, so daß wir alle zu husten begannen, denn Tante Laelia hatte uns zu Ehren ein Feuer auf dem Hausaltar anzünden lassen. Durch den Rauch hindurch erkannte ich die Ahnenbilder unserer Familie, Figuren aus gebranntem Ton, deren vergoldete Wachsmasken sich in den wirbelnden Schwaden zu bewegen schienen.
Hustend und mit fahrigen Handbewegungen begann Tante Laelia wortreich zu erklären, daß wir eigentlich nach altem manilischen Familiengebrauch ein Schwein opfern müßten; da sie jedoch den Tag unserer Ankunft nicht genau gewußt habe, sei es ihr unmöglich gewesen, eines zu beschaffen, und wir müßten daher mit Oliven, Käse und Gemüsesuppe vorliebnehmen. Selbst äße sie schon seit langem kein Fleisch mehr.
Wir besichtigten die Räume des Hauses und sahen Spinnweben in den Winkeln, wir sahen die schäbigen Betten und die anderen, ebenso schlechten Möbel, und bald wurden wir gewahr, daß unsere vornehme, hochgeachtete Tante Laelia in bitterster Armut lebte. Von der Bibliothek des Astronomen Manilius waren nur noch einige von Ratten zernagte Buchrollen übrig, und Tante Laelia mußte gestehen, daß sie sogar eine Porträtbüste an die öffentliche Bibliothek am Fuße des Palatin verkauft hatte. Zuletzt begann sie kläglich zu weinen und rief: »Tadle mich nur, Marcus. Ich bin eine schlechte Wirtschafterin, und das kommt daher, daß ich in meiner Jugend bessere Tage gesehen habe. Ich hätte nicht einmal das Haus behalten können, wenn du mir nicht aus Antiochia Geld geschickt hättest. Unser Geld ist verschwunden. Wie das zuging, kann ich mir selbst nicht erklären, aber für ausgefallene Speisen, Wein und wohlriechende Salben ist es nicht verwendet worden, das mußt du mir glauben. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß sich mein Geschick eines Tages wenden wird, denn dies ist mir geweissagt worden. Du darfst mir nicht zürnen, und du darfst nicht von mir verlangen, daß ich dir über die Gelder, die du mir schicktest, genau Rechenschaft ablege.«
Mein Vater machte sich heftige Vorwürfe und versicherte ihr, daß er nicht nach Rom gekommen sei, um von ihr Rechenschaft zu fordern, und daß er nun bereue, ihr nicht mehr Geld für den Lebensunterhalt und die Pflege des Hauses geschickt zu haben. Doch nun solle alles anders werden, ganz wie man es ihr prophezeit hatte. Er bat Barbus, auszupacken, breitete kostbare orientalische Stoffe auf den Boden aus, schenkte Tante Laelia eine Seidentunika und ein Seidentuch, hängte ihr eine Kette aus edlen Steinen um den Hals und bat sie, in ein Paar weiche rote Lederschuhe zu schlüpfen. Als er ihr noch eine prächtige Perücke gab, weinte sie noch lauter und rief: »Ach Marcus, bist du wirklich so reich! Du bist doch nicht etwa auf unehrliche Weise zu diesen kostbaren Dingen gekommen! Ich glaubte, du seist auf die schiefe Bahn geraten und den Lastern des Ostens verfallen, denen die Römer nur zu leicht erliegen, wenn sie zu lang da draußen bleiben. Daher wurde mir so bang zumute, als ich dein aufgedunsenes Gesicht sah, aber gewiß haben mir nur die Tränen den Blick getrübt. Nun da ich dich mit größerem Gleichmut betrachte, gewöhne ich mich an dein Gesicht und finde, daß es vielleicht nicht so übel aussieht, wie ich zuerst meinte.«
Tante Laelia glaubte und fürchtete in Wirklichkeit, meine Vater sei gekommen, um das Haus zu übernehmen und sie irgendwohin aufs Land zu schicken, wo sie ihre Tage in Armut verbringen müßte. Diese Überzeugung war schon so fest eingewurzelt, daß sie uns mehrmals zu verstehen gab, eine Frau wie sie könne unmöglich anderswo leben und atmen als in Rom. Allmählich faßte sie jedoch ein wenig Mut und erinnerte uns daran, daß sie immerhin die Witwe eines Senators und in vielen der alten Häuser Roms ein gern gesehener Gast sei, obwohl ihr Gemahl Gnaeus Laelius schon zu des Kaisers Tiberius Zeiten Leben und Gut verloren habe.
Ich bat sie, von dem Senator Gnaeus Laelius zu erzählen, aber Tante Laelia hörte meine Bitte mit leicht zur Seite geneigtem Kopf an und fragte dann: »Sag, Marcus, wie ist es möglich, daß dein Sohn unsere Sprache mit einem so furchtbaren syrischen Akzent spricht? Das muß anders werden, sonst lacht ganz Rom über ihn.«
Mein Vater erwiderte unbekümmert, er habe selbst so viel Griechisch und Aramäisch gesprochen, daß sein eigenes Latein gewiß auch fremd klinge, doch Tante Laelia unterbrach ihn und sagte scharf: »Dir wird man es nachsehen, denn du bist alt, und ein jeder wird verstehen, daß du im Kriegsdienst oder bei der Ausübung deiner Ämter in anderen Ländern die Eigentümlichkeiten fremder Sprachen angenommen hast. Du mußt unbedingt einen guten Redner oder Schauspieler anstellen, der Minutus’ Aussprache verbessert. Er muß ins Theater gehen und öffentliche Lesungen besuchen. Kaiser Claudius nimmt es mit der Reinheit der Sprache sehr genau, wenngleich er zuläßt, daß seine Freigelassenen Staatsangelegenheiten in griechischer Sprache bereden, und seine Gemahlin noch ganz andere Dinge treibt, die zu nennen mir meine Schamhaftigkeit verbietet.«
Dann wandte sie sich an mich und sagte: »Mein armer Mann, der Senator Gnaeus, war weder dümmer noch geringer als Claudius, ja Claudius verlobte seinerzeit sogar seinen unmündigen Sohn Drusus mit der Tochter des Präfekten Sejanus und vermählte sich selbst mit seiner Adoptivschwester Aelia. Der Junge war ebenso wirrköpfig wie sein Vater und erstickte später an einer Birne. Ich denke, daß mein verstorbener Gemahl ebenso nach Sejanus’ Gunst strebte und dem Staat damit zu dienen glaubte. Du, Marcus, warst doch irgendwie in die Intrigen dieses Sejanus verwickelt, denn kurz bevor die Verschwörung aufgedeckt wurde, warst du ganz plötzlich aus Rom verschwunden, und man hörte jahrelang nichts mehr von dir. Deshalb wurdest du auch von unserem lieben Kaiser Gajus aus der Rolle der Ritter gestrichen, ja, aus keinem andern Grunde, als weil niemand mehr etwas von dir wußte. ›Ich weiß auch nicht, wo er steckt‹, sagte er scherzend und zog einen Strich durch deinen Namen. So hat man es mir jedenfalls berichtet, aber vielleicht wollten die, die es mir hinterbrachten, meine Gefühle schonen und nicht alles verraten, was sie wußten.«
Mein Vater antwortete steif, er werde gleich am nächsten Tag ins Reichsarchiv gehen, um nachprüfen zu lassen, warum sein Name aus der Rolle der Ritter getilgt worden sei. Tante Laelia schien davon nicht sehr erbaut zu sein und fragte, ob es nicht das beste wäre, diese alten Dinge ruhen zu lassen. Wenn Kaiser Claudius getrunken habe, sei er reizbar und launisch, obwohl man zugeben müsse, daß er so manchen politischen Mißgriff des Kaisers Gajus wiedergutgemacht habe.
»Ich verstehe allerdings, daß wir um Minutus’ willen alles tun müssen, um die Ehre unserer Familie wiederherzustellen«, räumte sie ein. »Der rascheste Weg dazu wäre, Minutus die Männertoga zu geben und es so einzurichten, daß er Valeria Messalina vor die Augen kommt. Die junge Kaiserin hat großes Wohlgefallen an Jünglingen, die eben erst die Männertoga angelegt haben, und lädt sie gern in ihre Gemächer ein, um sie über ihre Herkunft und ihre Zukunftshoffnungen auszufragen. Wenn ich nicht so stolz wäre, könnte ich die Hündin um eine Audienz für Minutus bitten, aber ich muß befürchten, daß sie mich gar nicht empfängt, denn sie weiß nur zu gut, daß ich die liebste Jugendfreundin der Mutter unseres Kaisers Claudius war. Zugleich gehörte ich zu den wenigen vornehmen Römerinnen, die Agrippina und der jungen Julia halfen, den Leichnam ihres armen Bruders einigermaßen geziemend zu bestatten, nachdem die Mädchen aus der Verbannung heimgekehrt waren. Der arme Gajus wurde auf so grausame Weise ermordet, und dann unterstützten die Juden Claudius mit Geld, damit er Kaiser werden konnte. Agrippina hatte Glück und konnte sich einen reichen Mann angeln, aber Julia wurde zum zweitenmal aus Rom verbannt, weil Messalina der Ansicht war, sie treibe sich ein wenig zuviel in der Nähe ihres Onkels Claudius herum. Wegen dieser beiden munteren Mädchen hat so mancher Rom verlassen müssen. Ich entsinne mich noch eines gewissen Tigellinus, der zwar ungebildet war, aber unter allen Jünglingen Roms die schönste Gestalt hatte. Er machte sich übrigens nicht viel aus der Verbannung, sondern gründete eine Fischerei und soll neuerdings Rennpferde züchten. Dann war da noch ein spanischer Philosoph, Seneca, der viele Bücher schrieb. Er hatte ein Verhältnis mit Julia, obwohl er an der Schwindsucht litt. Nun schmachtet er schon seit mehreren Jahren auf Korsika in der Verbannung. Messalina fand, es zieme sich nicht, daß Claudius’ Nichten, und sei es nur im geheimen, Unzucht trieben. Im übrigen ist jetzt nur noch Agrippina am Leben.«
Als sie endlich Atem holte, hatte mein Vater Gelegenheit, taktvoll anzudeuten, daß es das beste sei, wenn Tante Laelia vorerst nichts unternähme, um mir zu helfen. Er wolle die Sache selbst in die Hand nehmen und zu Ende bringen, ohne daß sich eine Frau einmischte. Von weiblicher Einmischung habe er schon in seiner Jugend genug und übergenug zu spüren bekommen, schloß er bitter.
Tante Laelia wollte etwas sagen, warf dann jedoch einen Blick auf mich und zog es vor, zu schweigen. Wir konnten uns endlich den Oliven, dem Käse und der Gemüsesuppe widmen. Mein Vater sah darauf, daß wir nicht alles aufaßen, sondern sogar von dem faustgroßen Stück Käse etwas übrigließen, denn sonst hätten die beiden alten Sklaven des Hauses gewiß hungern müssen. Ich für meinen Teil verstand es nicht, da ich daheim in Antiochia die besten Bissen bekommen hatte und immer noch genug für die Hausgenossen und die Armen, die sich in meines Vaters Nähe hielten, übriggeblieben war.
Tags darauf stellte mein Vater einen Baumeister an, der den alten Familiensitz gründlich instand setzen sollte, und zugleich erhielten einige Gärtner den Auftrag, sich des ungepflegten, verwilderten Gartens anzunehmen. Es wuchs darin eine mehr als hundertjährige Sykomore. Sie war von einem Manilius gepflanzt worden, der später von Marius’ Leuten auf offener Straße ermordet wurde. Einige andere uralte Bäume standen nahe beim Haus, und mein Vater war sehr darauf bedacht, daß sie keinen Schaden litten. Auch das kleine, ein wenig in den Boden eingesunkene Haus ließ er äußerlich so wenig verändern wie nur möglich, und er erklärte mir auch den Grund dafür: »Du wirst in Rom viel Marmor und anderen Luxus sehen, aber wenn du einmal erwachsen bist, wirst du verstehen, daß das, was ich hier tue, der allergrößte Luxus ist. Solche uralten Bäume kann sich selbst der reichste Emporkömmling nicht ums Haus stellen, und das altertümliche Aussehen unseres Hauses ist mehr wert als aller Säulenschmuck.«
Seine Gedanken gingen in die Vergangenheit zurück, und seine Miene verdüsterte sich, als er fortfuhr: »Einst in Damaskus hatte ich selbst die Absicht, mir ein einfaches Haus bauen zu lassen und darum herum Bäume zu pflanzen, um dort mit deiner Mutter Myrina in der Stille zu leben. Nach ihrem Tod bemächtigte sich meiner jedoch eine so tiefe Verzweiflung, daß mir viele Jahre hindurch nichts mehr etwas bedeuten konnte. Vielleicht würde ich mir das Leben genommen haben, wenn meine Pflichten dir gegenüber mich nicht gezwungen hätten, weiterzuleben. Und einmal hat mir sogar ein Fischer am Ufer des Galiläischen Meeres etwas verheißen, was mich immer wieder mit Neugier erfüllt, obwohl ich mich daran nur noch wie an einen Traum erinnere.«
Von dieser Verheißung wollte mein Vater nicht weiter sprechen. Statt dessen sagte er, daß er sich nun mit diesen alten Bäumen begnügen müsse, da ihm die Freude nicht vergönnt gewesen sei, selbst welche zu pflanzen und wachsen zu sehen.
Während sich die Bauarbeiter und der Architekt mit dem Haus beschäftigten und mein Vater von morgens bis abends Besuche in der Stadt machte, um seine Angelegenheiten zu regeln, streiften Barbus und ich unermüdlich durch Rom und betrachteten seine Sehenswürdigkeiten und die Menschen auf den Straßen. Kaiser Claudius ließ alle alten Tempel und Denkmäler nach bestem Vermögen für die Jahrhundertfeier herrichten und hielt Priester und Gelehrte dazu an, alle Sagen und Überlieferungen, die sich daran knüpften, sorgfältig zu sammeln und den Bedürfnissen unserer Zeit anzupassen. Die Kaiserpaläste auf dem Palatin, der Tempel auf dem Kapitolinischen Hügel, die Bäder und Theater Roms machten mir, für sich selbst betrachtet, keinen großen Eindruck, denn ich war in Antiochia aufgewachsen, wo man nicht minder kostspielige und sogar noch größere öffentliche Bauten zu sehen bekommt, ja im Grunde war Rom mit seinen krummen Gassen und steilen Hügeln eine viel zu enge Stadt für jemanden, der wie ich die breiten, geraden Straßen Antiochias gewohnt war.
Ein Bauwerk gab es jedoch, das mich durch seine Großartigkeit und durch die Erinnerungen, die es weckte, zu erschüttern vermochte, und das war das ungeheure runde Mausoleum des Gottes Augustus auf dem Marsfeld. Rund war es, weil die heiligsten Tempel Roms rund waren, zum Andenken an die alten Zeiten, da die Römer in runden Hütten wohnten. Die schlichte Größe dieses Mausoleums dünkte mich eines Gottes und des größten Herrschers aller Zeiten würdig, und ich wurde es nie müde, die Gedenkinschriften zu lesen, welche die Taten festhielten, durch die Augustus den Staat gefördert hatte. Barbus war von diesen Inschriften weniger angetan. Er sagte, er habe während seiner Jahre in der Legion gelernt, allen Inschriften zu mißtrauen, da sie gewöhnlich mehr verschwiegen als sagten. Eine Niederlage könne in einen Sieg umgefälscht werden und ein politischer Irrtum in einen Akt der Staatsklugheit. Er versicherte mir, er könne zwischen den Zeilen der Grabinschrift des Gottes Augustus das Verderben ganzer Legionen, den Untergang Hunderter von Kriegsschiffen und die ungezählten Morde des Bürgerkrieges lesen.
Er war zu einer Zeit geboren worden, da Augustus längst Frieden und Ordnung im Reiche wiederhergestellt und die Macht Roms gefestigt hatte, aber sein Vater hatte ihm wenig über den kleinlich berechnenden Augustus und dafür um so mehr über den gefeierten Antonius erzählt, der manchmal so berauscht auf die Rednertribüne auf dem Forum stieg, daß er sich während der Rede, von seinen eigenen Worten erregt, in einen Eimer erbrechen mußte, den er neben sich stehen hatte. Das war zu der Zeit, da man noch öffentlich das Volk aufrief. Augustus hatte zwar während seiner allzu langen Regierungszeit die Achtung des Senates und des Volkes gewonnen, aber das Leben in Rom war, wenn man Barbus’ Vater glauben will, langweilig geworden. Gemocht hatte den vorsichtigen Augustus eigentlich niemand, während man den waghalsigen Antonius gerade wegen seiner Fehler und seines großartigen Leichtsinns geliebt hatte. Doch ich kannte Barbus’ Geschichten, die mein Vater, hätte er sie gehört, als für meine Ohren unpassend betrachtet haben würde, schon zur Genüge. Das Mausoleum des Augustus beeindruckte mich durch seine göttlich einfache Größe, und wir wanderten immer und immer wieder durch ganz Rom, um es zu betrachten. Noch etwas anderes lockte mich allerdings zum Marsfeld, und das war der Reitplatz der römischen Knaben und Jünglinge, auf dem die Söhne der Senatoren und Ritter schon fleißig für die Reiterspiele zur Jahrhundertfeier übten. Neidisch sah ich zu, wie sie sich gruppierten, wieder auseinanderritten und sich auf ein Hornsignal zu neuen Gruppen zusammenschlossen. Ich kannte das alles und wußte, daß ich ein Pferd ebensogut, wenn nicht besser, zu reiten verstand.
Unter den Zuschauern befanden sich auch immer einige besorgte Mütter, denn die vornehmen Reiter waren zwischen sieben und fünfzehn Jahre alt. Selbstverständlich taten sie so, als sähen sie ihre Mütter nicht, und schnaubten zornig, wenn einer der Kleinsten von seinem Pferde fiel und seine erschrockene Mutter mit flatterndem Mantel zu ihm hinstürzte, um ihn vor den Hufen des Pferdes zu retten. Die Kleinsten bekamen allerdings sehr zahme, gut dressierte Reittiere, die sofort stehenblieben, um den aus dem Sattel Gefallenen zu schützen. Nein, was diese römischen Edlen ritten, das waren wahrhaftig keine wilden Streitrösser. Wir hatten in Antiochia feurigere Pferde gehabt.
Einmal sah ich unter den Zuschauern Valeria Messalina mit ihrem glänzenden Gefolge und betrachtete sie neugierig. In ihre Nähe konnte ich freilich nicht gelangen, und aus der Ferne gesehen erschien sie mir nicht so berückend schön, wie man sie mir geschildert hatte. Ihr siebenjähriger Sohn, dem Kaiser Claudius zum Andenken an seine Siege in Britannien den Namen Britannicus gegeben hatte, war ein schmächtiges, bleiches Bürschchen, das offensichtlich vor dem Pferd, das es ritt, Angst hatte. Er hätte eigentlich auf Grund seiner Herkunft diese Wettkämpfe anführen müssen, doch das war unmöglich, denn sobald er sich aufs Pferd setzte, schwollen seine Züge an, und seine Augen begannen zu tränen. Nach jeder Reitübung war sein Kindergesicht von einem brandroten Hautausschlag bedeckt, und er konnte mit seinen aus den Höhlen getretenen Augen kaum ein paar Schritte weit sehen.
Unter dem Vorwand, daß Britannicus zu jung sei, ernannte Claudius den Sohn seiner Nichte Domitia Agrippina, Lucius Domitius, zum Anführer der Reiterschar. Lucius war noch keine zehn Jahre alt, aber er war der genaue Widerpart des schüchternen Britannicus, sehr kräftig für sein Alter und ein unerschrockener Reiter. Nach den Übungen blieb er oft allein auf dem Platz zurück und führte waghalsige Kunststücke vor, um den Beifall der Zuschauer zu gewinnen. Von den Domitiern hatte er das rötliche Haar geerbt. Daher nahm er während der Übungen gern den Schutzhelm ab, um den Leuten zu zeigen, daß er einem Geschlecht von Gewalttätern entstammte. Mehr als um der Domitier willen bewunderten und rühmten ihn jedoch die Leute darum, daß er der Sohn der Schwester des Kaisers Gajus war, so daß in seinen Adern sowohl das Blut Julias, der Tochter Julius Caesars, als auch das des Marcus Antonius floß. Sogar Barbus ereiferte sich, wenn er ihn sah, und rief ihm mit seiner rauhen Stimme, die jedesmal brüllendes Gelächter unter den Umstehenden auslöste, freundliche, wenn auch unflätige Scherzworte zu.
Es hieß, seine Mutter Agrippina wage es nicht, wie die anderen Mütter zu den Reitübungen zu kommen, weil sie Valeria Messalinas krankhafte Eifersucht fürchte und sich überhaupt, des Schicksals ihrer Schwester eingedenk, so selten wie möglich in der Öffentlichkeit zeige. Doch Lucius Domitius bedurfte des Schutzes seiner Mutter nicht. Er gewann die Bewunderung der Zuschauer durch sein jungenhaft frisches Auftreten. Er beherrschte seinen Körper gut und bewegte sich mit Anmut, seine Augen blickten kühn, und die älteren Kameraden schienen nicht eifersüchtig zu sein, sondern fügten sich willig seinem Befehl.
Sehnsüchtig stand ich oft, an die blankgewetzte Einzäunung gelehnt und sah den Reitern zu. Doch mein Müßiggang fand bald ein Ende. Mein Vater beschaffte mir einen trübseligen, übellaunigen Lehrer der Beredsamkeit, der jedes Wort, das ich sagte, spöttisch berichtigte und mich wie absichtlich nur aus langweiligen Büchern vorlesen ließ, die Selbstbeherrschung, Bescheidenheit und andere Mannestugenden lehrten. Mein Vater hatte offenbar die besondere Gabe, lauter Lehrer ausfindig zu machen, die mich um den Verstand brachten.
Während das Haus repariert wurde, bewohnten Barbus und ich ein Zimmer im oberen Stockwerk, das nach Weihrauch roch und auf dessen Wänden magische Zeichen zu sehen waren. Ich beachtete sie nicht weiter, da ich annahm, sie stammten noch aus der Zeit des Astronomen Manilius, aber sie bewirkten, daß ich immer schlechter schlief und böse Träume hatte, so daß ich bald von meinen eigenen Schreien erwachte, bald von Barbus geweckt werden mußte, weil ich, von einem Mahr heimgesucht, laut stöhnte. Mein Rhetor wurde des Lärms und der Hammerschläge, die das Haus erfüllten, bald müde und nahm mich in die Vorlesungssäle der Thermen mit.
Seine mageren Glieder und sein runder, gelblicher Bauch stießen mich ab, und noch größere Abscheu empfand ich, wenn er mitten in seinen spöttischen Reden plötzlich schmeichelnd meine Arme zu streicheln begann und sagte, ich hätte in Antiochia gewiß mit der griechischen Liebe Bekanntschaft gemacht. Er wollte, daß ich, solange die Arbeiten in unserem Haus andauerten, bei ihm wohnte, in einem schäbigen Mietshaus in Suburra, wo er im obersten Stockwerk ein Zimmer hatte, das man nur über eine Leiter erreichen konnte. Dort, meinte er, wäre es ihm möglich, mich ganz ungestört zu unterrichten und in ein Leben der Weisheit einzuführen.
Barbus durchschaute seine Absichten. Er gab ihm zuerst eine ernste Warnung und dann, als diese nichts fruchtete, eine Tracht Prügel, die den Weisen so einschüchterte, daß er sich nie wieder blicken ließ und sich nicht einmal traute, meinen Vater um seinen Lohn zu bitten. Andrerseits wagten wir beide nicht, meinem Vater den wahren Grund für sein merkwürdiges Verschwinden zu verraten. Daher glaubte dieser, ich hätte einen hervorragenden Lehrer durch meine Widersetzlichkeit vergrämt und schließlich gar verscheucht.
Wir bekamen deshalb Streit miteinander, und ich rief trotzig: »Gib mir lieber ein Pferd, damit ich mit anderen jungen Männern Bekanntschaft schließen und mit meinesgleichen verkehren kann, um zu lernen, was in Rom Sitte und Brauch ist.«
»Ein Pferd hat dich schon in Antiochia ins Unglück gebracht«, erwiderte darauf mein Vater. »Kaiser Claudius hat eine sehr vernünftige Verordnung erlassen, wonach ein alter oder sonstwie gebrechlicher Senator oder Ritter bei den Standesaufmärschen sein Pferd am Zügel führen darf, ohne aufsitzen zu müssen. Sogar den für ein Amt erforderlichen Waffendienst braucht man nicht mehr wirklich abzuleisten.«
»O Zeiten! O Sitten!« sagte ich boshaft. »Dann gib mir wenigstens soviel Geld, wie ich brauche, um mir unter Schauspielern, Musikern und Wagenlenkern aus dem Zirkus Freunde zu machen. Wenn ich mich an dergleichen Leute halte, lerne ich auch die verweichlichten jungen Römer kennen, die sich vor dem Waffendienst drücken.«
Aber auch davon wollte mein Vater nichts wissen. »Tante Laelia hat mich schon gewarnt und mir vorgehalten, ein Jüngling wie du dürfe nicht zu lange die Gesellschaft Gleichaltriger entbehren«, gab er jedoch immerhin zu und fuhr fort: »Bei meinen Geschäften habe ich einige Schiffsreeder und Getreidehändler kennengelernt. Jetzt, nach der Hungersnot, läßt Kaiser Claudius in Ostia einen neuen Hafen ausbauen, und er zahlt eine Entschädigung für jedes Schiff, das mit einer Getreideladung an Bord sinkt. Auf Anraten Marcius’ des Fischers habe ich Anteile an diesen Schiffen erworben, da man nun keine Verluste mehr zu befürchten braucht, und manch einer hat sich schon ein Vermögen damit gemacht, daß er alte, längst untaugliche Schiffe wieder ausrüstete und in See schickte. Ich kenne jedoch den Lebenswandel dieser Emporkömmlinge und verspüre keine Lust, dich mit ihren Söhnen bekannt zu machen.«
Ich hatte immer mehr das Gefühl, daß er selbst nicht wußte, was er eigentlich wollte. »Bist du denn nach Rom gekommen, um reich zu werden?« fragte ich.
Mein Vater wurde zornig und antwortete heftig: »Du solltest am besten wissen, daß ich mir nichts sehnlicher wünsche als ein einfaches Leben fern den Geschäften, aber meine Freigelassenen haben mich gelehrt, daß es ein Verbrechen gegen den Staat und das Gemeinwohl ist, seine Goldmünzen in Beuteln und Truhen zu horten. Außerdem will ich noch mehr Land in Caere kaufen, wo meine eigentliche Familie herstammt, denn Manilier sind wir nur durch Adoption, das darfst du nie vergessen.«
Er sah mir mit seinem kummervollen Blick in die Augen und sagte: »Du hast, ebenso wie ich, eine Falte in den Augenwinkeln, und das ist das Zeichen unserer wirklichen Herkunft. Ich habe im Reichsarchiv nachgeforscht und mit eigenen Augen die Ritterrolle aus Kaiser Gajus’ Zeiten gesehen, aber es findet sich kein Vermerk neben meinem Namen. Er ist nur mit einer gezackten Linie durchgestrichen. Gajus’ Hände zitterten nämlich stark wegen seiner Krankheit. Es gibt auch kein Gerichtsurteil und keine Anklage gegen mich. Warum ist mein Name getilgt worden? Weil ich so lange abwesend war? Ich weiß es nicht. Der Prokurator Pontius Pilatus fiel vor zehn Jahren selbst in Ungnade, verlor sein Amt und wurde nach Galiläa versetzt. Aber Kaiser Claudius hat noch ein Geheimarchiv, und darin kann natürlich irgend etwas für mich Nachteiliges aufgezeichnet sein. Ich bin mit seinem Freigelassenen Felix zusammengetroffen, der sich für die Angelegenheiten Judäas interessiert. Er hat mir versprochen, er werde bei passender Gelegenheit versuchen, von Narcissus, dem Privatsekretär des Kaisers, Näheres über meinen Fall zu erfahren. Ich hätte diesen einflußreichen Mann gern selbst gesprochen, aber er soll so anmaßend sein, daß es zehntausend Sesterze kostet, nur zu ihm vorgelassen zu werden. Es ist mir nicht um das Geld zu tun, aber ich möchte ihn um meiner eigenen Ehre willen nicht geradezu bestechen müssen.«
Mein Vater berichtete weiter, er habe sich alles, was über Kaiser Claudius erzählt werde, Gutes wie Böses, aufmerksam angehört und gut gemerkt. Letzten Endes hänge es vom Kaiser selbst ab, ob unser Name wieder in die Ritterrolle eingetragen werde oder nicht, und Claudius sei mit zunehmendem Alter so launisch geworden, daß er bisweilen wegen eines plötzlichen Einfalls oder eines Omens imstande sei, die wohlüberlegteste Entscheidung wieder umzustoßen. Auch könne er mitten in einer Senatssitzung oder einem Prozeß unversehens einschlafen und vergessen, wovon die Rede war. Während seiner Wartezeit hatte mein Vater die Gelegenheit genützt und alle Werke gelesen, die Kaiser Claudius geschrieben hatte, sogar dessen Lehrbuch des Würfelspiels.
»Kaiser Claudius ist einer der wenigen Römer, die noch die Sprache der Etrusker sprechen und ihre Schrift lesen können«, erklärte mir mein Vater. »Wenn du mir eine Freude machen willst, dann gehst du in die öffentliche Bibliothek beim Palatin und bittest, das Buch lesen zu dürfen, das er über die Geschichte der Etrusker geschrieben hat. Es besteht aus mehreren Rollen, aber es ist darum nicht langweilig. Es erklärt sogar die Wörter, die von den Opferpriestern bei den Ritualen gebraucht werden und bisher einfach auswendig gelernt werden mußten. Dann reisen wir nach Caere und besichtigen unsere Güter, die ich selbst noch nie gesehen habe. Dort sollst du dann auch ein Pferd haben und reiten.«
Der Rat meines Vaters machte mich nur noch trauriger, und am liebsten hätte ich mir auf die Lippen gebissen und geweint. Als er gegangen war, zwinkerte mir Barbus listig zu und sagte: »Wie seltsam, daß so viele Männer schon in ihren mittleren Jahren vergessen, wie es ist, wenn man jung ist. Ich für mein Teil erinnere mich noch sehr gut, daß ich in deinem Alter oft ohne Anlaß weinen mußte und schlimme Träume hatte. Ich weiß, wie dir zu helfen wäre und wie du deine Sinnesruhe und deinen guten Schlaf zurückerlangen könntest, aber deines Vaters wegen werde ich mich hüten, dir irgendwelche Vorschläge zu machen.«
Auch Tante Laelia musterte mich immer häufiger mit sorgenvoller Miene, und eines Tages rief sie mich zu sich, blickte sich vorsichtig um und sagte: »Wenn du mir gelobst und schwörst, daß du deinem Vater nichts verrätst, will ich dir ein Geheimnis anvertrauen.«
Ich versprach aus reiner Höflichkeit, zu schweigen, obwohl ich innerlich lachen mußte, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß Tante Laelia tatsächlich im Besitze irgendeines Geheimnisses sein sollte. Darin täuschte ich mich allerdings, denn sie erzählte mir das folgende: »In dem Zimmer, in dem du schläfst, wohnte lange Zeit ein jüdischer Zauberer namens Simon als mein Gast. Er selbst behauptete zwar, Samariter zu sein, aber das sind doch auch Juden, nicht wahr? Sein Weihrauch und seine magischen Zeichen sind es, die deinen Schlaf stören. Er kam vor einigen Jahren nach Rom und stand bald in dem Ruf eines Heilers, Wahrsagers und Wundertäters. Der Senator Marcellus beherbergte ihn in seinem Haus und ließ ihm sogar eine Statue errichten, denn er glaubte, Simon besitze göttliche Kräfte, was dieser auch bewiesen hat! Einmal versenkte er einen jungen Sklaven in Todesschlaf und erweckte ihn dann wieder von den Toten, obwohl der Knabe schon kalt gewesen war und nicht das geringste Lebenszeichen mehr von sich gegeben hatte. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Gewiß, gewiß«, sagte ich. »Aber ich habe in Antiochia von den Juden genug bekommen.«
»Mag sein«, unterbrach mich Tante Laelia eifrig. »Aber laß mich weitererzählen: Die anderen Juden, die drüben auf der anderen Seite des Flusses und auch diejenigen, die hier auf dem Aventin wohnen, waren auf Simon den Zauberer eifersüchtig. Er konnte sich nämlich unsichtbar machen und fliegen. Deshalb ließen die Juden einen anderen Zauberer kommen, der auch Simon heißt. Die beiden Zauberer sollten ihre Kräfte messen. Simon, ich will sagen mein Simon, bat die Zuschauer, eine kleine Wolke genau zu betrachten, und plötzlich war er verschwunden. Als er sich wieder zeigte, kam er aus der Wolke über dem Forum geflogen. Da rief aber der andere Jude mit lauter Stimme seinen Götzen Christus an, und Simon stürzte mitten im Fluge ab und brach sich ein Bein. Er nahm es sich sehr zu Herzen, ließ sich aus der Stadt tragen und versteckte sich, während sein Bein heilte, auf dem Lande, bis der andere Simon aus der Stadt verschwand, nachdem er ebenfalls Kranke geheilt hatte. Simon der Zauberer kehrte mit seiner Tochter zurück, und da er keine besser gestellten Gönner mehr hatte, ließ ich ihn bei mir wohnen. Er blieb, solange ich noch Geld hatte, doch dann zog er in ein Haus beim Tempel der Mondgöttin, wo er seine Kunden empfängt. Er fliegt nicht mehr, und er erweckt auch keine Toten mehr, aber seine Tochter verdient sich ihren Unterhalt als Mondpriesterin, und viele Vornehme lassen sich von ihr weissagen, und Simon schafft verschwundene Gegenstände wieder herbei.«
»Warum erzählst du mir dies alles?« fragte ich mißtrauisch.
Tante Laelia rang die Hände und sagte verlegen: »Ich sehne mich so nach Simon dem Zauberer, aber er empfängt mich nicht mehr, weil ich kein Geld mehr habe, und deines Vaters wegen. Ich glaube aber, daß er dich von deinen bösen Träumen heilen und deine Ruhelosigkeit lindern könnte. Ganz gewiß aber könnte er dir mit Hilfe seiner Tochter weissagen und dir raten, was du essen sollst und was dir nicht bekommt, welche Tage deine Glückstage sind und an welchen du dich vorsehen mußt. Mir, zum Beispiel, verbot er, Erbsen zu essen, und seither wird mir übel, sobald ich Erbsen sehe, und wären es nur getrocknete.«
Mein Vater hat mir ein paar Goldmünzen geschenkt, einerseits um mich zu trösten und andrerseits, damit ich die Geschichte der Etrusker läse. Ich hielt Tante Laelia für eine arme alte Frau, der sich schon der Verstand verwirrte und die zu Aberglauben und Zauberei Zuflucht nahm, weil ihr das Leben sonst nicht viel Freude bescherte, aber ich gönnte ihr diesen Zeitvertreib gern und fand den samaritischen Zauberer und seine Tochter immer noch interessanter als die staubige Bibliothek, in der alte Mummelgreise herumhockten und ohne Unterlaß mit trockenen Buchrollen raschelten. Auch war es, im Hinblick auf ein gewisses Gelübde, das ich in Daphne abgelegt hatte, an der Zeit, daß ich den Tempel der Mondgöttin kennenlernte.
Als ich Tante Laelia versprach, mit ihr zu dem Zauberer zu gehen, geriet sie vor Freude außer sich, kleidete sich in Seide, salbte und schminkte ihr welkes Gesicht, setzte sich die rote Perücke auf, die mein Vater ihr geschenkt hatte, und legte sich die Edelsteinkette um ihren mageren Hals. Barbus beschwor sie bei allen Göttern, doch wenigstens ihr Haupt zu bedecken, sonst könnten die Leute auf der Straße sie für eine Bordellmutter halten. Tante Laelia nahm ihm diese Worte nicht übel. Sie drohte ihm nur mit dem Zeigefinger und verbot ihm, mitzukommen. Doch Barbus hatte meinem Vater versprochen, mich in Rom niemals aus den Augen zu lassen, und zuletzt einigten wir uns darauf, daß er bis zum Tempel mitgehen dürfe, dann aber draußen warten müsse.
Der Tempel der Mondgöttin auf dem Aventin ist so uralt, daß alle Sagen, die einst über ihn, wie über den jüngeren Dianatempel, berichtet wurden, erloschen sind. Man weiß noch, daß der König Servius Tullius ihn ursprünglich aus kostbaren Hölzern errichten ließ. Später baute man um den runden Holztempel herum einen aus Stein. Das Innerste dieses Tempels ist so heilig, daß es dort keinen Steinboden gibt, sondern nur einen aus festgestampfter Erde. Abgesehen von den Weihgeschenken finden sich darin keine anderen heiligen Gegenstände als ein großes Ei aus Stein, dessen Oberfläche von Öl und Salben ganz schwarz und glatt geworden ist. Tritt man ins Halbdunkel des Tempels, so fühlt man jenen heiligen Schauder, den nur sehr alte Tempel zu erwecken vermögen. Ich selbst hatte Ähnliches bisher nur im Saturntempel empfunden, der von allen Tempeln in Rom der älteste, furchtgebietendste und heiligste ist. Er ist der Tempel der Zeit, und noch immer schlägt an einem bestimmten Tag im Jahr der oberste Priester, der gewöhnlich der Kaiser selbst ist, einen Kupfernagel in den Eichenpfahl, der in seiner Mitte steht.
Im Tempel der Mondgöttin sah ich keine heilige Säule, sondern nur das Ei aus Stein. Neben diesem Ei, auf einem dreibeinigen Schemel, saß so regungslos, daß ich sie im Dunkeln zuerst für eine Statue hielt, eine leichenblasse Frau. Tante Laelia sprach sie mit vor Unterwürfigkeit winselnder Stimme an, nannte sie Helena und kaufte von ihr heiliges Öl, um das steinerne Ei damit zu beträufeln. Als sie das Öl niedertropfen ließ, murmelte sie eine Zauberformel, die nur Frauen lernen dürfen. Männern nützt es nichts, diesem Ei zu opfern. Während Tante Laelia ihr Opfer vollzog, betrachtete ich die Weihegeschenke und bemerkte zu meiner Freude, daß sich darunter mehrere kleine runde silberne Büchsen befanden. Ich wurde nämlich schamrot bei dem Gedanken an das, was ich der Mondgöttin zu opfern gelobt hatte, und nahm mir vor, es in einer geschlossenen Büchse in den Tempel zu bringen, wenn die Zeit gekommen war.
Doch nun wandte sich die bleiche Frau zu mir, betrachtete mich mit ihren furchtgebietenden schwarzen Augen, lächelte und sagte: »Erröte nicht wegen deiner Gedanken, schöner Jüngling. Die Mondgöttin ist mächtiger, als du glaubst. Wenn du ihre Gunst erwirbst, erhältst du eine Macht, die dir unvergleichlich mehr nützt als des Mars rohe Kraft und der Minerva unfruchtbare Weisheit.«
Ihr Latein hatte einen fremden Klang, und daher war mir, als hätte sie in irgendeiner uralten, vergessenen Sprache zu mir gesprochen. Ihr Antlitz wurde immer größer vor meinen Augen, so als ginge ein verborgenes Mondlicht von ihm aus, und als sie lächelte, sah ich, daß sie trotz ihrer Blässe schön war. Tante Laelia sprach zu ihr und winselte und miaute so, daß ich plötzlich fand, sie gleiche einer mageren Katze, die schmeichelnd um das steinere Ei strich.
»Nein, nein, nicht einer Katze«, sagte die Priesterin noch immer lächelnd. »Einer Löwin. Siehst du es nicht? Was hast du mit Löwen zu schaffen, Knabe?«
Ihre Worte erschreckten mich sehr, denn für einen ganz kurzen Augenblick glaubte ich wirklich, dort, wo Tante Laelia stand, eine magere, traurige Löwin zu erblicken, die mich geradeso vorwurfsvoll ansah wie der alte Löwe vor Antiochia, als ich ihn mit meiner Lanze in die Hinterpranke stach. Das Gesicht verschwand jedoch sofort, als ich mir mit der Hand über die Stirn fuhr.
»Ist dein Vater zu Hause, und glaubst du, daß er uns empfangen wird?« fragte Tante Laelia.
»Mein Vater Simon hat gefastet und ist in mancherlei Länder entschwunden, um sich denen zu offenbaren, die seine göttliche Kraft ehren«, antwortete die Priesterin Helena. »Aber ich weiß, daß er in diesem Augenblick gerade wach ist und euch beide erwartet.«
Sie führte uns durch eine Hintertür aus dem Tempel und zu einem wenige Schritte entfernten hohen Mietshaus, in dessen Erdgeschoß ein Laden für heilige Reiseandenken ausgerichtet war. Es gab da sowohl billige als auch teure Monde und Sterne aus Kupfer und ganz kleine glattpolierte Eier aus Stein. Die Priesterin Helena sah auf einmal ganz alltäglich aus. Ihr schmales Gesicht färbte sich gelblich, und ihr weißer Mantel war schmutzig und roch widerlich nach altem Weihrauch. Ich sah nun auch, daß sie nicht mehr jung war.
Sie führte uns durch den Laden in ein unaufgeräumtes Hinterzimmer, in dem ein schwarzbärtiger Mann mit einer kräftigen Nase auf einer Matte auf dem Boden saß. Er blickte uns aus trüben Augen entgegen, so als weilte er noch in anderen Welten, stand dann aber mit ungeschickten Bewegungen auf, um Tante Laelia zu begrüßen.
»Ich unterhielt mich gerade mit einem äthiopischen Zauberer«, sagte er mit überraschend dumpfer Stimme. »Aber ich fühlte, daß du auf dem Wege zu mir warst. Warum störst du mich, Laelia Manilia? An deinem Seidentuch und deiner Halskette erkenne ich, daß du all das Gute, das ich dir geweissagt habe, schon bekommen hast. Was willst du noch?«
Tante Laelia antwortete schüchtern, daß ich in dem Zimmer schliefe, in dem er, Simon, solang gewohnt hatte, und daß ich nachts böse Träume hatte, mit den Zähnen knirschte und im Schlaf aufschrie. Sie wollte die Ursache dafür und womöglich auch ein Heilmittel wissen.
»Ich schuldete dir außerdem noch Geld, liebster Simon, als du voll Bitterkeit mein Haus verließest«, sagte sie und bat mich, dem Zauberer drei Goldstücke zu geben.
Simon der Zauberer nahm das Geld jedoch nicht selbst entgegen, sondern deutete nur mit dem Kopf auf seine Tochter, sofern die Mondpriesterin Helena seine Tochter war, und die steckte die Münzen gleichgültig zu sich. Drei römische Aurei sind immerhin dreihundert Sesterze oder fünfundsiebzig Silberstücke, und deshalb ärgerte ich mich über ihren Hochmut.
Der Zauberer setzte sich wieder auf seine Matte und bat mich, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Die Priesterin Helena warf einige Körnchen Weihrauch in das Glutbecken. »Ich hörte, du brachst dir ein Bein, als du flogst«, sagte ich höflich, da der Zauberer mich nur schweigend anstarrte.
»Ich hatte einen Turm jenseits des Meeres in Samaria«, begann er mit eintöniger Stimme, aber Tante Laelia wurde ungeduldig, wandte sich hin und her und sagte flehend: »Ach Simon, willst du nicht über mich gebieten wie früher!«
Der Zauberer hielt den Zeigefinger in die Luft. Tante Laelia starrte darauf und rührte sich nicht mehr. Ohne sie anzusehen, sagte Simon: »Du kannst den Kopf nicht mehr drehen, Laelia Manilia. Stör uns nicht, sondern geh und bade in der Quelle, die du kennst. Wenn du ins Wasser tauchst, wirst du große Wonne empfinden und dich verjüngen.«
Tante Laelia blieb jedoch, wo sie war. Sie stand und starrte nur dumm vor sich hin und machte einige Bewegungen, als zöge sie sich aus. Simon der Zauberer blickte mich wieder an und fuhr fort: »Ich hatte einen Turm aus Stein. Der Mond und alle fünf Planeten dienten mir, und meine Kraft war göttlich. Die Mondgöttin nahm Menschengestalt an und wurde meine Tochter. Mit ihrer Hilfe konnte ich in die Vergangenheit und in die Zukunft schauen. Dann aber kamen Zauberer aus Galiläa, deren Macht größer war als meine. Sie brauchten einem nur die Hände aufs Haupt zu legen, und schon begann er mit Zungen zu reden und der Geist kam über ihn. Ich war noch jung und wollte alle Künste erlernen. Daher bat ich sie, ihre Hände auch auf mein Haupt zu legen, und versprach ihnen eine große Summe Geldes, wenn sie ihre Kraft auf mich übertrügen, so daß ich ebenso tun könnte wie sie. Sie aber geizten mit ihrer Macht, verfluchten mich und verboten mir, den Namen ihres Gottes bei meinen Werken zu gebrauchen. Sieh mir in die Augen, Knabe. Wie heißt du?«
»Minutus«, sagte ich widerstrebend, denn von seiner Erzählung und mehr noch von seiner eintönigen Stimme begann sich mir der Kopf zu drehen. »Müßtest du nicht, ohne mich zu fragen, wissen, wie ich heiße, da du doch einmal so ein großer Magier warst?« fragte ich spöttisch.
»Minutus, Minutus«, wiederholte er. »Die Macht, die mich bewohnt, sagt mir, daß du einen anderen Namen bekommen wirst, ehe der Mond sich zum drittenmal rundet. Doch laß mich weiterberichten: Ich glaubte den galiläischen Zauberern nicht, sondern heilte im Namen ihres Gottes, bis sie mich zu verfolgen begannen und in Jerusalem wegen einer kleinen goldenen Erosfigur vor Gericht schleppten. Eine reiche Frau hatte sie mir aus eigenem freien Willen geschenkt. Sieh mir in die Augen, Minutus. Sie behexten sie jedoch mit all ihren Künsten, bis die Frau zuletzt vergaß, daß sie selbst mir die Figur gegeben hatte, und behauptete, ich hätte mich unsichtbar gemacht und sie ihr gestohlen. Du wirst mir hoffentlich glauben, daß ich mich unsichtbar machen kann. wann immer ich will! Ich zähle bis drei, Minutus: eins, zwei, drei. Nun siehst du mich nicht mehr.«
Er verflüchtigte sich tatsächlich für einen Augenblick, so daß ich den Eindruck hatte, auf eine schimmernde Kugel zu starren, die ein Mond sein mochte. Dann schüttelte ich jedoch kräftig den Kopf, schloß die Augen und öffnete sie wieder, und da saß er wieder vor mir.
»Ich sehe dich wie zuvor, Zauberer Simon«, sagte ich mißtrauisch. »Aber ich mag dir nun nicht mehr in die Augen blicken.«
Er lachte freundlich, machte eine wegwerfende Geste mit beiden Händen und sagte: »Du bist ein widerspenstiger Bursche, und ich will dich zu nichts zwingen, denn das würde zu nichts führen. Aber sieh dir Laelia Manilia an.«
Ich wandte mich nach Tante Laelia um. Sie hatte die Hände erhoben und beugte sich mit entrücktem Gesicht zurück. Die Falten um ihren Mund und um ihre Augen glätteten sich, und ihre ganze Gestalt war straff und jugendlich geworden.
»Wo bist du gerade, Laelia Manilia?« fragte Simon der Zauberer gebieterisch.
Mit zarter Jungmädchenstimme antwortete Tante Laelia augenblicklich: »Ich bade in deiner Quelle. Das Wasser umspült mich so wonniglich, daß ich an allen Gliedern zittere.«
»Dann setze dein göttliches Bad nur fort, Laelia«, ermahnte der Zauberer sie, und zu mir gewandt sagte er: »Das ist ein sehr einfaches kleines Kunststückchen, das niemandem schadet. Dich könnte ich so verhexen, daß du unaufhörlich stolperst und dir die Füße und die Hände aufschlägst, weil du so widerspenstig bist. Doch warum sollte ich meine Kraft an dich verschwenden? Wir wollen dir lieber weissagen, da du nun einmal da bist. Helena, du schläfst.«
»Ich schlafe, Simon«, antwortete die Priesterin Helena unterwürfig, obwohl ihre Augen weit geöffnet waren.
»Was siehst du über diesen Jüngling, der Minutus heißt?« fragte der Zauberer.
»Sein Tier ist der Löwe«, sagte die Priesterin. »Aber der Löwe kommt wild auf mich zugerannt, und ich kann ihm nicht ausweichen. Hinter dem Löwen sehe ich einen Mann, der mit todbringenden Pfeilen droht. Sein Gesicht erkenne ich nicht, er ist noch zu weit in der Zukunft. Deutlich sehe ich aber einen großen Raum mit Fächern an den Wänden, in denen Buchrollen liegen.
Eine Frau reicht ihm eine offene Rolle. Die Frau ist jung, sie hat geschwärzte Hände, und ihr Vater ist nicht ihr Vater. Nimm dich vor ihr in acht, Minutus. Nun sehe ich Minutus auf einem schwarzen Hengst reiten. Er trägt einen blinkenden Brustharnisch. Ich höre das Lärmen eines Volkshaufens. Der Löwe, er ist gleich bei mir, ich muß fliehen. Simon, Simon, rette mich!«
Sie stieß einen Schrei aus und schlug die Hände vors Gesicht. Simon befahl ihr rasch, aufzuwachen, dann blickte er mich forschend an und fragte: »Du bist doch nicht etwa selbst ein Zauberer, da ein Löwe dich so eifersüchtig bewacht? Sei getrost, du brauchst keine bösen Träume mehr zu haben, wenn du nur im Traum daran denkst, deinen Löwen zu Hilfe zu rufen. Hast du gehört, was du hören wolltest?«
»Das Wichtigste habe ich gehört«, gab ich zu. »Es war mir angenehm, mag es nun die Wahrheit gewesen sein oder nicht, und ich werde bestimmt an dich und deine Tochter denken, wenn ich eines Tages auf einem schwarzen Hengst durch einen lärmenden Volkshaufen reite.«
Darauf wandte sich Simon der Zauberer an Tante Laelia, rief sie beim Namen und sagte: »Es wird Zeit für dich, aus der Quelle zu steigen. Möge dein göttlicher Freund dich zum Zeichen dessen in den Arm kneifen. Du weißt, es tut nicht weh, es brennt nur angenehm.«
Tante Laelia erwachte langsam aus ihrer Verzauberung und tastete mit der gleichen entrückten Miene wie zuvor nach ihrem linken Arm. Ich betrachtete ihn neugierig und sah, daß sich darauf wirklich ein großer blauer Fleck bildete. Tante Laelia rieb ihn und zitterte vor Wonne am ganzen Körper, so daß ich den Blick abwenden mußte. Die Priesterin Helena lächelte mich an. Ihre Lippen waren flehend halb geöffnet. Ich mochte aber auch sie nicht ansehen. Ich war verwirrt und fühlte ein Prickeln am ganzen Körper. Daher verabschiedete ich mich. Tante Laelia mußte ich am Arm nehmen und aus dem Zimmer des Zauberers führen, so benommen war sie noch immer.
Im Laden draußen nahm die Priesterin ein kleines schwarzes Ei aus Stein reichte es mir und sagte: »Das schenke ich dir. Möge es deine Träume beschützen, wenn der Vollmond scheint.«
Ein starker Widerwille, irgend etwas von ihr anzunehmen, ergriff mich, und ich sagte: »Ich kaufe es. Wieviel willst du dafür haben?«
»Nur eines deiner hellen Haare«, sagte die Priesterin Helena und streckte schon die Hand aus, um mir ein Haar auszureißen. Aber Tante Laelia wehrte sie erschrocken ab und flüsterte mir zu, ich solle der Frau lieber Geld geben.
Ich hatte keine kleineren Münzen bei mir und gab ihr ein ganzes Goldstück. Vielleicht hatte sie es sich durch ihre Weissagung verdient. Sie nahm es gleichgültig entgegen und sagte höhnisch: »Du schätzt ein Haar von dir sehr hoch ein, aber vielleicht hast du recht. Die Göttin weiß es.«
Vor dem Tempel fand ich Barbus wieder, der, so gut es ging, vor uns zu verbergen trachtete, daß er die Gelegenheit genützt und Wein getrunken hatte. Er ging auf unsicheren Beinen hinter uns her. Tante Laelia war froh gestimmt, streichelte den blauen Fleck auf ihrem Arm und sagte: »So gut war Simon der Zauberer schon lange nicht mehr zu mir. Ich fühle mich erfrischt und verjüngt und spüre keine Schmerzen mehr. Aber ich bin froh, daß du seiner schamlosen Tochter keins von deinen Haaren gegeben hast. Mit Hilfe eines solchen Haares hätte sie im Traum dein Bett heimsuchen können.«
Sie schlug sich erschrocken mit der Hand auf den Mund, sah mich zweifelnd an und sagte: »Du bist ja nun kein Kind mehr. Gewiß hat dir dein Vater diese Dinge schon erklärt. Ich weiß jedenfalls ganz bestimmt, daß Simon der Zauberer manchmal einen Mann behext, damit er sich zu seiner Tochter legt. Der Mann gerät ganz und gar in ihre Gewalt, aber dafür hat er dann auf andere Weise Glück und Erfolg. Ich hätte dich vorher warnen müssen, dachte aber nicht an dergleichen, weil du ja noch minderjährig bist. Was Helena wollte, erkannte ich erst, als sie dich um ein Haar bat.«
Nach dem Besuch bei Simon dem Zauberer hatte ich wirklich keine Alpträume mehr. Wenn der Mahr erschien und von mir Besitz ergreifen wollte, dachte ich im Traum an Simons Rat und rief meinen Löwen. Er kam sofort, legte sich neben mich, um mich zu beschützen, und war in allem so wirklich und lebendig, daß ich mit der Hand sein Fell streicheln konnte. Wenn ich dann aus meinem leichten Schlaf erwachte, bemerkte ich freilich, daß ich eine Falte in der Decke gestreichelt hatte.
Ich hatte so große Freude an meinem Löwen, daß ich ihn hin und wieder auch ohne Grund rief, wenn ich gerade einschlief, und sogar auf den Straßen der Stadt konnte ich mir einbilden, der Löwe gehe hinter mir her und bewache meine Schritte.
Ein paar Tage nach dem Gespräch mit Simon dem Zauberer fiel mir die Ermahnung meines Vaters wieder ein, und ich ging in die Bibliothek am Fuß des Palatins, wo ich den mürrischen Bibliothekar um Kaiser Claudius’ Geschichte der Etrusker bat. Zuerst behandelte er mich wegen meiner Knabenkleidung von oben herab, aber ich kannte nun die Überheblichkeit der Römer schon und wußte, wie ich ihr zu begegnen hatte. Daher sagte ich zornig, ich wolle dem Kaiser selbst schreiben und mich darüber beschweren, daß man seine Werke in den Bibliotheken nicht zu lesen bekomme. Da rief er rasch einen blaubekleideten Sklaven. Der führte mich in einen Saal, in dem eine große Statue des Kaisers Claudius stand, und zeigte mir die richtigen Fächer.
Ich blieb verblüfft stehen und starrte die Statue des Kaisers an, denn Claudius hatte sich als Apoll darstellen lassen, aber der Bildhauer hatte seine mageren Glieder und sein pfiffiges Säufergesicht ohne jede Beschönigung wahrheitsgetreu wiedergegeben, so daß die Statue eher lächerlich denn ehrfurchtgebietend wirkte. Ich dachte, der Kaiser könne zumindest nicht eitel sein, sonst hätte er niemals zugelassen, daß ein solches Spottbild seiner selbst in einer öffentlichen Bibliothek aufgestellt wurde.
Zuerst glaubte ich, allein in dem Saal zu sein, und nahm an, daß die Römer Claudius als Schriftsteller nicht allzu hoch einschätzten, sondern seine Werke unbenutzt in ihren Fächern liegen und Staub sammeln ließen. Dann bemerkte ich aber, daß weiter drüben bei einem schmalen Fenster eine junge Frau saß, die mir den Rücken zuwandte und in einer Buchrolle las. Ich suchte eine Weile nach der Geschichte der Etrusker, fand aber nur die Geschichte Karthagos, die ebenfalls von Claudius stammte, und stellte zuletzt fest, daß das Fach, in dem das gesuchte Werk offenbar aufbewahrt wurde, leer war. Ich sah wieder nach der lesenden Frau und entdeckte neben ihr auf dem Boden einen ganzen Stoß Buchrollen.
Ich hatte für meine langweilige Arbeit den ganzen Tag vorgesehen, denn bei Lampenlicht durfte man in der Bibliothek wegen der Feuersgefahr nicht lesen, und ich wollte nicht wieder fortgehen, ohne die Sache endlich hinter mich gebracht zu haben. Zwar scheute ich mich, eine fremde Frau anzusprechen, aber ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, trat zu ihr und fragte sie, ob sie die Geschichte der Etrusker lese und ob sie für ihre Forschungen unbedingt alle Buchrollen zugleich benötige. Ich sagte es so spöttisch wie möglich, obgleich ich sehr gut wußte, daß viele gebildete Frauen richtiggehende Bücherwürmer sind. Allerdings lesen sie keine Geschichtswerke, sondern lieber Ovids einfallsreiche und unterhaltsame Liebesgeschichten und Reiseabenteuer.
Die Frau schrak auf, ganz so, als hätte sie meine Anwesenheit jetzt erst bemerkt, und sah mich mit blitzenden Augen an. Sie war jung, und, der Haartracht nach zu urteilen, unvermählt. Ihr Gesicht war nicht schön, sondern eher unregelmäßig geformt und ein wenig grob. Ihre glatte Haut war von der Sonne gebräunt wie die einer Sklavin, und sie hatte einen großen Mund und volle Lippen.
»Ich lerne die Worte aus den heiligen Ritualen und vergleiche sie miteinander in den verschiedenen Büchern«, sagte sie böse. »Was gibt es da zu lachen?«
Ich fühlte, daß sie sich trotz ihrer Schroffheit ebenso vor mir schämte wie ich mich vor ihr, und bemerkte, daß ihre Hände schwarz von Tinte waren und daß sie sich auf einem Papyrusbogen mit einer klecksenden Rohrfeder einige Aufzeichnungen gemacht hatte. An den Schriftzügen erkannte ich, daß sie zu schreiben gewohnt war. Die Buchstaben waren nur durch das schlechte Schreibwerkzeug verschmiert.
»Ich lache nicht«, versicherte ich rasch und lächelte sie an. »Im Gegenteil, ich achte deine gelehrte Beschäftigung, und ich würde es nicht gewagt haben, dich zu stören, wenn ich meinem Vater nicht versprochen hätte, gerade dieses Buch zu lesen. Gewiß verstehe ich davon nicht soviel wie du, aber was ich versprochen habe, muß ich auch halten.«
Ich hatte gehofft, sie werde mich fragen, wer mein Vater sei, so daß ich selbst sie nach ihrem Namen hätte fragen können, aber so neugierig war sie nicht. Sie sah mich nur an, wie man eine lästige Fliege ansieht, suchte eine Weile unter den Buchrollen, die zu ihren Füßen lagen, und reichte mir den ersten Teil des Buches. »Nimm das und verschone mich mit deinen Zudringlichkeiten.«
Ich errötete so heftig, daß mein Gesicht ganz heiß wurde. Sie irrte sich, wenn sie glaubte, ich hätte nur einen Vorwand gesucht, mit ihr bekannt zu werden. Ich nahm die Rolle, ging zu dem Lesefenster auf der anderen Seite des Saales, setzte mich mit dem Rücken zu ihr und begann zu lesen. Ich las so schnell wie möglich, ohne mir die langen Namensverzeichnisse einzuprägen. Claudius hielt es offenbar für nötig, aufzuzählen, von wem und auf welche Weise er die einzelnen Angaben erhalten hatte, was andere geschrieben hatten und wie sie sich dagegen seiner Meinung nach dies und jenes in Wirklichkeit verhielt. Ein pedantischeres und langweiligeres Buch glaubte ich noch nie gelesen zu haben. Ich hatte aber schon damals, als Timaios mir immer die Bücher zu lesen befahl, die ihm selbst gefielen, gelernt, so schnell wie möglich zu lesen und mir nur das eine oder andere, das mich wirklich fesselte, zu merken. An diese Einzelheiten hatte ich mich dann geklammert, wenn Timaios mich nach dem Inhalt fragte. Auf dieselbe Art gedachte ich nun auch mit diesem Werk fertig zu werden.
Doch das Mädchen ließ mich nicht in Ruhe lesen. Sie schnaubte vor sich hin, raschelte mit den Buchrollen und fluchte ab und zu laut. Zuletzt wurde sie es müde, ihre untaugliche Rohrfeder immer wieder nachzuschneiden. Sie brach sie entzwei, stampfte auf den Boden und rief wütend: »Bist du taub oder blind, du ekelhafter Kerl? Geh sofort und hole mir eine ordentliche Feder. Du scheinst überhaupt keine Erziehung zu haben, da du nicht einmal siehst, daß ich eine Feder brauche.«
Ich bekam wieder eine heiße Stirn und ärgerte mich, denn das Benehmen dieses Mädchens ließ darauf schließen, daß sie selbst keine gute Erziehung genossen hatte. Ich wollte aber nicht mit ihr um weitere Buchrollen streiten müssen, sobald ich die erste zu Ende gelesen hatte. Daher beherrschte ich mich, ging zum Bibliothekar und bat um eine neue Rohrfeder. Er murmelte, nach den Stiftungssatzungen der Bibliothek würden Rohrfedern und Papier zwar umsonst abgegeben, es sei aber noch kein Bürger so arm gewesen, daß er die Stirn gehabt hätte, eine Feder ohne Bezahlung zu nehmen. Ich gab ihm zornig eine Silbermünze, und er reichte mir erfreut ein Bündel Federn und eine Rolle vom schlechtesten Papier. Ich kehrte in den Claudius-Saal zurück, und das Mädchen riß mir Federn und Papier aus der Hand, ohne sich zu bedanken.
Als ich den ersten Teil gelesen hatte, ging ich wieder zu ihr und bat um die nächste Rolle. »Kannst du wirklich so schnell lesen?« fragte sie verwundert. »Und weißt du nachher überhaupt noch, was du gelesen hast?«
»Ich weiß immerhin noch, daß die etruskischen Priester die üble Gewohnheit hatten, Giftschlangen als Wurfgeschosse zu verwenden«, antwortete ich. »Es wundert mich daher gar nicht, daß du ihre Sitten und Bräuche studierst.«
Ich glaubte zu bemerken, daß sie ihr Benehmen schon bereute, denn sie ging auf meine Stichelei nicht ein, sondern reichte mir bescheiden eine Feder und bat wie ein kleines Mädchen: »Möchtest du sie mir nicht zuschneiden? Ich mache es wohl nicht richtig, denn meine Federn fangen immer gleich zu klecksen an.«
»Das kommt von dem schlechten Papier«, sagte ich. Ich nahm die Feder, schnitt sie zu und spaltete vorsichtig ihre Spitze. Als ich sie ihr zurückgab, sagte ich: »Du darfst sie nicht so fest aufdrücken, denn dann gibt es natürlich sofort einen Klecks. Wenn man seinen Jähzorn bemeistert, läßt sich’s auch auf dem schlechten Papier ganz gut schreiben.«
Auf ihr Gesicht trat plötzlich ein Lächeln wie ein Blitz in dunklem Sturmgewölk, und die groben Züge, der große Mund und die schräggestellten Augen sahen auf einmal ganz bezaubernd aus. Als sie bemerkte, daß ich sie verwundert anstarrte, schnitt sie eine häßliche Grimasse, streckte mir die Zunge heraus und fauchte: »Nimm dein Buch und geh und lies, wenn du es wirklich so unterhaltsam findest.«
Sie störte mich jedoch immer wieder, denn immer wieder kam sie zu mir und bat mich, ihre Feder nachzuschneiden, so daß meine Finger bald ebenso schwarz waren wie die ihren. Ihre Tinte war so klumpig, daß sie ihr Tintenhorn ein paarmal verfluchte.
Zur Mittagszeit öffnete sie ein Bündel und begann gierig zu essen, indem sie große Stücke von einem Brot abriß und herzhaft in einen Landkäse biß.
Als sie meine mißbilligenden Blicke bemerkte, verteidigte sie sich: »Ich weiß sehr wohl, daß man in der Bibliothek nicht essen darf, aber was soll ich tun? Wenn ich auf die Straße hinausgehe, werde ich nur angerempelt, und fremde Männer gehen neben mir her und flüstern mir schamlose Dinge zu, weil ich allein bin.« Nach einer kleinen Weile fügte sie mit zu Boden gesenktem Blick hinzu: »Mein Sklave holt mich erst am Abend ab, wenn die Bibliothek geschlossen wird.«
Ich dachte mir jedoch gleich, daß sie gar keinen Sklaven hatte. Ihr Mundvorrat war einfach, und sie besaß offenbar nicht genug Geld, um sich Federn und Papier zu kaufen. Deshalb hatte sie mir so hochmütig befohlen, ihr eine Feder zu holen. Ich wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte, denn kränken wollte ich sie auf keinen Fall. Im übrigen bekam ich selbst Hunger, als ich sie essen sah.
Ich muß wohl schwer geschluckt haben, denn plötzlich sagte sie freundlich: »Armer Junge, du bist bestimmt hungrig.« Sie brach freigebig ein Brot auseinander und reichte mir auch ihren runden Käse, von dem wir nun abwechselnd abbissen, so daß die Mahlzeit beendet war, noch ehe sie recht begonnen hatte. Wenn man jung ist, schmeckt einem alles. Ich lobte daher ihr Brot und sagte: »Das ist ja ein richtiges Landbrot, und dein Käse ist frischer Landkäse. So etwas bekommt man in Rom nicht alle Tage.«
Sie freute sich über mein Lob und sagte: »Ich wohne außerhalb der Mauern. Du weißt, wo der Zirkus des Gajus ist und die Begräbnisstätte und das Orakel. Dort draußen hinter dem Vatikanischen Hügel ist es.«
Ihren Namen wollte sie mir aber noch immer nicht sagen. Wir nahmen unsere Lektüre wieder auf. Sie schrieb ein paar alte Texte heraus, die Claudius aus den heiligen Büchern der Etrusker übernommen hatte, und lernte sie murmelnd auswendig. Ich las eine Rolle nach der andern und prägte mir alles gut ein, was ich über die Kriege und die Flotte der Stadt Caere fand. Gegen Abend wurde es dunkel im Saal, denn der Schatten des Palatins fiel auf die Lesefenster, und der Himmel überzog sich mit Wolken.
»Wir wollen uns nicht die Augen verderben«, sagte ich zuletzt. »Morgen ist auch ein Tag, aber mir steht diese langweilige alte Geschichte schon bis zum Hals. Eigentlich solltest du als gelehrte Frau mir helfen können. Möchtest du mir nicht kurz berichten, was in den Büchern steht, die ich noch nicht gelesen habe, oder mir zumindest das Wichtigste daraus mitteilen? Mein Vater hat Güter in der Nähe von Caere. Deshalb wird er mich vermutlich ausfragen, was Kaiser Claudius über Caere schreibt.«
Als sie schwieg, fuhr ich schüchtern fort: »Nimm mir meinen Vorschlag nicht übel, aber ich habe große Lust auf heiße Würste und weiß, wo man welche bekommt. Ich möchte dich gern einladen, wenn du mir hilfst.«
Sie runzelte die Stirn, stand auf, trat so nah an mich heran, daß ich ihren warmen Atem im Gesicht spürte, und sah mir in die Augen. »Weißt du wirklich nicht, wer ich bin?« fragte sie argwöhnisch und fügte rasch hinzu: »Nein, du kennst mich nicht und hast nichts Böses im Sinne. Du bist ja noch ein Knabe.«
»Ich kann jeden Tag die Männertoga bekommen«, sagte ich beleidigt. »Ich habe sie nur noch nicht, weil zunächst einige familiäre Angelegenheiten zu ordnen waren. Du bist nicht viel älter als ich, und größer als du bin ich auch.«
»Mein liebes Kind«, sagte sie neckend. »Ich bin ganze zwanzig Jahre alt und im Vergleich zu dir eine alte Frau. Und ich bin bestimmt stärker als du. Hast du keine Angst, mit einer fremden Frau zu gehen?«
Sie warf jedoch die Buchrollen drunter und drüber in ihr Fach, ordnete ihr Gewand und machte sich eifrig zum Gehen fertig, so, als fürchtete sie, ich könnte mich anders besinnen. Als wir hinausgingen, blieb sie zu meiner Verwunderung vor der Statue des Kaisers Claudius stehen und spuckte sie an, bevor ich sie daran hindern konnte. Als sie mein Entsetzen bemerkte, lachte sie laut auf und spuckte noch einmal auf die Statue. Sie war wahrhaftig sehr schlecht erzogen.
Dann schob sie ohne Zögern ihren Arm unter den meinen und zog mich so rasch mit sich fort, daß ich fühlte, daß sie nicht nur geprahlt hatte, sondern wirklich sehr kräftig war. Sie verabschiedete sich hochmütig von dem Bibliothekar, der sich davon überzeugte, daß wir keine Buchrollen unter den Kleidern versteckt hatten. Er tastete uns jedoch nicht ab, wie es mißtrauische Bibliothekare bisweilen tun.
Den Sklaven erwähnte das Mädchen nicht mehr. Das Forum war jetzt am Abend voller Menschen, und sie verlangte, daß auch wir ein Weilchen zwischen den Tempeln und der Kurie auf und ab spazierten, und ließ währenddessen meinen Arm nicht los, so, als wollte sie den Leuten eine Beute, ein Besitzstück vorführen. Der eine oder andere rief ihr etwas zu, als wäre er mit ihr bekannt, und sie lachte und antwortete, ohne zu erröten. Ein Senator und einige Ritter kamen uns mit ihrem Gefolge entgegen. Sie wandten hastig den Blick ab, als sie das Mädchen sahen, aber sie machte sich nichts daraus.
»Wie du den Zurufen entnehmen kannst, werde ich nicht eben als ein tugendsames Mädchen angesehen«, sagte sie lachend. »Aber ganz und gar verdorben bin ich doch nicht. Du brauchst also keine Angst zu haben.«
Endlich ging sie mit mir in eine Schenke am Viehmarkt. Ich bestellte kühn heiße Würste, Schweinefleisch in irdenen Töpfen und Wein. Das Mädchen aß gierig wie ein Wolf und wischte sich die fettigen Finger an einem Mantelzipfel ab. Sie mischte kein Wasser in ihren Wein, weshalb auch ich es nicht tat, doch ich war es nicht gewohnt, unvermischten Wein zu trinken und bekam einen schweren Kopf. Sie summte vor sich hin, während sie aß, tätschelte mir die Wangen, schimpfte mit dem Wirt in der einfachen Sprache des Marktes und schlug mir plötzlich völlig gefühllos mit der Faust auf die Hand, als diese zufällig ihr Knie streifte. Ich begann allmählich zu glauben, daß sie nicht ganz richtig im Kopfe sei.
Die Schenke füllte sich plötzlich mit Menschen. Auch Spielleute, Sänger und Gaukler drängten sich herein, unterhielten die Gäste und sammelten mit einem Krug Kupfermünzen ein. Einer der zerlumpten Sänger blieb vor uns stehen, klimperte ein wenig auf seiner Zither und begann zu singen:
»Kam die Wolfstochter mit den Hängebacken,
die auf dem Treppenstein geborene.
Der Vater soff, die Mutter hurte,
die Jungfernschaft nahm ihr ein Vetter.«
Weiter kam er nicht. Das Mädchen sprang auf, schlug ihn ins Gesicht und schrie: »Lieber Wolfsblut in den Adern als Pisse so wie du!«
Der Wirt stürzte herbei und führte den Sänger hinaus. Dann schenkte er uns mit eigener Hand noch einmal Wein ein und sagte: »Clarissima, dein Besuch ehrt mich, aber der Knabe ist minderjährig. Ich bitte euch herzlich, trinkt eure Becher aus und geht, sonst bekomme ich es mit den Ädilen zu tun.«
Es war schon spät, und ich wußte nicht, was ich von dem zügellosen Benehmen des Mädchens halten sollte. Vielleicht war sie wirklich eine lasterhafte kleine Wölfin, die der Wirt nur im Scherz »wohlgeboren« nannte. Zu meiner Erleichterung war sie ohne weiteres bereit, zu gehen. Als wir aber auf die Straße traten, packte sie mich am Arm und bat: »Begleite mich noch bis zur Tiberbrücke.«
Wir kamen ans Ufer und sahen unruhige, tiefhängende Wolken über uns hinziehen, die im Schein der Fackeln rötlich leuchteten. Das nun im Herbst rasch strömende Wasser gluckste zu unseren Füßen, und es roch nach Schlamm und faulendem Schilf. Das Mädchen führte mich an die Brücke zur Tiberinsel. In den Äskulaptempel auf der Insel pflegten unbarmherzige Hausväter ihre todkranken Sklaven schaffen zu lassen, die zu nichts mehr nütze waren, und von der anderen Seite der Insel führte eine zweite Brücke in den vierzehnten Stadtteil, das Transtiberina der Juden. Im Abenddunkel war die Brücke kein angenehmer Aufenthaltsort. Wo das Gewölk den Himmel freigab, funkelten die Sterne des Herbstes, der Fluß blinkte schwarz herauf, und der Wind trug das Stöhnen der Sterbenden und Kranken zu uns herüber wie Klagen aus der Unterwelt.
Meine Begleiterin beugte sich über das Brückengeländer und spuckte zum Zeichen ihrer Verachtung in den Tiber. »Spuck du auch«, forderte sie mich auf. »Oder fürchtest du dich vor dem Flußgott?« Ich mochte den Tiber nicht kränken, aber als sie mich eine Weile geneckt hatte, spuckte ich doch, kindisch, wie ich noch war. Im gleichen Augenblick flog ein Stern in gleißendem Bogen über den Tiber. Ich glaube, ich werde das in der Stunde meines Todes noch nicht vergessen haben: das Murmeln des Flusses, die rasch treibenden, rötlich schimmernden Wolken, der Weinrausch in meinem Kopf und die helle Sternschnuppe über dem schwarzblinkenden Tiber.
Das Mädchen drückte sich so fest an mich, daß ich ihren straffen, festen Körper spürte. »Deine Sternschnuppe flog von Osten nach Westen«, flüsterte sie. »Ich bin abergläubisch. Du hast auch Glückslinien in den Handflächen, das habe ich heimlich beobachtet. Vielleicht kannst du auch mir Glück bringen.«
»Sag du mir nun endlich, wie du heißt«, bat ich ungeduldig. »Ich habe dir meinen Namen genannt und dir von meinem Vater erzählt. Man wird mich bestimmt schelten, wenn ich so spät nach Hause komme.«
»Ja, ja, du bist ja noch ein Kind«› seufzte sie und zog sich die Schuhe aus. »Ich gehe jetzt, und zwar barfuß. Die Schuhe haben mich schon genug gedrückt, so daß ich mich auf dich stützen mußte, als ich neben dir dahinstolperte. Nun brauche ich dich aber nicht mehr. Lauf nur rasch nach Hause, damit du nicht meinetwegen ausgeschimpft wirst.«
Ich bestand jedoch darauf, daß sie mir ihren Namen sagte. Endlich seufzte sie tief auf und fragte: »Versprichst du mir, daß du mich mit deinem unschuldigen Knabenmund auf den Mund küssen und keine Angst haben wirst, wenn ich dir meinen Namen sage?«
Ich antwortete, daß ich kein Mädchen anrühren dürfe und könne, solange ich nicht mein Gelübde an das Orakel in Daphne erfüllt hätte. Das machte sie neugierig, und sie schlug vor: »Wir könnten es doch zumindest versuchen. Ich heiße Claudia Plautia Urgulanilla.«
»Claudia!« wiederholte ich. »Du stammst also aus dem Geschlecht der Claudier!«
Sie wunderte sich darüber, daß mir ihr Name nichts sagte: »Willst du allen Ernstes behaupten, daß du nichts über mich weißt?« fragte sie auffahrend, doch dann beruhigte sie sich wieder und fuhr fort: »Du bist wohl wirklich gerade erst aus Syrien gekommen. Mein Vater ließ sich von meiner Mutter scheiden, und fünf Monate nach der Scheidung wurde ich geboren. Mein Vater nahm mich nicht auf seine Arme, sondern Ließ mich nackt auf die Türschwelle meiner Mutter legen. Er hätte besser daran getan, mich in die Kloake zu werfen. ich habe zwar nach dem Gesetz das Recht, mich Claudia zu nennen, aber kein ehrlicher Mann kann oder will mich zur Frau nehmen, da mein Vater durch sein Verhalten zu verstehen gegeben hat, daß er mich als außerhalb der Ehe geboren betrachtet. Verstehst du jetzt, warum ich seine Bücher lese – um nämlich zu sehen, wie verrückt er wirklich ist – und warum ich seine Statue anspucke!«
»Bei allen bekannten und unbekannten Göttern!« rief ich verblüfft. »Du Wahnsinnige willst mir doch nicht weismachen wollen, du seist eine Tochter des Kaisers Claudius!«
»Das weiß in Rom jedes Kind«, fauchte sie zornig. »Deshalb wagen Senatoren und Ritter nicht, mich zu grüßen. Deshalb hält man mich auf dem Lande, hinter dem Vatikanischen Hügel, versteckt. Aber nun, da ich dir meinen Namen gesagt habe, was ich lieber nicht hätte tun sollen, mußt du auch dein Versprechen halten.«
Sie ließ ihre Schuhe fallen und umarmte mich. Zuerst wehrte ich mich, aber dann begann sie und ihre Geschichte mich zu reizen. Ich drückte sie fest an mich und küßte im Dunkeln ihren warmen Mund. Und es geschah nichts, obwohl ich mein Gelübde brach. Oder vielleicht fühlte sich die Göttin nicht beleidigt, weil ich nicht zu zittern begann, als ich Claudia küßte. Vielleicht auch konnte ich wegen ebendieses Gelübdes nicht zittern, wenn ich ein Mädchen küßte. Ich weiß es nicht.
Claudia ließ ihre Hände auf meinen Schultern liegen, hauchte mir ihren warmen Atem ins Gesicht und fragte: »Versprichst du mir, Minutus, daß du zu mir kommst, sobald du die Männertoga angelegt hast?«
Ich murmelte, daß ich auch dann noch meinem Vater gehorchen müsse, aber Claudia sagte entschieden: »Nachdem du mich geküßt hast, bist du an mich gebunden.«
Sie bückte sich, suchte in der Dunkelheit nach ihren Schuhen, richtete sich wieder auf, strich mir mit der einen Hand über meine kalte Wange und eilte davon. Ich rief ihr nach, daß ich mich keineswegs an sie gebunden fühlte, da sie mich mit Gewalt geküßt hätte, aber Claudia war schon in der Nacht verschwunden. Der Wind trug nur noch das Jammern der Kranken von der Insel herüber, das Wasser gurgelte unheilverkündend, und ich lief nach Hause, so schnell ich konnte. Barbus hatte mich vergeblich in der Bibliothek und auf dem Forum gesucht und war zornig auf mich. Zum Glück hatte er jedoch Tante Laelia noch nicht von meinem Verschwinden zu benachrichtigen gewagt, und mein Vater war wie üblich noch spät unterwegs.
Tags darauf fragte ich Tante Laelia beiläufig nach Claudia. Ich erzählte ihr, daß ich sie in der Bibliothek getroffen und ihr eine Rohrfeder geschenkt hatte. Tante Laelia erschrak und beschwor mich: »Laß dich nie in deinem Leben mit diesem schamlosen Mädchen ein, und lauf lieber davon, wenn du ihr noch einmal begegnen solltest. Kaiser Claudius hat schon oft bereut, daß er sie damals nicht ertränken ließ, aber zu der Zeit wagte er so etwas noch nicht. Ihre Mutter war außerdem eine große, wilde Frau, und Claudius hätte für seine eigene Haut fürchten müssen, wenn er das Mädchen ausgesetzt hätte. Kaiser Gajus nannte Claudia gern seine Base, um Claudius zu reizen, und ich glaube, daß sie auch irgendwie an seinem sittenlosen Treiben teilhatte. Der arme Gajus schlief ja sogar bei seinen eigenen Schwestern, weil er sich für einen Gott hielt. Claudia wird in keinem anständigen Haus empfangen. Ihre Mutter wurde übrigens von einem berühmten Gladiator aus Versehen erschlagen, und der Mann wurde nicht einmal verurteilt, weil er beweisen konnte, daß er nur seine Tugend verteidigt hatte. Die Urgulanilla wurde nämlich mit den Jahren immer gewalttätiger bei ihren Liebesabenteuern.« Ich vergaß Claudia bald, denn mein Vater nahm mich nach Caere mit, und wir blieben dort einen ganzen Wintermonat, um die Güter zu besichtigen. Die unzähligen mächtigen Grabhügel der Könige und Edlen der Etrusker, die sich zu beiden Seiten der heiligen Straße erhoben, erschütterten mich. Als die Römer vor Hunderten von Jahren Caere eroberten, plünderten sie die alten Gräber und nahmen alles mit, was von Wert war, aber es gab noch jüngere, unberührte Gräber an der Straße. Ich begann Achtung vor meiner Herkunft zu empfinden, denn bisher hatte ich trotz den Erzählungen meines Vaters nicht geahnt, daß die Etrusker einst ein so mächtiges Volk gewesen waren. Wer nur Kaiser Claudius’ Geschichte gelesen hat, macht sich keinen Begriff von der düsteren Erhabenheit dieser königlichen Grabhügel. Man muß sie mit eigenen Augen gesehen haben.
Die Bewohner des längst verarmten Caere hüteten sich, zur Nachtzeit in die Nähe der Totenstadt zu gehen, und versicherten, daß dort Geister umgingen. Bei Tag aber wanderten viele Reisende hinaus, um die alten Hügel und die Wandskulpturen und Reliefs in den ausgeraubten Grabkammern zu besichtigen. Mein Vater nützte die Gelegenheit und legte sich eine Sammlung alter Bronzeminiaturen und heiliger, schwarzer Tonkrüge an, die die Bauern der Gegend beim Pflügen oder Kellerausschachten gefunden hatten. Die besten Bronzen hatten die Sammler freilich schon zu Augustus’ Zeiten mitgehen lassen, als es Mode wurde, etruskische Gegenstände zu sammeln, und die meisten der mit Grünspan bedeckten Statuetten waren von den Deckeln von Bestattungsurnen losgebrochen worden.
Für die Landwirtschaft vermochte ich mich nicht zu erwärmen. Ich begleitete meinen Vater gelangweilt auf seinen Gängen durch die Felder, Olivenhaine und Weinberge. Die Dichter preisen zwar das einfache Landleben, aber ich selbst verspürte ebensowenig Verlangen danach, mich auf dem Lande anzusiedeln, wie jene Dichter. In der Gegend von Caere konnte man außerdem nur Füchse, Hasen und Vögel jagen, und mich stieß diese Jagd ab, bei der man nur Fallen, Schlingen und Leimruten, aber keinen Mut braucht.
Wenn ich mir ansah, wie mein Vater mit den Sklaven und Freigelassenen umging, die seine Güter bewirtschafteten, kam ich zu dem Schluß, daß die Landwirtschaft für einen Stadtbewohner ein teures Vergnügen ist, das mehr verschlingt, als es einbringt. Nur sehr große Güter, die mit billiger Sklavenarbeit betrieben werden, werfen noch nennenswerte Gewinne ab, aber von dieser Art von Landwirtschaft wollte mein Vater nichts wissen.
»Lieber habe ich Untergebene, die als glückliche Menschen leben und gesunde Kinder haben«, sagte er. »Ich lasse sie gern auf meine Kosten reich werden, denn es ist gut, zu wissen, daß man ein Fleckchen Erde hat, auf das man sich zurückziehen kann, wenn einen das Glück einmal im Stich läßt.«
Ich bemerkte aber, daß die Bauern nie zufrieden waren, sondern ununterbrochen jammerten. Bald regnete es zuviel, bald zuwenig, bald fraßen Schädlinge die Weinreben auf, bald fiel die Olivenernte zu reichlich aus, und die Ölpreise sanken. Und die Untergebenen schienen meinen Vater nicht einmal zu achten. Sie benahmen sich frech und unverschämt, sobald sie merkten, wie gutmütig er war. Ohne Unterlaß klagten sie über ihre elenden Behausungen, ihr schlechtes Werkzeug und die Leiden ihrer Zugochsen.
Manchmal wurde mein Vater gegen seine Natur böse und gab ihnen harte Worte. Dann duckten sie sich, tischten hastig eine gute Mahlzeit auf und kredenzten ihm gekühlten Weißwein. Die Kinder wanden Kränze für seine Stirn und tanzten um ihn herum, bis er wieder besänftigt war und seinen Pächtern und Freigelassenen neue Zugeständnisse machte. Mein Vater trank in Caere so viel Wein, daß er kaum einen Tag nüchtern war.
In der Stadt trafen wir mit einigen dickbäuchigen Opferpriestern und Handelsleuten zusammen, die alle die bewußte Hautfalte in den Augenwinkeln hatten und ihr Geschlecht an die tausend Jahre zurückverfolgen konnten. Sie halfen meinem Vater, seine Ahnen bis zurück in die Zeit, da Lykurg den Hafen und die Kriegsflotte Caeres zerstört hatte, ausfindig zu machen, und mein Vater kaufte sogar eine Grabstätte an der heiligen Straße.
Eines Tages brachte ein Eilbote aus Rom die Nachricht, daß alles nach Wunsch gegangen war. Der Zensor hatte das Ansuchen meines Vaters um Wiederverleihung des Ritterranges genehmigt, und es konnte nun täglich Kaiser Claudius vorgetragen werden, weshalb wir nach Rom zurückkehren mußten. Dort hielten wir uns einige Tage in unserem Haus in Bereitschaft, da wir jeden Augenblick auf den Palatin gerufen werden konnten. Der Sekretär des Kaisers, Narcissus, hatte versprochen, einen günstigen Augenblick zu wählen, um das Gesuch vorzulegen. Es war ein strenger Winter. Die römischen Steinböden waren eisig, und in den Mietshäusern erstickten täglich Menschen an dem Rauch aus schlecht gewarteten Glutbecken. Tagsüber schien zwar die Sonne und kündete den Frühling voraus, aber sogar die Senatoren ließen sich zu den Versammlungen in der Kurie Glutbecken bringen und unter die Elfenbeinschemel stellen. Tante Laelia klagte, daß von den alten römischen Tugenden nicht mehr viel übriggeblieben sei. Noch zu Augustus’ Zeiten hätte sich so mancher alte Senator lieber eine Lungenentzündung oder einen Rheumatismus fürs Leben geholt, ehe er seinen Körper auf so unmännliche Weise verzärtelte.
Tante Laelia wollte unbedingt das Luperkalienfest und den Umgang der Faunuspriester sehen. Sie erklärte uns, daß der Kaiser selbst bei diesem Fest der oberste Priester sei und man uns daher am Luperkalientag kaum auf den Palatin rufen werde. Zeitig am Morgen der Iden des Februar ging ich mit ihr so nahe wie möglich zu dem uralten Feigenbaum. Drinnen in der Grotte schlachteten die Priester die Ziege zu Ehren des Faunus Lupercus. Mit dem blutigen Messer zeichnete der Opferpriester jedem Faunuspriester ein Mal auf die Stirn, das sich alle zugleich mit einem Stück heiligen Linnens, das in Milch getaucht worden war, wieder abwischten, wobei sie gemeinsam in das heilige Gelächter ausbrachen. Und dieses Gelächter klang so laut und entsetzlich aus der Grotte, daß der Volkshaufe fromm erstarrt und einige in Verzückung geratene Frauen auf dem Weg voraussprangen, den die Wächter mit ihren heiligen Ruten für den Festzug bahnten. In der Grotte schnitten die Priester die Ziegenhaut mit dem Opfermesser in Streifen und tanzten dann auf den Weg hinaus. Sie waren alle nackt, lachten ihr heiliges Gelächter und peitschten mit den Riemen aus der Ziegenhaut die Frauen, die sich an den Weg herandrängten, daß deren Kleider mit Blut befleckt wurden. So umtanzten sie den ganzen Palatin.
Tante Laelia war zufrieden und versicherte, das heilige Lachen habe schon seit vielen Jahren nicht mehr so festlich geklungen. Eine Frau, die von dem blutigen Riemen eines Faunuspriesters getroffen wurde, durfte hoffen, binnen Jahresfrist schwanger zu werden, erklärte sie. Es war dies ein unfehlbares Mittel gegen Unfruchtbarkeit, und Tante Laelia beklagte nur, daß so viele vornehme Frauen keine Kinder haben wollten, so daß sich meist nur die Frauen gewöhnlicher Bürger von den Faunuspriestern geißeln ließen. Sie hatte nicht eine einzige Senatorenfrau am heiligen Weg entdeckt. Einige unter den dichtgedrängten Zuschauern behaupteten, sie hätten auch Kaiser Claudius in eigener Person gesehen, wie er am Eingang der Grotte nackt hin und her gesprungen sei und die Faunuspriester vor der Geißelung laut schreiend angefeuert habe. Wir selbst sahen ihn nicht. Als der Zug den Hügel umschritten hatte und die Priester in die Grotte zurückgekehrt waren, um eine trächtige Hündin zu opfern, gingen wir nach Hause und nahmen das vorgeschriebene Festmahl aus gekochtem Ziegenfleisch und Weizengebäck in Form von menschlichen Geschlechtsteilen ein. Tante Laelia trank Wein und freute sich, daß nach dem dunklen Winter endlich der herrliche römische Frühling nahte.
Gerade als mein Vater sie ermahnte, sich zur Mittagsruhe zurückzuziehen, ehe sie anfing Dinge zu reden, die nicht für meine Knabenohren taugten, kam ein Botensklave des Sekretärs Narcissus atemlos angerannt und sagte, wir sollten uns, ohne einen Augenblick zu verlieren, auf den Palatin begeben. Wir machten uns zu Fuß und nur von Barbus begleitet auf den Weg, worüber sich der Sklave sehr verwunderte. Zum Glück waren wir wegen des Festes beide schon so gekleidet, wie es der Anlaß erforderte.
Der in Weiß und Gold gekleidete Sklave berichtete, daß alle Vorzeichen günstig waren und daß das Ritual fehlerfrei durchgeführt worden war. Kaiser Claudius war daher wohlgelaunt und gnädig gesinnt. Er bewirtete die Faunuspriester in seinen eigenen Räumen und trug noch die Rangzeichen des obersten Priesters. Am Tor des Palatiums wurden wir auf verborgene Waffen untersucht, und Barbus mußte draußen bleiben, weil er sein Schwert an der Seite trug. Mein Vater wunderte sich darüber, daß man auch mich abtastete, obwohl ich doch noch unmündig war.
Narcissus, der Freigelassene und Privatsekretär des Kaisers, war Grieche, ein von Sorgen und einer ungeheuren Arbeitslast ausgezehrter Mann. Er empfing uns unerwartet freundlich, obwohl mein Vater ihm kein Geschenk geschickt hatte, und sagte sehr offenherzig, daß es in einer Zeit, in der sich allerlei Veränderungen ankündigten, dem Staat zum Vorteil gereiche, wenn man zuverlässige Männer in den Ritterstand erhöbe, die wüßten und sich später erinnerten, wem sie ihre Stellung verdankten. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, suchte er in den Akten, die meinen Vater betrafen, entnahm ihnen ein zerknittertes Blatt, reichte es meinem Vater und sagte: »Diese Anmerkungen über deinen Charakter und deine Gewohnheiten aus Kaiser Tiberius’ Zeiten nimmst du am besten selbst in Verwahrung. Das sind vergessene Dinge, die heutzutage keine Bedeutung mehr haben.«
Mein Vater las das Blatt, errötete und steckte es rasch weg. Narcissus fuhr mit der gleichen Offenheit fort: »Der Kaiser ist stolz auf seine Gelehrsamkeit und seine Menschenkenntnis, aber er bleibt leicht an Einzelheiten hängen und kann manchmal einen ganzen Tag ununterbrochen über alte Geschichten reden, nur um sein gutes Gedächtnis unter Beweis zu stellen. Darüber vergißt er dann gern die Hauptsache.«
Mein Vater sagte verlegen: »Wer hat nicht in seiner Jugend einmal in Baiaes Rosenhainen gewacht! Für mich ist das alles vorbei und vergangen. Doch ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Man hat mir ja berichtet, wie streng Kaiser Claudius und im besonderen Valeria Messalina über die Sitten des Ritterstandes wachen.«
»Vielleicht lasse ich dich eines Tages wissen, wie du dich mir erkenntlich zeigen kannst«, erwiderte Narcissus mit einem bleichen Lächeln. »Ich bin als habgierig verschrien, aber begehe nicht den Fehler, mir Geld anzubieten, Marcus Manilianus. Ich bin ein Freigelassener des Kaisers. Daher gehört alles, was ich besitze, dem Kaiser, und alles, was ich tue, das tue ich, so gut ich es weiß und verstehe, zum Besten des Kaisers und des Staates. Doch wir müssen uns beeilen, denn der günstigste Augenblick, ein Anliegen vorzutragen, ist gleich nach einem Opfermahl, wenn sich der Kaiser auf seine Mittagsruhe vorbereitet.«
Er führte uns in den südlichen Empfangssaal, dessen Wände Malereien schmückten, die den Trojanischen Krieg darstellten. Mit eigener Hand ließ er den Lattenvorhang vor dem Fenster herunter, so daß die Sonne nicht so heiß in den Raum brannte. Kaiser Claudius erschien gestützt von zwei Sklaven, die ihn auf einen Wink von Narcissus auf den Thron setzten. Er summte die Faunushymne vor sich hin und blinzelte uns kurzsichtig entgegen. Als er saß, sah er würdevoller aus, denn da er gestanden war, obwohl sein Kopf hin und her pendelte und er sich beim Mahl mit Soßen und Wein bekleckst hatte. Er war übrigens nach seinen Statuen und den Abbildungen auf den Münzen leicht wiederzuerkennen. Der Wein hatte ihn offensichtlich für den Augenblick heiter gestimmt, und er war bereit, sich eifrig den Staatsgeschäften zu widmen, ehe ihn der Schlaf überkam.
Narcissus stellte uns vor und sagte rasch: »Der Sachverhalt ist klar. Hier sind die Nachweise über die Herkunft und das Vermögen sowie die Empfehlung des Zensors. Marcus Mecentius Manilianus hat sich als Mitglied des Rates der Stadt Antiochia ausgezeichnet und verdient volle Genugtuung für das Unrecht, das ihm angetan wurde. Er selbst strebt nicht nach äußeren Ehren, aber sein Sohn kann zu einem treuen Diener des Staates heranwachsen.«
Kaiser Claudius rollte die Akten auf, während er etwas über den Astronomen Manilius murmelte, den er in seiner Jugend gekannt hatte. Die Herkunft meiner Mutter erregte seine Aufmerksamkeit, und er versank in gelehrte Betrachtungen. »Myrina«, sagte er, »das war die Königin der Amazonen, die gegen die Gorgonen kämpfte, aber dann kam der Thraker Mopsos, den Lykurg in die Verbannung geschickt hatte, und tötete sie. Myrina heißt sie übrigens nur als Göttin. Ihr irdischer Name war Batieia. Es wäre passender gewesen, deine Gattin hätte diesen irdischen Namen getragen. Vermerke und verbessere das in den Akten, Narcissus.«
Mein Vater dankte dem Kaiser ehrerbietig für diese Berichtigung und versprach, sogleich dafür Sorge zu tragen, daß die Statue, welche die Stadt Myrina meiner Mutter errichtet hatte, auf Batieia umbenannt werde. Der Kaiser mußte den Eindruck gewinnen, meine Mutter sei in Myrina eine hochangesehene Frau gewesen, da die Stadt sie sogar durch eine Statue ehrte.
»Deine griechische Herkunft ist vornehm«, sagte er zu mir und betrachtete mich wohlwollend mit seinen rotgeäderten Augen. »Die Bildung ist das Erbe Griechenlands, Roms Stärke ist die Staatskunst. Du bist rein und schön wie eine meiner Goldmünzen, die ich mit einer lateinischen Inschrift auf der einen und einer griechischen auf der anderen Seite prägen ließ. Wie kann ein so schöner, stattlicher Knabe Minutus heißen! Das ist übertriebene Bescheidenheit.«
Mein Vater beeilte sich zu erklären, daß er den Tag meiner Mannesweihe hinausgeschoben hatte, damit mein Name gleichzeitig in die Ritterrolle im Tempel des Castor und des Pollux eingeschrieben werden könne. Es wäre eine große Ehre für ihn, fügte er hinzu, wenn Kaiser Claudius selbst mir einen passenden Zunamen gäbe. »Ich habe Güter bei Caere, und mein Geschlecht geht zurück in die Zeit, da Syrakus der Seeherrschaft Caeres ein Ende bereitete. Doch über diese Dinge weißt du mehr als ich, Clarissimus.«
»Dachte ich mir nicht, daß mir deine Züge bekannt vorkommen!« rief Claudius entzückt. »Ich habe dein Gesicht und deine Augen auf den alten etruskischen Grabmalereien gesehen, die ich in meiner Jugend studierte, obwohl sie durch Feuchtigkeit und mutwillige Hände schon arg beschädigt waren. Da du selbst Mecentius heißt, soll dein Sohn den Namen Lausus erhalten. Weißt du auch, wer Lausus war, Minutus?«
Ich antwortete ihm, daß Lausus der Sohn des Königs Mecentius gewesen sei, der mit Turnus gegen Äneas kämpfte. »So steht es in deiner Geschichte der Etrusker geschrieben, sonst wüßte ich es nicht«, sagte ich mit unschuldsvoller Miene.
»Hast du wirklich trotz deiner Jugend schon mein bescheidenes Buch gelesen, Minutus?« fragte Claudius und bekam vor Rührung den Schluckauf. Narcissus klopfte ihm leicht auf den Rücken und befahl den Sklaven, Wein zu holen. Claudius ließ auch uns Wein anbieten, ermahnte mich jedoch väterlich, keinen unvermischten Wein zu trinken, bevor ich nicht so alt sei wie er. Narcissus nützte diesen Augenblick und bat ihn, die Verleihung der Ritterwürde an meinen Vater durch seine Unterschrift zu bestätigen. Claudius schrieb bereitwillig seinen Namen nieder, obwohl er, wie ich glaube, schon vergessen hatte, worum es sich handelte.
Mein Vater fragte: »Ist es wirklich dein ausdrücklicher Wille, daß mein Sohn Lausus heißen soll? Wenn dem so ist, wird Kaiser Claudius selbst bei ihm Pate stehen, und das ist die höchste Ehre, die mir zuteil werden kann.«
Claudius trank mit wackelndem Kopf von seinem Wein und sagte mit besonderer Betonung: »Schreibe auch das auf, Narcissus. Und du, Mecentius, schicke mir nur einen Boten, wenn dem Knaben das Haar geschnitten werden soll. Ich will dein Gast sein, sofern mich nicht wichtige Staatsangelegenheiten hindern.«
Er stand entschlossen auf, stürzte beinahe, ehe die Sklaven vorspringen und ihn stützen konnten, und sagte nach einem kräftigen Rülpser: »Meine vielen gelehrten Beschäftigungen haben einen zerstreuten Menschen aus mir gemacht, so daß ich mich alter Begebenheiten besser erinnere als jüngst vergangener. Daher lasse ich sofort aufschreiben, was ich gelobe und was ich verbiete. Doch nun will ich meine Mittagsruhe halten und sehen, ob ich mich erbrechen kann, denn sonst bekomme ich Magenschmerzen von dem zähen Ziegenfleisch.«
Als er, wiederum von seinen Sklaven gestützt, den Saal verlassen hatte, riet Narcissus meinem Vater: »Laß deinen Sohn am nächstbesten günstigen Tag die Männertoga anlegen und gib mir Nachricht. Es ist möglich, daß der Kaiser wirklich an sein Versprechen denkt und bei ihm Pate steht. Zumindest kann ich ihn an den Namen und das Versprechen erinnern, und dann wird er so tun, als wäre es ihm selbst eingefallen.«
Tante Laelia hatte große Mühe, einige Vornehme ausfindig zu machen, die dem Geschlecht der Manilier zugerechnet werden durften. Einer der Gäste war ein uralter ehemaliger Konsul, der mich freundlich an der Hand hielt, als ich das Schwein opferte. Die meisten waren aber Frauen in Tante Laelias Alter, die wohl hauptsächlich die Aussicht auf eine gute Mahlzeit ins Haus gelockt hatte. Sie schnatterten wie eine Herde Gänse, während mir der Barbier das Haupthaar schnitt und den dünnen Flaumbart schor. Ich konnte mich ihrer kaum erwehren, als sie mir die Männertoga anlegten und mir dabei die Glieder streichelten und die Wangen tätschelten, und sie wußten sich vor Neugier nicht zu fassen, als ich um meines Gelübdes willen den Barbier mit in mein Zimmer nahm, damit er mir dort auch die Körperhaare abschere, die meine Mannheit bezeugten. Ich legte sie zusammen mit den Barthaaren in eine silberne Büchse, deren Deckel mit einem Mond und einem Löwen verziert war. Der Barbier schwatzte und scherzte, während er seine Arbeit verrichtete, und versicherte mir, es sei durchaus nichts Ungewöhnliches, daß vornehme Jünglinge, wenn sie die Männertoga bekamen, ihre Schamhaare der Göttin Venus opferten, um ihre Gunst zu gewinnen.
Kaiser Claudius kam nicht zu unserem Familienfest, aber er ließ mir durch Narcissus einen goldenen Ritterring schicken und erlaubte, daß in der Ritterrolle neben meinem Namen die Anmerkung gemacht wurde, daß er selbst mir den Zunamen Lausus verliehen hatte. Unsere Gäste folgten meinem Vater und mir zum Tempel des Castor und des Pollux. Mein Vater bezahlte im Archiv die vorgeschriebenen Eintragungsgebühren, und man steckte mir drei Goldringe auf den Daumen. Meine Festtoga mit der schmalen roten Borte war schon fertig. Eine solche Borte durfte ich sonst nur auf dem Untergewand tragen. Vom Archiv gingen wir dann in den Versammlungssaal der Ritter, wo wir die Genehmigung erkauften, uns Reitpferde aus den Ställen auf dem Marsfeld auszuwählen.
Als wir wieder daheim waren, schenkte mir mein Vater alles, was zur Ausrüstung eines römischen Ritters gehörte: einen aus Silber geschmiedeten Schild, einen versilberten Helm mit rotem Federbusch, ein langes Schwert und eine Lanze. Die alten Frauen redeten auf mich ein, ich solle meine Rüstung gleich anlegen, und ich konnte der Versuchung begreiflicherweise nicht widerstehen. Barbus half mir, das weiche Lederkoller umzuschnallen, und bald stolzierte ich in meinen roten Halbstiefeln, mit dem Helm auf dem Kopf und dem gezückten Schwert in der Hand, wie ein Hahn auf und ab.
Mittlerweile war es Abend geworden. Unser Haus erstrahlte in festlicher Beleuchtung, und draußen scharte sich eine Menge Volkes zusammen und begaffte die aus und ein gehenden Gratulanten. Plötzlich begrüßten die Zuschauer mit lauten Beifallsrufen eine prachtvoll ausgestattete Sänfte, die von kohlschwarzen Sklaven vor unsere Tür getragen wurde. Tante Laelia lief, über ihr Gewand stolpernd, hinaus, um den späten Gast zu empfangen. Aus der Sänfte stieg eine kleine rundliche Frau, deren seidenes Gewand allzu deutlich ihre üppige Gestalt enthüllte. Sie hielt ihr Gesicht unter einem violetten Schleier verborgen, den sie zur Seite schob, um sich von Tante Laelia auf beide Wangen küssen zu lassen, und ich sah, daß ihr Gesicht schön geschminkt war.
»Lieber Minutus!« rief Tante Laelia mit vor Rührung schriller Stimme. »Dies ist die hochwohlgeborene Tullia Valeria, die gekommen ist, um dir Glück zu wünschen. Sie ist Witwe, aber ihr letzter Gemahl war ein echter Valerius.«
Diese noch immer blendend schöne, wenn auch schon zu reiferen Jahren gekommene Frau streckte mir ihre weißen Arme entgegen und drückte mich samt Rüstung und Schwert an sich. »O Minutus Lausus!« rief sie. »Ich hörte, der Kaiser selbst gab dir deinen Zunamen, und es nimmt mich nicht wunder, wenn ich dein Gesicht betrachte. Wenn mein Glück und die Launen deines Vaters es zugelassen hätten, könntest du mein eigener Sohn sein. Dein Vater und ich waren einmal gute Freunde, aber gewiß schämt er sich heute seines Betragens mir gegenüber, da er mich bei seiner Rückkehr nach Rom nicht sofort aufsuchte.«
Sie drückte mich noch immer zärtlich an sich, so daß ich ihre weichen Brüste spürte und den betäubenden Duft ihrer Salben roch, während sie sich suchend umblickte. Als mein Vater ihr Gesicht erkannte, erstarrte er, wurde bleich und machte eine unwillkürliche Bewegung, als wolle er sich umdrehen und fliehen. Die schöne Tullia nahm mich an der Hand, trat mit einem strahlenden Lächeln auf meinen Vater zu und sagte: »Hab keine Angst, Marcus. An einem Tag wie heute verzeihe ich dir alles. Was gewesen ist, ist gewesen, und wir wollen Vergangenem nicht nachtrauern, obwohl ich deinetwegen so manches Tränenfläschchen gefüllt habe, du Herzloser!«
Sie ließ mich los, schlang ihm die Arme um den Hals und küßte ihn zärtlich auf den Mund. Mein Vater stieß sie heftig von sich. Er zitterte vom Kopf bis zu den Füßen und sagte, vor Überraschung stotternd: »Tullia, Tullia! Du solltest selbst besser wissen, was für deinen Frieden gut ist. Lieber hätte ich an diesem Abend hier in meinem Haus das Haupt der Gorgo erblickt als dein Gesicht!«
Aber Tullia legte ihm nur die Hand auf den Mund und sagte schelmisch zu Tante Laelia: »Marcus ist noch ganz der alte. Es wird Zeit, daß sich jemand um ihn kümmert. Wenn ich sehe, wie verwirrt er ist, und wenn ich höre, wie unvernünftig er daherredet, so reut es mich, daß ich meinen Stolz nicht überwunden habe und selbst zu ihm gegangen bin, da er sich schämte, zu mir zu kommen.«
Diese schöne, in Seide gekleidete, welterfahrene Frau bezauberte mich, so alt sie war, und ich beobachtete voll Schadenfreude, wie mein Vater in ihrer Gegenwart die Beherrschung verlor. Tullia richtete nun ihre Aufmerksamkeit auf die anderen Gäste und grüßte die einen freundlich, die anderen hochmütig. Die alten Frauen steckten die Köpfe zusammen und hatten viel zu tuscheln, aber sie kümmerte sich nicht um ihre bösen Blicke.
Sie wollte nur ein paar Süßigkeiten essen und ein wenig Wein trinken, bat mich jedoch, mich zu ihr auf das Sofa zu setzen, und sagte: »Daran ist nichts Unziemendes, auch wenn du nun ein Mann bist, denn ich könnte deine Mutter sein.« Dann streichelte sie mir mit ihrer weichen Hand den Hals, seufzte und sah mir auf eine Art in die Augen, daß ich ein Kribbeln am ganzen Körper verspürte. Mein Vater bemerkte meine Befangenheit. Er trat mit geballten Fäusten auf uns zu und sagte: »Laß meinen Sohn in Ruhe, Tullia. Du hast mir schon genug Unheil gebracht.«
Tullia schüttelte wehmütig den Kopf und seufzte: »Wenn je in deinen jungen Jahren jemand dein Wohltäter war und nach deinem Besten sah, so war wohl ich es. Sogar nach Alexandria bin ich dir einst nachgereist, aber glaube nur ja nicht, daß ich das ein zweites Mal tun würde. Nur deines Sohnes wegen bin ich gekommen. Ich warne dich, Marcus. Valeria Messalina ist beleidigt, weil Claudius deinem Sohn einen Namen gegeben und einen Ritterring geschickt hat, ohne sie zu fragen. Aus diesem Grunde gibt es einige, die auf dich und deinen Sohn sehr neugierig sind und gern ihre Gunst all denen zuwenden, mit denen diese schamlose Person Streit sucht. Du stehst vor einer schweren Wahl, Marcus.«
»Ich will mit alledem nichts zu schaffen haben und kein Wort von diesen Weiberränken hören!« rief mein Vater in großer Verzweiflung aus. »Und ich mag nicht glauben, daß du mich nach so vielen Jahren aufs neue in deine Intrigen verwickeln willst, so daß ich meinen guten Ruf, den ich eben erst mit knapper Not zurückgewonnen habe, gleich wieder verliere. Weh dir, Tullia!«
Die spöttische Tullia lachte entzückt, streichelte meinem Vater die Hand und rief: »Nun verstehe ich plötzlich, warum ich damals so in dich vernarrt war, Marcus. Kein anderer Mann hat meinen Namen je so bezaubernd ausgesprochen wie du.«
Und wirklich, als er ihren Namen sagte, lag ein Hauch Wehmut in seiner Stimme, nur konnte ich nicht begreifen, was eine so feine, vornehme Dame an meinem Vater fand. Tante Laelia trat kichernd zu uns, tätschelte meinem Vater die Wangen und sagte warnend: »Ihr sitzt hier beisammen und neckt euch wie junge Liebende. Wird es nicht Zeit, daß du endlich zur Ruhe kommst, liebe Tullia? Du hast immerhin vier Ehemänner gehabt und den letzten vor nicht allzu langer Zeit erst zu Grabe getragen.«
»Wie recht du hast, liebste Laelia. Es wird Zeit, daß ich zur Ruhe komme«, gab Tullia zu. »Deshalb bin ich so unsäglich froh darüber, daß ich Marcus wiedergefunden habe. Seine Nähe beruhigt mich so wunderbar.« Sie wandte sich an mich und fuhr fort: »Du aber, du neuer Achill mit deinem jungen Schwert, bringst mich um meine Gemütsruhe. Wäre ich nur zehn Jahre jünger, ich würde dich bitten, mit mir hinauszugehen und den Mond zu betrachten. In meinem Alter kann ich das leider nicht mehr. Geh also deines Wegs und suche dir deine Freuden anderswo. Dein Vater und ich haben mancherlei zu bereden.«
Als sie den Mond erwähnte, wurde ich unruhig. Ich ging in das obere Stockwerk hinauf, um meine Waffen abzulegen, und als ich mir mit der Hand über mein kurzes Haar und die glatten Wangen fuhr, fühlte ich mich plötzlich traurig und enttäuscht. So lange hatte ich auf diesen Tag gewartet, und nichts von dem, was ich mir dunkel erträumt hatte, war geschehen. Doch ich mußte nun das Gelübde erfüllen, das ich vor dem Orakel in Daphne abgelegt hatte.
Ich verließ das Haus durch die hintere Tür und nahm in der Küche den Segen der verschwitzten Sklaven entgegen, die ich zu essen und zu trinken bat, soviel sie vermochten, da keine Gäste mehr zu erwarten waren, sondern das Haus sich schon zu leeren begann. Draußen bei der Pforte sah ich pflichtgetreu nach den beinahe schon ganz niedergebrannten Fackeln und dachte wehmütig, daß dies nun vielleicht der größte und festlichste Tag meines Lebens gewesen sei. Das Leben selbst ist ja eine Fackel, die anfangs hell brennt und zuletzt in Rauch und Qualm verlischt.
Da trat mir plötzlich aus dem Schatten der Mauer eine weibliche Gestalt entgegen, die in einen braunen Mantel gehüllt war. »Minutus, Minutus«, flüsterte sie vorsichtig. »Ich will dir Glück wünschen, und diese Kuchen habe ich selbst für dich gebacken. Ich wollte sie den Sklaven übergeben, aber das Schicksal war mir günstig und ich traf dich selbst.«
Erschrocken erkannte ich Claudia, vor der Tante Laelia mich gewarnt hatte. Zugleich aber schmeichelte es mir, daß dieses sonderbare Mädchen sich nach meinem Festtag erkundigt hatte, um mir Glück wünschen zu können. Und als ich ihre dichten schwarzen Brauen, ihren großen Mund und ihre sonnengebräunte Haut sah, da durchströmte mich plötzlich eine tiefe Freude. Sie war so ganz anders als diese säuerlichen alten Frauen, die sich in unserem Haus versammelt hatten. Claudia war lebendig und natürlich und verstellte sich nicht. Und sie war meine Freundin.
Scheu legte sie mir eine Hand an die Wange und war lange nicht so übermütig und selbstsicher wie bei unserem ersten Zusammentreffen. »Minutus«, flüsterte sie. »Du hast gewiß Schlimmes über mich gehört, aber ich bin nicht so schlecht, wie die Leute sagen. Seit ich dir begegnet bin, mag ich überhaupt nur noch gute Gedanken denken, und auf diese Weise hast du mir wirklich Glück gebracht.«
Wir gingen nebeneinander her. Claudia zog mir die Toga am Hals zurecht, und dann aßen wir zusammen einen ihrer Kuchen, indem wir abwechselnd davon abbissen, ganz wie wir es damals in der Bibliothek mit dem Käse gemacht hatten. Der Kuchen war mit Honig und Kümmel gewürzt, und Claudia erzählte mir, daß sie selbst den Honig und den Kümmel gesammelt und in einer alten Handmühle die Weizenkörner gemahlen hatte.
Diesmal nahm sie beim Gehen nicht meinen Arm, sondern wich jeder Berührung mit mir scheu aus. Von meiner neuen Mannheit ganz erfüllt, ergriff ich selbst ihren Arm und führte sie zwischen den Menschengruppen auf der Straße hindurch. Sie seufzte glücklich, und ich faßte so viel Vertrauen zu ihr, daß ich ihr von meinem Gelübde berichtete und ihr sagte, daß ich nun mit meiner Opfergabe in einer Silberbüchse auf dem Weg zum Tempel der Mondgöttin war.
»Huh!« machte sie erschrocken. »Dieser Tempel hat einen schlechten Ruf. Nachts werden dort hinter verschlossenen Türen sittenlose Mysterien gefeiert. Wie gut, daß ich vor deinem Haus stand und auf dich wartete. Wenn du allein gegangen wärst, hättest du mehr dort drinnen gelassen als nur deine Opfergabe.«
Und nach einer kleinen Weile fuhr sie fort: »Ich selbst mag mir nicht einmal mehr die staatlichen Opfer ansehen. Die Götter sind nur Stein und Holz. Der Narr auf dem Palatin erweckt die alten Zeremonien wieder zum Leben, nur um das Volk noch fester mit den alten Fesseln zu binden. Ich habe meinen eigenen heiligen Baum und einen klaren Opferquell. Wenn mir traurig zumute ist, gehe ich hinauf zum Orakel auf dem Vatikanischen Hügel und betrachte den Vogelflug.«
»Du sprichst wie mein Vater«, sagte ich. »Der will nicht einmal, daß mir ein Seher aus einer Leber weissagt. Aber es gibt geheimnisvolle Mächte und Zauberei, das geben sogar vernünftige Menschen zu. Daher will ich mein Gelübde lieber erfüllen.«
Indessen waren wir vor dem tief in den Boden eingesunkenen Tempel angekommen. Zu meiner Erleichterung stand die Tür weit offen, und drinnen brannten einige kleine Öllampen, aber es war niemand zu sehen. Ich hängte meine Silberbüchse zwischen den anderen Tempelgaben auf. Wahrscheinlich hätte ich die Glocke läuten müssen, um die Priesterin zu rufen, aber ich hatte, offen gestanden, Angst vor ihr und wollte gerade in diesem Augenblick ihr leichenblasses Gesicht nicht sehen. Schnell tauchte ich die Fingerspitzen in das heilige Öl und strich es auf das schwarze steinerne Ei. Claudia lächelte belustigt und legte einen Kuchen als Geschenk auf den leeren Schemel der Priesterin. Dann liefen wir aus dem Tempel wie zwei mutwillige Kinder.
Draußen küßten wir uns. Claudia hielt mein Gesicht zwischen beiden Händen und fragte eifersüchtig: »Hat dein Vater dich schon einer versprochen, oder hat man dir nur ein paar kleine Mädchen gezeigt, unter denen du dir eins aussuchen sollst? Das ist ja an einem Tag wie diesem der Brauch.«
Ich hatte den wahren Grund nicht vermutet, warum Tante Laelias alte Freundinnen einige kleine Mädchen mitgebracht hatten, die mich mit dem Finger im Mund anstarrten, und hatte angenommen, sie seien nur gekommen, um Backwerk und Süßigkeiten zu naschen. Daher sagte ich nun erschrocken: »Nein, nein, mein Vater hat nicht die Absicht, mich schon mit irgend jemandem zu verheiraten.«
»Ach, wenn ich nur meine Zunge im Zaum halten und dir in ruhigen, wohlgesetzten Worten sagen könnte, was ich denke«, sagte Claudia traurig. »Binde dich nur nicht zu früh, das bringt nichts als Unheil. Es gibt ohnehin schon genug Ehebrecher in Rom. Der Altersunterschied zwischen uns beiden kommt dir jetzt gewiß sehr groß vor, denn ich bin ja fünf Jahre älter als du, aber mit den Jahren und wenn du erst einmal deinen Waffendienst als Kriegstribun geleistet hast, wird dieser Unterschied immer geringer werden. Du hast einen Kuchen gegessen, den ich gebacken habe, und mich aus freiem Willen auf den Mund geküßt. Ich habe darum zwar keine Rechte auf dich, aber ich nehme es als ein Zeichen dafür, daß du mich nicht ganz unausstehlich findest, und daher bitte ich dich, bisweilen an mich zu denken und dich an keine andere zu binden, ehe du nicht mit mir darüber gesprochen hast.«
Ich dachte im Traum nicht daran, mich zu vermählen, und daher fand ich ihre Bitte ganz vernünftig. Ich küßte sie ja gerne, und es wurde mir so warm, wenn ich sie im Arm hielt. Daher sagte ich: »Das verspreche ich dir gern, nur darfst du nicht darauf bestehen, mir ständig nachzulaufen und überall mit dabeisein zu wollen. Außerdem habe ich mir nie etwas aus den albernen Mädchen in meinem eigenen Alter gemacht. Dich mag ich, weil du reifer bist und Bücher liest. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß die Dichter in ihren Liebesliedern Hochzeitszeremonien beschreiben. Nein, sie schildern die Liebe als frei und ungebunden. Kein Wort von Heim und Herd, sondern nichts als Mondschein und Rosenduft.«
Claudia wurde unruhig und rückte ein wenig von mir ab. »Du weißt nicht, wovon du redest«, sagte sie tadelnd. »Warum sollte ich nicht an den feuerroten Schleier, den safrangelben Mantel und den Gürtel mit den zwei Knoten denken dürfen! Es ist der innigste Wunsch jeder wirklichen Frau, wenn sie einem Mann die Wangen streichelt und ihn auf den Mund küßt.«
Ihre Einwände reizten mich nur dazu auf, sie noch einmal fest in die Arme zu schließen, um ihren widerstrebenden Mund und ihren warmen Hals zu küssen. Aber Claudia riß sich los, gab mir eine schallende Ohrfeige und brach in Tränen aus, die sie sich mit der Hand fortwischte.
»Ich glaubte, du dächtest anders von mir«, sagte sie schluchzend. »Das ist nun also der Dank dafür, daß ich mir Zwang antat und nur Gutes von dir dachte. Du willst nichts anderes, als mich dort drüben bei der Mauer auf den Rücken werfen und mir die Knie auseinanderzwängen, um deine neugierigen Gelüste an mir zu stillen. Nein, so ein Mädchen bin ich nicht!«
Ihre Tränen ernüchterten mich, und ich sagte verdrossen: »Du bist stark genug, um dich zu wehren, und ich weiß nicht einmal, ob ich das, was du meinst, mit dir tun könnte. Ich habe nie mit Sklavinnen gespielt, und meine Amme hat mich auch nicht verführt. Du brauchst also nicht zu flennen, denn du bist in diesen Dingen bestimmt erfahrener als ich.«
Claudia starrte mich verblüfft an und vergaß zu weinen. »Ist das wirklich wahr? Ich habe immer geglaubt, Knaben seien die reinsten Affen. Je vornehmer sie sind, desto äffischer sind die Sitten, die sie sich angewöhnen. Aber wenn du die Wahrheit sprichst, habe ich um so mehr Grund, meinen zitternden Körper zu beherrschen. Du würdest mich verachten, wenn ich dir und mir selbst zu Willen wäre. Eine kurze Freude und ein langes Vergessen, mehr hätten wir nicht davon.«
Meine brennende Wange und die Enttäuschung, die ich in meinem ganzen Körper fühlte, ließen mich höhnisch antworten: »Das weißt du offenbar selbst am besten.« Dann drehte ich mich um und begann, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, heimwärts zu gehen. Sie zögerte einen Augenblick und kam dann langsam hinter mir her. Lange sprachen wir nicht ein Wort miteinander. Zuletzt aber mußte ich herzlich lachen, denn ich fand es zu spaßig, wie sie da demütig und bescheiden hinter mir herging.
Sie machte sich meinen Stimmungsumschwung rasch zunutze, legte mir die Hand auf die Schulter und bat: »Versprich mir noch etwas, lieber Minutus. Lauf nicht geradewegs ins nächste Freudenhaus oder um der Venus zu opfern, wie es die meisten tun, sobald sie die Toga bekommen haben. Wenn du einmal unwiderstehliche Lust auf so etwas verspürst, und ich weiß ja, wie zügellos die Männer sind, dann sprich auch darüber zuerst mit mir, und ich sage das, obwohl du mir damit großen Kummer bereiten wirst.«
Ich versprach ihr auch das, da sie mich so eindringlich bat. Ich selbst dachte in Wirklichkeit nur daran, was für ein Pferd ich wohl bekommen würde, und in diesem Augenblick hätte mir nicht einmal Kleopatra mehr Interesse abzugewinnen vermocht als ein Pferd. Ich lachte, als ich Claudia mein Versprechen gab, und sagte, sie sei ein sonderbares und ein wenig verrücktes Mädchen. Wir nahmen lächelnd und als gute Freunde voneinander Abschied, und mir war danach sehr froh zumute. Als ich nach Hause kam, stieg mein Vater gerade in Tullias Sänfte, um sie höflich heimzubegleiten. Sie wohnte auf dem Virinal, am anderen Ende der Stadt, auf der Grenze zwischen den Vierteln Altasemita und Esquilina. Mein Vater starrte mich aus großen, leblosen Augen an und fragte mich nicht, wo ich gewesen sei. Er bat mich nur, mich zeitig schlafen zu legen. Ich argwöhnte, daß er sehr viel Wein getrunken hatte, aber seinem Gang merkte man nichts an.
Ich schlief tief und lange und war sehr enttäuscht, als ich am Morgen feststellen mußte, daß mein Vater nicht zu Hause war. Ich hatte gehofft, wir würden uns unverzüglich zu den Ställen auf dem Marsfeld begeben, um ein Pferd für mich auszusuchen. Das Haus wurde nach dem Fest aufgeräumt, und Tante Laelia klagte über Kopfweh. Ich fragte sie, wohin mein Vater schon in aller Frühe gegangen sei, aber sie antwortete mir nur zornig: »Dein Vater ist alt genug, um selbst zu wissen, was er tut. Er hatte mit seiner Jugendfreundin viel zu besprechen. Wahrscheinlich ist er bei Tullia geblieben. Sie hat Schlafgelegenheiten für mehr Männer als nur ihn.«
Barbus und ich vertrieben uns die Zeit, indem wir unter den Büschen im Garten würfelten, während sich im Haus die Putzfrauen mit ihren Bürsten und Eimern zu schaffen machten. Es roch schon ganz nach Frühling. Gegen Mittag kam endlich mein Vater zurück, stoppelbärtig und mit rotgeäderten Augen. Er verbarg sein Gesicht in einem Zipfel seiner fleckigen Toga und war von einem Advokaten mit Schreibzeug und Papierrollen begleitet. Barbus stieß mich in die Seite und bedeutete mir, daß es das beste – für mich sei, mich ganz still zu verhalten.
Ganz gegen seine Gewohnheit trat mein sanftmütiger Vater gegen die Scheuereimer und brüllte die Sklaven an, sie sollten ihm schneller als der Blitz aus den Augen verschwinden. Nach kurzer Beratung mit dem Advokaten rief er mich zu sich. Tante Laelia weinte wie ein Springbrunnen, und ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und fragte meinen Vater stotternd, ob er nun Zeit hätte, mit mir zu den Ställen zu gehen, um ein Pferd auszuwählen.
»Du und dein Pferd, ihr habt mich ins Verderben gestürzt!« schrie er. Sein Gesicht war vor Wut so entstellt, daß ich plötzlich sehr gut verstehen konnte, daß er in seiner Jugend jahrelang mit verwirrten Sinnen umhergewandert war. Er bereute jedoch sogleich seinen Zorn und rief: »Nein, nein, ich selbst bin an allem schuld. Meine eigene Schwachheit richtet mich zugrunde. Ein schweres Unglück hat alle meine Pläne vereitelt, und ich muß unverzüglich nach Antiochia zurückreisen. Ich habe daher bestimmt, daß die Erträge einiger meiner Güter bei Caere und die Mietshäuser hier in der Stadt auf dich überschrieben werden. Auf diese Weise hast du mehr als die zwanzigtausend Sesterze jährliche Einkünfte, die ein Ritter nachweisen muß. Tante Laelia kümmert sich um das Haus, das nun dein Heim bleiben wird. Ich habe ihr übrigens eine Leibrente angewiesen. Du brauchst nicht zu weinen, Minutus. Mein Advokat wird dein Vormund sein. Er stammt aus altem Rittergeschlecht. Ihr könnt gehen und euch das Pferd aussuchen, wenn ihr wollt, aber ich muß nach Antiochia reisen, ohne einen Augenblick zu verlieren.«
Er war so verstört, daß er so, wie er war, auf die Straße hinausstürzen wollte, um seine Reise zu beginnen, aber der Advokat und Tante Laelia hielten ihn zurück, obwohl er zuerst ungeduldig versicherte, man brauche ihm weder seine Kleider einzupacken noch einen Mundvorrat zu richten, denn er könne beim Stadttor einen Wagen nach Puteoli mieten und sich unterwegs alles Nötige besorgen. Ein trauriges Durcheinander herrschte nun nach dem fröhlichen Fest des Vortages plötzlich in unserem Haus, und da wir ihn nicht wie einen Flüchtigen scheiden lassen konnten, der sich mit verhülltem Antlitz davonschleicht, begleiteten wir ihn alle – Tante Laelia, der Advokat, Barbus und ich. Zuletzt kamen die Sklaven, die seine hastig zusammengepackten Habseligkeiten trugen.
Als mein Vater vor dem Capuanischen Tor unterhalb des Caelius angekommen war, atmete er erleichtert auf und begann sich von uns zu verabschieden, indem er sagte, daß er jenseits des Tores schon die goldene Freiheit winken sehe und daß er Antiochia nie hätte verlassen dürfen. Am Tor trat uns jedoch ein Ädil mit seinem Amtsstab in der Hand und zwei Ordnungswächtern im Gefolge entgegen.
»Bist du der römische Ritter Marcus Mecentius Manilianus?« fragte er meinen Vater. »Wenn du es bist, so hat eine hochgestellte Dame in einer wichtigen Angelegenheit mit dir zu reden.«
Mein Vater wurde zuerst feuerrot und dann kreideweiß im Gesicht. Er blickte zu Boden, behauptete, er habe mit niemandem etwas zu regeln, und versuchte, durch das Tor zu entkommen. Der Ädil warnte ihn: »Solltest du die Mauern Roms verlassen wollen, habe ich Befehl, dich vor den Stadtpräfekten zu bringen, und es wäre meine Pflicht, dich festzunehmen, um dich an der Flucht zu hindern.«
Der Advokat eilte an die Seite meines Vaters, verlangte, daß der Ädil die Gaffer, die sich bereits um uns versammelten, zerstreue, und fragte, wessen mein Vater angeklagt sei. »Eine einfache, abgeschmackte Geschichte«, antwortete der Ädil. »Die Senatorenwitwe Tullia Valeria behauptet, Manilianus habe ihr in der vergangenen Nacht in Gegenwart von Zeugen ein gesetzlich bindendes Eheversprechen gegeben und ihr darauf de facto beigewohnt. Da sie aus dem einen oder anderen Grunde an seinen ehrlichen Absichten zweifelte, ließ sie ihn durch einen ihrer Sklaven überwachen, denn er hatte ihr Haus ohne Abschied verlassen. Als Tullia Valeria die Gewißheit hatte, daß er zu fliehen beabsichtigte, wandte sie sich an den Stadtpräfekten. Wenn Manilianus sich aus der Stadt entfernt, wird er wegen betrügerischen Eheversprechens, Notzucht und Diebstahls einer kostbaren Halskette aus Tullia Valerias Besitz verurteilt, und letzteres ist für einen Ritter gewiß schimpflicher als der Bruch eines Ehegelöbnisses.«
Mein Vater tastete mit steifen Händen unter dem Mantel nach seinem Hals, zog eine mit Edelsteinen in verschiedenen Farben besetzte Goldkette hervor und sagte mit gebrochener Stimme: »Tullia hat mir mit ihren eigenen Händen diese verfluchte Kette umgelegt, und in der Eile vergaß ich, sie wieder abzulegen. Dringende Geschäfte erfordern meine Anwesenheit in Antiochia. Ich gebe ihr die Kette selbstverständlich zurück und stelle jede gewünschte Sicherheit, aber ich muß sofort abreisen.«
Der Ädil schämte sich für meinen Vater und fragte: »War es nicht vielmehr so, daß ihr miteinander die Ketten tauschtet, um euer Treuegelöbnis und das Eheversprechen zu bekräftigen?«
»Ich war betrunken und wußte nicht, was ich tat«, erwiderte mein Vater.
Der Ädil zweifelte an dieser Behauptung und sagte: »Nein, im Gegenteil, du machtest viele Worte und nanntest eine ganze Reihe Beispiele, wonach Philosophen eine rechtsgültige Ehe allein dadurch eingehen können, daß sie in Gegenwart von Zeugen ein Versprechen abgeben. Soll ich dich etwa so verstehen, daß du nur in betrunkenem Zustand deine Scherze triebst, um eine ehrbare Frau ins Bett zu locken? Wenn dem so ist, verdienst du um so schwerere Strafe für deine Tat. Ich gebe dir Gelegenheit, dich mit Tullia Valeria im Guten zu einigen. Solltest du aber durch das Tor gehen, lasse ich dich festnehmen, und deine Angelegenheit wird vor Gericht bereinigt.«
Der Advokat beschwor meinen Vater, nun wenigstens zu schweigen, und versprach ihm, er werde mit ihm zu Tullia Valeria gehen, um mit ihr zu verhandeln. Müde und übernächtigt, wie er war, begann mein Vater zu weinen und sagte: »Überlaßt mich nur meinem Elend. Ich gehe lieber ins Gefängnis, gebe meine Ritterwürde zurück und zahle die Geldbuße, als daß ich dieses falsche Weib noch einmal sehen muß. Bestimmt hat sie mir Gift gegeben und irgend etwas Schändliches in meinen Wein getan, sonst hätte ich nicht so von Sinnen sein können. Ich erinnere mich wirklich nicht mehr, was alles geschehen ist.«
»Man wird es in Erfahrung bringen«, versicherte der Advokat und versprach, meinen Vater vor Gericht zu verteidigen. Da mischte sich Tante Laelia ein, stampfte auf den Boden und rief mit brandroten Flecken auf den Wangen: »Ein zweites Mal wirst du den ehrlichen Namen der Manilier nicht durch einen schimpflichen Prozeß besudeln, Marcus! Sei endlich ein Mann und steh zu deinen Taten!«
Ich schloß mich weinend Tante Laelia an und rief, ein solcher Prozeß könne auch mich in ganz Rom zum Gespött machen und meine Zukunft zerstören. Wir sollten alle zusammen sogleich zu Tullia gehen, sagte ich und versprach, neben meinem Vater vor dieser schönen, vornehmen Dame auf die Knie zu fallen und um Vergebung zu bitten.
Mein Vater vermochte uns nicht zu widerstehen. Zusammen mit dem Ädil und den Ordnungswächtern gingen wir auf den Virinal. Die Sklaven folgten uns mit dem Gepäck meines Vaters, denn in der Aufregung dachte niemand daran, sie nach Hause zu schicken. Tullia Valerias Haus und Garten waren ungeheuer groß und prächtig. Im Säulengang des Atriums trat uns ein hünenhafter, in Grün und Silber gekleideter Türhüter entgegen. Er grüßte meinen Vater ehrerbietig und rief: »Willkommen, Herr, in deinem Haus. Meine Herrin erwartet dich schon voll Ungeduld.«
Nach einem letzten verzweifelten Blick in die Runde bat uns mein Vater mit schwacher Stimme, im Atrium zu warten, und ging allein weiter. Eine ganze Schar Sklaven kam herbei und bot uns Früchte und Wein aus silbernen Gefäßen an. Tante Laelia sah sich erfreut um und bemerkte: »Es gibt offenbar Männer, die sich nicht auf ihren eigenen Vorteil verstehen. Ich begreife nicht, was Marcus an einem Haus wie diesem auszusetzen hat!«
Kurz darauf kam Tullia Valeria selbst, um uns zu begrüßen. Sie trug nur eine durchsichtige Seidentunika, war aber kunstvoll gekämmt und schön geschminkt. Strahlend rief sie: »Ich weiß mich nicht zu fassen vor Freude darüber, daß Marcus so schnell zu mir zurückgekehrt ist und gleich seine Sachen mitgebracht hat. Nun braucht er dieses Haus gar nicht mehr zu verlassen, und wir können hier glücklich zusammen leben bis ans Ende unserer Tage.«
Sie bat ihren Schatzmeister, dem Ädilen als Entgelt für seine Mühe einen Beutel aus weichem rotem Leder zu geben, und sagte reuevoll: »Natürlich habe ich Marcus in meinem Herzen nicht einen Augenblick mißtraut, aber eine alleinstehende Witwe kann nicht vorsichtig genug sein, und in seinen jungen Jahren war Marcus recht wankelmütig. Ich sehe zu meiner Freude, daß er einen Advokaten mitgebracht hat, so daß wir gleich den Ehevertrag aufsetzen können. Ich hätte nicht geglaubt, daß du so bedachtsam sein würdest, Marcus, so unbedacht warst du heut nacht in meinem Bett.«
Mein Vater räusperte sich und schluckte, brachte aber kein Wort hervor. Tullia führte uns in ihre großen Säle und ließ uns die Mosaikfußböden, die schön eingeteilten Wandfelder und die Wandmalereien bewundern. Auch in ihr Schlafzimmer ließ sie uns einen kurzen Blick werfen, tat dabei jedoch so, als schämte sie sich, hob einen Arm vors Gesicht und rief: »Nein, tretet lieber nicht ein. Es ist von der Nacht her noch alles in Unordnung!«
Mein Vater fand endlich die Sprache wieder und rief: »Beim einzigen allmächtigen Gott, du hast gewonnen, Tullia, und ich füge mich in mein Schicksal! Aber schick nun endlich den Ädilen fort, damit er meine Erniedrigung nicht länger mit anzusehen braucht.«
Prachtvoll gekleidete Sklaven bemühten sich um uns und sorgten nach bestem Vermögen für unser Wohlbehagen. Sogar zwei kleine Knaben sprangen nackt im Haus umher und stellten Liebesgötter dar. Ich fürchtete zuerst, sie könnten sich erkälten, aber dann entdeckte ich, daß die Steinböden in diesem verschwenderisch eingerichteten Haus durch Warmwasserleitungen erwärmt wurden. Der Ädil und der Advokat meines Vaters berieten sich noch eine Weile und kamen zu dem Schluß, daß ein in Gegenwart von Zeugen abgelegtes Ehegelöbnis auch ohne öffentliche Trauung rechtskräftig sei. Der Ädil entfernte sich mit seinen Begleitern, nachdem er sich vergewissert hatte, daß mein Vater bereit war, den Ehevertrag ohne Einwände zu unterzeichnen. Der Advokat beschwor ihn, über die Sache zu schweigen, aber sogar ich mit meinem geringen Verstand begriff, daß ein Mann in seiner Stellung es sich unmöglich versagen konnte, eine so leckere Skandalgeschichte weiterzuverbreiten.
Aber war es denn wirklich ein Skandal? War es nicht eher schmeichelhaft für meinen Vater, daß eine so vornehme und offensichtlich ungeheuer reiche Dame sich um jeden Preis mit ihm vermählen wollte? Bei all seiner Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit mußte mein Vater verborgene Eigenschaften besitzen, die ich nicht kannte und die in ganz Rom Neugier erwecken konnten, und ein wenig von dieser Neugier galt dann gewiß auch mir. Zudem konnte sich diese Heirat selbst auch für mich sehr vorteilhaft auswirken. Sie zwang jedenfalls meinen Vater, in Rom zu bleiben, so daß ich in dieser großen Stadt, in der ich mich noch verloren fühlte, nicht allein meinem Schicksal ausgeliefert war.
Was aber fand die schöne, verwöhnte Tullia an meinem Vater? Einen Augenblick dachte ich argwöhnisch, daß sie vielleicht ein leichtsinniges Leben führte und bis über die Ohren in Schulden steckte, so daß sie ihn des Geldes wegen nahm. Doch dann bedachte ich, daß mein Vater für römische Verhältnisse gar keine so großen Reichtümer besaß, wenngleich seine Freigelassenen in Antiochia und anderen Städten des Ostens vermögend waren. Völlig zerstreut wurde mein Mißtrauen, als mein Vater und Tullia beschlossen, den Ehevertrag so abzufassen, daß auch in Zukunft ein jeder für sich über sein Eigentum verfügte.
»Wenn du aber Zeit und Lust hast, lieber Marcus«, sagte Tullia sanft, »dann möchte ich dich bitten, daß du mit meinem Schatzmeister sprichst, meine Eigentumsverzeichnisse durchsiehst und mich bei meinen Geschäften berätst. Was versteht schon eine einfache Witwe von diesen Dingen! Ich habe mir sagen lassen, daß du ein sehr tüchtiger Geschäftsmann geworden bist, was wohl keiner je für möglich gehalten hätte, der dich als jungen Mann kannte.«
Mein Vater erwiderte gereizt, daß nun, da dank Kaiser Claudius und seinen Freigelassenen Friede und Ordnung im Reiche herrschten, ein vernünftig angelegtes Vermögen sich ganz von selbst vermehre. »Aber mein Kopf ist leer, und ich kann nicht einen klaren Gedanken fassen«, sagte er und kratzte sich am Kinn. »Ich muß zu einem Barbier und in ein Bad gehen, um auszuruhen und mich zu sammeln.«
Tullia führte uns jedoch an Marmorstandbildern und Springbrunnen vorbei durch den großen Innengarten, in dessen hinterem Teil sie uns ihr eigenes Bad mit Kalt- und Warmwasserbecken und einem Abkühlraum zeigte. Dort warteten schon ein Barbier, ein Masseur und ein Badesklave darauf, uns zu bedienen.
»Du brauchst nie wieder einen einzigen Denar für den Kleiderwächter in einem öffentlichen Bad auszugeben oder dich dem Gedränge und dem Schweißgeruch der Menge auszusetzen«, sagte Tullia. »Solltest du nach dem Bad eine Vorlesung, Gedichtvorträge oder Musik wünschen, so gibt es für diesen Zweck einen eigenen Raum. Nun geht und badet, Marcus und Minutus. Ich werde unterdessen mit meiner lieben Freundin Laelia beraten, wie wir in Zukunft unser Leben einrichten wollen. Wir Frauen verstehen uns auf dergleichen ja besser als ihr ungeschickten Männer.«
Mein Vater schlief bis Sonnenuntergang. Als wir die neuen Gewänder anzogen, die der Kleiderverwalter für uns bereitgelegt hatte, füllte sich das ganze große Haus plötzlich mit Gästen. Die meisten waren junge, fröhliche Menschen, aber es fanden sich auch einige schmerbäuchige Greise von liederlichem Aussehen darunter, die ich nicht achten konnte, obwohl sie Senatoren waren. Mit einem Oberzenturio von den Prätorianern konnte ich wenigstens über Pferde sprechen, aber zu meiner Verwunderung zeigte er weit größeres Interesse für die Frauen, die, nachdem sie Wein getrunken hatten, ohne Scham die Kleider öffneten, um freier atmen zu können.
Als ich bemerkte, welchen Verlauf dieses Hochzeitsfest nahm, suchte ich Barbus auf, den die Diener reichlich bewirtet hatten. Er hielt sich den Kopf und sagte: »Ich habe in diesem Haus größere Gastlichkeit erfahren als je zuvor in meinem Leben und wäre sogar im Handumdrehen verheiratet worden, wenn ich es als alter Veteran nicht verstanden hätte, mich in acht zu nehmen. Dieses Haus ist nicht der richtige Ort für dich, Minutus, und auch für mich taugt es nicht, obwohl ich ein alter Krieger bin.«
Die Musik gellte mir in den Ohren, und überall wanden sich nackte Tänzerinnen und Akrobaten auf dem Boden, als ich zu meinem Vater ging. Er lag finster und in sich gekehrt neben Tullia auf einem Ruhebett, und ich sagte: »Es mag in Rom Sitte sein, daß vornehme Damen alle Wände anspeien und die Männer mir unanständige Zeichen machen, aber ich dulde nicht, daß irgendeiner sich das Recht herausnimmt, an meinem Körper herumzufingern, wann und wo er will. Ich bin weder Sklave noch Lustknabe, und ich möchte nach Hause gehen.« Mein Vater gestand: »Ich bin zu willensschwach und träge, um der Verderbtheit zu entgehen, aber versuche du, stärker zu sein als ich. Ich freue mich über deinen Entschluß, da du selbst ihn gefaßt hast. Ich selbst muß hierbleiben, denn seinem Schicksal kann niemand entrinnen, aber für dich ist es besser, du wohnst bei Tante Laelia, und im übrigen hast du ja dein eigenes Vermögen. Es wäre nicht zu deinem Nutzen, wenn du im Haus deiner Stiefmutter wohntest.«
Tullia sah mich nicht mehr so zärtlich an wie am Abend zuvor. Ich fragte, ob ich meinen Vater am Morgen abholen dürfe, damit wir ein Pferd auswählten, aber sie entgegnete schroff: »Dein Vater ist zum Reiten zu alt. Er würde nur vom Pferd fallen und sich seinen kostbaren Kopf aufschlagen. Bei der Parade zur Jahrhundertfeier kann er sein Pferd am Zügel führen.«
Ich begriff, daß ich meinen Vater verloren hatte. Ein banges Gefühl der Verlassenheit überwältigte mich. Wie kurz war die Zeit gewesen, in der ich seine Gunst genossen hatte! Aber ich begriff auch, daß es das beste für mich war, wenn ich hart wurde und mein Leben selbst in die Hand nahm. Als ich Tante Laelia suchte, taumelte eine halbnackte Frau auf mich zu, sah mich aus schwimmenden Augen an und fiel mir um den Hals. Ich versetzte ihr einen kräftigen Schlag aufs Hinterteil, aber davon wurde sie nur noch hitziger, so daß mir Barbus zu Hilfe kommen und sie zurückreißen mußte.
Tullia, die froh war, uns so schnell loszuwerden, stellte uns ihre eigene Sänfte zur Verfügung. Als wir sie bestiegen hatten, ordnete Tante Laelia ihr Gewand und sagte kichernd: »Man hat mir zwar schon viel von dem Treiben in den neuen Häusern Roms erzählt, aber ich habe doch meinen Augen nicht getraut. Dabei wird Tullia Valeria noch als eine vergleichsweise anständige Frau angesehen. Vielleicht hat die neue Heirat sie so zügellos gemacht, nachdem sie als Witwe enthaltsam lebte, obgleich ich gehört habe, daß so mancher stattliche Mann in ihrem Hause aus- und einging wie in seinem eigenen. Es wird deinen Vater einige Mühe kosten, sie im Zaum zu halten.«
Zeitig am nächsten Morgen, bei Brot und Honig, sagte ich zu Barbus: »Ich will mir nun mein Pferd aussuchen gehen, und zwar allein, denn als Erwachsener brauche ich keinen Begleiter mehr. Du hast nun die beste Gelegenheit, deinen alten Traum zu verwirklichen und Schankwirt zu werden.«
Barbus antwortete ernst: »Ich habe mir ein paar kleine, gutgehende Schenken in verschiedenen Vierteln Roms angesehen und könnte mir, dank der Güte deines Vaters, auch eine kaufen, aber ich muß dir offen gestehen, daß die Sache mich nicht mehr so reizt wie damals, als ich auf der nackten Erde schlief und den sauren Wein der Legion trank. Ich bin selbst ein starker Trinker und lade gern andere ein, sobald ich zuviel getrunken habe. Außerdem braucht eine Schenke nicht nur einen Wirt, sondern auch eine Wirtin, aber nach meinen unliebsamen Erfahrungen sind tüchtige Schankwirtinnen hartherzige, scharfzüngige Weiber. Ich möchte fürs erste, um die Wahrheit zu sagen, viel lieber in deinem Dienst bleiben. Als Beschützer brauchst du mich freilich nicht mehr, das ist wahr, aber ich habe bemerkt, daß ein Ritter, der auf sich hält, immer einen oder mehrere Begleiter bei sich hat, und manche haben gleich zehn oder hundert. Es ist gewiß das klügste, wenn du dich von einem narbenbedeckten Veteranen begleiten läßt. Das Reiten ist natürlich eine Sache für sich«, fuhr er nach kurzem Schweigen fort. »Aber ich fürchte, du hast ein paar schwere Wochen vor dir. Vergiß nicht, daß du in den Augen der anderen ein Neuling bist. Ich habe dir ja erzählt, wie die Neulinge in der Legion gedrillt werden, aber du hast mir wahrscheinlich nicht alles geglaubt, und vielleicht habe ich auch ein bißchen übertrieben, damit du deinen Spaß hattest. Vor allem mußt du dich beherrschen, die Zähne zusammenbeißen und dich niemals über einen Vorgesetzten ärgern. Wir gehen zusammen. Vielleicht kann ich dir den einen oder anderen guten Rat geben.«
Als wir durch die Stadt zum Marsfeld gingen, sagte Barbus wehmütig: »Ich sollte eigentlich die Rangabzeichen eines Unterzenturios und sogar die Mauerkrone tragen dürfen, aber leider habe ich mich zu oft in Raufhändel eingelassen, wenn ich Wein getrunken hatte, und so ist nichts daraus geworden. Sogar die Halskette, die mir der Kriegstribun Lucius Porcius zur Erinnerung schenkte, den ich mir, als er schwer verwundet war, auf den Rücken lud und zwischen den Eisschollen hindurchschwimmend über die Donau brachte, habe ich verloren. Ich mußte sie in einer schmutzigen Barbarenkneipe in Mösien als Pfand hinterlegen und konnte sie nicht mehr auslösen, bevor wir versetzt wurden. Aber wir könnten ja zu einem Waffenhändler gehen und irgendeine alte Kette kaufen. Vielleicht wirst du besser aufgenommen, wenn dein Begleiter so ein Ding um den Hals trägt.«
Ich antwortete ihm, daß er schon genug Ehrenzeichen auf der Zunge trage, aber Barbus ließ sich nicht von seinem Vorsatz abbringen und erstand wenigstens eine Triumphnadel aus Kupfer, deren Inschrift schon so abgeschliffen war, daß sich nicht mehr feststellen ließ, welcher Triumphator einst solche Nadeln an seine Veteranen verteilt hatte. Als Barbus sie an seiner Schulter befestigt hatte, meinte er, nun werde er sich unter den Rittern sicherer fühlen.
Auf dem großen Feld übten etwa hundert junge Reiter für die Jahrhundertfeier. Der Stallmeister war ein grobschlächtiger Riese, der laut lachte, als er die Bescheinigung las, die mir der Quästor der Ritter ausgestellt hatte. »Wir werden schon einen passenden Gaul für dich finden!« schrie er. »Was für einen hättest du denn gern? Einen großen oder einen kleinen, einen wilden oder einen zahmen, einen schwarzen oder einen weißen?«
Er führte uns in den Stall, in dem die freien Pferde standen. Ich entdeckte auch gleich eines, das mir gefiel, und zeigte darauf, aber er blickte in seine Liste und behauptete, es gehöre schon jemandem. »Am besten nimmst du ein ruhiges, friedsames Pferd, das die Übungen und den Lärm im Zirkus gewohnt ist und die Hornsignale schon kennt, sofern du die Absicht hast, an der Parade zur Jahrhundertfeier teilzunehmen«, sagte er und fragte: »Bist du überhaupt schon einmal geritten?«
Ich erwiderte schüchtern, daß ich mich in Antiochia schon ein wenig geübt hätte, denn Barbus hatte mir verboten, mit meinen Reitkünsten zu prahlen, und fügte hinzu: »Ich möchte am liebsten ein Pferd haben, das noch nicht zugeritten ist, und es selbst einüben, aber ich kann mir denken, daß ich damit vor der Jahrhundertfeier nicht mehr fertig werde.«
»Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!« rief der Stallmeister und erstickte beinahe vor Lachen. »Es gibt nicht viele junge Männer, die sich darauf verstehen, ein Pferd zuzureiten. Bei uns besorgen das gewöhnlich die Berufszureiter. Herkules, steh mir bei, sonst zerplatze ich!«
Unterdes trat ein Zureiter zu uns, musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen und sagte: »Wir haben ja Arminia. Sie ist den Zirkuslärm gewohnt und hält schön still, selbst wenn man ihr einen Sack Steine in den Sattel hebt.«
Bei diesen Worten zeigte er auf eine große falbe Stute, die sich in ihrem Stand umdrehte und mich mißtrauisch ansah.
»Nein, nicht Arminia!« sagte der Stallmeister erschrocken. »Sie ist viel zu gut für so einen jungen Kerl, so stattlich und dabei so fromm wie ein Lamm. Nein, nein, wir müssen sie für irgendeinen alten Senator aufheben, der bei der Parade mitreiten will.«
Barbus flüsterte mir eifrig zu, ich müsse unbedingt versuchen, ein so gemütliches, zuverlässiges Pferd zu bekommen. Arminias Augen und Ohren sagten mir jedoch, daß sie nicht ganz so fromm sein konnte, wie der Stallmeister mich glauben machen wollte. »Ich nehme natürlich nicht an, daß ich ein Pferd umsonst bekomme, nur mit der Bescheinigung des Quästors«, sagte ich. »Wenn du erlaubst, möchte ich es gern einmal mit diesem Pferd versuchen.«
»Er will es versuchen, und er will obendrein noch dafür bezahlen!« rief der Zureiter entzückt. Nach einigen Einwänden ließ sich der Stallmeister endlich erweichen. »Es ist ein viel zu gutes Pferd für ein Bürschchen wie dich«, sagte er. »Aber zieh dir die Stiefel an und lege deine Rüstung an. Inzwischen lasse ich das Pferd satteln.«
Ich antwortete bedauernd, daß ich keine Rüstung mitgebracht hatte, aber der Stallmeister sah mich an, als zweifelte er an meinem Verstand, und fragte: »Was willst du eigentlich anziehen? Deine Paraderüstung vielleicht? Für deine Übungsrüstung kommt der Staat auf!«
Er führte mich in die Rüstkammer, und hilfreiche Sklaven schnürten mir den Brustharnisch so eng, daß ich kaum Atem zu holen vermochte. Auf den Kopf bekam ich einen gebuckelten Schutzhelm und an die Füße ein Paar alte Stiefel mit kurzen Schäften. Schild, Schwert und Lanze gaben sie mir nicht, sondern forderten mich auf, erst einmal zu lernen, mich im Sattel zu halten.
Die falbe Stute trabte munter aus dem Stall und wieherte laut, aber auf ein Kommando des Stallmeisters blieb sie regungslos stehen. Ich saß auf, indem ich gleich nach den Zügeln griff, und bat, die Steigbügelriemen auf die richtige Länge einzustellen. Der Stallmeister sagte billigend: »Es scheint, du bist schon oft zu Pferde gesessen.« Dann rief er mit donnergleicher Stimme: »Der Ritter Minutus Lausus Manilianus hat Arminia gewählt und gedenkt sie zu reiten!«
Die Reiterschar auf dem Übungsfeld zog sich an die Ränder zurück, ein Horn schmetterte das Angriffssignal, und im nächsten Augenblick begann ein Spiel, das nicht so sehr dank meiner Geschicklichkeit zuletzt doch noch gut ausging, sondern weil ich einfach Glück hatte. Ich hörte noch, wie der Stallmeister mich ermahnte, die empfindlichen Lefzen der Stute zu schonen, aber Arminia hatte ein Maul aus Gußeisen. Von Zügeln und Trense schien sie nichts zu wissen. Zuerst keilte sie nach hinten aus, um mich über ihren Kopf abzuwerfen. Als ihr das nicht glückte, begann sie zu tänzeln und sich aufzubäumen, und dann stob sie in wildem Galopp davon und wandte nacheinander alle Kniffe an, auf die ein boshaftes, erfahrenes Zirkuspferd verfällt, um einen ungeschickten Reiter aus dem Sattel zu werfen. Ich verstand nun, warum die anderen Reiter an die Ränder des Übungsfeldes zurückgewichen waren, als Arminia losgelassen wurde.
Mir blieb nichts anderes übrig, als mit aller Macht an den Zügeln zu reißen, um ihr den Kopf ein wenig nach links zu wenden, denn sie raste geradewegs auf die Einzäunung zu und versuchte, mich an den Pfählen abzustreifen. Als ich trotzdem im Sattel blieb, wurde sie vollends wild und setzte mit Riesensprüngen über die Hindernisse auf dem Feld. Ich hatte es wahrhaftig mit einem ungewöhnlich kräftigen und listigen Pferd zu tun, so daß ich, sobald ich mich vom ersten Schrecken erholt hatte, den Ritt zu genießen begann, ein paar laute Schreie ausstieß und ihr die Hacken in die Weichen drückte, damit sie ihren Zorn austobte und müde wurde.
Verblüfft versuchte Arminia nach mir zu schielen und gehorchte den Zügeln gerade so viel, daß ich sie auf den Stallmeister und den Zureiter zulenken konnte. Den beiden verging das Lachen, und sie brachten sich eilig hinter der Stalltür in Sicherheit. Der Stallmeister brüllte, zornrot im Gesicht, einige Befehle. Ein Horn schmetterte, und ein geschlossener Trupp begann mir entgegenzutraben.
Arminia dachte nicht daran, auszuweichen, sosehr ich auch an den Zügeln riß. Schaumflocken schnaubend und den Kopf hin und her werfend, trug sie mich in vollem Galopp auf die Reiter zu. Ich machte mich schon darauf gefaßt, niedergeritten zu werden, aber entweder sank den vordersten Reitern der Mut oder sie hatten es so beabsichtigt: Im letzten Augenblick öffneten sich die Reihen und ließen mich durch, aber jeder, der dazu in der Lage war, versuchte mich mit der Holzlanze aus dem Sattel zu heben oder im Rücken zu treffen. Die rasende Arminia trug mich jedoch, um sich beißend, springend und auskeilend, mitten durch die Reiterschar hindurch, ohne daß ich mehr als ein paar blaue Flecke abbekam.
Dieser boshafte, niederträchtige Angriff, der mich erschrecken sollte, brachte mich so in Zorn, daß ich Arminia mit aller Kraft herumriß, um selbst einen der Reiter aus dem Sattel zu stoßen, doch im letzten Augenblick entsann ich mich des Rates, den Barbus mir gegeben hatte, beherrschte mich und sprengte rufend, lachend und einen Gruß winkend an ihnen vorüber.
Sobald sich Arminia ausgearbeitet hatte, wurde sie tatsächlich lammfromm und gehorchte. Zwar versuchte sie, mich in den Hals zu beißen, als ich vor dem Stall abgesessen war, aber ich glaube, das war mehr Scherz als Ernst, weshalb ich sie auch nur leicht mit dem Ellenbogen unters Maul stieß.
Der Stallmeister und der Zureiter glotzten mich an wie ein Ungeheuer, aber der Stallmeister tat, als wäre er wütend, und sagte tadelnd: »Du hast ein kostbares Pferd halb zuschanden geritten und ihm die Lefzen blutig gerissen. Das hat dich niemand geheißen.«
»Es ist mein eigenes Pferd, und daher ist es auch meine Sache, wie ich es reite«, antwortete ich unbekümmert.
»Da irrst du dich gründlich!« sagte er aufbrausend. »Bei den Übungen kannst du Arminia nicht reiten. Sie bleibt nicht im Glied und hört auf kein Kommando, weil sie es gewohnt ist, an der Spitze zu traben.«
»Dann reite ich eben an der Spitze«, erwiderte ich kühn. »Du selbst hast mich für diesen Platz ausersehen, als du mir die Stute gabst.«
Mehrere Reiter waren abgesessen und bildeten einen Kreis um uns. Sie spornten mich an, riefen, ich sei ein tüchtiger Reiter, und bezeugten einstimmig, daß der Stallmeister selbst mir das Pferd durch Ausruf zugeteilt hatte.
»Verstehst du denn nicht, daß das nur ein Scherz war?« sagte der Stallmeister endlich kleinlaut. »Jeder Neuling bekommt zuerst einmal Arminia, sofern er nicht gar zu klein ist. Arminia ist ein richtiges Streitroß und nicht irgendein lahmer Paradegaul. Sie hat sogar schon im Amphitheater gegen wilde Tiere gekämpft. Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du Dickschädel!«
»Scherz hin, Scherz her«, wandte ich ein. »Ich habe mich im Sattel gehalten, und du bist in deine eigene Falle gegangen. Es ist eine Schande, ein solches Pferd Tag für Tag im dunklen Verschlag stehen zu lassen und nur dazu zu verwenden, Anfänger abzuschrecken. Einigen wir uns auf halbem Wege. Ich nehme Arminia für mich selbst und reite bei den Übungen ein anderes Pferd, wenn sie wirklich nicht im Glied bleiben kann.«
Der Stallmeister rief laut alle Götter Roms zu Zeugen an, daß ich anstelle eines einzigen Pferdes gleich zwei von ihm verlangte, aber die anderen Reiter stellten sich auf meine Seite und sagten, er habe nun mit Arminia lange genug Schindluder getrieben. Ein jeder von ihnen dachte an die Beulen, Narben oder Knochenbrüche, die er bei seinem ersten Versuch, die Stute zu reiten, davongetragen hatte, obwohl er schon als Kind reiten gelernt hatte. Wenn ich so verrückt sei und mir unbedingt das Genick brechen wolle, meinten sie, so hätte ich ein Recht auf Arminia. Schließlich gehöre sie der Ritterschaft.
Ich wollte jedoch mit dem Stallmeister keinen Streit haben. Deshalb versprach ich ihm tausend Sesterze und erklärte mich bereit, allen zusammen ein paar Krüge Wein zu spendieren, »um meine Ritterstiefel zu begießen«. So wurde ich in die römische Reiterei aufgenommen und machte mir Freunde unter gleichaltrigen und älteren Kameraden. Bald darauf wurde ich als Ersatz für einen Jüngling, der sich ein Bein gebrochen hatte, unter die Kunstreiter gewählt, und wir übten mit großem Ernst, um an den Wettspielen zur Jahrhundertfeier teilnehmen zu können. Diese Reiterspiele waren so gefährlich, daß niemand allein dank seiner vornehmen Herkunft oder seinem Vermögen zugelassen wurde, sondern nur auf Grund seiner Geschicklichkeit und Tauglichkeit.
Ich war daher sehr stolz, einer der Auserwählten zu sein, und brauchte mich meiner Fortschritte bei den Reiterspielen nicht weiter zu rühmen. Wir waren in zwei Parteien eingeteilt und führten bei der Jahrhundertfeier im Großen Zirkus einen regelrechten Reiterkampf vor. Es war, ungeachtet der Bestimmung, daß keine Partei gewinnen oder verlieren sollte, ein hartes Spiel. Ich selbst hielt mich bis zum Schluß auf Arminias Rücken, danach aber mußte ich nach Hause getragen werden und konnte den Vorstellungen im Amphitheater und den Festen im Zirkus nicht mehr beiwohnen, welche die prächtigsten und am großartigsten angelegten gewesen sein sollen, die man in Rom je gesehen hatte. Während die Festlichkeiten noch andauerten, nahmen sich viele meiner Kameraden die Zeit, zu mir an mein Krankenbett zu kommen, und sie versicherten mir, daß sie ohne mich viel weniger Ehre gewonnen hätten. Ich will nicht mehr sagen, als daß ich meine falbe Stute ritt und einige Hunderttausend Menschen vor Spannung keuchen und mein Lob rufen hörte, bevor ich mir ein paar Rippen und den linken Oberschenkel brach. Aber im Sattel blieb ich, wie gesagt, trotz den Schmerzen bis zuletzt.
Das wichtigste politische Ereignis dieser Jahrhundertfeier war, daß das Volk dem Neffen des Kaisers, dem zehnjährigen Lucius Domitius, der schön und unerschrocken die Spiele der Knaben anführte, begeistert zujubelte. Claudius’ einziger eigener Sohn, Britannicus, wurde völlig in den Schatten gestellt. Zwar rief ihn der Kaiser zu sich in seine Loge und zeigte ihn dem Volk, aber das Volk wollte nur Lucius Domitius sehen, und dieser nahm die Huldigungen so höflich und bescheiden entgegen, daß er alle noch mehr für sich einnahm.
Ich für mein Teil würde zeit meines Lebens ein Krüppel geblieben sein, wenn der Arzt aus dem Tempel des Castor und des Pollux nicht so geschickt gewesen wäre. Er behandelte mich ohne Schonung, und ich mußte grausame Schmerzen erdulden. Ganze zwei Monate lag ich geschient. Danach mußte ich lernen, auf Krücken zu gehen, und lange konnte ich das Haus nicht verlassen.
Die Schmerzen, meine Angst, zum Krüppel geworden zu sein, und die Erkenntnis, wie flüchtig die Gunst des Volkes ist und wie wenig der Erfolg bedeutet, machten sicherlich einen besseren Menschen aus mir. Zumindest war ich nicht mit in die zahllosen Raufhändel verwickelt, die die wildesten meiner Kameraden auf Roms nächtlichen Straßen anstifteten. Ich glaube zu verstehen, daß das Schicksal durch die Bettlägerigkeit und die unausstehlichen Schmerzen meinen Charakter formen wollte. Ich war allein, von meinem Vater um seiner neuen Ehe willen verstoßen. Ich mußte mir selbst darüber klarwerden, was ich vom Leben erwartete.
Als ich bis in den heißen Sommer hinein in meinem Bett lag, befiel mich eine so tiefe Mutlosigkeit, daß mir alles, was bisher in meinem Leben geschehen war, eitel erschien. Tante Laelias gute, nahrhafte Kost schmeckte mir nicht. In den Nächten fand ich keinen Schlaf. Ich dachte an den mürrischen Timaios, der sich meinetwegen das Leben genommen hatte. Zum erstenmal sah ich ein, daß ein gutes Pferd vielleicht doch nicht das einzig Erstrebenswerte im Leben war. Ich mußte selbst herausfinden, was für mich besser taugte: Pflichttreue und Tugend oder Bequemlichkeit und Genuß. Die Schriften der Philosophen, die mich früher gelangweilt hatten, gewannen plötzlich Bedeutung für mich, und ich brauchte nicht lange nachzugrübeln, um zu erkennen, daß Selbstbeherrschung mir größere Zufriedenheit schenkte als kindische Zügellosigkeit.
Als der treueste unter meinen Freunden erwies sich Lucius Pollio, der Sohn eines Senators. Er war nur ein Jahr älter als ich, aber er war schmächtig und kränklich und hatte die Reiterübungen nur mit Müh und Not durchgestanden. Er fühlte sich zu mir hingezogen, weil ich sein genauer Widerpart war, aufbrausend, selbstsicher und rücksichtslos, und ihm doch nie ein böses Wort gegeben hatte. So viel hatte ich offenbar doch unbewußt von meinem Vater gelernt, daß ich zu Schwächeren höflicher und freundlicher war als zu meinesgleichen. Ich fand es, zum Beispiel, abscheulich, einen Sklaven zu schlagen, selbst wenn er frech war.
In der Familie Pollio hatte man sich immer mit Büchern und den Wissenschaften beschäftigt. Auch Lucius selbst war eher ein Bücherwurm als ein Ritter. In den Reiterübungen sah er nicht mehr als eine lästige Pflicht, deren er sich um seiner Laufbahn willen zu entledigen hatte, und die Ertüchtigung seines Körpers verschaffte ihm keinen Genuß. Er brachte mir Bücher aus der Bibliothek seines Vaters, aus deren Lektüre ich seiner Meinung nach Nutzen ziehen konnte, und er beneidete mich um mein vorzügliches Griechisch. Sein heimlicher Wunsch war es, Schriftsteller zu werden, obwohl sein Vater, der Senator Mummius Pollio, es als selbstverständlich ansah, daß er die Beamtenlaufbahn einschlug.
»Was nützt es mir, mehrere Jahre mit den Reiterübungen zu vergeuden und mir Prozesse anzuhören?« sagte Lucius empört. »Zu gegebener Zeit erhalte ich den Befehl über eine Manipel, mit einem erfahrenen Zenturio unter mir, dann kommandiere ich eine Abteilung Reiterei irgendwo in den Provinzen, und zuletzt bin ich Kriegstribun im Stab irgendeiner Legion, die am Ende der Welt Straßen baut. Erst wenn ich dreißig Jahre alt geworden bin, kann ich mich um das Amt eines Quästors bewerben, obwohl man jetzt auch schon früher zugelassen werden kann, wenn man entsprechende Verdienste nachzuweisen hat. Ich weiß nur zu gut, daß ich ein schlechter Offizier und ein untüchtiger Beamter sein werde, weil mich weder das eine noch das andere befriedigen kann.«
»Während ich hier so lag, dachte ich mir selbst oft, daß es vielleicht nicht dafürsteht, sich um der Ehre eines Augenblicks willen die Glieder zerschlagen zu lassen«, räumte ich ein. »Aber was willst du eigentlich tun?«
»Rom herrscht bereits über die ganze Welt und sucht keine neuen Eroberungen mehr«, sagte Lucius. »Schon der Gott Augustus beschränkte vernünftigerweise die Anzahl der Legionen auf die unbedingt nötigen fünfundzwanzig. Jetzt geht es vor allem darum, Roms derbe Sitten nach griechischem Vorbild zu veredeln. Bücher, Gedichte, Theater, Musik, Tanz und Schönheit der Bewegungen tun uns mehr not als die blutigen Vorstellungen im Amphitheater.«
»Laß mir aber die Wagenrennen«, bat ich im Scherz. »Da bekommt man wenigstens edle Pferde zu sehen.«
»Wetten abschließen, Unzucht treiben und sich betrinken sind kein Beweis echter Bildung«, sagte Lucius finster. »Wenn ich versuche, ein Symposion zustande zu bringen, um nach der Weise der alten Philosophen auf griechisch zu diskutieren, endet es unweigerlich mit unanständigen Geschichten und schwerer Trunkenheit. Es ist offenbar unmöglich, in Rom eine Gesellschaft zu finden, die sich von Gesang und schöner Musik bezaubern läßt oder die Dramen der Alten höher schätzt als Räubergeschichten und Zoten. Ich möchte am liebsten nach Athen oder Rhodos reisen, um dort zu studieren, aber das läßt mein Vater nicht zu. Er ist der Ansicht, die griechische Bildung untergrabe nur die männlichen Tugenden der römischen Jugend. Als ob von den alten römischen Tugenden noch anderes übrig wäre als ein matter Abglanz und hohle Worte.«
Ich konnte aber auch viel von Lucius lernen, denn er berichtete gern über die Verwaltung Roms und ihre Schlüsselämter. Er versicherte mir treuherzig, der Senat könne, wann immer er wolle, einen Gesetzesvorschlag des Kaisers abweisen, so wie andrerseits der Kaiser in seiner Eigenschaft als Volkstribun auf Lebenszeit imstande sei, eine Beschlußfassung des Senats durch sein Veto zu unterbinden. Der größte Teil der römischen Provinzen wurde mit Hilfe von Prokonsuln durch den Senat verwaltet, der Rest war sozusagen Privateigentum des Kaisers, der selbst die Art der Verwaltung bestimmte. Die wichtigste Provinz des Kaisers war Ägypten. Dazu gab es mit Rom verbündete Länder und mehrere Königreiche, deren Herrscher von Kind an in der Schule des Palatiums erzogen wurden und römische Sitten annahmen. Ich hatte bis dahin nicht erkannt, wie klar und vernünftig diese scheinbar so verwickelte Verwaltungsform im Grunde war.
Meinem Freund Lucius sagte ich, daß ich selbst am liebsten Reiteroffizier werden wollte, und wir dachten gemeinsam darüber nach, welche Möglichkeiten mir offenstanden. Zur kaiserlichen Leibwache hatte ich keinen Zutritt, denn dort wurden alle Kriegstribunenstellen mit den Söhnen von Senatoren besetzt. In Mauretanien konnte man Löwen jagen. In Britannien gab es fortwährend neuen Aufruhr. Die Germanen stritten mit den Römern um Weideland.
»Kriegsruhm wirst du so oder so keinen gewinnen, auch wenn du an dem einen oder anderen Kampf teilnimmst«, versicherte Lucius. »Über kleine Grenzscharmützel werden nicht einmal mehr Berichte geschrieben, da es die vornehmlichste Aufgabe der Legionen ist, den Frieden an den Grenzen zu wahren. Ein allzu einfallsreicher und streitlustiger Legat verliert seinen Posten, noch ehe er weiß, was ihm geschieht. Die besten Beförderungsmöglichkeiten hat ein ehrgeiziger Mann noch bei der Flotte, und ein Seeoffizier braucht nicht einmal ritterbürtig zu sein. Es gibt ja in Rom nicht einmal einen Neptuntempel. Du bekommst einen guten Sold und führst ein bequemes Leben und kannst gleich von Anfang an damit rechnen, das Kommando über ein Schiff zu erhalten. Für die Navigation ist selbstverständlich ein geschickter Steuermann zur Hand. Aber kein vornehmer Römer drängt sich zur Flotte.«
Ich antwortete Lucius, so viel Römer sei ich immerhin, daß ich es als keine lohnende Aufgabe für einen Mann erachte, sich von einem Ort zum andern rudern zu lassen, vor allem da man seit Menschengedenken nichts mehr von Seeräubern gehört habe. Von größtem Nutzen für Rom konnte ich meiner Meinung nach im Osten sein, da ich wie jeder, der in Antiochia aufgewachsen ist, fließend Aramäisch sprach, aber ich verspürte keine Lust, Straßen zu bauen und in einer Garnisonsstadt zu leben, wo die Legionäre heiraten und ein Handwerk betreiben durften und die Zenturionen erfolgreiche Geschäftsleute werden konnten. Nein, ich wollte nicht in den Osten.
»Warum mußt du dich überhaupt irgendwo am Ende der Welt vergraben?« fragte Lucius. »Unvergleichlich besser ist es doch, in Rom zu bleiben, wo man sich früher oder später auszeichnen kann. Mit deinen Reitkünsten, deiner stattlichen Gestalt und deinen schönen Augen kannst du es hier in einem Jahr weiter bringen denn in zwanzig Jahren als Führer einer Kohorte unter den Barbaren.«
Durch meine lange Bettlägerigkeit reizbar geworden und aus reinem Widerspruch sagte ich: »Rom ist in der Sommerhitze eine schwitzende, stinkende Stadt voll ekelhafter Fliegen. Sogar in Antiochia war die Luft reiner.«
Lucius sah mich prüfend an, da er hinter meinen Worten eine versteckte Bedeutung suchte. »Ohne Zweifel ist Rom voll ekelhafter Fliegen«, erwiderte er. »Voll richtiger Aasfliegen. Es wäre vielleicht besser, wenn ich den Mund hielte, denn ich weiß sehr wohl, daß dein Vater dank einem aufgeblasenen Freigelassenen des Kaisers seine Ritterwürde zurückbekam. Es ist dir gewiß bekannt, daß die Gesandten von Städten und Königen vor Narcissus katzbuckeln und daß er sich durch den Verkauf von Bürgerrechten und Ämtern ein Vermögen von mehreren Zehnmillionen Sesterze gemacht hat. Und noch habsüchtiger ist Valeria Messalina. Sie ließ einen der edelsten Männer Roms ermorden, um sich in den Besitz der Gärten des Lucullus auf dem Pincius zu bringen. Aus ihren Gemächern im Palatium hat sie ein Freudenhaus gemacht, und damit nicht genug, verbringt sie so manche Nacht verkleidet und unter falschem Namen in den Hurenhäusern Suburras, wo sie sich aus reinem Vergnügen für ein paar schäbige Kupfermünzen jedem Dahergelaufenen hingibt.«
Ich hielt mir die Ohren zu und erklärte, daß Narcissus ein Grieche von untadeligem Benehmen sei und daß ich all das Schlechte, das über die schöne Gemahlin des Kaisers mit ihrem hell klingenden Lachen berichtet werde, nicht glauben könne. »Messalina ist nur sieben Jahre älter als wir«, sagte ich. »Sie hat außerdem zwei schöne Kinder und durfte bei den Festaufführungen unter den unbefleckten Jungfrauen der Vesta sitzen.«
»Kaiser Claudius’ Schmach und Schande im Ehebett ist sogar in den Ländern unserer Feinde, in Parthien und Germanien, bekannt«, behauptete Lucius. »Man darf zwar nicht alles glauben, aber ich kenne selbst einige junge Ritter, die sich damit brüsten, daß sie auf Geheiß des Kaisers bei ihr gelegen sind. Claudius befiehlt einem jeden, Messalina in allem zu Willen zu sein.«
Ich dachte nach und antwortete: »Du weißt selbst von deinen Symposien her, womit junge Männer prahlen, Lucius. Je schüchterner einer in Frauengesellschaft ist, desto lauter brüstet er sich mit seinen angeblichen Eroberungen, sobald er ein wenig Wein getrunken hat. Daß man derlei Gerüchte auch im Ausland kennt, scheint mir nur ein Beweis dafür zu sein, daß sie von irgend jemandem mit Absicht in Umlauf gesetzt werden. Je gröber eine Lüge ist, desto leichter wird sie geglaubt. Der Mensch ist von Natur leichtgläubig, und gerade solche Lügen, die ein verderbtes Gemüt erregen, glaubt das Volk am liebsten.«
Lucius errötete. »Ich habe eine andere Erklärung«, flüsterte er mit einer Stimme, die beinahe zitterte. »Vielleicht war Messalina wirklich unschuldig, als sie im Alter von vierzehn Jahren mit dem fünfzigjährigen verkommenen Säufer Claudius vermählt wurde, den sogar seine eigene Familie verachtete. Claudius selbst verdarb Messalina, indem er ihr Myrrhe zu trinken gab, so daß sie mannstoll wurde. Er ist jedoch ein verlebter Greis, und es wäre nicht unmöglich, daß er absichtlich beide Augen zudrückt. Er verlangt jedenfalls von Messalina, daß sie ihm ständig neue Sklavenmädchen in sein Bett schickt, je kindlicher, desto besser. Was er mit denen treibt, ist eine Sache für sich. All das hat Messalina selbst einer Person, die ich nicht nennen will, der ich aber vorbehaltlos Glauben schenke, weinend gestanden.«
»Wir sind Freunde, Lucius«, sagte ich. »Aber du bist von hoher Geburt, Sohn eines Senators, und daher scheust du dich, offen zu sprechen. Ich weiß, daß der Senat die Republik wieder einführte, als Gajus ermordet wurde. Dann aber entdeckten die Prätorianer, als sie das Palatium plünderten, seinen Onkel Claudius, der sich hinter einem Vorhang versteckt hatte, und riefen ihn zum Imperator aus, weil er als einziger das Geburtsrecht besaß. Das ist eine so alte Geschichte, daß schon niemand mehr darüber lachen mag. Mich aber wundert es nicht, daß Claudius sich mehr auf seine Freigelassenen und die Mutter seiner Kinder verläßt als auf den Senat.«
»Ist dir ein wahnsinniger Tyrann lieber als die Freiheit?« fragte Lucius bitter.
»Eine Republik unter Senatoren und Konsuln ist nicht gleichbedeutend mit Freiheit und Herrschaft des Volkes, sondern sie bedeutet Aristokratenherrschaft, Ausplünderung der Provinzen und neuen Bürgerkrieg, so viel sagt mir das Studium der Geschichte. Begnüge dich damit, Rom von innen her durch griechische Bildung zu veredeln, und laß die Finger von der Politik.«
Lucius lachte hell auf. »Wenn man das Ideal der Republik mit der Muttermilch eingesogen hat, kann einem heiß werden bei solchen Gedanken«, sagte er. »Aber vielleicht ist die Republik wirklich nur ein blutiger Überrest aus vergangenen Zeiten im Körper des Staates. Ich kehre jedenfalls zu meinen Büchern zurück. Da kann ich niemandem schaden, nicht einmal mir selbst.«
»Und Rom mag meinetwegen voller Aasfliegen sein«, sagte ich. »Wir beide, du und ich, werden sie nicht ausrotten.«
Die größte Ehre, die mir zuteil wurde, während ich tatenlos und mit düsteren Gedanken in meinem Bett lag, war ein Besuch des Anführers der vornehmen jungen Reiter, eben jenes zehnjährigen Lucius Domitius. Er kam mit seiner Mutter Agrippina, ganz bescheiden und ohne sich vorher anmelden zu lassen. Sie ließen ihre Sänfte und ihr Gefolge vor dem Haus warten und traten für eine kleine Weile ein, um mir ihre Anteilnahme an meinem Mißgeschick auszusprechen. Barbus, der während meiner Krankheit das Amt des Türhüters versah, war natürlich betrunken und schlief. Domitius schlug ihn scherzend mit der Faust vor die Stirn und rief ein Kommandowort, worauf Barbus aufsprang, noch ganz verschlafen Haltung annahm, die Hand zum Gruß hob und »Ave Caesar Imperator!« rief.
Agrippina fragte ihn neugierig, warum er den Knaben als Kaiser grüße. Barbus antwortete, er habe geträumt, ein Zenturio habe ihn mit dem Befehlsstab auf den Kopf geschlagen. Als er die Augen öffnete, habe er vor sich in der Mittagssonne eine überirdisch gewaltige Juno und einen Imperator in funkelnder Rüstung gesehen, der seine Truppen inspizierte. Barbus kam erst ganz zu sich, als sie eine Weile auf ihn eingesprochen hatten. Er erkannte endlich Lucius Domitius wieder und erriet, daß Agrippina, ihrer göttlichen Schönheit und Haltung wegen, dessen Mutter sein mußte.
»Ich habe mich also nicht geirrt«, sagte er schmeichlerisch. »Du bist ja eine Schwester des Kaisers Gajus, und Kaiser Claudius ist dein Onkel. Von der Seite des Gottes Julius Caesar her stammst du von der Venus ab und durch Marcus Antonius von Herkules. Es ist also nicht verwunderlich, daß ich deinen Sohn mit der höchsten Ehrenbezeigung grüße.«
Tante Laelia geriet über diesen vornehmen Besuch außer sich. Sie eilte mit schiefsitzender Perücke herbei, um meine Bettdecken glattzustreichen, und sagte aufgeregt schnatternd, Agrippina hätte uns von ihrem Kommen unbedingt im voraus benachrichtigen müssen, so daß wir Gelegenheit gehabt hätten, einige Vorbereitungen zu treffen.
Agrippina erwiderte bekümmert: »Du weißt sehr gut, liebe Laelia, daß es für mich seit dem Tode meiner Schwester Julia das sicherste ist, alle offiziellen Besuche zu unterlassen. Aber mein Sohn wollte unbedingt seinen Helden Minutus Lausus sehen, und deshalb sind wir vorbeigekommen, um ihm eine rasche Genesung zu wünschen.«
Der lebhafte, unwiderstehlich sympathische und trotz seinem roten Haar schöne Knabe eilte scheu auf mich zu, um mich zu küssen, und trat gleich wieder einige Schritte zurück, während sein Blick bewundernd auf meinem Gesicht ruhte: »Ach Minutus!« rief er. »Mehr als jeder andere verdientest du, Magnus zu heißen. Wenn du wüßtest, wie sehr ich deine unfaßbare Kühnheit bewundere. Keiner der Zuschauer ahnte, daß dein Bein gebrochen war, denn du hieltest dich tapfer im Sattel bis zuletzt.« Er nahm eine Buchrolle aus der Hand seiner Mutter und reichte sie mir. Agrippina wandte sich an Tante Laelia und erklärte, sich gleichsam entschuldigend: »Es ist ein Buch über den Gleichmut, das mein Freund Seneca auf Korsika geschrieben hat. Es ist gewiß eine nützliche Lektüre für einen jungen Mann, der an den Folgen seines Übermuts zu leiden hat. Man wird sich vielleicht darüber wundern, daß ein so edel gesinnter Mann lebendig begraben in der Verbannung schmachten muß, aber das ist nicht meine Schuld, sondern eine Folge der derzeitigen Verhältnisse in Rom.«
Tante Laelia war zu ungeduldig, um ihr zuzuhören. Sie dachte nach, was sie den hohen Gästen anbieten konnte, denn es wäre eine Schande gewesen, wenn sie, ohne einen Bissen zu sich zu nehmen, unser Haus wieder verlassen hätten. Agrippina machte viele Einwände und sagte zuletzt: »Nun gut, so wollen wir dir zuliebe einen Schluck von dem erfrischenden Zitronenwasser versuchen, das dein tapferer Kranker in dem Krug neben seinem Bett stehen hat, und mein Sohn mag auch ein wenig von seinem Backwerk kosten.«
Tante Laelia starrte sie mit runden Augen an und fragte erschrocken: »Ist es wirklich schon so weit gekommen, liebste Agrippinia?«
Agrippina war zu jener Zeit vierunddreißig Jahre alt. Sie war von hohem Wuchs und hatte edle, wenn auch ausdruckslose Gesichtszüge und große glänzende Augen. Zu meiner Verwunderung sah ich, wie diese klaren Augen sich mit Tränen füllten. Sie senkte den Kopf, weinte und gestand zuletzt: »Du hast es erraten, Laelia. Am liebsten würde ich mit eigenen Händen das Trinkwasser für meinen Sohn aus der Leitung holen und selbst auf dem Markt auswählen, was ich zu essen und ihm zu geben wage. Das Volk hat ihm bei der Jahrhundertfeier allzu offen zugejubelt. Vor drei Tagen versuchte man ihn während der Mittagsruhe zu ermorden. Ich traue nicht einmal mehr den Dienern, denn es war gar zu auffällig, daß nicht ein einziger in der Nähe war und daß wildfremde Männer mit bösen Absichten ungesehen ins Haus einzudringen vermochten. Ich dachte daher … nein, nein, ich schweige lieber davon.«
Tante Laelia wurde natürlich neugierig, was auch der Zweck dieser Andeutung gewesen war, und fragte eifrig, was Agrippina sich gedacht habe. Nach kurzem Zögern sagte diese: »Ich dachte daran, daß Lucius ständig einige vornehme junge Ritter um sich haben sollte, auf deren Treue man sich verlassen könnte und die ihm gleichzeitig ein gutes Beispiel gäben. Doch nein, das würde ihnen nur schaden und ihre Zukunftsaussichten verderben.«
Tante Laelia sah unglücklich und erschrocken drein, und ich war meiner selbst nicht sicher genug, um glauben zu können, daß Agrippina mich gemeint hatte. Lucius legte jedoch schüchtern seine Hand auf die meine und rief: »Wenn du, Minutus, an meiner Seite wärst, würde ich niemanden und nichts mehr fürchten!«
Tante Laelia stammelte, es könne falsch ausgelegt werden, wenn Lucius Domitius ein Rittergefolge um sich zu scharen begänne, aber ich antwortete bereitwillig: »Ich kann schon ein wenig auf Krücken gehen, und bald wird mein Oberschenkelknochen ganz ausgeheilt sein. Vielleicht werde ich mein Leben lang hinken, aber wenn man mich deshalb nicht auslacht, will ich gern Lucius’ Begleiter sein und ihn beschützen, bis er groß genug ist, sich selbst zu schützen. Du bist ja schon sehr kräftig für dein Alter und kannst sowohl reiten als auch die Waffen gebrauchen.« Um die Wahrheit zu sagen, wirkte er mit seinen zierlichen Bewegungen und seiner kunstvollen Haartracht eher mädchenhaft als männlich, und dieser Eindruck wurde noch unterstrichen durch die milchweiße Haut, die alle Rothaarigen haben, aber ich dachte mir, daß er ja erst zehn Jahre alt war und doch schon imstande, ein Pferd zu reiten und einen Streitwagen zu fahren. Gar so kindlich konnte er also nicht mehr sein.
Wir plauderten noch eine Weile über Pferde und griechische Dichter und Sänger, die er zu bewundern schien, aber irgendein Übereinkommen trafen wir nicht. Gleichwohl wurde mir klar, daß ich in Agrippinas Haus jederzeit willkommen war. Sie gingen wieder ihres Wegs, und Agrippina befahl ihrem Börsenträger, Barbus ein Goldstück zu geben.
»Die Ärmste ist sehr einsam«, erklärte mir Tante Laelia später.
»Ihre hohe Geburt trennt sie von anderen Menschen, und ebenbürtige wagen nicht mit ihr zu verkehren, aus Angst, beim Kaiser in Ungnade zu fallen. Es ist traurig, zu sehen, daß eine so hochgestellte Frau um die Freundschaft eines verkrüppelten jungen Ritters buhlen muß.«
Ich nahm ihr diese Worte nicht übel, da ich mich darüber selbst nicht genug wundern konnte. »Hat sie wirklich solche Angst, vergiftet zu werden?« fragte ich vorsichtig.
Tante Laelia schnaubte verächtlich. »Sie nimmt sich wichtiger, als sie ist. Am hellichten Tag wird in einem bewohnten Haus mitten in Rom niemand ermordet. Die ganze Geschichte klingt an den Haaren herbeigezogen. Am besten mischst du dich da nicht ein. Es stimmt zwar, daß Kaiser Gajus, das Herzchen, eine ganze Truhe voll der verschiedensten Gifte besaß, mit denen er seine Versuche anstellte, aber Kaiser Claudius soll sie vernichtet haben, und Giftmischer werden streng bestraft. Du weißt ja, daß Agrippinas Gemahl, Lucius’ Vater Domitius, ein Bruder der Domitia Lepida, der Mutter Messalinas, war. Als Lucius drei Jahre alt war, erbte er nach ihm, aber Gajus behielt alles für sich. Agrippina wurde verbannt und mußte, um ihr Leben zu fristen, auf einer einsamen Insel nach Schwämmen tauchen lernen. Lucius wurde von seiner Tante Domitia in Pflege genommen. Sein Lehrer war der Barbier Anicetus, und das sieht man seinem Haar noch heute an. Inzwischen hat sich aber Domitia Lepida mit Messalina zerstritten, und sie ist eine der wenigen, die es wagen, offen mit Agrippina zu verkehren und Lucius zu verwöhnen. Messalina trägt den Namen ihres Großvaters, Valerius Messalas, um darzutun, daß sie eine Verwandte des Gottes Augustus in absteigender Linie ist. Ihre Mutter ist auf sie böse, weil sie allzu offen zeigt, daß sie in Gajus Silius verliebt ist und diesen überallhin mitnimmt, mit ihren Sklaven und Freigelassenen in seinem Haus aus und ein geht wie in ihrem eigenen und sogar kostbare Möbel aus dem Palatium dorthin schleppen ließ. Andrerseits ist ihre Verliebtheit verständlich, denn Gajus Silius ist ohne Zweifel der hübscheste Mann in ganz Rom. Vielleicht ist die Sache auch harmlos, da alles so offen zugeht. Eine junge Frau hält es nicht aus, ständig einem griesgrämigen alten Säufer Gesellschaft zu leisten. Claudius vernachlässigt sie über seinen Regierungsgeschäften, und in seinen Mußestunden würfelt er lieber oder geht ins Theater. Am liebsten sitzt er im Amphitheater und sieht zu, wie Raubtiere Verbrecher zerfleischen, und das ist nicht der rechte Zeitvertreib für eine empfindsame junge Frau wie sie.«
Ich hielt mir den Kopf mit den Händen und rief: »Genug über Messalina! Und von den verzwickten Verwandtschaftsbeziehungen zwischen all diesen göttlichen Familien brummt mir schon der Schädel!«
Tante Laelia war jedoch durch den hohen Besuch so angeregt, daß sie rasch fortfuhr: »Das ist doch alles ganz einfach. Der Gott Augustus war der Enkel der Schwester des Gottes Julius Caesar. Durch die erste Ehe seiner Schwester Octavia ist Messalina eine Tochter des Enkels ebendieser Octavia, während Kaiser Claudius durch Octavias zweite Ehe mit Marcus Antonius ein Enkel Octavias ist. Agrippina ist seine Nichte, zugleich aber Witwe nach Octavias zweitem Enkel Gnaeus Domitius. Mithin ist Lucius – paß gut auf – zugleich ein Enkel der ersten Tochter Octavias und ein Enkel von deren zweiter Tochter, das heißt mit anderen Worten, er ist Messalinas Vetter zweiten Grades.«
»Wenn ich dich recht verstanden habe, hat sich also Kaiser Claudius in dritter Ehe mit der Enkelin der Halbschwester seiner Mutter vermählt, die sich Valeria Messalina nennt«, warf ich ein. »Daher ist Messalina von ebenso vornehmer Geburt wie Agrippina.«
»Sozusagen, ja«, stimmte Tante Laelia mir bei. »Nur hat sie nicht das verderbte Blut des Marcus Antonius, unter dem die anderen so schwer leiden. Ihr Sohn Britannicus hat freilich durch Claudius ein wenig davon abbekommen, sofern …«
»Sofern …?« fragte ich.
»Nun, Claudius hat ja schon einen Bankert«, sagte Tante Laelia zögernd. »Wenn man weiß, was alles über Messalina erzählt wird, ist es durchaus nicht sicher, ob Britannicus wirklich sein Sohn ist. Es hieß seinerzeit, die Ehe sei von Kaiser Gajus befohlen worden, um den Ruf des Mädchens zu retten.«
»Tante Laelia«, sagte ich scherzend. »Aus Treue zu meinem Kaiser müßte ich dich für solche Verleumdung anzeigen.«
»Nicht, daß Claudius irgend etwas Schlechtes über die Kinder seiner schönen Gemahlin dächte!« versicherte Tante Laelia rasch und sah sich für alle Fälle vorsichtig um.
Später fragte ich Barbus, ob er wirklich einen so prophetischen Traum gehabt habe, als er aus seinem Schlaf und seinem Rausch geweckt wurde. Er behauptete unbeirrt, er habe tatsächlich etwas dieser Art gesehen, aber daran könnten ja der Wein und die Überraschung schuld gewesen sein. »In der Sommerhitze kann man vom Wein so sonderbar träumen, daß einem manchmal angst und bange wird«, entschuldigte er sich.
Als ich eine Zeitlang auf Krücken gegangen war, schickte mir der Reiterarzt einen geschickten Masseur, der mein Bein behandelte und meine schlaffen Muskeln so gut übte, daß ich binnen kurzem ohne Stütze gehen konnte. Ich trage seither am linken Fuß einen Schuh mit dickerer Sohle, so daß man mein Hinken kaum bemerkt.
Ich begann wieder zu reiten, bemerkte aber bald, daß nur wenige junge Ritter an den Reitübungen teilnahmen. Die meisten dachten nicht daran, die militärische Laufbahn einzuschlagen. Es genügte ihnen, daß sie sich bei der nächsten Parade schlecht und recht im Sattel halten konnten.
Brennende Unruhe und Tatenlust ergriffen mich in der Hitze des Sommers. Einige Male besuchte ich Lucius Domitius, aber er war mir letzten Endes doch noch zu kindlich, als daß ich seine Gesellschaft auf die Dauer ertragen hätte. Er übte sich eifrig in der Dichtkunst und las mir von seiner Wachstafel Verse vor, die ich verbessern sollte. Mit besonderem Geschick knetete er Tiere und Menschen aus Ton. Lobte man ihn, war er sehr zufrieden, ja glücklich, aber jede kritische Bemerkung nahm er übel auf, obgleich er es zu verbergen trachtete. Er schlug mir allen Ernstes vor, ich solle bei seinem Tanzlehrer Stunden nehmen, damit ich lernte, mich schön und mit gefälligen Gebärden zu bewegen.
»Die Tanzkunst bringt einem wenig Nutzen, wenn man lernen will, Schwert, Lanze und Schild zu gebrauchen«, sagte ich.
Lucius Domitius gestand mir darauf, daß er die Schwertkämpfe im Amphitheater verabscheute, bei denen rohe Gladiatoren einander verwundeten und erschlugen.
»Ich will aber doch kein Gladiator werden!« antwortete ich gekränkt. »Ein römischer Ritter muß das Kriegshandwerk erlernen.«
»Der Krieg ist ein blutiges und sinnloses Geschäft«, meinte er. »Rom hat der Welt den Frieden geschenkt. Aber ich habe gehört, daß ein Verwandter meines verstorbenen Vaters, Gnaeus Domitius Corbulo, jenseits des Rheins in Germanien herumrumort, um sich das Recht auf einen Triumph zu erwerben. Wenn du wirklich willst, kann ich ihm schreiben und dich als Kriegstribun empfehlen. Er ist allerdings ein grober Kerl und wird dich hart arbeiten lassen, sofern er nicht ohnehin bald zurückberufen wird, denn ich glaube, Onkel Claudius sieht es nicht gern, wenn irgendein Verwandter meines Vaters allzu berühmt wird.«
Ich versprach, darüber nachzudenken. Barbus zog nähere Erkundigungen ein und versicherte mir, Corbulo habe sich mehr als Straßenbauer in Gallien denn als Krieger in Germaniens Wäldern ausgezeichnet.
Natürlich las ich das kleine Buch, das ich bekommen hatte. Der Philosoph Seneca schrieb eine schöne, neuartige Sprache und behauptete, ein Weiser könne in allen Schicksalsprüfungen seinen Gleichmut bewahren. Ich fand jedoch, daß er ein wenig langatmig schrieb, denn er führte keine Beispiele an, sondern philosophierte nur, so daß man von seinen Gedanken nicht viel im Gedächtnis behielt.
Mein Freund Lucius Pollio lieh mir auch einen Trostbrief, den er an Polybius, einen Freigelassenen des Kaisers, geschrieben hatte. Darin tröstete Seneca besagten Polybius, als dessen Bruder gestorben war, und bewies, daß er eigentlich keinen Grund zur Trauer habe, solange er das Glück genieße, dem Kaiser zu dienen.
Was die Bücherleser in Rom am meisten belustigte, war, daß Polybius erst kürzlich verurteilt worden war, weil er Bürgerrechte verkauft hatte. Lucius zufolge hatte er sich wegen der Aufteilung des Erlöses mit Messalina gestritten, und Messalina hatte ihn angezeigt, was ihr die übrigen Freigelassenen des Kaisers sehr übelnahmen. Der Philosoph Seneca hatte nach wie vor kein Glück.
Ich wunderte mich darüber, daß Claudia während meiner langen Krankheit keinen Versuch unternommen hatte, mit mir in Verbindung zu treten. Mein Selbstbewußtsein litt darunter, obgleich mir mein Verstand sagte, daß mir ihr Besuch mehr Ärger als Freude verursacht haben würde. Doch ich konnte ihre schwarzen Brauen, ihren trotzigen Blick und ihre vollen Lippen nicht vergessen.
Als ich wieder genesen war, unternahm ich lange Wanderungen, um mein gebrochenes Bein wieder zu kräftigen und meine Unruhe zu dämpfen. Der warme römische Herbst war gekommen. Ich konnte der Hitze wegen nicht die Toga tragen, und auch die Tunika mit der roten Borte wollte ich nicht anlegen, um in den Randvierteln der Stadt kein unnötiges Aufsehen zu erregen. Eines Tages ging ich auf die andere Seite des Flusses hinüber, um dem Gestank der Innenstadt zu entfliehen, vorbei an Kaiser Gajus’ Amphitheater, in das dieser unter ungeheuren Kosten einen Obelisken ans Ägypten hatte schleppen lassen, und stieg den Vatikanischen Hügel hinauf. Dort oben stand ein uralter etruskischer Orakeltempel, dessen Holzwände Kaiser Claudius mit einer Schicht Ziegel verkleiden ließ. Der alte Augur hob seinen Krummstab, um mich auf sich aufmerksam zu machen, rief mich aber nicht an. Ich ging auf der anderen Seite des Hügels wieder hinunter, immer weiter von der Stadt fort und auf die Gemüsegärten zu. Vor meinen Blicken lagen einige stattliche Gehöfte. Von hier aus und aus der weiteren Umgebung rollte Nacht für Nacht ein endloser Zug von Karren in die Stadt, deren Frachten auf dem Gemüsemarkt abgeladen und an die Großhändler in den Markthallen verkauft wurden. Noch vor dem Morgengrauen mußten die Karren die Stadt wieder verlassen.
Ich mochte die schwarzbraun gebrannten Sklaven, die auf den Gemüsefeldern arbeiteten, nicht nach Claudia fragen, sondern ging aufs Geratewohl weiter und ließ meine Füße mich tragen, wohin sie wollten. Claudia hatte jedoch etwas von einer Quelle und alten Bäumen gesagt. Daher blickte ich mich aufmerksam um, und meine Ahnungen leiteten mich richtig, als ich einem ausgetrockneten Bachbett folgte. Unter uralten Bäumen stieß ich auf eine kleine Hütte. Daneben befand sich ein großes Gehöft, und in dessen Gemüsegarten kniete Claudia, die Hände und die Füße schwarz von Erde. Sie trug nur ein grobes Untergewand und einen breitkrempigen spitzen Strohhut, um sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen. Obwohl ich sie seit Monaten nicht mehr gesehen hatte, war sie mir so vertraut, daß ich sie an den Bewegungen ihrer Hände und der Art, wie sie sich bückte, wiedererkannte.
»Sei gegrüßt, Claudia!« rief ich, und warme Freude erfüllte mich, als ich mich vor ihr niederhockte, um ihr Gesicht unter der Hutkrempe zu sehen.
Claudia fuhr auf und starrte mich aus schreckgeweiteten Augen an. Dann wurde sie flammend rot, schlug mir ein Bündel Erbsenreiser, an denen noch Erdklumpen hingen, ins Gesicht, sprang auf und rannte hinter die Hütte. Ich war über diesen Empfang empört und fluchte vor mich hin, während ich mir die Erde aus den Augen rief. Zögernd folgte ich ihr dann hinter die Hütte und sah sie Wasser aus der Quelle schöpfen und sich das Gesicht waschen. Sie schrie mich zornig an und hieß mich vor der Hütte warten. Erst als sie sich gekämmt und reine Kleider angezogen hatte, kam sie zu mir und sagte, noch immer zornig: »Ein gut erzogener Mann meldet sich vorher an, aber was kann man schon von dem Sohn eines syrischen Wucherers erwarten! Was willst du denn?«
So böse schimpfte sie mich aus. Ich errötete und wandte mich ab, um ohne ein Wort zu gehen, hatte aber kaum ein paar Schritte getan, als sie mir nachlief, mich am Arm packte und rief: »Bist du wirklich so empfindlich, Minutus? Bleib und vergib mir meine böse Zunge. Ich habe mich geärgert, weil du mich bei der Arbeit überraschtest, so schmutzig und voller Erde, wie ich war.«
Sie führte mich voll Eifer in ihre bescheidene Hütte, in der es nach Herdrauch, Kräutern und reinem Linnen roch. »Du siehst, ich kann sogar spinnen und weben, wie es sich einst für eine Römerin gehörte«, sagte sie. »Vergiß nicht, daß in alter Zeit sogar der stolzeste Claudier selbst seine Ochsen vor dem Pflug führte.«
Auf diese Weise versuchte sie, ihre Armut zu entschuldigen. Ich antwortete höflich: »So, das Gesicht frisch vom Quellwasser, bist du mir lieber, Claudia, als alle geschminkten und in Seide gekleideten Frauen in der Stadt.«
Claudia gestand mir jedoch offenherzig: »Ich hätte es freilich lieber, wenn meine Haut weiß wie Milch wäre, mein Gesicht schön geschminkt und mein Haar in kunstvollen Locken um die Stirn gelegt, und wenn meine Gewänder mehr enthüllten, als sie verbergen, und ich nach den Balsamen des Ostens duftete. Aber Tante Paulina Plautia, die mich nach dem Tode meiner Mutter hier bei sich wohnen läßt, will von derlei Dingen nichts wissen. Sie selbst trägt Trauerkleider, schweigt lieber, als daß sie den Mund aufmacht, und geht ihresgleichen aus dem Weg. Geld hat sie übergenug, aber sie gibt alles, was sie einnimmt, lieber für gute Werke und andere, noch zweifelhaftere Zwecke aus, als daß sie mich Wangenrot und Augenschminke kaufen ließe.«
Ich mußte unwillkürlich lachen, denn Claudias Gesicht war so frisch, so rein und gesund, daß sie wirklich keine künstlichen Schönheitsmittel brauchte. Ich wollte ihre Hand nehmen, aber sie entzog sie mir und sagte unwillig, daß ihre Hände während des Sommers hart und rauh geworden seien wie die einer Sklavin. Ich hatte das Gefühl, daß sie mir etwas verbarg, und fragte sie, ob sie nichts von meinem Mißgeschick gehört habe. Sie antwortete ausweichend: »Deine Tante Laelia hätte mich nicht ins Haus gelassen, um dich zu besuchen. Im übrigen bin ich sehr bescheiden geworden und sehe wohl ein, daß du von meiner Freundschaft keinen Nutzen, sondern nur Schaden hättest. Ich wünsche dir Glück, Minutus.«
Ich antwortete heftig, daß ich über mein Leben selbst bestimmte und mir auch meine Freunde selbst auswählte. »Außerdem wirst du mich bald los sein«, fügte ich hinzu. »Man hat mir ein Empfehlungsschreiben zugesagt, und ich werde unter dem berühmten Corbulo gegen die Germanen kämpfen. Mein Bein ist wieder gesund und nur eine Spur kürzer als das andere.«
Claudia versicherte rasch, sie habe nicht einmal bemerkt, daß ich ein wenig hinkte. Sie dachte eine Weile nach und bekannte dann mit bekümmerter Miene: »Jedenfalls bist du mir im Feld sicherer als hier in Rom, wo irgendeine fremde Frau dich mir wegnehmen kann. Ich würde weniger trauern, wenn du aus einfältiger Ehrsucht dein Leben im Krieg verlörst, als wenn du dich in eine andere verliebtest. Aber warum mußt du dich ausgerechnet mit den Germanen herumschlagen? Das sind furchtbar große und starke Krieger. Wenn ich Tante Paulina bitte, gibt sie dir gewiß ein Empfehlungsschreiben an meinen Onkel Aulus Plautius in Britannien. Er befehligt dort vier Legionen und hat so viel erreicht, daß die Briten ganz bestimmt schwächere Gegner sind als die Germanen. Onkel Aulus ist kein Feldherrngenie, und sogar Claudius hat sich in Britannien so auszeichnen können, daß er einen Triumph feiern durfte. Man braucht also die Briten als Gegner nicht sehr hoch einzuschätzen.«
Ich hatte nicht gewußt, daß Aulus Plautius ihr Onkel war, und fragte nach weiteren Einzelheiten. Claudia erklärte mir, daß ihre Mutter eine Plautia gewesen war. Als Aulus Plautius’ Frau Paulina die elternlose Nichte ihres Mannes in ihre Obhut nahm, behandelte der gutmütige Aulus Claudia wie seine eigene Tochter, zumal die beiden selbst keine Kinder hatten.
»Onkel Aulus mochte meine Mutter Urgulanilla nicht«, erzählte Claudia. »Aber sie war immerhin auch eine Plautia, und es kränkte meinen Onkel tief, daß Claudius sich unter einem fadenscheinigen Vorwand von ihr scheiden und mich nackt auf ihre Schwelle legen ließ. Onkel Aulus war auch bereit, mich zu adoptieren, aber dazu bin ich zu stolz. Vor dem Gesetz bin und bleibe ich die Tochter des Kaisers Claudius, sosehr mich auch der Lebenswandel dieses Mannes anwidert.«
Ihre Herkunft langweilte mich in diesem Augenblick, aber der Gedanke an Britannien erregte mich, und ich sagte: »Dein gesetzlicher Vater Claudius hat Britannien nicht unterworfen, wenn er auch einen Triumph feierte. Im Gegenteil, man führt dort unaufhörlich Krieg. Es heißt, dein Onkel Aulus kann über fünftausend erschlagene Feinde nachweisen und hat sich daher ebenfalls das Recht auf einen Triumph erworben. Das sind widerspenstige, heimtückische Stämme. Kaum ist in einem Teil des Landes der Friede hergestellt, bricht in einem anderen Teil erneut der Krieg aus. Gehen wir sogleich zu deiner Tante Paulina.«
»Du hast es sehr eilig, Kriegsruhm zu gewinnen«, sagte Claudia gereizt. »Tante Paulina hat mir streng verboten, allein in die Stadt zu gehen und die Statuen meines Vaters anzuspucken, aber heute habe ich ja dich als Begleiter. Ich führe dich gern zu ihr, denn ich habe sie seit Wochen nicht mehr gesehen.«
Wir gingen zusammen in die Stadt, und ich eilte heim, um mich standesmäßig zu kleiden. Claudia wollte aus Angst vor Tante Laelia nicht mit ins Haus kommen, sondern wartete vor dem Tor und plauderte mit Barbus. Als wir uns auf den Weg zum Haus der Plautier auf dem Caelus machten, blitzten Claudias Augen vor Zorn.
»Du hast dich also mit Agrippina und ihrem verdammten Bengel eingelassen!« rief sie. »Dieses schamlose Weib ist gefährlich. Dem Alter nach könnte sie übrigens deine Mutter sein.«
Ich wandte verwundert ein, daß Agrippina zwar schön, aber dabei doch sehr zurückhaltend sei und daß ich ihren Sohn noch als ein Kind betrachtete, doch Claudia unterbrach mich wütend: »Ich weiß mehr als genug über alle diese bis ins Mark verdorbenen Claudier. Agrippina holt sich jeden ins Bett, von dem sie glaubt, daß er ihr nützen könnte. Der Schatzmeister des Kaisers, Pallas, ist seit langem ihr Liebhaber. Sie sucht vergeblich einen neuen Gatten. Die Männer, die vornehm genug sind, sind viel zu vorsichtig, um sich in ihre Intrigen mit einspinnen zu lassen, aber du in deiner Unerfahrenheit läßt dich natürlich von jeder liederlichen römischen Witwe verführen.«
Streitend gingen wir durch die ganze Stadt, aber im Grunde war Claudia sehr zufrieden, weil ich ihr versicherte, daß mich noch keine verführt hatte und daß ich des Versprechens eingedenk war, das ich ihr an dem Tag, an dem ich die Toga erhielt, auf dem Heimweg vom Tempel der Mondgöttin gegeben hatte.
Im Atrium der Plautier gab es eine lange Reihe von Ahnenbildern, Totenmasken und Kriegstrophäen. Paulina Plautia war eine alte Frau mit großen Augen, die durch mich hindurch auf irgendeinen Punkt weit hinter mir zu blicken schienen. Man sah ihr an, daß sie geweint hatte. Als sie meinen Namen und mein Anliegen erfuhr, verwunderte sie sich, fuhr mir mit ihrer mageren Hand über die Wange und sagte: »Dies ist ein wunderbares, unfaßbares Zeichen von dem einzigen Gott. Du weißt vermutlich nicht, Minutus Manilianus, daß dein Vater und ich Freunde wurden und einen heiligen Kuß tauschten, als wir beim Liebesmahl zusammen Brot gebrochen und Wein getrunken hatten. Es ist jedoch nichts Böses geschehen. Tullia hat deinem Vater nachspionieren lassen. Als sie genug Beweise gegen mich gesammelt hatte, zeigte sie mich an und behauptete, ich hätte an schändlichen östlichen Mysterien teilgenommen.«
»Bei allen Göttern Roms!« rief ich erschrocken aus. »Hat sich mein Vater wirklich auch hier wieder in die Verschwörung der Christen eingemischt? Ich glaubte, er hätte seine Grillen in Antiochia gelassen!«
Die alte Frau sah mich mit seltsam glänzenden Augen an. »Das sind keine Grillen, Minutus. Es ist der einzige Weg zur Wahrheit und zum ewigen Leben. Ich schäme mich nicht, zu glauben, daß der Jude und Nazarener Jesus Gottes Sohn war und ist. Er zeigte sich deinem Vater in Galiläa, und dein Vater weiß mehr über ihn zu berichten als so mancher andere hier. Seine Ehe mit der herrschsüchtigen Tullia betrachtet er als Gottes Strafe für seine Sünden. Daher hat er seinen früheren Hochmut fahrenlassen und ebenso wie ich die heilige Taufe der Christen angenommen. Und keiner von uns schämt sich dessen, obwohl sich unter den Christen nicht viele Reiche oder Vornehme finden.«
Diese schreckliche Neuigkeit ließ mich verstummen. Als Claudia meinen finsteren, vorwurfsvollen Blick bemerkte, verteidigte sie sich: »Ich bin zwar nicht zu ihrem Glauben übergetreten und habe mich nicht taufen lassen, aber drüben auf der anderen Tiberseite, im Judenviertel, habe ich ihre Lehren gehört. Ihre Mysterien und heiligen Mähler befreien sie von allen Sünden.«
»Raufbolde sind sie!« rief ich zornig. »Ewige Stänkerer, Unruhestifter und Aufwiegler! Das habe ich schon in Antiochia gesehen. Die richtigen Juden verabscheuen sie mehr als die Pest.«
»Man braucht nicht Jude zu sein, um zu glauben, daß Jesus von Nazareth Gottes Sohn ist«, erklärte Paulina. Ich verspürte jedoch keine Lust, Glaubensfragen zu diskutieren. Mir stieg das Blut zu Kopf bei dem Gedanken, daß mein Vater nun gar noch zu einem Anhänger der verachteten Christen herabgesunken war.
»Mein Vater war natürlich wieder betrunken und zerfloß vor Selbstmitleid«, sagte ich schroff. »Außerdem bedient er sich jedes noch so unsinnigen Vorwands, um Tullias Schreckensherrschaft zu entrinnen. Er hätte doch auch mit seinem Sohn über seinen Kummer sprechen können.«
Die großäugige Frau schüttelte den Kopf darüber, daß ich so unehrerbietig von meinem Vater sprach, und sagte: »Gerade bevor ihr kamt, erfuhr ich, daß der Kaiser, um das Ansehen meines Gatten zu retten, keinen öffentlichen Prozeß wünscht. Aulus Plautius und ich sind nach der längeren Formel getraut worden. Daher hat der Kaiser bestimmt, daß ich von meinem Gatten vor dem Familiengericht abgeurteilt werden soll, sobald er aus Britannien heimkehrt. Als ihr kamt, dachte ich eben darüber nach, wie ich ihm eine Botschaft zukommen lassen könnte, bevor er von anderer Seite übertriebene Anschuldigungen zu hören bekommt und sich gegen mich erzürnt. Mein Gewissen ist rein, denn ich habe nichts Schändliches oder Böses getan. Möchtest du nicht nach Britannien reisen und einen Brief an meinen Gatten mitnehmen, Minutus?«
Ich war nicht gerade darauf erpicht, mit unliebsamen Nachrichten von daheim bei dem berühmten Feldherrn einzutreffen, denn ich begriff nur zu gut, daß ich mir auf diese Weise seine Gunst verscherzen konnte, aber die sanften Augen der alten Frau bezauberten mich, und ich dachte, daß ich gewissermaßen in ihrer Schuld stand, da sie doch meines Vaters wegen in Schwierigkeiten geraten war. Aulus Plautius konnte sie auf Grund dieser altmodischen längeren Formel ohne weiteres töten lassen. Ich sagte daher widerwillig: »Es ist mir wohl so bestimmt. Ich bin bereit, morgen zu reisen, wenn du in deinem Brief ausdrücklich vermerkst, daß ich mit deinem Aberglauben nichts zu schaffen habe.«
Das versprach sie mir und machte sich sogleich daran, den Brief zu schreiben. Dann fiel mir jedoch ein, daß die Reise viel zu lange dauern würde, wenn ich mein eigenes Pferd, Arminia, nahm, das immer wieder rasten mußte. Paulina versprach, mir das Brustschild eines kaiserlichen Boten zu verschaffen, das mich dazu berechtigte, die Postpferde und Wagen des Kaisers zu benützen wie ein reisender Senator. Paulina war ja die Gemahlin des Oberbefehlshabers in Britannien. Als Entgelt verlangte sie jedoch noch einen Dienst von mir: »Auf dem Hang des Aventins wohnt der Zeltmacher Aquila. Geh zu ihm, sobald es dunkel geworden ist, und sage ihm oder seiner Frau Prisca, daß man mich angezeigt hat. Sie wissen dann, daß sie auf der Hut sein müssen. Sollte dich aber irgendein Fremder ausfragen, so sagst du, ich hätte dich geschickt, um eine Bestellung auf Zeltleinen, die Aulus Plautius aufgegeben hat, wieder rückgängig zu machen. Meine eigenen Diener wage ich nicht zu schicken, da mein Haus seit der Anzeige unter Bewachung steht.«
Ich fluchte innerlich darüber, daß ich auf diese Weise gezwungen war, mich an den abscheulichen Ränken der Christen zu beteiligen, aber Paulina segnete mich im Namen jenes Jesus von Nazareth und berührte mit den Fingerspitzen sanft meine Stirn und meine Brust, daß ich es nicht über mich brachte, meinem Unwillen Ausdruck zu geben. Ich versprach also, den Auftrag auszuführen und am nächsten Tag reisefertig zu ihr zurückzukehren, um den Brief in Empfang zu nehmen.
Als wir uns von ihr verabschiedeten, seufzte Claudia. Ich aber fühlte mich neu belebt von meinem plötzlichen Entschluß und dem Gedanken an die lange Reise, die unversehens allen meinen Sorgen und Kümmernissen ein Ende bereitete. Trotz Claudias Zögern bestand ich darauf, daß sie mit mir ins Haus trat, so daß ich sie Tante Laelia als meine Freundin vorstellen konnte. »Nun, da mein Vater ein verachteter Christ geworden ist, brauchst du dich in unserem Haus wahrhaftig nicht mehr zu schämen«, sagte ich. »Du bist ja vor dem Gesetz die Tochter des Kaisers und aus vornehmem Geschlecht.«
Die weltkluge Tante Laelia machte gute Miene zu meinem bösen Spiel. Sobald sie sich von ihrer Bestürzung erholt hatte, umarmte sie Claudia, blickte ihr prüfend ins Gesicht und sagte: »Du bist eine kräftige, gesunde junge Frau geworden. Ich sah dich oft, als du noch klein warst, und erinnere mich noch gut, wie Kaiser Gajus, der liebe Junge, dich immer seine Base nannte. Dein Vater hat schändlich an dir gehandelt, doch wie geht es Paulina Plautia? Stimmt es, daß du auf ihrem Hof draußen vor den Mauern mit deinen eigenen Händen die Schafe scherst? So ist es mir berichtet worden.«
»Unterhaltet euch ein Weilchen«, schlug ich den beiden vor. »Soviel ich weiß, mangelt es Frauen nie an Gesprächsstoff. Ich muß mit meinem Advokaten und meinem Vater sprechen, denn morgen in aller Frühe breche ich nach Britannien auf.«
Tante Laelia begann zu weinen und sagte jammernd, Britannien sei eine feuchte, neblige Insel, deren Klima die Gesundheit all derer, die die Kämpfe mit den wilden, mit blauen Streifen bemalten Briten heil überstanden, für den Rest ihres Lebens zerstöre. Als Kaiser Claudius seinen Triumph feierte, hatte sie in der Arena Briten gesehen, die einander grausam niedermetzelten. Auf dem Marsfeld hatte man außerdem eine ganze britische Stadt aufgebaut, geplündert und zerstört, und sie meinte, es gebe in diesem Britannien wenig Hoffnung auf Kriegsbeute, wenn die Stadt, die man aus Anlaß der Triumphfeier errichtet hatte, wirklich den Städten der Briten entsprach.
Ich überließ es Claudia, sie zu trösten, holte mir bei meinem Advokaten Geld und ging dann in Tullias Haus, um mit meinem Vater zu sprechen. Tullia empfing mich ungnädig und sagte: »Dein Vater hat sich wieder einmal mit seiner üblen Laune in sein Zimmer eingeschlossen und will niemanden sehen. Mit mir hat er seit Tagen nicht ein einziges Wort gesprochen, und den Dienern gibt er seine Befehle nur durch Kopfnicken und Handbewegungen. Versuch du, ihn zum Sprechen zu bringen, bevor er uns ganz verstummt.«
Ich tröstete Tullia und sagte ihr, daß mein Vater schon daheim in Antiochia unter solchen Anfällen tiefer Niedergeschlagenheit gelitten hatte. Als Tullia hörte, daß ich nach Britannien reisen wollte, um in eine der dortigen Legionen einzutreten, sagte sie rasch mit lebhafter Zustimmung: »Das ist ein vernünftiger Vorsatz. Ich hoffe, du wirst deinem Vater Ehre machen. Ich habe vergeblich versucht, ihn für die Staatsgeschäfte zu interessieren. In seiner Jugend hat er zwar Rechtswissenschaft studiert, aber seither hat er bestimmt alles wieder vergessen. Er ist zu träge und zu bequem, um sich eine Stellung zu verschaffen, die seiner würdig wäre.«
Ich ging zu meinem Vater. Er saß, den Kopf in die Hände gestützt, in seinem Zimmer, trank Wein aus seinem geliebten Holzbecher und sah mich aus geröteten Augen an. Ich schloß die Tür hinter mir und sagte: »Ich bringe dir Grüße von deiner Freundin Paulina Plautia, die nun um deiner heiligen Küsse willen in der Patsche sitzt und wegen gefährlichen Aberglaubens verurteilt worden ist. Ich muß nach Britannien eilen, um Aulus Plautius Botschaft von ihr zu bringen, und bin zu dir gekommen, damit du mir Glück wünschst für den Fall, daß ich nicht zurückkehre. In Britannien will ich auch meinen Waffendienst leisten.«
»Ich habe nie gewollt, daß du Soldat wirst«, stammelte mein Vater, »doch vielleicht ist das immer noch besser als ein Leben hier in diesem Hurenbabel. Ich weiß, daß meine Frau Tullia Paulina aus blöder Eifersucht ins Unglück gestürzt hat und daß ich selbst vor allen anderen verurteilt werden müßte. Ich habe mich in ihrem Taufbecken taufen lassen, und sie legten mir die Hände aufs Haupt, aber der Geist kam darum doch nicht über mich. Ich werde nie wieder ein Wort mit Tullia sprechen.«
»Was will Tullia eigentlich, Vater?« fragte ich.
»Daß ich Senator werde«, antwortete mein Vater leise. »Nichts Geringeres als das hat sich dieses Ungeheuer von einem Weib in den Kopf gesetzt. Ich besitze genug Ländereien in Italien und bin von hinlänglich vornehmer Herkunft, um Senatsmitglied werden zu können, und Tullia hat es verstanden, sich durch eine Ausnahmebewilligung die Rechte zu verschaffen, die einer Mutter von drei Kindern zustehen, obwohl sie sich nie dazu bequemen konnte, ein Kind zu gebären. Als ich jung war, liebte ich sie. Sie reiste mir nach Alexandria nach und hat mir nie verzeihen können, daß ich ihr deine Mutter Myrina vorzog. Nun stachelt sie mich Tag für Tag, wie man einen Ochsen stachelt, schimpft mich wegen meines Mangels an Ehrgeiz aus und macht mich so zum unverbesserlichen Säufer, wenn ich ihr nicht den Willen tue und wenigstens den Versuch unternehme, Senator zu werden. Ich habe aber kein Wolfsblut in mir, obgleich ich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, sagen muß, daß schlechtere Männer als ich in roten Stiefeln auf dem Elfenbeinschemel sitzen. Verzeih mir, mein Sohn. Du wirst verstehen, daß mir unter solchen Umständen nichts anderes übrigblieb, als Christ zu werden.«
Als ich das aufgedunsene Gesicht und den unruhig irrenden Blick meines Vaters sah, faßte mich tiefes Mitleid. Ich verstand, daß er nach irgendeinem Lebensinhalt suchte, um Tullia zu ertragen. Aber mir schien, es wäre heilsamer für ihn gewesen, im Senat die Zeit totzuschlagen, als an den heimlichen Zusammenkünften der Christen teilzunehmen.
Als hätte er meine Gedanken erraten, sah mich mein Vater an, strich mit den Fingern über den abgenützten Holzbecher und sagte: »Ich darf nicht mehr zu den Liebesmählern gehen, denn meine Anwesenheit kann den Christen nur schaden, wie sie Paulina schon geschadet hat. Tullia hat in ihrem Zorn geschworen, dafür zu sorgen, daß sie allesamt aus Rom verbannt werden, wenn ich mich nicht von ihnen zurückziehe. Und all das wegen einiger unschuldiger Küsse, die man nach dem heiligen Mahl zu tauschen pflegt! … Reise du nur nach Britannien«, fuhr er fort und reichte mir bei diesen Worten seinen geliebten Holzbecher. »Es wird Zeit, daß du das einzige an dich nimmst, was deine Mutter dir hinterlassen hat, sonst verbrennt es Tullia noch in ihrer Wut. Aus diesem Becher hat Jesus von Nazareth, der König der Juden, vor bald achtzehn Jahren einmal getrunken, als er aus dem Grabe auferstanden war und mit den Nägelmalen in seinen Händen und Füßen und den Wunden von der Geißelung auf dem Rücken durch Galiläa wanderte. Behalte ihn stets bei dir. Vielleicht ist dir deine Mutter ein wenig näher, wenn du daraus trinkst. Ich konnte dir nicht der Vater sein, der ich gern gewesen wäre.«
Ich nahm den Becher entgegen, von dem die Freigelassenen meines Vaters in Antiochia glaubten, er sei von der Glücksgöttin geheiligt worden. Er hatte meinen Vater allerdings nicht vor Tullia beschützt, sofern man nicht ein prunkvolles Haus, alle Bequemlichkeiten, die das Leben zu bieten hat, und am Ende vielleicht gar noch die Senatorwürde als den größtmöglichen Erfolg auf Erden betrachten wollte. Ich empfand jedoch heimliche Ehrfurcht, als ich den alten Becher mit den Händen umfaßte.
»Tu mir noch einen Gefallen«, bat mein Vater bescheiden. »Auf dem Hang des Aventins wohnt ein Zeltmacher …«
„… der Aquila heißt«, unterbrach ich ihn spöttisch. »Ich habe ihm etwas von Paulina auszurichten und kann ihm ja gleichzeitig sagen, daß auch du die Christen verläßt.«
Meine Bitterkeit war jedoch schon dahingeschwunden, als mein Vater mir den Holzbecher gegeben hatte, den er so liebte. Ich umarmte ihn und preßte das Gesicht in sein Gewand, um meine Tränen zu verbergen. Er drückte mich fest an sich. Wir schieden voneinander, ohne uns noch einmal in die Augen zu sehen.
Tullia erwartete mich, in würdevoller Haltung auf dem hochlehnigen Stuhl sitzend, auf dem die Hausherrin die Gäste empfängt. Sie blickte mich lauernd an und sagte: »Gib in Britannien auf deinen kostbaren Schädel acht, Minutus. Es wird deinem Vater noch zugute kommen, daß er einen Sohn hat, der dem Staat und dem Gemeinwohl dient, wenn ich sage, daß ein junger Offizier rascher befördert wird, wenn er seine Vorgesetzten freigebig zu Wein und Würfelspiel einlädt, als wenn er sich zu gefährlichen Unternehmungen meldet. Geize nicht mit deinem Geld, sondern mache lieber Schulden. Dein Vater wird dir schon aushelfen. Jedenfalls wird man dich als einen in jeder Hinsicht gesunden jungen Mann betrachten.«
Auf dem Heimweg ging ich am Tempel des Castor und des Pollux vorbei, um den Kurator der Reiterei von meiner Reise nach Britannien in Kenntnis zu setzen. Daheim waren sich Tante Laelia und Claudia völlig einig geworden. Gemeinsam wählten sie die besten Untergewänder aus dicker Wolle zum Schutz gegen Britanniens rauhe Winde für mich aus, und auch andere Dinge hatten sie schon in solchen Mengen für mich hergerichtet, daß ich mindestens einen Reisewagen gebraucht hätte, um sie alle zu befördern. Ich hatte jedoch die Absicht, sogar meine Rüstung, bis auf das Schwert, zurückzulassen, da ich es für das beste ansah, mich an Ort und Stelle neu auszurüsten und mich nach dem zu richten, was das fremde Land und die neuen Verhältnisse forderten. Barbus hatte mir erzählt, wie man die verwöhnten römischen Jünglinge auslachte, die eine Unmenge nutzloser Dinge mit ins Feld schleppten.
Später suchte ich an diesem schwülen Herbstabend, an dem ein unruhiger rötlicher Himmel über der Stadt hing, den Zeltmacher Aquila auf. Er war offenbar ein recht wohlhabender Mann, denn er besaß eine große Weberei. Er begrüßte mich mißtrauisch an der Tür und blickte sich um, als hätte er Angst vor Spionen. Er war in den Vierzigern und sah nicht wie ein Jude aus. Da er keinen Bart hatte und keine Quasten auf dem Mantel trug, hielt ich ihn zuerst für einen von Aquilas Freigelassenen. Claudia, die mit mir gekommen war, begrüßte ihn wie einen alten Bekannten. Als er meinen Namen hörte und ich ihm die Grüße meines Vaters ausrichtete, verschwand seine Furcht. In seinen Augen sah ich jedoch den gleichen unruhigen Ausdruck, den ich bei meinem Vater bemerkt hatte. Er hatte übrigens senkrechte Falten auf der Stirn wie ein Augur oder ein Haruspex. Aquila bat uns freundlich, einzutreten, und seine Frau Prisca bot uns sofort Früchte und mit Wasser vermischten Wein an. Prisca war, ihrer Nase nach zu urteilen, Jüdin von Geburt; eine geschäftige, redselige Frau, die in jungen Jahren zweifellos schön gewesen war. Die beiden erschraken, als sie hörten, daß Paulina ihres Aberglaubens wegen angeklagt worden war und daß mein Vater beschlossen hatte, ihre heimlichen Zusammenkünfte zu meiden, um ihnen nicht zu schaden.
»Wir haben Feinde und Neider«, sagten sie. »Die Juden verfolgen uns. Sie jagen uns aus den Synagogen und prügeln uns auf der Straße. Sogar ein mächtiger Zauberer, Simon aus Samaria, haßt uns bitter. Wir werden aber vom Geist beschützt, der die Worte in unseren Mund legt, und deshalb brauchen wir keine Macht der Welt zu fürchten.«
»Du bist doch kein Jude«, sagte ich zu Aquila.
Er lachte. »Ich bin Jude und beschnitten, geboren in Trapezus in Pontus, an der Südostküste des Schwarzen Meeres, aber meine Mutter war Griechin, und mein Vater nahm die galiläische Taufe an, als er einst in Jerusalem Pfingsten feierte. Es gab jedoch Streit in Pontus, als einige vor den Synagogen dem Kaiser opfern wollten. Ich ging nach Rom und wohne hier auf der Armenseite des Aventins wie so viele, die nicht mehr glauben, daß die Befolgung des Gesetzes Mose sie von ihren Sünden befreien kann.«
Prisca mischte sich ein und erklärte uns: »Die Juden auf der anderen Seite des Flusses hassen uns am meisten, weil die Heiden, die sie anhören, lieber unseren Weg wählen, der sie leichter dünkt. Ich weiß nicht, ob unser Weg wirklich leichter ist, aber wir besitzen die Gnade und das geheime Wissen.«
Aquila und Prisca waren angenehme Menschen, die nichts von dem üblichen Hochmut der Juden an sich hatten. Claudia gestand, daß sie und ihre Tante Paulina ihre Belehrungen angehört hatten, und meinte, die beiden hätten nichts zu verbergen. Jeder, der wolle, könne zu ihnen kommen und sie anhören, und manch einer gerate dabei in Verzückung und beginne mit Zungen zu reden. Nur das Liebesmahl war Außenstehenden verwehrt, erfuhr ich, aber das verhielt sich mit den syrischen und ägyptischen Mysterien, die in Rom begangen wurden, auch nicht anders.
Sie versicherten uns, daß vor ihrem Gott alle gleich seien, Sklave oder Freier, arm oder reich, klug oder dumm, und daß sie alle Menschen als ihre Brüder und Schwestern betrachteten. Ich glaubte nicht alles, was sie sagten, da sie so erschrocken waren, als sie hörten, daß mein Vater und Paulina Plautia sie verlassen hatten. Claudia tröstete sie und sagte, daß Paulina gewiß nicht aus innerem Antrieb so gehandelt habe, sondern nur zum Schein, um den guten Ruf ihres Gatten zu wahren.
Am nächsten Morgen bekam ich ein Reitpferd und ein Kurierschild, das ich auf der Brust zu tragen hatte. Paulina gab mir den Brief an Aulus Plautius, und Claudia weinte. Ich trat meine Reise an, die mich auf den Militärstraßen quer durch Italien und Gallien führte.
Ich erreichte Britannien bei Anbruch des Winters und wurde von Stürmen, Nebel und eiskalten Regenschauern empfangen. Wie jeder Besucher Britanniens weiß, wirkt dieses Land bedrückend. Es gibt nicht einmal Städte von der Art, wie man sie noch im nördlichen Gallien findet. Wer in Britannien nicht an Lungenentzündung stirbt, holt sich zumindest einen Rheumatismus, den er sein Lebtag lang nicht mehr los wird, sofern ihm nicht ohnehin die Briten in einem ihrer Weißdornhaine den Kopf abschlagen oder ihn zu einem ihrer Priester, den Druiden, schleppen, die aus den Eingeweiden von Römern das künftige Schicksal ihres Stammes zu lesen pflegen. All dies erzählten mir Legionäre, die schon dreißig Jahre gedient hatten.
Aulus Plautius traf ich in der Handelsniederlassung Londinium an, die an einem reißenden Fluß liegt. Er hatte sein Hauptquartier in Londinium, weil es dort noch das eine oder andere römische Haus gab. Als er den Brief seiner Gattin las, wurde er nicht zornig, wie ich befürchtet hatte. Im Gegenteil, er begann laut zu lachen und schlug sich auf die Schenkel. Einige Wochen zuvor hatte er ein geheimes Schreiben von Kaiser Claudius erhalten, worin ihm mitgeteilt wurde, daß er sich das Recht auf einen Triumph erworben habe. Er war gerade dabei, seine Angelegenheiten in Britannien zu ordnen, um im Frühjahr den Oberbefehl übergeben und nach Rom heimkehren zu können.
»Ich soll also die Familie zusammenrufen, um meine gute Frau zu verurteilen!« rief er und hatte vor Lachen Tränen in den Augen. »Dabei muß ich froh sein, wenn Paulina mir nicht die letzten Haare vom Kopf reißt, wenn sie mich nach dem Leben ausfragt, das ich hier in Britannien geführt habe. Ich habe genug damit zu tun gehabt, die heiligen Haine der Druiden niederzuhauen, und mag von Glaubensdingen nichts mehr hören. Eine ganze Schiffsladung Götterbilder hatte ich aus meiner eigenen Tasche bezahlt, damit diese Briten endlich ihre scheußlichen Menschenopfer aufgeben, aber das erste, was sie tun, ist, daß sie die heiligen Tonstatuen zerschlagen und wieder zu den Waffen greifen. Nein, nein, der Aberglaube bei uns daheim ist sicherlich unschuldiger als der, den ich hier kennengelernt habe. Diese Anklage ist lediglich eine Intrige meiner lieben Senatorenkollegen, die fürchten, ich sei vielleicht zu reich geworden, nachdem ich vier Jahre lang vier Legionen befehligt habe. Als ob sich einer in diesem Land bereichern könnte! Roms Geld verschwindet hier wie in einem Faß ohne Boden. Claudius muß einen Triumph feiern lassen, damit man in Rom glaubt, Britannien sei befriedet. Aber dieses Land kann niemand befrieden. Hier wird es immer wieder Aufruhr geben. Schlägt man einen der Könige in ehrlichem Kampf, tritt gleich ein anderer an seine Stelle, der weder auf Geiseln Rücksicht nimmt, noch sich an eidlich bekräftigte Verträge hält. Oder es kommt ein Nachbarstamm, erobert das Land, das man soeben erst unterworfen hat, und reibt unsere ganze Garnison auf. Man darf sie nicht einmal ganz entwaffnen, weil sie die Waffen brauchen, um sich gegeneinander zu verteidigen. Glaube mir, ich wäre gern auch ohne Triumph nach Rom zurückgekehrt, nur um dieses von allen Göttern verlassene Land nicht mehr sehen zu müssen.«
Er wurde ernst, blickte mir streng in die Augen und fragte: »Hat es sich schon in Rom herumgesprochen, daß ich einen Triumph feiern werde, oder aus was für einem Gründe sonst kommt ein junger Ritter wie du freiwillig hierher? Du hoffst natürlich, ohne viel Beschwer an meinem Triumph teilnehmen zu können!«
Ich antwortete tief gekränkt, daß ich von diesem Triumph nichts geahnt hatte, ja, daß man in Rom vielmehr zu der Ansicht neigte, Claudius würde aus Eifersucht niemals einen Triumph für Kriegstaten in Britannien genehmigen, da er doch selbst nach der sogenannten Unterwerfung Britanniens schon einen Triumph gefeiert hatte. »Ich bin gekommen, um unter einem berühmten Feldherrn die Kriegskunst zu erlernen«, sagte ich. »Der Reiterspiele in Rom bin ich nun müde.«
»Hier gibt es keine seidenblanken Pferde und silbernen Schilde«, erwiderte Aulus barsch. »Und keine warmen Betten und geschickten Masseure. Hier gibt es nur das Kriegsgeschrei blau angestrichener Barbaren in den Wäldern, tägliche Furcht vor Hinterhalten, ewigen Schnupfen, unheilbaren Husten und ständiges Heimweh.«
Daß er kaum übertrieb, das sollte ich in den nächsten zwei Jahren, die ich in Britannien verbrachte, noch erfahren. Aulus Plautius behielt mich einige Tage in seinem Stab, um sich meine Abstammung bestätigen zu lassen, den neuesten Klatsch aus Rom zu hören und mir an einem Relief die Beschaffenheit Britanniens und die Standorte seiner Legionen zu erklären. Er schenkte mir sogar einen ledernen Brustharnisch, ein Pferd und Waffen und gab mir freundliche Ratschläge: »Paß gut auf dein Pferd auf, sonst stehlen es dir die Briten. Sie kämpfen selbst mit Streitwagen, weil ihre kleinen Pferde nicht zum Reiten taugen. Roms Politik und Kriegführung stützen sich auf die Bundesgenossen unter den britischen Stämmen. Daher verfügen auch wir über einige Einheiten, die mit Streitwagen ausgerüstet sind. Trau aber nie einem Briten! Wende nie einem Briten den Rücken zu! Sie versuchen mit allen Mitteln, unserer großen, kräftigen Pferde habhaft zu werden, um selbst eine Reiterei aufzustellen. Claudius verdankt seine Siege in Britannien seinen Elefanten, die kein Brite je zuvor gesehen hatte. Die Elefanten stampften die Verschanzungen nieder und machten die Zugpferde der Streitwagen scheu. Bald lernten aber die Briten, mit ihren Wurfspeeren auf die Augen der Elefanten zu zielen und sie mit Fackeln zu brennen. Außerdem vertragen die Dickhäuter das Klima nicht. Der letzte ging uns vor einem Jahr an Schwindsucht ein.
Ich werde dich der Legion des Flavius Vespasian zuteilen. Er ist mein erfahrenster Krieger und mein zuverlässigster Legat, ein bißchen schwerfällig, aber ruhig und besonnen. Seine Herkunft ist sehr bescheiden, und seine Sitten sind derb und volkstümlich, ansonsten ist er ein Ehrenmann. Mehr als Unterfeldherr wird er wohl nie werden, aber die Kriegskunst kannst du unter ihm erlernen, wenn du wirklich deshalb hierhergekommen bist.«
Ich traf Flavius Vespasian am Ufer der Hochwasser führenden Antona, wo er seine Legion auf einen größeren Raum aufgeteilt hatte und Schanzen bauen ließ. Er war ein Mann von über vierzig Jahren, kräftig gebaut, mit einer breiten Stirn und einem gutmütigen Zug um den Mund. Vor allem aber wirkte er viel bedeutender, als ich nach der überheblichen Schilderung des Aulus Plautius vermutet hatte. Er lachte gern laut und konnte über seine eigenen Mißgeschicke scherzen, die oft von der Art waren, daß sie einen schwächeren Mann zur Verzweiflung getrieben hätten. Seine bloße Gegenwart gab einem ein Gefühl der Sicherheit. Er sah mich pfiffig an und rief: »Wendet sich endlich unser Geschick, da nun ein junger Ritter aus Rom freiwillig zu uns kommt und sein Glück in Britanniens Sümpfen und dunklen Wäldern sucht? Nein, nein, das kann nicht sein. Gesteh nur gleich, was du ausgefressen hast und weshalb du unter meinem Legionsadler Schutz suchst, dann werden wir uns von Anfang an besser verstehen.«
Als er sich genau nach meiner Familie und meinen Beziehungen in Rom erkundigt hatte, dachte er eine Weile nach und meinte dann offenherzig, daß ihm meine Anwesenheit weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereiche. Gutmütig, wie er von Natur aus war, beschloß er, mich langsam, Schritt für Schritt, an den Schmutz, die Rauheit und die Mühen des Soldatenlebens zu gewöhnen. Er nahm mich zunächst auf seine Inspektionsreisen mit, damit ich das Land kennenlernte, und diktierte mir seine Berichte an Aulus Plautius, da er selbst zum Schreiben zu faul war. Als er sich vergewissert hatte, daß ich wirklich reiten konnte und auch nicht über mein Schwert stolperte, übergab er mich einem der Baumeister der Legion, damit ich lernte, wie man Holzbefestigungen baut.
Unsere weit abgelegene Garnison bestand aus nicht einmal einer ganzen Manipel. Ein Teil von uns ging auf die Jagd und sorgte für die Verköstigung, ein anderer fällte Bäume und ein dritter baute Schanzen. Bevor Vespasian wieder davonritt, ermahnte er mich, darauf zu achten, daß die Männer ihre Waffen sorglich pflegten und daß die Wachtposten ordentlich aufpaßten und nicht faulenzten, denn, so sagte er, Faulheit im Waffendienst ist die Mutter aller Laster und untergräbt die Zucht.
Nach ein paar Tagen war ich es müde, im Lager umherzuwandern und mir die unverschämten Witzeleien der alten Legionäre anzuhören. Ich nahm eine Axt und begann Bäume zu fällen. Beim Einrammen der Pfähle griff ich mit ins Zugseil der Ramme und stimmte in den Gesang der anderen ein. Die beiden Zenturionen und den Baumeister lud ich abends zum Wein, den man zu unverschämten Preisen vom Händler des Lagers kaufen konnte, aber oft gesellte ich mich auch zu den narbenbedeckten unteren Dienstgraden am Lagerfeuer und teilte mit ihnen Grütze und Pökelfleisch. Ich wurde kräftiger, härter und rauher, ich lernte fluchen und machte mir nichts mehr daraus, wenn man mich fragte, wann ich eigentlich von der Mutterbrust entwöhnt worden sei.
Zu unserer Garnison gehörten zwanzig gallische Reiter. Als deren Führer merkte, daß ich es nicht darauf anlegte, ihm das Kommando abzunehmen, sagte er, es sei an der Zeit, daß ich meinen ersten Briten erschlüge, und nahm mich auf einen Beutezug mit. Wir setzten über den Fluß und ritten auf einer langen Straße zu einer Stadt, deren Bewohner darüber geklagt hatten, daß ein Nachbarstamm sie bedrohe. Sie hatten ihre Waffen versteckt, aber die Veteranen, die uns zu Fuß nachfolgten, wußten sie in den Erdböden der runden Hütten und den Abfallhaufen davor zu finden. Nachdem sie die Waffen ausgegraben hatten, plünderten sie die Stadt und nahmen alles Getreide und einen Teil des Viehs an sich. Die Männer, die ihre Habe zu verteidigen versuchten, machten sie erbarmungslos nieder, da die Briten, wie sie mir versicherten, nicht einmal zu Sklaven taugten. Die Frauen, die sich nicht in den Wäldern versteckt hatten, vergewaltigten sie freundlich grinsend und mit der Selbstverständlichkeit, mit der man Gewohntes tut.
Diese wahnwitzige, zwecklose Zerstörung erschreckte mich, aber der Führer der Reiterabteilung lachte nur und bat mich, ruhig Blut zu bewahren und die Waffen bereitzuhalten. Die Bitte der Stadt um Schutz sei nur eine der üblichen Fallen gewesen, sagte er, das bewiesen ja die Waffen, die wir gefunden hatten. Tatsächlich setzten beim Morgengrauen die blaubemalten Briten von allen Seiten her laut brüllend zum Angriff auf die Stadt an.
Sie hatten gehofft, uns zu überrumpeln, aber wir waren auf der Hut gewesen und hielten den leicht bewaffneten Barbaren, die nicht die starken Schilde unserer Legionäre hatten, ohne weiteres stand. Die Veteranen, die tags zuvor die Stadt verwüstet hatten und denen ich die Bluttaten, die ich mit eigenen Augen angesehen hatte, nie verzeihen wollte, nahmen mich fürsorglich in ihre Mitte und schützten mich. Als die Briten flohen, ließen sie einen Krieger zurück, der am Knie verwundet war. Er schrie wild, stützte sich auf seinen Lederschild und schwang sein Schwert. Die Veteranen stießen mich nach vorn und riefen lachend: »Da hast du einen! Nun töte deinen Briten, kleiner Freund!«
Es war mir ein leichtes, mich gut zu decken und den Verwundeten trotz seiner Körperkraft und seinem Schwert zusammenzuschlagen. Als ich ihm aber zuletzt mein langes Reiterschwert in die Kehle gestoßen hatte und er röchelnd und aus vielen Wunden blutend auf dem Boden lag, mußte ich mich abwenden und mich erbrechen. Voll Scham über meine Schwäche sprang ich rasch in den Sattel und schloß mich den Galliern an, die den fliehenden Feind in den Wald hinein verfolgten, bis das Horn sie zurückrief. Wir verließen die Stadt und bereiteten uns auf einen zweiten Angriff vor, denn unser Zenturio war überzeugt, daß die Briten sich noch nicht geschlagen gaben. Wir hatten einen beschwerlichen Weg vor uns, denn wir mußten das Vieh treiben und das Korn in Weidenkörben schleppen. Die Briten unternahmen mehrere Überraschungsangriffe, und ich fühlte mich ein wenig besser, als ich mich selbst meiner Haut erwehren mußte und sogar versuchen konnte, andere vom Pferd aus zu schützen, aber eine ehrenhafte Kriegführung schien mir das dennoch nicht zu sein.
Als wir endlich im Schutz unserer Befestigungen den Fluß überquert hatten, stellten wir fest, daß wir zwei Mann und ein Pferd verloren hatten und daß viele verwundet worden waren. Todmüde ging ich in meine Hütte, um zu schlafen, aber immer wieder schrak ich auf und glaubte aus den Wäldern das Kriegsgeheul der Briten zu hören.
Am nächsten Tag mochte ich nichts von der Beute annehmen, aber der Führer der Reiterabteilung rühmte mich laut und rief, ich hätte mich vortrefflich geschlagen, gewaltig mit dem Schwert um mich gehauen und vor Angst fast ebenso laut gebrüllt wie die Briten. Daher hätte ich dasselbe Recht auf Beute wie die anderen. Da stießen die Veteranen ein halbwüchsiges Britenmädchen mit gefesselten Händen vor mich hin und sagten: »Hier hast du deinen Anteil an der Beute, damit du dich nicht langweilst und uns wieder verläßt, du tapferes Ritterknäblein.«
Ich rief entsetzt, ich dächte nicht daran, mich mit einer Sklavin abzuplagen, aber die Veteranen grinsten nur und versicherten mir mit unschuldsvollen Mienen: »Wenn einer von uns sie nimmt, steckt sie ihm bloß einen Dolch in die Gurgel, sobald sie die Hände frei hat. Du aber bist ein vornehmer Jüngling mit feinen Manieren und kannst sogar Griechisch. Du gefällst ihr bestimmt besser.«
Sie versprechen mir bereitwillig, mir mit gutem Rat zu helfen und mir zu zeigen, wie man sich so eine Sklavin zieht. Zu allererst einmal müsse ich sie jeden Morgen und jeden Abend prügeln, um ihr die Mucken auszutreiben, sagten sie und gaben mir noch andere Ratschläge, die ich aber nicht auf sauberem Papier niederschreiben mag. Als ich mich immer noch weigerte, spielten sie die Betrübten, schüttelten traurig die Köpfe und sagten: »Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als sie für ein paar Denare an den Händler zu verschachern. Wie es ihr dort ergeht, kannst du dir selber ausmalen.«
Ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn dieses verschreckte Kind mit Peitschenhieben zur Lagerhure gemacht worden wäre. Widerwillig erklärte ich mich daher bereit, die Britin als meinen Anteil an der Beute anzunehmen. Ich geleitete die Veteranen aus meiner Hütte, setzte mich ihr gegenüber nieder und starrte sie an. Ihr kindliches Gesicht war voll blauer Flecke, und ihr rotleuchtendes Haar hing ihr in wirren Strähnen in die Stirn. Sie erinnerte mich an eines der kleinen britischen Fohlen, wie sie da unter den Haaren hervor nach mir schielte.
Ich begann zu lachen, zerschnitt mit meinem Messer ihre Fesseln und forderte sie durch Gesten auf, sich das Gesicht zu waschen und das Haar zu kämmen. Sie rieb sich die geschwollenen Handgelenke und starrte mich argwöhnisch an. Zuletzt holte ich den Baumeister, der ein wenig von der Sprache der Briten verstand, und bat ihn, mir zu helfen. Er lachte über meine Verlegenheit und stellte fest, daß das Mädchen wenigstens gesund war und gerade Glieder hatte. Als sie ihre eigene Sprache hörte, schien sie Mut zu fassen. Die beiden schwatzten eine Weile lebhaft miteinander, dann erklärte mir der Baumeister: »Sie will sich weder waschen noch kämmen, weil sie deinen Absichten mißtraut. Wenn du sie anrührst, bringt sie dich um, das schwört sie bei der Hasengöttin.«
Ich versicherte, der Gedanke, das Mädchen anzurühren, läge mir fern, und der Baumeister meinte, es wäre das Vernünftigste, ihr Wein zu trinken zu geben. »Sie wird schnell betrunken sein, denn die unzivilisierten Briten sind den Wein nicht gewohnt, und dann kannst du mit ihr machen, was du willst. Paß nur auf, daß du selbst dich nicht betrinkst, denn sie ist imstande und schneidet dir die Kehle durch, wenn sie wieder nüchtern wird. So ist es einem unserer Gerber ergangen, der unvorsichtig genug war, sich in Gesellschaft einer ungezähmten Britin einen Rausch anzutrinken.«
Ich wiederholte ungeduldig, daß ich nicht die Absicht hatte, dem Mädchen etwas anzutun, aber der Baumeister meinte, ich sollte sie lieber fesseln, sonst würde sie bei der ersten besten Gelegenheit zu den Ihren fliehen. »Ich wünsche mir nichts Besseres«, sagte ich. »Erkläre ihr, daß ich sie heute nacht an den Posten vorbeibringe und laufenlasse.«
Der Baumeister schüttelte den Kopf und gestand mir, er habe mich schon für verrückt gehalten, als er sah, wie ich freiwillig mit den Legionären schuftete, aber daß es so schlecht mit mir stehe, hätte er sich nicht gedacht. Er sprach wieder eine Weile mit dem Mädchen, dann sagte er: »Sie traut dir nicht. Sie glaubt, du willst sie nur in den Wald führen, um sie dir dort gefügig zu machen, und selbst wenn sie dir aus den Händen schlüpfte wie eine Häsin, sagt sie, würden Briten von anderen Stämmen sie einfangen und als Geisel festhalten, da sie nicht aus dieser Gegend stammt. Sie heißt übrigens Lugunda.«
Auf einmal bekam der Baumeister so seltsame Augen. Er schleckte sich über die Lippen, während er das Mädchen musterte, und schlug mir vor: »Hör einmal, ich gebe dir zwei Silberslücke für sie, da bist du sie los.«
Das Mädchen sah seinen Blick, stürzte auf mich zu und packte mich fest am Arm, als wäre ich ihr einziger Schutz auf dieser Welt. Gleichzeitig stieß sie ein paar Sätze in ihrer zischenden Sprache hervor. Der Baumeister lachte laut auf und übersetzte mir, was sie sagte: »Sie behauptet, wenn du ihr unziemlich nahe trittst, wirst du als ein Frosch wiedergeboren werden. Zuvor aber werden ihre Stammesgenossen dir den Bauch aufschlitzen, deine Gedärme auf den Boden herauszerren und dir einen glühenden Spieß durch den Mastdarm in den Leib bohren. Wenn du gescheit bist, trittst du das Mädchen zu einem angemessenen Preis an einen erfahreneren Mann ab.«
Einen Augenblick hatte ich gute Lust, sie dem Baumeister zu schenken, aber dann versicherte ich ihm nur noch einmal geduldig, daß ich Lugunda nichts tun, sondern sie wie ein britisches Fohlen pflegen wolle. Diesen kämmt man ja auch die Stirnfransen, und in kalten Nächten legt man ihnen eine Decke über. Ich wollte es den alten Legionären gleichtun, die sich die Langeweile mit allerlei Tieren vertrieben, die sie verhätschelten, und das Mädchen war immer noch besser als ein Hund, denn sie konnte mir die Sprache der Briten beibringen.
All das sagte ich dem Baumeister, und ich weiß nicht, wie er dem Mädchen meine Worte verdolmetschte oder ob seine Sprachkenntnis überhaupt ausreichte, um wiederzugeben, was ich meinte. Ich habe den Verdacht, daß er Lugunda erklärte, ich wolle sie ebensowenig anrühren, wie ich daran dächte, mit einer Stute oder einer Hündin Unzucht zu treiben. Jedenfalls ließ sie meinen Arm los, stürzte an den Holzzuber und begann sich hastig das Gesicht zu waschen, so als wollte sie mir beweisen, daß sie weder eine Stute noch eine Hündin war.
Ich bat den Baumeister zu gehen, und gab Lugunda ein Stück Seife. Dergleichen hatte sie noch nie gesehen, und ich selbst hatte die Seife, um die Wahrheit zu sagen, auch erst auf dem Weg nach Britannien kennengelernt, als ich in der gallischen Stadt Lutetia das elende Badehaus aufsuchte. Es war am Todestag meiner Mutter, also an meinem Geburtstag gewesen, und ich war in Lutetia siebzehn Jahre alt geworden, ohne daß jemand mir Glück wünschte.
Der magere Badesklave wusch mich mit etwas, was meine Verwunderung erregte, denn es war weich und mild und reinigte vorzüglich. Um wieviel angenehmer war das, als sich die Haut mit Bimsstein zu scheuern! Ich kaufte den Sklaven samt seinen Seifen um drei Goldstücke. Am Morgen, bevor ich Lutetia verließ, gab ich ihn vor den Behörden der Stadt frei, bezahlte die Freilassungssteuer für ihn und erlaubte ihm, den Namen Minutius zu führen. Ein paar Stück Seife, die er mir zum Dank geschenkt hatte, hielt ich vor den Legionären versteckt, nachdem ich bemerkt hatte, daß sie dieses »neumodische Zeug« verachteten.
Als ich nun Lugunda zeigte, wie sie die Seife gebrauchen mußte, faßte sie Zutrauen und wusch und kämmte sich. Ich rieb ihr die geschwollenen Handgelenke mit einer guten Salbe ein, und als ich sah, wie übel ihr Gewand von den Dornen zerrissen war, ging ich zum Händler und kaufte ihr ein Untergewand und einen Mantel aus Wolle. Danach folgte sie mir treu wie ein Hündchen, wohin ich ging.
Bald mußte ich jedoch einsehen, daß es für mich leichter war, Lugunda Latein zu lehren, als selbst die fauchende Sprache der Barbaren zu erlernen. An den langen dunklen Abenden, wenn wir vor dem Feuer saßen, versuchte ich sogar, ihr das Lesen beizubringen. Ich ritzte Buchstaben in den Sand und forderte sie auf, sie nachzuzeichnen. Die einzigen Bücher, die es in der Garnison gab, waren das Jahrbuch der Zenturionen und ein ägyptisch-chaldäisches Traumbuch, das dem Händler gehörte. Ich hatte es daher schon seit langem bereut, daß ich mir nichts zu lesen mitgebracht hatte, aber nun ersetzten mir die Unterrichtsstunden mit Lugunda das Vergnügen der Lektüre.
Über die vielen unanständigen Scherze, die ich von den Legionären wegen des Mädchens in meiner Hütte zu hören bekam, lachte ich nur, denn ich wußte, daß sie nicht bös gemeint waren. Die Männer fragten sich, was für Zauberkünste ich angewandt haben mochte, um das wilde Mädchen so rasch zu zähmen. Natürlich glaubten sie, ich schliefe bei ihr, und ich ließ sie in dem Glauben, obwohl ich Lugunda trotz ihrer dreizehn Jahre nicht anrührte.
Während ein eiskalter Regen niederging und die schon bei günstiger Witterung schlechten Wege sich in bodenlosen Morast und Tümpel verwandelten, auf denen jeden Morgen eine krachende Eisdecke lag, wurde das Leben in der Garnison immer ruhiger und eintöniger. Einige junge Gallier, die sich hatten anwerben lassen, um nach dreißig Dienstjahren das römische Bürgerrecht zu erhalten, machten es sich zur Gewohnheit, still in meiner Holzhütte zu erscheinen, wenn ich Lugunda unterrichtete. Sie hörten mit offenen Mündern zu und sprachen laut die lateinischen Wörter nach, und ehe ich noch wußte, wie mir geschah, unterwies ich auch sie in der lateinischen Sprache und den Anfangsgründen der Schreibkunst. Wer in der Legion aufrücken will, muß zumindest ein wenig lesen und schreiben können, denn ohne Wachstafeln läßt sich nun einmal kein Krieg führen.
Eines Tages, als ich gerade vor meiner torfgedeckten Hütte Unterricht hielt, stand unversehens Vespasian hinter uns, der zur Inspektion gekommen war. Seiner Gewohnheit treu, hatte er sich nicht angemeldet und auch den Wachtposten verboten, Alarm zu blasen, da er ohne Aufsehen im Lager umhergehen und das alltägliche Treiben beobachten wollte. Er war der Ansicht, daß man auf diese Weise ein besseres Bild von dem Geist bekam, der in der Legion herrschte, als durch eine im voraus festgesetzte Musterung. Ich las gerade laut und deutlich aus dem schon arg zerfetzten Traumbuch vor, was es bedeutet, wenn man von Flußpferden träumt, und zeigte mit dem Finger auf jedes einzelne Wort, das ich aussprach, während Lugunda und die jungen Gallier dicht aneinandergedrängt und Kopf an Kopf in die Buchrolle starrten und die lateinischen Wörter wiederholten. Vespasian begann zu lachen, daß ihm die Tränen kamen. Er hockte sich nieder und schlug sich auf die Schenkel. Wir fielen beinahe vor Schreck in Ohnmacht, als er so plötzlich hinter uns auftauchte, sprangen auf und nahmen Haltung an, und Lugunda versteckte sich hinter meinem Rücken. An Vespasians Lachen merkte ich jedoch, daß er nicht ernstlich erzürnt war.
Als er sich endlich wieder gefaßt hatte, musterte er uns streng mit gerunzelten Brauen. Er erkannte gewiß an der guten Haltung und den sauber gewaschenen Gesichtern, daß meine jungen Gallier tadellose Soldaten waren, und sagte schließlich, es gefalle ihm, daß sie in ihrer kurzen Freizeit die lateinische Sprache und die Lesekunst erlernten, anstatt sich mit Wein vollaufen zu lassen. Ja, er setzte sich sogar zu uns und erzählte, er habe zu Kaiser Gajus’ Zeiten im Amphitheater in Rom mit eigenen Augen solch ein Flußpferd gesehen, und das sei ein ganz gewaltiges Tier gewesen. Die Gallier glaubten freilich, er flunkere uns etwas vor, und lachten scheu, aber Vespasian nahm es ihnen nicht übel, sondern befahl ihnen nur, ihre Sachen für die Musterung in Ordnung zu bringen.
Ich bat ihn ehrerbietig, in meine Hütte zu treten, und fragte, ob ich es wagen dürfe, ihm Wein anzubieten. Er antwortete mir, daß er sich gern eine Weile bei mir ausruhen wolle. Die Garnison habe er nun ja besichtigt und die Männer überall bei der Arbeit angetroffen. Ich holte meinen Holzbecher hervor, der mir von meinen Trinkgefäßen das beste zu sein schien. Vespasian drehte ihn verwundert in der Hand hin und her und sagte: »Du hast doch das Recht, den Goldring zu tragen?«
Ich erwiderte, daß ich zwar einen silbernen Becher besäße, den hölzernen aber höher achtete, weil ich ihn von meiner Mutter geerbt hatte. Vespasian nickte zustimmend und sagte: »Es ist recht, daß du das Andenken deiner Mutter ehrst. Ich selbst habe von meiner Großmutter einen buckligen Silberbecher geerbt und trinke aus ihm an allen Festtagen, ohne mich um die Mienen der Leute zu scheren.« Er trank gierig von meinem Wein, und ich schenkte ihm freigebig nach, obwohl ich mich schon so sehr an das ärmliche Soldatenleben gewöhnt hatte, daß ich mir unwillkürlich im stillen ausrechnete, wieviel er sich ersparte, indem er meinen Wein trank. Nicht aus Geiz dachte ich daran, sondern weil ich gelernt hatte, daß ein Legionär es fertigbringen muß, mit zehn Kupfermünzen oder, anders gesagt, zweieinhalb Sesterze im Tag sich zu verköstigen, seine Kleidung instand zu halten und noch einen Beitrag für die Legionskasse zu erübrigen, damit er im Falle von Krankheit oder Verwundung eine kleine Rücklage hatte.
Vespasian schüttelte langsam seinen breiten Kopf und sagte: »Bald kommt der Frühling und zerstreut Britanniens Nebel. Das kann eine schwere Zeit für uns werden. Aulus Plautius macht sich bereit, nach Rom zu reisen, um seinen Triumph zu feiern, und er nimmt die verdientesten, mithin die erfahrensten Truppen mit. Kluge Veteranen ziehen allerdings die Geldablösung vor und ersparen sich den mühseligen Marsch nach Rom, den ein paar Tage Festesrausch und Trunkenheit nicht aufwiegen. Von den Unterfeldherren wäre ich derjenige, der am ehesten das Recht hätte, ihn zu begleiten, da ich mir durch die Eroberung der Insel Vectis die höchsten Verdienste erworben habe, aber einer muß ja in Britannien nach dem Rechten sehen, bis der Kaiser einen Nachfolger für Aulus Plautius ernannt hat. Aulus hat mir versprochen und geschworen, mir mindestens ein Triumphzeichen zu verschaffen, wenn ich mich bereit erkläre, hierzubleiben.«
Er rieb sich nachdenklich die Stirn und fuhr fort: »Wenn es nach mir geht, haben nun die Beutezüge ein Ende, und wir betreiben eine Politik des Friedens. Das bedeutet aber, daß wir von den Unterworfenen und den Bundesgenossen um so höhere Steuern für den Unterhalt der Legionen einheben müssen, was wiederum zu neuem Aufruhr führt. Allerdings wird es diesmal eine Weile dauern, denn Aulus Plautius nimmt natürlich Könige, Heerführer und andere vornehme Gefangene als Kriegsbeute nach Rom mit. Dort werden sie sich an die Bequemlichkeiten eines zivilisierten Lebens gewöhnen, und ihre Kinder wird man in der Schule des Palatiums erziehen, aber was hilft’s! Ihre Stämme werden sich einfach von ihnen lossagen. Wir bekommen nur eine Atempause, während die Familien, die hier um die Macht kämpfen, ihre Zwistigkeiten austragen. Wenn die Briten aber rasch genug handeln, bricht schon in der kürzesten Nacht der Aufstand los, denn das ist ihr größtes Fest. Sie opfern in dieser Nacht in bestem Einvernehmen ihre Gefangenen auf einen Steinaltar, der ihr gemeinsames Heiligtum ist. An sich ist das verwunderlich, denn ihre höchste Verehrung gilt sonst unterirdischen Göttern und der Göttin der Dunkelheit mit dem Eulengesicht. Die Eule ist ja übrigens auch der Vogel der Minerva.«
Er dachte eine Weile über diese heiligen Dinge nach und sagte dann: »Genaugenommen wissen wir viel zuwenig über Britannien und seine verschiedenen Stämme, Sprachen, Sitten und Götter. Gut kennen wir nur die Straßen, die Flüsse und Furten, die Berge und Pässe, die Wälder, Weiden und Viehtränken, denn darüber verschafft sich ein guter Feldherr als erstes Auskunft. Es gibt ja Kaufleute, die unbehelligt zwischen einander feindlich gesinnten Stämmen hin und her reisen, während andere ausgeplündert werden, sobald sie den näheren Bereich der Legion verlassen. Auch gibt es zivilisierte Briten, die Gallien bereist haben und sogar in Rom waren und ein wenig Latein radebrechen, aber diese Männer verstanden wir nicht so zu behandeln, wie es ihr Rang erfordert hätte. In einer Zeit wie dieser könnte es Rom mehr als die Unterwerfung eines ganzen Volkes nützen, wenn einer daranginge, das Wissenswerteste über die Briten, ihre Bräuche und ihre Götter zu sammeln und ein zuverlässiges Buch über Britannien zu schreiben. Der Gott Julius Caesar wußte nicht viel über dieses Land, sondern verließ sich auf allerlei haltloses Geschwätz. Er nahm es ja selbst mit der Wahrheit nicht so genau, als er, um sich herauszustellen, sein Buch über den Gallischen Krieg schrieb, in dem er seine Siege vergrößerte und seine Fehler verschwieg.«
Vespasian trank wieder aus meinen Holzbecher und fuhr fort, indem er sich immer mehr ereiferte: »Natürlich müssen sich die Briten römische Sitten und römische Bildung aneignen, aber ich frage mich, ob wir sie nicht leichter zivilisieren könnten, wenn wir ihre eigenen Sitten und vor allem ihre Vorurteile besser verständen, denn damit, daß wir sie totschlagen, ist niemandem geholfen. Gerade jetzt wäre es der rechte Augenblick, etwas dergleichen zu versuchen, denn wir brauchen Frieden, während unsere besten Truppen aus Britannien abgezogen sind und wir auf einen neuen, unerfahrenen Oberbefehlshaber warten. Aber du hast ja auch schon einen Briten erschlagen und wirst an Aulus Plautius’ Triumph teilnehmen wollen. Deine Herkunft und deine rote Borte berechtigen dich jedenfalls dazu, und ich lege gern ein Wort für dich ein, wenn du willst. Da weiß ich dann wenigstens, daß ich einen wirklichen Freund in Rom habe.«
Der Wein stimmte ihn wehmütig. »Zwar habe ich ja meinen Sohn Titus, der als Spielkamerad des gleichaltrigen Britannicus im Palatium aufwächst und die gleiche Erziehung wie dieser erhält. Er wird es einmal besser haben als ich. Vielleicht wird er Britannien endlich den Frieden geben.«
»Dann habe ich deinen Sohn bestimmt bei den Reiterübungen vor der Jahrhundertfeier in Gesellschaft des Britannicus gesehen«, warf ich ein. Vespasian sagte, er selbst habe seinen Sohn seit vier Jahren nicht mehr gesehen und werde ihn so bald auch nicht zu sehen bekommen. Seinen zweiten Sohn, Domitian, hatte er noch nicht einmal auf seine Knie gesetzt, denn der Kleine war eine Frucht des Triumphes des Claudius, und Vespasian hatte gleich nach Beendigung der Feiern wieder nach Britannien zurückkehren müssen.
»Viel war der ganze Triumph nicht wert«, sagte er bitter. »Eine wahnwitzige Verschwendung zum Gaudium des Pöbels. Ich will nicht abstreiten, daß ich selbst gern einmal mit dem Lorbeerkranz auf dem Haupt die Stufen zum Kapitol hinaufgekrochen wäre. Wer träumt nicht davon, wenn er jahrelang eine Legion geführt hat! Aber saufen kann man auch in Britannien, und billiger obendrein!«
Ich sagte, ich würde gern unter seinem Befehl in Britannien bleiben, wenn er glaubte, mich brauchen zu können, denn ich hätte kein Verlangen danach, ohne wirkliches Verdienst an einem Triumph teilzunehmen. Vespasian betrachtete dies als einen großen Vertrauensbeweis und war sichtlich gerührt. »Je länger ich aus deinem Holzbecher trinke, desto besser gefällst du mir«, sagte er mit Tränen in den Augen. »Mein Sohn Titus soll so werden wie du, das wünsche ich mir. Ich will dir ein Geheimnis verraten.«
Er gestand mir, daß er einen Opferpriester der Briten gefangengenommen hatte, den er vor Aulus Plautius verbarg, denn dieser sammelte nun Gefangene für den Triumph und die Kämpfe im Amphitheater. Um dem Volk etwas Besonderes zu bieten, hätte er gern einen echten Priester gehabt, der bei einer Vorstellung einige Gefangene opfern sollte. »Aber ein wirklicher Druide würde sich nie dazu hergeben«, sagte Vespasian. »Es ist viel einfacher für Aulus, irgendeinen Briten als Priester zu verkleiden. Die Römer merken den Unterschied nicht. Sobald Aulus abgereist ist, will ich den Priester freigeben und zum Zeichen meiner guten Absichten zu seinem Stamm zurückschicken. Wenn du Mut hast, Minutus, kannst du ihn begleiten und dich mit den Sitten der Briten vertraut machen. Dank seiner Hilfe könntest du mit vornehmen Jünglingen Freundschaftsbande knüpfen. Er würde dein Leben beschützen, denn ich habe den heimlichen Verdacht, daß unsere erfolgreichen Kaufleute sich um schweres Geld freies Geleit von den Druiden erkauft haben, auch wenn sie es nicht zugeben wollen.«
Ich hatte wenig Lust, mich mit fremden und abschreckenden Religionen einzulassen, und fragte mich im stillen, was für ein Fluch mich verfolgte, da ich schon in Rom gezwungen gewesen war, mit dem Aberglauben der Christen Bekanntschaft zu schließen. Vertrauen für Vertrauen, dachte ich und berichtete Vespasian, wie ich eigentlich ausgerechnet nach Britannien gekommen war. Die Vorstellung, daß die Gattin eines Triumphators von diesem wegen schändlichen Aberglaubens abgeurteilt werden sollte, belustigte ihn über alle Maßen. Um mir aber zu zeigen, daß er sehr wohl wußte, was in Rom geklatscht wurde, erzählte er mir: »Ich kenne Paulina Plautia persönlich. Soviel ich weiß, verlor sie den Verstand, nachdem sie einem jungen Philosophen – ich glaube, er hieß Seneca – Gelegenheit gegeben hatte, Julia, die Schwester des Kaisers Gajus, heimlich in ihrem Haus zu treffen. Die beiden wurden deshalb aus Rom verbannt, und Julia starb schließlich. Paulina Plautia nahm sich die Anklage wegen Kuppelei so zu Herzen, daß sie verrückt wurde. Sie legte Trauerkleider an und zog sich in die Einsamkeit zurück. Eine solche Frau kommt natürlich auf wunderliche Gedanken.«
Lugunda war während dieses Gesprächs in einem Winkel der Hütte gekauert und hatte uns aufmerksam beobachtet. Wenn ich lächelte, lächelte auch sie, machte ich aber ein ernstes Gesicht, so wurde sie unruhig. Vespasian hatte sie manchmal zerstreut angeblickt und sagte nun zu meiner Überraschung: »Frauen haben überhaupt seltsame Dinge im Kopf. Ein Mann kann nie genau sagen, was sie vorhaben. Der Gott Caesar hielt ja nicht viel von den Frauen der Briten, aber er hatte im großen ganzen keine allzu gute Meinung von den Frauen. Ich selbst bin der Ansicht, daß es gute und schlechte Frauen gibt, bei den Barbaren wie bei den zivilisierten Völkern. Das größte Glück für einen Mann ist die Freundschaft einer guten Frau. Deine Wilde da sieht noch wie ein Kind aus, aber sie kann dir mehr nützen, als du glaubst. Du kannst nicht wissen, daß der Stamm der Icener sich an mich gewandt hat und das Mädchen zurückkaufen will. Das pflegen die Briten im allgemeinen nicht zu tun, denn sie betrachten Stammesgenossen, die uns Römern in die Hände fallen, als für alle Zeit verloren.«
Er sprach mit Lugunda mühsam ein paar Worte in der Sprache der Icener, und ich verstand nur wenig von dem, was sie sagten. Lugunda sah ihn jedoch verwirrt an und trat dann an meine Seite, wie um bei mir Schutz zu suchen. Sie antwortete Vespasian zuerst sehr scheu und dann ein wenig freimütiger, bis er den Kopf schüttelte und sich wieder an mich wandte: »Es ist schwer, sich mit den Briten zu verständigen. Die Küstenbewohner im Süden sprechen eine andere Mundart als die Stämme weiter landeinwärts, und die Leute im Norden verstehen von der Sprache der südlichen Stämme nicht ein Wort. Ich kann dir jedoch sagen, daß deine Lugunda schon als kleines Kind von den Druiden als Hasenpriesterin auserwählt worden ist. Wenn ich die Sache richtig verstanden habe, trauen sich die Druiden zu, schon einem Kind anzumerken, ob es für ihre Zwecke taugt und zum Priester erzogen werden kann. Das ist notwendig, da es Druiden der verschiedensten Grade und Ränge gibt und sie ihr ganzes Leben lang lernen müssen. Bei uns ist das Priesteramt mehr eine politische Ehrenstellung, aber bei den Briten sind die Priester zugleich Ärzte, Richter und sogar Dichter, sofern Barbaren so etwas wie eine Dichtkunst kennen.«
Ich kam immer mehr zu der Überzeugung, daß Vespasian keineswegs so ungebildet war, wie er selbst gern vorgab. Ich glaube, er spielte den groben Klotz, um andere dazu zu verleiten, ihre ganze Überheblichkeit und Eitelkeit zu verraten. Daß Lugunda zur Priesterin auserkoren war, hatte ich nicht geahnt. Ich hatte zwar bemerkt, daß sie kein Hasenfleisch essen konnte, ohne sich zu erbrechen, und sie duldete auch nicht, daß ich Hasen mit der Schlinge fing, aber ich hatte das nur für eine Barbarenlaune gehalten, da ich wußte, daß die vielen Sippen und Stämme der Briten die verschiedensten Tiere heilig hielten, ähnlich wie der Dianapriester bei uns in Nemi kein Pferd berühren oder auch nur ansehen durfte.
Vespasian sprach noch einmal mit Lugunda, und plötzlich lachte er laut auf und rief: »Sie will nicht zu den Ihren zurückkehren, sondern bei dir bleiben, und sie behauptet, du lehrst sie Zauberkunststücke, die nicht einmal ihre Priester kennen. Beim Herkules, sie glaubt, du seist ein Heiliger, weil du nie versucht hast, sie zu nehmen!«
Ich sagte zornig, daß ich kein Heiliger, sondern nur durch ein gewisses Gelübde gebunden und daß Lugunda ja noch ein Kind sei. Vespasian sah mich pfiffig an, rieb sich die breiten Backenknochen und meinte, keine Frau sei ganz und gar ein Kind. Dann dachte er eine Weile nach und sagte schließlich: »Ich kann sie nicht zwingen, zu ihrem Stamm zurückzukehren. Ich glaube, ich muß sie ihr Hasenorakel befragen lassen.«
Tags darauf hielt Vespasian die übliche Musterung im Lager ab. Er sprach zu den Soldaten auf seine grobe Art und erklärte ihnen, sie müßten sich hinfort damit begnügen, sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen, und die Briten in Ruhe lassen. »Habt ihr das begriffen, ihr Tölpel?« brüllte er. »Jeder Brite ist euer Vater oder Bruder, jedes alte Britenweib ist eure Mutter, jedes noch so leckere Jüngferlein eure liebe Schwester. Behandelt sie danach. Wedelt freundlich mit grünen Zweigen, wenn ihr sie seht, macht ihnen Geschenke und gebt ihnen zu essen und zu trinken. Ihr wißt, daß das Kriegsgesetz eigenmächtige Plünderung mit dem Scheiterhaufen ahndet. Darum gebt acht, daß ich euch nicht die Schwarte ansengen muß! Aber wartet nur, wie ich euch einheize, wenn ihr euch auch nur ein einziges Pferd, ein einziges Schwert von einem Briten stehlen laßt! Denkt daran, daß die Briten Barbaren sind. Gütig und voll Nachsicht müßt ihr sie eure Sitten lehren. Bringt ihnen also bei, zu würfeln, Wein zu saufen und bei den römischen Göttern zu fluchen. Das ist der erste Schritt zur höheren Bildung. Wenn euch ein Brite auf die eine Backe schlägt, dann haltet ihm auch die andere hin. Meiner Treu, ich habe mir sagen lassen, es gibt da jetzt so einen neuen, gefährlichen Aberglauben, der verlangt, daß man’s so macht, ob ihr es glauben wollt oder nicht. Aber haltet die andere Backe jedenfalls nicht zu oft hin, sondern tragt eure Meinungsverschiedenheiten lieber auf britische Art durch Ringkämpfe, Hindernisläufe oder Ballspiele aus.«
Selten habe ich die Legionäre so herzlich lachen gehört wie bei Vespasians Ansprache. Die Glieder wankten vor Gelächter, und einer ließ sogar seinen Schild in den Schlamm fallen. Zur Strafe prügelte ihn Vespasian eigenhändig mit einem Befehlsstab, den er sich von einem Zenturio ausborgte, was noch mehr Heiterkeit auslöste. Zuletzt aber opferte Vespasian auf dem Legionsaltar nach dem vorgeschriebenen Ritual so feierlich und fromm, daß keiner mehr zu lachen wagte. Er opferte so viele Kälber, Schafe und Schweine, daß alle wußten, daß sie sich einmal umsonst mit geröstetem Fleisch mästen konnten, und wir verwunderten uns alle laut über die günstigen Vorzeichen.
Nach der Musterung befahl mir Vespasian, von einem Veteranen, der zu seinem Vergnügen nach Art der Briten in einem Käfig Hasen züchtete, einen lebenden Hasen zu kaufen. Vespasian nahm den Hasen unter den Arm, und dann gingen wir drei, er, Lugunda und ich, aus dem Lager und tief in den Wald hinein. Er nahm keine Leibwache mit, denn er war ein furchtloser Mann, und außerdem trugen wir beide nach der Musterung noch unsere Rüstungen und Waffen. Drinnen im Wald packte er den Hasen bei den Löffeln und reichte ihn Lugunda, die ihn geschickt unter ihren Mantel steckte und sich nach einem geeigneten Ort umsah. Ohne ersichtlichen Grund führte sie uns so lange in die Kreuz und in die Quere, daß ich schon an einen Hinterhalt der Briten zu glauben begann. Ein Rabe flog krächzend vor uns auf, wandte sich aber zum Glück nach rechts.
Bei einer mächtigen Eiche blieb Lugunda endlich stehen, blickte sich um, zeichnete mit einer Hand die vier Himmelsrichtungen in die Luft, warf eine Faustvoll fauler Eicheln in die Höhe, beobachtete, wie sie fielen, und begann dann mit eintöniger Stimme eine Beschwörung herzusagen. Sie sprach und sang so lange, daß ich schon schläfrig wurde, dann aber zog sie plötzlich den Hasen unter ihrem Mantel hervor, warf ihn in die Höhe und starrte ihm vornübergebeugt und mit vor Erregung dunklen Augen nach. Der Hase floh in langen Sätzen genau nach Nordwesten und verschwand im Gehölz. Lugunda begann zu weinen, schlang mir die Arme um den Hals und drückte sich schluchzend an mich.
Vespasian sagte bedauernd: »Du hast den Hasen selbst ausgewählt, Minutus. Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Wenn ich aber den Hasen recht verstanden habe, will er, daß sie unverzüglich zu ihrem Stamm zurückkehrt. Wäre er sitzen geblieben und hätte er den Kopf in einen Busch gesteckt, so würde das ein ungünstiges Vorzeichen gewesen sein und bedeutet haben, daß sie bleiben soll. So viel glaube ich vom Hasenorakel der Briten zu verstehen.«
Er klopfte Lugunda freundlich auf die Schulter und redete mit ihr in der Sprache der Icener, indem er auf mich zeigte. Lugunda beruhigte sich, lächelte, ergriff meine Hand und küßte sie mehrere Male.
»Ich habe ihr nur versprochen, daß du sie sicher ins Land der Icener geleiten wirst«, sagte Vespasian ungerührt. »Aber nun wollen wir noch einige andere Orakel befragen, um zu erfahren, ob es nicht genügt, wenn ihr erst ein wenig später aufbrecht, damit du noch Gelegenheit hast, den Druiden kennenzulernen, den ich gefangenhalte. Ich habe den Eindruck, du bist verrückt genug, um als umherziehender Sophist auftreten zu können, der in den verschiedensten Ländern Wissen und Weisheit sammelt. Ich schlage vor, du kleidest dich in Ziegenhäute. Das Mädchen kann bezeugen, daß du ein Heiliger bist, und der Druide wird dein Leben beschützen. Sie halten ihr Versprechen, wenn sie sie auf eine bestimmte Art beim Namen einer ihrer unterirdischen Götter abgelegt haben, und sollten sie sie nicht halten, dann müssen wir uns etwas anderes ausdenken, um ein friedliches Zusammenleben zu sichern.«
So begleiteten Lugunda und ich Vespasian, als er von seiner Musterungsreise wieder ins Hauptlager der Legion zurückkehrte. Als wir aufbrachen, bemerkte ich zu meiner Verwunderung, daß viele Männer der Garnison mich während des langen Winters ins Herz geschlossen hatten, so spöttisch sie mir anfangs auch entgegengetreten waren. Sie gaben mir kleine Abschiedsgeschenke, sagten, ich dürfe nie die Brust beißen, die mich gesäugt habe, und versicherten mir, daß in meinen Adern echtes Wolfsblut rinne, wenn ich auch Griechisch könne. Es tat mir weh, sie zu verlassen.
Als wir im Hauptlager ankamen, vergaß ich, den Legionsadler nach Vorschrift zu grüßen. Vespasian brüllte vor Zorn, befahl mir, die Waffen abzulegen, und schickte mich in den Kerker. Diese Strenge verwirrte mich, bis ich erkannte, daß er mich auf diese Weise nur mit dem gefangenen Druiden zusammenbringen wollte. Dieser Mann war noch keine dreißig, aber in jeder Hinsicht bemerkenswert. Er gestand offen, daß er auf der Heimreise aus Westgallien gefangengenommen worden war, als ein Sturm sein Schiff an einen von den Römern bewachten Küstenstrich trieb.
»Dein Legat Vespasian ist ein schlauer Fuchs«, sagte er lächelnd. »Kein anderer von euch hätte in mir den Druiden erkannt oder mich auch nur für einen Briten gehalten, da ich mir das Gesicht nicht blau bemale. Er hat versprochen, mir den qualvollen Tod im Amphitheater in Rom zu ersparen, aber deshalb werde ich ihm doch nicht zu Willen sein. Ich tue nur, was meine Wahrträume mir zu tun gebieten. Vespasian führt ohne sein Wissen einen höheren Willen als den seinen aus, wenn er mein Leben schont. Doch ich fürchte nicht einmal einen qualvollen Tod, da ich ein Eingeweihter bin.«
Ich hatte mir einen Splitter in den Daumenballen gerissen, und meine Hand schwoll an. Der Druide zog den Splitter heraus, ohne daß ich etwas spürte, denn er preßte mir mit der anderen Hand das Handgelenk zusammen. Als er den Splitter mit einer Nadel entfernt hatte, hielt er meine heiße, schmerzende Hand lang zwischen den seinen. Am nächsten Morgen war der Schmerz verschwunden, und meine Hand war so gut geheilt, daß man nicht einmal mehr die Wunde sah.
An diesem Tag kam der Druide wieder auf Vespasian zu sprechen. »Er begreift vielleicht besser als andere Römer, daß dieser Krieg ein Krieg zwischen den Göttern der Briten und den Göttern der Römer ist«, sagte er. »Deshalb versucht er, einen Waffenstillstand zwischen den Göttern herbeizuführen, und handelt damit unvergleichlich klüger, als wenn er versuchen wollte, unsere Stämme zu einem politischen Bündnis mit Rom zu bewegen. Unseren Göttern kann die Waffenruhe recht sein, denn sie sind unsterblich. Dagegen sagen uns zuverlässige Vorzeichen, daß die Götter Roms sterben werden. Deshalb wird Rom Britannien nie ganz in seine Gewalt bekommen, so schlau Vespasian es auch anzustellen meint. Aber ein jeder muß freilich an seine eigenen Götter glauben.«
Der Druide versuchte sogar, die scheußlichen Menschenopfer zu verteidigen, die sein Glaube forderte, und erklärte mir: »Leben muß mit Leben erkauft werden. Wird ein Vornehmer krank, so opfert er einen Verbrecher oder einen Sklaven, um geheilt zu werden. Für uns bedeutet der Tod nicht dasselbe wie für euch Römer, denn wir wissen, daß wir früher oder später wiedergeboren werden. Der Tod ist daher nur ein Wechsel von Zeit und Ort. Ich wage nicht zu behaupten, daß alle Menschen wiedergeboren werden, aber der Eingeweihte weiß, daß er mit einem Rang, der seinem Wert entspricht, zurückkehrt. Darum ist der Tod für ihn nur ein tiefer Schlaf, aus dem er wieder erwacht.«
Vespasian gab den Druiden, den er zu seinem Sklaven gemacht hatte, in der durch das Gesetz vorgeschriebenen Form frei, bezahlte aus eigener Tasche die Freilassungssteuer in die Legionskasse und erlaubte ihm, seinen zweiten Familiennamen, Petro, zu tragen. Dann führte er ihm streng die Pflichten vor Augen, die ein Freigelassener seinem früheren Herrn gegenüber hat. Danach schenkte er uns drei Maulesel und schickte uns über den Fluß ins Land der Icener. Im Kerker hatte ich mein Haar und meinen hellen Flaumbart wachsen lassen, und als wir das Lager verließen, kleidete ich mich wirklich in Ziegenhäute, obwohl Petro über diese Vorsichtsmaßregel lachte.
Kaum befanden wir uns im Schutz des Waldes, da warf er seinen Freilassungsstab in die Büsche und stieß den markerschütternden Schlachtruf der Briten aus. In kürzester Zeit waren wir von einer Schar bewaffneter, blaubemalter Icener umgeben, doch geschah weder mir noch Lugunda etwas Böses.
Zusammen mit Petro und Lugunda reiste ich auf Eselsrücken von den ersten Frühlingstagen bis in den dunklen Winter hinein zwischen den verschiedenen Stämmen der Briten hin und her und sogar ins Land der Briganter. Petro unterrichtete mich nach bestem Vermögen in den Sitten und Glaubensvorstellungen der Briten, nur von den Geheimnissen der Eingeweihten erfuhr ich nichts. Ich brauche keine Einzelheiten über diese Reise zu berichten, denn ich habe alles in meinem Buch über Britannien geschildert, wo man es nachlesen kann.
Eines muß ich jedoch bekennen, nämlich daß mir erst mehrere Jahre später klar wurde, daß ich damals in einer Art Verzauberung umherwanderte. Übte Petro oder Lugunda einen heimlichen Einfluß auf mich aus, oder war nur meine Jugend daran schuld? Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich sah alles schöner, als es in Wirklichkeit war, und fand Gefallen an Bräuchen und an Menschen, die ich später nicht mehr auf dieselbe Weise zu schätzen vermochte. Gleichwohl sah und lernte ich in dem einen Sommer so viel, daß ich mich nach einem halben Jahr bedeutend älter fühlte, als ich der Zahl meiner Jahre nach war.
Lugunda blieb bei ihren Stammesgenossen im Land der Icener, um Hasen zu züchten. Ich dagegen verbrachte die dunkelste Winterszeit in der Stadt Londinium im römisch besetzten Teil des Landes, um aufzuzeichnen, was ich auf meiner Reise erlebt und erfahren hatte. Lugunda hatte mich unbedingt begleiten wollen, aber Petro wünschte, daß ich ins Land der Icener zurückkehrte, und überzeugte sie davon, daß dies um so sicherer zu erwarten sei, wenn sie bei ihrer eigenen Familie blieb, die übrigens für britische Verhältnisse vornehm war.
Vespasian erkannte mich nicht wieder, als ich ihm mit blauen Streifen im Gesicht und goldenen Ringen in den Ohren und in kostbares Pelzwerk gekleidet gegenübertrat. Ich redete ihn in der Sprache der Icener an und machte mit der Hand das einfachste der geheimen Zeichen der Druiden, das zu gebrauchen Petro mir erlaubt hatte, damit ich bei meiner Rückkehr nicht in Gefahr geriet.
Ich sagte: »Ich bin Ituna aus dem Land der Briganter, der Blutsbruder des Römers Minutus Lausus Manilianus, von dem ich dir Botschaft bringe. Er ließ sich von den Druiden in Todesschlaf versenken, um ein günstiges Vorzeichen für dich zu erspähen. Nun kann er nicht mehr in seiner eigenen Gestalt zur Erde zurückkehren, aber ich habe versprochen, ihm eine Gedenktafel in römischer Schrift zu stiften. Kannst du mir einen guten Steinmetzen empfehlen?«
»Bei allen Göttern der Unterwelt und Hekate dazu!« fluchte Vespasian. »Minutus Manilianus ist tot! Was soll ich nun seinem Vater schreiben!«
»Als mein kluger Blutsbruder für dich starb, sah er im Traum ein Flußpferd«, fuhr ich fort. »Das bedeutet ein stetiges Anwachsen deiner Macht, das keine Gewalt verhindern kann. Flavius Vespasian, die Götter Britanniens bezeugen, daß du vor deinem Tod noch Kranke durch Handauflegen heilen und im Land der Ägypter zum Gott erhoben werden wirst.«
Erst da erkannte mich Vespasian wieder, weil er sich des ägyptisch-chaldäischen Traumbuchs erinnerte, und begann zu lachen. »Mich hat vor Schreck beinah der Schlag getroffen!« rief er. »Aber was faselst du da für ungereimtes Zeug?«
Ich erzählte ihm, daß ich wirklich einen Traum dieser Art gehabt hatte, als ich mich von einem der höchsten Druiden im Land der Briganter in einen todesähnlichen Schlaf versenken ließ. »Ob es aber etwas zu bedeuten hat, weiß ich nicht«, sagte ich nüchtern. »Vielleicht habe ich mich zu sehr erschreckt, als ich damals Lugunda und den Galliern aus dem Traumbuch von dem Flußpferd vorlas und du plötzlich hinter mir standest. Daher kehrte das Flußpferd in meinem Traum wieder, und gleichzeitig träumte ich von Ägypten. Ich sah alles so deutlich, daß ich den Platz und den Tempel beschreiben könnte, vor dem sich die Szene abspielte. Du saßest dick und kahlköpfig auf einem Richterstuhl. Um dich herum standen viele Menschen. Ein Blinder und ein Lahmer flehten dich an, sie zu heilen. Zuerst wolltest du nicht, aber dann spucktest du dem Blinden in die Augen und tratest den Lahmen gegen das Bein. Der Blinde konnte wieder sehen und der Lahme wieder gehen. Als das Volk das sah, brachte es dir Opferkuchen und ernannte dich zum Gott.«
Vespasian lachte herzlich, aber doch auch ein wenig gezwungen. »Sprich mir ja nicht zu anderen von solchen Träumen, nicht einmal im Scherz«, warnte er mich. »Ich verspreche dir, daß ich an diese Heilmittel denken werde, wenn ich wirklich einmal in eine solche Klemme geraten sollte. Es erscheint mir allerdings glaubhafter, daß ich Rom noch als zahnloser Greis als Unterfeldherr in Britannien dienen werde.«
Er konnte dies jedoch nicht ganz ernst meinen, denn ich sah, daß er ein Triumphzeichen trug. Ich beglückwünschte ihn dazu, aber seine Miene verdüsterte sich, und er berichtete mir als Neuestes aus Rom, daß Kaiser Claudius seine junge Gemahlin Messalina hatte ermorden lassen und dann vor den Prätorianern weinend und schreiend geschworen hatte, er werde sich nie mehr vermählen.
»Ich weiß aus zuverlässigem Munde, daß Messalina sich von Claudius trennte, um den Konsul Silius zu heiraten, mit dem sie es schon lange getrieben hatte«, berichtete Vespasian. »Sie gingen die Ehe ein, als Claudius sich einmal aus der Stadt entfernt hatte. Ihr Plan war, entweder die Republik wiedereinzuführen oder Silius mit der Zustimmung des Senats zum Kaiser zu machen. Was wirklich geschah, ist schwer in Erfahrung zu bringen. Jedenfalls ließen Claudius’ Freigelassene, Narcissus, Pallas und die übrigen Schmarotzer, Messalina im Stich und redeten Claudius ein, sein Leben sei in Gefahr, was vermutlich auch stimmte. Beim Hochzeitsgelage begingen die Verschwörer in ihrer Siegesfreude jedoch den Fehler, sich zu betrinken. Claudius, der in die Stadt zurückgekehrt war, bekam die Prätorianer auf seine Seite. Darauf wurde eine beträchtliche Anzahl Senatoren und Ritter hingerichtet, und nur wenigen wurde die Gnade gewährt, Selbstmord zu begehen. Die Verschwörung hatte weite – Kreise gezogen und war offensichtlich gründlich vorbereitet worden.«
»Was für eine wahnsinnige Geschichte!« rief ich. »Ich hörte zwar schon, kurz bevor ich Rom verließ, daß es die Freigelassenen des Kaisers mit der Angst bekamen, als Polybius auf Messalinas Befehl verurteilt wurde, aber ich habe nie recht glauben können, was über Messalina erzählt wurde. Ich hatte vielmehr den Verdacht, daß man absichtlich boshafte Gerüchte in Umlauf setzte, um ihren Ruf zu untergraben.«
Vespasian kratzte sich seinen großen Schädel, zwinkerte mir listig zu und sagte: »Ich bin nur ein einfacher Unterfeldherr und lebe hier draußen wie in einem Ledersack. Ich sehe und weiß nicht, was wirklich vorgeht. Was soll ich dir also sagen? Es heißt jedenfalls, daß fünfzig Senatoren und einige Hundert Ritter im Zusammenhang mit der Verschwörung hingerichtet wurden. Am meisten sorge ich mich um meinen Sohn Titus, der sich in Messalinas Obhut befand, um zusammen mit Britannicus zu einem römischen Edlen erzogen zu werden. Wenn Claudius gegen die Mutter seiner Kinder so übel gesinnt war, daß er sie beiseite schaffen ließ, kann der launische Alte sich eines Tages auch gegen die Kinder wenden.«
Danach sprachen wir nur noch über die Stämme und Könige Britanniens, die ich dank Petro kennengelernt hatte. Vespasian befahl mir, einen genauen Bericht zu verfassen, gab mir aber weder für ägyptisches Papier, Tinte und Rohrfedern noch für meinen Aufenthalt in Londinium Geld. Sold bezog ich auch keinen und war nicht einmal mehr in der Rolle meiner Legion geführt weshalb ich mir während des ganzen bitter kalten und nebligen Winters wie ein Ausgestoßener vorkam.
Ich mietete einen Raum im Hause eines gallischen Kornhändlers und begann zu schreiben, mußte mir aber bald eingestehen, daß es mir schwerer von der Hand ging, als ich geglaubt hatte. Ich sollte ja nicht ein bereits geschriebenes Werk kommentieren oder bearbeiten, sondern meine eigenen Erlebnisse aufzeichnen. Ich verdarb viel kostbares Binsenpapier und wanderte oft, durch Pelze und Wollkleider gegen den eisigen Wind geschützt, am Ufer des großen Flusses Tamesa auf und ab. Als Vespasian von einer Musterungsreise zurückkehrte, ließ er mich rufen und sich vorlesen, was ich geschrieben hatte. Nach der Vorlesung schien er ein wenig verwirrt zu sein und sagte: »Ich bin nicht fähig, über Literatur zu urteilen, und hege auch zuviel Achtung vor gelehrten Männern, um mich zu ihrem Richter aufzuwerfen, aber mir scheint, du hast da einen größeren Bissen in den Mund genommen, als du schlucken kannst. Du schreibst sehr schön, nur meine ich, du solltest dir zuerst einmal darüber klarwerden, ob du ein Gedicht schreiben willst oder einen sachlichen Bericht über Britannien. Es ist zwar angenehm zu lesen, wie die Wiesen so grün sind, wie der Weißdorn blüht und wie die Vögel zwitschern, wenn der Sommer naht, aber ich frage dich: was nützt es einem Krieger oder Handelsmann, dergleichen zu erfahren? Außerdem ist mir aufgefallen, daß du dich zu sehr auf die Erzählungen der Druiden und vornehmen Briten verläßt, wenn du von der Geschichte der Stämme und der göttlichen Abstammung der Könige berichtest. Du beschreibst ihre Taten und Tugenden so begeistert, als hättest du vergessen, daß du Römer bist. Ich würde an deiner Stelle lieber nicht mit britischer Zunge den Gott Julius Caesar lästern und behaupten, er habe Britannien nie erobern können, sondern sei unverrichteter Dinge von den Küsten dieses Landes geflohen. Diese an und für sich nicht ganz unbegründete Behauptung ist zwar sehr schmeichelhaft für Claudius, dem es dann dank den Fehden unter den britischen Stämmen gelang, einen so großen Teil des Landes zu befrieden, aber du mußt einsehen, daß es nicht angeht, den Gott Julius Caesar öffentlich zu beleidigen.«
Als er so väterlich mit mir redete, begann mein Herz lauter zu klopfen, und ich begriff, daß ich mich während des Schreibens aus dem dunklen Winter und meiner eigenen finsteren Einsamkeit in einen traumhaften Sommer geflüchtet, daß ich alle Mühsal und Gefahr vergessen und mich nur des Schönen erinnert hatte. Ich hatte mich beim Schreiben nach Lugunda gesehnt und mich eingedenk der Blutsbrüderschaft, die ich bei den Briganten geschlossen hatte, mehr als Brite denn als Römer gefühlt. Gleichwohl nahm ich Vespasians Tadel nach der Weise aller Schriftsteller übel und antwortete gekränkt: »Schade, daß ich deine Hoffnungen enttäuscht habe. Es ist wohl das beste, ich packe meine Sachen und kehre nach Rom zurück, sofern es bei den Winterstürmen möglich ist, nach Gallien überzusetzen.«
Vespasian legte mir seine große Hand auf die Schulter und sagte begütigend: »Du bist noch jung, und deshalb verzeihe ich dir deine Empfindlichkeit. Es wird dir guttun, mich auf einer Musterungsreise in die Veteranenstadt Comulodunum zu begleiten. Dann gebe ich dir eine Kohorte, damit du dir die nötige militärische Erfahrung erwirbst. Deine britischen Blutsbrüder werden dich darum nur um so höher achten, wenn du im Sommer zu ihnen zurückkehrst. Im Herbst kannst du dann dein Buch neu schreiben.«
Auf diese Weise erhielt ich noch in demselben Jahr den Rang eines Kriegstribuns, obwohl ich erst achtzehn war. Dies schmeichelte meiner Eitelkeit, und ich tat mein Bestes, mich meiner Aufgabe würdig zu erweisen, obwohl sich während des Winters der Dienst auf Musterungen in der Garnison, Bauarbeiten und Übungsmärsche beschränkte. Ein wenig später erhielt ich von meinem Vater eine ansehnliche Summe Geldes und folgenden Brief: »Marcus Mecentius Manilianus grüßt seinen Sohn Minutus Lausus. Du wirst gehört haben, daß sich in Rom mancherlei verändert hat. Um Tullias Verdienste um die Aufdeckung der Verschwörung zu belohnen, und nicht so sehr um meiner eigenen Verdienste willen, hat Kaiser Claudius mir als besonderes Privileg den Purpurstreifen gewährt. Ich habe nun also einen Sitz in der Kurie. Benimm dich danach. Ich schicke dir eine Zahlungsanweisung nach Londinium. Hier wird berichtet, die Briten hätten Claudius zum Gott erhöht und ihm einen Tempel mit spitzem Dach errichtet. Du handelst klug, wenn du diesem Tempel ein passendes Geschenk machst. Tante Laelia geht es, soviel ich weiß, gut. Dein Freigelassener Minutius wohnt bei ihr. Er stellt eine gallische Seife her, die er gut verkauft. Meine Gattin Tullia läßt dich grüßen. Trink auf mein Andenken aus dem Holzbecher deiner Mutter.«
Mein Vater war also tatsächlich Senator geworden, woran ich nie geglaubt hatte, und ich brauchte mich nun nicht mehr darüber zu wundern, daß Vespasian mich so schnell zum Kriegstribun befördert hatte. Er erfuhr immer viel rascher als ich, was in Rom vorging. Ich empfand eine gewisse Bitterkeit und konnte den Senat nicht mehr so hoch achten wie zuvor.
Dem Rat meines Vaters folgend, reiste ich zu dem Holztempel, den die Briten Claudius in der Veteranenstadt errichtet hatten, und stiftete ein buntbemaltes Holzbildwerk. Etwas Kostbareres wagte ich nicht zu schenken, da die Tempelgaben der Briten einfache, billige Gegenstände waren: Schilde, Waffen, Gewebe und Tonkrüge. Vespasian hatte nur ein abgebrochenes Schwert gestiftet, um die britischen Könige nicht durch eine zu kostbare Gabe zu beleidigen. Dies ist jedenfalls der Grund, den er selbst anführte.
Als der Sommer kam, legte ich froh meine Rangabzeichen und meine römische Rüstung ab, malte mir blaue Streifen auf die Wangen und legte mir den bunten Ehrenmantel der Briganter um die Schultern. Vespasian meinte zwar, er könne unmöglich den Sohn eines römischen Senators in die Wälder ziehen lassen, wo die wilden Briten nur darauf warteten, ihn zu erschlagen, aber er wußte in Wirklichkeit sehr gut, daß ich unter dem Schutz der Druiden in den Ländern Britanniens sicherer umhergehen konnte als daheim auf den Straßen Roms.
Übermütig bestätigte ich ihm, daß ich auf eigene Rechnung und Gefahr reiste. Ich hätte gern aus reiner Eitelkeit mein Pferd mitgenommen, um vor den vornehmen britischen Jünglingen damit zu prahlen, doch das verbot mir Vespasian mit Nachdruck, indem er wie üblich die Zähigkeit der Maulesel und ihre besondere Tauglichkeit für die britischen Geländeverhältnisse rühmte. Er hatte ja sogar einen Pferdehändler kreuzigen lassen, der eine Schiffsladung Pferde aus Gallien einschmuggeln und den Briten zu Wucherpreisen verkaufen wollte. Mein Hengst, meinte er, wäre eine allzu große Versuchung für sie, denn sie bemühten sich, ihre kleinen einheimischen Pferde zu veredeln, seit sie schmerzhaft am eigenen Leibe hatten erfahren müssen, daß die römische Reiterei ihren Streitwagen eindeutig überlegen war.
Ich beschränkte mich also darauf, Geschenke für meine Gastfreunde zu kaufen. Vor allem belud ich meine Maulesel mit Weinkrügen, denn die britischen Edlen waren dem Wein womöglich noch mehr ergeben als die Legionäre.
In diesem Sommer nahm ich in der kürzesten Nacht in einem Rundtempel aus mächtigen Steinen an einer Sonnenanbetung teil, fand Goldschmuck und Bernstein in einem Grab aus grauer Vorzeit und machte eine Reise zu den Zinngruben, deren Hafen vor Jahrhunderten die Karthager regelmäßig aufgesucht hatten, um Zinn zu kaufen. Die größte Überraschung aber war für mich Lugunda, die während des Winters zur jungen Frau herangewachsen war. Ich traf sie in ihrem Hasenhof. Sie trug den weißen Mantel der Hasenpriesterinnen und ein silbernes Band im Haar. Ihre Augen leuchteten wie die einer Göttin. Als wir uns zur Begrüßung umarmt hatten, traten wir beide bestürzt einen Schritt zurück und wagten nicht mehr, einander zu berühren. Ihr Stamm erlaubte ihr in diesem Jahr nicht, mich auf meinen Reisen zu begleiten, und ich floh geradezu vor ihr, als ich das Land der Icener verließ. Doch ihr Bild begleitete mich auf allen meinen Wanderungen. Als letztes am Abend und als erstes am Morgen dachte ich an sie.
Früher als ich beabsichtigt hatte, kehrte ich zu ihr zurück, aber viel Freude sollte ich davon nicht haben. Wir waren zwar froh, wieder beisammen zu sein, aber sehr bald bekamen wir mit oder ohne Grund Streit und kränkten einander so tief, daß ich sie aus ganzem Herzen haßte und sie nie wiederzusehen wünschte. Als sie dann aber wieder zu mir kam, mich anlächelte und mir ihren Lieblingshasen zu halten gab, schmolz mein Zorn, und ich war willenlos wie das Wasser. Es fiel mir schwer, mich daran zu erinnern, daß ich römischer Ritter und Sohn eines Senators war und das Recht hatte, den roten Mantel der Kriegstribunen zu tragen. Rom schien mir nur ein Traum, als ich in der Wärme des britischen Sommers im Grase saß und den zappelnden Hasen zwischen meinen Knien hielt.
Plötzlich trat Lugunda zu mir, legte ihre Wange an meine, riß dann aber den Hasen an sich und beschuldigte mich mit blitzenden Augen, ich hätte das Tier absichtlich gequält. Den Hasen im Arm haltend und mit erhitzten Wangen sah sie mich so spöttisch an, daß ich bedauerte, sie nicht durchgeprügelt zu haben, als sie sich im Lager noch in meiner Gewalt befunden hatte.
An anderen Tagen war sie freundlich und führte mich durch den ungeheuren Besitz ihrer Eltern. Sie zeigte mir die Viehherden, die Felder und Dörfer. Wir gingen sogar in das Vorratshaus, und ich durfte ihre Stoffe, ihren Schmuck und die Erinnerungsstücke sehen, die in ihrer Familie von der Mutter auf die Tochter weitervererbt wurden.
»Gefällt dir das Land der Icener nicht?« fragte sie neckend. »Ist seine Luft nicht leicht zu atmen? Schmeckt dir unser Gerstenbrot und unser dickes Bier nicht? Mein Vater würde dir viele Gespanne mit kleinen Pferden und silbernen Wagen geben, und Land könntest du so viel haben, wie du an einem Tag zu umfahren vermagst, wenn du ihn nur darum bätest.«
Doch ein andermal sagte sie: »Erzähl mir von Rom. Ich möchte auf steingepflasterten Straßen gehen, große Tempel mit Säulenhallen und Kriegstrophäen aus allen Ländern sehen und mit Frauen Bekanntschaft schließen, die anders sind als ich, um ihre Sitten zu lernen, denn so bin ich ja in deinen Augen nur ein ungebildetes Icenermädchen.«
Wenn sie aber ganz aufrichtig war, sagte sie: »Weißt du noch, wie du mich in einer kalten Winternacht in deiner Hütte in den Armen hieltst, um mich mit deinem eigenen Körper zu wärmen, als ich Heimweh hatte? Nun bin ich daheim, und die Druiden haben mich zur Hasenpriesterin gemacht. Du verstehst nicht, was für eine große Ehre das ist, aber jetzt möchte ich lieber in deiner Holzhütte sitzen, meine Hand in deine legen und deinen Belehrungen lauschen.«
So unerfahren war ich noch, daß ich meine eigenen Gefühle und das, was zwischen uns geschah, nicht verstand. Ich mußte erst von dem Druiden Petro darüber aufgeklärt werden, der bei Herbstbeginn von einer geheimnisvollen Insel jenseits des tückischen alivernischen Meeres zurückkehrte, wo er in einen noch höheren Priesterrang eingeweiht worden war. Er sah uns eines Tages, ohne daß ich es bemerkte, bei unseren Spielen zu und trat plötzlich zu uns, setzte sich auf den Boden, deckte sich die Augen mit den Händen zu, legte das Haupt auf die angezogenen Knie und versank in heilige Verzückung. Wir wagten nicht, ihn zu wecken, denn wir wußten beide, daß er in seinen Träumen in Gesellschaft der Unterirdischen wandelte. Bald vergaßen wir jedoch unsere Neckereien, setzten uns ihm gegenüber auf einen Rasenhöcker und warteten darauf, daß er erwachte.
Als er wieder zu sich kam, sah er uns an wie aus einer anderen Welt und sagte: »Du, Minutus Lausus, hast ein großes Tier an deiner Seite, das wie ein Hund mit einer Mähne aussieht, und Lugunda hat als einzigen Beschützer ihren Hasen.«
»Das ist kein Hund«, sagte ich beleidigt. »Das ist ein richtiger Löwe, aber solch ein edles Tier hast du freilich noch nie gesehen, und deshalb verzeihe ich dir deinen Irrtum.«
»Dein Hund«, fuhr Petro ungerührt fort, »wird noch den Hasen töten. Da wird Lugunda das Herz brechen, und sie wird sterben, wenn ihr nicht zur rechten Zeit auseinandergeht.«
Ich versicherte ihm verwundert: »Ich will Lugunda nichts Böses. Wir spielen ja miteinander wie Bruder und Schwester.«
»Wie sollte so ein Römer mir das Herz brechen«, sagte Lugunda verächtlich. »Und seinem Hund jage ich den Atem aus dem Leib. Ich halte nichts von bösen Träumen, Petro, und Ituna ist nicht mein Bruder.« Petro sagte mit starrem Blick: »Es ist besser, ich spreche mit jedem von euch allein, zuerst mit dir, Ituna Minutus, und dann mit dir, Lugunda. Du magst einstweilen nach deinen Hasen sehen.«
Lugunda blitzte uns aus zorngelben Augen an, wagte sich aber dem Befehl des Druiden nicht zu widersetzen. Petro legte seine Beine übers Kreuz, nahm einen Zweig in die Hand und begann damit zerstreut Zeichen in den Boden zu ritzen.
»Eines Tages werden die Römer ins Meer zurückgeworfen«, sagte er. »Britannien ist das Land der unterirdischen Götter, und die himmlischen Götter können die unterirdischen nicht besiegen, solange die Erde steht. Die Römer mögen unsere heiligen Haine niederhauen, die heiligen Steine umwerfen, ihre Straßen bauen und die unterworfenen Stämme den römischen Ackerbau lehren, um sie zu ihren Steuersklaven zu machen: eines Tages, wenn die Zeit reif ist, werden sie doch ins Meer geworfen. Es bedarf dazu nur eines Mannes, der die Stämme zu gemeinsamem Kampf aufzurufen vermag und die Kriegskunst der Römer beherrscht.«
»Darum haben wir ganze vier Legionen hier stehen«, erwiderte ich. »Nach ein oder zwei Geschlechtern wird Britannien ein zivilisiertes Land sein und den römischen Frieden haben.«
Als wir auf diese Weise unsere Ansichten dargelegt hatten, gab es darüber nichts mehr zu sagen. Da fragte mich Petro unvermittelt: »Was willst du von Lugunda, Ituna Minutus?«
Er sah mich so finster an, daß ich beschämt zu Boden blickte.
»Denkst du daran, sie nach britischem Brauch zur Gattin zu nehmen und ihr ein Kind zu machen?« fragte Petro. »Sei ohne Furcht. Eine solche Ehe wäre nach römischem Recht ungültig und würde dich nicht hindern, Britannien wieder zu verlassen, wann immer du willst. Lugunda behielte das Kind zum Gedenken an dich. Wenn du aber nur mit ihr spielst, wird ihr das Herz brechen, sobald du sie verläßt.«
Der bloße Gedanke an ein Kind entsetzte mich, obwohl ich in diesem Augenblick in meinem Herzen erkannte, was ich von Lugunda wollte. »In Rom sagt man: ›Wo du bist, da bin auch ich‹«, erklärte ich Petro. »Ich bin kein abenteuernder Seemann oder umherziehender Händler, der bald hier, bald dort eine Ehe schließt, wenn er anders seinen Willen nicht bekommt. Das will ich Lugunda nicht antun.«
»Lugunda würde sich vor ihren Eltern oder Stammesgenossen nicht zu schämen brauchen«, erwiderte Petro. »Dein einziger Fehler ist, daß du Römer bist, aber du bist immerhin ein vornehmer Römer, und das ist der Unterschied. Bei uns hat die Frau große Macht. Es steht ihr frei, den Gatten selbst zu wählen, ja sogar ihn wieder fortzuschicken, wenn sie mit ihm nicht zufrieden ist. Eine Hasenpriesterin ist keine Vestalin, die geloben muß, sich niemals zu vermählen, wie es in Rom der Fall sein soll.«
»Ich will bald aufbrechen und heim zu den Meinen reisen«, sagte ich steif. »Britannien wird mir sonst zu eng.«
Aber Petro sprach auch mit Lugunda. In der Dämmerung kam sie zu mir, schlang mir die Arme um den Hals, sah mich mit ihren bernsteinfarbenen Augen zärtlich an und sagte, in meinen Armen zitternd: »Ituna Minutus, du weißt, daß ich dir gehöre. Petro sagt mir, du willst uns verlassen und nie mehr zurückkehren. Wäre es wirklich so eine Schande für dich, wenn du mich nach britischem Brauch zur Frau nähmst?«
Ich verspürte selbst ein Frösteln und antwortete ihr mit zitternder Stimme: »Nein, Schande wäre es keine, aber es wäre unrecht an dir gehandelt.«
»Recht oder unrecht«, sagte Lugunda. »Was bedeutet mir das, da ich doch spüre, wie dein Herz in deiner Brust ebenso laut pocht wie das meine.«
Ich legte ihr die Hände auf die Schultern, schob sie von mir und sagte: »Ich bin so erzogen worden, daß ich es als eine größere Tugend ansehe, sich zu beherrschen, als sich gehenzulassen und ein Sklave seiner Begierden zu werden.«
Lugunda entgegnete starrsinnig: »Ich bin deine Kriegsbeute und deine Sklavin. Du kannst mit mir tun, was du willst. Du hast ja letzten Sommer nicht einmal das Lösegeld von meinen Eltern angenommen.«
Als ich nur den Kopf schüttelte, ohne ein Wort hervorzubringen, bat Lugunda: »Nimm mich mit, wenn du fortgehst. Ich folge dir, wohin du willst. Ich verlasse meinen Stamm und sogar meine Hasen. Ich bin deine Dienerin, deine Sklavin, was du willst.«
Sie sank vor mir auf die Knie nieder, so daß sie mein Gesicht nicht mehr sah, und flüsterte: »Wenn du wüßtest, was diese Worte mich kosten, würdest du erschrecken, Römer.«
Ich aber glaubte, daß ich als Mann, als der stärkere von uns beiden, Lugunda gegen meine eigene Schwachheit schützen mußte, und versuchte ihr das zu erklären, doch meine Redekunst war machtlos gegen ihr gesenktes Haupt. Zuletzt stand sie auf, starrte mich an wie einen Fremden und sagte kalt: »Du wirst nie wissen, wie sehr du mich beleidigt hast. Von dieser Stunde an hasse ich dich und bete um deinen Tod.«
Das traf mich so tief, daß mein Magen zu schmerzen begann und ich nichts mehr essen mochte. Am liebsten wäre ich sofort aufgebrochen, aber die Ernte war eben beendet worden, und im Hause wurde nach altem Brauch das Erntefest gefeiert. Ich konnte daher nicht Abschied nehmen, ohne Lugundas Eltern zu kränken. Außerdem wollte ich die Bräuche beim Erntefest aufzeichnen und in Erfahrung bringen, wie die Icener ihr Korn verstecken.
Am nächsten Abend war Vollmond. Ich war schon betrunken von dem Bier der Icener, als die vornehmen Jünglinge aus der näheren und weiteren Umgebung mit ihren Gespannen auf einem Stoppelfeld auffuhren und an dessen Rand ein großes Feuer anzündeten. Ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen, wählten sie ein Kalb aus dem Viehbestand des Hofes aus und opferten es unter Scherzen und Gelächter. Ich begab mich zu ihnen, da ich einige gut kannte, aber sie begegneten mir nicht so freundlich und neugierig wie sonst, ja sie begannen sogar, mich zu schmähen. »Wasch dir die blauen Streifen aus dem Gesicht, verfluchter Römer. Zeig uns lieber deinen schmutzigen Schild und dein mit Britenblut beflecktes Schwert!«
Einer fragte mich: »Stimmt es, daß die Römer in warmem Wasser baden und dadurch ihre Manneskraft verlieren?«
Und ein anderer antwortete: »Es ist die reine Wahrheit. Daher legen sich die Frauen in Rom zu ihren Sklaven. Ihr Kaiser mußte seine eigene Gattin töten, weil sie auf diese Weise hurte.«
Diese Verunglimpfung enthielt so viel Wahres, daß ich zornig wurde. »Ich selbst will mir die Scherze meiner Freunde gern gefallen lassen, vor allem wenn diesen das Bier zu Kopf gestiegen ist und sie sich mit gestohlenem Kalbfleisch mästen«, sagte ich. »Aber ich dulde nicht, daß über den Kaiser in Rom, meinen obersten Feldherrn, unziemend gesprochen wird.«
Sie schielten einander böse an und sagten unter sich: »Wir wollen mit ihm ringen. Da werden wir sehen, ob ihm im heißen Wasser die Hoden zergangen sind wie den anderen Römern.«
Ich erkannte, daß sie mit Absicht Streit suchten, aber ich konnte nicht mehr zurück, da sie in Kaiser Claudius’ Bett gespuckt hatten. Nachdem sie sich gegenseitig Mut gemacht hatten, ging der Tapferste auf mich los, aber nicht, um mit mir nach den Kunstregeln zu ringen, sondern nur, um mit den Fäusten auf mich einzudreschen. Ich war in der Legion zu einem guten Ringer ausgebildet worden, und es fiel mir daher nicht schwer, mit ihm fertigzuwerden, zumal er betrunkener war als ich. Ich warf ihn auf den Rücken, und als er immer noch strampelte und sich nicht für besiegt erklären wollte, setzte ich ihm den Fuß auf die Kehle. Da stürzten sich alle miteinander auf mich, schlugen mich nieder und hielten mich an Armen und Beinen fest.
»Was machen wir mit dem Römer?« fragten sie einander, und einer schlug vor: »Schlitzen wir ihm den Bauch auf, und sehen wir nach, was seine Eingeweide prophezeien.« Aber ein anderer sagte eifrig: »Nein, wir wollen ihn lieber verschneiden, damit er nicht mehr wie ein Hase um unsere Mädchen herumspringt.« Und ein dritter meinte: »Das beste ist, wir werfen ihn ins Feuer, dann sehen wir, wieviel Hitze so eine Römerhaut aushält.«
Ich wußte nicht, ob es ihnen damit ernst war oder ob sie nur nach Art der Betrunkenen ihren Scherz mit mir trieben. Die Schläge, die ich bekommen hatte, waren jedenfalls kein Scherz gewesen, aber mein Stolz verbot mir, um Hilfe zu rufen. Als sie sich nun aber gegenseitig aufhetzten und immer mehr in Wut gerieten, begann ich für mein Leben zu fürchten.
Plötzlich verstummten sie und rückten ein wenig zur Seite. Ich sah Lugunda auf mich zukommen. Sie blieb stehen, legte den Kopf schräg und sagte höhnisch: »Ein Römer liegt gedemütigt und hilflos auf der Erde. Ich genieße diesen Anblick und hätte beinahe Lust, deine Haut und dein Fleisch ein wenig mit der Messerspitze zu versuchen, wenn es mir nicht verboten wäre, mich mit Menschenblut zu besudeln.«
Sie schnitt eine häßliche Fratze und streckte mir die Zunge heraus. Dann aber redete sie besänftigend auf die jungen Briten ein, die sie alle beim Namen nannte, und sagte: »Tötet ihn lieber nicht. Sein Blut würde nach neuem Blut schreien. Schneidet mir eine Rute aus Birkenreisern, dreht ihn auf den Bauch und haltet ihn gut fest, dann will ich euch zeigen, wie man mit Römern umgeht.«
Die Burschen waren froh, daß sie sich nicht mehr selbst auszudenken brauchten, was sie mit mir anfangen sollten. Sie schnitten Birkenzweige und rissen mir das Gewand vom Leibe. Lugunda trat dicht neben mich und versetzte mir mit der Rute einen vorsichtigen, gleichsam prüfenden Hieb auf den Rücken. Dann schlug sie unbarmherzig und mit aller Kraft auf mich ein. Ich biß die Zähne zusammen und gab keinen Laut von mir, was sie erst recht zur Raserei brachte. Sie peitschte mich, daß mein ganzer Körper zuckte und mir vor Schmerz die Tränen in die Augen sprangen.
Als ihre Arme endlich erlahmten, warf sie die Rute fort und rief: »So, nun sind wir quitt, Römer.«
Die mich festhielten, ließen mich los und traten aus Angst, ich könnte mich auf sie stürzen, mit erhobenen Fäusten zurück. Mein Schädel dröhnte, ich blutete aus der Nase, und mein Rücken war ein einziges Feuer, aber ich schwieg und leckte mir nur das Blut von den Lippen. Dennoch hatte ich etwas an mir, was die Briten erschreckte, denn sie verspotteten mich nicht mehr, sondern machten mir Platz. Ich hob mein zerrissenes Gewand vom Boden auf und ging, doch nicht auf das Haus zu, sondern aufs Geratewohl in den vom Mondlicht erhellten Wald hinein, und im Gehen dachte ich dunkel, daß es für uns alle das beste war, wenn niemand etwas von meiner Schmach erfuhr. Weit kam ich jedoch nicht. Ich begann bald zu stolpern und sank schließlich auf einen kühlen Mooshügel nieder. Eine Weile später löschten die Briten ihr Feuer. Ich hörte sie nach ihren Gespannen pfeifen und im Galopp davonfahren, daß der Boden unter den Rädern donnerte.
Der Mond schien gespenstisch hell, und unheimlich tief waren die Schatten des Waldes. Ich wischte mir mit einer Handvoll Moos das Blut aus dem Gesicht, rief meinen Löwen und sagte zu ihm: »Wenn du da bist, Löwe, so brülle und stürze ihnen nach, sonst glaube ich nicht mehr an dich.«
Aber ich sah nicht einmal den Schatten eines Löwen. Ich war allein, bis auf einmal Lugunda geschlichen kam. Sie duckte sich unter den Zweigen hindurch und suchte nach mir. Ihr Gesicht war im Mondlicht ganz weiß. Als sie mich entdeckt hatte, trat sie zu mir, legte mir die Hände auf den Rücken und fragte: »Wie geht es dir, und hat es sehr weh getan? Es ist dir recht geschehen!«
Eine wilde Lust packte mich, die Hände um ihren schlanken Hals zu klammern und sie zu Boden zu werfen und sie zu peinigen, wie ich selbst gepeinigt worden war. Ich beherrschte mich jedoch, weil ich einsah, daß das nun niemandem mehr nützte, und fragte sie nur: »Ist das alles auf deinen Befehl geschehen, Lugunda?«
»Glaubst du, sie hätten es sonst gewagt, sich an einem Römer zu vergreifen?« fragte sie mich statt einer Antwort.
Dann kniete sie neugierig neben mir nieder, tastete ohne Scham meinen Leib ab, bevor ich sie daran hindern konnte, und fragte besorgt: »Sie haben dir doch nicht wirklich die Hoden zerquetscht? Es wäre schade, wenn du nicht mehr mit einem vornehmen römischen Mädchen Kinder zeugen könntest!«
Da vermochte ich mich nicht mehr zu beherrschen. Ich schlug sie auf beide Wangen, riß sie unter mich und drückte sie mit meinem Gewicht zu Boden, obwohl sie mit beiden Fäusten auf meine Schultern trommelte, mit den Beinen trat und mich in die Brust biß. Sie rief nicht um Hilfe. Plötzlich erlahmte ihr Widerstand, und sie nahm mich auf. Meine Lebenskraft ergoß sich in ihren Schoß, und ich empfand eine so heiße Wollust, daß ich laut stöhnte. Dann fühlte ich nur noch, wie sie meine Wangen zwischen ihren Händen hielt und mich unaufhörlich küßte. Erschrocken befreite ich mich aus ihrer Umarmung und setzte mich auf. Im gleichen Augenblick richtete sich auch Lugunda auf und begann zu lachen.
»Was ist nur mit uns geschehen?« fragte sie spöttisch.
Ich war so verstört, daß ich keine Antwort fand, und rief nur: »Du blutest ja!«
»Daß du das wenigstens bemerkt hast, du Dummkopf«, sagte sie verschämt, und als ich immer noch stumm dasaß, lachte sie wieder und sagte: »Petro riet es mir. Selbst wäre ich nie darauf gekommen. Es hat mir keine Freude gemacht, dich so erbarmungslos zu peitschen, aber Petro meinte, bei einem schüchternen, dickhäutigen Römer helfe kein anderes Mittel.«
Sie stand auf, nahm meine Hand und sagte: »Wir gehen zu Petro. Er hält gewiß Wein und einen Napf Mehl für uns bereit.«
»Was soll das heißen?« fragte ich mißtrauisch.
»Du hast mich ja mit Gewalt genommen, obwohl ich mich so lange wehrte, wie es mir meine Selbstachtung gebot«, antwortete Lugunda verwundert. »Willst du etwa, daß mein Vater das Schwert von der Wand nimmt und seine verlorene Ehre in deinen Eingeweiden sucht? Dazu hat er laut Gesetz das Recht, und es ist ein Gesetz, das sogar die Römer achten. Glaub mir, es ist das vernünftigste, wir lassen uns von Petro das Haar mit Mehl und Öl einreiben. Er kann mir aber auch nach römischer Sitte einen Ring auf den Finger stecken, wenn du unbedingt willst.«
»Du kannst nicht mit mir nach Rom gehen, Lugunda, ja nicht einmal nach Londinium!« rief ich bestürzt.
»Ich habe nicht die Absicht, dir nachzulaufen«, sagte Lugunda schroff. »Hab keine Angst. Du kannst zu mir zurückkehren, wenn du willst, aber ebensogut kann es geschehen, daß ich des Wartens müde werde, die Hochzeitsschale zerschlage und deinen Namen zu Asche verbrenne. Dann bin ich wieder frei und ledig. Sagt dir nicht deine eigene Vernunft, daß es besser für dich ist, dich nach den Sitten meines Volkes zu richten, als einen Skandal hervorzurufen, von dem man sogar in Rom sprechen wird? Weißt du, was es heißt, mitten im Frieden eine Hasenpriesterin zu schänden? Oder willst du etwa leugnen, daß du das getan hast? Du hast dich auf mich gestürzt wie ein wildes Tier und meinen Widerstand mit Gewalt gebrochen.«
»Du hättest um Hilfe rufen sollen«, sagte ich bitter. »Und du hättest mich nicht so schamlos an meiner empfindlichsten Stelle streicheln dürfen, als ich von den Mißhandlungen ohnehin schon von Sinnen war.«
»Ich war nur um dein Zeugungsvermögen besorgt«, log sie unbekümmert. »Und ich konnte doch nicht ahnen, daß eine leichte Berührung nach den Regeln der Liebeskunst dich gleich zur Raserei bringen werde.«
Meine aufrichtige Reue änderte nichts an dem Geschehenen. Wir gingen an einen Bach und wuschen uns sorgfältig, dann kehrten wir Hand in Hand zu der aus Pfählen errichteten Halle zurück, in der Lugundas Eltern uns schon ungeduldig erwarteten. Petro hatte aus Mehl und Öl einen Brei geknetet. Er strich uns diesen Brei aufs Haupt und gab uns Wein aus einer Tonschale zu trinken, die Lugundas Vater danach sorgsam in einer Truhe verwahrte. Dann führte uns dieser zu einem Hochzeitslager, stieß mich über Lugunda und deckte uns mit einem großen Lederschild zu.
Als die anderen die Hochzeitskammer taktvoll verlassen hatten, warf Lugunda den Schild auf den Boden und fragte mich demütig, ob ich ihr nun nicht in aller Zärtlichkeit und Freundschaft das tun wolle, was ich ihr in meinem wilden Zorn im Wald getan hatte. Der Schaden sei ja nun geschehen und nicht wiedergutzumachen.
Wir umarmten uns also zärtlich, nachdem ich sie zuerst nach römischer Sitte auf den Mund geküßt hatte. Danach erst stand Lugunda auf und holte lindernde Salben, mit denen sie vorsichtig meinen Rücken bestrich. Ich hatte, nun da ich wieder daran denken konnte, wirklich große Schmerzen.
Gerade als ich in den tiefsten Schlaf meines Lebens versank, kam mir der Gedanke, daß ich nun dem Versprechen untreu geworden war, das ich Claudia gegeben hatte, aber ich schob das auf den Vollmond und die Zauberkünste der Druiden. Niemand entgeht seinem Schicksal, dachte ich, sofern ich überhaupt noch fähig war, vernünftig zu denken.
Am nächsten Tag begann ich mich ohne weitere Umstände auf meine Reise vorzubereiten, aber Lugundas Vater bat mich, ihn auf einer Fahrt durch seine Besitztümer zu begleiten und mir die Herden, Weiden und Wälder anzusehen, die er Lugunda und ihren Erben zu vermachen gedachte. Wir brauchten dazu drei Tage, und bei unserer Rückkehr schenkte ich Lugunda meine goldene Kriegstribunenkette.
Ihr Vater betrachtete das als eine zu geringe Hochzeitsgabe, und als Lugunda sich das Haar aufgesteckt hatte, nahm er einen goldenen Halsring, so dick wie das Handgelenk eines Kindes, und legte ihn seiner Tochter um den Hals. Dergleichen Ringe werden nur von den Königinnen und den vornehmsten Frauen der Briten getragen.
An alledem erkannte ich Dummkopf endlich, daß Lugunda von edlerer Herkunft war, als ich gedacht hatte, ja daß ihr Geschlecht so vornehm war, daß ihr Vater es nicht einmal nötig hatte, davon zu reden. Petro erklärte mir schließlich, daß ich, wäre ich nicht römischer Ritter und Sohn eines Senators gewesen, ohne Zweifel ein Schwert in den Leib bekommen hätte und nicht, auf dem Hochzeitslager, den Kriegerschild des Geschlechts über meinen wundgepeitschten Rücken.
Und nur dem Einfluß meines Schwiegervaters und Petros Stellung als Opferpriester, Arzt und Richter hatte ich es zu verdanken, daß ich nicht obendrein noch wegen Zauberei angeklagt wurde, denn der vornehme junge Brite, der mich aus Eifersucht als erster angegriffen hatte, brach sich noch am selben Vollmondabend das Genick, weil seine Pferde in vollem Galopp vor einem unbekannten Tier scheuten, so daß er mit dem Kopf voran gegen einen Stein geschleudert wurde.
Manchmal quälten mich der Gedanke an das Claudia gegebene Versprechen, das ich ohne meinen Willen gebrochen hatte, und die peinliche Empfindung, daß Lugunda eher meine Beischläferin als meine gesetzliche Gattin sei, denn ich konnte die Trauung nach der Sitte der Icener nicht als rechtskräftig betrachten. Doch ich war jung. Mein so lange in harter Zucht gehaltener Körper erlag Lugundas Liebkosungen, so daß ich meine Rückkehr nach Comulodunum Tag um Tag aufschob.
Aber mehr als alle Selbstbeherrschung ermüdet einen die übermäßige Befriedigung der Sinne, und bald trat eine ständige Gereiztheit zwischen Lugunda und mich. Wir wechselten harte Worte und waren uns nur noch im Bett einig. Als ich endlich zu den Meinen zurückkehrte, war mir, als fielen Ketten von mir ab, als erwachte ich aus einer Verzauberung. Wie ein Vogel, der aus dem Bauer fliegt, fühlte ich mich, und ich machte mir keine Vorwürfe, weil ich Lugunda verließ. Sie hatte nur ihren eigenen Willen durchgesetzt und konnte nun zufrieden sein, fand ich.
Vespasian befreite mich wieder von den Waffenübungen und dem Stabsdienst, den ich als Tribun hätte leisten müssen. Ich schrieb mein Buch über Britannien noch einmal neu. Die traumgleiche Verzauberung des ersten Sommers war dahin, und ich beschrieb alles so sachlich und so knapp ich konnte. Ich sah die Briten nicht mehr in dem gleichen vorteilhaften Licht und machte mich sogar über einige ihrer Bräuche lustig. Ich anerkannte die Verdienste des Gottes Julius Caesar um die Zivilisierung Britanniens, wies aber unter anderem darauf hin, daß die Bundesgenossenschaft des Gottes Augustus mit den Brigantern in den Augen der letzteren in nichts anderem bestand als im freundlichen Austausch von Geschenken.
Dagegen zollte ich Kaiser Claudius uneingeschränkte Anerkennung für die Eingliederung des südlichen Britannien ins Römische Reich und rühmte die Verdienste des Aulus Plautius um die Befriedung dieses Reichsteiles. Vespasian bat mich, seine Leistungen nicht allzusehr herauszustreichen. Er wartete noch immer vergeblich auf einen neuen Prokurator oder Oberbefehlshaber und wollte mit seinem Kriegsruhm niemanden in Rom gegen sich aufbringen. »Ich bin schlau oder, wenn du es lieber so nennen willst, unaufrichtig genug, um mich den veränderten Gegebenheiten anzupassen, und bleibe lieber still und bescheiden hier in Britannien, als daß ich nach Rom und in meine frühere Armut zurückkehre«, sagte er.
Ich wußte bereits, daß Kaiser Claudius den Eid gebrochen hatte, den er bei der Göttin Fides mit in ein weißes Tuch gebundener rechter Hand vor den Prätorianern geschworen hatte. Einige Monate nach Messalinas Tod hatte er nämlich erklärt, er könne nicht länger unbeweibt sein, und sich die vornehmste aller Frauen Roms zur Gattin genommen: seine eigene Nichte Agrippina, dieselbe, deren Sohn Lucius Domitius einst meine Freundschaft gesucht hatte.
Zu dieser Ehe war freilich ein neues Gesetz erforderlich gewesen, das die Blutschande gestattete, aber dieses Gesetz hatte der Senat nur zu gern erlassen, und einige besonders weitblickende Senatoren hatten Claudius sogar weinend und auf den Knien gebeten, sein heiliges Gelübde zurückzunehmen und sich zum Wohle des Staates erneut zu vermählen. Binnen kürzester Zeit war in Rom das Oberste zuunterst gekehrt worden, und Vespasian hütete sich wohlweislich, sich an dieser Suppe zu verbrennen.
»Agrippina ist eine schöne, kluge Frau«, sagte er heuchlerisch. »Gewiß hat sie aus den bitteren Erfahrungen ihrer Jugend und aus ihren beiden früheren Ehen viel gelernt. Ich hoffe nur, sie wird Britannicus eine gute Stiefmutter sein und sich auch meines Sohnes Titus annehmen, obwohl ich den Fehler begangen habe, ihn bei Messalina zu lassen, als ich in den Krieg zog.«
Vespasian sah ein, daß ich, als mein Buch beendet war, von Britannien genug hatte und mich nach Rom sehnte. Ich selbst war unruhig und unsicher. Immer öfter dachte ich an Lugunda, als der Frühling über Britannien kam.
Nach dem Fest der Flora erhielt ich in Londinium einen Brief, der in mangelhaftem Latein auf Birkenrinde geschrieben war. Man hoffe, hieß es darin, ich würde auf raschestem Wege ins Land der Icener zurückkehren, um meinen neugeborenen Sohn auf die Knie zu setzen. Diese überraschende Nachricht bereitete meiner Sehnsucht nach Lugunda augenblicklich ein Ende, und ich wünschte mir nun erst recht, Rom so bald wie möglich wiederzusehen. So jung war ich noch, daß ich glaubte, mich von aller Schuld befreien zu können, indem ich den Aufenthaltsort wechselte.
Vespasian gab mir freundlich ein Kurierschild und einige Briefe, die ich in Rom übergeben sollte. Ohne den heftigen Wind zu fürchten, schiffte ich mich ein und spie unterwegs das ganze Britannien in den Gischt dieses salzigen Meeres. Mehr tot als lebendig ging ich in Gallien an Land, und damit endet meine Erzählung über Britannien. Ich nahm mir vor, nie wieder dorthin zu reisen, ehe ich es nicht trockenen Fußes tun könnte, und dies ist einer der wenigen Vorsätze meines Lebens, denen ich treu geblieben bin.
Es ist herrlich, achtzehn Jahre alt zu sein, sich den Kriegstribunenrang selbst verdient zu haben, zu wissen, das man überall gern gesehen ist, und sein Erstlingswerk einer sachverständigen Zuhörerschaft ohne Stottern vorlesen zu können. Mir war, als erlebte ganz Rom mit mir zusammen seinen schönsten Frühsommer. Ein frischerer Wind wehte in der Stadt, seit nach der allzu jungen Messalina die vornehme, edle Agrippina Kaiser Claudius’ Gemahlin geworden war.
Man versuchte nicht mehr, einander an Ausschweifungen zu überbieten. Die Sitten waren reiner geworden, denn Agrippina ließ sich die Listen des Ritterstandes und der Senatoren bringen und tilgte unbarmherzig die Namen all derer, die durch einen unsittlichen Lebenswandel von sich reden machten oder sonst irgendeine Schuld auf sich geladen hatten. Claudius, der immer noch das Amt des Zensors ausübte und unter seinen Pflichten seufzte, nahm die Vorschläge einer so guten, politisch erfahrenen Frau dankbar an.
Agrippina zuliebe versuchte sogar er selbst, sich ein wenig aufzuraffen. Seine Freigelassenen, an erster Stelle der Sekretär Narcissus und der Verwalter der Staatskasse, Pallas, waren wieder in Gnaden aufgenommen worden, und es hieß, der von seinem anstrengenden Amt erschöpfte Pallas müsse Nacht für Nacht mit der unermüdlichen, willensstarken Agrippina über den Staatshaushalt beraten.
Als ich selbst zum erstenmal wieder mit Agrippina zusammentraf, schien sie mir sanftmütiger und strahlender geworden zu sein. Sie nahm sich die Mühe, mich in die Knabenschule des Palatiums zu führen. Sie rief Vespasians achtjährigen Sohn Titus zu sich und strich ihrem Stiefsohn Britannicus zärtlich übers Haar. Britannicus wirkte für seine neun Jahre zu mürrisch und verschlossen, aber das war, nachdem er seine schöne Mutter auf so schmerzliche Weise verloren hatte, kaum verwunderlich. Eine Stiefmutter kann wohl selbst durch die hingebungsvollste Zärtlichkeit die wirkliche Mutter nicht ersetzen. Als wir wieder gingen, sagte Agrippina bedauernd, daß Britannicus zum großen Kummer seines Vaters an der Fallsucht leide und daher keine körperlichen Übungen vertrüge. Besonders bei Vollmond sei er sehr unruhig und müsse überwacht werden.
Dann aber führte mich Agrippina voll Eifer in einen sonnigen Teil des Palatiums, um ihren eigenen Sohn, den schönen, verwegenen Lucius Domitius, zu besuchen, und stellte mich auch dessen Lehrer vor. Es war der Philosoph Annaeus Seneca, den Agrippina gleich nach ihrem Machtantritt aus der Verbannung zurückgeholt und mit der Erziehung ihres Sohnes beauftragt hatte. Der Aufenthalt auf Korsika war Seneca gut bekommen, und er war sogar von seiner Schwindsucht geheilt worden, so bitter er sich auch in seinen Briefen über die Verbannung beklagt hatte. Seneca, ein beleibter Mann, der mich freundlich begrüßte, war etwa fünfundvierzig Jahre alt. An seinen weichen roten Stiefeln erkannte ich, daß er sogar zum Senator ernannt worden war.
Lucius Domitius überraschte mich, indem er auf mich zustürzte und mich auf beide Wangen küßte, als sähe er einen lang entbehrten Freund endlich wieder. Er hielt mich an der Hand, setzte sich neben mich, fragte mich nach meinen Erlebnissen in Britannien aus und wunderte sich darüber, daß die Ritterschaft meinen Tribunenrang so rasch bestätigt hatte.
Von so viel Gunst verwirrt, erdreistete ich mich, mein kleines Buch zu erwähnen und Seneca zu bitten, es zu prüfen, bevor ich es öffentlich vorlas, um vor allem die Sprache zu verbessern. Er erklärte sich freundlich dazu bereit, und ich suchte den Palast aus diesem Anlaß noch mehrere Male auf. Nach seiner aufrichtigen Meinung mangelte es meiner Darstellung an Schwung, aber er räumte ein, daß ein straffer, trockener Stil durchaus am Platze sei, da ich ja hauptsächlich die Landesnatur und Geschichte Britanniens sowie die Sitten und Gebräuche der britischen Stämme, ihren Aberglauben und ihre Kampfweise beschrieb. Lucius Domitius las mir laut aus meinem Werk vor, um mir zu zeigen, wie man es vortragen müsse. Er hatte eine ungewöhnlich schöne Stimme und vermochte sich so in das Gelesene einzuleben, daß er mich mitriß und ich beinahe den Eindruck gewann, mein Buch sei außerordentlich verdienstvoll und bemerkenswert. Ich sagte daher: »Wenn du es vorläsest, wäre mir der Erfolg gewiß.«
In der verfeinerten Atmosphäre des Palastes wurde mir erst so echt bewußt, wie überdrüssig ich des trostlosen Lagerlebens und der rohen Sitten der Legionäre geworden war. Entzückt und voll Bewunderung folgte ich den Belehrungen des Lucius Domitius, der mir die angenehmen Gebärden beibrachte, die einem Schriftsteller anstehen, der sein Werk vorliest. Auf seinen Rat ging ich öfter ins Theater, und zusammen spazierten wir durch die Gärten des Lucullus auf dem Pincius, die seine Mutter nach Messalina geerbt hatte. Lucius Domitius sprang und tollte umher wie ein Kind, war aber dennoch stets auf die Schönheit seiner Bewegungen bedacht. Hin und wieder blieb er plötzlich wie in tiefe Gedanken versunken stehen und sagte etwas so Kluges, daß ich mich fragte, ob ich wirklich mit einem Knaben sprach, der noch nicht einmal den Stimmbruch hatte. Man mußte einfach Gefallen an ihm finden, wenn er es darauf anlegte, zu gefallen, und es war, als empfände er nach seiner freudlosen Kindheit das Bedürfnis, jeden Menschen, mit dem er zusammentraf, und sogar die Sklaven für sich einzunehmen. Seneca hatte ihn übrigens gelehrt, daß auch die Sklaven Menschen seien. Dasselbe hatte mir mein Vater schon in Antiochia gesagt.
Es war, als hätte der Geist, der in diesen denkwürdigen Tagen im Palatium herrschte, ganz Rom ergriffen. Sogar Tullia empfing mich freundlich in ihrem prunkvollen Haus und hinderte mich nicht daran, meinen Vater zu besuchen, sooft ich wollte. Sie kleidete sich würdig und einfach, wie es sich für die Gattin eines römischen Senators mit den Rechten einer Mutter von drei Kindern ziemte, und trug nicht mehr so viel Schmuck wie früher.
Mein Vater überraschte mich angenehm. Er war nicht mehr so aufgedunsen, kurzatmig und mißmutig wie vor meiner Abreise nach Britannien. Tullia hatte ihm einen griechischen, in Alexandria ausgebildeten Arzt gekauft, den mein Vater selbstverständlich sofort freigelassen hatte. Dieser Arzt verordnete ihm Bäder und Massagen, verbot ihm den unmäßigen Weingenuß und hieß ihn jeden Tag eine Weile spielen, so daß mein Vater nun seinen breiten Purpurstreifen beinahe mit Würde trug. Er stand in dem Ruf, ebenso gütig wie reich zu sein, und daher fanden sich jeden Morgen zahlreiche Klienten und Bittsteller bei ihm ein. Er half vielen, weigerte sich aber, irgend jemanden für die Verleihung der Bürgerrechte zu empfehlen, wozu er als Senator berechtigt gewesen wäre.
Doch ich muß von Claudia berichten, die ich schuldbewußt und widerstrebend aufsuchte. Äußerlich hatte sie sich nicht im geringsten verändert, und dennoch war sie mir anfangs fremd. Sie lächelte mich strahlend an, dann aber kniff sie die Lippen zusammen, und ihre Augen wurden dunkel.
»Ich habe böse Träume gehabt«, sagte sie. »Und jetzt sehe ich, daß sie die Wahrheit sprachen. Du bist nicht mehr derselbe wie früher, Minutus.«
»Wie sollte ich noch derselbe sein, nachdem ich zwei Jahre in Britannien gelebt, ein Buch geschrieben, Barbaren erschlagen und mir den roten Helmbusch verdient habe!« entgegnete ich aufgebracht. »Du lebst hier auf dem Lande, fern von aller Welt, wie eine Ente auf ihrem Teich, aber du kannst nicht dasselbe von mir verlangen!«
Claudia sah mir in die Augen, hob die Hand, um meine Wange zu streicheln, und sagte: »Du weißt sehr gut, was ich meine, Minutus. Aber ich war dumm. Ich hätte dir nicht ein Versprechen abverlangen dürfen, das offenbar kein Mann halten kann.«
Es wäre gewiß das klügste gewesen, wenn ich ihre Worte zum Anlaß genommen hätte, gleich bei diesem ersten Wiedersehen mit ihr zu brechen. Es ist ja so leicht, sich zu erzürnen, wenn man sich im Unrecht weiß. Als ich aber ihre bittere Enttäuschung sah, riß ich sie in meine Arme, küßte und streichelte sie und wurde von dem unwiderstehlichen Drang ergriffen, wenigstens einem Menschen von Lugunda und meinen Erlebnissen in Britannien zu erzählen.
Wir setzten uns bei ihrer Quelle auf eine Steinbank unter einem alten Baum, und ich berichtete, so aufrichtig ich es vermochte, wie Lugunda in meine Hände geraten war, wie ich sie lesen gelehrt hatte und von welch großem Nutzen sie mir auf meinen Reisen unter den Briten gewesen war. Dann begann ich ein wenig zu stottern und mußte zu Boden blicken. Claudia ergriff mit beiden Händen meinen Arm, riß mich zu sich herum, sah mir in die Augen und bat mich, weiterzuerzählen. Ich gestand ihr also, was meine Selbstachtung mir zuzugeben gestattete, wagte aber trotz allem nicht, Claudia zu sagen, daß Lugunda mir einen Sohn geboren hatte. Dagegen prahlte ich mit meiner Mannheit und Lugundas Unberührtheit. Zu meiner Verwunderung kränkte es Claudia am meisten, daß Lugunda Hasenpriesterin war. »Ich bin es nun auch müde geworden, vom Vatikanischen Hügel aus den Vogelflug zu beobachten«, sagte sie. »Ich glaube nicht mehr an Vorzeichen. Roms Götter sind mir nur noch machtlose Statuen. Die bösen Mächte, die gibt es freilich, und es wundert mich nicht, daß du in deiner Unerfahrenheit in einem fremden Land behext werden konntest. Wenn du aber deinen Sündenfall aufrichtig bereust, kann ich dir einen neuen Weg zeigen. Der Mensch braucht mehr als Zauberei, Vorzeichen und Statuen aus Stein. Ich habe, während du fort warst, Dinge erfahren, von denen ich nie gedacht hätte, daß sie je einem Menschen offenbart werden könnten.«
Nichts Böses ahnend, bat ich sie eifrig, zu erzählen, aber das Herz sank mir, als ich erkannte, daß ihre Tante Paulina sie dazu mißbrauchte, die Verbindung mit ihren Freunden aufrechtzuerhalten, und sie damit noch tiefer als mich in die schändliche Geheimnistuerei der Christen hineingezogen hatte.
»Sie haben die Macht, Kranke zu heilen und die Sünden zu vergeben«, sagte Claudia verzückt. »Ein Sklave oder der ärmste Handwerker ist bei ihren heiligen Mählern den Reichsten und Vornehmsten gleich. Wir begrüßen uns mit einem Kuß zum Zeichen der Liebe, die uns verbindet. Wenn der Geist über die Versammlung kommt, wird sie von einem heiligen Beben ergriffen, ungebildete Menschen beginnen in fremden Zungen zu reden, und die Gesichter der Heiligen leuchten in der Dunkelheit.«
Ich sah sie mit dem gleichen Entsetzen an, mit dem man einen Schwerkranken betrachtet, aber Claudia nahm meine Hände und bat: »Verurteile sie nicht, bevor du sie nicht kennengelernt hast. Gestern war der Tag des Saturn und der Sabbat der Juden. Heute haben die Christen ihren Feiertag, denn am Tage nach dem Sabbat ist ihr König von den Toten auferstanden. Jeden Tag aber kann sich der Himmel auftun, und er kehrt zur Erde zurück und gründet sein tausendjähriges Reich, in dem die Letzten die Ersten sein werden und die Ersten die Letzten.«
Claudia war schön wie eine Seherin, als sie so sprach, und ich glaube, daß in diesem Augenblick wirklich eine unwiderstehliche Macht durch ihren Mund zu mir redete, meinen Willen lähmte und meinen Verstand verdunkelte, denn als sie sagte: »Komm, gehen wir sogleich zu ihnen«, da stand ich auf und folgte ihr willenlos. Da sie meinte, ich hätte Angst, versicherte sie mir, ich brauchte nichts zu tun, was ich nicht selbst wolle. Ich brauchte nur zu sehen und zu lauschen. Vor mir selbst redete ich mich damit heraus, daß ich alle Ursache hätte, diese neuen Sitten in Rom kennenzulernen, nachdem ich doch auch versucht hatte, mich in den Glauben der Druiden in Britannien einzuleben.
Als wir den jüdischen Stadtteil Transtiberina erreichten, herrschten dort Lärm und Unruhe. Schreiende Frauen kamen uns entgegengelaufen, und an den Straßenecken schlugen die Menschen mit Fäusten, Steinen und Knüppeln aufeinander ein. Sogar würdige grauhaarige Juden mit Quasten auf ihren Mänteln beteiligten sich an der Prügelei, und die Männer des Stadtpräfekten waren offenbar machtlos. Gelang es ihnen wirklich, eine der kämpfenden Gruppen mit ihren Stöcken auseinanderzutreiben, so wurde die Schlägerei eine Gasse weiter fortgesetzt.
»Was, bei allen Göttern Roms, geht hier vor?« fragte ich einen der atemlosen Ordnungswächter, der sich die blutende Stirn wischte.
»Es gibt da einen entflohenen Sklaven namens Christus, der die Juden gegeneinander aufhetzt«, erklärte er. »Wie du siehst, kommt das Gesindel aus anderen Stadtteilen über alle Brücken herüber und rottet sich hier zusammen. Du gehst mit deinem Mädchen am besten einen anderen Weg. Gleich werden die Prätorianer da sein, und dann gibt es blutige Köpfe.«
Claudia sah sich eifrig um, stieß einen freudigen Ruf aus und sagte: »Gestern jagten die Juden alle, die Christus anerkennen, aus ihren Synagogen und schlugen sie. Jetzt zahlen es ihnen die Christen zurück, und sie werden sogar von Christen unterstützt, die keine Juden sind.«
Durch die engen Gassen zogen wirklich ganze Scharen kräftiger Sklaven, Schmiede und Schauerleute vom Tiberstrand, die die verschlossenen Läden der Geschäfte aufbrachen und in die Häuser eindrangen, aus denen man ein klägliches Gejammer hörte. Aber die Juden sind furchtlose Streiter, wenn sie für ihren unsichtbaren Gott kämpfen. Sie versammelten sich vor den Synagogen und wehrten alle Angriffe ab. Eigentliche Waffen sah ich bei ihnen keine, denn es war ihnen, ebenso wie dem anderen Pöbel, der aus allen Himmelsrichtungen, meist aber aus dem Osten, nach Rom strömt, verboten, Waffen zu besitzen.
Da und dort tauchten ältere Männer auf und riefen mit erhobenen Armen: »Friede, Friede um Jesu Christi willen!« Einige senkten wirklich ihre Knüppel oder ließen ihre Steine fallen, schlichen aber dann nur in die nächste Gasse, um sich dort erneut ins Gewühl zu stürzen. Die würdevollen älteren Juden ergrimmten über diese Rufe so sehr, daß sie sich mitten vor der schönen Synagoge Julius Caesars die Barte zu raufen und die Kleider zu zerreißen begannen und die Friedensmittler laut der Ketzerei bezichtigten.
Ich hatte alle Mühe, Claudia zu beschützen und sie davon abzuhalten, sich an der Schlägerei zu beteiligen, denn sie wollte unbedingt das Haus betreten, in dem ihre Freunde an diesem Abend ihre Mysterien feiern sollten. Vor dem Haus stand aber ein aufgehetzter Haufe glaubenseifriger Juden, und diese schlugen alle nieder, die sich dem Haus näherten, und schleppten andere, die sich darin versteckt hatten, auf die Gasse heraus. Sie zerrissen die Bündel dieser armen Menschen, stülpten ihre Eßkörbe um und trampelten die Speisen in den Kot und schlugen sie schonungsloser, als sie Schweine geschlagen hätten. Wer zu fliehen versuchte, wurde zu Boden gerissen und ins Gesicht getreten.
Ich weiß nicht mehr, wie es zu dem Folgenden kam. Ergriff mich plötzlich der dem Römer eingeborene Drang, die Ordnung aufrechtzuerhalten, oder wollte ich die Schwächeren gegen die Roheit der Angreifer schützen, oder hetzte Claudia mich auf? Jedenfalls wurde ich auf einmal gewahr, daß ich einen hochaufgewachsenen Juden bei seinem Bart packte und ihm mit einem Ringergriff den Stock aus der Hand wand, da er mit heiligem Eifer auf ein Mädchen eindrosch, das er zu Boden geworfen hatte, und eh ich wußte, wie mir geschah, befand ich mich mitten im dichtesten Handgemenge – offenbar auf der Seite der Christen, denn Claudia feuerte mich, vor Eifer glühend, im Namen ihres Jesus von Nazareth an, alle Juden, die ihn nicht als den Gesalbten anerkannten, grün und blau zu schlagen.
Ich kam erst wieder zur Besinnung, als Claudia mich ins Haus zog, und ließ rasch einen blutigen Knüppel fallen, den ich irgendwo aufgelesen hatte. Entsetzt machte ich mir klar, was mir bevorstand, wenn man mich festnahm und der Einmischung in die Glaubenszwistigkeiten der Juden anklagte. Ich hatte nicht nur meinen Kriegstribunenrang zu verlieren, sondern auch die schmale rote Borte auf meiner Tunika. Claudia führte mich in ein großes trockenes Kellergewölbe, in dem eine ganze Anzahl Judenchristen laut schreiend darüber stritt, wer die Schlägerei angestiftet hatte, während weinende Frauen damit beschäftigt waren, Wunden zu verbinden und Salben auf Beulen zu streichen. Vom Gästeraum über uns kamen einige Greise herunter, die vor Angst schlotterten, und Männer, die, der Kleidung nach zu urteilen, keine Juden waren. Sie schienen ebenso verwirrt wie ich zu sein und fragten sich vermutlich, wie sie sich aus dieser Klemme ziehen könnten.
Mit ihnen kam ein Mann, in dem ich erst, als er sich das Blut und den Schmutz aus dem Gesicht gewaschen hatte, den Zeltmacher Aquila erkannte. Er war übel zugerichtet, denn die Juden hatten ihm das Nasenbein zerschlagen und ihn dann in eine Kloake gerollt. Trotzdem ergriff er erregt das Wort und rief: »O ihr Verräter, die ich nicht einmal mehr meine Brüder zu nennen wage. Dient euch die Freiheit in Christus nur dazu, eure Schlechtigkeit zu bemänteln! Wo ist euer Duldermut! Ist uns nicht aufgetragen worden, uns der Ordnung und dem Gesetz der Menschen zu unterwerfen und den Spöttern mit guten Taten den Mund zu verschließen!«
Einige wandten heftig ein: »Es geht jetzt nicht darum, ohne Tadel unter den Heiden zu leben, damit sie lernen, Gott zu preisen, wenn sie unsere guten Taten sehen. Nein, es geht nun um die Juden, die uns schlagen und unseren Herrn Christus verhöhnen. Um seinetwillen und ihm zu Ehren haben wir dem Bösen Widerstand geleistet, nicht um unser eigenes erbärmliches Leben zu verteidigen.«
Ich drängte mich an ihnen vorbei, ergriff Aquila am Arm und flüsterte ihm zu, daß ich diesen Ort so rasch wie möglich verlassen müßte. Als er mich wiedererkannte, verklärte sich sein Gesicht vor Freude. Er segnete mich und rief: »Minutus, Sohn des Marcus Manilianus, hast auch du den einzigen Weg gewählt!«
Er umarmte mich, küßte mich auf den Mund, geriet in Verzückung und begann zu predigen: »Christus hat auch für dich gelitten. Warum nimmst du ihn nicht zum Vorbild und wandelst auf seinen Spuren? Er schmähte nicht, die ihn schmähten, und er drohte niemandem, da er litt. Vergilt auch du nicht Böses mit Bösem. Wenn du um Christi willen leiden darfst, so preise Gott dafür!«
Ich erinnere mich nicht mehr, was er noch alles daherfaselte, denn er kümmerte sich nicht um meine Einwände, sondern redete und redete, aber seine Verzückung riß die anderen mit. Nach und nach begannen sie alle um Vergebung ihrer Sünden zu beten, wenngleich einige noch zwischen den Zähnen murmelten, daß das Reich gewiß nicht kommen werde, solange die Juden die Untertanen Christi ungestraft beleidigen, unterdrücken und mißhandeln durften.
Währenddessen wurden draußen zahllose Verhaftungen vorgenommen, ohne daß man darauf sah, ob es sich um rechtgläubige Juden, Christen oder anderes Pack handelte. Da die Prätorianer alle Brücken bewachten, flohen viele in Booten. Andere machten die Lastkähne am Kai los, so daß sie mit der Strömung davontrieben. Da alle Ordnungstruppen ins Judenviertel geschickt worden waren, war die Stadt selbst ohne Schutz. Der Pöbel rottete sich in den Gassen zusammen und schrie als Losungswort den Namen Christus, den er jenseits des Tibers aufgeschnappt hatte. Er plünderte Läden und legte Feuer an einige Häuser, so daß der Stadtpräfekt, kaum daß im Judenviertel die Ordnung einigermaßen wiederhergestellt war, seine Leute eilends in die eigentliche Stadt zurückziehen mußte. Das war meine Rettung, denn er hatte schon Befehl gegeben, das Judenviertel Haus für Haus zu durchsuchen, um den Aufwiegler Christus zu fassen.
Es wurde Abend. Ich saß, den Kopf in die Hände gestützt, verzweifelt auf dem Boden des Kellers und wurde immer hungriger. Die Christen sammelten, was ihnen an Speisen geblieben war, und begannen es unter sich zu verteilen, so daß keiner leer ausging. Sie hatten Brot und Öl, Zwiebeln, gedünstete Erbsen und sogar Wein. Aquila segnete nach der Art der Christen das Brot und den Wein als den Leib und das Blut des Jesus von Nazareth. Ich nahm, was man mir anbot, und teilte eines der Brote der Armen mit Claudia. Auch ein kleines Stück Käse und einen Bissen Dörrfleisch bekam ich. Den Wein trank ich aus demselben Becher wie alle anderen, als die Reihe an mich kam. Als sich alle satt gegessen hatten, küßten sie einander zärtlich. Claudia küßte mich und rief: »O Minutus, wie bin ich froh, daß auch du sein Fleisch gegessen und sein Blut getrunken hast, um der Vergebung der Sünden und des ewigen Lebens teilhaftig zu werden. Fühlst du nicht den Geist in deinem Innern brennen, als hättest du die zerlumpten Hüllen deines früheren Lebens von dir geworfen und dich in ein neues Gewand gekleidet!«
Ich entgegnete bitter, das einzige, was in mir brenne, sei der billige saure Wein. Dann erst verstand ich ganz, was sie meinte, und erkannte, daß ich am geheimen Mahl der Christen teilgenommen hatte. Ich erschrak so heftig, daß ich mich am liebsten erbrochen hätte, obwohl ich genau wußte, daß ich nicht wirklich Blut aus dem Becher getrunken hatte.
»Dummes Geschwätz!« sagte ich erbost. »Brot ist Brot, und Wein ist Wein. Wenn ihr nichts anderes und nichts Schlimmeres treibt als dies, dann verstehe ich nicht, warum über eueren Aberglauben soviel unsinnige Geschichten verbreitet werden, und noch unbegreiflicher ist mir, daß man sich dergleichen harmloser Dinge wegen die Schädel einschlägt.«
Ich war zu müde, um lang mit ihr zu streiten, und sie war auch noch viel zu erregt, aber zuletzt brachte sie mich doch dazu, daß ich mich bereit erklärte, mich mit der Lehre der Christen näher bekannt zu machen, vorausgesetzt, daß an ihr überhaupt etwas Vernünftiges war. Ich konnte an sich nichts Böses darin sehen, daß sie sich gegen die Juden zur Wehr setzten, aber ich war der Überzeugung, daß sie bestraft werden mußten, wenn die Unruhen nicht aufhörten, gleich, ob die Schuld bei ihnen oder den rechtgläubigen Juden lag.
Aquila erklärte mir, daß es schon früher zu Streitigkeiten und Schlägereien gekommen war, wenn auch nicht in dem Ausmaße wie jetzt. Er versicherte, daß die Christen ohnehin versuchten, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen und böse Worte mit guten zu vergelten, daß aber andrerseits die Judenchristen das Recht hätten, in die Synagogen zu gehen, um der Lesung der Schriften zu lauschen. Viele von ihnen hätten sogar selbst zum Bau der neuen Synagogen, beigesteuert.
Ich begleitete Claudia in der warmen Sommernacht aus der Stadt hinaus und am Vatikanischen Hügel vorbei zu ihrer Hütte. Auf der anderen Seite des Flusses sahen wir Brände lodern und hörten das Geschrei der Menge. Unzählige Wagen und Karren, die Gemüse und Früchte zum Markt brachten, warteten dicht gedrängt auf der Straße. Die Landleute fragten einander besorgt, was in der Stadt geschehen sei, und plötzlich ging das Gerücht von Mann zu Mann, ein gewisser Christus habe die Juden zum Morden und Brennen angestiftet. Kein einziger hatte über die Juden ein gutes Wort zu sagen.
Als wir weitergingen, begann ich zu hinken, mein Kopf schmerzte, und ich wunderte mich darüber, daß ich die Hiebe, die ich bei der Schlägerei abbekommen hatte, erst jetzt spürte. Als wir endlich Claudias Hütte erreichten, war mir so elend zumute, daß sie mich nicht gehen ließ, sondern mich bat, über Nacht bei ihr zu bleiben. Trotz meinen Einwänden bettete sie mich beim Schein einer Öllampe auf ihr eigenes Lager, wirtschaftete dann aber geräuschvoll in ihrer Hütte herum und seufzte so tief, daß ich sie schließlich fragte, was ihr fehle.
»Ich bin weder rein noch ohne Sünde«, gestand sie mir. »Wie Feuer brennt in meinem Herzen jedes Wort, das du mir über dieses schamlose Britenmädchen berichtet hast, an dessen Namen ich mich nicht einmal erinnern mag.«
Ich bat sie aufrichtig: »Versuche mir zu verzeihen, daß ich mein Versprechen nicht zu halten vermochte.«
»Was kümmert mich noch dein Versprechen«, klagte Claudia. »Ich verfluche mich selbst. Ich bin Fleisch von meiner Mutter Fleisch, und der liederliche Claudius ist mein Vater. Ich kann nicht dafür, daß eine gefährliche Unruhe in mir glüht, wenn ich dich so in meinem Bett liegen sehe.«
Sie hatte jedoch eiskalte Hände, als sie die meinen ergriff, und kalt waren auch ihre Lippen, als sie sich zu mir niederbeugte, um mich zu küssen.
»Ach Minutus«, flüsterte sie. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, dir zu gestehen, daß mein Vetter Gajus mich geschändet hat, als ich noch ein Kind war. Er tat es zum Spaß, nachdem er der Reihe nach bei allen seinen Schwestern gelegen war, und ich habe seither die Männer gehaßt. Nur dich konnte ich nicht hassen, denn du wolltest mich zur Freundin haben, ohne zu wissen, wer ich bin.«
Was soll ich noch viel erklären? Um sie zu trösten, zog ich sie zu mir ins Bett. Sie zitterte vor Kälte und vor Scham. Ich will mich nicht damit herausreden, daß sie fünf Jahre älter als ich war, sondern gebe gern zu, daß mir immer heißer wurde, bis sie mich lachend und weinend umarmte, und ich wußte, daß ich sie liebte.
Als wir am Morgen erwachten, waren wir so glücklich, daß wir nur noch an uns beide denken mochten, und Claudia, die vor Freude und Glück strahlte, war in meinen Augen trotz ihren groben Gesichtszügen und dichten Brauen schön. Lugunda verblaßte zu einem Schatten. Claudia war eine reife Frau, Lugunda dagegen ein kindlich, launisches Mädchen.
Wir tauschten kein Versprechen aus und wollten nicht an die Zukunft denken. Wenn mich wirklich ein dunkles Schuldbewußtsein drückte, so sagte ich mir, daß Claudia wissen mußte, was sie tat. Zumindest hatte sie nun an etwas anderes zu denken als an die abergläubischen Mysterien der Christen, und das war gut so.
Als ich nach Hause kam, sagte Tante Laelia giftig, sie habe sich meinetwegen große Sorgen gemacht, da ich die ganze Nacht bis in den Vormittag hinein ausgeblieben sei, ohne ihr vorher ein Wort zu sagen. Sie musterte mich mit ihren rotgeränderten Augen und sagte vorwurfsvoll: »Dein Gesicht leuchtet, als hättest du ein schändliches Geheimnis. Du hast dich doch nicht am Ende in ein syrisches Bordell verirrt?« Sie schnupperte mißtrauisch an meinen Kleidern. »Nein, nach Bordell riechst du nicht, aber irgendwo mußt du ja die Nacht verbracht haben. Laß dich nur nicht auf irgendeine unwürdige Liebschaft ein. Das würde dir und anderen nur Verdruß bringen.«
Am Nachmittag besuchte mich mein Freund Lucius Pollio, dessen Vater in diesem Jahr Konsul war, und erzählte mir aufgeregt: »Die Juden werden im Schutze ihrer Privilegien immer frecher. Der Präfekt hat den ganzen Vormittag die Festgenommenen verhören lassen und eindeutige Beweise dafür erhalten, daß ein Jude namens Christus die Sklaven und den Pöbel aufwiegelt. Er ist jedoch nicht, wie seinerzeit Spartacus, ein ehemaliger Gladiator, sondern ein Staatsverbrecher, der in Jerusalem zum Tode verurteilt wurde, dann aber auf irgendeine merkwürdige Weise die Kreuzigung lebend überstand. Der Präfekt läßt ihn suchen und hat einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt, aber ich fürchte, der Kerl hat sich aus der Stadt geschlichen, nachdem der Aufruhr mißglückt war.«
Ich hatte gute Lust, dem Bücherwurm Lucius Pollio zu erklären, daß die Juden mit Christus den Messias meinten, an den sie glaubten, aber ich durfte mir nicht anmerken lassen, daß ich von dieser neuen, aufrührerischen Lehre allzuviel wußte. Wir gingen zusammen noch einmal mein Buch durch, da ich eine möglichst reine Sprache anstrebte. Lucius Pollio versprach, mir einen Verleger zu finden, wenn das Buch die Feuerprobe der öffentlichen Vorlesung bestand. Seiner Meinung nach konnte es einen recht guten Absatz finden. Claudius gedachte gern seiner eigenen erfolgreichen Kriegszüge in Britannien. Man konnte sich bei ihm einschmeicheln, indem man Interesse für Britannien bekundete, und dazu war mein Buch, Lucius Pollio zufolge, gut geeignet. Die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Eigentumsrechts an den Synagogen, die der erste Anlaß zu den Judenunruhen gewesen waren, versuchte der Stadtpräfekt durch die Bestimmung zu schlichten, daß alle jene die Synagogen benützen durften, die zu ihrer Errichtung beigetragen hatten. Sowohl die strenggläubigen, engstirnigen Juden wie auch die freisinnigeren hatten ja ihre eigenen Synagogen. Sobald aber die Juden, die Christus anerkannten, eine Synagoge für sich in Anspruch nahmen, holten die strenggläubigen Juden die kostbaren Schriftrollen aus ihrem heiligen Schrein und steckten die Synagoge in Brand, um sie nur ja nicht den verhaßten Christen überlassen zu müssen. Daraus entstanden neue Unruhen, und zuletzt begingen die rechtgläubigen Juden in ihrer Unverschämtheit einen schweren politischen Fehler, indem sie sich an den Kaiser selbst wandten.
Claudius war bereits über die Schlägereien aufgebracht, die sein neues Eheglück störten. Er geriet außer sich, als der jüdische Rat ihn daran zu erinnern wagte, daß er ohne die Unterstützung der Juden niemals Kaiser geworden wäre. Es verhielt sich nämlich tatsächlich so, daß Claudius’ Zechkumpan Herodes Agrippa von den reichen Juden Roms das Geld geborgt hatte, das Claudius brauchte, um nach der Ermordung Gajus Caligulas die Prätorianer zu bestechen. Claudius mußte für dieses Geld Wucherzinsen zahlen und mochte an diese Sache, die seine Eitelkeit kränkte, nicht erinnert werden.
Sein Säuferschädel begann vor Wut zu zittern, und noch ärger stotternd als sonst, befahl er den Juden, ihm aus den Augen zu verschwinden, ja er drohte ihnen, er werde sie allesamt aus Rom verbannen, wenn er noch einmal von Streit und Schlägerei zu hören bekäme.
Die Judenchristen und das Gesindel, das sich ihnen anschloß, hatten sogar ihre Führer. Zu meinem Entsetzen stieß ich bei meinem Vater in Tullias Haus auf den eifrig disputierenden, schiefnasigen Aquila, seine Frau Prisca und einige andere offenbar durchaus achtbare Bürger, deren einziger Fehler darin bestand, daß sie sich zu der Mysterienlehre der Christen hingezogen fühlten. Ich war gekommen, um mit meinem Vater unter vier Augen über Claudia zu sprechen. Ich besuchte sie nun zweimal in der Woche und blieb über Nacht bei ihr, und ich fühlte mich verpflichtet, irgend etwas in unserer Sache zu unternehmen, obgleich sie selbst keine Forderungen an mich gestellt hatte.
Als ich überraschend bei meinem Vater eintrat und die Versammlung störte, sagte dieser: »Bleib, Minutus«, und fuhr zu den anderen gewandt fort: »Ich kenne den König der Juden und weiß einiges über ihn, denn ich wanderte nach seiner Kreuzigung in Galiläa umher und konnte mich sogar selbst vergewissern, daß er aus seinem Grabe auferstanden war. Seine Jünger wiesen mich zwar ab, aber ich kann bezeugen, daß er niemals das Volk aufgewiegelt hat, wie es nun hier in Rom geschieht.«
All das hatte ich schon früher gehört, und ich wunderte mich darüber, daß mein Vater, der sonst so vernünftig war, nun in der Weisheit des Alters noch immer die gleiche alte Geschichte wiederkäute. Der schiefnasige Aquila verteidigte sich: »Wir mögen tun, was wir wollen: immer nimmt man Anstoß. Man haßt uns mehr als die Götzenanbeter. Nicht einmal unter uns selbst vermögen wir Liebe und Demut zu bewahren, sondern ein jeder will es besser wissen als die anderen, und am eifrigsten wollen jene die anderen belehren, die eben erst auf den Weg gefunden und Christus anerkannt haben.«
Und Prisca fügte hinzu: »Es wird jedenfalls behauptet, daß er selbst einen Feuerbrand über die ganze Erde schleuderte, den Mann von seinem Weibe trennte und die Kinder sich gegen ihre Eltern erheben hieß, und gerade das geschieht eben jetzt in Rom, obwohl wir nur das Beste wollen. Wie freilich Liebe und Demut zu Streit, Uneinigkeit, Haß, Groll und Neid führen können, das begreife ich nicht.«
Als ich dies alles gehört hatte, ergriff mich ein gerechter Zorn, und ich rief: »Was wollt ihr von meinem Vater? Was setzt ihr ihm so zu, daß er mit euch streiten muß? Mein Vater ist ein guter, sanftmütiger Mann. Ich dulde nicht, daß ihr ihn in eure unsinnigen Zwistigkeiten mit hineinzieht!«
Mein Vater richtete sich auf und bat mich zu schweigen. Dann blickte er lange in die Vergangenheit und sagte zuletzt: »Im allgemeinen schafft ein Gespräch Klarheit, aber dieses unbegreifliche Ding wird um so verworrener, je länger man darüber spricht. Da ihr mich aber um Rat gefragt habt, sage ich euch: bittet um Aufschub. Zu Kaiser Gajus’ Zeiten hatten die Juden in Antiochia großen Nutzen von diesem Rat.«
Sie starrten meinen Vater an und verstanden ihn nicht. Er lächelte gedankenverloren. »Trennt euch von den Juden, verlaßt die Synagogen, zahlt die Tempelsteuer nicht mehr. Baut euch eigene Versammlungshäuser, wenn ihr wollt. Es gibt Reiche unter euch, und vielleicht könnt ihr auch große Zuwendungen von solchen Männern und Frauen erhalten, die glauben, sich ein ruhiges Gewissen dadurch zu erkaufen, daß sie diese und jene Götter unterstützen. Fordert die Juden nicht heraus. Schweigt, wenn man euch verhöhnt. Bleibt auf eurer Seite, so wie ich auf meiner Seite bleibe, und versucht niemanden zu kränken.«
Da riefen sie wie aus einem Munde: »Das sind harte Worte. Wir müssen für unseren König Zeugnis ablegen und das Kommen seines Reiches verkünden, wenn wir seiner würdig sein wollen.«
Mein Vater hob abwehrend beide Hände, seufzte tief und sagte: »Sein Reich läßt auf sich warten, aber ohne Zweifel seid ihr es, die an seinem Geiste teilhaben, und nicht ich. Tut also, wie ihr meint. Wenn die Sache vor den Senat kommt, werde ich versuchen, ein Wort für euch einzulegen. Darum seid ihr ja zu mir gekommen. Wenn es euch aber nichts ausmacht, will ich von dem Reich lieber nicht sprechen, denn das könnte böses Mißtrauen gegen euch erwecken.«
Damit gaben sie sich zufrieden und gingen gerade zur rechten Zeit, denn Tullia kam eben von ihren Besuchen zurück. Sie begegnete ihnen noch unter den Säulen und rief unwillig, als sie eintrat: »Wie oft, Marcus, habe ich dich schon davor gewarnt, diese zweifelhaften Juden bei dir zu empfangen. Ich habe nichts dagegen, daß du zu Philosophen gehst, und wenn es dich freut, magst du meinetwegen auch den Armen helfen, deinen Arzt zu bedürftigen Kranken schicken und elternlosen Mädchen eine Mitgift schenken. Mit irgend etwas muß der Mensch ja seine Zeit hinbringen. Aber, bei allen Göttern, halte dich von diesen Juden fern, wenn dir dein eigenes Wohlergehen lieb ist!«
Nachdem sie auf diese Weise ihrem Ärger Luft gemacht hatte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf mich, tadelte mein schlechtes Schuhwerk, die ungeschickt gelegten Falten in meinem Mantel und mein plump geschnittenes Haar und sagte böse: »Du bist hier nicht mehr unter rohen Kriegern. Du mußt deinem Vater zuliebe besser auf dein Äußeres achten. Ich werde dir einen Barbier und einen Kleiderpfleger schenken müssen, denn Tante Laelia ist zu altmodisch und zu kurzsichtig, um sich ordentlich um dich kümmern zu können.«
Ich antwortete verdrossen, ich hätte schon einen Barbier, denn ich wollte nicht, daß einer von Tullias Sklaven jeden meiner Schritte überwachte. Es stimmte auch, daß ich an meinem Geburtstag einen Barbiersklaven gekauft und gleich freigelassen hatte, obwohl es eigentlich schade um ihn war, und daß ich ihm in Suburra eine eigene Barbierstube eingerichtet hatte. Er taugte schon recht gut dazu, Frauenperücken zu verkaufen und die üblichen Kuppelgeschäfte zu besorgen. Nun erklärte ich Tullia, es würde Tante Laelia zutiefst kränken, wenn ein fremder Sklave ins Haus käme, um für meine Kleidung zu sorgen. »Außerdem hat man mit Sklaven mehr Ärger als Freude«, sagte ich zuletzt.
Tullia meinte darauf, es käme nur auf die rechte Zucht und Ordnung an, und dann fragte sie mich: »Was willst du eigentlich mit deinem Leben anfangen, Minutus? Ich habe mir sagen lassen, du treibst dich ganze Nächte in den Bordellen herum und schwänzt die Leseübungen bei deinem Rhetor. Wenn du wirklich im Winter dein Buch vorlesen willst, mußt du deinem zügellosen Körper Zwang antun und hart arbeiten. Außerdem ist es höchste Zeit, daß du eine standesgemäße Ehe schließt.«
Ich erwiderte, daß ich meine Jugend noch eine Weile zu genießen gedächte und daß ich immerhin noch nicht ein einziges Mal wegen Trunkenheit oder irgendwelcher dummen Streiche, wie sie bei den jungen Rittern an der Tagesordnung waren, mit den Behörden in Konflikt geraten sei. »Ich sehe mich um«, sagte ich. »Ich beteilige mich an den Reitübungen, ich höre mir Prozesse an, wenn ein wirklich interessanter Fall verhandelt wird. Ich lese Bücher, und Seneca selbst, der Philosoph, hat mir große Freundlichkeit erwiesen. Ich denke freilich daran, mich früher oder später um eine Quästur zu bewerben, aber noch bin ich zu jung und unerfahren, obwohl ich eine Sondergenehmigung erhalten könnte.«
Tullia betrachtete mich mitleidig. »Du mußt begreifen, daß es für deine Zukunft das Wichtigste ist, mit den richtigen Leuten bekannt zu werden«, sagte sie. »Ich habe dir Einladungen in vornehme Häuser verschafft, aber man hat sich darüber beklagt, daß du mürrisch und maulfaul bist und Freundschaft nicht mit Freundschaft vergelten magst.«
Dafür hatte ich meine guten Gründe. »Liebe Stiefmutter«, sagte ich daher, »ich weiß dein kluges Urteil zu schätzen, aber alles, was ich in Rom gehört und gesehen habe, warnt mich davor, gute Beziehungen zu Leuten anzuknüpfen, die im Augenblick gerade die richtigen zu sein scheinen. Einige hundert Ritter, von den Senatoren ganz zu schweigen, wurden hingerichtet oder begingen Selbstmord, nur weil sie einmal die richtigen waren oder die richtigen allzugut kannten.«
»Dank Agrippina ist das jetzt alles anders geworden«, wandte Tullia mit verdächtigem Eifer ein, aber meine Worte machten sie doch nachdenklich, und nach einer kleinen Weile meinte sie: »Das Klügste, was du tun könntest, wäre, dich den Wagenrennen zu widmen und dich einer der Farbparteien anzuschließen. Das ist eine ganz unpolitische Beschäftigung, die doch zu wertvollen Freundschaftsverbindungen führt. Ein Pferdenarr bist du ja.«
»Man kann auch von Pferden genug bekommen«, erwiderte ich.
»Sie sind jedenfalls weniger gefährlich als Frauen«, sagte Tullia giftig. Mein Vater sah sie nachdenklich an und gab zu, daß sie dieses eine Mal recht hatte. Um sich zu rächen, sagte sie: »Es würde unnötiges Aufsehen erregen, wenn du dir gleich ein eigenes Gespann zulegtest, obwohl dir dein Vater dabei behilflich sein könnte. Sobald der neue Hafen in Ostia fertig ist, wird der Getreideanbau in Italien zum reinen Verlustgeschäft. Es ist zwar nur eine Frage der Zeit, bis aus den Äckern wieder Weiden geworden sind, aber du taugst wohl kaum zum Pferdezüchter. Begnüge dich damit, bei den Wagenrennen Wetten abzuschließen.«
Meine Tage waren aber auch ohne den Zirkus angefüllt. Ich hatte ja mein eigenes Haus auf dem Aventin, ich mußte mich um den bärbeißigen alten Barbus kümmern und Tante Laelia besänftigen, und dazu kam ein Prozeß, den die Nachbarn meinem gallischen Freigelassenen anhängten, weil seine Seifensiederei nicht eben angenehm duftete. Ich verteidigte ihn vor Gericht, und es war keine große Kunst vonnöten, einen Freispruch zu erwirken, da ich darauf hinweisen konnte, daß die Werkstätten der Gerber und Färber, in die man die Urinfässer von den Straßenecken brachte, einen noch abscheulicheren Gestank verbreiteten. Schwieriger war es, die Behauptung zu widerlegen, der Gebrauch von Seife anstelle von Bimsstein verweichliche den Körper und widerspreche dem Geist der Väter. Der Anwalt der Nachbarn meines Galliers versuchte sogar zu erreichen, daß die Seifenherstellung in Rom grundsätzlich verboten werde, indem er sich auf unsere Väter und Vorväter zurück bis Romulus berief, die sich alle damit begnügt hatten, sich mit dem gesunden, abhärtenden Bimsstein zu reinigen. In der Verteidigungsrede für meinen Freigelassenen rühmte ich Rom als Reich und Weltmacht. »Romulus verbrannte auch keinen Weihrauch aus dem Osten vor seinen Götterbildern!« rief ich stolz. »Unsere Vorväter ließen sich auch keinen Störrogen vom jenseitigen Ufer des Schwarzen Meeres kommen und keine seltenen Vögel aus den Steppen, keine Flamingozungen und keine indischen Fische. Rom ist ein Schmelztiegel vieler Völker und Sitten. Es wählt sich von allem das Beste aus und veredelt fremde Sitten, indem es sie zu seinen eigenen macht.«
Der Gebrauch der Seife wurde in Rom nicht verboten, und mein Freigelassener verbesserte seine Ware dadurch, daß er seihen Seifen wohlriechende Essenzen beimengte und ihnen schöne Namen gab. An der echt ägyptischen Kleopatraseife, die in einer Seitengasse in Suburra hergestellt wurde, verdienten wir ein kleines Vermögen. Ich muß allerdings gestehen, daß die besten Kunden außer den Römerinnen Griechen und Fremde aus den Ländern des Ostens waren, die in Rom wohnten. In den öffentlichen Bädern galt der Gebrauch von Seife nach wie vor als unsittlich.
Ich war vollauf beschäftigt, und doch geschah es mir des Abends, bevor ich einschlief, oft, daß ich von einer unbestimmten Ruhelosigkeit ergriffen wurde und mich fragte, wozu ich auf der Welt sei. Bald freute ich mich über meine kleinen Erfolge, bald war ich niedergeschlagen, weil ich mir allzu unbedeutend vorkam. Der Zufall und Fortuna herrschten über die Gegenwart, und am Ende sah ich den Tod, das traurige Los aller Menschen. Zwar lebte ich unbeschwert und hatte Glück in allem, was ich unternahm, aber immer, wenn ich etwas erreicht hatte, wurde meine Freude rasch schal, und ich war mit mir selbst unzufrieden.
Als es auf den Winter zuging, kam endlich der Tag, auf den ich mich so eifrig vorbereitet hatte. Ich durfte mein Buch im Vorlesungssaal der kaiserlichen Bibliothek auf dem Palatin vortragen. Durch meinen Freund Lucius Domitius ließ mich Kaiser Claudius wissen, daß er selbst am Nachmittag anwesend sein werde. Das hatte zur Folge, daß alle, die nach der Gunst des Kaisers strebten, um die Plätze im Saal kämpften.
Unter den Zuhörern befanden sich Offiziere, die in Britannien gedient hatten, Mitglieder des Senatsausschusses für britische Fragen und sogar der Feldherr und Triumphator Aulus Plautius. Viele, die die Lesung hören wollten, mußten vor den Türen bleiben und beklagten sich später bei Claudius, weil sie ungeachtet ihres, wie sie behaupteten, ungeheuren Interesses für das Thema keinen Platz bekommen hatten.
Ich begann mit der Vorlesung am frühen Vormittag, und trotz meiner begreiflichen Erregung las ich ohne zu stottern und geriet, während ich las, immer mehr in Feuer, wie es allen Schriftstellern ergeht, die auf die Vollendung ihres Werkes genug Mühe und Sorgfalt verwendet haben. Es störte mich auch niemand und nichts, wenn ich von Lucius Domitius absehe, der ständig flüsterte und mir Zeichen machte, um mir zu bedeuten, wie ich zu lesen hätte. Zu Mittag wurde ein allzu köstliches Mahl aufgetragen, das Tullia angeordnet und mein Vater bezahlt hatte. Als ich danach weiterlas und zu den Göttern und Mysterien der Briten kam, nickten viele meiner Zuhörer ein, obwohl dies meiner Ansicht nach der interessanteste Teil des Buches war.
Bald darauf mußte ich unterbrechen, denn Claudius hielt sein Wort und erschien wirklich. Mit ihm kam Agrippina. Sie ließen sich auf der Ehrenbank nieder und nahmen Lucius Domitius in ihre Mitte. Der Vorlesungssaal war plötzlich gedrängt voll, und Claudius rief denen, die keinen Platz mehr bekamen, gereizt zu: »Wenn das Buch wert ist, gehört zu werden, wird man es noch einmal vorlesen. Seht zu, daß ihr dann dabei seid. Jetzt aber geht, sonst haben wir anderen keine Luft zum Atmen.«
Er war, um die Wahrheit zu sagen, leicht angetrunken und rülpste oft laut. Ich hatte kaum ein paar Zeilen gelesen, als er mich auch schon unterbrach und sagte: »Mein Gedächtnis ist schlecht. Erlaube mir darum, daß ich als Roms erster Bürger auf Grund meines Ranges und meines Alters dich immer gleich unterbreche und dartue, worin du recht hast und worin du irrst.«
Er begann seine eigene Auffassung von den Menschenopfern der Druiden langatmig darzulegen und sagte, er habe in Britannien vergeblich nach den großen Weidenkörben gefragt, in die man angeblich die Gefangenen sperrt, um sie bei lebendigem Leibe zu verbrennen. »Ich glaube natürlich, was mir zuverlässige Zeugen berichten, aber mehr noch verlasse ich mich auf meine eigenen Augen. Daher schlucke ich diese deine Behauptung nicht ungekaut. Doch sei so gut und fahre fort, junger Lausus.«
Ich war nicht viel weitergekommen, als ihm schon wieder etwas einfiel, was er in Britannien gesehen hatte und den anderen sogleich mitteilen mußte. Das laute Gelächter der Zuhörer verwirrte mich, und ich bekam einen heißen Kopf. Claudius machte allerdings auch einige sachliche Anmerkungen zu meinem Buch.
Plötzlich begann er mit Aulus Plautius ein lebhaftes Gespräch über gewisse Einzelheiten seines Feldzugs. Die Zuhörer feuerten die beiden an und riefen: »Hört! Hört!« Ich mußte schweigen, aber eine beruhigende Geste Senecas ließ mich meinen Ärger rasch vergessen. Ein Senator namens Ostorius, der alles besser wissen wollte, mischte sich ins Gespräch. Er behauptete, der Kaiser habe einen politischen Fehler begangen, indem er den Feldzug abbrach, ehe ausnahmslos alle britischen Stämme unterworfen waren.
»Die Briten unterwerfen, das ist leichter gesagt als getan!« schnaubte Claudius, mit Recht gekränkt. »Zeig ihm deine Narben, Aulus. Aber du erinnerst mich daran, daß in Britannien zur Zeit alles stillsteht, weil ich noch keinen Nachfolger für Aulus Plautius ernennen konnte. Zum Glück haben wir dich, Ostorius. Ich glaube, ich bin nicht der einzige hier im Saal, der deine ewige Besserwisserei satt hat. Geh nach Hause und bereite deine Reise vor. Narcissus schreibt dir noch heute die Vollmacht aus.«
Ich glaube, mein Buch hatte den Zuhörern schon vor Augen geführt, daß es kein Leichtes war, Britannien zu zivilisieren, denn alle lachten nun. Nachdem Ostorius den Saal gedemütigt verlassen hatte, konnte ich in Ruhe meinen Vortrag beenden. Claudius gestattete mir wohlwollend, bei Lampenlicht weiterzulesen, da er selbst mich ständig unterbrochen und viel Zeit vergeudet hatte. Als er zuletzt klatschte, brach ein ganzer Beifallssturm im Saale los. Niemand hatte mehr irgendwelche Berichtigungen vorzubringen, denn zu dieser späten Stunde waren alle hungrig geworden.
Ein Teil der Zuhörer begleitete mich nach Hause, wo Tullia ein Festmahl hatte vorbereiten lassen, denn ihr Koch war berühmt. Über mein Buch wurde nicht mehr viel gesprochen. Seneca stellte mich seinem eigenen Verleger vor. Der fein gebildete, alte Mann, bleich, gebückt und kurzsichtig vom vielen Lesen, erklärte sich gern bereit, mein Buch anzunehmen und fürs erste in einer Auflage von fünfhundert Stück herauszubringen. »Zwar hast du gewiß die Mittel, dein Buch selbst zu veröffentlichen«, meinte er freundlich, »aber der Name eines bekannten Verlegers ist dem Absatz eines Buches doch sehr dienlich. Mein Freigelassener verfügt über einhundert kundige Schreibsklaven, die nach einem einzigen Diktat jedes beliebige Buch rasch und leidlich fehlerfrei nachschreiben.
Seneca lobte diesen Mann mit vielen Worten, der ihn auch in den Tagen der Verbannung nicht im Stich gelassen, sondern die Buchhändler treu mit den vielen Schriften beliefert hatte, die aus Korsika nach Rom gesandt worden waren. Der Verleger sagte sanft: »Am meisten verdiene ich selbstverständlich mit den Übersetzungen und Bearbeitungen griechischer Liebesgeschichten und Reiseschilderungen, aber ich habe noch bei keinem Werk Senecas zusetzen müssen.«
Ich verstand den Wink und erklärte, ich sei bereit, mich an den Kosten der Herausgabe meines Buches zu beteiligen, war es doch eine große Ehre für mich, daß er mit seinem geachteten Namen für die Güte meines Werkes bürgen wollte. Dann mußte ich ihn verlassen, um mich anderen Gästen zu widmen. Es waren so viele, daß ich bald nicht mehr wußte, wo mir der Kopf stand. Zuviel Wein trank ich außerdem, und zuletzt ergriff mich tiefe Mutlosigkeit, da ich erkannte, daß keinem der Anwesenden wirklich an mir und meiner Zukunft gelegen war. Mein Buch war ihnen nur ein Vorwand. Sie waren gekommen, um seltene Gerichte zu essen, die besten Weine Kampaniens zu trinken, einander zu beobachten und zu bemäkeln und sich im stillen über die Erfolge meines Vaters zu verwundern, für die ihm in ihren Augen alle persönlichen Voraussetzungen fehlten.
Ich sehnte mich immer mehr nach Claudia, die mir der einzige Mensch auf der ganzen Welt zu sein schien, der mich wirklich verstand und auf mein Wohl bedacht war. Sie hatte natürlich nicht gewagt, zur Vorlesung zu kommen, aber ich wußte, wie sehr sie darauf brannte, zu erfahren, wie alles abgelaufen war, und ich ahnte, daß sie in dieser Nacht keinen Schlaf fand. Ich stellte mir vor, wie sie vor ihre Hütte trat, zu den Sternen des Winterhimmels emporblickte und dann nach Rom herüberstarrte, während nicht weit von ihr in der Stille der Nacht die Gemüsekarren rumpelten und das Schlachtvieh brüllte. Ich hatte mich in den Nächten bei Claudia so sehr an diese Laute gewöhnt, daß ich sie liebte, und nun führte mir der bloße Gedanke an polternde Karrenräder Claudia so lebendig vor Augen, daß mein Blut unruhig wurde.
Es gibt wohl kaum einen bedrückenderen Anblick als das Ende eines großen Festes. Die niedergebrannten Fackeln beginnen zu schwelen. Die Sklaven führen die letzten Gäste zu ihren Sänften, die Lampen verlöschen, vergossener Wein wird von den glänzenden Mosaikböden aufgewischt, andere Diener waschen das Erbrochene von den Marmorwänden der Abtritte. Tullia war selbstverständlich von der gelungenen Feier entzückt und unterhielt sich angeregt mit meinem Vater über den einen oder andern Gast und berichtete, was dieser und jener gesagt oder getan hatte. Ich selbst fühlte mich alldem sehr fern.
Wäre ich erfahrener gewesen, so würde ich gewußt haben, daß dies allein auf der Nachwirkung des Weins beruhte, aber jung, wie ich war, nahm ich meine Empfindungen ernst. Daher lockte mich nicht einmal die Gesellschaft meines Vaters, denn er und Tullia erfrischten sich mit leichtem Wein und Meeresfrüchten, während die Sklaven und Diener die großen Säle aufräumten. Ich dankte ihnen und ging, allein und ohne an die Gefahren des nächtlichen Roms zu denken, ganz von meiner Sehnsucht nach Claudia erfüllt.
Ihre Hütte war warm, und ihr Bett roch gut nach Wolle. Sie füllte das Glutbecken nach, damit ich nicht fror. Zuerst behauptete sie, sie habe nicht damit gerechnet, daß ich nach meinem großen Erfolg von der vornehmen Gesellschaft weg zu ihr kommen würde, aber sie hatte Tränen in ihren schwarzen Augen, als sie zärtlich flüsterte: »Ach Minutus, jetzt erst glaube ich, daß du mich wirklich liebst.«
Nach langen Freuden und einem kurzen, unruhigen Schlaf schlich kalt der Wintermorgen in die Hütte. Die Sonne war nicht zu sehen, und wir empfanden den grauen Winter wie einen tiefinnerlichen Schmerz, als wir einander bleich und müde anblickten.
»Was soll aus dir und mir werden, Claudia?« fragte ich. »Bei dir bin ich ganz aus der Wirklichkeit gefallen, in einer fremden Welt, unter anderen Sternen. Glücklich bin ich nur hier. Doch es kann so nicht weitergehen.«
Selbstsüchtig hoffte ich insgeheim wohl, sie würde sich beeilen, mir zu versichern, daß alles gut sei, wie es war, und bleiben könne wie bisher, da wir anderes nicht erhoffen durften. Aber Claudia seufzte erleichtert auf und rief: »Jetzt liebe ich dich noch mehr als je zuvor, Minutus, weil du selbst von dieser heiklen Sache als erster sprichst. Nein, es kann wirklich nicht so weitergehen. Du als Mann wirst kaum verstehen, mit wieviel Angst ich jedesmal auf meine Monatsblutung warte, und du kannst einer echten Frau auch nicht zumuten, daß sie immerzu geduldig harrt, bis es dir beliebt, sie aufzusuchen. Mein Leben ist nichts als Angst und qualvolles Warten.«
Ihre Worte verletzten mich. »Diese Gefühle hast du aber gut zu verbergen gewußt«, sagte ich gehässig. »Bisher hast du mir immer zu verstehen gegeben, daß du dich über mein Kommen freust. Was schlägst du vor?«
Sie packte meine beiden Hände mit festem Griff, sah mir starr in die Augen und sagte: »Es gibt nur eine Möglichkeit, Minutus. Verlassen wir Rom. Verzichte auf alle Ämter. Irgendwo auf dem Land oder weit fort auf der anderen Seite des Meeres können wir ohne Furcht zusammen leben, bis Claudius tot ist.«
Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen und entzog ihr meine Hände. Claudia zuckte zusammen. »Es hat dir Freude gemacht, die Schafe zu halten, wenn ich sie schor, und Reisig für unser Feuer zu brechen«, sagte sie. »Und du hast das Wasser aus meiner Quelle gelobt und mir versichert, meine einfachen Speisen schmeckten dir besser als das, was du bisher gekostet hast. Dieses bescheidene Glück können wir in jedem Erdenwinkel finden, der nur weit genug von Rom entfernt ist.«
Ich dachte eine Weile nach und antwortete ernst: »Ich leugne nichts und nehme meine Worte nicht zurück, aber dies ist ein folgenschwerer Entschluß. Wir können nicht auf einen bloßen Einfall hin freiwillig in die Verbannung gehen.« Und aus reiner Bosheit fügte ich hinzu: »Was soll dann aus dem Reich werden, auf das du wartest, und aus den geheimen Mählern, an denen du teilnimmst?«
Claudia sah mich traurig an und sagte: »Ich sündige ohne Unterlaß mit dir und fühle nicht mehr dasselbe Feuer wie früher, wenn ich bei ihnen bin. Mir ist, als sähen sie in mein Herz und sorgen sich um meinetwillen, und bei jedem Zusammentreffen drückt mich meine Schuld schwerer. Deshalb gehe ich ihnen am liebsten aus dem Weg. Du nimmst mir meinen Glauben und meine Hoffnung, wenn alles bleibt, wie es bisher war.«
Als ich zum Aventin zurückging, fühlte ich mich wie mit kaltem Wasser übergossen. Ich begriff, daß ich unrecht handelte, wenn ich Claudia ausnützte wie eine Hure, die ich nicht einmal bezahlte, aber die Ehe dünkte mich doch ein allzu hoher Preis für die bloße Befriedigung des Fleisches, und ich mochte auch Rom nicht verlassen, da ich mich viel zu gut erinnere, wie ich mich als Knabe in Antiochia und als Mann in Britanniens Wintern nach dieser Stadt gesehnt hatte.
Ich besuchte Claudia fortan nur noch selten und fand immer etwas anderes, Wichtigeres zu tun, bis die Unruhe in meinem Körper mich wieder zu ihr trieb. Glücklich waren wir nur noch im Bett. Sonst quälten wir einander so lange, bis ich wieder Ursache hatte, sie im Zorn zu verlassen.
Im nächsten Frühjahr verbannte Claudius die Juden aus Rom, da nicht ein einziger Tag mehr ohne Streit und Schlägereien verging, so daß schließlich die Zwietracht der Juden die ganze Stadt in Unruhe versetzte. In Alexandria rauften die Juden mit den Griechen, und in Jerusalem zettelten jüdische Aufwiegler so schwere Unruhen an, daß Claudius zuletzt die Geduld riß.
Seine einflußreichen Freigelassenen unterstützten seinen Beschluß mit Eifer, da sich nun die Gelegenheit bot, den reichsten Juden, die der Ausweisung entgehen wollten, zu hohen Preisen Ausnahmebewilligungen zu verschaffen. Claudius legte seinen Beschluß nicht einmal dem Senat vor, obwohl viele Juden seit mehreren Geschlechtern in Rom ansässig waren und sich das Bürgerrecht erworben hatten. Der Kaiser war der Ansicht, ein einfacher Erlaß genüge, da er ja niemandem das Bürgerrecht nahm, und außerdem ging das Gerücht, die Juden hätten zu viele Senatoren bestochen.
Auf diese Weise leerten sich die Häuser jenseits des Tibers, und die Synagogen wurden geschlossen. Viele Juden, die nicht das Geld hatten, sich freizukaufen, versteckten sich irgendwo in Rom, und die Vorsteher der einzelnen Stadtteile hatten alle Hände voll zu tun, sie aufzuspüren. Die Männer des Stadtpräfekten hielten sogar verdächtig erscheinende Bürger auf offener Straße an und zwangen sie, das Glied zu entblößen, um sich zu vergewissern, daß sie nicht beschnitten waren.
Einige wurden in den öffentlichen Bedürfnisanstalten gefaßt, denn die Römer mochten die Juden im allgemeinen nicht und beteiligten sich gern an der Jagd. Sogar die Sklaven waren ihnen übel gesinnt. Die gefangenen Juden schickte man zum Hafenbau nach Ostia oder in die Bergwerke Sardiniens, was freilich eine sinnlose Verschwendung kostbarer Arbeitskraft war, denn die meisten waren geschickte Handwerker. Aber Claudius kannte kein Erbarmen. Unter den Juden selbst wurde der Haß noch größer. Nun stritten sie nämlich darüber, welche Partei an der Verbannung schuld sei. Auf den Straßen in der Umgebung Roms fand man zahllose erschlagene Juden, ob Christen oder Rechtgläubige, das ließ sich nicht feststellen. Ein toter Jude ist ein toter Jude, und die Straßenaufseher sahen nichts und wußten von nichts, sofern der Mord nicht gerade vor ihren Augen geschah. »Der beste Jude ist ein toter Jude«, scherzten sie untereinander, wenn sie der Ordnung halber untersuchten, ob die mißhandelte Leiche, auf die sie stießen, beschnitten war oder nicht.
Die unbeschnittenen Christen waren über den Auszug ihrer Lehrmeister tief bekümmert und folgten ihnen eine Strecke Wegs, um sie gegen die Übermacht zu schützen. Es waren ungebildete, arme Menschen, viele von ihnen Sklaven, und die vielen erlittenen Enttäuschungen hatten sie bitter gemacht. In der Verwirrung, die auf die Austreibung der Juden folgte, waren sie wie eine Herde ohne Hirt.
Es war rührend anzusehen, wie sie sich nun noch enger zusammenschlossen und ihre armseligen Mähler abhielten. Aber es gab auch Männer unter ihnen, die die anderen lehrten, so daß sie bald wieder in streitende Gruppen gespalten waren. Die älteren hielten sich allein an das, was sie mit eigenen Ohren über Jesus von Nazareths Leben und Lehren gehört hatten. Dagegen standen aber andere auf und sagten: »Nein, nein, so war es nicht, sondern vielmehr so …« und hielten starrsinnig an ihrer Meinung fest.
Die kühnsten erprobten ihre Kräfte, indem sie sich in Ekstase steigerten und durch Handauflegen zu heilen versuchten, was ihnen jedoch selten gelang. Simon der Zauberer wurde nicht ausgewiesen, und ich weiß nicht, ob er sich freikaufte oder als Samariter nicht für einen Juden gehalten wurde. Tante Laelia berichtete mir, daß er noch immer Kranke heilte, und zwar mit gutem Glück, weil er, wie sie sagte, göttliche Kräfte besaß. Ich für mein Teil glaubte eher, er versuchte seine Kunst überhaupt nur an solchen, die sich ihm völlig unterwarfen. Ich suchte ihn nicht mehr auf, aber er hatte Anhänger unter den Christen, hauptsächlich wohlhabende, neugierige Frauen. Sie glaubten lieber ihm als denjenigen, die Demut, eine schlichte Lebensweise, Liebe und die Wiederkunft des Gottessohnes auf einer Wolke predigten. Durch diese Menschen bestärkt, versuchte Simon der Zauberer wieder zu fliegen. Er verschwand vor den Augen seiner ihm ergebenen Zuschauer und wurde an einem anderen Ort wieder sichtbar.
Barbus machte mir Sorgen, denn er versäumte oft seine Türhüterpflichten und ging seine eigenen Wege. Tante Laelia hatte Angst vor Einbrechern und verlangte, daß ich Barbus zurechtwies. Er rechtfertigte sich mit den Worten: »Ich bin ein Bürger wie jeder andere und liefere bei der Austeilung meinen Korb Getreide an den Haushalt ab. Du weißt, daß ich mich nie viel um die Götter gekümmert habe. Bei besonderen Gelegenheiten opferte ich bestenfalls Herkules. Aber wenn das Alter naht, möchte man sein Haus versorgt wissen. Einige Männer von der Feuerwache und andere alte Krieger haben mich in eine geheime Gesellschaft aufgenommen, und ich habe nun die frohe Gewißheit, daß ich nie sterben werde.«
»Dunkel sind die Gefilde der Unterwelt«, sagte ich. »Die Schatten müssen damit vorlieb nehmen, das Blut um die Opferaltäre aufzuschlecken. Aber ist es nicht das klügste, sein Schicksal hinzunehmen und sich mit Schatten und Asche zu begnügen, wenn einmal die Zeit des Lebens vorüber ist?«
Barbus schüttelte nur den Kopf und erwiderte: »Ich darf die Geheimnisse der Eingeweihten nicht preisgeben, aber soviel kann ich dir sagen: Der neue Gott heißt Mithras. Ein Berg hat ihn geboren. Hirten fanden ihn und beugten sich vor ihm. Er tötete den Urstier und schuf alles, was gut ist. Denn Eingeweihten, die mit Blut getauft sind, gelobte er Unsterblichkeit. Wenn ich die Sache recht verstanden habe, erhalte ich nach dem Tode neue Gliedmaßen und komme in eine prachtvolle Kaserne, wo der Dienst leicht ist und Wein und Honig nie zu Ende gehen.«
»Barbus!« sagte ich tadelnd. »Ich dachte, du seist nun alt und lebenserfahren genug, um solche Ammenmärchen nicht mehr zu glauben. Du solltest eine Wasserkur machen, denn ich fürchte, du siehst vor lauter Trunkenheit schon Gespenster.«
Barbus hob seine zitternden Hände und schwor: »Nein, nein. Wenn die Worte ausgesprochen sind, das Licht von seiner Krone die Dunkelheit erhellt und das heilige Glöckchen erklingt, beginnt man tief innen im Leib zu erzittern, die Haare stellen sich einem auf, und selbst der Kleingläubige ist von seiner göttlichen Kraft überzeugt. Danach, und vor allem wenn ein alter Zenturio die Bluttaufe erhalten hat, nehmen wir ein heiliges Mahl ein, gewöhnlich aus Ochsenfleisch, und nachdem wir Wein getrunken haben, singen wir zusammen.«
»Wir leben in einer wunderlichen Zeit«, sagte ich. »Tante Laelia sucht ihr Heil bei einem Zauberer aus Samaria, mein eigener Vater bangt um die Christen, und ein alter Krieger wie du läßt sich von irgendwelchen Mysterien aus dem Osten einfangen.«
»Im Osten geht die Sonne auf«, entgegnete Barbus ernst. »In gewissem Sinne ist der Stiertöter auch der Sonnengott und somit der Gott der Pferde. Niemand, weißt du, blickt hochmütig auf einen armseligen alten Marschierer wie mich herab, und niemand hindert dich daran, dich selbst über unseren Gott belehren zu lassen, wenn du nur zu schweigen versprichst. Es finden sich unter uns einige ältere und jüngere Ritter, denen die üblichen Opfer und Götterbilder nichts mehr bedeuten.«
Als ich dieses Gespräch mit Barbus führte, war ich der Wagenrennen und Wetten und des seichten Lebensgenusses in Gesellschaft eitler, selbstgefälliger Schauspieler längst ebenso überdrüssig geworden wie des Bücherwurms Lucius Pollio und der endlosen Gespräche seiner Freunde über Philosophie und die neue Dichtkunst. Ich versprach daher Barbus gern, ihn zu einem der Gastmähler zu Ehren des neuen Gottes zu begleiten. Er freute sich und war sehr stolz, und zu meiner Verwunderung fastete er wirklich, wusch sich sorgfältig, zog reine Kleider an und wagte keinen Wein zu trinken.
Gegen Abend führte er mich durch krumme, stinkende Gassen zu einem unterirdischen Tempel im Tal zwischen dem Esquilin und dem Caelius. Als wir eine Treppe zu einem spärlich erhellten Saal mit Steinwänden hinabschritten, wurden wir von einem Mithraspriester mit einem Löwenfell um die Schultern empfangen, der keine unnötigen Fragen stellte und mir bereitwillig erlaubte, an den Mysterien teilzunehmen.
»Es gibt nichts, dessen wir uns zu schämen hätten«, sagte er. »Wir fordern Sauberkeit, Ehrlichkeit und Männlichkeit von denen, die sich zu unserem Gott Mithras bekennen, um den inneren Frieden und ein gutes Leben nach dem Tode zu finden. Du hast ein offenes Gesicht und eine gute Haltung. Deshalb glaube ich, daß dir unser Gott gefallen wird. Sprich aber nicht ohne guten Grund zu anderen über ihn.«
Im Saal war bereits eine große Schar alter und jüngerer Männer versammelt. Unter ihnen erkannte ich zu meiner Verblüffung einige Kriegstribunen und Zenturionen von der Prätorianergarde. Viele waren Veteranen und Invaliden. Sie trugen alle reine Kleidung und das heilige Zeichen des Mithras je nach dem Einweihungsgrad, den sie erreicht hatten. Militärischer Rang und persönliches Vermögen schienen nicht viel zu bedeuten. Barbus erklärte mir, daß die reicheren Eingeweihten den Ochsen stifteten, wenn ein tapferer, unbescholtener Veteran mit Ochsenblut eingeweiht wurde. Er selbst begnügte sich mit dem Grad des Raben, weil er nicht immer ein Leben ohne Tadel geführt und es mit der Wahrheit oft nicht allzu genau genommen hatte.
Es war so dämmerig in dem unter der Erde gelegenen Saal, daß ich viele Gesichter nicht erkennen konnte. Ich sah jedoch einen Altar mit dem Bild eines Gottes, der einen Stier tötete. Er trug eine Krone auf dem Haupt. Dann wurde es still. Der Älteste der Versammlung begann heilige Texte herzusagen, die er auswendig konnte. Er sprach lateinisch, und ich verstand nur die Bedeutung einiger der heiligsten Worte nicht, begriff aber, daß nach dieser Lehre ein ständiger Kampf zwischen Licht und Dunkelheit, Gut und Böse „ausgetragen wurde. Schließlich verlosch auch das letzte Licht. Ich vernahm ein geheimnisvolles Plätschern und ein silbrig klingendes Glöckchen. Viele seufzten tief, und Barbus packte mich am Arm. Licht, das aus verborgenen Öffnungen in den Wänden fiel, erhellte die Krone des Gottes und dann das ganze Bild.
Mehr will ich über die Mysterien nicht berichten. Ich überzeugte mich davon, daß die Mithrasanbeter voll ernster Frömmigkeit waren und fest an ein künftiges Leben glaubten. Nach dem Sieg des Lichts und der guten Mächte wurden die Fackeln im Saal wieder angezündet, und wir nahmen ein anspruchsloses Mahl ein. Die Anwesenden waren heiter und wie von einer Last befreit, ihre Gesichter leuchteten vor Freude, und sie sprachen freundlich und ohne Rücksicht auf Rang oder Einweihungsgrad miteinander. Das Mahl bestand aus zähem Ochsenfleisch und dem billigen, sauren Wein, den man in den Lagern bekommt.
Den frommen Gesängen und dem übrigen Gerede entnahm ich, daß diese ehrlichen, wenn auch einfachen Männer aufrichtig nach einem untadeligen Leben strebten. Die meisten waren Witwer oder unverehelicht und suchten Trost und Schutz bei ihrem siegreichen Sonnengott und im Beisammensein mit Gleichgesinnten. Zumindest fürchteten sie keine Zauberei und glaubten an keine anderen Vorzeichen als an ihre eigenen.
Ich fand, daß diese Gesellschaft Barbus nur nützen konnte, aber mich selbst sprachen diese Zeremonien nicht an. Vielleicht fühlte ich mich zu gebildet und zu jung unter diesen ernsten, älteren Männern. Zuletzt begannen sie übrigens Geschichten zu erzählen, aber es waren die gleichen Geschichten, die man auch ohne Zeremonien an allen Grenzen des Römischen Reiches an den Lagerfeuern zu hören bekommt. Ich suchte den Tempel nicht mehr auf.
Doch die Unruhe verließ mich nicht. Bisweilen nahm ich den schäbigen Holzbecher aus meiner verschlossenen Truhe, streichelte ihn und dachte an meine griechische Mutter, die ich nicht gekannt hatte. Zuletzt trank ich, um ihrer zu gedenken, ein wenig Wein aus dem Becher und errötete dabei über meinen Aberglauben. Es war mir in solchen Augenblicken, als fühlte ich die gute, zärtliche Nähe meiner Mutter, aber ich scheute mich, mit jemandem darüber zu sprechen.
Ich begann mich mit schonungslosen Reitübungen zu quälen, denn ich glaubte, größere Befriedigung zu verspüren, wenn ich ein schwer zu reitendes Pferd unter mir hatte, als wenn ich eine Nacht bei Claudia zubrachte und ohne Unterlaß mit ihr stritt. Jedenfalls konnte ich so mein schlechtes Gewissen und meine Selbstvorwürfe zum Schweigen bringen.
Der junge Lucius Domitius zeichnete sich nach wie vor auf dem Reitfeld aus, aber sein höchstes Glück war es, auf einem gut dressierten Pferd schön zu reiten. Er war der Erste unter den jungen Rittern, und Agrippina zuliebe beschlossen wir anderen Mitgliedern des Ritterstandes, ihm zu Ehren eine neue Goldmünze prägen zu lassen. Claudius hatte ihn übrigens noch vor Ablauf eines Jahres adoptiert.
Auf die eine Seite der Münze ließen wir sein feingeschnittenes Knabenprofil prägen und um das Bildnis herum seinen neuen Adoptivnamen: »Für Nero Claudius Drusus und zur Erinnerung an seinen Großvater Germanicus, den Bruder des Claudius.« Die Inschrift auf der anderen Seite lautete: »Die Ritterschaft freut sich ihres Führers.« In Wirklichkeit bezahlte Agrippina diese Münze, die als Erinnerungsgabe in allen Provinzen ausgeteilt wurde, zugleich aber, wie alle im Tempel der Juno Moneta geprägten Goldmünzen, vollgültiges Zahlungsmittel war. Natürlich verstand es Agrippina, eine kleine politische Demonstration zugunsten ihres Sohnes zu veranstalten. Von ihrem zweiten Gatten, Pasienus Crisus, der nur kurze Zeit Lucius Domitius’ Stiefvater gewesen war, hatte sie ein Vermögen von zweihundert Millionen Sesterze geerbt, das sie in ihrer Stellung als Gemahlin des Kaisers und Vertraute des Verwalters der Staatskasse geschickt zu vermehren wußte.
Der Zuname Germanicus war älter und ehrenvoller als der des Britannicus, den wir seiner Fallsucht und Pferdescheu wegen nicht mochten. Sogar über seine Geburt gingen gewisse Geschichten um, da Kaiser Gajus seinerzeit die siebzehnjährige Messalina gar zu rasch mit dem verlebten Claudius vermählt hatte.
Als Freund des Lucius Domitius nahm ich an dessen Adoptionsfest und den damit verbundenen Opferfeiern teil. Ganz Rom war der Meinung, daß er seine neue Stellung auf Grund seiner kaiserlichen Abstammung und seines eigenen angenehmen Wesens verdiente. Wir nannten ihn von diesem Tage an nur noch Nero. Den Adoptivnamen wählte Claudius zur Erinnerung an seinen eigenen Vater, den jüngeren Bruder des Kaisers Tiberius.
Lucius Domitius oder Nero war von allen jungen Römern, die ich kannte, der begabteste. Er war sowohl körperlich als auch geistig reifer als seine Altersgenossen. Er rang gern und besiegte alle, obgleich gesagt werden muß, daß es, bei der allgemeinen Bewunderung, die er genoß, niemand ernstlich darauf anlegte, ihn zu besiegen, um sein empfindliches Gemüt nicht zu kränken. Nero konnte noch immer zu weinen beginnen, wenn seine Mutter oder sein Rhetor Seneca ihn zu streng tadelten. Er wurde von den vornehmsten Lehrern Roms unterrichtet, und sein Lehrer in der Redekunst war Seneca. Ich mochte meinen jungen Freund Nero gut leiden, obwohl ich oft genug bemerkte, daß er geschickt und durchaus glaubwürdig log, wenn er etwas angestellt hatte, was Seneca tadelnswert fand. Doch wer tut das nicht! Außerdem war es nicht möglich, Nero lange böse zu sein.
Agrippina sorgte dafür, daß Nero an den offiziellen Mählern des Claudius teilnahm und im gleichen Abstand wie Britannicus am Fußende von dessen Liegesofa saß. Auf diese Weise konnten die Vornehmen Roms wie auch die Gesandten aus den Provinzen ihn kennenlernen und die beiden Knaben miteinander vergleichen: den aufgeweckten, liebenswürdigen Nero und den mürrischen Britannicus. Agrippina lud die Söhne der vornehmen Familien Roms der Reihe nach an den Tisch der beiden Knaben. Nero übernahm die Rolle des Gastgebers, und Seneca leitete die Unterhaltung, indem er jedem ein Thema stellte, über das er zu reden hatte. Ich glaube, er gab Nero sein Thema im voraus und half ihm bei der Ausarbeitung, denn Nero zeichnete sich jedesmal durch seine gewandte, schöne Sprache aus.
Ich wurde oft eingeladen, denn mindestens die Hälfte der Gäste trug schon die Toga, und Nero schien mich aufrichtig gern zu haben. Bald war ich es jedoch müde, immer wieder zu hören, wie die Redner ihren Vortrag mit denselben abgedroschenen Versen des Vergil oder Horaz oder mit Zitaten aus den Werken griechischer Dichter aufputzten. Deshalb begann ich mich auf diese Einladungen dadurch vorzubereiten, daß ich Senecas Werke las und mir seine Lieblingssentenzen über die Beherrschung des Zorns, die Kürze des Lebens und die unerschütterliche Ruhe des Weisen unter allen Schicksalsschlägen einprägte.
Als ich Seneca kennenlernte, empfand ich hohe Achtung vor ihm, denn es gab nichts auf der Welt, worüber er nicht mit seiner vorzüglich geschulten Stimme ein paar kluge, wohlüberlegte Worte zu sagen wußte. Nun wollte ich jedoch erproben, ob die Unerschütterlichkeit des Weisen auch größer war als die natürliche Eitelkeit des Menschen.
Selbstverständlich durchschaute Seneca mein Spiel, denn er war nicht dumm, aber es gefiel ihm offensichtlich, seine eigenen Gedanken im Verein mit denen der Großen der Vergangenheit ausgesprochen zu hören. Ich war noch dazu so durchtrieben und nannte nie seinen Namen, wenn ich ihn zitierte, denn das wäre eine gar zu grobe Schmeichelei gewesen, sondern sagte nur: »Ich las unlängst irgendwo …« oder: »Ich muß immer an folgenden Ausspruch denken …«
Nero machte den Stimmbruch durch, unter dem er sehr litt, und erhielt mit vierzehn Jahren die Toga. Das Opfer für Jupiter vollzog er als ein ganzer Mann, und er sagte die Opferlitaneien auf, ohne zu stottern und sich zu wiederholen. Die Leberschau ergab nur die günstigsten Vorzeichen. Nero lud die Jugend Roms zu einem großen Gastmahl, und der Senat beschloß einstimmig, daß er den Konsulsrang erhalten sollte, sobald er zwanzig war. Damit, nämlich als zukünftiger Konsul, bekam er unmittelbar Sitz und Stimme im Senat. Von Rhodos, der berühmten Insel der Philosophen, kamen Gesandte und baten um die Wiederherstellung der Freiheit und Selbstverwaltung der Insel. Ich weiß nicht, ob Claudius nicht ohnehin schon milder gegen die Bewohner von Rhodos gestimmt war. Jedenfalls war Seneca der Ansicht, daß dies die denkbar günstigste Gelegenheit für Nero sei, seine erste Rede in der Kurie zu halten. Mit Senecas Hilfe bereitete sich Nero in aller Heimlichkeit sorgfältig vor.
Mein Vater erzählte mir, daß er seinen Ohren nicht traute, als Nero nach der Rede der Gesandten und einigen sarkastischen Bemerkungen von Seiten der Senatoren plötzlich aufstand und »Ehrwürdige Väter!« rief. Alle wachten auf und blickten ihn erwartungsvoll an. Als Claudius durch ein Kopfnicken seine Zustimmung gegeben hatte, stieg Nero auf die Rednertribüne und sprach mit leidenschaftlicher Begeisterung von der ruhmreichen Geschichte der Insel Rhodos, ihren berühmten Philosophen und den großen Römern, die auf Rhodos ihre Bildung vollendet hatten. »Hat nicht die rosenduftende Insel der Weisen, der Gelehrten, der Dichter und Redner genug für ihren Irrtum gebüßt, und wird dieser nicht durch ihre Berühmtheit wiedergutgemacht!« Und so fort.
Als er geendet hatte, sahen alle Claudius an wie einen Verbrecher, da er es ja gewesen war, der dieser Insel die Freiheit geraubt hatte. Claudius fühlte sich schuldbewußt, und Neros Beredsamkeit hatte ihn erschüttert. »Starrt mich nicht an wie Kühe einen neuen Zaun«, knurrte er unwillig. »Faßt einen Beschluß. Ihr seid ja der römische Senat.«
Man schritt zur Abstimmung, und Neros Begnadigungsantrag erhielt nahezu fünfhundert Stimmen. Mein Vater meinte, am besten habe ihm Neros Bescheidenheit gefallen, denn als Antwort auf alle Glückwünsche sagte er nur: »Lobt nicht mich. Lobt meinen Lehrer.« Mit diesen Worten trat er auf Seneca zu und umarmte ihn. Seneca lächelte und sagte so laut, daß es alle hörten: »Nicht einmal der beste Rhetor könnte aus einem unbegabten Jüngling einen guten Redner machen.«
Die älteren unter den Senatoren lehnten jedoch Seneca ab, einmal wegen seines weltmännischen Auftretens und zum andernmal, weil sie meinten, der strenge Stoizismus der Alten sei in seinen Schriften zu eitler Schaumschlägerei geworden. Es hieß auch, er sei gar zu sehr darauf bedacht, schöne Knaben als Schüler zu gewinnen, doch das lag, glaube ich, nicht an Seneca allein, denn Nero verabscheute die Häßlichkeit in dem Grade, daß ein entstelltes Gesicht oder ein auffälliges Muttermal ihm die Eßlust verderben konnte. Mir selbst trat Seneca jedenfalls niemals nahe, und er verbot sogar dem zärtlichkeitsbedürftigen Nero, ihn zu küssen.
Nach seiner Ernennung zum Prätor führte Seneca hauptsächlich Zivilprozesse, die an sich beschwerlicher und schwieriger waren als Strafprozesse, da es dabei zumeist um Grundstücke, Besitzrechte, Scheidungen und Testamente ging. Er selbst sagte, es gehe ihm wider die Natur, einen Menschen zur Prügelstrafe oder zum Tode zu verurteilen. Als er bemerkte, daß ich mir jeden seiner Prozesse anhörte, sprach er mich eines Tages nach einer Verhandlung an und sagte: »Du bist begabt, Minutus Lausus. Du beherrscht neben der lateinischen Sprache die griechische und bekundest für Rechtsfragen das Interesse, das einem echten Römer ansteht. Möchtest du nicht mein Gehilfe werden und beispielsweise unter meiner Anleitung im Archiv Präjudizfälle und vergessene Verordnungen heraussuchen?«
Ich errötete vor Freude und Eitelkeit und antwortete, ein solcher Auftrag wäre mir eine große Ehre. Seneca machte eine säuerliche Miene und bemerkte: »Du verstehst, hoffe ich, daß mancher ein Auge aus seinem Kopf dafür geben würde, wenn er eine solche Gelegenheit erhielte, sich vor seinen Mitbewerbern um Beamtenstellen auszuzeichnen.«
Das verstand ich natürlich, und ich versicherte ihm, daß ich ihm für diese unvergleichliche Gunst ewig Dank wissen werde. Er schüttelte den Kopf. »Du weißt, daß ich für römische Begriffe kein reicher Mann bin. Ich baue mir gerade ein Haus, und wenn es fertig ist, will ich mich wieder verheiraten, um den Verleumdungen ein Ende zu machen. Du verfügst ja wohl selbst über dein Eigentum und kannst mir ein Entgelt für meine juristischen Belehrungen zahlen?«
Ich rang vor Verblüffung nach Atem und bat ihn, mir meinen Unverstand zu verzeihen. Auf meine Frage, wieviel er verlange, lächelte Seneca, klopfte mir auf die Schulter und sagte: »Es ist vielleicht das klügste, du berätst dich mit deinem reichen Vater Marcus Mecentius.«
Ich suchte meinen Vater unverzüglich auf und fragte ihn, ob beispielsweise zehn Goldstücke ein unziemlich großes Geschenk für einen Philosophen seien, der die Genügsamkeit und ein einfaches Leben liebt. Mein Vater lachte hellauf und rief: »Ich kenne Senecas bescheidene Gewohnheiten. Laß mich nur machen, und kümmere dich nicht mehr um die Sache.« Später hörte ich, daß er Seneca tausend Goldstücke oder, mit anderen Worten, einhunderttausend Sesterze schickte, was für meine Begriffe eine ungeheuerliche Summe war. Seneca nahm jedoch keinen Anstoß, ja er behandelte mich womöglich noch freundlicher als zuvor, um zu zeigen, daß er meinem Vater diese geschmacklose Übertreibung, die nur einem Emporkömmling einfallen konnte, verzieh.
Ich arbeitete mehrere Monate als Senecas Gehilfe im Prätorium. Er war unbedingt gerecht in seinen Urteilen, die genau überlegt waren. Keinem Advokaten gelang es, ihn durch Beredsamkeit irrezuführen, denn er war selbst der hervorragendste Redner seiner Zeit. Trotzdem streuten einige, die ihren Prozeß verloren hatten, das Gerücht aus, er habe sich bestechen lassen; doch das wird freilich jedem Prätor nachgesagt. Seneca selbst versicherte, er habe niemals vor dem Urteilsspruch Geschenke angenommen. »Andererseits«, meinte er, »ist es ganz natürlich, daß sich der Gewinner eines Prozesses, in dem es etwa um das Besitzrecht an einem Grundstück im Werte von einer Million Sesterze ging, dem Richter erkenntlich zeigt, denn kein Beamter kann vom bloßen Prätorensold leben und während seiner Amtszeit auch noch Gratisvorstellungen im Theater bezahlen.«
Es war wieder Frühling geworden. Das frische Grün, die wärmende Sonne und die Zitherklänge lenkten unsere Gedanken von den trockenen, geschraubten juristischen Texten ab und zu den leichtsinnigen Versen des Ovid und des Properz hin, und ich sann immer häufiger darüber nach, was ich mit Claudia beginnen sollte. Nach und nach kam ich zu der Überzeugung, daß Agrippina der einzige Mensch sei, der eine gute und gerechte Lösung finden könnte. Mit Tante Laelia konnte ich nicht über Claudia sprechen, und noch weniger mit Tullia. An einem schönen Abend, als die Wolken über Rom goldrot glühten, bot sich mir endlich die erhoffte Gelegenheit. Nero nahm mich in die Gärten auf dem Pincius mit, und dort trafen wir seine Mutter, die den Gärtnern Anweisungen für die Frühjahrsarbeit gab. Ihr Gesicht strahlte vor Freude, wie immer, wenn sie mit ihrem schönen Sohn zusammentraf. Mich fragte sie mütterlich: »Was drückt dich, Minutus Manilianus? Du siehst aus, als hättest du einen heimlichen Kummer. Dein Blick ist unstet, und du wagst mir nicht in die Augen zu sehen.«
Ich wagte es doch, und ihre Augen waren so klar und allwissend wie die einer Göttin. Ich fragte stammelnd: »Erlaubst du wirklich, daß ich von einer großen Sorge mit dir spreche?«
Sie führte mich freundlich ein Stück von den Gärtnern und den zur Erde gebückten Sklaven fort und bat mich, aufrichtig und ohne Furcht zu sprechen. Ich erzählte ihr von Claudia, aber schon bei meinen ersten Worten richtete sie sich steif auf, obwohl sich kein Muskel in ihrem ruhigen Antlitz verzog.
»Plautia Urgulanillas Ruf war bedenklich«, erinnerte sie sich. »In meiner Kindheit kannte ich sie sogar, obgleich ich wünsche, ich hätte sie nie gesehen. Wie ist es möglich, daß du mit so einem Mädchen bekannt werden konntest? Soviel ich weiß, darf sie sich nicht innerhalb der Stadtmauern blicken lassen. Hütet denn dieser Bastard nicht irgendwo auf Aulus Plautius’ Gütern die Ziegen?«
Ich berichtete, wie wir zusammengetroffen waren, aber als ich mehr erzählen wollte, unterbrach mich Agrippina ständig mit neuen Fragen, um, wie sie sagte, der Sache ganz auf den Grund zu kommen. Zuletzt gelang es mir aber doch noch zu gestehen: »Wir lieben uns und möchten heiraten, wenn wir nur wüßten, wie wir es anfangen sollen.«
»Minutus, solche Mädchen heiratet man nicht«, sagte Agrippina kurz.
Ich versuchte, Claudias gute Eigenschaften zu loben, aber Agrippina hörte kaum zu. Mit Tränen in den Augen starrte sie in die blutrot über Rom untergehende Sonne, so als hätten meine Worte sie tief betrübt. Schließlich unterbrach sie mich und fragte: »Seid ihr beisammen gelegen? Sage es, wie es ist.«
Ich durfte die Wahrheit nicht verschweigen, beging jedoch den Fehler, zu sagen, daß wir miteinander glücklich waren und uns gut verstanden, was allerdings, seit wir so oft Streit hatten, nicht mehr ganz stimmte, und dann fragte ich schüchtern, ob es nicht möglich wäre, daß eine unbescholtene Familie Claudia adoptierte.
»Armer Minutus, worauf hast du dich da eingelassen?« antwortete Agrippina mitleidig. »In ganz Rom wirst du keine achtbare Familie finden, die um einen noch so hohen Preis bereit wäre, sie zu adoptieren. Und ließe wirklich eine Claudia ihren Namen tragen, so würde das nur beweisen, daß sie nicht achtbar ist.«
Ich versuchte, meine Worte so wohl zu setzen, wie ich nur vermochte, aber Agrippina war unerschütterlich. »Als Beschützerin des Ritterstandes ist es meine Pflicht, an dein Bestes zu denken und nicht nur an das arme leichtfertige Mädchen. Du bist dir nicht recht im klaren darüber, in was für einem Ruf sie steht, und ich will nichts weiter dazu sagen, da du mir in deiner Verblendung ohnehin nicht glauben würdest. Ich verspreche dir aber, daß ich über euch nachdenken werde.«
Ich sagte verwirrt, sie müsse mich falsch verstanden haben. Claudia sei weder leichtfertig noch verderbt, sonst hätte ich nie daran gedacht, mich mit ihr zu vermählen. Ich muß gestehen, daß Agrippina viel Geduld mit mir hatte. Sie fragte mich genau aus, was Claudia und ich miteinander getan hatten, lehrte mich den Unterschied zwischen Tugend und Lasterhaftigkeit im Bett und gab mir zu verstehen, daß Claudia in dieser Sache offenbar erfahrener war als ich.
»Der Gott Augustus selbst verbannte Ovid, der mit seinen sittenlosen Büchern zu beweisen versuchte, daß die Liebe eine Kunst sei«, sagte sie. »Du zweifelst doch wohl nicht an seinem Urteil! Solche Spiele gehören ins Hurenhaus, und der beste Beweis dafür ist, daß du mir nicht in die Augen sehen kannst, Minutus, ohne zu erröten.«
Ich fühlte mich trotz allem von einer schweren Bürde befreit, da ich mich der klugen, edlen Agrippina anvertraut hatte, und eilte froh aus der Stadt, um Claudia sogleich zu berichten, daß unser Schicksal in guten Händen lag. Ich hatte ihr zuvor nichts von meiner Absicht gesagt, um nicht Hoffnungen in ihr zu erwecken, die sich am Ende vielleicht als trügerisch herausstellten.
Als ich ihr aber nun von meiner Unterredung mit Agrippina berichtete, wurde sie vor Schreck so bleich, daß die Sommersprossen links und rechts von ihrer kräftigen Nase braun und häßlich auf der weißen Haut hervortraten. »Minutus, Minutus, was hast du da angerichtet!« jammerte sie. »Bist du denn wirklich ganz und gar von Sinnen?«
Ich war tief gekränkt, weil sie mich einer Sache wegen tadelte, die ich glaubte vortrefflich angepackt zu haben und auf die ich mich zudem nur ihr zuliebe eingelassen hatte. Es hatte nicht wenig Mut dazu gehört, mit Roms erster Dame über so heikle Dinge zu sprechen. Ich fragte Claudia, was sie gegen eine so edle Frau wie Agrippina habe, aber sie antwortete mir nicht, sondern saß nur da wie gelähmt, die Hände auf den Knien, und sah mich nicht einmal an.
Auch durch Zärtlichkeiten gelang es mir nicht, sie zum Sprechen zu bringen. Sie wies mich schroff ab, und zuletzt konnte ich mir ihr Verhalten nicht anders erklären als damit, daß sie etwas auf dem Gewissen hatte, was sie mir nicht sagen konnte oder wollte. Das einzige, was ich endlich von ihr zu hören bekam, war, daß es keinen Sinn habe, mir irgend etwas zu erklären, wenn ich so einfältig sei, einer Frau wie Agrippina zu vertrauen.
Ich verließ Claudia im Zorn, denn sie selbst hatte unserem für mich so angenehmen Verhältnis durch ihr ständiges Gerede von der Zukunft und von der Ehe ein Ende bereitet. Als ich schon ein Stück gegangen war, erschien sie in der Tür ihrer Hütte und rief mir nach: »Sollen wir so auseinandergehen, Minutus? Hast du kein gutes Wort für mich? Wir sehen uns vielleicht nie wieder.«
Ich war enttäuscht, weil sie sich nicht, wie bei früheren Versöhnungen, meinen Liebkosungen ergeben hatte, und antwortete zornig: »Beim Herkules, ich hoffe, ich brauche dich nie wiederzusehen!«
Als ich an der Tiberbrücke angekommen war, bereute ich meine Worte, aber mein Stolz hinderte mich daran, zu ihr zurückzukehren.
Ein Monat verging, ohne daß sich etwas Besonderes ereignete. Eines Tages nahm Seneca mich beiseite und sagte: »Du bist nun zwanzig Jahre alt, Minutus Lausus, und es ist an der Zeit, daß du dich, im Hinblick auf deine spätere Laufbahn, mit der Provinzverwaltung vertraut machst. Mein jüngerer Bruder wurde, wie du wissen dürftest, auf Grund seiner Verdienste für einige Jahre mit der Verwaltung der Provinz Achaia betraut. Nun schreibt er mir, daß er zu seiner Unterstützung jemanden braucht, der gesetzeskundig ist und militärische Erfahrungen besitzt. Du bist zwar noch jung, aber ich glaube dich zu kennen. Außerdem hat sich dein Vater mir gegenüber so freigebig erwiesen, daß ich meine, du vor allen anderen solltest diese ausgezeichnete Gelegenheit erhalten, dich zu verbessern. Du reist am besten so bald wie möglich. Nach Brundisium kannst du sofort fahren, und dort nimmst du das erste Schiff nach Korinth.«
Ich verstand, daß dies nicht nur ein Gunstbeweis, sondern ein Befehl war, aber ein junger Mann wie ich konnte kaum in eine bessere Provinz geschickt werden. Korinth ist eine lebensfrohe Stadt, und nicht weit davon liegt das alte Athen. Ich konnte auf meinen Inspektionsreisen all die erinnerungsträchtigen Stätten Hellas’ besuchen. Nach meiner Rückkehr in einigen Jahren durfte ich vielleicht schon auf ein Amt hoffen, auch ohne die Altersgrenze von dreißig Jahren erreicht zu haben. Daher dankte ich Seneca voll Ehrerbietung und begann mich augenblicklich auf meine Reise vorzubereiten.
Im Grunde kam mir dieser Auftrag so günstig gelegen wie nur möglich. Man wußte in Rom, daß sich die britischen Stämme wieder erhoben hatten, um zu sehen, wie weit sie es mit Ostorius treiben konnten. Vespasian wußte, woran er war, aber Ostorius war mit den Verhältnissen in Britannien noch nicht vertraut. Daher hatte ich schon befürchtet, ich könnte wieder dorthin geschickt werden, und dazu verspürte ich wenig Neigung. Sogar die Icener, bisher die friedlichsten und treuesten Bundesgenossen Roms, hatten begonnen, Ausfälle über ihren Grenzfluß zu unternehmen, und es wäre mir Lugundas wegen schwergefallen, gegen sie Krieg zu führen.
Ich glaubte, nicht reisen zu dürfen, ohne mich von Claudia verabschiedet zu haben, so schlecht sie mich auch behandelt hatte. Daher ging ich eines Tages auf die andere Tiberseite hinüber, aber Claudias Hütte war verriegelt und leer, niemand antwortete auf mein Rufen, und ihre Schafherde war fort. Ich lief verwundert zum Gut des Aulus Plautius hinüber, um mich nach ihr zu erkundigen. Dort wurde ich kühl empfangen, und niemand schien etwas über Claudia zu wissen. Es war, als dürfte man nicht einmal ihren Namen nennen.
Beunruhigt eilte ich in die Stadt zurück und suchte Tante Paulina in Plautius’ Haus auf. Die ständig in Trauer gekleidete alte Frau empfing mich noch verweinter als sonst, wollte mir aber keine Auskunft über Claudia geben.
»Je weniger du davon sprichst, desto besser«, sagte sie und musterte mich feindselig. »Du hast Claudia ins Verderben gestürzt, aber vielleicht wäre es früher oder später auch ohne dich so gekommen. Du bist noch jung, und ich kann nicht glauben, daß du weißt, was du getan hast, aber verzeihen kann ich dir darum doch nicht. Ich will zu Gott beten, daß er dir verzeiht.«
Vor so viel Geheimnistuerei befielen mich Angst und böse Ahnungen. Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Ich fühlte mich schuldlos, da alles zwischen Claudia und mir aus ihrem eigenen freien Willen geschehen war. Doch ich hatte keine Zeit zu verlieren.
Nachdem ich mich umgekleidet hatte, eilte ich zum Palatium, um von Nero Abschied zu nehmen, der mir sagte, er beneide mich aufrichtig, weil ich an Ort und Stelle die Bildung des alten Griechenland kennenlernen dürfe. Dann nahm er mich zum Zeichen seiner Freundschaft an der Hand und führte mich zu seiner Mutter, obwohl Agrippina gerade mit dem finsteren Pallas über den Büchern der Staatskasse saß. Pallas galt als der reichste Mann in ganz Rom. Er war so hochfahrend, daß er nie mit seinen Sklaven redete, sondern seine Wünsche nur durch Handbewegungen zu erkennen gab, die alle sofort verstehen mußten.
Die Störung kam Agrippina offensichtlich ungelegen, aber wie immer erhellte sich ihre Miene, als sie Nero erblickte. Sie wünschte mir Erfolg, warnte mich vor dem Leichtsinn und sagte, sie hoffe, ich würde mir von der griechischen Bildung das Beste aneignen, aber als guter Römer zurückkehren.
Ich stammelte etwas, sah ihr in die Augen und machte eine bittende Gebärde. Sie verstand auch ohne Worte, was ich wollte. Der vornehme Freigelassene Pallas würdigte mich nicht eines Blickes, sondern raschelte nur ungeduldig mit seiner Papyrusrolle und schrieb ein paar Zahlen auf eine Wachstafel. Agrippina forderte Nero auf, zu seinem Nutzen zuzusehen, wie geschickt Pallas hohe Zahlen addierte, und führte mich in einen anderen Saal. »Es ist besser, wenn Nero nicht hört, wovon wir reden«, sagte sie. »Er ist noch ein unschuldiger Knabe, wenn er auch schon die Toga trägt.«
Das war nicht wahr, denn Nero selbst hatte sich damit gebrüstet, daß er mit einer Sklavin geschlafen und es spaßeshalber auch mit einem Knaben versucht hatte, aber das konnte ich seiner Mutter nicht sagen. Agrippina betrachtete mich mit ihrem klaren, ruhigen Blick, seufzte und sagte: »Du willst von Claudia hören. Ich möchte dich nicht enttäuschen, denn ich weiß selbst, wie schwer man diese Dinge nimmt, wenn man jung ist, und doch ist es besser für dich, man öffnet dir beizeiten die Augen, wenn es auch schmerzt. Ich habe Claudia überwachen lassen. Um deinetwillen mußte ich ja die Wahrheit über ihren Lebenswandel in Erfahrung bringen. Es kümmert mich nicht, daß sie gegen das ausdrückliche Verbot verstoßen und die Stadt betreten hat, und es ist mir auch gleichgültig, daß sie zusammen mit Sklaven an gewissen geheimen Mählern teilgenommen hat, bei denen es nicht ganz schicklich zugegangen sein soll, aber es ist unverzeihlich, daß sie sich außerhalb der Stadtmauern und ohne die unerläßliche Gesundheitsüberwachung für ein paar schäbige Münzen an Fuhrleute, Hirten und dergleichen verkaufte.«
Diese schreckliche, unglaubliche Beschuldigung verschlug mir den Atem. Agrippina sah mich mitleidig an und fuhr fort: »Der Fall wurde ohne großes Aufsehen vor dem Ordnungsgericht verhandelt, und es gab genug Zeugen, die ich dir jedoch lieber nicht nennen will, damit du dich nicht zu sehr schämen mußt. Aus Barmherzigkeit wurde Claudia nicht nach Vorschrift bestraft. Man hat sie nicht ausgepeitscht und ihr nicht einmal das Haar geschnitten. Sie wurde in ein geschlossenes Haus in einer kleinen Landstadt gebracht, wo sie bessere Sitten lernen kann. Ich sage dir nicht, wo es ist, damit du mir keine Dummheiten machst. Wenn du sie nach deiner Rückkehr aus Griechenland sehen willst, kann ich es einrichten, vorausgesetzt, daß sie sich gebessert hat, aber du mußt mir versprechen, daß du vorher keinen Versuch unternehmen wirst, mit ihr in Verbindung zu treten. Das bist du mir schuldig.«
Ihre Worte waren mir so unfaßbar, daß mir schwindelte, und ich fühlte, wie meine Knie nachgaben. Unwillkürlich erinnerte ich mich an alles, was mir an Claudia ungewöhnlich vorgekommen war, und ich dachte an ihre Erfahrenheit und Heißblütigkeit. Agrippina legte ihre schöne Hand auf meinen Arm, schüttelte den Kopf und ermahnte mich: »Prüfe dich selbst, Minutus. Allein deine jugendliche Eitelkeit hindert dich daran, augenblicklich zu erkennen, wie grausam du hintergangen wurdest. Zieh die Lehre aus dem Geschehenen, und schenke verderbten Frauen und ihren Einflüsterungen nicht mehr soviel Glauben. Es war dein Glück, daß du dich noch rechtzeitig aus ihrer Umgarnung retten konntest, indem du dich an mich wandtest. Wenigstens darin hast du klug gehandelt.«
Ich starrte sie an und versuchte, in ihrem schönen Gesicht mit der zarten Haut und in ihren klaren Augen das geringste Anzeichen von Unsicherheit zu entdecken. Sie streichelte meine Wange und bat: »Sieh mir in die Augen, Minutus Lausus. Wem glaubst du mehr: mir oder diesem gewöhnlichen Mädchen, das dein blindes Vertrauen so grausam enttäuschte?«
Sowohl meine gesunde Vernunft als auch meine verwirrten Gefühle sagten mir, daß ich dieser gütigen Frau, der Gemahlin des Kaisers, mehr glauben müsse als Claudia. Ich senkte den Kopf, denn heiße Tränen der Enttäuschung stiegen mir in die Augen. Agrippina drückte mein Gesicht an ihren weichen Busen, und plötzlich spürte ich bei all meinem überschwenglichen Schmerz ein heißes Zittern in meinem Körper und errötete noch mehr über mich selbst.
»Ich bitte dich, mir nicht jetzt zu danken, obwohl ich viel für dich in einer Sache getan habe, die mich anekelte«, flüsterte sie mir ins Ohr, so daß ich ihren warmen Atem fühlte und noch heftiger zu zittern begann. »Ich weiß, du wirst mir später danken, wenn du Zeit gehabt hast nachzudenken. Ich habe dich aus der schlimmsten Gefahr errettet, die einem Jüngling an der Schwelle zum Mannesalter begegnen kann.«
Aus Furcht vor Augenzeugen schob sie mich von sich und schenkte mir noch einmal ein warmes Lächeln. Mein Gesicht war so heiß und von Tränen naß, daß ich es niemandem zeigen mochte. Agrippina schickte mich durch eine Hintertür aus dem Palast. Ich ging mit gesenktem Kopf und über die weißen Pflastersteine stolpernd die steile Gasse der Siegesgöttin hinunter.
Korinth ist eine Weltstadt – von allen Städten der Welt die lebhafteste und lebensfrohste, wie die Korinther selbst versichern. Mummius zerstörte sie vor zweihundert Jahren bis auf die Grundmauern, aber in unseren Tagen hat diese aus der Asche auferstandene Stadt dank der klugen Voraussicht des Gottes Julius Caesar wieder eine halbe Million Einwohner, die aus allen Ländern der Welt stammen. Von der Akropolis aus sieht man die Straßen bis in die späte Nacht hinein in hellem Licht erstrahlen, und mit seinem bunten Treiben ist Korinth für einen jungen Mann, der bitter über seine eigene Leichtgläubigkeit nachgrübelt, ein heilsamer Erholungsort. Mein Diener Hierax dagegen muß es oft bereut haben, daß er mich auf dem Sklavenmarkt in Rom mit Tränen in den Augen flehentlich gebeten hat, ihn zu kaufen. Er konnte lesen und schreiben, massieren, kochen und mit den Händlern feilschen und sprach Griechisch und gebrochen Latein. Er bat mich, den Preis nicht allzusehr zu drücken, da sein Hausvater sich nur widerstrebend und der Not gehorchend von ihm trennte, weil er auf Grund eines ungerechten Gerichtsurteils in Geldschwierigkeiten geraten war. Ich begriff, daß Hierax eine Provision erhielt, wenn es ihm durch seine Zungenfertigkeit gelang, den Preis in die Höhe zu treiben, aber in meiner damaligen Gemütsverfassung war ich ohnehin nicht zum Feilschen aufgelegt.
Hierax hoffte natürlich, einen jungen, freundlichen Herrn zu bekommen, und fürchtete, er könnte in ein sparsam geführtes Haus voll alter Geizkragen geraten. Mein Trübsinn und meine Schweigsamkeit lehrten auch ihn schweigen, so schwer es ihn ankam, denn er war ein echt griechischer Schwätzer. Mich konnte nicht einmal die Schiffsreise zerstreuen, und ich mochte mit niemandem sprechen. Daher gab ich Hierax meine Anweisungen nach der Art des Pallas nur mit Gesten. Er diente mir nach bestem Vermögen, vermutlich weil er fürchtete, hinter meinem finsteren Äußeren verberge sich ein im Grunde grausamer Herr, der sein Vergnügen daran fand, einen Sklaven zu züchtigen.
Hierax war als Sklave geboren und erzogen worden. Kräftig war er nicht, aber ich kaufte ihn, um nicht länger suchen zu müssen und weil er kein sichtbares Gebrechen hatte. Sogar seine Zähne waren gesund, obwohl er schon dreißig Jahre alt war. Natürlich nahm ich an, daß er irgendeinen anderen, verborgenen Fehler hatte, da er wieder verkauft worden war, aber in meiner Stellung konnte ich nicht ohne Diener reisen. Anfangs war er mir eine rechte Plage. Sobald ich ihn aber gelehrt hatte, zu schweigen und ebenso düster dreinzublicken wie ich selbst, kümmerte er sich ordentlich um mein Reisegepäck, meine Kleidung und meine Mahlzeiten, und er verstand es sogar, mir meinen immer noch weichen Bart zu scheren, ohne mich allzu oft zu schneiden.
In Korinth war er früher schon einmal gewesen, und er verschaffte uns Unterkunft in einer Herberge in der Nähe des Neptuntempels, die den Namen »Schiff und Laterne« führte. Es entsetzte ihn, daß ich nicht unverzüglich in den Tempel eilte, um ein Dankopfer für den glücklichen Ausgang der gefährlichen Seereise darzubringen, sondern als erstes zum Forum ging, um mich beim Prokonsul zu melden.
Der Sitz des Prokonsuls in Achaia war ein stattliches Gebäude mit einem Säulenportal. Der äußere Hof war von einer Mauer mit einem Wachhaus umgeben. Die beiden Legionäre, die vor dem Tor auf Posten standen, stocherten sich in den Zähnen, schwatzten mit den Vorübergehenden und hatten Schild und Lanze an die Mauer gelehnt. Sie schielten spöttisch nach meiner schmalen roten Borte, ließen mich aber ohne Fragen ein.
Der Prokonsul Lucius Annaeus Gallio empfing mich auf griechische Art gekleidet, nach Salben duftend und mit einem Blütenkranz auf dem Haupt, als wäre er im Begriff, zu einem Fest zu gehen. Er machte mir einen gutmütigen Eindruck und Keß sofort Wein aus Samos bringen, während er den Brief seines älteren Bruders Seneca und das andere Schreiben las, das ich ihm als Kurier des Senats überreicht hatte. Ich ließ meinen Glasbecher halb geleert stehen und verlangte nicht nach mehr Wein, da ich die ganze Welt, in der ich zu meinem Unglück geboren worden war, tief verachtete und überhaupt von den Menschen nichts Gutes mehr glauben mochte.
Als Gallio seine Briefe gelesen hatte, sah er mich ernst und aufmerksam an. »Ich glaube, du trägst die Toga am besten nur bei den Gerichtssitzungen«, schlug er mir vorsichtig vor. »Wir müssen bedenken, daß Achaia Achaia ist. Seine Zivilisation ist älter oder jedenfalls in unvergleichlich höherem Maße geistig als die römische. Die Griechen leben nach ihren eigenen Gesetzen und sorgen selbst für die Aufrechterhaltung der Ordnung. Rom verfolgt in Achaia eine Politik der Nichteinmischung. Wir lassen den Dingen ihren Lauf, solange man uns nicht ausdrücklich bittet einzuschreiten. Verbrechen gegen das Leben sind eine Seltenheit. Am meisten machen uns, wie in allen Hafenstädten, die Diebe und Betrüger zu schaffen. Amphitheater gibt es in Korinth keines, aber einen prächtigen Zirkus mit Wagenrennen. Die Theater sind jeden Abend geöffnet, und alle anderen Vergnügungen, die für einen anständigen jungen Mann in Frage kommen, gibt es im Übermaß.«
Ich antwortete verdrossen: »Ich bin nicht nach Korinth gekommen, um mich zu unterhalten, sondern um mich auf die Beamtenlaufbahn vorzubereiten.«
»Gewiß, gewiß«, stimmte Gallio mir bei. »Mein Bruder schreibt es mir in seinem Brief. Vielleicht meldest du dich zuerst einmal beim Kohortenführer unserer Garnison. Er ist ein Rubrius, behandle ihn also höflich. Im übrigen kannst du dafür sorgen, daß der Waffendienst wieder ernstgenommen wird. Die Leute sind unter seinem Kommando nachlässig geworden. Später gehst du dann auf Reisen und inspizierst die anderen Garnisonen. Viel sind es ohnehin nicht. Athen und gewisse andere heilige Städte betritt man aber tunlichst nicht in militärischem Aufzug. Die zerlumpte Kleidung des Philosophen ist dort eher am Platze. Einmal in der Woche halte ich hier vor dem Haus Gericht, und da mußt du natürlich zugegen sein. Die Sitzungen beginnen nicht zeitig am Vormittag, sondern am Nachmittag. Man muß sich an die Sitten des Landes halten, in das man kommt. Aber jetzt will ich dich durch das Haus führen und dich mit meinen Kanzleivorstehern bekanntmachen.
Freundlich plaudernd stellte er mich seinem Kassenverwalter und seinem Juristen, dem Vorsteher der Steuerbehörde für Achaia und dem römischen Handelsdelegierten vor.
»Ich würde dich gern in meinem Haus wohnen lassen«, sagte Gallio, »aber es ist für Rom vorteilhafter, wenn du dir in der Stadt eine Bleibe suchst, entweder in einer guten Herberge oder in einem eigenen Haus. Du kommst auf diese Weise mit der Bevölkerung in Berührung und lernst ihre Sitten, ihre Wünsche und Beschwerden kennen. Denk immer daran, daß wir Achaia äußerst behutsam anfassen müssen. Ich erwarte gerade einige Gelehrte und Philosophen zum Mittagessen und würde dich gern mit einladen, aber ich sehe, daß du von der Reise erschöpft bist und daß das Essen dir nicht schmecken würde, nachdem dir nicht einmal mein Wein zugesagt hat. Ruhe dich zuerst von deinen Anstrengungen aus, lerne die Stadt ein wenig kennen und melde dich dann bei Rubrius, wann es dir beliebt. Es eilt keineswegs.«
Zuletzt stellte mich Gallio auch seiner Gattin vor. Sie war in einen goldgestickten griechischen Mantel gekleidet und trug Sandalen aus vergoldetem Leder an den Füßen und einen Goldreif in ihrem kunstvoll aufgesteckten Haar. Sie blickte schelmisch zuerst mich und dann Gallio an, wurde ernst und begrüßte mich mit einer so trüb und düster klingenden Stimme, als drückten sie alle Sorgen der Welt, schlug sich plötzlich die Hand vor den Mund, kicherte und lief davon.
Ich fand, daß die aus Spanien gebürtige Helvia bei all ihrer Schönheit doch noch sehr kindisch war. Gallio unterdrückte ein Lächeln, blickte seiner Gattin erst nach und bestätigte mir meine eigene Meinung: »Ja, Lausus, sie ist zu jung und kann die Pflichten, die ihre Stellung ihr auferlegt, noch nicht ernst nehmen. Zum Glück ist das hier in Korinth nicht weiter von Bedeutung.«
Tags darauf überlegte ich lange, ob ich eine Nachricht in die Garnison schicken sollte, um für meinen Antrittsbesuch ein Reitpferd und eine Ehrenwache zu bekommen, worauf ich selbstverständlich ein Recht hatte. Da ich aber meinen Vorgesetzten Rubrius noch nicht kannte, hielt ich es zuletzt doch für das beste, eher bescheiden aufzutreten. Ich legte daher nur nach Vorschrift meinen Brustharnisch mit dem silbernen Adler an, zog die eisenbeschlagenen Schuhe und die Beinschienen an und setzte den Helm mit dem roten Federbusch auf. Um die Schultern legte mir Hierax den kurzen roten Kriegstribunenmantel.
Mein Aufzug erweckte so viel Aufsehen in der Herberge, daß sogar die Köche und die Putzweiber sich in der Tür drängten, um einen Blick zu erhaschen. Als ich mit klirrender Rüstung ein Stück marschiert war, begannen die Leute hinter und neben mir herzulaufen und zu gaffen. Die Männer zeigten auf meinen Helmbusch und riefen etwas, was ich nicht verstand, die Frauen betasteten meinen Brustharnisch, und einige Straßenjungen gingen schreiend und grölend im Gleichschritt neben mir her. Es dauerte dennoch eine Weile, bis ich endlich begriff, daß man mich verspottete.
Ich empfand meine Lage als so peinlich, daß ich am liebsten mein langes Reiterschwert gezogen und mit der flachen Klinge um mich gehauen hätte, sagte mir jedoch, daß das nur zu noch größerem Aufruhr führen würde, und wandte mich mit rotem Kopf an einen Ordnungswächter. Der verjagte mit seinem Rohrstock die Gassenjungen, um mir einen Weg zu bahnen. Trotzdem folgten mir noch immer mindestens hundert Menschen bis zum Tor der Garnison.
Die Posten nahmen hastig Schild und Lanze von der Mauer, und der eine blies auf seinem Horn Alarm, als er den johlenden Volkshaufen auf die Kaserne zukommen sah. Die Leute dachten jedoch nicht daran, den Bereich der Garnison zu betreten und sich dafür ein paar Stockhiebe einzuhandeln. Sie hielten im Halbkreis vor den Lanzenspitzen der Soldaten, riefen mir Glückwünsche zu und beteuerten, sie hätten seit Jahren keinen so erhebenden Anblick mehr genossen.
Der Oberzenturio der Kohorte kam im Untergewand auf mich zugerannt. Eine Handvoll mit Lanze und Schild bewaffneter Legionäre rottete sich zu einem formlosen Haufen auf dem Hof zusammen. Man möge mir verzeihen, daß ich sie in der Dummheit meiner Jugend anbrüllte und ihnen Befehle erteilte, wozu ich gar nicht berechtigt war, da ich mich noch nicht bei Rubrius gemeldet hatte. Ich jagte sie im Laufschritt zur Mauer und wieder zurück und befahl ihnen, ordentlich anzutreten, dann bat ich den Zenturio, den Befehl zu übernehmen. Er stand breitbeinig vor mir, die Arme in die Seiten gestemmt und mit langen Bartstoppeln im Gesicht, und antwortete verblüfft: »Rubrius schläft noch nach einer schweren Nachtübung, und es geht nicht an, ihn zu wecken. Auch die Mannschaft ist müde von der Übung. Wie wäre es, wenn du erst einmal einen Schluck Wein mit mir tränkest und mir sagtest, wer du bist, woher du kommst und warum du stirnrunzelnd und zähneknirschend auf uns niederfährst wie der Kriegsgott selbst?«
An seinem Gesicht und seinen narbenbedeckten Oberschenkeln erkannte ich, daß ich einen alten Veteranen vor mir hatte, und ich mußte seiner Aufforderung wohl nachkommen. Ein junger Ritter wie ich konnte von so einem alten Zenturio leicht einen Nasenstüber bekommen, und ich wollte nach der soeben erlittenen Schmach nicht auch noch vor der Mannschaft gedemütigt werden, von der bereits einige langsam auf uns zuschlenderten.
Der Zenturio führte mich in seine Kammer, die nach Leder und Metallputzmitteln roch, und wollte mir aus einem Tonkrug Wein einschenken. Ich lehnte ab und sagte, ich dürfe auf Grund eines Gelübdes nur Wasser und Gemüse zu mir nehmen. Er sah mich erstaunt an und meinte: »Korinth gilt im allgemeinen nicht als Verbannungsort. Du mußt aus einer sehr vornehmen Familie stammen, wenn man dich für das, was du in Rom angestellt hast, hierherschickt.«
Er kratzte sich am Kinn, daß die Bartstoppeln raschelten, gähnte herzhaft und trank dann selbst von dem Wein. Auf meinen Befehl holte er schließlich wenigstens Rubrius’ Schreiber und die Kohortenrolle und erklärte: »In der Stadt hier haben wir nur vor dem Hof des Prokonsuls und an den Toren der meistbenützten Straßen Posten stehen. In Kenchreae und Lykaion – das sind, wie du wissen dürftest, Häfen – befinden sich ständige Garnisonen, die ihre eigenen Unterkünfte haben, so daß die Männer nicht zwischen Hafen und Kaserne hin und her zu laufen brauchen. Laut Rolle sind wir eine vollzählige Kohorte samt Zeugmeistern und anderen Spezialisten, so dal? wir im Bedarfsfall eine selbständige Feldeinheit bilden können.«
Ich fragte nach der Reiterei, und der Zenturio antwortete: »Genaugenommen haben wir im Augenblick nicht einen einzigen Berittenen. Rubrius und dem Statthalter stehen natürlich Pferde zur Verfügung, aber sie benützen lieber eine Sänfte. Du kannst dir ja ein Pferd nehmen, wenn du unbedingt eines haben mußt. Im übrigen hat uns die korinthische Reiterei auf Befehl beizustehen.«
Als ich mich nach der Tageseinteilung, dem Exerzieren, Waffenputzen und dergleichen erkundigte, warf er mir einen mißtrauischen Blick zu und sagte: »Darüber sprichst du am besten mit Rubrius selbst. Ich bin nur sein Untergebener.«
Um Zeit zu gewinnen, besichtigte ich die leeren Unterkünfte, die voller Unrat und Spinnweben waren, die Waffenkammer, die Küche und den Altar. Die Garnison hatte keinen eigenen Adler, sondern nur eines der üblichen Kohortenfeldzeichen mit Quasten und Gedenkschildern. Ich war nach dieser Besichtigungsrunde ebenso verblüfft wie entsetzt.
»Wo stecken denn die Kerle alle?« rief ich laut. »Was tun wir, wenn wir plötzlich ausrücken und kämpfen müssen?«
Der Zenturio verlor allmählich die Geduld mit mir und antwortete übellaunig: »Das fragst du am besten auch deinen unmittelbaren Vorgesetzten Rubrius.«
Zu Mittag ließ mich Rubrius endlich rufen. Er bewohnte einen auf griechische Art sehr geschmackvoll eingerichteten Raum, und ich sah mindestens drei recht junge Frauen, die ihn bedienten. Er hatte eine Glatze, ein aufgedunsenes Gesicht mit geplatzten Äderchen und bläuliche Lippen. Ich bemerkte, daß er beim Gehen den linken Fuß nachzog. Er empfing mich herzlich, umarmte mich und blies mir seinen nach Wein riechenden Atem ins Gesicht und forderte mich auf, mich sogleich niederzulassen und mich so frei und ungezwungen zu benehmen, als wäre ich bei mir zu Hause.
»Du kommst aus Rom und wunderst dich gewiß über unser faules, bequemes Leben«, sagte er. »Es ist wirklich an der Zeit, daß einmal ein junger Ritter erscheint und uns Beine macht. Ach ja, du bist ja Kriegstribun und hast dir den Rang in Britannien erworben! Ich verstehe! Daß man dich hierherschickte, ist also eine Auszeichnung!«
Ich bat ihn um Dienstanweisungen. Er zögerte mit der Antwort und meinte schließlich: »Wir brauchen uns in Korinth nicht in Kriegsbereitschaft zu halten; im Gegenteil, der Rat der Stadt und die Einwohner würden das nur als eine Beleidigung auffassen. Die meisten Legionäre sind verheiratet. Ich habe ihnen erlaubt, bei ihren Familien in der Stadt zu wohnen, ein Handwerk auszuüben oder Handel zu treiben. Ab und zu, an römischen Festtagen, halten wir natürlich Musterung, aber nur innerhalb unserer Mauern, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen.«
Ich erkühnte mich, darauf hinzuweisen, daß die Soldaten, die ich gesehen hatte, faul und zuchtlos waren, daß in der Waffenkammer der Staub fingerdick lag und daß die Unterkünfte vor Schmutz starrten. »Wohl möglich«, gab Rubrius zu. »Ich habe mich schon seit einer Weile nicht mehr so recht um die Leute kümmern können. Das Gesellschaftsleben hier in Korinth fordert einen hohen Zoll von einem betagten Manne wie mir. Zum Glück habe ich einen zuverlässigen Oberzenturio, der für alles verantwortlich ist. An sich wärst du der nächste nach mir, aber es würde ihn kränken, wenn ich ihn zurücksetzte. Vielleicht könnt ihr euch miteinander einigen und euren Dienst sozusagen als Gleichgestellte tun, nur kommt mir nicht und beschwert euch einer über den andern. Ich habe in meinem Leben genug Verdruß gehabt und möchte meine restliche Zeit in Ruhe abdienen. Es sind ohnehin nur noch ein paar Jahre.« Plötzlich sah er mich scharf an und fügte anscheinend zerstreut hinzu: »Weißt du übrigens, daß meine Schwester Rubria die älteste der Vestalinnen in Rom ist?«
Danach gab er mir noch einige vorsichtige Ratschläge: »Denk immer daran, daß Korinth eine griechische Stadt ist, wenn sie auch von Menschen aus vielen anderen Ländern bewohnt wird. Militärische Verdienste gelten hier nicht viel. Wichtiger ist es, die richtigen Umgangsformen zu haben. Sieh dich erst einmal um und stelle dann selbst eine Dienstordnung auf, aber strenge mir meine Leute nicht über Gebühr an.«
Damit wurde ich entlassen. Auf dem Hof stand der Zenturio und fragte mich mit einem gehässigen Blick: »Nun, hast du Bescheid bekommen?«
Ich sah zwei Legionäre aus dem Tor bummeln, die ihre Schilde auf dem Rücken und die Lanzen über der Schulter trugen, und hörte den Zenturio zu meinem Entsetzen mit aller Ruhe erklären, dies sei eine Wachablösung.
»Sie sind ja nicht einmal gemustert worden!« rief ich. »Sollen sie denn wirklich so gehen, wie sie sind: mit schmutzigen Beinen und langen Haaren und ohne Begleitabteilung?«
»Hier in Korinth halten wir keine Wachparaden ab«, sagte der Zenturio ruhig. »Ich möchte dir außerdem raten, deinen Federbusch an den Nagel zu hängen und dich an den Landesbrauch zu gewöhnen.«
Er ließ mich jedoch gewähren, als ich die unteren Dienstränge zu mir rief und dafür zu sorgen befahl, daß die ganze Kaserne gereinigt und die Waffen geputzt wurden und daß die Männer sich die Barte schoren und im übrigen wieder einmal versuchten, wie Römer auszusehen. Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang wollte ich zurück sein und Musterung halten, und ich ordnete an, den Kerker zu scheuern und frische Ruten bereitzulegen. Die kampferprobten Veteranen sahen verwundert bald mich, bald den grimmige Fratzen schneidenden Zenturio an, entschieden sich aber dafür, den Mund zu halten. Ich nahm mir immerhin den Rat, den ich erhalten hatte, zu Herzen, ließ meine Paraderüstung in der Rüstkammer und kehrte in einfachem Lederzeug und mit dem runden Übungshelm in meine Herberge zurück.
Hierax hatte für mich Kohl und Bohnen dünsten lassen. Ich trank Wasser dazu und zog mich so niedergeschlagen in mein Zimmer zurück, daß ich nicht die geringste Lust verspürte, die Sehenswürdigkeiten Korinths kennenzulernen.
Als ich in der Morgendämmerung wieder zur Kaserne ging, bemerkte ich gleich, daß während meiner Abwesenheit einiges geschehen war. Die Posten am Tor nahmen Haltung an, streckten die Lanzen und grüßten mich mit einem lauten Ruf. Der Oberzenturio war übungsmäßig gekleidet. Er jagte die verschlafenen Männer zur Morgenwäsche an die Wassertröge und brüllte sie mit heiserer Stimme an. Der Barbier war vollauf beschäftigt, auf dem rußigen Altar prasselte ein Feuer, und der Hof roch wieder nach Militär und nicht mehr wie ein Schweinestall.
»Verzeih, daß ich kein Signal blasen ließ, als du kamst«, sagte der Zenturio spöttisch. »Rubrius legt Wert auf einen ungestörten Morgenschlaf. Nun übernimmst du wohl am besten den Befehl, und ich sehe zu. Die Männer warten schon auf ein Opfer. Ich denke, du stiftest ein paar Schweine, wenn dir ein Ochse zu teuer ist?«
Ich hatte auf Grund meiner Ausbildung wenig Erfahrung mit Schlachtopfern und fürchtete, mich der Lächerlichkeit auszusetzen, wenn ich quiekende Schweine abstach. »Das Opfer hat noch Zeit«, antwortete ich daher zornig. »Zuerst will ich sehen, ob es sich überhaupt lohnt, daß ich bleibe, oder ob ich den Auftrag nicht am besten gleich ablehne.«
Als ich sie exerzieren ließ, bemerkte ich, daß die kleine Mannschaft die Übungen beherrschte und ordentlich marschieren konnte, wenn sie nur wollte. Beim Laufschritt ging den Männern zwar bald der Atem aus, aber sie warfen ihre Speere immerhin wenigstens in die Nähe der Strohsäcke. Bei den Fechtübungen mit stumpfer Waffe fielen mir einige wirklich geschickte Fechter auf. Als zuletzt alle keuchten und schwitzten, meinte der Zenturio: »Willst du uns nicht auch deine eigene Fechtkunst vorführen? Ich bin zwar schon recht dick geworden und auch nicht mehr der Jüngste, aber ich möchte dir gern zeigen, wie wir in Pannonien das Schwert führten. Dort bekam ich nämlich den Zenturionenstab, in Carnuntum.«
Zu meiner Überraschung machte er mir schwer zu schaffen, und er würde mich zuletzt vermutlich an die Mauer gedrückt haben, obwohl ich das längere Schwert hatte, wenn ihm nicht vorzeitig der Atem ausgegangen wäre. Die Bewegung und der helle Sonnenschein brachten mich endlich wieder ein wenig zu mir, und ich begann mich meiner früheren Gereiztheit zu schämen. Ich sagte mir, daß diese Männer alle älter waren als ich und einige Jahrzehnte länger gedient hatten. Fast alle hatten einen Dienstgrad, denn es gab in einer Legion von der üblichen Stärke an die siebzig verschiedene Soldstufen, die den Zweck hatten, zu größerem Diensteifer anzuspornen.
Ich versuchte mich daher mit dem Oberzenturio auszusöhnen und sagte: »Nun bin ich bereit, einen Jungstier zu opfern. Außerdem komme ich für einen Widder auf, den du selbst opfern magst, und der älteste der Veteranen soll ein Schwein opfern. Es wird mir wohl keiner ernstlich darum grollen, daß ich eine kleine Übung abgehalten habe, damit wir uns aneinander gewöhnen!«
Der Zenturio musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen, seine Miene hellte sich auf, und er sagte: »Ich schicke sofort meine besten Leute auf den Viehmarkt und lasse sie die Opfertiere auswählen. Und ein wenig Wein wirst du gewiß auch spendieren wollen?«
Ich konnte mich natürlich nicht weigern, am Opfermahl teilzunehmen. Die Männer wetteiferten darin, mir die besten Fleischstücke aus den Tontöpfen zu fischen, und ich mußte auch Wein trinken. Nach den Anstrengungen dieses Tages fühlte ich mich vom Fleisch allein schon berauscht, und der Wein ging mir in die Kniekehlen, da ich solange enthaltsam gelebt hatte. Nach Einbruch der Dunkelheit kam eine Anzahl Frauen in den Hof geschlichen, und ich konnte über ihr Gewerbe nicht im Zweifel sein, obwohl einige von ihnen noch verhältnismäßig jung und hübsch waren. Ich erinnere mich noch, daß ich bitterlich weinte und dem Zenturio klagte, man könne nicht einer einzigen Frau auf der ganzen Welt trauen, weil jede ein Ausbund von Falschheit und eine Falle sei. Weiter erinnere ich mich noch, daß die Soldaten mich auf ihren Schultern rund um den Hof trugen und mir zu Ehren die alten unanständigen Lobgesänge der pannonischen Legion grölten. Was dann kam, weiß ich nicht mehr.
Gegen Morgen, zur Zeit der letzten Nachtwache, erwachte ich davon, daß ich mich erbrechen mußte. Ich lag auf einer harten Holzpritsche in einer der Kammern, stand auf, preßte die Hände an den Kopf und ging auf zitternden Beinen hinaus. Die Männer lagen über den ganzen Hof verstreut, ein jeder, wo er gerade hingefallen war. Ich war in einer so elenden Verfassung, daß die Sterne am Morgenhimmel vor meinen Augen tanzten, als ich hinaufblickte. Ich wusch mich, so gut es ging, und schämte mich so über meine Aufführung, daß ich mich vielleicht in mein Schwert gestürzt hätte, wenn nicht am Abend zuvor alle scharfen Waffen weggeschlossen worden wären.
Ich schwankte durch Korinths Straßen mit ihren verlöschenden Fackeln und Pechpfannen und erreichte endlich meine Herberge. Hierax hatte die ganze Nacht gewacht und voller Sorge auf mich gewartet. Als er sah, daß ich mich kaum auf den Beinen zu halten vermochte, zog er mich aus, rieb mir die Glieder mit einem feuchten Tuch, flößte mir ein bitteres Getränk ein, bettete mich auf mein Lager und deckte mich mit einer dicken Wolldecke zu. Als ich wieder erwachte, gab er mir behutsam einige Löffel mit Wein verquirltes Eigelb ein, und ehe ich noch an mein Gelübde denken konnte, hatte ich schon eine große Portion kräftig gewürztes gedünstetes Fleisch verschlungen. Hierax seufzte erleichtert und sagte: »Ich danke allen Göttern, bekannten und unbekannten, vor allem aber deiner eigenen Glücksgöttin! Ich war in großer Sorge um dich und fürchtete schon für deinen Verstand. Es ist weder recht noch natürlich, daß ein junger Mann von deinem Rang den Kopf hängen läßt und nur noch Kohl essen und Wasser trinken will. Deshalb fiel mir eine schwere Last von meinem Rücken, als du plötzlich, nach Wein und Erbrochenem stinkend, vor mir standest, und ich erkannte, daß du dich in das Los des Menschen gefügt hast.«
»Ich fürchte, ich darf mich in Korinth nicht mehr blicken lassen«, jammerte ich. »Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, habe ich sogar mit den einfachen Legionären zusammen den griechischen Bockstanz getanzt. Der Prokonsul Gallio wird mir einen Abschiedsbrief in die Hand drücken und mich mit Schimpf und Schande nach Rom zurückschicken, wo ich dann Schreiber oder Advokat werden kann.«
Hierax überredete mich jedoch, mit ihm auszugehen, und beteuerte, die Bewegung werde mir guttun. Wir besichtigten zusammen die Sehenswürdigkeiten Korinths, den morschen Steven des Argonautenschiffes im Neptuntempel, die Quelle des Pegasus und dessen Hufabdruck auf dem Fels daneben und anderes mehr. Hierax versuchte sogar, mich zu einem Besuch des berühmten Venustempels oben auf dem Berg zu verleiten, aber so viel Vernunft hatte ich noch, daß ich mich dem entschieden widersetzte.
Statt dessen betrachteten wir das korinthische Wunder: eine mit Talg geschmierte Holzbahn, auf der sogar große Schiffe zwischen Kenchreae und Lykaion hin- und hergeschleppt werden konnten. Man hätte meinen sollen, daß dazu Unmengen von Sklaven und unzählige Peitschenhiebe nötig seien, aber die griechischen Schiffsreeder hatten eine klug erdachte Vorrichtung aus Winden und Zahnrädern bauen lassen, mit deren Hilfe sich das Schleppen so einfach bewerkstelligen ließ, daß es aussah, als glitten die Schiffe ganz von selbst über die Bahn. Ein Seemann, der unser Interesse bemerkte, schwor bei den Nereiden, daß es bei vollem Rückenwind genüge, die Segel zu hissen. Nach dieser Wanderung fühlte ich mich erleichtert, mein Kummer verschwand allmählich, und als Hierax mir einige Abenteuer aus seinem Leben berichtete, konnte ich sogar ein paarmal lachen.
Dennoch war ich verlegen, als ich am nächsten Tag wieder in die Kaserne ging. Zum Glück war nach der Orgie alles säuberlich aufgeräumt worden, die Posten standen in guter Haltung auf ihren Plätzen, und der Dienst nahm seinen gewohnten Gang. Rubrius ließ mich zu sich rufen und erteilte mir eine schonungsvolle Verwarnung: »Du bist noch jung und unerfahren. Es besteht kein Grund, diese alten narbenbedeckten Männer dazu anzustiften, sich zu schlagen und dann die ganze Nacht hindurch betrunken zu grölen. Ich hoffe, das wird nicht mehr vorkommen. Du mußt versuchen, deine angeborene römische Roheit zu zügeln und, so gut es dir gelingt, die verfeinerten Sitten Korinths anzunehmen.«
Der Oberzenturio nahm mich, wie er es versprochen hatte, mit, um die Männer zu besuchen, die in der Kohortenrolle geführt wurden, aber in der Stadt wohnten und ein Gewerbe betrieben. Sie waren Schmiede, Gerber, Weber und sogar Töpfer, aber viele hatten einfach auf Grund ihres durch langjährigen Dienst erworbenen römischen Bürgerrechts in reiche Kaufmannsfamilien eingeheiratet und sicherten diesen besondere Vorrechte und sich selbst damit ein angenehmes Leben im Überfluß. Die Riemen ihrer Rüstung waren von Ratten zernagt, die Lanzenspitzen verrostet, die Schilde waren seit Menschengedenken nicht mehr blank geputzt worden, und nicht ein einziger war imstande, seine gesamte Ausrüstung vollständig vorzulegen.
Wohin wir kamen, bot man uns Wein und Speisen und sogar Silberstücke an. Ein Legionär, der sich auf den Parfümhandel verlegt hatte und seinen Schild nicht finden konnte, versuchte mich in ein Zimmer zu schieben, in dem ein leichtes Mädchen wartete. Als ich ihn wegen seiner Nachlässigkeit und seines unverschämten Benehmens tadelte, sagte er bitter: »Gut, gut. Ich weiß schon, was du willst. Aber wir bezahlen Rubrius schon so viel für das Recht, ein freies Gewerbe auszuüben, daß ich für deinen Beutel nicht mehr viele Drachmen übrig habe.«
Erst da verstand ich den Zusammenhang und versicherte ihm rasch, daß ich nicht gekommen war, um Bestechungsgelder zu erpressen, sondern nur, um meine Pflicht zu tun und mich zu vergewissern, daß alle in der Kohortenrolle geführten Männer wehrfähig waren und ihre Waffen bereithielten. Der Parfümhändler beruhigte sich und versprach, bei nächster Gelegenheit auf dem Trödelmarkt einen neuen Schild zu kaufen. Er erklärte sich sogar bereit, zu den Übungen zu erscheinen, wenn ich wollte, und meinte, ein wenig körperliche Betätigung würde ihm nur guttun, da er bei seinem Beruf den ganzen Tag sitzen müsse und zuviel Fett ansetze.
Ich sah ein, das es das klügste für mich war, mich nicht allzu sehr in die Angelegenheiten meines Vorgesetzten Rubrius einzumengen, vor allem da seine Schwester die vornehmste Priesterin Roms war. Der Oberzenturio ließ mit sich reden. Wir stellten zusammen eine Dienstordnung auf, die zumindest den Anschein erweckte, als wären die Männer beschäftigt. Nach der Inspektion der Wachtposten kamen wir überein, daß sie in Zukunft nach der Sonnen- und der Wasseruhr abgelöst werden sollten. Auch sollten sie nicht mehr sitzen oder liegen dürfen, und sie mußten vorschriftsmäßig gekleidet und ausgerüstet sein. Ich verstand zwar nicht, was die Doppelposten an den Stadttoren eigentlich bewachten, aber der Zenturio erklärte mir, daß die Tore seit hundert Jahren ihre Wache hatten und daß man diese nicht plötzlich abziehen konnte, ohne die Korinther zu verärgern, die durch ihre Steuern für den Unterhalt der römischen Garnison in ihrer Stadt aufkamen.
Ich kam allmählich zu der Überzeugung, daß ich meine Kriegstribunenpflichten in Korinth aufs beste versah. Die Legionäre hatten ihren ersten Groll gegen mich überwunden und grüßten mich freundlich. Als der Prokonsul Gerichtstag hielt, meldete ich mich bei ihm in der Toga. Ein griechischer Schreiber unterrichtete ihn im voraus über die zu verhandelnden Fälle, und Gallio befahl gähnend, den Richterstuhl vor das Haus zu stellen.
Als Richter war er mild und gerecht. Er fragte uns Beisitzer nach unserer Meinung, machte ab und zu einen Scherz, vernahm selbst mit aller Gründlichkeit die Zeugen und schob jeden Fall auf, der seiner Ansicht nach durch die Beweisführung der Advokaten und die Zeugenaussagen nicht völlig eindeutig geklärt wurde. Bei Streitigkeiten um Dinge, die ihn allzu geringfügig dünkten, weigerte er sich, ein Urteil zu fällen, und forderte Kläger und Beklagte auf, sich im guten zu einigen, sofern sie nicht wollten, daß er ihnen wegen Mißachtung des Gerichtes eine Geldbuße auferlegte. Nach der Gerichtssitzung lud er zu einem guten Mahl ein und erklärte mir einiges über die korinthischen Bronzen, die zu der Zeit in Rom eifrig gesammelt wurden.
Als ich, trotz allem ein wenig verstimmt wegen Gallios nüchterner Klügelei und der Gewöhnlichkeit dieses Gerichtes, in meine Herberge zurückkehrte, machte mir Hierax einen Vorschlag: »Ohne Zweifel hast du die Mittel, zu leben, wie du willst, aber es ist eine sinnlose Verschwendung, ein ganzes Jahr lang in einer Herberge zu wohnen. Korinth ist eine blühende Stadt. Du legst dein Geld am sichersten an, indem du ein eigenes Haus auf eigenem Grund erwirbst. Wenn du nicht genug Bargeld hast, kannst du als römischer Beamter bestimmt so viel Recht bekommen, wie du die Stirn hast zu verlangen.«
Ich antwortete ihm unwillig: »Ein Haus muß ständig repariert werden, mit den Dienern hat man nichts als Ärger, und als Grundbesitzer bin ich in Korinth steuerpflichtig. Warum sollte ich mir so viel Sorgen einhandeln? Es ist viel einfacher, mir eine billigere Herberge zu suchen, wenn ich wirklich glaube, daß man mir hier die Haut vom Leibe zieht.«
»Bin ich als dein Sklave nicht dazu da, dir alle deine Sorgen abzunehmen?« wandte Hierax ein. »Gib mir nur eine Vollmacht, und ich ordne alles zu deinem Besten. Du brauchst nichts anderes zu tun, als die Urkunde im Merkurtempel eigenhändig zu unterzeichnen. Schließlich wirst du Gastfreundschaft mit Gastfreundschaft erwidern müssen, und bedenke nur, was dich ein Mahl für beispielsweise sechs Personen mit Weinen hier in der Herberge kostet! Wenn du ein eigenes Haus hast, besorge ich selbst die Einkäufe auf dem Markt, kaufe den Wein zum Großhandelspreis und berate deine Köchin. Außerdem brauchst du nicht mehr gleichsam vor aller Augen zu leben, so daß jeder Fremde genau sagen kann, wann du dein Wasser abschlägst oder dir die Nase schneuzt.«
Es war viel gesunde Vernunft in dem, was Hierax sagte, und einige Tage später war ich plötzlich Eigentümer eines recht großen zweistöckigen Hauses mit einem Garten. Der Empfangssaal hatte einen schönen Mosaikboden, und Innenräume standen mir mehr zur Verfügung, als ich benötigte. Ich bemerkte, daß ich unversehens auch eine Köchin und einen griechischen Türhüter hatte. Das ganze Haus war mit alten bequemen Möbeln eingerichtet, so daß nichts neu oder neureich wirkte. Sogar ein paar griechische Hausgötter standen in Nischen zu beiden Seiten des vor Alter rußigen und Öligen Altars, und Hierax war so weit gegangen, bei einer Versteigerung einige Wachsmasken für Ahnenbilder zu erstehen, aber ich sagte ihm, ich wolle keine fremden Ahnen.
Meine ersten Gäste waren Rubrius, der Oberzenturio und Gallios griechischer Jurist. Hierax stellte einen griechischen Gelehrten an, der den Gästen Gesellschaft leisten sollte, und eine Tänzerin sowie einen Flötenspieler für die leichtere Unterhaltung. Die Speisen waren vorzüglich zubereitet. Um Mitternacht verabschiedeten sich meine Gäste im Zustand gesitteter Trunkenheit, aber später erfuhr ich, daß sie sich auf geradem Wege ins nächste Bordell hatten tragen lassen, denn von dort aus ließen sie mir eine gesalzene Rechnung schicken, um mich zu lehren, was in Korinth Brauch und Sitte sei. Ich war unvermählt, und deshalb hätte ich für jeden meiner Gäste eine Tischgenossin vom Tempelberg einladen müssen; doch in solche Sitten wollte ich mich nicht finden.
Ich weiß nicht, wie es mir noch ergangen wäre, denn Hierax tat sein Bestes, um mich behutsam und in aller Stille zu dem Hausvater zu erziehen, den er sich wünschte. Es kam jedoch der nächste Gerichtstag. Gallio hatte sich, übernächtigt von einem Fest, gerade gesetzt und die Toga über seinen Knien in gefällige Falten gelegt, als plötzlich ein hundertköpfiger Haufe Juden heranstürmte und zwei Männer, die ebenfalls Juden waren, vor den Richterstuhl stieß. Nach jüdischer Art schrien sie alle durcheinander, bis Gallio, der zuerst eine Weile lächelte, die Stimme erhob und rief, einer möge für alle sprechen. Sie berieten eine Weile, um ihre Anklage in allen Punkten festzulegen, dann trat der Vornehmste vor und sagte: »Dieser Mann verführt das Volk, Gott auf gesetzwidrige Weise zu ehren.«
Ich erschrak, weil ich befürchten mußte, auch hier, und noch dazu als Mitglied eines Gerichtes, in die Streitigkeiten der Juden mit hineingezogen zu werden. Der Angeklagte, den ich genau betrachtete, hatte einen stechenden Blick und große Ohren und bewahrte in seinem schäbigen Ziegenhaarmantel eine stolze Haltung.
Wie in einem Traum erinnerte ich mich, daß ich ihn vor vielen Jahren einmal im Hause meines Vaters in Antiochia gesehen hatte, und erschrak noch mehr, denn in Antiochia hatte er solchen Aufruhr verursacht, daß sogar die Juden, die sich zu Christus bekannten, es vorgezogen hatten, ihn aus der Stadt zu schicken, damit er anderswo Zwietracht unter den Juden säe.
Der Mann öffnete schon den Mund, um sich zu verteidigen, aber Gallio, der wohl wußte, was er zu erwarten hatte, bedeutete ihm zu schweigen und sagte zu den Juden: »Ginge es um ein Verbrechen oder eine Missetat, so würde ich euch gern geduldig anhören. Wenn ihr euch aber über euer Gesetz und eure Lehre streitet und darüber, wie ihr diese nennen wollt, so macht das unter euch aus. In dieser Sache sitze ich nicht zu Gericht.«
Dann befahl er den Juden, sich zu entfernen, wandte sich an uns Beisitzer und erklärte: »Wenn ich den Juden den kleinen Finger reichte, würde ich sie nie wieder los.«
Allem Anschein nach ließen sie ihm aber auch so keine Ruhe. Er lud uns nach der Sitzung wieder zum Essen ein, war jedoch zerstreut und versank in endlose Grübeleien. Zuletzt nahm er mich beiseite und sagte mir im Vertrauen: »Ich kenne den Mann sehr gut, den die Juden anklagen wollten. Er hält sich seit einem Jahr in Korinth auf, ist ein Zeltmacher und führt ein untadeliges Leben. Er heißt Paulus, und es wird behauptet, er habe, um seine Vergangenheit zu verbergen, seinen alten Namen abgelegt und den neuen nach dem früheren Statthalter auf Kypros, Sergius Paulus, angenommen. Auf Sergius machte seine Lehre damals tiefen Eindruck, und Sergius ist kein Narr, wenngleich er sich mit der Sterndeuterei versuchte und einen Zauberer bei sich wohnen ließ. Paulus muß daher ein bedeutender Mann sein. Ich hatte das Gefühl, daß seine stechenden Augen mitten durch mich hindurch in eine andere Welt blickten, als er da so furchtlos vor mir stand.«
»Er ist unter allen Juden der schlimmste Unruhestifter«, sagte ich. »Schon in Antiochia, als ich noch ein Kind war, versuchte er, meinen gutmütigen Vater für seine Sache zu mißbrauchen.«
»Du warst damals zweifellos noch zu jung, um seine Lehre zu verstehen«, sagte Gallio. »Bevor er nach Korinth kam, hat er auf dem Markt in Athen gesprochen. Die Athener machten sich die Mühe, ihn anzuhören, und erklärten sogar, sie wären nicht abgeneigt, ihn ein zweites Mal zu hören. Du willst doch wohl nicht klüger sein als die Athener? Ich würde ihn gern einmal heimlich zu mir bitten, um seine Lehre von Grund auf kennenzulernen, aber das könnte zu bösem Gerede Anlaß geben und die reichen Juden Korinths verärgern. Ich bin ja gezwungen, mich streng unparteiisch zu verhalten. Soviel ich weiß, hat er eine eigene Synagoge oder etwas dergleichen neben der Synagoge der Juden gegründet und unterscheidet sich von diesen zumindest dadurch angenehm, daß er sich nicht für mehr als andere hält und jeden ohne Ansehen der Person unterrichtet – Griechen sogar noch lieber als Juden.«
Gallio hatte über diese Dinge offenbar viel nachgedacht, denn er fuhr fort: »Als ich noch in Rom war, glaubte ich diese einfältige Geschichte von dem entsprungenen Sklaven namens Christus nie. Wir leben in einer Zeit, in der unsere Gedanken überall ins Leere stoßen. Von den Göttern will ich nicht reden, denn in ihrer überlieferten Gestalt sind sie nichts als Gleichnisse, mit denen sich schlichte Gemüter unterhalten mögen. Aber auch die Weisheitslehren machen den Menschen nicht besser, noch vermögen sie ihm den Frieden zu geben, das haben die Stoiker und Epikureer gezeigt. Vielleicht hat dieser elende Jude wirklich irgendein göttliches Geheimnis erfahren. Wie sollte seine Lehre sonst so viel Streit, Haß und Eifersucht unter den Juden erwecken?«
Ich will nicht alles wiedergeben, was Gallio mir in seiner Katerstimmung noch sagte. Zuletzt gab er mir aber den Befehl: »Geh zu diesem Mann, Minutus, und mache dich mit seiner Lehre bekannt. Du hast dazu die besten Voraussetzungen, denn du hast ihn schon in Antiochia kennengelernt. Im übrigen nehme ich an, daß du einiges über den Jahve der Juden und ihre Sitten und Gebräuche weißt, denn dein Vater soll in Antiochia mit großem Erfolg zwischen den Juden und dem Rat der Stadt vermittelt haben.«
Ich saß in einer Falle und kam nicht wieder heraus. Gallio hatte für alle meine Einwände taube Ohren. »Du mußt deine Vorurteile überwinden«, sagte er. »Wer die Wahrheit sucht, muß ehrlich und aufrichtig sein, sofern politische Rücksichten ihn nicht daran hindern. Zeit hast du genug, und du kannst sie dir auf schlechtere Weise vertreiben als damit, daß du das geheime Wissen dieses armen Juden und Welterlösers zu ergründen suchst.«
»Und wenn er mich durch Zauberei in seine Gewalt bringt?« fragte ich verbittert, aber Gallio fand meine Frage nicht einmal einer Antwort wert.
Ein Befehl ist ein Befehl, und ich mußte ihn nach bestem Vermögen ausführen. Es konnte für Gallio tatsächlich von Vorteil sein, volle Klarheit darüber zu erlangen, was dieser gefährliche und einflußreiche Aufwiegler lehrte. Am Tag des Saturn kleidete ich mich daher in ein einfaches griechisches Gewand, suchte die Synagoge der Juden und trat dann in das Haus nebenan. Ich sah, daß es gar keine richtige Synagoge war, sondern ein stilles Haus, das ein Stoffhändler der von Paulus gegründeten Gemeinde zur Verfügung gestellt hatte.
Der Gästeraum im oberen Stockwerk war gedrängt voll. Ich sah lauter einfache Menschen. Frohe Erwartung leuchtete in aller Augen. Sie begrüßten einander freundschaftlich und hießen auch mich willkommen, ohne nach meinem Namen zu fragen. Die meisten waren Handwerker, kleine Händler oder Sklaven, aber es gab da auch eine ganze Anzahl alter Frauen, die sich mit Silberschmuck behängt hatten. Der Kleidung nach zu urteilen, waren nur wenige der Anwesenden Juden.
Paulus erschien in Gesellschaft mehrerer Jünger. Er wurde mit Huldigungsrufen begrüßt wie der Bote eines wirklichen Gottes. Einige Frauen weinten vor Freude, als sie ihn erblickten. Er sprach mit hallender, durchdringender Stimme und steigerte sich durch seine eigenen Worte in einen solchen Eifer, daß es wie ein glutheißer Wind durch die schwitzende, dichtgedrängte Zuhörerschar ging.
Seine bloße Stimme ließ einen bis ins Mark erschauern. Ich hörte ihm aufmerksam zu und machte mir Anmerkungen auf einer Wachstafel, denn er wies gleich zu Anfang auf die heiligen Schriften der Juden hin, um durch Zitate daraus zu beweisen, daß Jesus von Nazareth, den man in Jerusalem gekreuzigt hatte, wirklich der Messias oder der Gesalbte war, dessen Kommen die Propheten vorausgesagt hatten.
Am meisten fesselte mich, daß er offen von seiner eigenen Vergangenheit sprach. Er war ohne Zweifel hoch begabt, denn er hatte in der bekannten Philosophenschule in seiner Heimatstadt Tarsos und später in Jerusalem bei berühmten Lehrern studiert. Schon in seiner Jugend war er in den höchsten Rat der Juden gewählt worden. Er berichtete, daß er ein leidenschaftlicher Anhänger des Gesetzes und Verfolger der Jünger Jesu gewesen war und sogar die Kleider der Steiniger bewacht und damit an der ersten gesetzwidrigen Hinrichtung eines Mitgliedes der Gemeinde der Armen teilgenommen hatte. Er hatte mehrere, die den neuen Weg wandelten, verfolgt, gebunden und vor den Richter geschleppt und zuletzt auf eigenes Begehren die Vollmacht erhalten, die Anhänger des Nazareners festzunehmen, die vor der Verfolgung nach Damaskus geflohen waren.
Auf dem Weg nach Damaskus hatte ihn aber plötzlich ein so überirdisches Licht umleuchtet, daß er davon geblendet wurde. Jesus selbst hatte sich ihm offenbart. Von dieser Stunde an war er ein anderer. In Damaskus legte ihm einer von denen, die sich zu Jesus bekannten, ein gewisser Ananias, die Hände auf und gab ihm das Augenlicht zurück, da Jesus von Nazareth ihm zeigen wollte, wieviel er dafür leiden müsse, daß er Christi Namen verkündete.
Und gelitten hatte er. Viele Male war er mit Ruten geschlagen worden, und einmal hatte man ihn beinahe zu Tode gesteinigt. Er trug, wie er behauptete, die Narben Christi an seinem Leib. All das hatten die Anwesenden schon oft gehört, aber sie lauschten ihm dennoch aufmerksam und brachen immer wieder in Freudenrufe aus.
Paulus bat sie, sich umzusehen und sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, daß sich unter ihnen nicht viele auf Menschenart Weise, Mächtige oder Vornehme befanden. Das war nach seiner Meinung ein Beweis dafür, daß Gott die Niedrigen und Verachteten erwählt hatte, um die Weisen zu beschämen. Ja, Gott erwählte die Törichten und Schwachen anstelle der Weisen, da er die Weisheit der Welt in Torheit verwandelt hatte.
Paulus sprach auch von einer Prüfung durch einen Geist und von einem Wettläufer, und dann redete er über die Liebe und sagte Dinge, wie ich sie noch nie zuvor vernommen hatte. Ein jeder müsse seinen Nächsten wie sich selbst lieben, und wenn einer anderen Gutes tue ohne Liebe, so helfe es ihm nichts. Ja, er sagte ausdrücklich, daß es einem Menschen nicht nütze, wenn er all seine Habe den Armen gäbe und seinen Leib verbrennen ließe, ohne wahre Liebe zu empfinden.
Diese Worte prägten sich mir tief ein. Auch Gallio hatte gesagt, daß Weisheit allein den Menschen nicht zu bessern vermöge. Ich begann darüber nachzugrübeln und achtete nicht mehr so genau auf Paulus’ Worte, die wie Sturmgebraus an mir vorüberzogen. Er redete ohne Zweifel in göttlicher Verzückung und sprach von dem einen und dem andern, ganz wie der Geist ihm die Worte in den Mund legte. Dabei schien er jedoch genau zu wissen, was er sagte, und darin unterschied er sich von den Christen, denen ich in Rom begegnet war und von denen der eine dies, der andere das behauptete. Alles, was ich bis dahin gehört hatte, war wie das Lallen eines Kindes, verglichen mit dieser kraftvollen Rede.
Ich versuchte das Wesentliche, den Kern seiner Lehre, zu erkennen und schrieb mir einige strittige Punkte auf, um später nach der Art der Griechen mit ihm diskutieren zu können, aber ich vermochte ihm kaum zu folgen, denn er eilte wie vom Winde getragen von einer Sache zur nächsten. Und obwohl ich ihm in meinem Innern widersprach, mußte ich doch zugeben, daß er ein bedeutender Mann war.
Zuletzt schickte er alle fort, die nicht getauft oder Mitglieder seines inneren Kreises waren. Einige baten ihn inniglich, sie zu taufen und ihnen die Hände aufs Haupt zu legen, aber er weigerte sich und gebot ihnen, die Taufe von ihren eigenen Lehrern entgegenzunehmen, denen die Gnade gegeben war. Er hatte, als er gerade erst nach Korinth gekommen war, den Fehler begangen, einige zu taufen, und dann hören müssen, daß diese sich damit brüsteten, in Pauli Namen getauft und damit seines Geistes teilhaftig zu sein. Eine solche Irrlehre wollte er nicht verbreiten, da er sich selbst zu gering erachtete.
In tiefe Gedanken versunken, ging ich heim und schloß mich in mein Zimmer ein. Ich glaubte nicht, was dieser Mensch behauptete, und dachte darüber nach, wie ich ihn widerlegen könnte. Als Mensch fesselte mich Paulus jedoch, und ich mußte widerwillig zugeben, daß er etwas Unerklärliches erlebt hatte. Wie wäre sonst sein Leben so von Grund auf verändert worden?
Zu seinen Gunsten sprach, daß er nicht den Vornehmen und Reichen nach dem Munde redete und Geschenke von ihnen annahm, wie es die wandernden Isispriester und andere zu tun pflegten, die es darauf anlegten, den Menschen den Kopf zu verdrehen. Der einfache Sklave, ja sogar ein Schwachsinniger, war ihm gleich viel, wenn nicht mehr wert als ein Weiser und Vornehmer. Daß Sklaven Menschen seien, lehrte zwar auch Seneca, aber Seneca ließ sich darum doch nicht mit Sklaven ein. Er suchte sich einen anderen Umgang.
Ich wurde zuletzt gewahr, daß ich bei all meinen Grübeleien mehr Argumente gegen Paulus als für ihn zu finden suchte. Ein mächtiger Geist mußte aus ihm sprechen, da ich nicht ungerührt abseits zu stehen und kalt und klar über seinen wahnwitzigen Aberglauben nachzudenken vermochte, um dann Gallio lächelnd Bericht zu erstatten. Meine Vernunft sagte mir, daß ich nicht einen so tiefen Widerwillen gegen die Selbstsicherheit dieses Paulus empfinden würde, wenn seine Gedanken mich nicht trotz allem beeindruckt hätten.
Ich mochte nicht mehr über ihn nachdenken und verspürte wieder einmal das Bedürfnis, aus dem alten Holzbecher meiner Mutter zu trinken, der meinem Vater so teuer gewesen war und den ich lange nicht mehr in der Hand gehalten hatte. Es wurde dämmerig in meinem Zimmer. Ich zündete jedoch keine Lampe an, sondern holte nur den Becher aus der Truhe, goß Wein ein und trank. Und plötzlich glitten meine Gedanken ins Bodenlose.
Die auf reine Vernunft gegründete Philosophie unserer Tage versagt dem Menschen alle Hoffnung. Er mag selbst entscheiden, ob er sein Dasein in vollen Zügen genießen oder ob er ein sittenstrenges Leben führen und dem Staate dienen will. Eine Seuche, ein fallender Ziegel, ein Loch im Boden kann seinem Leben von einem Augenblick zum andern ein Ende machen. Der Weise wählt den Selbstmord, wenn ihm das Leben unerträglich wird. Pflanze, Stein, Tier und Mensch sind nichts als ein blindes Spiel der Atome ohne jeden tieferen Sinn. Es ist ebenso vernünftig, ein böser Mensch zu sein wie ein guter. Götter, Opfer, Vorzeichen sind nur ein staatlich genehmigter Aberglaube, der Frauen und einfache Menschen befriedigt.
Zwar gibt es Männer wie Simon den Zauberer oder die Druiden, die besondere geistige Kräfte entwickeln und einen Menschen in todesähnlichen Schlaf versenken oder einen schwächeren Willen beherrschen können, aber diese Kräfte kommen aus ihnen selbst und fliegen ihnen nicht von außen zu. Das ist meine feste Überzeugung, wenngleich die Druiden glauben, sie seien wirklich in der Unterwelt gewandert und hätten dort wahre Gesichte gehabt.
Der Weise kann durch seine Worte und sein Leben anderen ein Beispiel geben und, indem er ruhig und gefaßt stirbt, beweisen, daß Leben und Tod gleich unbedeutend sind. Doch ich glaube nicht, daß Weisheit dieser Art so sehr erstrebenswert sei.
Ich saß im Dunkeln, meine Gedanken gingen im Kreis, und auf eigentümliche Weise empfand ich die barmherzige Gegenwart meiner Mutter, als ich den abgenutzten Holzbecher in meinen Händen hielt. Auch an meinen Vater dachte ich, der ernstlich glaubte, der König der Juden sei nach der Kreuzigung auferstanden, und sich einredete, er habe ihn gesehen, als er mit meiner Mutter durch Galiläa wanderte. Schon als Knabe hatte ich immer befürchtet, er werde sich in den Augen aller anständigen Menschen unmöglich machen, indem er solch unsinnige Dinge äußerte. Doch was bedeutete mir eigentlich die Meinung der Anständigen oder über mir Stehenden, wenn das Leben sinnlos war? Es war freilich ein angenehmes Gefühl, als vornehmer junger Ritter einem Reich zu dienen, dessen Ziel es war, der Welt den Frieden und die römische Ordnung zu schenken, aber sind gute Straßen, prächtige Aquädukte, große Brücken und unvergängliche Steinhäuser wirklich das Letzte und Höchste, was der Mensch erstreben kann? Wozu lebe ich, Minutus Lausus Manilianus, und wozu bin ich da? Das fragte ich mich damals, und das frage ich mich noch heute, hier in der Wasserheilanstalt, wo man meine Durchblutungsstörungen behandelt und ich zum Zeitvertreib die Ereignisse meines Lebens aufzeichne – für Dich, mein Sohn, der Du unlängst erst die Toga angelegt hast.
Am folgenden Tag überwand ich meinen Stolz und verließ das Haus, um Paulus im Viertel der Zeltmacher aufzusuchen und mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Schließlich war er römischer Bürger und nicht nur Jude.
Der Zunftälteste wußte sogleich, wen ich meinte, lachte und sagte: »Du suchst den gelehrten Juden, der von seinem Gesetz abgefallen ist und eine neue Lehre verkündet, den Juden droht, Blut werde über ihre Häupter kommen und von ihnen verlangt, sie sollten sich nicht nur beschneiden, sondern gleich verschneiden lassen. Ein tüchtiger Kerl und ein guter Handwerker. Man braucht ihm nicht lange zuzureden. Wenn’s drauf ankommt, predigt er gleich am Webstuhl. Sein Ruf schafft uns übrigens neue Kunden. Was hättest du denn gern: ein Zelt oder einen regendichten Wintermantel?«
Als ich den geschwätzigen Alten wieder losgeworden war, ging ich weiter durch das staubige, mit Ziegenhaaren übersäte Viertel und kam an eine offene Werkstatt, in der zu meiner großen Verwunderung der schiefnasige Aquila, den ich aus Rom kannte, saß und mit Paulus um die Wette webte. Seine Frau Prisca erkannte mich sofort wieder, stieß einen Freudenruf aus und erzählte Paulus, wer ich war und wie tapfer ich einmal bei einer Schlägerei jenseits des Tibers die Christen gegen die rechtgläubigen Juden verteidigt hatte.
»Diese Zeiten sind freilich vorbei«, fügte Prisca rasch hinzu. »Wir bereuen heute den blinden Eifer, der uns dazu trieb, uns über die anderen zu stellen. Wir haben gelernt, die andere Wange hinzuhalten, wenn man uns schlägt, und für die zu beten, die uns verhöhnen.«
Sie sprach noch immer so lebhaft wie früher, und Aquila war noch immer so schweigsam wie früher und unterbrach seine eintönige Arbeit nicht, um mich zu begrüßen. Ich fragte sie über ihre Flucht aus und wie es ihnen in Korinth ergehe. Sie könnten nicht klagen, meinte Prisca, aber sie begann zu weinen, als sie der Toten gedachte, die auf der Flucht aus Rom in den Straßengräben liegengeblieben waren.
»Sie haben sich eine unvergängliche Siegespalme erworben«, versicherte sie. »Und sie starben nicht mit einem Fluch auf den Lippen, sondern priesen Jesus Christus, der sie von ihren Sünden erlöste und aus der Macht des Todes zum ewigen Leben führte.«
Ich wollte darauf nichts sagen, denn was war sie anderes als ein närrisches Judenweib, das den Ihren und den rechtgläubigen Juden in Rom großen Schaden zugefügt hatte. Ich wandte mich statt dessen voll Ehrerbietung an Paulus: »Ich habe dich gestern predigen gehört und möchte mir deine Lehre gründlich erklären lassen. Allerdings habe ich mir nach deiner Rede einige Gegenargumente zurechtgelegt, so daß wir diskutieren können, wie es sich gehört. Hier können wir nicht ungestört sprechen. Möchtest du nicht zum Abendessen zu mir kommen? Wenn ich dich recht verstanden habe, hast du, was deine Lehre angeht, nichts zu verbergen, und gewiß hindert sie dich auch nicht daran, mit einem Römer zu Tisch zu liegen?«
Zu meinem Erstaunen fühlte sich Paulus durch meine Einladung nicht geehrt. Er musterte ‚mich mit seinem stechenden Blick und erwiderte kurz, Gottes Weisheit mache alle Argumente zuschanden. Er sei nicht berufen, zu disputieren, sondern für Jesus Christus Zeugnis abzulegen auf Grund der Offenbarung, die ihm zuteil geworden war.
»Ich habe aber gehört, daß du auf dem Markt in Athen gesprochen hast«, wandte ich ein. »Und die Athener haben dich gewiß nicht ziehen lassen, ohne mit dir zu disputieren.«
Ich hatte den Eindruck, daß Paulus nicht gern an sein Auftreten in Athen erinnert wurde. Sicherlich hatte man sich dort über ihn lustig gemacht. Er versicherte mir jedoch, einige hätten ihm geglaubt, darunter sogar ein Richter. Ob sie sich wirklich von dem fremden Redner hatten überzeugen lassen oder nur aus Feingefühl geschwiegen hatten, um diesen gläubigen Menschen nicht zu kränken, darauf wollte ich nicht näher eingehen.
»Du kannst mir aber doch einige aufrichtig gemeinte Fragen beantworten, und essen mußt du wohl wie alle anderen Menschen auch«, sagte ich, nun schon ein wenig gereizt. »Ich verspreche dir, daß ich deinen Gedankengang nicht mit rhetorischen Einwänden unterbrechen werde. Ich werde nicht disputieren, sondern nur zuhören.«
Aquila und Prisca redeten ihm beide zu, er solle die Einladung annehmen, und versicherten ihm, sie wüßten über mich nichts Böses zu berichten. Während der Unruhen in Rom hätte ich einmal, gleichsam aus Versehen, an einem Liebesmahl der Christen teilgenommen. Mein Vater helfe den Armen und trete auf wie ein gottesfürchtiger Mann. Ich glaube aber nicht, daß Paulus mir aus politischen Gründen mißtraute.
Als ich wieder daheim war, gab ich meine Anweisungen wegen des Abendessens und sah mich um. Auf seltsame Weise erschienen mir die Möbel und alle anderen Gegenstände fremd, und ein Fremder war mir auf einmal auch Hierax, den ich doch gut zu kennen glaubte. Was wußte ich eigentlich über den Türhüter oder die Köchin? Dadurch, daß ich mit ihnen sprach, vermochte ich sie nicht zu ergründen, denn sie antworteten mir nur, was mir ihrer Meinung nach gefallen mußte.
Ich hätte glücklich und mit meinem Leben zufrieden sein müssen. Ich hatte Geld, Ansehen, eine gewisse Stellung im Staatsdienst, hochgestellte Gönner und einen gesunden Körper. Die meisten Menschen brachten es in ihrem ganzen Leben nicht so weit wie ich in meinen jungen Jahren schon. Und doch konnte ich nicht froh sein.
Paulus kam mit seinen Begleitern, als der Abendstern aufging. Er hieß die anderen draußen warten und trat allein bei mir ein. Aus Höflichkeit ihm gegenüber hatte ich Tücher über meine Hausgötter gehängt, denn ich wußte, daß die Juden Menschenbilder verabscheuen, und ich ließ Hierax meinem Gast zu Ehren duftende Wachslichter anzünden.
Nach einem einfachen Gemüsegericht wurde ein Fleischgericht aufgetragen, aber ich sagte ihm, er brauche nicht davon zu kosten, wenn seine Lehre ihm verbiete, Heisch zu essen. Paulus bediente sich lächelnd und erwiderte, er wolle mir kein Ärgernis geben und nicht einmal danach fragen, wo das Heisch gekauft worden sei. Für Griechen wolle er Grieche sein, für Juden Jude. Er trank sogar mit Wasser vermischten Wein, bemerkte aber, daß er aus gewissen Gründen bald ein Gelübde zu tun beabsichtige.
Ich wollte ihn nicht durch verbotene Speisen oder heimtückische Fragen in Verlegenheit bringen. Als unser Gespräch frei dahinzufließen begann, versuchte ich meine Worte so vorsichtig wie möglich zu wählen. Von Gallios und Roms Standpunkt aus war es das Wichtigste, zu erfahren, wie er sich zum römischen Staat stellte.
Er versicherte mir, er rate allen, der weltlichen Obrigkeit zu gehorchen, die Gesetze zu befolgen und alles zu vermeiden, was Anstoß erregen könnte. Er hetzte die Sklaven nicht gegen ihre Herren auf, nein, denn seiner Meinung nach sollte sich ein jeder mit seiner Stellung begnügen. Ein Sklave, sagte er, müsse den Willen seines Herrn ausführen, ein Hausvater seine Diener gut behandeln und dessen eingedenk sein, daß ein Herr ist, der über allen steht.
Meinte er damit den Kaiser? Nein. Er meinte den lebendigen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und Jesus Christus, seinen Sohn, der nach seinen eigenen Worten wiederkehren wird, um die Lebenden und die Toten zu richten.
Ich mochte nicht länger bei dieser heiklen Sache verweilen, sondern fragte ihn, welche Vorschriften für das tägliche Leben er denen gab, die er bekehrte. Darüber hatte er offenbar viel nachgedacht, aber er begnügte sich damit, zu sagen: »Tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. Vergeltet nicht Böses mit Bösem, sondern trachtet, einander Gutes zu tun. Seid allezeit fröhlich. Betet ohne Unterlaß. Seid dankbar in allen Dingen.«
Er sagte mir auch, daß er seine Brüder auffordere, ein stilles Leben zu führen und mit ihren Händen zu arbeiten, daß er es ihnen aber verwiesen habe, die Hurer, die Geizigen, die Räuber und Götzendiener dieser Welt zu tadeln, denn das sei nicht ihre Sache, und sie müßten sich sonst selbst aus der Welt begeben. Wenn sich aber einer ihnen zugesellt habe und erweise sich als ein Hurer oder Geiziger oder Götzendiener oder Lästerer oder Trunkenbold oder Räuber, so müsse er zurechtgewiesen werden. Besserte er sich danach nicht, so dürfe man mit ihm nichts mehr zu schaffen haben und auch nicht mit ihm essen.
Ich fragte lächelnd: »Du verurteilst mich also nicht, obgleich ich in deinen Augen gewiß ein Götzendiener, Hurer und Trunkenbold bin?«
»Du stehst draußen«, antwortete er. »Es kommt mir nicht zu, dich zu richten. Wir richten nur, die drinnen sind. Dich wird Gott richten.«
Er sagte das so ernst, daß es klang, als stellte er eine eindeutige Tatsache fest, und ich in meinem Innern erbebte. Und obwohl ich mir vorgenommen hatte, ihn nicht zu kränken, konnte ich es mir doch nicht versagen, ihn spöttisch zu fragen: »Wann wird, nach den Auskünften, die du offenbar erhalten hast, Gerichtstag sein?«
Paulus erwiderte, es stehe ihm auch nicht zu, diesen Tag oder einen anderen vorauszusagen, aber der Tag des Herrn werde unerwartet kommen wie der Dieb in der Nacht. Ich entnahm seinen Worten, daß er glaubte, sein Herr werde noch zu seinen Lebzeiten wiederkehren.
»Wie wird das alles zugehen? Erklär mir das«, bat ich ihn.
Paulus stand plötzlich auf. »Der Herr wird vom Himmel niedersteigen, und die in Christus gestorben sind, werden als erste auferstehen. Dann wird man uns, die wir noch am Leben sind, mit ihnen zusammenführen, damit wir oben unter den Wolken dem Herrn gegenübertreten, und wir werden immer in der Nähe des Herrn weilen.«
»Und das Gericht, von dem du soviel sprichst?« fragte ich.
»Der Herr Jesus wird sich in einer Flamme am Himmel offenbaren mit den Engeln seiner Macht«, verkündete er. »Und er wird alle richten, die Gott nicht kennen und die Freudenbotschaft unseres Herrn Jesus nicht hören. Zur Strafe werden sie auf ewiglich aus dem Antlitz des Herrn und dem Glanz seiner Macht verdammt sein.«
Ich mußte zugeben, daß er sich zumindest nicht verstellte, sondern offen sagte, was seine Meinung war. Seine Worte rührten mich, denn er war aufrichtig in seinem Glaubenseifer. Ohne daß ich ihn danach fragte, berichtete er von Engeln und den Mächten des Bösen, von seinen Reisen in verschiedene Länder und von den Vollmachten, die ihm die Ältesten der Gemeinde in Jerusalem gegeben hatten. Am meisten verwunderte ich mich darüber, daß er nicht darauf aus war, mich zu seiner Lehre zu bekehren. Zuletzt hörte ich kaum noch, was er sagte, sondern unterwarf mich ganz der Kraft und Sicherheit, die aus ihm zu reden schien.
Ich spürte deutlich seine Nähe, ich roch den Duft der Wachslichter und der Speisen und nahm den Geruch von Weihrauch und reinem Ziegenhaar wahr. Es war gut, mit ihm zusammen zu sein, und doch strebte ich in meinem Halbschlaf von ihm fort. Ich fuhr aus meiner Betäubung auf und rief: »Wie kannst du dir einbilden, alles so genau und besser als andere Menschen zu wissen?«
Er breitete die Hände aus und sagte schlicht: »Ich bin Gottes Mitarbeiter.«
Und das war keine Lästerung, sondern er war ganz von seinen Worten überzeugt. Ich schlug die Hand vor die Stirn, sprang auf und lief wie behext im Zimmer hin und her. Wenn dieser Mann die Wahrheit sprach, konnte ich von ihm den Sinn all dessen, was geschah, erfahren. Ich gestand mit zitternder Stimme: »Ich verstehe nicht, was du sagst. Lege deine starken Hände auf mein Haupt, da es nun einmal so Sitte ist unter euch, damit dein Geist in mich eingeht und ich verstehe.«
Er rührte mich jedoch nicht an. Statt dessen versprach er, er werde für mich beten, daß Jesus sich auch mir zu erkennen gebe und mein Christus werde, denn die Zeit sei kurz und die Gestalt dieser Welt vergehe schon.
Als er gegangen war, dünkte mich plötzlich alles, was er gesagt hatte, der reine Wahnwitz. Ich schrie laut auf, schalt mich selbst für meine Leichtgläubigkeit, trat den Tisch um und zerschlug die Tontöpfe auf dem Boden.
Hierax stürzte ins Zimmer. Als er sah, in welchem Zustand ich mich befand, rief er den Türhüter zu Hilfe, und zusammen brachten sie mich ins Bett. Ich weinte laut, und plötzlich drängte sich ein wahnsinniger Schrei über meine Lippen, der nicht aus mir selbst kam. Es war, als hätte eine fremde Macht meinen ganzen Körper geschüttelt und sei als fürchterlicher Schrei aus mir gefahren.
Endlich schlief ich erschöpft ein. Am Morgen schmerzten mir der Kopf und alle Glieder. Ich blieb daher liegen und schluckte müde die bitteren Arzneien, die Hierax mir mischte. Er schalt mich und sagte: »Warum hast du nur diesen berüchtigten jüdischen Zauberer eingeladen? Von den Juden kommt nichts Gutes. Sie bringen es zustande, daß vernünftige Menschen an sich selbst irre werden.«
»Er ist kein Zauberer«, erwiderte ich. »Er ist entweder von Sinnen, oder er ist der stärkste Geist, der mir je begegnet ist. Ich fürchte sehr, er ist der Vertraute eines unbegreiflichen Gottes.«
Hierax sah mich bekümmert an. Dann sagte er: »Ich bin als Sklave geboren und zum Sklaven erzogen worden. Das hat mich gelehrt, alle Dinge von unten zu sehen und zu beurteilen, aus der Sicht der Frösche. Ich bin aber auch älter als du und viel gereist, habe Gutes und Schlimmes erlebt und die Menschen kennengelernt. Wenn du willst, gehe ich zu deinem Juden und höre ihn an, und dann will ich dir meine Meinung über ihn aufrichtig sagen.«
Seine Treue rührte mich, und ich fand, ich könnte von dem, was Hierax auf seine Weise über Paulus erfuhr, nur Nutzen haben. Deshalb sagte ich: »Ja, geh du zu ihm, hör an, was er lehrt, und versuche es zu begreifen.«
Dann schrieb ich einen kurzen Bericht für Gallio und drückte mich so knapp und sachlich aus, wie ich nur konnte:
»Minutus Lausus Manilianus über den Juden Paulus.
Ich hörte ihn in der Synagoge seiner Glaubensfreunde lehren. Ich verhörte ihn unter vier Augen. Er sprach offen, verstellte sich nicht, verbarg mir nichts.
Er ist Jude und stammt von jüdischen Eltern. Studierte in Tarsos, danach in Jerusalem. Römischer Bürger von Geburt, aus vermögendem Haus.
Rabbi. Davor Mitglied des Höchsten Rates in Jerusalem. Verfolgte früher die Jünger und Anhänger des Jesus von Nazareth. Hatte eine Offenbarung. Bekannte sich in Damaskus zu Jesus als zu dem Messias der Juden. Lebte in der Wüste. Entzweite sich in Antiochia mit dem Ersten der Jünger des Nazareners, Simon dem Fischer. Später wieder mit ihm versöhnt. Erhielt das Recht, Jesus auch Unbeschnittenen als den Christus zu verkünden.
Bereiste die östlichen Provinzen. Mehrfach bestraft. Taktik: Sucht zuerst die Synagoge der Juden auf. Verkündet Jesus als den Messias. Wird geprügelt. Bekehrt die Zuhörer, die den Gott der Juden annehmen wollen, zu seiner Partei. Beschneidung wird nicht gefordert. Das jüdische Gesetz braucht nicht befolgt zu werden. Wer glaubt, daß Jesus der Christus ist, erhält Gnade und ewiges Leben.
Kein Aufwiegler. Hetzt nicht die Sklaven auf. Ermahnt zu einem stillen Leben. Mischt sich nicht in die Angelegenheiten Außenstehender, sondern hält sich an seinesgleichen. Kraftvolle Persönlichkeit. Wirkt am stärksten auf solche, die schon vom Judenglauben angesteckt sind.
Zu beachten: Ist überzeugt, daß Jesus von Nazareth wiederkehren wird, um die ganze Welt zu richten, wobei Gottes Zorn alle treffen wird, die sich nicht zu Christus bekennen. In gewissem Sinne also ein Feind der Menschheit.
Politisch völlig ungefährlich für Rom. Sät Zwietracht und Zersplitterung unter den Juden. Wirkt dadurch zum Vorteil Roms.
Ich fand nichts Tadelnswertes an diesem Mann.«
Mit diesem Bericht ging ich zu Gallio. Er las ihn, blickte mich mit halb abgewandtem Gesicht verstohlen an und sagte: »Du bist sehr lakonisch.«
»Diese Aufzeichnungen sind nur eine Gedächtnishilfe«, erwiderte ich gereizt. »Wenn du willst, kann ich dir mehr über den Mann berichten.«
»Was für ein göttliches Geheimnis besitzt er?« fragte Gallio müde.
»Das weiß ich nicht«, sagte ich aufgebracht. Dann senkte ich den Kopf, fühlte, daß ich zitterte, und sagte: »Wenn ich nicht Römer wäre, würde ich vielleicht mein Kriegstribunenzeichen ablegen, auf meine Laufbahn verzichten und ihm folgen.«
Gallio sah mich prüfend an, richtete sich auf, streckte das Kinn in die Höhe und entgegnete kurz: »Ich habe einen Fehler begangen, indem ich dich zu ihm schickte. Du bist noch zu jung.«
Er schüttelte mißmutig den Kopf und fuhr fort: »Ja, das ist es. Du bist zu jung. Die Weisheit der Welt und die Genüsse des Lebens haben dich noch nicht zermürbt. Du bist doch nicht etwa krank, da du so zitterst? Wir haben hier zwar ausgezeichnete Wasserleitungen, aber manchmal bekommt man doch schlechtes Wasser zu trinken und wird von der Klimaseuche befallen, wie die korinthische Krankheit genannt wird. Ich habe sie selbst schon gehabt. Im übrigen kannst du unbesorgt sein. Ich glaube nicht, daß ihr Jesus von Nazareth noch zu unseren Lebzeiten wiederkehrt, um die Menschheit zu richten.«
Ich glaube aber, daß Gallio sich viel mit übernatürlichen Dingen beschäftigte, da er bisweilen darüber sprach, und welcher Römer ist wohl ganz frei von Aberglauben! Um sich abzulenken, bat er mich nun, Wein mit ihm zu trinken. Er rief seine Frau, damit sie uns Gesellschaft leiste, und begann uns ein Schauspiel vorzulesen, das er nach einer griechischen Vorlage in lateinischer Sprache geschrieben und für den römischen Geschmack bearbeitet hatte. Zwischendurch las er immer wieder griechische Verse vor, um zu zeigen, wie gut sich unsere Sprache den griechischen Rhythmen fügte, wenn man es nur richtig anpackte.
Das Schauspiel handelte vom Trojanischen Krieg und hätte mich interessieren müssen, da die Troer ja durch Aeneas die Vorfahren der Römer sind. Nachdem ich ein wenig Wein getrunken hatte, sagte ich jedoch: »Die griechische Buchsprache ist schön, aber heute klingt sie für meine Ohren merkwürdig tot. Paulus spricht die lebendige Sprache des Volkes.«
Gallio sah mich mitleidig an und erklärte: »In der Volkssprache kann man nur die allergröbsten Satyrspiele schreiben, weil sie an und für sich komisch wirkt. Daher bedienen sich ja auch die oskischen Schauspieler in Rom der Sprache des Marktes. Aber Philosophie in der Volkssprache? Du bist nicht bei Sinnen, Minutus!«
Er wurde plötzlich rot im Gesicht, rollte seine Handschrift zusammen und sagte: »Es wird Zeit, daß wir dir die jüdischen Giftdämpfe aus dem Kopf vertreiben. Du warst noch nicht in Athen. Wir haben einen kleinen Grenzstreit in Delphi, der eine Besichtigung am Platz erfordert, und in Olympia wird man sich wegen der Wettspiele nicht einig. Mach dich auf den Weg. Mein Vortragender in der Kanzlei gibt dir alle Auskünfte, die du brauchst, sowie eine Vollmacht.«
Die schöne Helvia strich ihm mit den Fingerspitzen über die Schläfe und die eine seiner feisten Wangen und sagte mitleidig: »Warum willst du einen begabten jungen Mann zu unaufhörlicher Wanderschaft verdammen? Die Griechen werden schon noch mit ihren Streitigkeiten zu dir kommen. Wir sind hier in Korinth. Die Freundschaft einer reifen Frau würde ihm gewiß mehr nützen als alles Umherziehen.«
Sie sah mich an Gallio vorbei lächelnd an und bedeckte ihre weiße Schulter, die sich unversehens entblößt hatte. Ich verstehe nicht genug von dergleichen Dingen, um den kunstvollen Faltenwurf ihres Gewandes, ihre Haartracht und den seltenen indischen Schmuck, den sie trug, zu beschreiben. Ich riß meine Blicke von ihr los, sprang auf, stellte mich breitbeinig in vorschriftsmäßiger Haltung vor Gallio auf und murmelte: »Wie du befiehlst, Prokonsul!«
Auf diese Weise hatte der jüdische Unruhestifter Paulus auch Gallio und mich entzweit. Ich ließ mein Haus in der Obhut meines Sklaven Hierax zurück und ritt mit einigen Männern der Kohorte und einem griechischen Führer aus der Stadt.
Über Delphi, Olympia und Athen gibt es so viele begeisterte Reiseschilderungen, daß ich ihre unvergleichlichen Sehenswürdigkeiten nicht eigens zu erwähnen brauche. nicht einmal Rom ist es bisher geglückt, aus diesen Städten mehr als einen geringen Teil der Kunstschätze fortzuschleppen, obwohl zugegeben werden muß, daß wir seit Sulla unser Bestes getan haben, Rom auf Kosten des griechischen Wunders zu bereichern.
Aber sosehr ich mich auch bemühte, alles Sehenswerte in mich aufzunehmen, erschien mir doch die Schönheit, die ich allenthalben sah, im Grunde nichtssagend. Weder der bemalte Marmor noch das Elfenbein noch das Gold der schönsten Statuen, die je geschaffen wurden, sprach zu meinem Herzen.
Mit dem Grenzstreit in Delphi befaßte ich mich gründlich und ließ mich der Gerechtigkeit halber von beiden Parteien zum Mahl einladen. In Delphi selbst sah ich mit eigenen Augen die Pythia in ihrem Rausch. Aus ihren unverständlichen Worten formte ihr Priester ein paar für mich schmeichelhafte Orakelverse, die es nicht wert sind, hier wiedergegeben zu werden.
Nahe bei Olympia gibt es einen heiligen Bezirk mit einem Tempel, den der Feldherr Xenophon vor mehr als vierhundert Jahren der Göttin Artemis weihte.
Ein Zehntel von allem, was dort geerntet wurde, war früher für das Erntefest der Bewohner dieses Landstrichs verwendet worden, und in den uralten Obstgärten durfte jeder so viel Früchte pflücken, wie er nur wollte.
Im Laufe der Jahre waren jedoch viele Grenzsteine verrückt worden, und der Tempel war verfallen. Zu Pompejus’ Zeiten hatte man sogar die Statue der Göttin nach Rom entführt. Die Bewohner der Gegend führten nun darüber Klage, daß der Mann, der das der Göttin geweihte Land in Besitz genommen hatte, die ursprünglich aufgestellten Bedingungen nicht mehr erfüllte. Sie bewahrten eine alte Steintafel auf, worauf noch deutlich zu lesen war: »Dies Land ist Artemis geweiht. Wer es besitzt, opfere jährlich einen zehnten Teil. Vom Verbleibenden unterhalte er den Tempel. Versäumt er diese Pflicht, die Göttin wird es ihm nicht vergessen.«
In der Volksversammlung berichteten einige Greise langatmig von ihren Erinnerungen aus früheren Zeiten, da zum Artemisfest Wein, Mehl und süßes Backwerk ausgeteilt worden waren. Ein jeder hatte auf dem heiligen Boden im Namen der Artemis jagen dürfen. Ich ließ sie alle ausreden. Der Besitzer des Landes gelobte, er werde den alten Brauch beim Erntefest wieder einführen, erklärte aber, es übersteige sein Vermögen, den Tempel instand zu halten.
In meinem Urteilsspruch sagte ich hierzu: »Dies ist nicht Sache Roms. Macht es mit der Göttin aus, wie es hier auf der Steintafel steht.«
Mit dieser Entscheidung war niemand zufrieden. Später, während meines Aufenthalts in Olympia, hörte ich, daß der Besitzer bei einer Rehjagd in eine Schlucht gestürzt war. Artemis hatte sich das Ihre geholt. Er hatte keine Leibeserben, weshalb die Bewohner der Gegend das heilige Land unter sich aufteilten. Ich nahm mir vor, mir diese Geschehnisse gut zu merken, um sie, falls ich noch einmal mit ihm zusammentreffen sollte, Claudius zu berichten. Der Kaiser liebte alte Denkmäler und Inschriften und konnte den Tempel leicht wieder instand setzen lassen.
Zuletzt kam ich nach Athen. Wie es die gute Sitte verlangt, legte ich meine Rüstung am Stadttor ab, zog einen weißen Mantel an, setzte mir einen Kranz auf und ging zu Fuß und nur von meinem griechischen Führer begleitet in die Stadt. Die Soldaten schickte ich auf Urlaub nach dem Piräus, wo sie sich im Schutz der römischen Garnison ein paar vergnügte Tage machen mochten.
Es stimmt, was man mir berichtet hatte; daß man nämlich in Athen mehr Götterbilder als Menschen sieht. Es gibt dort prachtvolle Bauten, die Könige aus dem Osten haben aufführen lassen, und auf dem Forum wandeln von morgens bis abends die Philosophen mit ihren Schülern umher. In jedem Winkel stößt man auf einen der Andenkenläden, in denen der billigste Kram verkauft wird, aber auch kostbare kleine Nachbildungen der Tempel und Götterbilder der Stadt.
Nachdem ich pflichtgemäß die Besuche im Rathaus und im Versammlungshaus des Areopags hinter mich gebracht hatte, zog ich in die beste Herberge und wurde dort mit allerlei jungen Leuten aus Rom bekannt, die in Athen ihre Bildung vervollkommneten, bevor sie die Beamtenlaufbahn antraten. Der eine lobte mir seinen Lehrer, ein anderer zählte mir die Namen und Preise berühmter Hetären auf, und wieder ein anderer nannte mir die besten Speisehäuser, in denen ich seiner Meinung nach unbedingt essen mußte.
Zahlreiche Führer wollten mir die Sehenswürdigkeiten Athens zeigen, aber als ich ein paar Tage auf dem Markt umhergegangen war und verschiedene Lehrer angehört hatte, kannte man mich und ließ mich in Ruhe. Ich fand bald heraus, daß alle Philosophen Athens darin wetteiferten, andere die Kunst zu lehren, wie man Gleichmut und unerschütterliche Seelenruhe erlangt. Sie redeten feurig und schnell, wandten treffende Gleichnisse an und disputierten gern miteinander.
Es befanden sich auch einige langhaarige, in Ziegenhäute gekleidete Philosophen unter ihnen. Diese wandernden Lehrer brüsteten sich damit, daß sie Indien oder Äthiopien bereist und geheime Kenntnisse erworben hätten. Sie berichteten so unglaubliche Lügen, daß sich die Zuhörer vor Lachen krümmten. Einige der schamlosesten Lügenmäuler soll der Areopag zwar aus der Stadt verwiesen haben, aber im übrigen konnte sich dort hinstellen, wer wollte, und reden, was ihm einfiel, solange er nicht die Götter lästerte oder sich in politische Dinge einmischte.
Ich aß und trank und versuchte mein Leben zu genießen. Es war angenehm, an einem sonnigen Tag nach einem guten Mahl auf einer warmen Marmorbank zu sitzen und die Schattenbilder zu betrachten, die die Vorübergehenden auf die Marmorfliesen des Marktes warfen. Der attische Witz ist scharf und feingeschliffen. In einem Disput gewinnt, wer die Lacher auf seine Seite bekommt. Aber das attische Lachen dünkte mich unfroh, und die Gedanken, die sich dahinter verbargen, prägten sich mir nicht so tief ein, wie sie es getan haben würden, wenn sie wirklich weise gewesen wären. Ich glaube, was in unseren Tagen in Athen gelehrt wird, ist eher eine verfeinerte Lebenskunst als Gegengewicht zur Ungeschliffenheit der Römer denn eine eigentliche Philosophie.
Aus reinem Trotz beschloß ich dennoch, in Athen zu bleiben und zu studieren, bis der Prokonsul Gallio mich nach Korinth zurückbeorderte. Doch in der Gemütsverfassung, in der ich mich befand, vermochten die Bücher in den Bibliotheken mich nicht zu fesseln, und ich fand auch keinen Lehrer, dessen Schüler ich werden wollte. Eine immer tiefere Bedrücktheit bemächtigte sich meiner, und ich fühlte mich in Athen als Fremder. Einige Male aß und trank ich mit den jungen Römern, nur um das unbarmherzige klare Latein anstelle des schwülstigen Griechisch sprechen zu können.
Eines Tages ging ich mit ihnen in das Haus einer berühmten Hetäre, hörte Flötenmusik und sah die Vorführungen von Tänzerinnen und Akrobaten. Ich glaubte unserer lächelnden Gastgeberin gern, als sie sagte, sie könne den Sinnengenuß zur schönen Kunst erheben. Sie trat mir jedoch nicht nahe, und keiner, der ihr Haus besuchte, war gezwungen, die Kunst des Sinnengenusses mit Hilfe einer ihrer angelernten Sklavinnen zu erlernen. Sie selbst unterhielt sich lieber mit ihren Gästen, als daß sie sich zu ihnen legte, und von denen, die mit ihr das Lager teilen wollten, verlangte sie einen so wahnwitzigen Preis, daß nur die reichsten alten Lebemänner ihn bezahlen konnten. Sie war daher so vermögend, daß sie uns junge Römer nicht dazu verleiten wollte, unser Reisegeld zu verschwenden.
Zu mir sagte sie schließlich: »Vielleicht ist meine Schule der Sinne nur etwas für die schon verlebten Alten, obgleich ich auf meine Kunst stolz bin. Du bist noch jung. Du weißt, was Hunger und Durst ist. Harziger Wein und trocken Brot schmecken deinem hungrigen Munde besser als zyprischer Wein und Flamingozungen einem ermüdeten Gaumen. Wenn du dich in eine Jungfrau verliebst, erregt der Anblick einer entblößten Schulter deine Sinne mehr als die Erfüllung deiner Begierde. Streich die Falten aus deiner Stirn, und freue dich deines Lebens, da du noch jung bist.«
»Berichte du mir lieber von göttlichen Geheimnissen, denn du dienst Aphrodite mit deiner Kunst«, bat ich sie.
Sie sah mich aus ihren schön geschwärzten Augen an und sagte zerstreut: »Aphrodite ist eine launische und unbarmherzige, aber auch herrliche Göttin. Wer am eifrigsten nach ihrer Gunst strebt und ihr am meisten opfert, bleibt unbefriedigt. Sie ist aus dem Schaum des Meeres geboren und ist selbst wie Schaum. Wer gierig nach ihren makellosen Gliedern greift, vor dem löst sie sich in Luft auf.«
Sie runzelte selbst ihre glatte Stirn, hob beide Hände und betrachtete gedankenverloren ihre hellrot gefärbten Nägel.
»Ich könnte dir an einem Beispiel zeigen, wie launisch die Göttin ist«, fuhr sie fort. »Unserer Zunft gehörte eine Frau an, die noch nicht sehr alt ist. Sie hat noch keine Runzeln oder andere Makel. Früher stand sie Bildhauern Modell und gewann damit großen Ruhm. Die Göttin blies ihr die Laune ein, daß sie alle berühmten Philosophen verführen müsse, die nach Athen kamen, um die Tugenden und die Kunst der Selbstbeherrschung zu lehren. Sie wollte in ihrer Eitelkeit die Weisheit dieser Männer zuschanden machen und sie so weit bringen, daß sie in ihren Armen weinten, und es gelang ihr auch. Zuerst hörte sie Abend für Abend demütig ihre Belehrungen an. Die Philosophen priesen sie als die weiseste aller Frauen, denen sie je begegnet seien, da sie so aufmerksam zuzuhören verstand. Aber nicht auf ihre Weisheit war sie aus, sondern sie verwandte ihre ganze Kunst darauf, ihre Tugend zu Fall zu bringen. Kaum war ihr das geglückt, da jagte sie die Männer spöttisch davon und wollte mit ihnen nichts mehr zu schaffen haben, obwohl sie vor ihrer Tür auf den Knien lagen und einer von ihnen sich sogar auf ihrer Schwelle das Leben nahm. Eines Tages aber, anderthalb Jahre mag es nun her sein, kam ein gelehrter Jude nach Athen.«
»Ein Jude!« rief ich und fuhr auf. Meine Kopfhaut begann zu prickeln, daß sich mir die Haare aufstellten. Die Hetäre mißverstand mein Erschrecken und fuhr fort: »Ja, ich weiß. Die Juden sind mächtige Zauberer, aber dieser war anders. Er sprach auf dem Markt und wurde, wie es der Brauch ist, vor dem Areopag über seine Lehre befragt. Er war kahlköpfig, hatte eine schiefe Nase und krumme Beine, aber er war voll Feuer. Die Frau, von der ich dir berichtete, verspürte unwiderstehliche Lust, auch die Lehre dieses Juden zuschanden zu machen. Sie lud ihn zusammen mit anderen Gästen in ihr Haus, um ihn anzuhören, kleidete sich sittsam und verhüllte ihm zu Ehren ihr Haupt. Aber wie sie es auch anstellte, es gelang ihr nicht, diesen Juden zu verführen oder ihn auch nur die Versuchung empfinden zu lassen. Zuletzt gab sie die Hoffnung auf und begann, ihm ernsthaft zuzuhören. Als er Athen wieder verlassen hatte, verfiel sie in tiefe Betrübnis, schloß ihr Haus für alle Gäste und pflegt nun nur noch Umgang mit einigen wenigen Athenern, die sich von der Lehre des Juden beeindrucken ließen; und solche gibt es, denn in Athen findet auch der närrischste Philosoph noch seine Anhänger. Auf diese Weise strafte die Göttin sie für ihre Eitelkeit, obwohl sie Aphrodite großen Ruhm eingebracht hatte. Ich für mein Teil habe daraus den Schluß gezogen, daß der Jude gar kein wirklicher Weisheitslehrer war, sondern von der Göttin selbst gefeit, so daß er allen Versuchungen widerstand. Unsere Freundin aber ist über ihre Niederlage so verbittert, daß sie aus unserer Zunft austreten und in aller Bescheidenheit von ihren Ersparnissen leben will.«
Sie lachte laut auf und warf mir einen Blick zu, der mich aufforderte, in ihr Lachen einzustimmen, doch danach war mir nicht zumute. Sie wurde wieder ernst und sagte: »Die Jugend flieht rasch dahin, die Schönheit vergeht, aber die Macht zu bezaubern kann man sich durch die Gnade der Göttin bis ins hohe Alter hinein bewahren. Dafür hatten wir ein Beispiel in der seinerzeit ältesten Angehörigen unserer Zunft, die noch mit siebzig Jahren jeden Jüngling zu verführen vermochte.«
»Wie heißt sie, und wo finde ich sie?« fragte ich.
»Sie ist schon Asche. Die Göttin ließ sie in ihrem Bett an einem Herzschlag sterben, als sie zum letztenmal ihre Kunst ausübte«, antwortete die Hetäre.
»Ich meine nicht sie, sondern die andere, die der Jude bekehrte«, sagte ich.
»Sie heißt Damaris, und den Weg zu ihrem Haus kannst du leicht erfragen, aber ich sagte dir schon, daß sie sich wegen ihres Versagens schämt und keine Gäste mehr empfängt. Was gefällt dir denn nicht hier bei mir?«
Ich besann mich darauf, was die Höflichkeit erforderte, lobte ihr Haus, die Vorführungen, die sie ihren Gästen bot, ihren duftenden Wein und ihre eigene unvergleichliche Schönheit, bis sie sich beruhigte und ihren Unmut vergaß. Nach einer Weile erhob ich mich, legte meine Gabe auf die Platte und kehrte in der düstersten Stimmung in meine Herberge zurück. Es war wie ein Fluch, daß ich nicht einmal in Athen dem Juden Paulus entging, denn von ihm war die Rede gewesen.
Ich konnte lange nicht einschlafen. Ich lag und lauschte auf die nächtlichen Geräusche der Herberge, bis durch die Ritzen im Fensterladen das erste Morgenlicht in mein Zimmer fiel und ich mir wünschte, ich wäre tot oder nie geboren worden. Ich hatte über nichts zu klagen. Ich hatte mehr erreicht als die meisten meiner Altersgenossen, und ich war gesund, wenn man von einem leichten Hinken absah, das mich nicht behinderte, es sei denn, ich hätte Pontifex in einem römischen Priesterkollegium werden wollen. Warum war alle Freude von mir genommen worden? Warum hatte Claudia meine Leichtgläubigkeit so grausam ausgenutzt? Warum war ich jedesmal so verzweifelt, wenn ich auf den Juden Paulus stieß? Zuletzt versank ich in einen tiefen Schlaf, aus dem ich erst um die Mittagszeit wieder erwachte. Ich hatte etwas Schönes geträumt, konnte mich aber nicht mehr erinnern, was es war, und nach den düsteren Gedanken der Nacht fühlte ich plötzlich die Gewißheit, daß ich nicht aus bloßem Zufall von der Hetäre Damaris erfahren hatte, sondern daß darin eine tiefere Bedeutung lag. Diese Überzeugung machte mich so froh, daß ich mit großer Lust aß und sodann zu einem Barbier ging, um mir Locken kämmen und meinen griechischen Mantel in die kunstvollsten Falten legen zu lassen.
Ich fand das schöne Haus der Damaris leicht. Der Türklopfer war eine korinthische Bronze in Gestalt einer Eidechse. Ich klopfte viele Male. Ein Mann, der vorbeiging, machte eine unanständige Gebärde und schüttelte den Kopf, um mir zu bedeuten, daß ich vergeblich Einlaß begehrte. Endlich öffnete mir eine verweinte junge Sklavin, die, als sie mich erblickte, die Tür gleich wieder schließen wollte, aber ich setzte meinen Fuß dazwischen und sagte, was mir als erstes einfiel: »Ich habe in Korinth den Juden Paulus getroffen. Über ihn will ich mit deiner Herrin sprechen. Ein anderes Begehren habe ich nicht.«
Das Mädchen ließ mich zögernd in einen Saal eintreten, in dem sich viele bemalte Statuen, bequeme Ruhelager und orientalische Wandteppiche befanden. Nach einer kleinen Weile erschien, nur halb bekleidet und barfuß, Damaris. Ihr Gesicht leuchtete in froher Erwartung, sie hieß mich mit erhobenen Händen eifrig willkommen und fragte: »Wer bist du, Fremder? Hast du mir wirklich Grüße von dem Boten Paulus zu überbringen?«
Ich versuchte ihr zu erklären, daß ich vor einiger Zeit in Korinth mit Paulus zusammengetroffen war und eine lange Unterredung mit ihm gehabt hatte, die mir unvergeßlich geblieben war. Nun hätte ich gehört, sagte ich, daß sie, Damaris, wegen der Lehre dieses wandernden Juden in Schwierigkeiten geraten sei, und sogleich den Entschluß gefaßt, mit ihr darüber zu sprechen.
Während ich dies sagte, betrachtete ich Damaris und sah, daß sie das beste Alter schon überschritten hatte. Die Freude auf ihrem Gesicht erlosch, und sie trat ein wenig zurück. Gewiß war sie einmal schön gewesen, und ihre schlanke Gestalt war noch immer ohne Fehl. Aufreizend gekleidet und schön gekämmt und geschminkt hätte sie, zumindest bei schwacher Beleuchtung, noch auf jeden Mann Eindruck machen können. Sie ließ sich müde auf einem Ruhebett nieder und gab auch mir ein Zeichen, mich zu setzen. Dann schien sie meinen forschenden Blick zu bemerken, denn sie strich sich nach Frauenart übers Haar, ordnete ihr Gewand und zog die nackten Füße unter die Falten ihres Mantels. Mehr als dies tat sie jedoch nicht für ihre äußere Erscheinung, sondern sah mich nur mit großen Augen fragend an. Plötzlich wurde mir so sonderbar wohl in ihrer Gesellschaft. Ich lächelte und sagte: »Diesem schrecklichen Juden verdanke ich es, daß ich mir vorkomme wie die Maus in der Falle. Ergeht es dir nicht ebenso, Damaris? Laß uns zusammen darüber nachdenken, wie wir aus der Falle herauskommen und unseres Lebens wieder froh werden können.«
Nun lächelte auch sie, hob aber abwehrend die Hand und sagte: »Wovor fürchtest du dich? Paulus ist der Bote des auferstandenen Christus und verbreitet die Botschaft der Freude. Erst seit ich ihn kenne, weiß ich, daß ich nie zuvor in meinem Leben wahre Freude empfunden habe.«
»Bist wirklich du das, die die Weisesten zu Fall gebracht hat?« rief ich verwundert. »Du sprichst, als wärst du von Sinnen.«
»Meine früheren Freunde glauben, ich hätte den Verstand verloren«, gestand sie offenherzig. »Aber lieber bin ich um der neuen Lehre willen von Sinnen, als daß ich mein früheres Leben fortsetze. Er war ganz anders als die liederlichen weißbärtigen Philosophen und durchschaute mich bis auf den Grund. Ich schämte mich und erschrak über das, was ich zuvor gewesen war. Durch seinen Herrn erhielt ich Vergebung für meine Sünden. Ich wandle den neuen Weg mit geschlossenen Augen, als leitete mich der Geist.«
Enttäuscht sagte ich: »Wenn es so ist, haben wir einander nicht mehr viel zu sagen.«
Sie hielt mich jedoch zurück, legte die eine Hand über ihre Augen und bat: »Geh nicht. Es hat eine Bedeutung, daß du gekommen bist. Du hast einen Stoß in deinem Herzen erhalten, sonst hättest du mich nicht aufgesucht. Wenn du willst, mache ich dich mit den Brüdern bekannt, die ihn anhörten und der Freudenbotschaft glaubten.«
Auf diese Weise lernte ich Damaris und einige Griechen kennen, die gegen Abend durch die Hintertür ihr Haus betraten, um über Paulus und die neue Lehre zu sprechen. Sie hatten sich schon früher durch die Neugier verführen lassen, die Synagogen zu besuchen und sich über den Gott der Juden zu unterrichten, und hatten sogar die heiligen Schriften der Juden gelesen. Der gelehrteste unter ihnen war Dionysos, ein Richter im Areopag, der von Amts wegen mit Paulus über dessen Lehre gesprochen hatte.
Aufrichtig gesagt, war die Rede des Dionysos so verworren und gelehrt, daß nicht einmal seine Freunde ihn ganz verstanden, und um so weniger ich. Er meinte es jedoch sicherlich gut. Damaris lauschte ihm mit dem gleichen abwesenden Lächeln, mit dem sie vermutlich den anderen Weisen zugehört hatte.
Nach der Unterhaltung lud uns Damaris immer zu einem einfachen Mahl ein. Wir brachen das Brot miteinander und tranken den Wein in Christi Namen, wie Paulus es sie gelehrt hatte. Aber selbst einem einfachen Liebesmahl dieser Art mußten die Athener eine vierfache Bedeutung unterlegen. Es war zugleich wirklich und symbolisch, sittlich erhebend und ein mystisches Streben nach Vereinigung mit Christus.
Während des Gesprächs betrachtete ich zumeist Damaris, und nach dem Mahl küßte ich sie gern, wie es die Sitte der Christen verlangt. Ich hatte noch keine Frau gesehen, die so anziehend und zugleich so natürlich war wie Damaris. Jede ihrer Bewegungen war schön, ihre Stimme war lieblich, so daß man mehr ihrem Klang lauschte als den Worten. Was sie auch tat, sie tat es so schön, daß man ihr mit unendlichem Wohlbehagen zusah, und dieses Wohlbehagen wurde zu warmer Freude, wenn ich zum Zeichen der Freundschaft ihre weichen Lippen küßte.
Paulus hatte den Griechen offensichtlich einige Nüsse zu knacken gegeben, und sie genossen ihre Diskussionen. Im wesentlichen glaubten sie wohl Paulus, aber ihre eigene Gelehrsamkeit gab ihnen doch allerlei Vorbehalte ein. Von Damaris bezaubert, begnügte ich mich damit, sie zu betrachten, und ließ all die vielen eitlen Worte an mir vorüberfliegen.
Sie waren sich zunächst einig, daß jedem Menschen eine Sehnsucht nach der Klarheit Gottes innewohne, begannen dann aber sogleich zu erörtern, ob und wieweit dieselbe Sehnsucht nicht auch Steinen, Pflanzen und Tieren eigen sei, die sich doch alle aus ursprünglich einfachen Formen weiterentwickelt hatten. Dionysos versicherte, Paulus besitze überraschend große geheime Kenntnisse von den Geistesmächten, glaubte aber selbst noch mehr von Rang und Ordnung dieser Mächte zu wissen. Für mich waren derlei Reden wie rinnendes Wasser.
Ich machte es mir zur Gewohnheit, Damaris ein kleines Geschenk mitzubringen, Blumen oder eingelegte Früchte, Badewerk oder reinsten Veildienhonig vom Hymettos. Sie sah mich, wenn sie die Geschenke entgegennahm, mit ihren klaren, wissenden Augen so aufmerksam an, daß ich mir jung und tolpatschig vorkam. Binnen kurzem wurde ich gewahr, daß ich sie ständig in meinen Gedanken trug und nur auf die Stunde wartete, da ich wieder zu ihr gehen konnte.
Ich glaube, sie lehrte mich bei unseren Gesprächen durch ihr bloßes Verhalten mehr als durch ihre Worte, und es kam der Tag, an dem ich mir eingestehen mußte, daß ich blind in sie verliebt war. Ich sehnte mich nach ihr, nach ihrer Nähe, ihrer Berührung, ihrem Kuß mehr, als ich mich je zuvor nach irgend etwas gesehnt hatte. Meine früheren Liebeserlebnisse erschienen mir bedeutungslos, verglichen mit dem, was ich in ihren Armen glaubte finden zu können, und es war mir, als sei allein dadurch, daß ich an sie dachte, alles in mir zu Asche verbrannt worden.
Ich erschrak über mich selbst. War es mir wirklich vorbestimmt, für den Rest meines Lebens eine Hetäre zu lieben, die zwanzig Jahre älter als ich war und die Spuren all dessen in sich trug, was sie an Bösem erlitten hatte? ich wäre am liebsten aus Athen geflohen, als mir die Wahrheit aufging, aber ich vermochte es schon nicht mehr. ich verstand die Weisen, die nach ihr geschmachtet hatten, ja, ich verstand sogar den Philosophen, der auf ihrer Schwelle aus dem Leben geschieden war, als er das Hoffnungslose seines Begehrens erkannt hatte.
Ich konnte nicht fliehen. ich mußte zu ihr gehen. Als wir wieder beisammen saßen und ich sie betrachtete, preßte ich die Lippen zusammen, und die heißen Tränen der Begierde stiegen mir in die Augen. »Vergib mir, Damaris«, flüsterte ich. »Ich fürchte, daß ich dich bis zum Wahnsinn liebe.«
Damaris sah mich mit ihrem klaren Blick an und fuhr mir mit den Fingerspitzen über die Hand. Mehr bedurfte es nicht, daß ein schreckliches Zittern durch meinen ganzen Körper lief. Meine Lust befreite sich in einem tiefen, Seufzer.
»Auch ich habe mich davor gefürchtet«, gestand Damaris. »Ich habe es kommen sehen. Zuerst war es nur eine unschuldige weiße Wolke am Horizont, aber nun ist es ein schwarzes Gewitter in dir. Ich hätte dich zur rechten Zeit fortschicken sollen, aber ich bin trotz allem nur eine Frau.«
Sie stützte das Kinn in die Hand, so daß sich die Falten an ihrem Hals glätteten, starrte vor sich hin und fragte finster: »So geht es immer. Der Mund trocknet, die Zunge bebt, die Augen tränen.«
Sie hatte recht. Die Zunge zitterte mir in meinem ausgetrockneten Mund, so daß ich nicht ein einziges Wort hervorbrachte. Ich warf mich vor ihr auf die Knie und versuchte die Arme um sie zu schlingen, aber Damaris wich mir aus und sagte: »Bedenke, daß man tausend Goldstücke für eine einzige Nacht mit mir geboten hat. Ein reicher Emporkömmling verkaufte um meinetwillen ein Silberbergwerk und begann sein Leben von neuem als armer Mann.«
»Ich kann dir tausend, ja zweitausend Goldstücke verschaffen, wenn du mir Zeit gibst, mit meinen Bankiers zu sprechen«, gelobte ich.
»Manchmal, wenn ich an einem schönen Jüngling Gefallen fand, gab ich mich auch mit einem Veilchen zufrieden«, sagte Damaris neckend. »Doch darüber wollen wir nun nicht sprechen. Ich will von dir kein Geschenk. Ich will dir selbst eines geben, und dieses Geschenk ist die traurige Gewißheit, die mir aus all meinen Erfahrungen wurde, daß die Genüsse des Fleisches eine Qual sind. Die Befriedigung der Sinne ist keine wirkliche Befriedigung, sondern weckt nur die Begierde nach noch schrecklicherer Befriedigung. Sich in die fleischliche Liebe stürzen, das ist wie sich auf glühende Kohlen werfen. Mein Feuer ist niedergebrannt. Ich gedenke, nicht mehr zu eines anderen Menschen Untergang die Opferflamme zu entzünden. Verstehst du nicht, daß ich mich meines früheren Lebens schäme?«
»Du hast mit deinen Fingern meine Hand gestreichelt«, flüsterte ich mit gesenktem Kopf, und die Tränen aus meinen Augen tropften auf den Marmorboden nieder.
»Das war unrecht«, gab Damaris zu. »Aber ich wollte dich so berühren, daß du mich nie mehr vergißt. Minutus, mein Geliebter, die Sehnsucht bedeutet so viel mehr als die Erfüllung. Das ist eine schmerzliche, aber süße Wahrheit. Glaub mir, Minutus, mein Lieber. Wenn wir nun voneinander scheiden, bewahren wir beide eine schöne Erinnerung und brauchen nie Böses voneinander zu denken. Ich habe einen neuen Weg gefunden, aber es gibt viele Wege. Vielleicht wird dich dein Weg eines Tages zu der gleichen Seligkeit führen wie mich der meine.«
Doch ich wollte sie nicht verstehen. »Predige mir nicht, verfluchtes Weib!« rief ich mit vor Begierde heiserer Stimme. »Ich habe dir versprochen, zu bezahlen, was du verlangst.«
Damaris richtete sich steif auf und sah mir eine Weile unverwandt ins Gesicht. Dann erbleichte sie und sagte spöttisch: »Wie du willst. Komm morgen abend zu mir, so daß ich mich vorbereiten kann. Aber gib später nicht mir die Schuld!«
Ihr Versprechen machte mich schwindeln, obwohl der Klang ihrer Worte nichts Gutes verhieß. Die Knie zitterten mir, als ich ihr Haus verließ. Von Ungeduld verzehrt, wanderte ich in der Stadt umher, stieg zur Akropolis hinauf und blickte auf das weinfarbene Meer nieder. Tags darauf ging ich in ein Bad und machte durch körperliche Übungen meine Glieder geschmeidig, obwohl mir bei jeder Bewegung, und beim Gedanken an Damaris, ein verzehrendes Feuer durch den ganzen Körper flammte.
Endlich senkte sich taubenblau die Dämmerung nieder, und der Abendstern leuchtete auf. Ich klopfte laut an Damaris’ Tür, aber niemand öffnete mir. Ich dachte schon, sie habe ihren Sinn geändert und gedenke ihr Versprechen nicht zu halten, und tiefe Enttäuschung ergriff mich, doch dann drückte ich gegen die Tür und erkannte zu meiner Freude, daß sie nicht versperrt war. Ich trat ein und sah, daß der Gästesaal hell erleuchtet war.
Meine Nase nahm jedoch einen widerlichen Gestank wahr. Über die Ruhebetten waren zerlumpte Decken geworfen, die Lampen hatten die Wände berußt, der Geruch von altem Weihrauch nahm mir den Atem. Ich blickte mich verständnislos in dem sonst so schönen Raum um, schlug dann aber ungeduldig mit der Faust auf die für die Geschenke bestimmte Platte, und die Schläge hallten durchs ganze Haus. Kurz darauf erschien Damaris mit schleppendem Schritt. Ich starrte sie entsetzt an. Das war nicht die Damaris, die ich kannte.
Sie hatte sich die Lippen grell und grob bemalt, ihr Haar war ungekämmt und strähnig wie das einer Hafendirne, und sie war in Lumpen gekleidet, die nach Wein und Erbrochenem stanken. Um die Augen hatte sie unheimliche schwarze Ringe gemalt, und mit demselben Pinsel hatte sie jede Falte in ihrem Gesicht nachgezogen, so daß ich ein liederliches altes Weib vor mir sah.
»Hier bin ich, Minutus. Deine Damaris«, sagte sie gleichgültig. »Hier bin ich, so wie du mich haben willst. Nimm mich also. Zum Lohn will ich nicht mehr als fünf Kupferscherflein.«
Ich verstand, was sie meinte. Alle Kraft verließ mich, so daß ich vor ihr auf die Knie fiel. Ich beugte den Kopf zu Boden und weinte über mein ohnmächtiges Verlangen. Zuletzt sagte ich: »Vergib mir, Damaris, meine Geliebte.«
»Du verstehst also, Minutus«, sagte sie mit weicherer Stimme. »Das wolltest du aus mir machen. Dazu wolltest du mich erniedrigen. Die Sache ist dieselbe, ob sie nun nach gebildeter Menschen Art in einem duftenden Bett geschieht oder im Hafen, zwischen stinkendem Schweinemist und Urin an eine Mauer gelehnt.«
Ich legte meinen Kopf auf ihre Knie und weinte meine Enttäuschung aus. Meine Begierde war erloschen. Sie streichelte mir tröstend übers Haar und flüsterte zärtliche Worte. Zuletzt ließ sie mich allein, ging fort und wusch sich, zog ein reines Gewand an und kam mit gekämmtem Haar zurück. Auf ihrem Gesicht leuchtete eine so innige Freude, daß ich mit zitternden Lippen ihr Lächeln erwidern mußte.
»Ich danke dir, Minutus, Lieber«, sagte sie. »Im letzten Augenblick hast du mich doch verstanden, obwohl es in deiner Macht lag, mich in meine Vergangenheit zurückzustoßen. Ich werde dir, solange ich lebe, für deine Güte dankbar sein und dafür, daß du mir nicht die Freude nahmst, die ich endlich erleben durfte. Eines Tages wirst du verstehen, daß meine Freude durch Christus wunderbarer ist als alle Freuden der Welt.«
Wir saßen lange Hand in Hand und sprachen miteinander wie Schwester und Bruder oder, besser, wie Mutter und Sohn. Ich versuchte ihr vorsichtig zu erklären, daß vielleicht doch nur das wirklich ist, was wir mit unseren Augen sehen, und alles andere Täuschung und Einbildung, aber Damaris lächelte nur und sagte: »Bald bin ich tief betrübt, bald froh, aber in guten Stunden erlebe ich eine Freude, die alles Irdische hinter sich läßt. Das ist meine Gnade, meine Wahrheit und meine Barmherzigkeit. Nichts anderes brauche ich zu glauben oder zu verstehen.«
Als ich in meine Herberge zurückkehrte, noch immer wie gelähmt vor Enttäuschung und ohne zu wissen, was ich hinfort noch glauben oder hoffen sollte, erwartete mich dort einer der Männer aus meinem Gefolge. Er war in einen schmutzigen Mantel gekleidet und trug kein Schwert. Ich konnte mir vorstellen, wie er sich erschrocken und die weltberühmte athenische Allwissenheit abergläubisch fürchtend an den unzähligen Statuen und Götterbildern vorbeigedrückt haben mochte. Nun warf er sich vor mir auf die Knie und bat: »Verzeih, daß ich gegen deinen ausdrücklichen Befehl handle, Tribun, aber meine Kameraden und ich, wir halten das Leben im Hafen nicht mehr aus. Dein Pferd siecht dahin vor Langeweile und wirft uns alle aus dem Sattel, wenn wir ihm ein bißchen Bewegung verschaffen wollen, wie du befahlst. Mit der Hafengarnison haben wir ständig Streit wegen des Verpflegungsgeldes. Vor allem aber machen diese verfluchten attischen Windbeutel mit uns, was sie wollen. Wir sind wie gebundene Schafe in ihren Händen und sind doch von den Gaunern in Korinth einiges gewohnt. Der Schlimmste von allen ist ein Sophist, der sich über uns lustig macht, indem er uns eindeutig beweist, daß Achill einen Wettlauf mit einer Schildkröte nie gewinnen kann. In Korinth haben wir über die Taschenspieler gelacht, die eine winzige Kugel unter einem von drei Weinbechern verstecken und die Leute raten lassen, unter welchem, aber dieser Mensch hält uns zum Narren, denn wer würde nicht wetten, daß Achill schneller läuft als eine Schildkröte! Er teilt aber die Strecke in die Hälfte und die Hälfte wiederum in die Hälfte und so weiter ohne Ende und beweist, daß Achill immer noch ein kleines Stückchen bis zum Ziel zu laufen hat und es nicht vor der Schildkröte erreichen kann. Wir sind selbst mit einer Schildkröte um die Wette gelaufen und haben sie natürlich leicht besiegt, aber damit konnten wir seinen Beweis nicht widerlegen, als wir ihn noch einmal aufsuchten und ein zweites Mal mit ihm wetteten. Herr, ich flehe dich an bei allen römischen Adlern: führ uns nach Korinth zurück, bevor wir den Verstand verlieren.«
Der Mann sprudelte seine Klage so rasch hervor, daß ich nicht zu Worte kam. Ich tadelte ihn wegen seines unwürdigen Benehmens, aber in der Stimmung, in der ich mich befand, hatte ich keine Lust, ihm das Rätsel mit Achill und der Schildkröte zu lösen. Zuletzt hieß ich ihn mein Reisegepäck auf den Rücken nehmen, beglich meine Rechnung mit dem Herbergswirt und verließ Athen, ohne mich von jemandem zu verabschieden und in solcher Eile, daß ich zwei Untergewänder vergaß, die ich noch in der Wäsche hatte und nie zurückbekam.
Wir brachen tief bedrückt vom Piräus auf und brauchten drei Tage für eine Strecke, die ich allein an einem bewältigt hätte. Die erste Nacht verbrachten wir in Eleusis, die zweite in Megara. Die Männer erholten sich so weit, daß sie sangen und lärmten, als wir endlich in Korinth einzogen.
Ich übergab sie dem Oberzenturio und meldete mich bei Rubrius. Er empfing mich in einem weinfeuchten Untergewand und mit einem Kranz aus Weinlaub schief auf dem Kopf. Offenbar erkannte er mich nicht wieder, denn er fragte mich mehrere Male nach meinem Namen. Er erklärte mir seine Zerstreutheit damit, daß er ein älterer Mann sei, der an den Folgen einer Kopfverletzung litt, die er in Pannonien erhalten hatte, und der nun nur noch darauf wartete, in den Ruhestand treten zu können.
Danach ging ich zum Haus des Prokonsuls. Gallios Sekretär berichtete mir, daß die Bewohner von Delphi sich mit ihrem Grenzstreit an den Kaiser gewandt und Einspruch erhoben hatten. Andrerseits führten die Bewohner des der Artemis geweihten Bezirks schriftlich Klage gegen mich und behaupteten, ich hätte die Göttin gelästert und dadurch den plötzlichen Tod des Besitzers herbeigeführt. Das taten sie natürlich, um ihre eigene Haut zu retten, da sie das Land unter sich aufgeteilt hatten und, den Tempel weiter verfallen ließen. Aus Athen war zum Glück kein Bericht über mich eingegangen.
Ich war niedergeschlagen, aber Gallio empfing mich trotz allem freundlich, umarmte mich sogar und lud mich zu Tisch. »Du bist gewiß zum Platzen voll von athenischer Weisheit«, meinte er. »Aber wir wollen zuerst über die Angelegenheiten Roms sprechen.«
Während wir aßen, erzählte er mir, sein Bruder Seneca habe ihm geschrieben, daß der junge Nero erstaunliche Fortschritte mache und Senatoren und einfachen Rittern gegenüber so würdig auftrete, daß man ihn die Freude und das Entzücken der Menschheit nenne. Claudius hatte ihn, um seiner geliebten Agrippina zu, gefallen, mit seiner achtjährigen Tochter Octavia verheiratet, deren Mutter Messalina war.
Juristisch gesehen war das Blutschande, da ja Claudius Nero sogar als seinen Sohn adoptiert hatte, aber dieses kleine Hindernis wurde auf die Weise beseitigt, daß ein Senator Octavia vor der Eheschließung adoptierte.
Britannicus blieb weit hinter Nero zurück und zeichnete sich nicht besonders aus. Er hielt sich meist in seinen eigenen Räumen im Palatium auf und begegnete seiner Stiefmutter Agrippina schroff und unfreundlich. Zum einzigen Befehlshaber der Prätorianer anstelle der früheren zwei Prätoren hatte man den einarmigen alten Haudegen Burrus ernannt, der ein guter Freund Senecas war und besondere Hochachtung für Agrippina hegte, weil sie die Tochter des großen Germanicus war.
»Dem Kaiser geht es gut«, sagte Gallio mit einem Blick in seinen Brief und ließ ein wenig Wein aus seinem Becher auf den Boden tropfen. »Er tritt so stattlich auf wie eh und je und leidet nur gelegentlich an einem harmlosen Sodbrennen. Die wichtigste Neuigkeit auf wirtschaftlichem Gebiet ist, daß der Hafen in Ostia endlich fertiggestellt wurde. Die Getreideschiffe können dort nun bequem gelöscht werden. Wie viele Millionen Goldstücke liegen nicht im Schlick und in den Sandbänken Ostias begraben! Aber nun braucht man in Rom nie mehr Unruhen wegen verspäteter Getreideausteilungen zu befürchten. Es geschah Claudius einmal, daß er auf dem Forum von einem wütenden Volkshaufen so hart gegen eine Mauer gedrückt wurde, daß er schon für sein Leben fürchtete. Im übrigen sinken die Preise für Korn aus Ägypten und Afrika, und es lohnt sich nicht mehr, in Italien Getreide anzubauen. Die umsichtigen Senatoren sind schon dazu übergegangen, Schlachtvieh zu züchten, und verkaufen ihre Sklaven auf Versteigerungen ins Ausland.«
Während Gallio so väterlich mit mir sprach, zerstreute sich meine Unruhe, und ich begriff, daß ich keinen Tadel wegen meines zu langen Aufenthalts in Athen zu befürchten brauchte. Dann aber sah mich Gallio forschend an und fuhr in dem gleichen leichten Ton fort: »Du bist blaß, und deine Augen blicken starr. Aber das Studium in Athen hat schon so manchem ehrenwerten jungen Römer den Kopf verwirrt. Ich habe gehört, du hast dich von einer klugen Frau belehren lassen. Das ist natürlich sehr anstrengend und kostet obendrein viel Geld, und ich hoffe nur, du hast dich nicht in allzu hohe Schulden gestürzt. Weißt du, mein lieber Minutus, ich glaube, ein bißchen Seeluft würde dir guttun.«
Ehe ich noch zu überflüssigen Erklärungen ansetzen konnte, hob er warnend die Hand und sagte lächelnd: »Deine persönlichen Angelegenheiten gehen mich nichts an. Wichtig ist nur, daß der junge Nero und die schöne Agrippina dich durch meinen Bruder grüßen lassen. Nero vermißt dich. Man kann nur Roms Glücksgöttin dafür preisen, daß eine so willensstarke und wirklich kaiserliche Frau wie Agrippina Claudius zur Seite steht und ihm einen Teil seiner Last abnimmt. Du sollst Agrippina einen schönen korinthischen Bronzebecher geschickt haben. Sie hat sich über deine Aufmerksamkeit sehr gefreut.«
Für einen kurzen Augenblick faßte mich eine tiefe Sehnsucht nach Rom, wo mir das Leben so viel einfacher und an eine feste Ordnung gebunden zu sein schien. Gleich darauf sagte ich mir jedoch, daß ein bloßer Ortswechsel mir auch keine Erleichterung verschaffen konnte, und seufzte.
Gallio fuhr zerstreut lächelnd fort: »Ich höre, du hast dich auf deiner Reise mit Artemis verfeindet. Es wäre wohl das klügste, wenn du ihr persönlich im Tempel zu Ephesus eine Opfergabe darbrächtest. Ich habe einen vertraulichen Brief an den Prokonsul in Asia. Wenn du mit ihm zusammentriffst, kannst du ihm auch gleich berichten, wie begabt Nero ist, wie bescheiden er in der Kurie auftritt und wie klug Agrippina ihn erzieht. Neros Ehe mit Octavia hat eine gewisse politische Bedeutung, wie du bei einigem Nachdenken selbst erkennen wirst. Natürlich leben die beiden noch nicht zusammen, denn Octavia ist ja noch ein Kind.«
Mein Kopf war so umnebelt, daß ich nur einfältig zu nicken vermochte. Gallio hielt es für nötig, mir zu erklären: »Unter uns gesagt, ist die Abstammung von Britannicus und Octavia wegen Messalinas schlechtem Ruf, gelinde ausgedrückt, zweifelhaft, aber Claudius betrachtet sie als seine eigenen Kinder, was sie vor dem Gesetz ja auch sind, und nicht einmal Agrippina wagt es, an so heikle Dinge zu rühren und seine männliche Eitelkeit zu kränken.«
Ich gab zu, daß ich in Rom vor meiner Reise nach Britannien allerlei Gerüchte vernommen hatte, fügte aber offenherzig hinzu: »Damals hatte es den Anschein, als brächte man absichtlich so furchtbare Dinge über Messalina in Umlauf. Ich konnte das Gerede nicht ernst nehmen. Sie war jung, schön und genußsüchtig, und Claudius war, verglichen mit ihr, ein Greis. Trotzdem mag ich über sie nicht das Schlimmste denken.«
Gallio schwenkte ungeduldig seinen Becher. »Vergiß nicht, daß wegen Messalinas Leichtfertigkeit fünfzig Senatoren und einige hundert Ritter den Kopf verloren oder sich selbst die Pulsadern aufschneiden durften. Dein Vater hätte sonst wohl kaum den Purpurstreifen bekommen.«
»Wenn ich dich recht verstanden habe, Prokonsul«, sagte ich zögernd, »so meinst du, daß Claudius einen kranken Magen und einen schwachen Kopf hat. Einmal wird er die Schuld eines jeden Menschen bezahlen müssen, soviel wir auch seinem Genius opfern.«
»Wer wird ihm Schlimmes voraussagen wollen!« rief Gallio. »Es soll sein, als hättest du diese Worte nie laut ausgesprochen. Claudius hat Rom trotz seiner Schwächen so gut regiert, daß der Senat ihn nach seinem Tode getrost zum Gott erhöhen kann, obgleich das nicht wenig Spott und Gelächter geben wird. Wer vorausblickt, fragt sich eben nur zur rechten Zeit, wer an seine Stelle treten soll.«
»Nero Imperator«, flüsterte ich träumend. »Aber Nero ist ja noch ein Knabe.« Zum erstenmal dachte ich an diese Möglichkeit, und der Gedanke entzückte mich, da ich schon Neros Freund gewesen war, bevor seine Mutter sich mit Claudius vermählte.
»Dieser Gedanke braucht dich nicht zu erschrecken, Tribun Minutus«, sagte Gallio. »Es ist nur gefährlich, ihn offen auszusprechen, solange Claudius noch lebt und atmet. Um aber die Fäden des Schicksals und des Zufalls zu entwirren und in die Hand zu bekommen, wäre es gewiß sehr nützlich, wenn dieser vortreffliche Gedanke auch in die Köpfe führender Männer in anderen Provinzen Eingang fände. Ich hätte nichts dagegen, wenn du dich von Ephesus nach Antiochia begäbst. Das ist ja deine alte Heimatstadt. Die Freigelassenen deines Vaters sollen dort Reichtümer und großen Einfluß erworben haben. Du brauchst nur gut über Nero zu reden, sonst nichts. Nur keine Andeutungen über die Zukunft in klaren Worten – davor mußt du dich hüten! Ein jeder, mit dem du sprichst, mag seine eigenen Schlüsse ziehen. Es gibt im Osten mehr klug berechnende politische Vernunft, als man in Rom zu glauben geneigt ist.«
Er ließ mich eine Weile nachdenken, bevor er fortfuhr: »Natürlich mußt du für die Kosten deiner Reise selbst aufkommen, wenngleich ich dir der Form halber ein paar Handschreiben mitgebe. Was du sagst, das sagst du aus eigenem, freiem Willen, nicht in meinem Auftrag. Du hast ein so offenes Wesen und bist noch so jung, daß dich kaum einer für einen politischen Ränkeschmied halten wird. Und das bist du ja auch auf keinen Fall, nicht wahr? Es gibt eine ganze Anzahl Römer, die nur um einer Laune des Kaisers willen die Qualen der Verbannung erleiden müssen, und diese Männer haben Freunde in Rom. Geh ihnen nicht aus dem Weg, denn sobald Claudius tot ist, werden alle Verbannten, auch die Juden, begnadigt. Das verspricht mein Bruder, der selbst acht Jahre lang die Verbannung geschmeckt hat. Du kannst das Magenleiden des Kaisers erwähnen, darfst aber nicht vergessen hinzuzufügen, daß es sich gewiß nur um ganz harmlose Blähungen handelt, und dann magst du darauf hinweisen, daß man ähnliche Beschwerden auch bei Magenkrebs hat. Unter uns gesagt: Agrippina macht sich wegen Claudius’ Gesundheitszustand große Sorgen. Er ist ein Leckermaul und will keine vernünftige Diät halten.«
Ich mußte unwillkürlich glauben, daß Gallio der Wein zu Kopf gestiegen war. Hätte er sonst gewagt, mir solche Dinge laut zu sagen? Vermutlich überschätzte er meinen Ehrgeiz, weil er den Ehrgeiz für eine jedem Römer angeborene Eigenschaft hielt, und auch ich habe ja Wolfsblut in meinen Adern. Jedenfalls hatte er mir den Kopf heiß gemacht, und ich hatte nun über anderes nachzudenken als nur über Damaris in Athen.
Zuletzt bat er mich, die Sache in Ruhe zu überschlafen, und schickte mich nach Hause. Es war sehr spät geworden. Trotzdem brannte in dem Ring neben der Tür meines Hauses eine Fackel, und von drinnen hörte ich Gesang und Geschrei. Ich fragte mich, ob Hierax von meiner Ankunft gehört und vielleicht irgendeinen festlichen Empfang vorbereitet hatte. Als ich eintraf, erblickte ich eine große Menge Menschen, Männer und Frauen, die sich gerade von einem gemeinsamen Mahl erhoben. Offensichtlich waren alle schwer bezecht. Einer tanzte herum und verdrehte die Augen, ein anderer schwatzte ununterbrochen in einer Sprache, die ich nicht verstand. Hierax ging als Gastgeber umher und küßte seine Gäste der Reihe nach mit großer Zärtlichkeit. Als er mich endlich bemerkte, blieb er verwirrt stehen, gewann jedoch rasch die Fassung wieder und rief: »Gesegnet sei dein Eingang und dein Ausgang, Herr! Wie du siehst, üben wir uns gerade in heiligen Gesängen. Auf deinen Befehl habe ich mich mit der neuen Lehre der Juden bekannt gemacht. Sie paßt einem einfachen Sklaven wie ein Handschuh.«
Der Türhüter und die Köchin wurden rasch nüchtern und warfen sich vor mir auf die Knie. Als Hierax sah, wie mein Gesicht vor Zorn rot anlief, zog er mich beiseite und erklärte eilig: »Ärgere dich nicht, Herr. Es ist alles in guter Ordnung. Der strenge Paulus hat aus dem einen oder anderen Grunde plötzlich den Mut verloren. Er schnitt sich das Haar und segelte nach Asia und Jerusalem, um den Ältesten Rechenschaft abzulegen. Als er fort war, begannen wir Christen darum zu streiten, wer nun die anderen lehren solle. Die Juden glauben, sie wüßten alles besser als andere, selbst wo es sich um Christus handelt. Deshalb versammeln wir Unbeschnittenen uns hier in deinem Haus, wo wir, so gut wir es verstehen, die neue Lehre ausüben und auch ein wenig besser essen können als bei den gemeinsamen Mählern, zu denen immer viel zu viele arme, nicht zahlende Gäste kommen. Dieses Mahl hier bezahle ich selbst. Ich habe nämlich diese vermögende und noch recht ansehnliche Witwe dort drüben an der Angel. Unter den Christen habe ich überhaupt lauter nützliche Bekanntschaften geschlossen. Das ist bei weitem die beste geheime Gesellschaft, der ich je angehört habe.«
»Bist du Christ geworden und hast dich taufen lassen, und hast du Buße getan und was sonst noch alles dazugehört?« fragte ich entsetzt.
»Du hast es mir selbst befohlen«, verteidigte Hierax sich. »Ohne deine Erlaubnis hätte ich mich nicht darauf eingelassen, da ich doch nur dein Sklave bin. Aber unter den Christen habe ich mein sündiges Sklavenkleid abgelegt. Nach ihrer Lehre sind wir, du und ich, vor Christus gleich. Du mußt gütig und sanft gegen mich sein, und ich werde dir wie bisher nach bestem Vermögen dienen. Wenn wir nur einmal die hochmütigsten und engstirnigsten Juden losgeworden sind, wird unser Liebesbund ganz Korinth zur Zierde gereichen.«
Am nächsten Morgen war Hierax wieder klar im Kopf und weit bescheidener. Er machte jedoch ein langes Gesicht, als ich ihm sagte, ich müsse nach Asia reisen und ihn mitnehmen, da ich auf einer so langen Reise natürlich nicht ohne Diener auskommen könne.
»Das ist unmöglich!« jammerte Hierax und raufte sich die Haare. »Ich habe doch gerade erst hier Fuß gefaßt und auf deine Rechnung allerhand nützliche Geschäfte angeknüpft. Wenn du dich nun plötzlich aus allen laufenden Unternehmungen zurückziehen mußt, so fürchte ich, daß du sehr viel Geld verlieren wirst. Außerdem kann ich die Christen in Korinth nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, nun da Paulus abgereist ist und Streit und Zersplitterung unter ihnen herrscht. Und wer wird sich um die Witwen und die Waisen kümmern, wie es ihre Lehre verlangt, da ich doch der einzige bin, der mit Geld umzugehen versteht, oder jedenfalls einer der wenigen aus der ganzen Gemeinde? Ich habe eine lehrreiche Geschichte gehört von einem Herrn, der seinen Knechten pfundweise Gold gab und sie dann aufforderte, Rechenschaft abzulegen, wie sie es vermehrt hätten. Ich will am Tag der Abrechnung nicht als ein untauglicher Knecht dastehen.«
Hierax hatte während meiner Abwesenheit Fett angesetzt und sich eine großsprecherische Art angewöhnt. Auf längeren und beschwerlichen Reisen hätte er mir nichts mehr genützt. Er hätte nur geschnauft und gejammert und sich nach dem bequemen Leben in Korinth zurückgesehnt. Ich sagte daher: »Bald jährt sich der Todestag meiner Mutter. Ich werde dich freilassen, so daß du in Korinth bleiben und dich um das Haus kümmern kannst. Ich sehe ein, daß ich nur Verluste erleiden würde, wenn ich alles verkaufte, was ich mir hier zu meiner Bequemlichkeit geschaffen habe.«
»Eben das wollte ich dir vorschlagen«, sagte Hierax eifrig. »Bestimmt hat dir der Gott der Christen diesen Gedanken eingegeben. Ich habe mir einiges erspart, so daß ich die Hälfte meiner Freilassungssteuer selbst bezahlen kann. Ich habe mich auch schon auf Umwegen bei einem bekannten Rechtsgelehrten im Rathaus erkundigt, was für mich ein geziemender Preis wäre. So dick, wie ich nun geworden bin, tauge ich nicht mehr zu körperlicher Arbeit, und außerdem habe ich einige Fehler, die ich zwar vor dir verbergen konnte, die aber meinen Wert senken würden, wenn ich noch einmal verkauft werden sollte.«
Ich nahm sein Anerbieten nicht an, da ich der Meinung war, daß er seine geringen Ersparnisse selbst brauchte, um in dem gierigen Korinth auf die Beine zu kommen und Erfolg zu haben. Ich erlegte also das Lösegeld für ihn und drückte ihm selbst den Freilassungsstab in die Hand. Zugleich stellte ich ihm eine behördlicherseits bestätigte Vollmacht aus, mein Haus und meinen übrigen Besitz in Korinth zu verwalten. Ich war im Grunde recht froh, auf diese Weise sowohl ihn als auch alle lästigen Pflichten loszuwerden. Die Leichtfertigkeit, mit der er die Sache der Christen betrieb, gefiel mir nicht, und ich wollte daher keine andere Verantwortung für ihn tragen als die, die einer für seinen Freigelassenen übernimmt.
Hierax Lausius begleitete mich bis Kenchreae, wo ich an Bord eines Schiffes ging, das nach Ephesus segelte. Er dankte mir noch einmal dafür, daß ich ihm erlaubt hatte, sich Lausius zu nennen, denn dieser Name dünkte ihn vornehmer und würdevoller als Minutius. Seine Abschiedstränen waren wohl aufrichtig, obwohl ich annehme, daß er erleichtert aufseufzte, als das Schiff auslief und er einen allzu jungen und unberechenbaren Herrn losgeworden war.
Troxobores, ein Bandenführer aus dem Bergvolk der Kliter, machte sich die Unruhen in Armenien, welche die syrischen Legionen banden, zunutze, um ein geübtes Kriegsheer im Innern Kilikiens aufzustellen, und stieß von dort zur Küste nieder, wo er die Häfen plünderte und mit seinen Ruderschiffen die Seefahrt störte. Der kilikische Bundeskönig, der bejahrte Antiochus, war machtlos, da seine Hilfstruppen in Armenien standen. In ihrer Frechheit belagerten die Kliter zuletzt sogar die Hafenstadt Anemurium. Ich stieß auf dem Wege von Ephesus nach Antiochia auf eine Abteilung syrischer Reiterei unter dem Präfekten Curtius Severus, die Anemurium entsetzen wollte, und erachtete es in dieser Notlage für meine Pflicht, mich Severus anzuschließen.
Wir erlitten vor den Mauern Anemuriums eine schwere Niederlage, da das Gelände für die Bergbewohner des Troxobores günstiger war als für unsere Reiterei. Zum Teil hatte auch Severus Schuld daran, denn er glaubte, eine kampfungewohnte Räuberbande einfach dadurch in die Flucht schlagen zu können, daß er die Hörner blasen ließ und in vollem Galopp angriff, ohne vorher das Gelände und die wirkliche Stärke des Troxobores erkunden zu lassen.
Ich wurde in der Seite, an einem Arm und an einem Fuß verwundet. Mit einem Strick um den Hals und hinter dem Rücken gefesselten Händen wurde ich in die unzugänglichen Berge der Kliter hinaufgeführt, und dort war ich zwei Jahre lang Gefangener des Troxobores. Die Freigelassenen meines Vaters in Antiochia hätten mich auf der Stelle freigekauft, aber Troxobores war ein listiger, kriegslüsterner Mann und wollte lieber einige hochgestellte Römer in der Hand haben, als in seinen Schlupfwinkeln Lösegelder ansammeln. Der syrische Prokonsul und König Antiochus verkleinerte in seinen Berichten an den Senat die Bedeutung dieses nicht enden wollenden Aufstandes in den Bergen, um ihn mit eigener Kraft niederwerfen zu können, und auch weil er, nicht ohne Grund, den Zorn des Kaisers fürchtete.
Troxobores sagte: »Mit dem Rücken an der Wand kann ich mir um Gold mein Leben nicht erkaufen, aber euch römische Ritter kann ich zuletzt immer noch kreuzigen lassen, um mit einem stattlichen Gefolge in die Unterwelt einzuziehen.«
Er behandelte uns Gefangene, wie es seine Laune ihm eingab, bald gut, bald schlecht. Er konnte uns zu seinen rohen Mahlzeiten einladen, uns zu essen und zu trinken geben und uns mit Tränen in den Augen seine Freunde nennen, aber nach dem Mahl schloß er uns in eine schmutzige Höhle ein, ließ die Öffnung zumauern und uns durch ein faustgroßes Loch gerade so viel trocken Brot reichen, daß wir mit knapper Not am Leben blieben. Zwei von uns begingen Selbstmord, indem sie sich mit einem Steinsplitter die Halsschlagader aufschnitten.
Meine Wunden entzündeten sich und quälten mich. Sie wässerten, und ich glaubte sterben zu müssen. In diesen zwei Jahren lernte ich, in der tiefsten Erniedrigung zu leben, stets auf die Folter oder den Tod gefaßt. Mein Sohn Julius, mein einziger Sohn, wenn Du dies nach meinem Tode liest, sollst Du wissen, daß die tiefen Narben, die ich in meinem Gesicht trug und von denen ich Dir, als Du noch klein warst, in meiner Eitelkeit sagte, sie stammten von meinen Kämpfen in Britannien, nicht das Werk der Briten sind. Ich bekam sie viele Jahre vor Deiner Geburt in einer kilikischen Höhle, wo ich zu Demut und Geduld erzogen wurde und vor Scham mein Gesicht in die rauhe Felswand drückte. Denk manchmal daran, wenn Du so eifrig Deinen habsüchtigen und altmodischen toten Vater kritisierst.
So viele Männer, wie Troxobores, als er noch Erfolg hatte, um sich zu sammeln und zu Kriegern auszubilden vermochte, so viele ließen ihn nach seiner ersten Niederlage im Stich. Er beging nämlich den Fehler, sich auf eine offene Feldschlacht einzulassen, der seine nicht genug geübten Truppen nicht gewachsen waren.
König Antiochus behandelte seine Gefangenen freundlich. Er ließ sie frei und schickte sie in die Berge hinauf, wo sie allen Begnadigung versprachen, die von Troxobores abfielen. Die meisten seines Volkes waren der Ansicht, das Spiel habe, da sie genug Kriegsbeute gesammelt hatten, lang genug gedauert. Sie flohen zu ihren Heimstätten zurück, um den Rest ihres Lebens als für kilikische Begriffe reiche Männer zu verbringen. Troxobores ließ die Flüchtigen verfolgen und töten, was viel böses Blut unter seinen eigenen Stammesfreunden machte.
Zuletzt waren seine nächsten Vertrauten seiner Grausamkeiten und Launen müde und nahmen ihn gefangen, um sich selbst die Begnadigung zu verdienen. Das geschah gerade noch zur rechten Zeit, denn schon rückte König Antiochus heran, Sklaven rissen die Mauer vor unserer Höhle nieder, und draußen waren schon die Pfähle für unsere Hinrichtung in den Boden gerammt worden. Meine Mitgefangenen verlangten, daß Troxobores an unserer Stelle gekreuzigt werde, aber König Antiochus ließ ihm unverzüglich den Kopf abschlagen, um einer peinlichen Geschichte so rasch wie möglich ein Ende zu machen.
Ich schied von meinen Mitgefangenen ohne Bedauern. In der Dunkelheit der Höhle und in unserem Hunger und Elend hatten wir einander zuletzt nicht mehr ausstehen können. Während sie nach Antiochia zurückkehrten, bekam ich in Anemurium einen Platz an Bord eines römischen Kriegsschiffes, das nach Ephesus bestimmt war. König Antiochus entschädigte uns großzügig für die ausgestandenen Leiden, damit wir stillschwiegen.
In Ephesus wurde ich von dem damaligen Prokonsul in Asia, Junius Silanus, freundlich empfangen. Er lud mich auf sein Landgut vor der Stadt ein und stellte mir seinen eigenen Arzt zur Verfügung. Silanus war etwa fünfzig Jahre alt, ein vielleicht etwas schwerfälliger, aber so redlicher Mann, daß man ihn zu Kaiser Gajus’ Zeiten wegen seiner unermeßlichen Reichtümer einen vergoldeten Schafskopf genannt hatte.
Als ich auf Agrippina und Nero zu sprechen kam, verbot er mir streng, in seiner Gegenwart auch nur ein einziges Wort über das Magenleiden des Kaisers zu sagen. Einige hochgestellte Männer waren unlängst deshalb aus Rom verbannt worden, weil sie einen Astrologen ausgefragt hatten, wie lange Claudius noch zu leben habe. Danach hatte der Senat eine Verordnung erlassen, derzufolge alle Chaldäer Rom verlassen mußten.
Silanus schien der eigentümlichen Auffassung zu sein, Agrippina sei am Tode seines Bruders Lucius schuld, ganz so, wie er auch meinte, daß Messalina seinerzeit Verderben über Appius Silanus gebracht habe, indem sie Schlimmes über ihn träumte. Sein unsinniges Mißtrauen ärgerte mich. »Wie kannst du so über die erste Dame Roms denken!« sagte ich aufgebracht. »Agrippina ist eine edle Frau. Ihr Bruder Gajus war Imperator, und sie selbst die Gemahlin des Imperators und stammt vom Gott Augustus ab.«
Silanus lächelte dümmlich und sagte: »Nicht einmal die vornehmste Abstammung scheint einem in Rom noch etwas zu nützen. Du erinnerst dich gewiß an Domitia Lepida, Neros Tante, die Nero aus Freundschaft in ihre Obhut nahm, als Agrippina wegen ihres unzüchtigen Lebenswandels und Hochverrats verbannt worden war. Domitia hat sich seiner immer zärtlich angenommen, wenn er unter Agrippinas Strenge allzusehr zu leiden hatte. Vor kurzem wurde sie zum Tode verurteilt, weil sie angeblich Agrippina durch Zauberei zu schaden versuchte und ihre Sklaven in Kalabrien nicht im Zaun hielt. Auch Domitia stammte aus dem Geschlecht des Augustus.«
Silanus blinzelte mich listig an und fuhr fort: »Wenn Claudius’ Zeit wirklich einmal abgelaufen ist, doch darüber dürfen wir nicht laut sprechen, so ist zu bedenken, daß auch ich im Vierten Glied vom Gott Augustus abstamme. Es sollte mich nicht wundernehmen, wenn der Senat in Rom einen Mann gesetzten Alters einem halbwüchsigen Knaben vorzöge. Mein Ruf ist untadelig, und ich habe keine Feinde.«
Darin hatte er recht, denn wer hätte wohl Ursache gehabt, den einfältigen Silanus zu hassen? Seine Einbildung erstaunte mich jedoch so sehr, daß ich entsetzt fragte: »Denkst du im Ernst daran, Imperator zu werden?«
Junius Silanus errötete verschämt. »Du darfst darüber mit niemandem sprechen. Die Entscheidung steht dem Senat zu. Ich will dir aber im Vertrauen sagen, daß ich Nero nicht unterstützen kann. Schon sein Vater hatte einen üblen Ruf und war so grausam, daß er einmal einem römischen Ritter auf dem Forum ein Auge ausquetschte, nur weil dieser ihm nicht ehrerbietig genug Platz gemacht hatte.«
Dank seinem Reichtum trat Silanus in Asia wie ein König auf. Ich erfuhr übrigens von ihm, daß Gallio nach Ablauf seiner Amtszeit an dem Familienübel der Annaeer, der Schwindsucht, erkrankt und nach Rom zurückgekehrt war, um Rechenschaft abzulegen, bevor er sich in das trockene Klima Ägyptens begab, um seine Gesundheit wiederzuerlangen. Ich hatte den Verdacht, daß er nicht nur seiner Gesundheit wegen nach Ägypten gereist war, aber ihm konnte ich nun von den wahnwitzigen Hoffnungen des Prokonsuls Silanus nicht mehr berichten, und doch erschien es mir wichtig, nach Rom zu melden, daß Nero in den Provinzen nicht auf die Unterstützung rechnen durfte, die seine Mutter und Seneca offenbar als selbstverständlich voraussetzten.
Nach langer Überlegung schrieb ich an Seneca selbst und berichtete ihm von meiner Gefangenschaft. Zuletzt schrieb ich: »Der Prokonsul Junius Silanus erweist mir große Gastfreundschaft und will nicht, daß ich heimreise, ehe nicht meine Wunden vollständig ausgeheilt sind, die noch eitern. Es betrübt mich, daß er nicht ebenso gut wie ich von Agrippina und Nero denkt, sondern sich damit brüstet, daß er aus dem Geschlecht des Augustus stammt, und viele Freunde im Senat zu haben glaubt. Ich erwarte Deinen Rat, ob ich nach Rom zurückkehren oder einstweilen noch hier bleiben soll.«
Die Gefangenschaft hatte mich abgestumpft und entkräftet. Ich ließ die Zeit gedankenlos verrinnen. Manchmal ging ich mit Silanus zu den Wagenrennen und setzte mit gutem Erfolg auf sein Gespann. Auch ein prächtiges Theater gab es in Ephesus, und wenn einem nichts anderes einfiel, konnte man immer noch in den Tempel gehen, der eines der Wunder der Welt ist und von Sehenswürdigkeiten überquillt.
Allmählich erlangte ich dank der guten Kost, einem bequemen Bett und der Geschicklichkeit des Arztes meine Gesundheit wieder. Ich begann wieder zu reiten und nahm an Wildschweinjagden teil, die Silanus’ Kriegstribunen veranstalteten.
Der griechische Arzt des Silanus war auf Kos ausgebildet worden. Als ich ihn nach seinen Einkünften fragte, antwortete er lachend: »Ein Arzt kann, um seine Kunst auszuüben, keinen elenderen Ort finden als Ephesus. Die Artemispriester betreiben Wunderheilungen, und daneben gibt es Hunderte von Zauberern aus aller Herren Länder. Den meisten Zulauf hat zur Zeit ein Jude, der durch Handauflegen Kranke heilt und Tobsüchtige beruhigt. Seine Schweißtücher und Schürzen werden im ganzen Lande als Heilmittel gegen so gut wie jede Krankheit verkauft. Aber das genügt ihm noch immer nicht. Er hat die Schule des Tyrannos gemietet, um seine Kräfte andere zu lehren. Noch dazu ist er eifersüchtig auf seine Berufsgenossen und spricht geringschätzig von Zauberbüchern und heilenden Götterbildern.«
»Von den Juden kommt aller Unfriede, weil sie sich nicht mehr damit begnügen, unter sich zu bleiben und im Schutz ihrer besonderen Rechte ihren Gott zu verehren, sondern nun auch die Griechen anstecken«, sagte ich bitter.
Der jonische Herbst ist mild. Helius, ein Freigelassener des Junius Silanus, der dessen Besitz in Asia verwaltet, war in allem auf meine Bequemlichkeit bedacht. Er ließ zu den Mahlzeiten Schauspiele und Pantomimen aufführen, und manchmal, wenn er glaubte, daß ich mich langweilte, schickte er mir auch eine schöne Sklavin in mein Bett. Die goldenen Tage und die dunkelblauen Nächte flossen ruhig dahin. Ich glaubte nichts anderes mehr zu wünschen als die kleinen Freuden des Alltags. Eine andere Hoffnung hatte ich nicht mehr, eine andere Zukunft sah ich nicht mehr vor mir. Ich ließ mich willenlos treiben.
Kurz vor Winteranfang traf ein römischer Schnellruderer in Ephesus ein, an dessen Bord sich Publius Celer, ein betager Ritter, befand. Er brachte die Nachricht, daß Kaiser Claudius, wie man seit langem erwartete, seiner Magenkrankheit erlegen war. Afranius Burrus, der Präfekt der Prätorianer, hatte Nero ins Prätorianerlager tragen lassen. Nero hatte eine außerordentliche Rede gehalten und den Männern das übliche Geldgeschenk versprochen. Darauf war er unter allgemeinem Jubel zum Imperator ausgerufen worden, und der Senat hatte den Beschluß einstimmig bekräftigt.
Junius Silanus prüfte die Erlässe und Vollmachten, die Celer mitgebracht hatte, genau. Publius Celer war ein für sein Alter rüstiger Mann, der genau zu wissen schien, was er wollte. Ein Schwerthieb hatte eine Narbe in dem einen Mundwinkel hinterlassen, die den Mund schief zog, so daß er stets spöttisch zu grinsen schien.
Mir überbrachte er Grüße von Seneca, der für meinen Brief dankte und mich aufforderte, nach Rom zurückzukehren, da Nero, nun er seine freisinnige Regierung antrat, seine Freunde um sich brauchte. Die Vergehen, Streitigkeiten und Fehler vergangener Tage waren vergessen und vergeben. Die Verbannten durften nach Rom zurückkehren. Von den Vätern in der Kurie unterstützt, hoffte Nero der ganzen Menschheit ein Glücksbringer werden zu können. Die üblichen offiziellen Maßnahmen wurden getroffen. Die Verwaltungsbehörde beschloß, bei dem bekanntesten Bildhauer Roms eine Statue Neros zu bestellen. Junius Silanus aber gab trotz seines Reichtums kein öffentliches Mahl zu Neros Ehren, was eigentlich seine Pflicht gewesen wäre, sondern lud nur seine nächsten Freunde auf sein Landgut ein, so daß wir nicht mehr als dreißig bei Tisch waren. Nachdem er Kaiser Claudius, der durch Senatsbeschluß zum Gott erhoben worden war, ein Trankopfer dargebracht hatte, wandte sich Junius Silanus mit rotem Kopf an Celer und sagte böse: »Wir haben genug dummes Zeug geschwatzt. Sag mir jetzt, was in Rom wirklich geschehen ist.«
Publius Celer hob die Brauen und fragte mit einem schiefen Lächeln: »Haben deine Pflichten dich überanstrengt? Worüber ereiferst du dich? Dein Alter und deine körperliche Verfassung vertragen keine unnötigen Gemütsbewegungen.«
Junius Silanus atmete wirklich schwer und war gereizt wie jeder, der eine Enttäuschung erlitten hat. Aber Publius Celer berichtete in scherzendem Tonfall: »An Claudius’ Begräbnistag hielt Nero als sein Sohn die übliche Gedenkrede auf dem Forum. Ob er sie ganz allein entworfen oder ob Seneca ihm geholfen hatte, wage ich nicht zu sagen. Nero hatte trotz seiner Jugend schon Beweise seiner eigenen dichterischen Begabung abgelegt. Jedenfalls sprach er mit weithin hallender Stimme und schönen Gebärden. Die Väter, die Ritter und das Volk lauschten fromm, als Nero das berühmte Geschlecht des Claudius und die Triumphe seiner Väter, seine eigene Gelehrsamkeit und seine Regierungszeit pries, in der der Staat von allen äußeren Gefahren verschont geblieben war. Dann aber wechselte Nero geschickt den Tonfall und lobte, widerwillig und gleichsam nur durch Schick und Brauch gezwungen, auch des toten Claudius’ Klugheit, Güte und Staatskunst. Da vermochte keiner mehr an sich zu halten. Gewaltiges Gelächter unterbrach immer wieder Neros Rede. Man lachte sogar, als er von seinem eigenen unersetzlichen Verlust und großen Kummer sprach. Der Begräbniszug war eine einzige Narrenposse, und niemand verbarg mehr seine Erleichterung darüber, daß Rom endlich der Willkür eines grausamen, genußsüchtigen und schwachsinnigen Prassers entronnen war.«
Junius Silanus schlug seinen goldenen Becher so heftig gegen die Kante seines Liegesofas, daß mir der Wein ins Gesicht spritzte, und brüllte: »Claudius war so alt wie ich, und ich dulde nicht, daß man sein Andenken beschimpft. Sobald die Väter zur Vernunft kommen, werden sie wohl einsehen, daß der siebzehnjährige Sohn einer machtlüsternen Mutter nicht über die Welt herrschen kann.«
Celer nahm diese Worte ruhig auf. »Claudius ist zum Gott erhöht worden«, sagte er. »Wer kann von einem Gott schlecht sprechen! In Elysiums Blumengefilden steht Claudius göttlich erhaben über aller Kritik und Verunglimpfung; das müßtest du doch begreifen, Prokonsul. Senecas Bruder Gallio scherzte gewiß nur, als er sagte, Claudius sei mit einem Haken unterm Kinn zum Himmel hinaufgezogen worden, so wie wir die Leichen der Staatsverbrecher von Tullianum zum Tiber schleifen. Ein solcher Scherz beweist aber nur, daß man in Rom wieder offen zu lachen wagt.«
Als Junius Silanus immer noch vor Zorn und Atemlosigkeit schnaubte, schlug Publius Celer einen anderen Ton an und sagte warnend: »Es ist besser, du trinkst auf das Wohl des Imperators und vergißt deinen Groll, Prokonsul.«
Auf seinen Wink brachte Helius einen neuen Goldbecher und reichte ihn Celer. Celer mischte vor aller Augen den Wein, schenkte ein, trank selbst aus dem Becher und reichte ihn Silanus, der ihn nach seiner Gewohnheit in wenigen Zügen leerte, da er wohl oder übel auf den neuen Kaiser trinken mußte.
Als er den Becher wieder niedergesetzt hatte, wollte er offensichtlich noch eine bissige Bemerkung anbringen, aber plötzlich schwollen seine Schläfenadern, er fuhr sich mit den Händen an den Hals und stöhnte nur, während sein Gesicht blau anlief. Wir starrten ihn erschrocken an, und noch ehe einer von uns einer einzigen Bewegung fähig war, stürzte er schwer zu Boden. Sein Körper zuckte noch einige Male, und dann tat er vor unser aller Augen seinen letzten Atemzug.
Wir waren entsetzt aufgesprungen, und keiner vermochte ein Wort zu sagen. Nur Publius Celer bewahrte die Fassung und ließ sich in ruhigem Tonfall vernehmen: »Ich warnte ihn davor, sich aufzuregen. Die Pflichten, die diese unerwarteten Veränderungen mit sich brachten, haben ihn überanstrengt, und er nahm vor dem Mahl ein zu heißes Bad. Wir wollen aber diesen Herzschlag eher als ein gutes Vorzeichen betrachten denn als ein böses. Ihr habt alle gehört, welch bitteren Groll er gegen den Imperator und dessen Mutter hegte. Aus Groll nahm sich seinerzeit auch sein jüngerer Bruder Lucius das Leben, nur um Claudius und Agrippina den Hochzeitstag zu verderben, nachdem Claudius seine Verlobung mit Octavia gelöst hatte.«
Wir begannen alle durcheinanderzureden und bezeugten, daß wir gesehen hatten, wie plötzlich das Herz eines zu dicken Mannes vor Ärger brechen kann. Helius holte den Arzt des Silanus, der sich an die gesunden Lebensregeln der Bewohner von Kos hielt und schon früh schlafen gegangen war. Er eilte erschrocken herbei, wandte die Leiche um, bat um mehr Licht und blickte mißtrauisch in den Hals des Toten. Dann verhüllte er, ohne ein Wort zu sagen, sein Haupt.
Als Publius Celer ihm einige Fragen stellte, bekannte er, daß er seinen Herrn oft vor der Prasserei gewarnt hatte, und bestätigte, daß alle Anzeichen auf einen Herzschlag deuteten.
»Über diesen Vorfall muß ein ärztliches Zeugnis und ein amtliches Dokument ausgestellt werden, das wir alle als Zeugen unterzeichnen«, sagte Publius Celer. »Wenn eine bekannte Persönlichkeit eines plötzlichen Todes stirbt, geraten rasch die Lästerzungen in Bewegung. Deshalb muß auch bezeugt werden, daß ich selbst von dem Wein kostete, den ich ihm reichte.«
Wir sahen einander verwirrt an. Es hatte zwar so ausgesehen, als hätte Celer selbst aus dem Becher getrunken, aber er konnte uns auch getäuscht haben, wenn der Becher wirklich Gift enthielt. Ich habe hier alles so berichtet, wie es sich zutrug, denn später hieß es, Agrippina habe Celer mit dem ausdrücklichen Auftrag entsandt, Silanus zu vergiften, und dieser starb ja auch genau zum richtigen Zeitpunkt.
Das Gerücht behauptete, Celer habe sowohl Helius als auch den Arzt bestochen. Sogar mein Name wurde in diesem Zusammenhang genannt, und es fielen einige böse Andeutungen des Sinnes, daß ich ein guter Freund Neros sei. Der Prozeß, der auf Verlangen des Senats gegen Celer eingeleitet wurde, um der Sache auf den Grund zu gehen, wurde so lange verschleppt, bis Celer schließlich an Altersschwäche starb. Ich hätte jederzeit gern zu seinen Gunsten ausgesagt. Helius bekam später eine hervorragende Stellung im Dienste Neros.
Das plötzliche Hinscheiden des Prokonsuls erregte verständlicherweise Aufsehen in Ephesus und der ganzen Provinz Asia. Um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen, wurde kein großes Begräbnis angesetzt, sondern wir verbrannten die Leiche in seinem eigenen geliebten Garten auf dem Landgut. Als der Scheiterhaufen niedergebrannt war, sammelten wir seine Asche in eine kostbare Urne, die wir in das in letzter Zeit rasch sich füllende Mausoleum seiner Familie in Rom schickten. Publius Celer übernahm, auf seine Vollmachten gestützt, das Amt des Prokonsuls in Asia, bis der Senat aus den Reihen der Bewerber, die ein Anrecht auf diese Stellung hatten, einen neuen ordentlichen Prokonsul ausloste. Die Amtszeit des Silanus wäre übrigens ohnehin bald abgelaufen gewesen.
Der Herrschaftswechsel führte in Ephesus zu den üblichen Unruhen, die diesmal, durch den plötzlichen Tod des Prokonsuls, noch heftigere Formen als sonst annahmen. Die unzähligen Wahrsager, Wunderheiler, Verkäufer von Zauberbüchern und vor allem Silberschmiede, die kleine Nachbildungen des Artemistempels als Reiseandenken verkauften, nutzten die Gelegenheit, um auf den Straßen Lärm zu schlagen und die Juden zu mißhandeln.
Schuld daran war selbstverständlich wieder einmal Paulus, der, wie ich jetzt erst erfuhr, seit einigen Jahren Uneinigkeit in Ephesus stiftete. Ihn hatte der Arzt des Silanus gemeint, und ich hatte es nicht erraten. Paulus hatte seine Anhänger dazu überredet, alle ihre astrologischen Kalender und Traumbücher im Wert von insgesamt ein paar Hunderttausend Sesterze auf dem Forum der Stadt zusammenzutragen und zu verbrennen, um seine, des Paulus, Gegner öffentlich zu beleidigen. Diese Bücherverbrennung hatte im abergläubischen Ephesus viel böses Blut gemacht, und auch die Gebildeten, die nichts auf Horoskope und Traumdeutung gaben, hielten es für unrecht, Bücher zu verbrennen, und fürchteten, man könnte nach der Sterndeuterei die Philosophie und die Dichtung zum Scheiterhaufen verdammen.
Ohnmächtiger Zorn ergriff mich, als mir wieder einmal Paulus als Friedensstörer genannt wurde. Ich hätte Ephesus am liebsten augenblicklich verlassen, aber Publius Celer verlangte von mir, daß ich den Befehl über die römische Garnison und die Reiterei der Stadt übernahm. Er fürchtete neue Aufstände.
Tatsächlich vergingen kaum ein paar Tage, als uns auch schon der Rat der Stadt die beunruhigende Nachricht sandte, daß durch alle Straßen der Stadt große Volkshaufen zum griechischen Theater zogen, um dort eine gesetzwidrige Versammlung abzuhalten. Die Silberschmiede hatten zwei der Weggefährten des Paulus auf offener Straße ergriffen, aber seine anderen Jünger hinderten Paulus mit Gewalt daran, sich selbst zum Theater zu begeben. Sogar die Väter der Stadt sandten ihm eine Warnung und legten ihm nahe, sich nicht unter die Menge zu mischen, denn das hätte zu Mord führen können.
Als es offenbar wurde, daß der Rat der Stadt der Lage nicht mehr Herr war, befahl mir Publius Celer, die Reiterei herauszuführen, und stellte selbst eine Kohorte Fußvolk an den Eingängen des Theaters auf. Er lächelte mit kühlen Augen und schiefem Mund und sagte, er warte schon seit einiger Zeit auf eine günstige Gelegenheit dieser Art, um diesem streitsüchtigen Volk einmal beizubringen, was römische Zucht und Ordnung sei.
Zusammen mit einem Hornisten und dem Kohortenführer betrat ich das Theater, um ein Zeichen zu geben, falls es zu Gewalttätigkeiten kam. In dem riesigen Theater herrschten Lärm und Unruhe, und viele der Anwesenden wußten offenbar nicht einmal, worum es ging, sondern waren einfach nach Art der Griechen mitgelaufen, um wieder einmal aus vollem Hals zu brüllen. Bewaffnet schien keiner zu sein, aber ich konnte mir vorstellen, was für eine Panik ausbrechen würde, falls das Theater mit Gewalt geräumt werden sollte.
Der Zunftälteste der Silberschmiede versuchte die Volksmenge zu beruhigen, um sprechen zu können. Zuvor hatte er sich jedoch solche Mühe gegeben, die Leute aufzuhetzen, daß er heiser geworden war und sich kaum verständlich zu machen vermochte. Ich begriff immerhin so viel, daß er den Juden Paulus beschuldigte, er habe nicht nur in Ephesus, sondern in der ganzen Provinz Asia das Volk zu dem Glauben verführt, die von Menschenhand gemachten Götter seien keine wirklichen Götter.
»Der Tempel der Artemis wird sein Ansehen verlieren und sie selbst, sie, die in Asia und der ganzen Welt verehrt wird, ihre Macht!« schrie er mit gebrochener Stimme.
Die gewaltige Zuhörermenge brüllte aus vollem Hals: »Groß ist die Artemis der Epheser!« Das Gebrüll währte so lange, daß mein Hornist unruhig wurde und schon blasen wollte, aber ich schlug seinen Arm nieder.
Einige Juden mit Quasten an den Mänteln drängten sich zur Bühne, stießen einen Kupferschmied nach vorn und riefen: »Laßt Alexander sprechen!« Ich nehme an, dieser Alexander wollte erklären, daß die rechtgläubigen Juden nichts mit Paulus zu schaffen hatten und daß dieser nicht einmal unter den Christen in Ephesus volles Vertrauen genoß.
Als die Zuhörer aber an seiner Kleidung erkannten, daß er Jude war, wollten sie ihn nicht zu Wort kommen lassen, und sie hatten insofern recht, als ja auch die rechtgläubigen Juden die Götterbilder und deren handwerkliche Anfertigung verurteilten. Um ihn am Reden zu hindern, brach das Volk wieder in den Ruf aus: »Groß ist die Artemis der Epheser!« Nun dauerte das Gebrüll, ich übertreibe nicht, volle zwei Striche auf der Wasseruhr.
Auf einmal stand Publius Celer mit blankem Schwert neben mir und herrschte mich an: »Warum läßt du nicht das Signal blasen? Wir jagen die ganze Versammlung im Handumdrehen auseinander!«
Ich sagte warnend: »In dem Gedränge würden einige Hundert Menschen niedergetrampelt werden.« Der Gedanke schien ihm zu behagen, deshalb fügte ich rasch hinzu: »Sie preisen ihre eigene Artemis. Es wäre sowohl eine Lästerung als auch eine politische Dummheit, eine Versammlung aus diesem Grunde auseinanderzutreiben.«
Als der oberste Richter der Stadt uns an einer der Eingangstüren stehen und zögern sah, winkte er uns verzweifelt zu und bedeutete uns, zu warten. Sein Ansehen war so groß, daß das Volk sich allmählich beruhigte, als er die Bühne betrat, um zu sprechen.
Nun wurden die beiden Christen nach vorn gestoßen. Man hatte sie geschlagen und ihnen die Kleider zerrissen, aber Schlimmeres war ihnen nicht geschehen. Die Juden bespuckten sie, um zu zeigen, was sie von ihnen hielten. Der Richter ermahnte jedoch das Volk, nicht unüberlegt zu handeln, und erinnerte es daran, daß die Stadt Ephesus das vom Himmel herabgefallene Abbild der Göttin Artemis zu verehren habe und keine anderen. Seiner Meinung nach waren die Anhänger des Juden Paulus weder Tempelschänder noch auch nur Lästerer.
Die Vernünftigsten unter den Zuhörern schielten nach meinem roten Helmbusch und dem Hornisten und begannen sich einen Weg aus dem Theater zu bahnen. Einen Augenblick stand alles auf des Messers Schneide, dann aber erinnerten sich viele der Gebildeteren abschreckender Beispiele aus der Geschichte und beeilten sich, das Theater zu verlassen. Publius Celer knirschte mit den Zähnen. Wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, einen scheinbaren Aufstand niederzuschlagen, hätte er nach alter römischer Sitte einen Brand legen und die Werkstätten der Silberschmiede plündern können. So blieb ihm nichts anders übrig, als das Theater zu besetzen und die letzten der Aufwiegler und der Juden, die noch nicht gehen wollten, verprügeln zu lassen. Das war aber auch alles, was an diesem Tag geschah.
Später machte er mir bittere Vorwürfe und sagte: »Wir könnten beide steinreich sein, wenn du nicht so unentschlossen gewesen wärst. Nach der Niederwerfung eines Aufstandes stünden wir obenan auf der Rolle des Ritterstandes. Als Ursache des Aufruhrs hätten wir die schlappe Regierung des Silanus angeben können. Man muß die Gelegenheit im Flug ergreifen, sonst versäumt man sie für alle Zeit.«
Paulus hielt sich eine Weile versteckt und mußte dann aus der Stadt fliehen. Nachdem ich ihm auf Umwegen eine ernste Warnung hatte zugehen lassen, hörten wir, daß er nach Makedonien gereist war. Nach seinem Fortgang wurde es allmählich ruhig in der Stadt, und die Juden hatten an anderes zu denken. Es befanden sich unter ihnen übrigens viele aus Rom verbannte Handwerker, die auf Grund der allgemeinen Begnadigung bei Frühjahrsbeginn zurückzukehren gedachten.
Einstweilen tobten die Winterstürme, und im Hafen lag nicht ein einziges Schiff, das bereit gewesen wäre, nach Italien abzusegeln. Publius Celer hatte jedoch einen tiefen Groll gegen mich gefaßt. Um nicht bleiben und mit ihm streiten zu müssen, suchte ich weiter und machte schließlich ein kleines Schiff ausfindig, das, mit Götterbildern schwer befrachtet, unter dem Schutz der Artemis die Fahrt nach Korinth anzutreten wagte. Wir hatten das Glück, den Nordstürmen zu entgehen, mußten aber unterwegs mehrere Male in Inselhäfen Schutz suchen.
Hierax Lausius hatte mich als tot betrauert, da er so lange nichts von mir gehört hatte. Er war noch dicker geworden, trug den Kopf sehr hoch und hatte sich beim Sprechen einen feierlichen Tonfall angewöhnt. Er war mit der fülligen griechischen Witwe verheiratet und hatte zwei elternlose Knaben ins Haus genommen, um für ihre Erziehung zu sorgen und ihr Eigentum zu verwalten. Stolz zeigte er mir seinen Fleischladen, der im Sommer durch Quellwasser aus dem Berg kühl gehalten wurde. Er hatte auch Anteile an Schiffen erworben und kaufte handwerklich ausgebildete Sklaven, um eine eigene Bronzegießerei zu gründen. Als ich ihm von den Unruhen in Ephesus erzählte, nickte er verständnisvoll und sagte: »Ja, wir haben auch hier unsere Zwistigkeiten. Du erinnerst dich gewiß, daß Paulus nach Jerusalem reiste, um vor den Ältesten Rechenschaft abzulegen. Sie fanden seine Lehre zu verworren und verweigerten ihm, soviel wir hörten, ihre Zustimmung. Kein Wunder, daß er nun in seinem Zorn noch hitziger predigt. Es ist vielleicht wirklich etwas von der Kraft Christi auf ihn übergegangen, da er ja einige Wunderheilungen zustande gebracht hat, aber die vernünftigen Christen halten sich lieber von ihm fern.«
»Du bist also immer noch Christ?« fragte ich verwundert.
»Ich glaube sogar, ich bin ein besserer Christ als je zuvor«, antwortete Hierax. »Ich habe den Frieden in meiner Seele, eine gute Frau und Erfolge in meinen Unternehmungen. Es kam übrigens ein Bote, der Apollos heißt, hierher nach Korinth. Er hat die Schriften der Juden in Alexandria studiert und ist in Ephesus von Aquila und Prisca unterrichtet worden. Er ist ein hinreißender Redner und gewann sich viele Anhänger. Wir haben daher nun eine Apollos-Partei, die ihre eigenen Versammlungen und Mähler abhält und nicht mit den übrigen Christen verkehrt, Prisca hatte so gut von ihm gesprochen, daß er hier herzlich empfangen wurde, und später erst erkannten wir, wie machtlüstern er ist. Zum Glück weilt auch Kephas unter uns, der Erste der Jünger Christi. Er ist viel umhergereist, um die Gemüter zu beruhigen, und gedenkt im Frühling Rom aufzusuchen, um dafür zu sorgen, daß nicht der alte Streit wieder ausbricht, wenn die verbannten Juden zurückkehren. Ich glaube ihm mehr als allen anderen, denn was er lehrt, das hat er aus dem Munde Christi selbst gehört.«
Hierax sprach so ehrerbietig von Kephas, daß ich Lust bekam, ihn zu sehen, obwohl mir Juden wie Christen schon bis zum Halse standen. Ich erfuhr, daß Kephas ursprünglich ein galiläischer Fischer gewesen war, den Jesus von Nazareth etwa fünfundzwanzig Jahre vor meiner Geburt gelehrt hatte, Menschen zu fischen. Kephas hatte da gewiß eine schwere Bürde auf sich genommen, denn er war ein ungebildeter Mann aus dem Volke und sprach mit knapper Not ein paar Worte Griechisch. Er mußte daher immer einen Dolmetsch mitführen. Ich glaubte jedoch allen Grund zu haben, einen Mann kennenzulernen, dem es gelungen war, Hierax fromm zu machen, denn dieses Wunder hatte nicht einmal Paulus mit all seiner jüdischen Gelehrsamkeit und seinem Glaubenseifer bewirken können.
Kephas wohnte bei einem der Juden, die sich zu Christus bekannten. Dieser Jude betrieb einen Handel mit in Öl eingelegtem Fisch und war kein vermögender Mann. Als ich sein Haus, zu dem Hierax mich geführt hatte, betrat, rümpfte ich die Nase. Es stank nach Fisch, und unter meinen Schritten knirschte der Sand, den die vielen Besucher ins Haus gebracht hatten. Ich befand mich in einem kleinen, schlecht beleuchteten Raum. Der jüdische Wirt des Kephas begrüßte uns verlegen und mißtrauisch, so als fürchtete er, meine Anwesenheit könnte seine Wohnstatt verunreinigen.
Er gehörte offenbar zu jenen Juden, die zwar Christus gewählt hatten, dabei aber immer noch versuchten, das jüdische Gesetz einzuhalten und die Berührung mit unbeschnittenen griechischen Christen zu vermeiden. Er befand sich in einer schwierigeren Lage als die Griechen, da die rechtgläubigen Juden ihn als Abtrünnigen mit besonderem Haß verfolgten, und zudem litt er ständig Gewissensqualen wegen des Gesetzes.
Der Jude Kephas trug Quasten an seinem Mantel. Er war ein hochgewachsener Mann mit dichtem Haupthaar und Silberfäden im Bart. Seinen breiten, kräftigen Händen sah man an, daß er früher einmal schwere körperliche Arbeit verrichtet hatte. Sein Blick war gelassen und furchtlos, und als er mich betrachtete, glaubte ich, in seinen Augen eine gewisse Bauernschläue zu erkennen, die mich für ihn einnahm. Er strahlte Ruhe und Sicherheit aus.
Ich muß gestehen, daß ich von unserem Gespräch nicht viel behalten habe. Meist sprach Hierax, auf eine schmeichlerische Art, und wir hatten unsere Not mit dem Dolmetsch, einem schmächtigen Juden, der Marcus hieß und viel jünger als Kephas war. Kephas sprach ein träges Aramäisch in kurzen Sätzen. Ich erinnerte mich meiner Kindheit in Antiochia und versuchte zu verstehen, was er sagte, bevor der Dolmetsch übersetzte, doch das verwirrte mich nur. Im Grunde aber fand ich, daß Kephas eigentlich nichts Bemerkenswertes zu sagen hatte. Er wirkte am stärksten durch die versöhnliche Wärme, die von ihm ausging.
Kephas versuchte auf eine etwas kindliche Art seine Gelehrsamkeit zu beweisen, indem er aus den Schriften der Juden zitierte. Er wies die Schmeicheleien des Hierax würdevoll zurück und ermahnte ihn, nur Jesu Christi Gott und Vater zu preisen, der ihn, Hierax, in seiner Barmherzigkeit zu lebendiger Hoffnung wiedergeboren hatte.
Hierax hatte plötzlich Tränen in den Augen und bekannte aufrichtig, daß er zwar eine Art Wiedergeburt in seinem Herzen wahrgenommen habe, daß aber sein Körper noch immer ein Tummelplatz selbstsüchtiger Begierden sei. Kephas tadelte ihn nicht, sondern betrachtete ihn nur mit einem zugleich milden und schlauen Blick, so als durchschaute er ihn zwar in seiner ganzen menschlichen Schwäche, sähe aber doch auch eine Spur echten Strebens nach dem Guten in seiner abgefeimten Sklavenseele.
Hierax bat Kephas eifrig, zu berichten, wie er König Herodes entronnen war und welche Wunder er in Jesu Christi Namen getan hatte. Der aber hatte begonnen, mich aufmerksam zu mustern, und mochte nicht mit seinen Wundertaten prahlen. Statt dessen trieb er ein wenig Spott mit sich selbst und sagte uns, wie wenig er Jesus von Nazareth verstanden hatte, als er vor dessen Kreuzigung noch mit ihm wanderte. Er berichtete uns sogar, daß es ihm nicht einmal gelungen war, wach zu bleiben, während Jesus in der letzten Nacht seines Erdenlebens betete. Als Jesus gefangengenommen worden war, war er ihm nachgegangen und hatte draußen im Hof beim Kohlenfeuer dreimal geleugnet, daß er ihn kannte, ganz wie Jesus es ihm vorausgesagt hatte, als er, Kephas, sich damit brüstete, daß er bereit sei, mit ihm zu leiden.
Ich kam allmählich zu der Überzeugung, daß des Kephas eigentliche Stärke gerade solche einfachen Geschichten waren, die er Jahr für Jahr so oft wiederholt hatte, daß er sie fließend vorzutragen vermochte. Er, der ungelehrte und des Schreibens unkundige Fischer, trug Christi eigene Worte und Lehrsprüche genau im Gedächtnis und versuchte durch seine Demut und Bescheidenheit anderen Christen ein Vorbild zu sein, die sich, wie Hierax, im Namen Christi wie Kröten aufblasen konnten.
Kephas hatte nichts Abstoßendes an sich, aber ich ahnte, daß er schrecklich aussehen konnte, wenn er sich erzürnte. Auch er machte keinen Versuch, mich zu bekehren, als er mich eine ganze Weile prüfend betrachtet hatte, und das kränkte mich ein wenig.
Auf dem Heimweg gab mir Hierax seine eigene Auffassung offenherzig zu erkennen: »Wir Christen betrachten einander als Brüder. Wie aber alle Menschen ungleich sind, so sind es auch wir Christen. Deshalb gibt es nun eine Partei des Paulus, eine Partei des Apollos, eine Partei des Kephas und andere, die sich, wie ich, einfach an Christus halten und tun, was sie selbst für gut finden, und unsere gegenseitige Unduldsamkeit und Eifersucht machen uns viel zu schaffen. Die Neubekehrten schreien und zanken sich am lautesten im Namen des Geistes und tadeln die friedsameren wegen ihrer Lebensweise. Ich für mein Teil halte mich, seit ich mit Kephas zusammengetroffen bin, nicht für vortrefflicher und weniger tadelnswert als andere.«
Mein erzwungener Aufenthalt in Korinth machte mich unruhig, und ich fühlte mich in meinem eigenen Hause nicht wohl. Ich kaufte ein Geschenk für Nero: ein aus Elfenbein schön geschnitztes Viergespann, denn ich erinnerte mich, daß er als Kind, als seine Mutter ihn noch nicht zu den richtigen Wagenrennen gehen ließ, mit etwas Ähnlichem gespielt hatte.
Die Saturnalien waren längst vorüber, als ich endlich nach einer stürmischen Überfahrt über Puteoli nach Rom heimkehrte.
Tante Laelia war vor Alter krumm und zänkisch geworden und schimpfte mich aus, weil ich mir fast drei Jahre lang nicht die Mühe genommen hatte, ihr zu schreiben. Nur Barbus freute sich aufrichtig, mich wiederzusehen, und berichtete, daß er Mithras für mein Wohlergehen einen ganzen Stier geopfert hatte, und als ich ihm meine Erlebnisse erzählte, war er überzeugt, daß mich nur das Opfer aus der Gefangenschaft in Kilikien errettet hatte.
Ich wollte als erstes auf den Virinal gehen, um meinen Vater zu begrüßen, so fremd ich mich ihm gegenüber auch fühlte, aber Tante Laelia, die sich wieder beruhigt hatte, zog mich beiseite und sagte: »Du gehst am besten nirgendshin, solange du noch nicht weißt, was alles in Rom geschehen ist.«
Sie kochte vor boshaftem Eifer und behauptete, Claudius habe in seinen letzten Tagen beschlossen, Britannicus trotz dessen Jugend die Toga zu geben, und in betrunkenem Zustand von Agrippinas Herrschsucht gesprochen. Deshalb habe ihm Agrippina giftige Pilze zu essen gegeben. Ganz Rom spreche davon, und Nero habe von der Sache gewußt und gesagt, ein Pilzgericht könne einen Menschen zum Gott machen. Claudius war, wie ich schon wußte, zum Gott erhöht worden, und Agrippina ließ ihm einen Tempel errichten. Bisher hatten sich aber noch nicht viele zum Priesterkollegium gemeldet.
»Rom ist also noch das gleiche Klatschnest wie früher«, sagte ich bitter. »Man weiß doch schon seit Jahren, daß Claudius an Magenkrebs litt, wenn er es sich selbst auch nicht eingestehen wollte. Willst du mir mit Absicht die Freude verderben? Ich kenne Agrippina und bin ein Freund Neros. Wie sollte ich so Schlimmes von den beiden denken!«
»Der Sekretär Narcissus hat auch einen Stoß abbekommen, der ihn in den Hades beförderte«, fuhr Tante Laelia fort, ohne auf meine Worte zu achten. »Zu seiner Ehre muß allerdings gesagt werden, daß er vor seinem Selbstmord das Geheimarchiv des Claudius verbrannte, das Agrippina um jeden Preis haben wollte. Auf diese Weise rettete er so manchem Mann im Staate das Leben. Agrippina mußte sich mit hundert Millionen Sesterze begnügen, die sie aus seiner Hinterlassenschaft forderte. Glaub, was du willst, aber ich sage dir, daß es in Rom ein Blutbad gegeben hätte, wenn es Agrippina gelungen wäre, ihren Willen durchzusetzen. Zum Glück sind Seneca und Burrus, der Präfekt der Prätorianer, vernünftige Männer und hinderten sie daran. Seneca wurde zum Konsul gewählt, nachdem er, um dem Senat zu gefallen, eine so böse Satire über Claudius geschrieben hatte, daß niemand mehr von dessen Göttlichkeit hören kann, ohne einen Lachanfall zu bekommen. An sich war das ja nur eine Rache für die Verbannung. Wer sich in Rom ein wenig auskennt, weiß, daß Seneca wegen der Liebschaft mit Agrippinas Schwester in die Verbannung geschickt wurde. Das arme Mädchen mußte deshalb sterben. Ich weiß nicht, ob wir viel Gutes zu erwarten haben, wenn ein schönrednerischer Philosoph die Staatsgeschäfte wahrnimmt. Die Zeiten haben sich geändert. Die jungen Leute lassen sich sogar nach Art der Griechen unanständig gekleidet auf der Straße blicken, nun da Claudius sie nicht mehr zwingt, die Toga zu tragen.«
Tante Laelia schwatzte noch viel, bis ich ihr endlich entkam. Während ich zum Haus meines Vaters auf dem Virinal eilte, bemerkte ich, daß man sich auf den Straßen Roms viel freier benahm als früher. Die Menschen wagten zu lachen. Die unzähligen Statuen auf dem Forum waren mit Spottversen vollgekritzelt, die unter allgemeiner Heiterkeit laut vorgelesen wurden. Niemand machte sich die Mühe, Sie wegzukratzen. Obwohl es noch früher Nachmittag war, sah ich eine ganze Anzahl betrunkener und auf der Zither klimpernder langhaariger Jünglinge.
Tullias Atrium war wie üblich gedrängt voll von Menschen, die empfangen werden wollten, um irgendeine Gunst zu erbitten, diensteifrige Klienten und zu meinem Leidwesen auch Juden, die meinen Vater offenbar nie in Ruhe ließen. Tullia brach ihr eifriges Gespräch mit zwei vornehmen Klatschbasen ab, kam mir zu meiner Verwunderung entgegengestürzt und umarmte mich herzlich. Ihre fetten Finger glitzerten vor lauter Ringen, und die schlaffe Haut ihres Halses versuchte sie mit einem breiten Halsband zu verbergen, das mit Juwelen in mehreren Farben besetzt war.
»Es ist höchste Zeit, daß du von deinen Irrfahrten nach Rom heimkehrst, Minutus!« rief sie. »Als dein Vater hörte, daß du verschwunden warst, wurde er krank vor Unruhe und Sorge, obwohl ich ihn daran erinnerte, wie er selbst sich in seiner Jugend aufgeführt hatte. Zum Glück sehe ich nun, daß du frisch und gesund bist, du schlechter Kerl! Aber hast du dich in Asia mit Betrunkenen geprügelt, weil du so häßliche Narben im Gesicht hast? Ich fürchtete schon, dein Vater sorgt sich deinetwegen noch zu Tode.«
Mein Vater war gealtert, benahm sich aber in seiner Eigenschaft als Senator würdevoller als zuvor. Als ich ihn nach so langer Zeit zum erstenmal wiedersah, fiel mir auf, daß er die traurigsten Augen hatte, die ich je bei einem Menschen bemerkt hatte. Wir konnten nicht unbeschwert miteinander reden, so froh er gewiß über meine Heimkehr war. Ich begnügte mich damit, von meinen Erlebnissen zu berichten, und tat die Zeit meiner Gefangenschaft mit ein paar Worten ab.
Zuletzt fragte ich ihn, mehr im Scherz als im Ernst, was denn die Juden noch immer von ihm wollten.
Mein Vater erklärte mir schuldbewußt: »Prokurator in Judäa ist jetzt Felix, der Bruder des Pallas. Du wirst dich erinnern: Felix, der sich mit einer Enkelin Kleopatras vermählte. Seine Habsucht gibt ständig zu Klagen Anlaß, oder vielleicht verhält es sich ganz einfach so, daß den Juden, diesen ewigen Streithammeln, nichts gut genug ist. Nun hat wieder einmal irgendeiner irgendwo irgendeinen erschlagen. Ich glaube, ganz Judäa ist in den Händen einer Räuberbande. Das ist ein Morden und Brennen ohne Ende, und Felix ist offenbar nicht imstande, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Juden wollen die Sache vor den Senat bringen, aber wer möchte sich da einmischen! Pallas ist viel zu mächtig, und keiner will sich mit ihm verfeinden. Außerdem hat der Senat genug wirkliche Sorgen mit Armenien und Britannien. Wir treten jetzt im Palast zusammen, weil Agrippina hinter einem Vorhang den Besprechungen des Senats lauschen will. Bequemer haben wir es dort allerdings als in der entsetzlichen Kurie, wo einige von uns stehen mußten, wenn der Senat einmal durch ein Wunder vollzählig versammelt war, und wo man sich im Winter die Füße erfror.«
»Und Nero?« fragte ich eifrig. »Was hältst du von ihm?«
»Ich weiß, daß Nero wünschte, er hätte nie schreiben gelernt, als er zum erstenmal ein Todesurteil durch seine Unterschrift bestätigen mußte«, erwiderte mein Vater. »Vielleicht ist er wirklich die Hoffnung der Menschheit, wie einige aufrichtig glauben. Jedenfalls hat er einen Teil seiner richterlichen Gewalt den Konsuln und dem Senat übertragen. Ob er es tat, um uns Vätern seine Achtung zu erweisen oder um sich selbst einem angenehmeren Zeitvertreib widmen zu können, das weiß ich nicht.«
Mein Vater redete offensichtlich nur, um irgend etwas zu sagen. Er runzelte die Stirn, blickte zerstreut an mir vorbei und schien sich nicht im geringsten für die Staatsgeschäfte zu interessieren. Plötzlich sah er mir forschend in die Augen und fragte: »Minutus, mein Sohn, was gedenkst du mit deinem Leben anzufangen?«
»Ich habe zwei Jahre lang gedemütigt und elender als ein Sklave in einer finsteren Höhle gehaust«, erwiderte ich trotzig. »Zwei Jahre hat mir eine Laune der Glücksgöttin von meinem Leben genommen. Wenn ich überhaupt etwas denke, so das, daß ich mir einmal diese zwei Jahre zurückholen und mich wie ein Mensch meines Lebens freuen will, ohne mich mit unnötigen Dingen zu beschweren und mir die Gaben des Lebens zu versagen.«
Mein Vater zeigte auf die glattpolierten Wände, und seine Gebärde schloß gleichsam die ganze Pracht des Hauses ein. »Vielleicht lebe auch ich in einer finsteren Höhle«, sagte er mit abgrundtiefer Trauer in der Stimme. »Ich unterwerfe mich Pflichten und Ehren, um die ich nicht gebeten habe. Du aber bist Blut von deiner Mutter Blut und darfst nicht verlorengehen. Hast du den Becher deiner Mutter noch?«
»Er ist nur aus Holz, und deshalb hielten es die kilikischen Räuber nicht der Mühe wert, ihn mir abzunehmen«, sagte ich. »Wenn wir mehrere Tage kein Wasser bekamen, die Zunge am Gaumen klebte und unser Atem stank wie Raubtieratem, hielt ich den Becher an die Lippen und bildete mir ein, er sei voll. Doch das war er nicht. Ich glaubte es nur in meinem Wahn.«
Ich hütete mich, meinem Vater von Paulus und Kephas zu erzählen, denn ich wollte sie aus meinem Gedächtnis streichen, als hätte ich sie nie gesehen. Mein Vater sagte jedoch: »Ich wollte, ich wäre ein Sklave und arm, um mein Leben von neuem zu beginnen. Aber für mich ist es zu spät. Die Fesseln sind mir schon ins Fleisch eingewachsen.«
Der Traum der Philosophen vom einfachen Leben bedeutete mir nichts. Seneca hatte die Segnungen der Armut und der Sinnesruhe in schönen, wohlgesetzten Worten gepriesen, er selbst aber ließ sich von Macht, Ehre und Reichtum bezaubern und erklärte, diese könnten den Weisen ebensowenig erschüttern wie Armut und Verbannung.
Zuletzt sprachen wir über finanzielle Dinge. Nachdem er sich mit Tullia beraten hatte, beschloß mein Vater, mir zunächst einmal eine Million Sesterze zur Verfügung zu stellen, damit ich standesgemäß leben, Gäste einladen und nützliche Verbindungen anknüpfen konnte. Er versprach mir für später noch mehr, da es ihm, wie er sagte, unmöglich war, sein Geld aufzubrauchen, sosehr er sich auch bemühte.
»Dein Vater braucht etwas, was ihn befriedigen und sein Leben ausfüllen würde«, klagte Tullia. »Er macht sich nicht einmal mehr etwas aus den Vorlesungen, obwohl ich ein eigenes Auditorium im Haus einrichten ließ, weil ich annahm, du würdest dich vielleicht ganz dem Schreiben widmen. Er sollte alte Musikinstrumente oder griechische Malereien sammeln und dadurch berühmt werden. Manche legen Wasserbecken an, in denen sie seltene Fische züchten, oder bilden Gladiatoren aus, und er hätte sogar die Mittel, sich Rennpferde zu halten. Das ist der kostspieligste und vornehmste Zeitvertreib, den ein Mann in mittleren Jahren sich leisten kann. Aber nein, er ist ja so starrsinnig. Bald läßt er irgendeinen Sklaven frei, bald teilt er Geschenke an wertloses Gesindel aus. Er könnte sich freilich auch noch einen schlimmeren Zeitvertreib einfallen lassen, und im allgemeinen kommen wir ja ganz gut miteinander aus, nachdem jeder gelernt hat, ein wenig nachzugeben.«
Ich hätte bis zum Abend bleiben sollen, glaubte aber, mich so rasch wie möglich im Palast anmelden zu müssen, bevor die Kunde von meiner Ankunft auf anderen Wegen dorthin gelangt war. Für so wichtig hielt ich mich. Die Wachtposten ließen mich eintreten, ohne mich auf Waffen zu durchsuchen, so sehr hatten sich die Zeiten geändert, aber wie verwunderte ich mich, als ich sah, was für eine Menge von Glücksrittern in den Arkaden herumlungerte und auf eine günstige Gelegenheit wartete! Ich wandte mich an mehrere Höflinge, aber Seneca war so beschäftigt, daß er mich nicht empfangen konnte, und Kaiser Nero selbst hatte sich eingeschlossen, um zu dichten, und durfte nicht gestört werden, wenn die Musen bei ihm weilten.
Ich war bedrückt, als ich erkannte, wie groß die Zahl derer war, die auf irgendeine Weise die Gunst des jungen Kaisers zu erlangen trachteten. Als ich schon wieder gehen wollte, kam einer der unzähligen Sekretäre des Pallas und führte mich zu Agrippina. Sie schritt erregt auf und ab und trat die kostbaren orientalischen Teppiche zur Seite.
»Warum läßt du dich nicht sofort bei mir melden?« fragte sie zornig. »Hast auch du alle Achtung und Verehrung für mich abgelegt? Undank ist der Welt Lohn. Ich glaube nicht, daß es eine Mutter gibt, die so viel für ihren Sohn und seine Freunde getan hat wie ich.«
»Augusta, Mutter des Vaterlandes«, rief ich, obwohl ich wußte, daß sie diesen Ehrentitel nicht erhalten hatte, denn sie war nur Priesterin des Gottes Claudius. »Wie kannst du mir Undank vorwerfen! Ich wagte es nur nicht, dich mit meinen unwichtigen Angelegenheiten in deiner großen Trauer und Sorge zu stören.«
Agrippina ergriff meine Hand, drückte ihren vollen Busen gegen meinen Arm und atmete mir einen aufdringlichen Veilchenduft ins Gesicht. »Es ist gut, daß du zurückgekommen bist, Minutus Lausus«, sagte sie. »Du bist nicht leichtsinnig, obwohl du einst in deiner Unerfahrenheit einen Fehltritt begangen hast. Nero braucht jetzt seine wirklichen Freunde. Er ist unentschlossen und allzu leicht zu beeinflussen. Vielleicht habe ich ihn zu streng behandelt, ich weiß es nicht, aber ich glaube nun zu bemerken, daß er mir mit Absicht ausweicht, obwohl er anfangs immer neben mir in der Sänfte saß oder ihr höflich folgte. Du weißt vielleicht, daß mir der Senat das Recht zugesprochen hat, im Wagen bis zum Kapitol hinaufzufahren, wenn ich will. Nero verschwendet wahnwitzige Summen für unwürdige Freunde, Zitherspieler, Schauspieler, Wagenlenker und Verfasser aller erdenklichen Huldigungsschriften, so als hätte er vom Wert des Geldes keine Vorstellung. Pallas ist sehr besorgt. Ihm ist es zu danken, daß zu Lebzeiten des armen Claudius wenigstens noch eine gewisse Ordnung in den Staatsfinanzen herrschte. Die kaiserliche Handkasse war streng von der Staatskasse getrennt, aber diesen Unterschied will Nero nicht begreifen. Noch dazu hat er sich in eine Sklavin vergafft. Es ist nicht zu fassen: Nero zieht ein weißhäutiges Mädchen seiner eigenen Mutter vor! Das ist ein Benehmen, wie es sich für einen Kaiser nicht ziemt, und noch dazu hat er betrügerische Freunde, die ihn zu allerlei unsittlichen Dingen verführen.«
Die willensstarke, schöne Agrippina, die sonst so beherrscht und erhaben wie eine Göttin auftrat, war so erregt, daß sie, in allzu großem Vertrauen auf meine Freundschaft, ihrer Enttäuschung vor mir Luft machte!
»Seneca hat mein Vertrauen auf die gemeinste Weise mißbraucht!« rief sie. »Dieser verfluchte glattzüngige Heuchler! Ich war es, die ihn aus der Verbannung zurückholte. Ich war es, die ihn als Lehrer für Nero anstellte. All seine Erfolge hat er mir zu danken. Du weißt, wie es in Armenien aussieht. Als Nero Gesandte von dort empfangen sollte, ging ich in den Saal, um meinen rechtmäßigen Platz an seiner Seite einzunehmen. Seneca aber bat Nero, mich hinauszuführen, behutsam und ganz als liebender Sohn. Es war eine Beleidigung in aller Öffentlichkeit. Die Frau soll sich nicht in die Staatsgeschäfte einmischen, ja, aber es gibt eine Frau, die Nero zum Kaiser gemacht hat!«
Ich konnte mir vorstellen, was die armenischen Gesandten gedacht haben würden, wenn sie eine Frau öffentlich neben dem Kaiser hätten auftreten sehen, und fand, daß Nero in dieser Sache mehr Verstand bewiesen hatte als Agrippina, aber das konnte ich ihr nicht sagen. Ich betrachtete sie erschrocken, wie man eine verwundete Löwin betrachtet, und begriff, daß ich gerade rechtzeitig zurückgekehrt war, um die Entscheidung in dem Kampf darum mitzuerleben, wer in Rom herrschen sollte: Agrippina oder die Ratgeber Neros. Ich war überrascht, denn ich wußte, wie abhängig Nero einst von seiner Mutter gewesen war.
Verwirrt versuchte ich etwas von meinen eigenen Erlebnissen zu berichten, aber Agrippina hatte nicht die Geduld, mir zuzuhören. Erst als ich den Herzschlag des Prokonsuls Silanus erwähnte, merkte sie auf, nickte und sagte: »Es war das beste so, sonst wären wir eines Tages gezwungen gewesen, ihn wegen Verrats zu verurteilen. Alle Silvaner waren giftige Ottern in ihrem Familienstolz.«
In diesem Augenblick kam ein Diener herbeigeeilt und meldete, daß Nero sich, verspätet wie üblich, zu Tisch begeben hatte. Agrippina gab mir einen Schlag auf die Schulter und sagte: »Lauf, du Dummkopf! Lauf, und laß dich von niemandem aufhalten.«
So bezwingend war ihr Wille, daß ich mich wirklich halb laufend auf den Weg machte und allen Dienern, die mich aufhalten wollten, zu verstehen gab, ich sei zum Abendtisch des Kaisers geladen. Nero hielt in dem kleineren Speiseraum des Palastes Tafel, der nur etwa fünfzig Gäste faßte und schon so voll war, daß die Liegesofas nicht mehr ausreichten und je drei sich eines teilten. Mehrere Gäste mußten sogar sitzen. Nero war erhitzt und nachlässig gekleidet, aber sein angenehmes Jünglingsgesicht strahlte vor Freude. Er starrte mich zuerst kurzsichtig an, umarmte mich dann aber und ließ mir einen Stuhl neben seinen eigenen Ehrenplatz stellen.
»Die Musen waren mir gewogen!« rief er. Dann beugte er sich vor und flüsterte mir ins Ohr: »Minutus, Minutus, hast du je erfahren, was es heißt, aus ganzer Seele zu lieben? Lieben und geliebt werden, was kann der Mensch sich Schöneres wünschen!«
Er aß rasch und gierig, während er einem gewissen Terpnus Anweisungen gab. Man mußte mir erst sagen, daß Terpnus der berühmteste Zitherspieler jener Tage war, so ungebildet war ich noch. Während des Mahls komponierte er eine Weise zu den Liebesversen, die Nero am Nachmittag gedichtet hatte, und sang sie dann den atemlos lauschenden Gästen vor.
Seine Stimme war gut geschult und so kräftig, daß sie einem in die Eingeweide fuhr. Nach seinem Gesang zur Zither brachen wir alle in tosenden Beifall aus. Ich weiß nicht, wie kunstfertig Neros Verse waren und ob oder wieweit er andere Dichter nachahmte, aber so, wie Terpnus sie vortrug, machten sie einen großen Eindruck. Nero dankte mit gespielter Verschämtheit für den Beifall, nahm Terpnus das Instrument aus der Hand, schlug sehnsüchtig die Saiten an, wagte aber nicht zu singen, obwohl viele ihn darum baten.
»Eines Tages werde ich singen«, sagte er bescheiden. »Aber erst muß Terpnus meine Stimme ausbilden und kräftigen. Ich weiß wohl, daß aus meiner Stimme etwas werden kann, und wenn ich einmal singe, will ich nur mit den Besten in Wettstreit treten. Das ist mein einziger Ehrgeiz.«
Immer wieder bat er Terpnus, zu singen, und wurde es nicht müde, ihm zu lauschten. All denen, die sich bei ihren Bechern halblaut zu unterhalten versuchten, warf er zornige Blicke zu. Mir selbst fiel es zuletzt, offen gestanden, schwer, das Gähnen zu unterdrücken. Ich betrachtete die anderen Gäste und stellte fest, daß Nero bei der Wahl seiner Freunde nicht sonderlich auf Geburt und Rang achtete, sondern sich ganz von seinen persönlichen Neigungen leiten ließ.
Der vornehmste der Gäste war Marcus Otho, der wie mein Vater von den etruskischen Königen abstammte und dessen Vater der Senat eine Statue errichtet hatte. Er hatte jedoch wegen seiner Verschwendungssucht und Unverschämtheit einen schlechten Ruf, und ich erinnerte mich, gehört zu haben, daß sein Vater ihn noch züchtigte, als er schon die Toga trug. Auch Claudius Senecio war anwesend, dessen Vater nur ein Freigelassener des Kaisers Gajus war. Die beiden waren stattliche junge Männer, die allen zu gefallen vermochten, wenn sie nur wollten. Einer der Gäste war ein reicher Verwandter Senecas, Annaeus Serenus, und Nero unterhielt sich flüsternd mit ihm, wenn Terpnus schwieg und seine Stimme mit Eiern glättete.
Wenn Nero dem Gesang lauschte, versank er in Träumerei und sah mit seinen schönen Zügen und dem rötlichen Haar wie ein marmorner Endymion aus. Zuletzt sandte er die meisten Gäste fort und behielt nur etwa zehn zurück. Auch ich blieb, da er mich nicht zu gehen bat. In seiner jugendlichen Lebenslust hatte er den Abend noch nicht genug genossen und schlug uns vor, wir sollten uns verkleiden und den Palast heimlich verlassen, um uns in der Stadt zu unterhalten.
Er selbst legte Sklavenkleidung an und zog sich eine Kapuze über den Kopf. Wir waren allesamt so betrunken, daß wir alles spaßig fanden. Lachend und johlend schwankten wir die steile Straße zum Forum hinunter, und nur als wir am Haus der Vestalinnen vorbeikamen, geboten wir einander zu schweigen. Otho machte einige unflätige Bemerkungen, die bewiesen, daß er völlig gottlos war.
In der Straße der Goldschmiede stießen wir auf einen betrunkenen Ritter, der darüber klagte, daß er seine Gesellschaft verloren hatte. Nero suchte Streit mit ihm und schlug ihn nieder, als er handgreiflich werden wollte. Er war sehr kräftig für seine achtzehn Jahre. Otho zog seinen Mantel aus, und mit diesem prellten wir den Ritter hoch in die Luft. Zuletzt stieß Senecio ihn in eine Kloakenöffnung, aber wir zogen ihn wieder heraus, denn ertrinken sollte er doch nicht. Dann trommelten wir mit den Fäusten gegen die geschlossenen Läden der Geschäfte und rissen die Schilder los, die wir als Triumphzeichen mitnahmen, und schließlich erreichten wir die stinkenden Gassen Suburras.
Dort drangen wir in eine kleine Schenke ein, warfen, die Gäste hinaus und zwangen den Wirt, uns Wein anzubieten. Der Wein war, wie nicht anders zu erwarten, schlecht, und zur Strafe zerschlugen wir alle Krüge, so daß das elende Gesöff über den Boden und hinaus auf die Straße rann. Als der Wirt in seiner Machtlosigkeit zu weinen begann, versprach ihm Serenus jedoch, er werde ihm den Schaden ersetzen. Nero war sehr stolz auf eine Platzwunde auf der einen Wange und verbot uns streng, den Ochsentreiber aus Latium zu bestrafen, der sie ihm geschlagen hatte, ja er nannte den grobschlächtigen Flegel auch noch einen Ehrenmann.
Senecio war dafür, irgendein Bordell aufzusuchen, aber Nero sagte traurig, er dürfe seiner strengen Mutter wegen nicht einmal mit den besten Dirnen verkehren. Serenus machte eine geheimnisvolle Miene, beschwor uns zu schweigen und führte uns zu einem schönen Haus auf dem Hang des Palatins. Er erzählte uns, daß er es für die schönste Frau der Welt gekauft und eingerichtet habe. Nero gab sich schüchtern und verwirrt und fragte mehrere Male: »Dürfen wir sie wohl so spät noch stören?« und: »Was meinst du, werde ich ihr vielleicht ein Gedicht vortragen dürfen?«
All das war Verstellung, denn in dem Haus wohnte niemand anders als die freigelassene griechische Sklavin Acte, in die Nero sich bis über beide Ohren verliebt hatte. Serenus war nur zum Schein ihr Liebhaber, um ihr in seinem Namen die zahllosen Geschenke Neros übergeben zu können. Ich muß zugeben, daß Acte mit ihren reinen Zügen bewundernswert schön war, und offensichtlich war auch sie wirklich verliebt, denn sie war außer sich vor Freude, als sie da gegen Morgen geweckt wurde, um den betrunkenen Nero und seine Zechkumpane zu empfangen.
Nero schwor, daß Acte von König Attalus abstamme, was er eines Tages der ganzen Welt zu beweisen gedachte. Mir gefiel es nicht, daß er uns das Mädchen unbedingt nackt zeigen wollte, um mit ihrer schneeweißen Haut zu prahlen. Das wohlerzogene Mädchen weigerte sich zuerst auch, aber Nero hatte nur sein Vergnügen daran, daß sich ihre Wangen vor Scham röteten, und sagte, er könne seinen Freunden nichts vorenthalten, und sie müßten selbst sehen, daß er der glücklichste und beneidenswerteste Mann der Welt sei.
So begann mein neues Leben in Rom, und es war kein ehrbares Leben. Nach einiger Zeit bot mir Nero seine Fürsprache an, falls ich irgendein Amt wünschte, ja er war sogar bereit, dafür zu sorgen, daß ich eine Kohorte der Prätorianergarde bekam. Ich lehnte ab und sagte, ich wollte nur sein Freund und Begleiter sein, um die Lebenskunst zu erlernen. Das gefiel ihm, und er antwortete mir: »Du wählst klug, Minutus. Jedes noch so leichte Amt ist eine Zeitvergeudung.«
Zu Neros Ehre muß ich sagen, daß er gerecht und bedachtsam urteilte, wenn er in Angelegenheiten zu Gericht sitzen mußte, die er nicht auf den Stadtpräfekten oder den Präfekten der Prätorianer, Burrus, abschieben konnte. Er beschränkte die Suada der Advokaten auf das nötige Maß und forderte von den anderen Richtern schriftliche Gutachten an, um ihren Schmeicheleien zu entgehen. Nachdem er die verschiedenen Gutachten gelesen hatte, fällte er am nächsten Tag nach eigenem Gutdünken das Urteil. Er verstand es trotz seiner Jugend, würdevoll in der Öffentlichkeit aufzutreten, obwohl er nach Künstlerart nachlässig gekleidet ging und das Haar lang trug.
Ich beneidete ihn nicht um sein Los. Es ist nicht einfach, mit siebzehn Jahren zum römischen Imperator ausgerufen zu werden und, ständig von einer eifersüchtigen und machtlüsternen Mutter bedrängt, über die Welt zu herrschen. Ich glaube, nur seine innige Liebe zu Acte bewahrte ihn davor, Agrippinas Einfluß zu unterliegen. Daß sie ihn auch von seiner Mutter entfernte, bereitete ihm Kummer, aber er konnte ihre gehässigen Worte über Acte nicht ertragen, und er hätte gewiß eine schlechtere Wahl treffen können, denn Acte mischte sich nicht in die Politik ein und verlangte nicht einmal Geschenke von ihm, wenngleich sie sich über die freute, die sie bekam.
Allmählich und ohne daß er es merkte, gelang es Acte auch, in Nero die Wildheit der Domitier zu zügeln. Sie verehrte Seneca, und Seneca begünstigte daher insgeheim auch diese Liebschaft. Er war der Meinung, daß es für Nero viel gefährlicher wäre, wenn er sich in eine vornehme, geburtsstolze römische Jungfrau oder junge Matrone verliebte. Neros Ehe mit Octavia war eine reine Formsache. Er hatte Octavia noch nicht beigewohnt, da sie noch zu kindlich war. Außerdem verabscheute er sie darum, daß sie die Schwester des Britannicus war, und ich muß selbst sagen, daß Octavia nicht viel Einnehmendes an sich hatte. Sie war ein verschlossenes hochmütiges Mädchen, mit dem man kaum ein vernünftiges Wort reden konnte, und hatte leider nichts von der Schönheit und dem Zauber ihrer Mutter Messalina geerbt.
Agrippina war zu klug, um nicht letzten Endes einzusehen, daß ihre Vorwürfe und Zornausbrüche Nero nur abstießen. Sie wurde wieder die zärtliche Mutter, streichelte und küßte ihn und bot ihm an, ihr Schlafgemach zu teilen, damit sie seine engste Vertraute werden könne. Auf Grund all dessen plagte ihn nun ständig das Gewissen. Einmal, als er aus dem Kleider- und Schmuckvorrat des Palatiums ein Geschenk für Acte auswählte, legte er, von seinem schlechten Gewissen getrieben, in aller Unschuld das schönste Kleid und einen Juwelenschmuck für Agrippina zur Seite, aber Agrippina geriet darüber in maßlosen Zorn und schrie, daß alle Kostbarkeiten des Palastes ohnehin ihr gehörten, da sie sie nach Claudius geerbt hatte, und daß Nero nur dank ihrem stillschweigenden Einverständnis darüber verfügen durfte.
Auch ich zog mir den Zorn Agrippinas zu, weil ich ihr nach ihrer Meinung nicht aufrichtig genug berichtete, was Nero und seine Freunde anstellten und welche politischen Ansichten sie hegten. Es war, als hätte diese durch ihre Erfahrungen bitter gewordene Frau plötzlich jeden Halt verloren, als sie zu begreifen begann, daß sie nicht durch ihren Sohn über Rom herrschen konnte. Ihre Züge verkrampften sich zu abstoßender Häßlichkeit, ihre Augen starrten wie die der Medusa, und ihre Sprache wurde so grob und unflätig, daß es einem schwerfiel, ihr zuzuhören. Ich dachte nicht mehr gut von ihr.
Ich glaube, der eigentliche Grund dafür, daß Nero sich mit seiner Mutter nicht vertrug, war der, daß er sie zu sehr liebte, mehr liebte, als ein Sohn seine Mutter lieben soll, und daran war Agrippina selbst schuld. Er fühlte sich zugleich zu ihr hingezogen und von ihr abgestoßen und flüchtete deshalb in Actes Arme oder tobte sich bei nächtlichen Schlägereien in den Gassen Roms aus. Andrerseits verhielt es sich wohl so, daß Senecas Tugendlehre seinem innersten Wesen Zwang auferlegte und Nero sich wenigstens nach außen hin als ein würdiger Schüler zu erweisen versuchte. Agrippina aber beging in ihrer rasenden Eifersucht den Fehler, die Beherrschung zu verlieren.
Ihre einzige, dafür aber um so kräftigere Stütze war der griechische Freigelassene Pallas, der von sich behauptete, er stamme von den sagenhaften arkadischen Königen ab, und der, nachdem er dem Staat unter drei Kaisern gedient hatte, so schlau und vorsichtig geworden war, daß er niemals mit seinen Sklaven sprach, damit ihm keiner seine Worte verdrehe, sondern alle Befehle schriftlich gab. Ich für mein Teil glaube, daß er selbst das Gerücht ausstreute, Agrippina habe ein Verhältnis mit ihm. Jedenfalls war es Pallas gewesen, der Claudius als erster geraten hatte, sich mit ihr zu vermählen, und es war verständlich, daß die Freundschaft, die sie ihm, dem ehemaligen Sklaven, öffentlich erwies, ihm schmeichelte.
Nero behandelte er, als wäre er ein unvernünftiger Knabe, und er nutzte jede Gelegenheit, zu beweisen, wie unentbehrlich seine Erfahrungen dem Staate waren. Als Nero die Steuern senken wollte, um dem Volk und den Provinzen zu gefallen, stimmte ihm Pallas scheinbar bereitwillig zu, fragte dann aber spöttisch, wo der Herrscher die Einkünfte hernehmen wolle, die der Staat brauchte, und bewies mit eindeutigen Zahlen, daß dem Reich der Bankrott drohte, wenn die Steuern gesenkt würden. So begabt Nero in vielen anderen Dingen war: von Zahlen verstand er nichts, und im übrigen war er der Ansicht, daß das Rechnen eines Kaisers nicht würdig, sondern Sache der Sklaven sei.
Pallas war ein furchtloser Mann. Vor einem Vierteljahrhundert hatte er ohne Zögern sein Leben aufs Spiel gesetzt und war nach Capri geeilt, um die Verschwörung des Sejanus aufzudecken. Sein Vermögen war ungeheuer – man sprach von dreihundert Millionen Sesterze –, und ebenso groß war sein Einfluß. Britannicus und Octavia achtete er als Kinder des Claudius, und an Messalinas erbärmlichem Tod war er nicht unmittelbar mitschuldig. Als er sich seinerzeit bereit erklärte, die Staatsfinanzen zu übernehmen, hatte Claudius ihm versprechen müssen, daß er nie Rechenschaft von ihm fordern werde, und das gleiche Versprechen hatte Pallas auch Nero am Tag seines Machtantritts abverlangt, als er die Gelder, die Nero den Prätorianern versprochen hatte, aus der Staatskasse zahlte.
Er war jedoch ein alternder, müder Mann, und die Verwaltung der Staatsfinanzen hatte, wie man von allen Seiten hören konnte, mit der gewaltigen Entwicklung Roms nicht Schritt gehalten, sondern war in alten Traditionen erstarrt. Trotzdem betrachtete sich Pallas als unentbehrlich. Jedesmal wenn er mit Nero Streit hatte, drohte er, von seinem Amt zurückzutreten, was, wie er sagte, den unmittelbaren Zusammenbruch der Finanzen zur Folge haben würde, und spöttisch fügte er hinzu: »Frag nur deine Mutter, wenn du mir nicht glaubst.«
Seneca, der für seine eigene Stellung fürchtete, unternahm an Neros Stelle den entscheidenden Schritt. Mit Hilfe der geschicktesten Bankiers Roms arbeitete er in allen Einzelheiten einen Plan für die Verwaltung der Staatsfinanzen und eine gründliche Erneuerung des Steuerwesens zum Nutzen für den Staat und die Wirtschaft aus. Dann beriet er sich mit Burrus und ließ die Prätorianer das Palatium und das Forum bewachen. Zu Nero sagte er: »Bist du der Kaiser, oder bist du es nicht? Ruf Pallas zu dir und sag ihm, daß er zu gehen hat.«
Nero fürchtete und verehrte Pallas so sehr, daß er fragte: »Soll ich ihm nicht lieber einen schriftlichen Befehl schicken, wie er selbst es zu tun pflegt?«
Aber Seneca wollte Nero hart machen und verlangte, er müsse Pallas selbst gegenübertreten, so schwer es ihn auch ankomme. Pallas hatte natürlich schon von der Neuordnung gehört, aber er verachtete den Schulmeister und Philosophen Seneca zu sehr, um die Gerüchte ernst zu nehmen. Nero wollte seine Freunde um sich haben, um ihren Beifall einzuheimsen, wenn er als Herrscher auftrat, allerdings aber auch, weil er ihren Beistand nötig hatte, und so kam es, daß auch ich dieses unangenehme Ereignis mit eigenen Augen bezeugen mußte.
Als Pallas die Aufforderung erhielt, vor Nero zu erscheinen, stand er bereits unter Bewachung, so daß es ihm nicht mehr möglich war, Agrippina zu benachrichtigen. Er trat stolz und furchtlos vor Nero hin, und nicht eine Miene rührte sich in seinem von Sorge und Verantwortung gefurchten Gesicht, als dieser mit schönen Gebärden eine wohlklingende Rede zu seinen Ehren hielt, ohne die arkadischen Könige zu vergessen, und ihm gerührt für die Dienste dankte, die er dem Staat geleistet hatte.
»Ich kann es nicht länger ertragen, dich vor der Zeit altern und unter dem Gewicht der allzu großen Verantwortung, über die du selbst so oft geklagt hast, zusammenbrechen zu sehen«, schloß Nero. »Als besondere Gunst gestatte ich dir, dich unverzüglich auf dein Landgut zurückzuziehen, von dessen Pracht das Gerücht zu berichten weiß, um bis zum Ende deiner Tage die Reichtümer zu genießen, die du angesammelt hast, ohne daß das geringste Mißtrauen deinen Ruf befleckt.«
Pallas antwortete darauf nur: »Du erlaubst doch wohl, daß ich, bevor ich gehe, den Reinigungseid im Kapitol ablege, wie es mir in meiner Stellung zukommt.«
Nero erwiderte, daß er sein Versprechen halten und einem so treuen, zuverlässigen Diener des Staates einen solchen Eid nicht abverlangen wolle. Wenn aber Pallas, um sein Gewissen zu erleichtern, darauf bestände, so habe er, Nero, nichts dagegen einzuwenden; im Gegenteil: der Eid würde den Gerüchten ein Ende machen, die über die Habgier des Pallas im Umlauf seien.
Wir drückten alle durch eifriges Klatschen, Gelächter und Zurufe unseren Beifall aus. Nero reckte sich in seinem purpurnen Imperatorenmantel wie ein Hahn und lächelte zufrieden vor sich hin. Pallas begnügte sich damit, uns der Reihe nach kalt in die Augen zu blicken, und ich werde diesen Blick nie vergessen, so voll eisiger Verachtung für uns, die besten Freunde Neros, war er. Später gestand ich mir beschämt, daß ein Vermögen von dreihundert Millionen Sesterze keine übermäßig reichliche Entschädigung für die ordentliche Verwaltung der ungeheuren Finanzen des römischen Reiches durch volle fünfundzwanzig Jahre war. Seneca hatte, als Wiedergutmachung für seine Verbannung ebensoviel in nur fünf Jahren eingestrichen, und ich schweige von meinem eigenen Vermögen, dessen Umfang Du, mein Sohn Julius, nach meinem Tode anhand des Nachlaßverzeichnisses ermitteln wirst. Ich selbst habe mir seit Jahren nicht mehr die Mühe genommen, es auch nur annähernd abzuschätzen.
Das Ausrücken der Prätorianer brachte ganz Rom auf die Beine, und das Volk versammelte sich auf dem Forum und den anderen Plätzen. Die Nachricht, daß Pallas in Ungnade gefallen war, löste allgemeine Freude aus, denn was verschafft der Masse größere Genugtuung als der Sturz eines vermögenden und allzu einflußreichen Mannes! Bald äfften umherziehende Gaukler die großartigen Gebärden des Pallas an allen Straßenecken nach und dichteten Spottlieder auf ihn.
Als aber Pallas mit einem Gefolge von achthundert Freigelassenen und Helfern vom Palatin herabgeschritten kam, verstummte der Volkshaufe und machte seinem feierlichen Zuge ehrerbietig Platz. Pallas verließ sein Amt wie ein orientalischer König. Sein Gefolge funkelte vor kostbaren Stoffen, Silber und Juwelen. Niemand treibt mehr Aufwand mit seiner Kleidung als ein ehemaliger Sklave, und Pallas hatte allen befohlen, in ihren besten Gewändern zu erscheinen.
Selbst trug er nur einen einfachen weißen Mantel, als er den Kapitolinischen Hügel hinaufstieg, zuerst zur Münze im Tempel der Juno Moneta und von dort zur Staatskasse im Saturntempel. Vor den Götterbildern in beiden Tempeln legte er den Reinigungseid ab, den er danach im Jupitertempel noch einmal bekräftigte.
Um Verwirrung zu stiften, nahm Pallas alle seine Freigelassenen mit, die er im Lauf der Jahre für die verschiedenen Aufgaben ausgebildet hatte. Vermutlich hoffte er, Nero werde gezwungen sein, ihn nach wenigen Tagen zurückzurufen. Seneca hatte diesen Fall jedoch vorausgesehen. Fünfhundert geschickte Sklaven, die von den Bankiers zur Verfügung gestellt worden waren, besetzten unverzüglich das Amtsgebäude des Pallas auf dem Palatin, und mehrere Untergebene des Pallas kehrten bereitwillig zu ihren früheren Beschäftigungen zurück, sobald dieser die Stadt verlassen hatte. Seneca behielt sich selbst die höchste Verfügungsgewalt vor und gründete eine Art Staatsbank, die auf seine Rechnung große Summen an Ägypten und die britischen Stammeskönige auslieh. Auf diese Weise arbeitete das Geld und trug Seneca Zinsen ein.
Nero wagte mehrere Tage nicht vor seine Mutter zu treten. Agrippina fühlte sich tödlich beleidigt, schloß sich in ihren Gemächern im Palatium ein und rief Britanniens mit seinem Gefolge und seinen Lehrern zu sich, um zu zeigen, an wen sie sich hinfort zu halten gedachte. Zum Gefolge des Britannicus gehörte Vespasians Sohn Titus und eine Zeitlang auch Annaeus Lucanus, dessen Vater ein Vetter Senecas war und der selbst viel zu gute Verse machte, um Nero gefallen zu können. Denn Nero umgab sich zwar gern mit Dichtern und Künstlern und ordnete ab und zu sogar einen Wettstreit unter den Dichtern an, aber er mochte nie zugeben, daß ein anderer ihm überlegen sei.
Nero glaubte seine Rolle bei der Absetzung des Pallas sehr geschickt gespielt zu haben, aber sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe, wenn er an seine Mutter dachte. Gleichsam zur Buße übte er nun unter der Anleitung des Terpnus seine Stimme mit Eifer und Ausdauer, fastete und lag stundenlang mit einer Bleiplatte auf der Brust auf dem Rücken. Seine Stimmbildungsübungen hörten sich kläglich an, und wir schämten uns, offen gestanden, für ihn und achteten darauf, daß nicht etwa ein alter Senator oder ein Gesandter, der sich gerade im Palatium aufhielt, ihn hörte.
Die guten Nachrichten, die zu dieser Zeit aus Armenien eintrafen, stärkten in gewissem Sinne sein Selbstbewußtsein. Auf Senecas und Burrus’ Rat hatte Nero Corbulo, den berühmtesten Feldherrn Roms, aus Germanien zurückberufen und nach Armenien geschickt, damit er dort die Unruhen niederschlage. Daß dieser Pufferstaat von den Parthern besetzt worden war, stellte nach römischer Überlieferung einen ausreichenden Kriegsgrund dar.
In gegenseitigem Wettstreit um den Oberbefehl hatten Corbulo und der Prokonsul in Syrien nach Eilmärschen das Ufer des Euphrat besetzt und so viel Entschlossenheit bewiesen, daß die Parther es für angezeigt hielten, Armenien zu räumen, ohne daß es zu regelrechten Kampfhandlungen gekommen wäre. Der Senat beschloß, in Rom ein Dankfest zu feiern, erteilte Nero das Triumphrecht und ließ sein Liktorenbündel mit Lorbeer umwinden.
Diese Geschehnisse waren ganz dazu angetan, die Öffentlichkeit wieder zu beruhigen. Viele hatten nämlich befürchtet, Neros Entschlossenheit könne zu einem Krieg mit den Parthern führen, und das Geschäftsleben Roms war durch die Kriegsgerüchte empfindlich gestört worden.
Die Saturnalien wurden in diesem Jahr vier Tage lang und ausgelassener denn je zuvor gefeiert. Einer versuchte den andern an kostbaren Geschenken zu überbieten, und man lachte über die geizigen Alten, die am überlieferten Brauch festhalten wollten und nur Tonfiguren und Festbrot austauschten. Im Palatium füllte sich ein ganzer großer Saal mit Geschenken für Nero, denn die Vornehmen und Reichen in den Provinzen hatten sich kostbare und ungewöhnliche Geschenke ausgedacht, und alle diese Geschenke, ihr Wert und ihre Spender mußten genau verzeichnet werden, da Nero es seiner Stellung schuldig zu sein glaubte, jede Gabe mit einer noch wertvolleren zu vergelten.
In den Straßen fanden Narrenumzüge statt, überall wurde auf der Zither gespielt, gesungen und gejohlt. Sklaven stolzierten in den Gewändern ihrer Herren einher, und diese bedienten gutmütig ihre Sklaven und führten ihre Befehle aus, denn in diesen Tagen hob Saturn den Unterschied zwischen Herren und Sklaven auf.
Nero lud wie üblich die vornehmsten jungen Männer Roms in den Palast. Bei der Auslosung wurde er der Saturnalienkönig, der die Macht hatte, von den anderen die ausgefallensten Tollheiten zu verlangen. Wir hatten bereits so viel Wein getrunken, daß die schwächeren schon die Wände anspien, als Nero auf den Gedanken verfiel, Britannicus müsse uns etwas vorsingen. Zweifellos sollte er gedemütigt werden, und Britannicus mußte dem Festkönig gehorchen, obwohl seine Lippen zitterten. Wir bereiteten uns auf ein großes Gelächter vor, aber zu unserer Überraschung ergriff Britannicus entschlossen die Zither und sang ergreifend das traurigste aller Klagelieder, das mit den Worten beginnt: »O Vater, o Land der Väter, o Priamos’ Reich …«
Wir lauschten aufmerksam und ohne einander anzusehen. Als Britannicus dieses Lied vom sterbenden Troja beendet hatte, herrschte eine beklemmende Stille im ganzen Saal. Wir konnten ihm nicht Beifall spenden, denn er hatte durch dieses Klagelied gezeigt, daß er sich als übergangen und widerrechtlich der Macht beraubt betrachtete. Wir konnten aber auch nicht lachen, denn zu tief war die Trauer, die sein Lied ausdrückte.
Die schöne Stimme und das geglückte Auftreten des Britannicus waren eine unangenehme Überraschung für Nero, aber er verbarg seine wahren Gefühle und lobte seine Begabung mit schmeichelhaften Worten. Nach einer Weile verließ uns Britannicus, da er sich, wie er sagte, nicht wohl fühlte. Ich glaube, er fürchtete nach der Aufregung einen seiner Anfälle. Auch seine Freunde gingen, und einige streng erzogene junge Männer nutzten die Gelegenheit und schlossen sich ihnen an. Nero legte das, mit oder ohne Grund, als eine Kundgebung gegen ihn selbst aus und raste vor Zorn.
»Dieses Lied bedeutet Bürgerkrieg!« rief er. »Erinnert euch, daß Pompejus erst achtzehn und der Gott Augustus neunzehn Jahre alt war, als sie im Bürgerkrieg eine Legion befehligten. Wir brauchen also nicht mehr lange zu warten! Wenn Rom lieber einen übellaunigen fallsüchtigen Knaben zum Herrscher hat als mich, lege ich die Macht nieder und gehe nach Rhodos. Nie werde ich den Staat in die Greuel eines Bürgerkrieges stürzen. Es ist besser, sich die Pulsadern aufzuschneiden oder Gift zu nehmen, als zuzulassen, daß dem Vaterland dies geschieht!«
Wir erschraken über diese Worte, so betrunken wir auch waren. Einige verabschiedeten sich und gingen. Wir anderen rühmten Nero und versuchten ihm zu erklären, daß Britannicus gegen ihn machtlos sei. Aber Nero sagte: »Zuerst Mitregent. Damit droht mir meine Mutter. Dann Bürgerkrieg. Wer weiß, was für eine Proskriptionsliste Britannicus im stillen schon aufgestellt hat. Ihr steht vielleicht alle schon darauf.«
Der bloße Gedanke war schrecklich. Nero hatte recht, wenn wir auch zu lachen versuchten und meinten, als Saturnalienkönig dürfe er so grimmig scherzen, wie er nur wolle. Er nahm das Spiel wieder auf und erteilte uns freche Aufträge. Einer mußte den einen Schuh einer Vestalin herbeischaffen. Senecio erhielt den Befehl, die alte Hofdame, der er es verdankte, daß er trotz seiner niedrigen Geburt in den Palast Eingang gefunden hatte, zu wecken und herbeizuholen. Doch Nero war dieser einfältigen Streiche bald müde und wollte etwas Unmögliches. Es waren nur noch wenige von uns übrig, als er plötzlich rief: »Meinen Lorbeerkranz dem, der mir Locusta bringt!«
Die anderen schienen zu wissen, wen er meinte, aber ich fragte in aller Unschuld: »Wer ist Locusta?«
Niemand wollte mir antworten. Da sagte Nero selbst: »Locusta ist eine Frau, die viel gelitten hat und ein Pilzgericht für Götter zuzubereiten versteht. Vielleicht gelüstet es mich heute abend nach einer Götterspeise, da ich so blutig gekränkt worden bin.«
Ohne auf seine dunklen Worte zu achten, rief ich: »Gib mir deinen Kranz. Ich habe von dir noch keinen Auftrag bekommen.«
»Ja, du, Minutus Lausus, mein bester Freund, sollst den schwersten Auftrag bekommen«, sagte Nero. »Minutus soll unser Saturnalienheld sein.«
»Und nach uns das Chaos«, sagte Otho.
»Nein, nicht nach uns, jetzt!« rief Nero. »Warum sollten wir es unversucht lassen!«
In diesem Augenblick kam die alte Hofdame, halbnackt, betrunken wie eine Bacchantin und Myrtenzweige um sich streuend, während Senecio, dem die Schamröte ins Gesicht stieg, sie zurückzuhalten versuchte. Diese Frau wußte alles, was in Rom vorging, und ich fragte sie, wo Locusta zu finden sei. Meine Frage verwunderte sie nicht. Sie hielt sich nur die Hand vor den Mund, kicherte und sagte, ich solle mich in der Gegend des Caelius nach ihr erkundigen. Ich machte mich eilig auf den Weg. Die Stadt war hell erleuchtet. Ich brauchte nicht lang zu fragen und stand auch schon vor Locustas kleinem Haus. Auf mein Klopfen öffnete mir zu meiner Verwunderung ein zorniger Prätorianer, der mir einzutreten verbot. Erst als er meinen schmalen roten Streifen sah, wurde er höflicher und erklärte: »Locusta ist wegen schwerer Verbrechen verurteilt worden und steht unter Bewachung. Sie darf mit niemandem sprechen. Ihretwegen komme ich um die Freuden der Saturnalien.«
Ich eilte zum Prätorianerlager, um mit seinem Vorgesetzten zu sprechen, und dieser war zum Glück Julius Pollio, ein Bruder meines Jugendfreundes, des Bücherwurms Lucius Pollio. Er war nun Kriegstribun bei der Prätorianergarde. Er widersetzte sich dem Befehl des Saturnalienkönigs nicht, sondern nutzte die Gelegenheit, selbst vor Nero zu erscheinen und sagte: »Ich bin für die Frau verantwortlich. Deshalb muß ich mitgehen und Locusta bewachen.«
Locusta war noch nicht alt, aber ihr Gesicht glich einer Totenmaske, und das eine ihrer Beine war auf der Folter so schwer verstümmelt worden, daß wir eine Sänfte herbeischaffen mußten, um sie ins Palatium zu bringen. Unterwegs sprach sie nicht ein einziges Wort, sondern starrte nur mit bitterer Miene vor sich hin. Sie hatte etwas Furchteinflößendes.
Nero war mit den letzten noch übrigen Gästen in den kleinen Saal gegangen und hatte die Sklaven fortgeschickt. Zu meiner Verwunderung hatten sich Seneca und Burrus mitten in der Nacht der Gesellschaft angeschlossen. Ich weiß nicht, ob Nero selbst nach ihnen geschickt oder ob Otho, den Neros Stimmung erschreckte, es getan hatte. Von der fröhlichen Festeslaune war nichts mehr zu spüren. Jeder wich dem Blick des andern aus, als hätte er vor irgend etwas Angst.
Als Seneca Locusta erblickte, sagte er zu Nero: »Du bist der Herrscher. Du entscheidest. So hat es das Schicksal bestimmt. Mir aber erlaube zu gehen.« Er verhüllte sich das Haupt mit einem Zipfel seines Mantels und ging.
Als Burrus zögerte, sagte Nero heftig: »Soll ich schwächer sein als meine Mutter? Ich werde doch wohl mit dieser treuen Freundin meiner Mutter sprechen und sie nach der Speise der Götter fragen dürfen.« In meiner Unschuld dachte ich, Locusta sei vielleicht eine der früheren Köchinnen des Palastes. Burrus erwiderte finster: »Du bist der Herrscher. Du weißt selbst am besten, was du tust.« Auch er verließ mit gesenktem Kopf die Gesellschaft. Sein verkrüppelter Arm hing schlaff an seiner Seite nieder.
Nero sah sich mit starrem Blick um und befahl: »Geht alle und laßt mich allein mit der lieben Freundin meiner Mutter. Wir müssen uns über allerlei wichtige Fragen der Kochkunst unterhalten.«
Ich führte Julius Pollio in den nun leeren großen Saal, wo er Wein trinken und von den Resten des Mahls essen konnte. »Wessen ist Locusta angeklagt, und was hat sie mit Agrippina zu tun?« fragte ich neugierig.
Julius Pollio sah mich verwundert an und fragte seinerseits: »Weißt du denn nicht, daß Locusta Roms geschickteste Giftmischerin ist? Sie hätte längst nach der Lex Julia abgeurteilt werden sollen, aber dank Agrippina ist die Verhandlung immer wieder aufgeschoben worden, und nach dem für Giftmischer üblichen peinlichen Verhör wurde sie nur in ihrem eigenen Haus unter Bewachung gestellt. Ich glaube, sie hatte so viel zu sagen, daß die Männer, die sie verhörten, es mit der Angst zu tun bekamen.«
Ich war entsetzt und unfähig, ein Wort zu sagen. Julius Pollio zwinkerte mir zu, nahm einen Schluck Wein und fragte: »Hast du nicht einmal von dem Pilzgericht gehört, das Claudius zum Gott machte? Ganz Rom weiß, daß Nero es nur der geschickten Zusammenarbeit seiner Mutter und Locustas zu verdanken hat, daß er Imperator wurde.«
»Ich habe mich in den Provinzen aufgehalten und glaube nicht alles, was in Rom geredet wird«, sagte ich heftig, während mir die wildesten Gedanken durch den Kopf gingen. Zuerst dachte ich, Nero wolle sich Gift verschaffen, um seinem eigenen Leben ein Ende zu machen, wie er es an diesem Abend angedroht hatte, aber dann sah ich klarer.
Ich glaubte nun zu verstehen, warum Seneca und Burrus gekommen waren, nämlich wenn es sich wirklich so verhielt, daß Nero, durch das trotzige Auftreten des Britannicus gekränkt, Locusta selbst ins Verhör nehmen wollte, um seine Mutter des Giftmordes an Claudius anzuklagen. Wenn er Agrippina damit drohte, brachte er sie zum Schweigen oder konnte sogar erreichen, daß sie nach einem geheimen Prozeß aus Rom verbannt wurde, öffentlich anklagen konnte er seine Mutter nicht, und dieser Gedanke beruhigte mich, obwohl ich nicht glauben mochte, daß Agrippina Claudius ermordet hatte. Ich hatte ja schon einige Jahre vor seinem Tod gehört, daß er an Magenkrebs litt.
Nachdem ich eine Weile nachgedacht hatte, sagte ich: »Es ist wohl für uns beide das beste, über alles, was heute nacht geschehen ist, den Mund zu halten.«
Julius Pollio lachte und antwortete: »Ich habe nichts zu befürchten. Ein Soldat gehorcht ohne Widerspruch dem Befehl.«
Ich schlief schlecht in dieser Nacht und hatte Träume, die Schlimmeres voraussagten. Am Morgen hielt es mich nicht in Rom. Ich reiste auf das Landgut meines Vaters bei Caere und nahm nur Barbus mit. Es war eisigkalt und die dunkelste Zeit des Jahres, aber ich wollte in ländlicher Ruhe und Ungestörtheit versuchen, einen lang gehegten Plan auszuführen und ein Buch über meine Erlebnisse in Kilikien zu schreiben.
Zum Dichter taugte ich nicht, das hatte ich wohl bemerkt. Einen eigentlichen historischen Bericht über den Aufstand der Kliter konnte ich auch nicht schreiben, wenn ich den König in Kilikien und den Prokonsul in Syrien nicht in ein schlechtes Licht stellen wollte. Ich erinnerte mich der griechischen Abenteuergeschichten, die ich bei Silanus gelesen hatte, um mir die Zeit zu vertreiben, und beschloß, eine der üblichen derb-komischen Räubergeschichten zu schreiben. Ich wollte die lächerlichen Seiten meiner Gefangenschaft herausstreichen und meine Leiden mit ein paar Worten übergehen. Einige Tage lang vertiefte ich mich so eifrig in diese Arbeit, daß ich Zeit und Ort vergaß. Ich glaube, es gelang mir, mich von den bedrückenden Erlebnissen meiner Gefangenschaft zu befreien, indem ich mich scherzend über sie hinwegsetzte.
Als ich gerade die letzten Zeilen schrieb, daß die Tinte spritzte, erhielt ich aus Rom die überraschende Nachricht, daß Britannicus während eines Versöhnungsmahles im Kreise der kaiserlichen Familie einen schweren Anfall erlitten hatte. Man hatte ihn zu Bett gebracht, und dort hatte er kurz darauf den Geist aufgegeben. Niemand hatte auch nur ahnen können, daß es so weit mit ihm kommen würde, denn sonst hatte er sich immer rasch von seinen Anfällen erholt.
Mit dem Hinweis auf die Sitte der Väter, schmerzliche Geschehnisse zu verbergen, hatte Nero die Leiche des Britannicus noch in derselben Nacht im winterlichen Regen auf dem Marsfeld verbrennen und seine Gebeine ohne Lobrede oder öffentlichen Umzug in das Mausoleum des Gottes Augustus schaffen lassen. In seiner Rede an den Senat und das Volk erklärte er, seine einzige Hoffnung und Zukunft sei nun das Vaterland, nachdem er die Hilfe und den Beistand seines Bruders bei der Regierung des Reiches auf so unerwartete Weise verloren habe.
Der Mensch glaubt gern, was er hofft. Daher empfand ich zunächst nichts als eine ungeheure Erleichterung. Der plötzliche Tod des Britannicus löste meiner Meinung nach alle politischen Konflikte auf die für Nero und ganz Rom glücklichste Weise. Agrippina konnte nun nicht mehr auf Britannicus verweisen, wenn sie Nero wegen seines Undanks tadelte, und das Gespenst des Bürgerkriegs verblaßte.
Auf dem Grunde meiner Gedanken lauerte jedoch ein heimlicher Zweifel, wenn ich es mir auch nicht eingestehen wollte. Daher mochte ich nicht nach Rom zurückkehren und blieb in Caere, obwohl ich nur meine Zeit vergeudete. Ich hörte, daß Nero das große Vermögen, das er nach Britannicus erbte, unter seine Freunde und die einflußreichsten Senatoren aufteilte, und es hatte den Anschein, als werfe er mit Geschenken um sich, weil er sich die Gunst aller erkaufen wollte. Ich selbst mochte an dem Erbe nach Britannicus keinen Anteil haben.
Als ich zu Frühjahrsbeginn endlich nach Rom zurückkehrte, hatte Nero Agrippina die Ehrenwache genommen und ihr selbst befohlen, den Palast zu verlassen und in das verfallene Haus Antonias, der verstorbenen Mutter des Claudius, zu übersiedeln. Dort besuchte er sie ab und zu, aber nie ohne Zeugen, deren Gegenwart sie zwang, ihren Zorn zu meistern.
Agrippina hatte befohlen, dem Claudius auf dem Caelius einen Tempel zu errichten, und man hatte auch schon mit den Arbeiten begonnen. Nero ließ die Gerüste wieder niederreißen und sagte, er brauche den Baugrund für seine eigenen Zwecke. Er hatte große Pläne für die Erweiterung des Palastes. Auf diese Weise verlor Agrippinas Rang einer Claudiuspriesterin jede Bedeutung. Von Tante Laelia hörte ich, daß sie wieder ebenso einsam war wie während ihrer schwersten Zeit, als Messalina noch lebte.
Titus, der Sohn Vespasians und Freund und ständige Begleiter des Britannicus, war krank seit dem verhängnisvollen Mahl, bei dem Britannicus den Anfall gehabt hatte, der zu seinem Tode führte. Ich beschloß, ihn zu besuchen, da ich seinen Vater gut kannte. Titus selbst war ich allerdings ausgewichen, seit ich mich dem Freundeskreis um Nero angeschlossen hatte.
Titus war noch sehr bleich und mager, und er betrachtete mich mißtrauisch, als ich so unerwartet mit Geschenken bei ihm erschien. Durch sein kantiges Gesicht, sein Kinn und seine Nase verriet er deutlicher als sein Vater die etruskische Abstammung der Flavier. Man brauchte ihn nur einen Augenblick mit einer etruskischen Grabskulptur zu vergleichen, und da ich gerade aus Caere kam, fiel mir die Ähnlichkeit besonders auf.
Ich sagte: »Ich habe mich seit den Saturnalien in Caere aufgehalten und eine Räubergeschichte geschrieben, aus der ich vielleicht ein Schauspiel machen werde. Ich weiß daher nicht, was in Rom geschehen ist, aber ich habe böse Gerüchte gehört. Sogar mein eigener Name soll mit dem plötzlichen Tod des Britannicus in Verbindung gebracht worden sein. Du kennst mich gut genug, um mir nichts Böses zuzutrauen. Sag mir die Wahrheit. Wie starb Britannicus?«
Titus erwiderte meinen Blick ohne Furcht und sagte: »Britannicus war mein bester und einziger Freund. Eines Tages werde ich ihm eine goldene Statue unter den kapitolinischen Göttern errichten, und sobald ich wieder gesund bin, reise ich zu meinem Vater nach Britannien.
Ich saß beim Mahl neben Britannicus. Nero erlaubte uns Knaben nicht, bei Tisch zu liegen. Es war ein kühler Abend, und wir nahmen heiße Getränke zu uns. Britannicus’ Mundschenk bot ihm einen so heißen Becher an, daß er selbst sich beim Vorkosten die Zunge verbrannte. Britannicus ließ sich ein wenig kaltes Wasser in den Becher gießen, trank und verlor auf der Stelle die Sprache und das Sehvermögen. Ich nahm seinen Becher und kostete, und im gleichen Augenblick packte mich ein heftiger Schwindel, und vor meinen Augen verschwamm alles. Zum Glück erbrach ich mich. Seither bin ich krank, aber ich wäre wahrscheinlich auch gestorben, wenn ich das Gift nicht wieder von mir gegeben hätte.«
Ich traute meinen Ohren nicht. »Du glaubst wirklich, daß er vergiftet wurde und daß du selbst von dem Gift gekostet hast?« fragte ich.
Titus sah mich ernst an und antwortete: »Ich glaube es nicht, ich weiß es. Frag mich nicht, wer der Schuldige ist. Agrippina war es nicht, denn sie entsetzte sich zu sehr, als es geschah.«
»Wenn das wahr wäre, könnte im auch glauben, daß sie Claudius vergiftete, wie das Gerücht noch immer hartnäckig behauptet.«
Seine Mandelaugen blickten mich mitleidig an. »Wußtest du nicht einmal das?« fragte er. »Sogar die Hunde Roms scharten sich um Agrippina und heulten Tod, als sie zum Forum niederstieg, nachdem die Prätorianer Nero zum Imperator ausgerufen hatten.«
»Dann ist die Macht gefährlicher, als ich je glaubte«, sagte ich.
»Die Macht ist zu schwer, um von einem einzigen Manne getragen zu werden, so klug auch seine Ratgeber sein mögen«, stimmte mir Titus bei. »Keiner der Herrscher Roms hat sie ertragen, ohne durch sie verdorben zu werden. Ich habe während meiner Krankheit Zeit genug gehabt, über diese Dinge nachzudenken, und doch denke ich immer noch eher gut als schlecht von den Menschen. Auch von dir will ich gut denken, da du zu mir gekommen bist, um mich offen nach der Wahrheit zu fragen. Ein Mann kann sich zwar verstellen, aber ich glaube nicht, daß du im Auftrag Neros gekommen bist, um mich auszuhorchen, was ich vom Tode meines besten Freundes denke. Ich kenne Nero. Er glaubt, er habe durch seine Bestechungsgeschenke alle seine Freunde dazu gebracht, zu vergessen, was geschehen ist, und er möchte selbst am liebsten vergessen. Ich habe ein Messer bereitgehalten für den Fall, daß du gekommen wärst, um mir zu schaden.«
Er zog einen Dolch unter dem Kissen hervor und schleuderte ihn fort, um mir zu zeigen, daß er mir vertraute, aber er sprach im folgenden zu vorsichtig und überlegt, als daß ich hätte glauben können, daß er mir ganz traute. Wir zuckten gleichsam schuldbewußt zusammen, als plötzlich eine schöngekleidete junge Frau eintrat, der eine Sklavin mit einem Korb folgte. Sie war schlank und breitschultrig wie Diana, ihr Gesicht war feingeschnitten, aber hart, und ihr Haar war auf griechische Art zu kleinen Locken gekräuselt. Sie sah mich mit ihren grünschillernden Augen fragend an, und diese Augen kamen mir so bekannt vor, daß ich dumm zurückstarrte.
»Kennst du meine Base Flavia Sabina nicht?« fragte Titus. »Sie bringt mir jeden Tag die Speisen, die mir der Arzt verordnet und deren Zubereitung sie selbst überwacht hat. Möchtest du mir nicht als mein Freund beim Mahl Gesellschaft leisten?« Ich begriff, daß das Mädchen die Tochter des Flavius Sabinus, des Präfekten von Rom und älteren Bruders Vespasians war. Vielleicht hatte ich sie schon einmal bei irgendeinem großen Mahl oder bei einem festlichen Umzug gesehen, da sie mir so bekannt vorkam. Ich grüßte sie voll Ehrerbietung, aber die Zunge wurde mir trocken in meinem Munde, und ich starrte wie verzaubert ihr Gesicht an.
Ohne die geringste Verlegenheit tischte sie mit ihren eigenen Händen ein spartanisch einfaches Mahl auf. Es gab nicht einmal Wein zu trinken. Ich aß aus Höflichkeit mit, aber die Bissen blieben mir im Halse stecken, wenn ich sie ansah. Ich sagte mir, daß noch keine Frau beim allerersten Anblick einen solchen Eindruck auf mich gemacht hatte.
Nach dem Grund fragte ich mich vergeblich. Sie selbst schien keine Lust zu verspüren, mit mir zu liebäugeln. Sie war kühl, verschlossen, schweigsam und stolz, ganz die Tochter des Stadtpräfekten, und während ich aß, quälte mich immer stärker die Empfindung, daß das Ganze ein Traum sei. Wir tranken nur Wasser, und dennoch fühlte ich mich leicht berauscht. Schließlich fragte ich: »Warum ißt du selbst nichts?«
Sie antwortete spöttisch: »Ich habe das Essen zubereitet. Ich bin nicht euer Mundschenk und habe auch keine Ursache, mit dir Brot und Salz zu teilen, Minutus Manilianus. Ich kenne dich.«
»Wie willst du mich kennen, wenn ich dich nicht kenne?« fragte ich gekränkt.
Flavia Sabina streckte ohne Umstände ihren schlanken Zeigefinger aus und betastete mein linkes Auge. »Deinem Auge ist jedenfalls nichts geschehen, Narbengesicht«, sagte sie bedauernd. »Wenn ich ein wenig geschickter gewesen wäre, hätte ich dir den Daumen hineingedrückt. Ich hoffe, du hast von meinem Fausthieb wenigstens ein blaues Auge gehabt.«
Titus horchte überrascht auf und fragte: »Habt ihr miteinander gerauft, als ihr Kinder wart?«
»Nein, ich wohnte als Kind in Antiochia«, antwortete ich zerstreut, aber plötzlich glomm eine Erinnerung auf, und ich bekam vor Scham einen roten Kopf. Sabina sah mich forschend an, genoß meine Verwirrung und rief: »Aha, jetzt ist es dir wieder eingefallen! Du warst mit einer Bande von Sklaven und Strolchen unterwegs, ihr wart betrunken und verrückt und triebt euren Unfug auf offener Straße. Wir haben sehr wohl in Erfahrung gebracht, wer du bist, aber mein Vater wollte dich aus Gründen, die du selbst am besten kennst, nicht vor Gericht bringen.«
Ich erinnerte mich nur zu gut. Im letzten Herbst, auf einem von Neros nächtlichen Streifzügen, hatte ich versucht, ein Mädchen anzufangen, das uns entgegenkam, aber ich hatte von ihrer kleinen Faust einen solchen Schlag aufs Auge bekommen, daß ich auf den Rücken fiel, und hatte eine Woche lang ein blaues Auge gehabt. Ihre Begleiter griffen uns an, und Otho hatte später das Gesicht voll Brandblasen von einem Schlag mit einer brennenden Fackel. Ich war in jener Nacht so betrunken, daß ich kaum wahrnahm, was geschah.
»Ich habe dir nichts Böses getan. Ich nahm dich nur in die Arme, als wir im Dunkeln zusammenstießen«, verteidigte ich mich nun. »Wenn ich gewußt hätte, wer du bist, würde ich mich gleich am nächsten Tag bei dir entschuldigt haben.«
»Du Lügner«, entgegnete sie. »Versuche nur ja nicht noch einmal, mich zu umarmen. Es könnte dir noch schlechter ergehen als beim letzten Mal.«
»Ich würde es nie wagen«, versuchte ich zu scherzen. »In Zukunft ergreife ich die Flucht, wenn ich dich von weitem sehe, so übel bist du mit mir umgesprungen.«
Ich ergriff jedoch nicht die Flucht, sondern begleitete Sabina bis zum Haus des Stadtpräfekten. Ihre grünschillernden Augen waren voll Gelächter, und ihre nackten Arme waren glatt wie Marmor. Eine Woche später sammelte mein Vater ein Gefolge von zweihundert Klienten und ließ sich zum Haus des Flavius Sabinus tragen, um für mich um die Hand seiner Tochter anzuhalten.
Tullia und Tante Laelia hätten noch andere Partien für mich gewußt, aber diese Verlobung war nicht die schlechteste. Daß die Flavier arm waren, fiel bei dem Vermögen meines Vaters nicht ins Gewicht.
Auf Sabinas Wunsch wurden wir nach der längeren Formel getraut, obwohl ich nicht die Absicht hatte, in irgendein Priesterkollegium einzutreten, aber Sabina sagte, sie wolle eine Ehe fürs ganze Leben schließen und sich nicht gleich wieder scheiden lassen. Ich tat, was sie wollte, und wir waren noch nicht lange verheiratet, als ich bemerkte, daß ich ihr in noch so manchen anderen Dingen ihren Willen tat.
Die Hochzeit war ein großes Fest. Auf Kosten meines Vaters und im Namen des Stadtpräfekten wurden nicht nur der Senat und die Ritterschaft, sondern auch das ganze Volk zum Mahl geladen. Nero war ebenfalls anwesend und wollte unbedingt als Brautführer auftreten und zur Flötenbegleitung eine unanständige Hochzeitshymne singen, die er selbst gedichtet hatte. Zuletzt aber schwenkte er höflich seine Fackel auf und nieder und ging wieder, ohne einen Streit anzufangen.
Ich nahm Sabina den feuerroten Schleier vom Haupt und den gelben Hochzeitsmantel von den Schultern. Als ich aber die beiden festen Knoten in ihrem Leinengürtel lösen wollte, setzte sie sich mit grünfunkelnden Augen zur Wehr und rief: »Ich bin eine Sabinerin! Nimm mich zum Raube, wie die Sabinerinnen geraubt wurden!«
Ich hatte kein Pferd und taugte im übrigen auch nicht zu der Art Raub, den sie sich wünschte. Ich verstand nicht einmal recht, was sie eigentlich wollte, da mich mein Verhältnis mit Claudia an Zärtlichkeit und gegenseitiges Nachgeben gewöhnt hatte. Sabina war enttäuscht. Sie schloß die Augen, ballte die Fäuste und ließ mich mit ihr tun, was ich wollte und wozu uns der rote Schleier verpflichtete. Zuletzt schlang sie ihre starken Arme um meinen Hals, gab mir einen hastigen Kuß und wandte mir den Rücken zu, um zu schlafen. Ich bildete mir ein, wir seien beide so glücklich, wie zwei hochzeitsmüde junge Menschen nur sein können, und schlief mit einem Seufzer der Zufriedenheit ein.
Erst viel später erkannte ich, was Sabina von der fleischlichen Liebe erwartete. Sie hatte mich wegen der Narben in meinem Gesicht für etwas ganz anderes gehalten, als ich wirklich war, und unsere erste Begegnung auf der nächtlichen Straße hatte sie in dem Glauben bestärkt, daß ich ihr geben könnte, wonach sie verlangte.
Ich hege keinen Groll gegen sie. Ich habe sie mehr enttäuscht als sie mich. Wie und warum sie so wurde, wie sie war, weiß ich nicht zu erklären. Venus ist eine launische und oft grausame Göttin. Juno ist, was die Familie angeht, zuverlässiger, aber in anderen ehelichen Dingen auf die Dauer eher langweilig.
Wir verbrachten die heißeste Sommerszeit an der Küste bei Caere. Meine Gattin Flavia Sabina suchte sich einen Auslauf für ihren Betätigungsdrang und ließ ein neues Sommerhaus an Stelle der alten, mit Schilf gedeckten Fischerhütte errichten. Sie beobachtete mich und meine Schwächen, ohne daß ich dessen gewahr wurde, und vermied es, mich über meine Zukunftspläne auszufragen, da sie bemerkt hatte, daß mich die bloße Erwähnung der Beamtenlaufbahn schon verstimmte. Sobald wir aber in die Stadt zurückgekehrt waren, sprach sie mit ihrem Vater über mich, worauf der Stadtpräfekt Flavius Sabinus mich zu sich rufen ließ.
»Das neue hölzerne Amphitheater geht der Fertigstellung entgegen, und Nero wird beim Eröffnungsfest selbst anwesend sein«, erklärte er mir. »Was mir Sorgen macht, sind die wertvollen wilden Tiere, die von allen Enden der Welt herbeigebracht werden. Der alte Tiergarten an der Via Flaminia ist zu klein. Außerdem stellt Nero besondere Forderungen. Er will dressierte Tiere haben, die noch nie gesehene Kunststücke vorführen. Senatoren und Ritter sollen in der Arena ihre Jagdkünste zeigen, und dazu brauchen wir Tiere, die nicht zu wild sind. Andrerseits müssen die Tiere, die gegeneinander kämpfen, den Zuschauern etwas bieten. Was wir brauchen, ist ein zuverlässiger Tiergartenvorsteher, der sich um die Tiere kümmert und diesen Teil des Festprogramms entwirft. Nero ist gewillt, dir diesen Posten zu übertragen, da du Erfahrungen im Umgang mit Raubtieren hast. Er bietet dir damit ein Ehrenamt im Dienste des Staates an.«
Ich war selbst schuld, denn ich hatte oft damit geprahlt, daß ich als Knabe in Antiochia einen Löwen lebend eingefangen hatte und unter den Räubern in Kilikien meinen Mitgefangenen einmal das Leben rettete, als man uns in eine Bärenhöhle stieß, um sich an unserem Entsetzen zu weiden. Aber für Hunderte von wilden Tieren sorgen und Vorführungen im Amphitheater veranstalten, das schien mir eine so schwere, verantwortungsvolle Aufgabe zu sein, daß ich mich ihr nicht gewachsen fühlte. Als ich das meinem Schwiegervater erklärte, antwortete er in scharfem Ton: »Du bekommst die nötigen Geldmittel aus der kaiserlichen Kasse. Die erfahrensten Tierbändiger aller Länder werden sich darum reißen, in den Dienst Roms zu treten. Von dir wird weiter nichts verlangt als Urteilsvermögen und guter Geschmack bei der Zusammenstellung des Programms. Sabina wird dir helfen. Sie hat sich schon als Kind ganze Tage im Tiergarten aufgehalten und liebt die Dressur.«
Mein Schicksal verfluchend, kehrte ich nach Hause zurück und beklagte mich bitter bei Sabina. »Lieber wäre ich Quästor geworden, um dir zu Willen zu sein, als Tierbändiger!«
Sabina betrachtete mich abschätzend mit zur Seite geneigtem Kopf und sagte: »Nein, zum Konsul wärst du letzten Endes doch nie gewählt worden, du Armer. Als Tiergartenvorsteher hast du wenigstens ein abwechslungsreiches Leben, und im übrigen ist dieser Posten noch nie mit einem Ritter besetzt gewesen.«
Ich erklärte ihr, daß meine Neigungen mehr den Büchern galten, aber Sabina fiel mir ins Wort und rief: »Was für Ehren gewinnst du schon in einem Vorlesungssaal, wo fünfzig oder hundert gelangweilte Menschen zum Dank dafür, daß du endlich zu lesen aufgehört hast, Beifall klatschen! Du bist faul. Du hast keinen wirklichen Ehrgeiz.«
Sabina war so aufgebracht, daß ich mich hütete, sie noch mehr zu reizen, obwohl ich mich fragte, was für Ehren wohl unter stinkenden Raubtieren zu holen seien. Wir begaben uns unverzüglich in den Tiergarten, und auf einem kurzen Rundgang stellte ich fest, daß es noch schlechter um ihn stand, als der Stadtpräfekt angedeutet hatte.
Die Tiere kamen ausgehungert an und fanden kein passendes Futter vor. Der wertvollste Tiger war am Verenden, und niemand wußte recht, was die unter großen Kosten aus Afrika geholten Nashörner fraßen, da sie den einzigen, der es hätte sagen können, ihren afrikanischen Wärter, zertrampelt hatten. Das Trinkwasser war faulig. Die Elefanten nahmen ihr Futter nicht an. Die Käfige waren zu eng und schmutzig. Die Giraffen gingen vor Angst ein, weil sie in einem Gehege unmittelbar neben den Löwenkäfigen untergebracht waren.
Die kranken, Hunger und Durst leidenden Tiere brüllten, fauchten und kreischten, daß mir der Schädel dröhnte, und mir wurde übel von dem Gestank der Raubtiere. Keiner der Aufseher und Sklaven wollte für irgend etwas verantwortlich sein. »Das gehört nicht zu meinen Aufgaben«, war die übliche Antwort auf meine Fragen. Man hielt mir sogar entgegen, daß ausgehungerte und verschreckte Tiere am besten in der Arena kämpfen. Man mußte sie eben nur bis zur Vorführung irgendwie am Leben erhalten.
Sabina fand besonderen Gefallen an zwei riesigen, dicht behaarten Affen, die größer als ein Mensch waren und aus einer unbekannten Gegend Afrikas nach Rom gebracht worden waren. Sie rührten das Fleisch nicht an, das ihnen in den Käfig geworfen wurde, und wollten nicht einmal trinken.
»Die ganze Anlage muß umgebaut werden«, beschloß ich. »Die Tierbändiger müssen genug Platz für die Dressur bekommen. Die Käfige müssen so groß sein, daß die Tiere sich bewegen können. Fließendes Wasser muß eingeleitet werden. Jede Tierart muß von eigenen Wärtern gefüttert und gepflegt werden, die ihre Lebensgewohnheiten kennen.«
Der Aufseher, der mich begleitete, schüttelte den Kopf und wandte ein: »Wozu soll das gut sein? Die Tiere sind doch für die Arena bestimmt!«
Da ich nach der Art schwacher Menschen keine Einwände ertrug, schleuderte ich einen Apfel, in den ich gerade gebissen hatte, in den Käfig der Riesenaffen und schrie: »Muß ich als erstes euch alle auspeitschen lassen, um euch euer Handwerk zu lehren!«
Sabina legte mir die Hand auf den Arm, um mich zu beruhigen, und deutete gleichzeitig mit einer Kopfbewegung in die Richtung des Affenkäfigs. Ich sah verwundert, wie sich ein haariger Arm nach dem Apfel ausstreckte und das Tier die furchtbaren Zähne entblößte, um die Frucht mit einem einzigen Biß zu zermalmen. Ich runzelte die Stirn, sah, wie ich hoffte, grimmig drein und sagte: »Gebt ihnen einen Korb Früchte und frisches Wasser in einem sauberen Gefäß.«
Der Tierwärter lachte und antwortete mir: »Solche wilden Tiere sind Fleischfresser. Das sieht man doch an den Zähnen.«
Sabina riß ihm die Peitsche aus der Hand, zog sie ihm übers Gesicht und schrie zornig: »Wie redest du mit deinem Herrn!«
Der Mann erschrak und starrte uns böse an, holte aber, um mich vor den anderen lächerlich zu machen, einen Korb voll Früchte und leerte ihn in den Affenkäfig. Die ausgehungerten Tiere erwachten zum Leben und fraßen im Nu alles auf. Zu meiner eigenen Verwunderung ließen sie nicht einmal die Weintrauben übrig, die sich unter den Früchten befanden. Das war in den Augen der Tierwärter etwas so Unerhörtes, daß sich alle um den Käfig versammelten und zusahen, und keiner lachte mehr über meine Befehle.
Ich merkte bald, daß es den Leuten nicht so sehr an Erfahrung mangelte, sondern daß die Hauptfehler Gleichgültigkeit, Habgier und Unordnung waren. Alle, von den Aufsehern bis zum letzten Sklaven, betrachteten es als ihr selbstverständliches Recht, einen Teil der für die Versorgung der Tiere zur Verfügung stehenden Mittel für sich auf die Seite zu schaffen.
Der Baumeister, der Neros Amphitheater entworfen und die Bauarbeiten beaufsichtigt hatte, fand es unter seiner Würde, sich Tierkäfige und Freigehege auszudenken. Erst als er meine Zeichnungen sah und Sabinas Erklärungen entnahm, worum es in Wirklichkeit ging, nämlich darum, einen ganzen neuen Stadtteil zu errichten, erwachte sein Ehrgeiz.
Ich entließ oder versetzte alle, die die Tiere quälten oder sich zu sehr vor ihnen fürchteten. Sabina und ich dachten uns eine einheitliche Kleidung für die vielen Hundert Angestellten des Tiergartens aus, und außerdem bauten wir uns ein Haus auf dem Gelände des Tiergartens, denn ich erkannte bald, daß ich Tag und Nacht zur Stelle sein mußte, wenn ich mich wirklich um die vielen wertvollen Tiere kümmern wollte.
Es gab für uns kein Gesellschaftsleben mehr. Wir widmeten uns ganz den Tieren, und Sabina hielt sogar ein paar Löwenjunge, deren Mutter an einem Fieber eingegangen war, nachdem sie sie geworfen hatte, in unserem Ehebett und zwang mich, sie mit einem Horn zu säugen. Unser eigenes Eheleben vergaßen wir vor lauter Geschäftigkeit, denn die Leitung eines Tiergartens ist unleugbar eine fesselnde, verantwortungsvolle Aufgabe.
Sobald der Tiergarten sauber war und die Tiere richtig gefüttert wurden und tüchtige, aufmerksame Wärter hatten, mußten wir uns die Programmnummern für die große Vorführung ausdenken, denn der Tag der Eröffnung des Amphitheaters rückte rasch näher.
Ich hatte gerade so viele Tierkämpfe gesehen, daß ich wußte, wie man die Jagden in der Arena so leitete, daß sie für die Jäger ungefährlich waren und dabei doch für die Zuschauer atemberaubend wirkten. Schwieriger war es, zu bestimmen, welche Tiere gegeneinander gehetzt werden sollten, denn die Zuschauer waren die merkwürdigsten Zusammenstellungen gewohnt. Am meisten versprach ich mir von den Kunststücken der gezähmten Tiere, und da sich mir wirklich ständig kundige Tierbändiger aus allen Ländern antrugen, hatte ich Erstaunliches zu bieten.
Es war jedoch nicht leicht, diese Dressurakte bis zum Fest geheimzuhalten, denn der Tiergarten war von Besuchern überlaufen. Zuletzt verfiel ich darauf, eine Eintrittsgebühr zu verlangen. Das Geld, das auf diese Weise zusammenkam, verwendete ich zum Nutzen des Tiergartens, obgleich ich es ruhig hätte für mich behalten dürfen, denn ich selbst war ja auf diesen Gedanken gekommen. Kinder und Sklaven hatten übrigens freien Zutritt, wenn der Andrang nicht zu groß war.
Eine Woche vor dem Eröffnungstag besuchte mich ein hinkender, bärtiger Mann. Erst als er mich anredete, erkannte ich in ihm Simon den Zauberer wieder. Das Verbot der Sterndeuterei war noch immer in Kraft, daher durfte er seinen prächtigen chaldäischen Mantel mit den Sternbildern darauf nicht tragen. Er wirkte heruntergekommen, sein Blick irrte unruhig hin und her, und er brachte ein so sonderbares Begehren vor, daß ich annehmen mußte, er habe den Verstand verloren. Er wollte im Amphitheater seine Flugkünste zeigen, um seinen alten Ruf wiederzuerlangen!
Ich entnahm seiner verworrenen Erzählung, daß seine Heilkräfte im Schwinden waren und daß er keinen Zulauf mehr hatte. Seine Tochter war, wie er behauptete, durch die Ränke feindselig gesinnter Zauberer ums Leben gekommen. Vor allem aber verfolgten ihn die Christen in Rom mit solchem Haß, daß er vollends zu verarmen drohte und nicht mehr wußte, wovon er im Alter leben sollte. Daher wollte er nun vor allem Volk seine göttlichen Kräfte beweisen.
»Ich weiß, daß ich fliegen kann«, sagte er. »Ich bin vor Jahren geflogen und vor den Augen der Menge aus einer Wolke aufgetaucht, aber dann kamen die Christen mit ihren Beschwörungen, und ich stürzte auf das Forum nieder und zerschlug mir die Kniescheibe. Ich will den anderen und mir selbst beweisen, daß ich noch fliegen kann. In einer der letzten Nächte habe ich mich vom Turm auf dem Aventin in einen brausenden Sturm geworfen und meinen Mantel als Schwingen ausgebreitet. Ich bin geflogen und unbeschadet wieder auf die Füße zu stehen gekommen.«
»Ich glaube, du bist nie wirklich geflogen«, sagte ich mißtrauisch. »Du blendest mit deiner Macht den Leuten die Augen, so daß sie glauben, sie sähen dich fliegen.« Simon der Zauberer rang die Hände, raufte sich den Bart und sagte: »Mag sein, daß ich den Leuten die Augen blendete, aber ich dachte mit solcher Kraft, daß ich fliege, daß ich noch immer glaube, wirklich geflogen zu sein. Doch ich strebe nicht mehr nach den Wolken. Es genügt mir, wenn es mir gelingt, ein- oder zweimal um das Amphitheater zu fliegen. Dann glaube ich wieder an meine Macht und daran, daß mich meine Engel in der Luft unter den Armen halten.«
Er hatte nur noch diesen einen Gedanken im Kopf, zu fliegen. Schließlich fragte ich ihn, wie er es anstellen wollte. Er meinte, man könnte mitten im Amphitheater einen hohen Mast errichten und ihn in einem Korb hinaufhissen, so daß er genug Luft unter sich bekam. Vom Boden könne er sich nicht erheben, wenn hunderttausend Menschen zusahen, sagte er. Er starrte mich mit seinem stechenden Blick an und sprach so überzeugend, daß mir schwindelte, und ich dachte mir, dergleichen sei jedenfalls noch nie in einem Theater gezeigt worden. Wenn er sich unbedingt den Hals brechen wollte, so war das schließlich seine Sache; und wer weiß, vielleicht glückte ihm der kühne Versuch wirklich.
Nero befand sich im Amphitheater, um einigen griechischen Jünglingen zuzusehen, die einen Schwerttanz übten. Es war ein glühendheißer Herbsttag. Nero trug nur ein schweißgetränktes Untergewand. Er feuerte die Griechen an und lobte sie und nahm ab und zu selbst an dem Tanz teil, um ihnen ein Beispiel zu geben. Als ich ihm von dem Vorschlag Simons des Zauberers berichtete, war er entzückt, meinte jedoch: »Das Fliegen ist an sich merkwürdig genug, aber wir müssen einen künstlerischen Rahmen finden, um eine wirklich sehenswerte Nummer daraus zu machen. Er könnte Ikarus darstellen, und wir sollten auch Dädalus und sein Meisterwerk haben, und warum nicht auch Pasiphae?«
Seine Einbildung begann so lebhaft zu arbeiten, daß ich froh war, als ich ihm endlich wieder entkam. Wir waren übereingekommen, daß Simon der Zauberer sich den Bart scheren und als griechischer Jüngling verkleiden mußte. Auf dem Rücken sollte er goldschimmernde Hügel tragen.
Als ich Simon die Forderungen des Kaisers überbrachte, weigerte er sich zuerst, sich den Bart abzunehmen, und behauptete, er würde dadurch alle Kraft verlieren. Gegen die Hügel hatte er nichts einzuwenden. Ich erzählte ihm von Dädalus und der hölzernen Kuh, aber darauf berichtete er mir von einer jüdischen Sage, derzufolge ein gewisser Simson alle Kraft verlor, als ihm eine fremde Frau die Haare abschnitt. Erst als ich sagte, er glaube wohl selbst nicht an seine Kunst, ging er auf die Forderung ein. Ich fragte ihn, ob ich den Mast gleich aufstellen lassen solle, damit er üben könne, aber er antwortete mir, daß das Üben nur an seinen geheimen Kräften zehren würde. Er halte es für besser, zu fasten und in der Einsamkeit Beschwörungen zu sprechen und seine Kräfte für die Vorführung aufzusparen.
Nero hatte vorgeschrieben, daß die Vorführungen im Amphitheater die Zuschauer sowohl unterhalten als auch veredeln müßten. Zum erstenmal in geschichtlicher Zeit sollte eine so gewaltige Vorstellung stattfinden, ohne daß absichtlich Menschenblut vergossen wurde. Dafür mußte das Volk zwischen den aufregenden und künstlerisch wertvollen Nummern soviel wie möglich zu lachen haben, und in den unumgänglichen Pausen sollten Geschenke unter die Zuschauer geworfen werden: gebratene Vögel, Früchte, Backwerk und kleine Lostäfelchen aus Elfenbein, mit denen dann Getreide, Kleider, Silber, Gold, Zugochsen, Sklaven und sogar ganze Landgüter verlost werden sollten.
Nero wollte keine Berufsgladiatoren verwenden. Statt dessen befahl er, um den besonderen Wert seiner Vorstellung zu betonen, daß das Spiel durch einen Kampf zwischen vierhundert Senatoren und sechshundert Rittern eingeleitet werden sollte, und tatsächlich erheiterte es das Volk über alle Maßen, vornehme Männer von untadeligem Ruf mit stumpfen Lanzen und Holzschwertern aufeinander einhauen zu sehen. Zuletzt aber herrschte allgemeines Mißvergnügen darüber, daß niemand zu Schaden kam, und die Leute begannen laut zu murren. Die Wachsoldaten machten sich daran, zu tun, was ihre Pflicht war, aber Nero ließ kundmachen, daß die Soldaten sich zurückzuziehen hätten, denn das römische Volk müsse sich an die Freiheit gewöhnen.
Diese Worte weckten Beifall und allgemeines Entzücken. Die Unzufriedenen beherrschten sich, um sich des Vertrauens des Kaisers würdig zu erweisen. Ein Zweikampf mit Netz und Dreizack zwischen zwei feisten, kurzatmigen Senatoren war außerdem so komisch, daß die Leute in nicht enden wollendes Gelächter ausbrachen. Die beiden würdigen Männer wurden nämlich so böse aufeinander, daß sie einander sicherlich verwundet hätten, wenn die Dreizacke gespitzt oder die Netze mit den üblichen Bleikugeln bestückt gewesen wären.
Man entsetzte sich über drei Männer, die Riesenschlangen vorführten und sich von den Tieren ganz umschlingen ließen, aber Nero machte ein saures Gesicht, weil niemand ohne Erklärung verstand, daß die Männer Laokoon und seine Söhne darstellten. Die Jagd auf Löwen, Tiger und Auerochsen verlief zur großen Enttäuschung der Zuschauer ohne Unglücksfälle, wofür die jungen Ritter, die als Jäger auftraten, mir und den Schutztürmen, die an verschiedenen Stellen in der Arena errichtet worden waren, danken konnten. Mir selbst mißfiel diese Vorführung, denn ich hatte meine Tiere so liebgewonnen, daß ich sie nicht sterben sehen mochte.
Großen Beifall erhielt eine Löwenbändigerin, eine schlanke, biegsame Frau, die plötzlich aus einem dunklen Tor stürzte und, von drei Löwen verfolgt, quer durch die Arena lief. Ein Rauschen ging durch die Zuschauermenge, aber plötzlich drehte sich die Frau um und trieb die Löwen mit der Peitsche zurück. Die Tiere gehorchten ihren Befehlen, machten Männchen wie folgsame Hunde und sprangen durch große Reifen.
Das Gemurmel und der Beifall reizten jedoch die Löwen. Als die Frau ihr gewagtestes Kunststück vorführte und den Kopf in den offenen Rachen des größten Löwen steckte, klappte dieser plötzlich die Kiefer zusammen und biß ihr den Kopf ab. Diese unvorhergesehene Wendung weckte so gewaltigen Jubel und solche Beifallsstürme, daß ich Zeit hatte, die Löwen zu retten. Eine Kette von Sklaven, die mit Fackeln und rotglühenden Eisenstangen ausgerüstet waren, umkreiste sie und trieb sie durch die Pforte in ihre Käfige zurück. Sonst hätten nämlich die reitenden Bogenschützen sie getötet, und ich war um meine kostbaren gezähmten Löwen so besorgt, daß ich selbst unbewaffnet in die Arena sprang und den Sklaven meine Befehle erteilte.
Ich war so zornig, daß ich dem Löwen mit meinem eisenbeschlagenen Stiefel unter das Kinn trat, um ihn zu zwingen, den Kopf seiner Herrin auszuspucken. Er brüllte nur böse, war aber offenbar selbst so erschrocken über das, was er angerichtet hatte, daß er mich nicht angriff.
Nachdem ein Trupp bemalter Neger ein Nashorn gehetzt hatte, stellte man eine Kuh aus Holz mitten in die Arena, und der Pantomimiker Paris stellte die Geschichte von Dädalus und Pasiphae so lebendig dar, während ein riesiger Stier die hölzerne Kuh bestieg, daß die meisten Zuschauer glaubten, in der hohlen Kuh habe sich wirklich Pasiphae versteckt.
Simon der Zauberer mit seinen großen golden glänzenden Flügeln war eine Überraschung für alle. Paris versuchte ihn durch Gesten zu einigen Tanzschritten zu verlocken, aber Simon wies ihn mit einem Schlag der prächtigen Flügel stolz ab. Einige Seeleute hißten ihn im Handumdrehen zu einer Plattform auf der Spitze des schwindelnd hohen Mastes hinauf. Ein paar Juden in den obersten Reihen stießen Flüche und Verwünschungen aus, aber die anderen Zuschauer brachten sie zum Schweigen, und Simon der Zauberer wandte sich grüßend in alle Richtungen, als er da in der größten Stunde seines Lebens oben auf dem Mast stand. Ich glaube, er war bis zum letzten Augenblick überzeugt, daß er alle seine Widersacher besiegen werde.
Dann schlug er noch einmal mit den Flügeln und sprang, zur Loge des Kaisers gewandt, in die Luft. Er stürzte so kurz vor der Loge nieder, daß einige Blutstropfen bis zu Nero hinaufspritzten, und war auf der Stelle tot. Später stritt man sich darüber, ob er wirklich geflogen sei oder nicht. Einige behaupteten, gesehen zu haben, daß der linke Flügel beschädigt worden war, als man ihn im Korb zur Mastspitze hinaufzog. Andere wieder glaubten, die Verwünschungen der Juden hätten seinen Absturz bewirkt. Vielleicht wäre er geflogen, wenn er seinen Bart hätte behalten dürfen.
Die Vorstellung mußte weitergehen. Die Seeleute spannten nun ein mannsdickes Tau zwischen dem Fuß des Mastes und der untersten Reihe, und zur ungeheuren Überraschung und Verwunderung der Zuschauer schritt ein Elefant langsam und vorsichtig über dieses Tau. Auf seinem Nacken saß ein Ritter, der in ganz Rom für seine Dummdreistigkeit bekannt war. Natürlich hatte nicht er den Elefanten gelehrt, auf dem Tau zu gehen – das tat das Tier auch ohne Führer –, aber er heimste den Schlußbeifall für seine Vorstellung ein, wie man dergleichen bis dahin nicht gesehen hatte.
Ich glaube, das Volk war im großen ganzen recht zufrieden. Besonders der Todessprung Simons des Zauberers und der Tod der Löwenbändigerin waren Glanznummern gewesen, und das einzige, was man daran auszusetzen hatte, war, daß sie zu rasch ausgeführt worden waren. Die Senatoren und Ritter, die als Jäger auftreten mußten, waren zufrieden, weil kein Unglück geschehen war, und nur die altmodischsten Zuschauer klagten, daß kein Menschenblut zu Ehren der römischen Götter geflossen war, und gedachten wehmütig der grausamen Spiele, die Claudius geboten hatte.
Die meisten verbargen jedoch ihre Enttäuschung recht tapfer, denn Nero hatte in den Pausen wirklich kostbare Geschenke verteilen lassen. Auch die Abberufung der Prätorianer gefiel dem Volk, das sich etwas auf seine ererbte Freiheit einbildete, und bei der Schlägerei um die Elfenbeinlose hatten keine hundert Zuschauer ernsthaftere Verletzungen erlitten.
Octavia, die Gemahlin des Kaisers, nahm es schweigend hin, daß Nero die schöne Acte der Vorstellung in der Kaiserloge beiwohnen ließ, wo sie allerdings hinter einer eigenen Wand mit einem Guckloch verborgen war. Agrippina hatte keinen Platz erhalten. Nero ließ verkünden, es gehe seiner Mutter nicht gut. Irgend jemand soll gerufen haben, ob Agrippina vielleicht gar Pilze gegessen habe. Ich selbst hörte diesen Ruf nicht, und Nero sagte, er sei glücklich, daß das Volk in seiner Gegenwart im Amphitheater von seiner Redefreiheit ohne Furcht Gebrauch mache.
Mein Tierbestand war auf betrübliche Weise verringert worden, aber ein gewisser Stamm war selbstverständlich übriggeblieben, und ich entwarf einen Plan, demzufolge der Tiergarten in Zukunft ständig mit wilden Tieren aus allen Ländern aufgefüllt werden sollte, so daß die Vorstellungen nicht mehr vom Zufall abhingen. Es mußte möglich sein, innerhalb kurzer Frist gute Vorführungen zustande zu bringen, wenn Nero es für notwendig erachtete, das Volk an irgendeinem Festtag zu unterhalten. Und da ich Neros Launen kannte, hielt ich es für klug, sich auf politische Ereignisse vorzubereiten, die es erforderlich machten, dem Volk Unterhaltung zu bieten, um es unangenehme Dinge vergessen zu lassen.
Die Fußballen der getöteten Nashörner hatten die ganze Nacht in Kochgruben nach afrikanischer Art geschmort und waren am nächsten Tag zu einer durchsichtigen, wabbelnden Masse erstarrt. Ich bereitete mich darauf vor, diesen seltenen Leckerbissen, der, soviel ich weiß, bis dahin Rom noch unbekannt gewesen war, auf den Tisch des Kaisers zu bringen. Wehmütig betrachtete ich die leeren Käfige, die Sklaven, die zu ihren täglichen Verrichtungen zurückgekehrt waren, und das bescheidene Haus, in dem Sabina und ich einen anstrengenden, aber, wie ich nun glaubte, glücklichen Lebensabschnitt verbracht hatten.
»Sabina!« rief ich dankbar. »Ohne deine Erfahrung im Umgang mit Tieren und deine unermüdliche Arbeitslust wäre es mir wohl nicht gelungen, mich dieses Auftrags ehrenvoll zu entledigen. Trotz allen Schwierigkeiten, die wir überwinden mußten, werden wir bestimmt gern an diese Zeit zurückdenken, wenn wir wieder ein gewöhnliches Leben fuhren.«
»Ein gewöhnliches Leben führen?« fragte Sabina schroff und blickte mich streng an. »Wie soll ich das verstehen?«
»Ich habe meinen Auftrag ausgeführt, und zwar, wie ich hoffe, zur Zufriedenheit deines Vaters und des Kaisers«, antwortete ich gut gelaunt. »Nun gehe ich mit diesem Gericht zu Nero, und unser Verwalter macht die Abrechnung mit der kaiserlichen Kasse. Nero versteht nichts von Geldangelegenheiten, und mir selbst ist unsere Buchführung, offen gestanden, auch viel zu schwierig. Ich hoffe aber, sie ist in Ordnung, und trauere dem verlorenen Geld nicht nach. Vielleicht gibt Nero mir auch eine Belohnung, aber mein schönster Lohn ist der Beifall des Volkes. Mehr als das begehre ich nicht, und im übrigen hätte ich diese ständigen Aufregungen auch nicht mehr lange ausgehalten.«
»Wer von uns beiden hat wohl am meisten aushalten müssen?« fragte Sabina lebhaft. »Ich traue meinen Ohren nicht! Du hast ja erst den ersten Schritt getan. Meinst du denn, du könntest die Löwen, die nun keine Wärterin mehr haben, einfach im Stich lassen, oder diese beinahe menschlichen Riesenaffen, von denen der eine so hustet, daß es einem ins Herz schneidet – von den anderen Tieren ganz zu schweigen? Nein, Minutus, ich will annehmen, daß du nur müde und schlecht gelaunt bist. Mein Vater hat versprochen, daß du deine jetzige Stelle unter meiner Aufsicht behalten darfst. Das erspart ihm viele Sorgen, weil er nicht mehr um die ohnehin knapp bemessenen Mittel zu streiten braucht, die der Senat dem Tiergarten bewilligt.«
Nun war ich derjenige, der seinen Ohren nicht traute. »Flavia Sabina«, sagte ich, »ich gedenke nicht, mein ganzes Leben lang Tierwärter zu sein, so teuer und schön die Tiere auch sein mögen. Ich erinnere dich daran, daß ich in der väterlichen Linie ebenso wie Otho oder sonst einer von den etruskischen Königen in Caere abstamme.«
Sabina fauchte zornig: »Deine Abstammung ist, gelinde ausgedrückt, zweifelhaft, und von deiner griechischen Mutter wollen wir lieber nicht reden. Die schäbigen Wachsmasken im Haus deines Vaters sind Tullias Erbgut. Unter den Flaviern hat es zumindest Konsuln gegeben. Wir leben in einer neuen Zeit. Begreifst du nicht, daß der Vorsteher des Tiergartens eine politische Stellung innehat, um die man ihn beneiden kann, auch wenn das noch nicht allen einleuchtet?«
»Ich habe keine Lust, mit Stallburschen und Zitherspielern in Wettbewerb zu treten«, entgegnete ich steif. »Dagegen kann ich dir ein paar vornehme ältere Männer nennen, die sich schon jetzt einen Zipfel ihrer Toga vor die Nase halten, wenn sie mir begegnen, um den Raubtiergestank nicht riechen zu müssen. Vor fünfhundert Jahren konnte sich der vornehmste Patrizier damit brüsten, daß er nach Dung roch, aber diese Zeiten sind vorbei. Außerdem möchte ich, ehrlich gesagt, auch keine jungen Löwen mehr in unserem Ehebett haben, für die du mehr Zärtlichkeit übrig zu haben scheinst als für mich.«
Sabinas Gesicht wurde gelb vor Zorn. »Ich habe von deinen Eigenschaften als Ehemann nie gesprochen, weil ich dich nicht verletzen wollte«, sagte sie böse und beherrschte sich mit Mühe. »Ein klügerer, rücksichtsvollerer Mann hätte längst seine Schlüsse gezogen. Wir sind nicht aus demselben Holz, aber eine Ehe ist eine Ehe, und das Bett ist nicht das Wichtigste. An deiner Stelle würde ich mich freuen, daß deine Frau eine andere Beschäftigung gefunden hat, die ihr leeres Leben ausfüllt. Wir behalten den Tiergarten, das ist mein fester Entschluß, und mein Vater stimmt mir zu.«
»Mein Vater könnte da anderer Meinung sein, und er hat wohl auch noch ein Wort mitzureden«, erwiderte ich kläglich. »So viel Geld hat er auch nicht, daß er ständig für den Unterhalt des Tiergartens aufkommen kann.« Das war jedoch im Grunde belanglos. Was mich am tiefsten gekränkt hatte, war Sabinas unerwarteter Vorwurf, ich hätte als Ehemann versagt.
Doch nun mußte ich dafür sorgen, daß das Gelee aus den Fußballen der Nashörner ins Palatium kam, solange es noch warm war, und deshalb brach ich unseren Streit ab, der gewiß nicht der erste, aber der bisher schwerste gewesen war.
Nero bat mich, am Mahl teilzunehmen, was ganz natürlich war, und um mir seine Gunst zu beweisen, befahl er, mir als Anerkennung für meine Leistungen eine halbe Million Sesterze auszuzahlen. Ich ersah daraus, daß er keine Vorstellung davon hatte, was der Tiergarten kostete. Es fand sich außerdem nie einer, der mir wenigstens diesen Betrag ausgezahlt hätte, und ich selbst nahm mir nicht die Mühe, danach zu fragen, denn an Kleingeld hatte mein Vater keinen Mangel.
Ich bemerkte ein wenig mürrisch, es wäre wichtiger für mich, daß der Posten des Tiergartenvorstehers unter die staatlichen Ämter aufgenommen würde, damit ich ihn auf der Liste meiner Verdienste anführen könnte, wenn ich ihn eines Tages aufgab. Mein Vorschlag löste eine scherzhafte Diskussion aus, die mein Schwiegervater damit beendete, daß er erklärte, ein so wichtiges Amt, das noch dazu ein so großes eigenes Vermögen erforderte, dürfe nicht eines Tages von dem launischen Senat mit einem untauglichen Bewerber besetzt werden. Es sei, seiner Auffassung nach, juristisch gesehen, ein Amt von Kaisers Gnaden, etwa wie das des Küchenvorstehers oder Kleiderverwalters oder Oberstallmeisters, und könne einem nur durch Ungnade des Kaisers abgesprochen werden.
»An der fröhlichen Miene unseres Herrschers erkenne ich, daß du noch sein Vertrauen besitzt«, schloß mein Schwiegervater, an mich gewandt. »Soweit es von mir als dem Stadtpräfekten abhängt, bist du der Vorsteher des Tiergartens. Und nun störe unser wichtiges Gespräch nicht mehr mit dergleichen Bemerkungen.«
Nero begann uns voll Eifer seine Pläne zu erklären. Er wollte alle fünf Jahre nach griechischem Vorbild große Spiele veranstalten, um die Bildung und den Geschmack des Volkes zu heben. »Wir können ja sagen, sie dienten dem Fortbestand des Staates«, meinte er. »Ich selbst möchte es dahin bringen, daß diese Spiele als die größten aller Zeiten betrachtet werden. Fürs erste könnte man sie ganz bescheiden Neronische Festspiele nennen, um das Volk daran zu gewöhnen. Wir unterteilen sie in musische Spiele, athletische Spiele und die üblichen Wagenrennen. Zu den athletischen Spielen will ich die Vestalinnen als Zuschauerinnen einladen, denn ich habe gehört, daß in Griechenland die Cerespriesterinnen den olympischen Spielen beiwohnen. Auf diese Weise wird man ganz von selbst meine Spiele mit den olympischen vergleichen. Alle edlen Wettkämpfe werden in Zukunft in Rom ihre Heimstatt haben, und das ist politisch betrachtet nicht mehr als recht und billig, denn wir verwalten das Erbe Griechenlands und wollen uns dessen würdig erweisen.«
Ich vermochte mich für diese großen Pläne nicht zu begeistern, denn die gesunde Vernunft sagte mir, daß solche Spiele nach griechischem Vorbild nur das Ansehen der Tiervorführungen und damit den Wert meines eigenen Amtes mindern konnten. Ich kannte freilich das Volk von Rom und wußte, daß es stets mehr Vergnügen an den Vorstellungen im Amphitheater finden würde als an Gesang, Musik und dem Wettstreit der Athleten, aber Neros künstlerische Neigungen und hochfliegende Pläne verwandelten das Amphitheater gleichsam in einen Ort niedriger, sittlich zweifelhafter Vergnügungen.
Als ich in unser Haus im Tiergarten zurückkehrte, war ich nicht bei bester Laune, und zu meinem Unglück traf ich dort auch noch Tante Laelia an, die sich mit Sabina stritt. Sie war gekommen, um die Leiche Simons des Zauberers zu holen, die sie nach der abergläubischen Juden Weise unverbrannt bestatten wollte, da Simon nach seinem Unglück keinen anderen Freund mehr hatte, der ihm diesen letzten Dienst erwiesen hätte. Die Juden und ihresgleichen ließen draußen vor der Stadt unterirdische Höhlen graben und bestatteten darin ihre Toten, ohne sie zu verbrennen. Tante Laelia hatte viel Zeit verloren, bis es ihr endlich gelungen war, diese halb und halb geheimgehaltenen Begräbnisstätten ausfindig zu machen.
Ich ging der Sache nach und erfuhr, daß niemand rechtzeitig nach der Leiche Simons des Zauberers gefragt hatte. Sie war daher, wie die Leichen von im Tiergarten verunglückten Sklaven, den Raubtieren zum Fraß vorgeworfen worden. Ich war mit diesem Brauch selbst nicht ganz einverstanden, aber natürlich sparte man auf diese Weise Futterkosten, und man mußte nur darauf sehen, daß das Fleisch nicht verdorben war. Ich hatte es daher meinen Untergebenen verboten, Menschen zu verfüttern, die an Krankheiten gestorben waren.
In diesem Fall hatte Sabina wohl voreilig gehandelt. Simon der Zauberer war immerhin ein in seinen eigenen Kreisen geachteter Mann gewesen und hatte eine Bestattung nach der Sitte seines Volkes verdient. Ein benagter Schädel und ein paar Knochen waren alles, was die Sklaven noch retten konnten, als sie die Löwen mit Besenstielen von ihrer Mahlzeit verjagten.
Ich ließ die Reste in eine schnell herbeigeholte Urne legen und übergab diese Tante Laelia mit der Bitte, sie um ihrer eigenen Gemütsruhe willen nicht zu öffnen. Sabina ließ sich deutlich ihre Verachtung für unsere Gefühlsduselei anmerken.
Von diesem Abend an schliefen wir in getrennten Räumen, und trotz meiner Bitterkeit schlief ich besser als seit langem, da ich mich nicht mehr der Löwenjungen zu erwehren brauchte, die auf mir herumgeklettert waren und in letzter Zeit schon nadelscharfe Zähne bekommen hatten.
Nach dem Tod Simons des Zauberers verlor Tante Laelia in kürzester Zeit ihren Lebenswillen und das Restchen Verstand, das ihr noch geblieben war. Sie war zwar schon lange eine alte Frau mit allen Eigenheiten einer solchen gewesen, aber während sie bisher immer noch versucht hatte, es durch Kleider, Perücken und Schminke zu verbergen, ließ sie sich nun gehen und versteckte sich die meiste Zeit in meinem Haus, murmelte vor sich hin und erzählte von längst vergangenen Zeiten, an die sie sich besser erinnerte als an alles, was zuletzt geschehen war.
Als ich bemerkte, daß sie nicht einmal mehr zu sagen vermochte, wer Kaiser war, und mich mit meinem Vater verwechselte, hielt ich es für angebracht, so oft wie möglich in meinem alten Haus auf dem Aventin zu übernachten. Sabina hatte nichts dagegen einzuwenden. Im Gegenteil, es schien ihre Herrschsucht zu befriedigen, daß sie im Tiergarten schalten und walten durfte, wie sie wollte.
Sabina verstand sich ausgezeichnet mit den Tierbändigern, obwohl diese trotz ihrer gewiß achtenswerten beruflichen Geschicklichkeit zumeist ungebildete Menschen waren und über nichts anderes zu reden wußten als über ihre Tiere. Sabina überwachte auch das Ausladen der Tiere von den Schiffen und verstand es viel besser als ich, die Preise herunterzuhandeln. Vor allem aber hielt sie unter den Angestellten des Tiergartens unerbittlich Zucht und Ordnung.
Ich mußte mir bald eingestehen, daß ich eigentlich nicht mehr viel zu tun hatte und Sabina nur die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen brauchte. Die Zuwendungen aus der kaiserlichen Kasse reichten bei weitem nicht für den Unterhalt und die Neuanschaffungen. Deswegen hatte man mir ja auch zu verstehen gegeben, daß die Leitung des Tiergartens ein Ehrenamt sei, das beträchtliche eigene Mittel voraussetze.
Ich hatte Einkünfte aus dem Seifenhandel meines gallischen Freigelassenen, einer meiner ägyptischen Freigelassenen stellte teure Hautsalben für Frauen her, und Hierax sandte mir reiche Geschenke aus Korinth. Meine Freigelassenen steckten ihre Gewinne gern in neue Unternehmungen. Der Seifensieder hatte seine Verbindungen in allen großen Städten des Reiches, und Hierax betrieb in Korinth Grundstückspekulationen. Nur der Tiergarten brachte mir nichts ein.
Um die Wohnraumnot zu lindern, ließ ich auf einem durch Brand zerstörten Grundstück, das ich dank meinem Schwiegervater billig erwerben konnte, einige siebenstöckige Mietshäuser errichten. Ein wenig verdiente ich auch dadurch, daß ich Fangexpeditionen nach Thessalien, Armenien und Afrika ausrüstete und überschüssige Tiere in Provinzstädte verkaufte. Die besten behielt ich natürlich selbst.
Bald verdiente ich auch das erste Geld an den Schiffen, die vom Roten Meer nach Indien segelten und an denen ich – um seltene Tiere aus Indien herbeischaffen zu können – Anteile hatte erwerben dürfen. Die Waren wurden über Alexandria nach Rom befördert. Es war die Zeit, in der handwerkliche Erzeugnisse aus Gallien und kampanische Weine nach Indien ausgeführt wurden.
Dank einem Übereinkommen mit den arabischen Fürsten erhielt Rom einen Stützpunkt mit einer ständigen Garnison am südlichen Ende des Roten Meeres. Das war notwendig, weil die Nachfrage nach Luxuswaren mit dem steigenden Wohlstand des Reiches immer größer wurde und die Parther die römischen Karawanen nicht durch ihr Gebiet ziehen lassen, sondern selbst als Zwischenhändler an den Waren verdienen wollten.
Alexandria gewann durch die neue Ordnung, aber große Handelsstädte wie Antiochia und Jerusalem erlitten Verluste, weil die Preise der Waren aus Indien sanken. Daher ließen die mächtigen syrischen Handelsherren durch Mittelsmänner in Rom die Auffassung verbreiten, ein Krieg gegen Parthien sei früher oder später unerläßlich, um dem Handel einen Landweg nach Indien zu eröffnen.
Sobald in Armenien Ruhe eingetreten war, hatte Rom Beziehungen zu den Hyrkanern angeknüpft, die das salzige Kaspische Meer nördlich des Partherreiches beherrschten. Auf diese Weise erhielt man unter Umgehung der Parther einen Handelsweg nach China und konnte Seide und andere Waren über das Schwarze Meer nach Rom bringen. Ich hatte davon, offen gestanden, recht unklare Vorstellungen, und wie mir erging es den anderen. Es wurde zum Beispiel behauptet, man brauche zwei Jahre, um die Waren auf Kamelrücken von China an die Küste des Schwarzen Meeres zu schaffen, aber die meisten vernünftigen Menschen glaubten nicht, daß irgendein Land so weit entfernt liegen könne, sondern meinten, die Behauptung sei eine reine Erfindung der Karawanenkaufleute, die ihre unverschämten Wucherpreise rechtfertigen wollten.
Wenn Sabina recht schlecht gelaunt war, forderte sie mich auf, selbst auf Reisen zu gehen und Tiere heimzubringen, Tiger aus Indien, Drachen, von denen die Sagen berichten, aus China oder Nashörner aus dem dunkelsten Nubien. In meiner Verbitterung hatte ich manchmal wirklich Lust, eine so lange Reise anzutreten, aber zuletzt siegte doch immer wieder die Vernunft, und ich sagte mir, daß erfahrenere Männer als ich besser dazu taugten, wilde Tiere einzufangen und die Mühen der Reisen zu bestehen.
Ich ließ daher alljährlich am Todestag meiner Mutter einen der Sklaven des Tiergartens frei und rüstete ihn für eine Reise aus. Einen meiner abenteuerlustigen griechischen Freigelassenen schickte ich nach Hyrkanien. Er sollte versuchen, nach China zu gelangen, und da er des Schreibens kundig war, hoffte ich, von ihm einen brauchbaren Reisebericht zu bekommen, aus dem ich ein neues Buch hätte machen können. Ich hörte jedoch nie mehr von ihm.
Nach dem Tod des Britannicus und meiner Vermählung war ich Nero mehr oder weniger aus dem Weg gegangen. Wenn ich heute darüber nachdenke, will mir scheinen, daß meine Ehe mit Sabina in gewissem Sinne eine Flucht aus dem Kreis um Nero war. Vielleicht habe ich mich deshalb so plötzlich und auf so vernünftige Weise in sie verliebt.
Als ich wieder mehr Zeit für mich selbst hatte, begann ich römische Schriftsteller in mein Haus einzuladen. Annaeus Lucanus, der Sohn eines Vetters Senecas, hielt sich gern in meiner Gesellschaft auf, weil ich seine dichterische Begabung ohne Hemmungen lobte. Petronius, der einige Jahre älter als ich war, fand Gefallen an dem kleinen Buch, das ich über die Räuber in Kilikien geschrieben hatte, vor allem wegen der absichtlich volkstümlichen Sprache.
Petronius war ein fein gebildeter Mann, der es – nächst der Erfüllung seiner politischen Pflichten – als sein Lebensziel ansah aus dem Leben selbst ein Kunstwerk zu machen. Er war insofern ein recht anstrengender Freund, als er gern tagsüber schlief und des Nachts wachte, weil ihn, wie er behauptete, der nächtliche Verkehrslärm Roms nicht schlafen ließ.
Ich begann ein Handbuch über wilde Tiere, ihren Fang, ihre Beförderung, Pflege und Dressur zu schreiben. Um es für die Zuhörer genießbar zu machen, berichtete ich von vielen merkwürdigen Ereignissen, die ich selbst mit angesehen oder von anderen gehört hatte, und machte fleißig Gebrauch von dem Recht eines jeden Schriftstellers, zu übertreiben, um das Interesse wachzuhalten. Petronius meinte, es könnte ein ausgezeichnetes Buch von bleibendem Wert werden, und entlehnte daraus für seine eigenen Schriften einige grobe Wendungen, wie sie in der Sprache des Amphitheaters üblich sind.
An den nächtlichen Streifzügen Neros in die verrufenen Viertel Roms nahm ich nicht mehr teil, da mein Schwiegervater der Stadtpräfekt war, und ich handelte klug, denn diese wilden Vergnügungen nahmen ein trauriges Ende.
Nero war nie böse, wenn er Prügel bekam. Er nahm das nur als ein Zeichen dafür, daß ehrlich gekämpft worden war. Eines Nachts versetzte ihm ein Senator, der die Ehre seiner Gattin verteidigte, einen kräftigen Hieb über den Schädel, und als er zu seinem Entsetzen erfuhr, wen er geschlagen hatte, schrieb er in seiner Dummheit Nero einen Brief, in dem er sich demütig entschuldigte. Darauf blieb Nero nichts anderes übrig, als sich darüber zu verwundern, daß ein Mann, der seinen Herrscher geschlagen hatte, noch am Leben war und sich obendrein in schamlosen Briefen mit seiner Missetat brüstete. Der Senator ließ sich von einem Arzt die Pulsadern öffnen.
Seneca nahm diese Sache sehr übel auf und fand, Nero müsse seine Wildheit auf andere Weise austoben. Er ließ daher den Zirkus des Kaisers Gajus am Rand des Vatikanischen Hügels instand setzen und stellte ihn Nero zur Verfügung. Dort konnte sich dieser nun endlich, mit zuverlässigen Freunden als Zuschauer, nach Herzenslust in der Kunst üben, ein Viergespann zu lenken.
Agrippina schenkte ihm dazu ihre Gärten, die sich bis zum Janiculum erstreckten. Seneca hoffte, daß die Wettkämpfe, in denen sich Nero mehr oder weniger heimlich übte, seine für einen Kaiser übertriebene Vorliebe für Musik und Gesang aufs rechte Maß zurückführen würden. Binnen kurzer Zeit wurde Nero ein kühner, unerschrockener Wagenlenker. Er hatte ja die Pferde schon als Kind geliebt.
Um die Wahrheit zu sagen, brauchte er sich freilich auf der Rennbahn selten umzusehen oder zu befürchten, daß andere seinen Wagen umwarfen, aber es gehört doch einiges dazu, ein iberisches Viergespann im Zirkus zu wenden, ohne die Herrschaft über die Pferde zu verlieren, und so mancher hat sich schon auf der Rennbahn den Hals gebrochen oder ist fürs Leben zum Krüppel geworden, weil er vom Wagen stürzte und die um den Leib geschlungenen Zügel nicht rechtzeitig zu kappen vermochte.
In Britannien hatte sich Flavius Vespasian ernstlich mit Ostorius überworfen, und er erhielt den Befehl, zurückzukehren. Der junge Titus hatte sich in seinem Dienst ausgezeichnet, indem er eines Tages mutig den Befehl über eine Abteilung Reiterei übernahm und seinem von Briten umzingelten Vater zu Hilfe eilte. Vespasian meinte allerdings, er hätte sich auch ohne fremde Hilfe herausgehauen.
Seneca betrachtete den ständigen Kleinkrieg in Britannien als nutzlos und gefährlich und vertrat die Ansicht, daß die Anleihen, die er den britischen Königen gewährt hatte, eher dazu angetan seien, den Frieden im Lande herzustellen, als Straffeldzüge, die nur die Staatskasse belasten. Nero ließ Vespasian ein paar Monate lang das Konsulsamt ausüben, machte ihn zum Mitglied eines hochgestellten Priesterkollegiums und ließ ihn danach für die übliche Amtsdauer zum Prokonsul in Afrika wählen.
Als wir in Rom zusammentrafen, musterte er mich eine Weile, lächelte dann verschmitzt und sagte: »Du hast dich in diesen Jahren sehr verändert, Minutus Manilianus, und ich meine nicht nur die Narben in deinem Gesicht. Als du noch in Britannien warst, hätte ich mir nicht träumen lassen, daß wir eines Tages miteinander verwandt sein würden, weil du meine Nichte geheiratet hast. Aber ein junger Mann bringt es in Rom natürlich viel weiter, als wenn er sich in Britannien einen Rheumatismus fürs Leben holt und sich bald hier, bald dort nach der Sitte der Briten verheiratet.«
Ich hatte meine Ehe im Land der Icener beinahe schon ganz vergessen, und Vespasian erinnerte mich nun zu meinem Unbehagen an die peinlichen Dinge, die ich dort erlebt hatte. Ich flehte ihn an, darüber zu schweigen, und er sagte tröstend: »Welcher Legionär hat nicht irgendwo einen Bankert! Aber deine Hasenpriesterin Lugunda hat nicht wieder geheiratet. Sie erzieht deinen Sohn nach römischer Art, so zivilisiert sind die vornehmsten Icener nun schon.«
Diese Worte schmerzten mich, denn Sabina zeigte keine Neigung, mir ein Kind zu gebären, und wir waren schon lange nicht mehr mit dieser Absicht beieinander gelegen. Ich verjagte jedoch die störenden Gedanken an Lugunda, wie ich es bisher getan hatte. Vespasian versprach bereitwillig, meine britische Ehe geheimzuhalten, da er, wie er sagte, das herbe Wesen seiner Nichte Sabina kannte.
Auf einem Fest, das mein Schwiegervater zu Ehren seines Bruders Vespasian gab, traf ich zum erstenmal Lollia Poppaea. Es hieß, ihre Mutter sei einst die schönste Frau Roms gewesen und habe die Aufmerksamkeit des Claudius in solchem Maße erregt, daß Messalina es für angebracht hielt, sie aus der Zahl der Lebenden verschwinden zu lassen. Doch was wurde nicht alles über Messalina geredet!
Poppaeas Vater Lollius hatte als junger Mann dem Freundeskreis des Verschwörers Sejanus angehört und war deshalb in ewige Ungnade gefallen. Lollia Poppaea war mit einem ziemlich unbedeutenden Ritter namens Crispinus vermählt und hatte den Namen ihres Großvaters mütterlicherseits, Poppaeus Sabinus, angenommen, da der Name ihres Vaters einen schlechten Klang hatte. Dieser Großvater hatte den Konsulsrang innegehabt und seinerzeit sogar einen Triumph gefeiert.
Poppaea war also mit Flavius Sabinus verwandt, wenn auch auf eine so verzwickte Weise, daß mir nie recht klargeworden ist, wie. Tante Laelias Gedächtnis hatte schon sehr gelitten. Sie brachte die verschiedensten Personen durcheinander und konnte mich auch nicht aufklären. Als ich Poppaea begrüßte, sagte ich zu ihr, ich bedauerte, daß meine Gattin Sabina mit ihr leider nur den Namen gemeinsam habe.
Poppaea sperrte unschuldsvoll ihre großen rauchgrauen Augen auf, die, wie ich später bemerkte, die Farbe je nach Stimmung und Beleuchtung wechselten, tat, als hätte sie nicht verstanden, was ich meinte, und fragte: »Findest du, ich sei nach einem einzigen Kindbett so alt und unansehnlich geworden, daß ich mich nicht mehr mit der jungfräulichen Artemis Sabina vergleichen kann? Wir sind gleichalt, deine Sabina und ich.« Mir wurde heiß, als ich ihr in die Augen sah, und ich sagte rasch: »Nein, ich meine, daß du die züchtigste verheiratete Frau bist, die mir in Rom begegnet ist, und ich muß deine Schönheit bewundern, nun da ich dich zum erstenmal ohne Schleier sehe.«
Poppaea erwiderte mit einem scheuen Lächeln: »Ich muß in der Sonne immer einen Schleier tragen, weil meine Haut so empfindlich ist. Ich beneide deine Sabina, die kräftig und braungebrannt wie eine Diana mit der Peitsche in der Hand im Sonnenglast in der Arena stehen kann.«
»Sie ist nicht meine Sabina, wenn wir auch nach der längeren Formel getraut sind«, sagte ich bitter. »Sie ist eher die Sabina der Löwen und der Tierbändiger. Sie kennt keine Scham, ihre Lieblingsgesellschaft ist nicht anständig, und ihre Sprache wird von Jahr zu Jahr gröber.«
»Vergiß nicht, daß wir miteinander verwandt sind, sie und ich«, mahnte mich Poppaea Sabina. »Aber abgesehen davon bin ich nicht die einzige Frau in Rom, die sich darüber wundert, daß ein fein empfindender Mann wie du sich ausgerechnet Sabina ausgesucht hat, obwohl er andere hätte haben können.«
Ich wies mit finsterer Miene auf meine Umgebung und deutete an, daß es noch mehr Gründe für eine Ehe gebe als nur gegenseitige Zuneigung. Flavia Sabinas Vater war Präfekt von Rom, und ihr Onkel hatte das Triumphrecht. Ich weiß nicht, wie es kam, aber Poppaeas scheue Gegenwart erregte mich, und ich begann von diesem und jenem zu plaudern. Es dauerte nicht lang, und Poppaea gestand mir errötend, wie sehr sie unter der Ehe mit einem eitlen Prätorianerzenturio litt.
»Von einem wirklichen Mann verlangt man ja mehr als nur ein hochfahrendes Wesen, einen blinkenden Brustharnisch und einen roten Helmbusch«, sagte sie beziehungsvoll. »Ich war ein unschuldiges Kind, als ich mit ihm vermählt wurde. Ich bin, wie du siehst, sehr zart, und meine Haut ist so empfindlich, daß ich mein Gesicht jeden Tag mit in Eselsmilch getunktem Weizenbrot behandeln muß.«
Ganz so zart, wie sie behauptete, war sie auch wieder nicht; das fühlte ich, als sie, ohne es zu bemerken, ihre eine Brust in meine Armbeuge drückte. Ihre Haut war so strahlend weiß, daß ich dergleichen nie zuvor gesehen hatte. Ich wußte nicht, womit ich sie vergleichen sollte, denn ich bin kein Dichter. Ich murmelte etwas von Gold und Elfenbein, aber ich glaube, daß mein Blick deutlicher als alles andere ausdrückte, wie sehr mich ihre junge Schönheit bezauberte.
Wir konnten nicht so lange miteinander plaudern, wie ich gern gewollt hätte, da ich meinen Pflichten als Schwiegersohn nachkommen mußte. Ich tat es jedoch zerstreut und vermochte an nichts anderes zu denken als an Poppaeas rauchgraue Augen und schimmernde Haut, und als ich die Schutzgeister des Hauses anrief und die uralten Beschwörungen hersagte, geriet ich ins Stottern.
Zuletzt zog mich meine Gattin Sabina beiseite und sagte spitz: »Du hast ganz glasige Augen und ein rotes Gesicht, dabei ist doch fast noch gar kein Wein getrunken worden. Laß dich nicht von Poppaea umgarnen. Sie ist eine berechnende kleine Hündin. Sie hat freilich ihren Preis, aber ich fürchte, der ist zu hoch für einen Dummkopf wie dich.«
Ich nahm ihr diese Worte sehr übel, denn Poppaea war so bescheiden, und ihr Benehmen war so unschuldsvoll, daß man sich unmöglich täuschen konnte. Zugleich aber erregte mich Sabinas gehässige Behauptung und weckte in mir den Gedanken, daß ich vielleicht gewisse Möglichkeiten hätte, wenn es mir nur gelänge, mich Poppaea behutsam und taktvoll genug zu nähern.
Als ich mich für eine Weile meiner Pflichten entledigt hatte, knüpfte ich daher ein neues Gespräch mit ihr an, was nicht schwer war, da die anderen Frauen ihre Gesellschaft offenbar mieden. Die Männer ihrerseits hatten sich um den Ehrengast versammelt, der, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen, von seinen Kriegserlebnissen in Britannien berichtete.
Meinen verblendeten Augen erschien Poppaea wie ein kleines verlassenes Mädchen, so stolz sie auch ihren blonden Kopf in die Höhe reckte. Eine große Zärtlichkeit ergriff mich. Als ich aber wie unbeabsichtigt ihren nackten Arm berührte, fuhr sie auf, rückte ein Stück von mir ab und sah mich an mit einem Blick, in dem sich die tiefste Enttäuschung spiegelte.
»Willst du nur das, Minutus?« flüsterte sie. »Bist du gleich wie alle anderen Männer, obwohl ich hoffte, in dir einen Freund zu finden? Verstehst du nun, warum ich lieber mein Gesicht hinter einem Schleier verberge, als daß ich es allen lüsternen Blicken aussetze? Denk daran, daß ich verheiratet bin. Nur wenn ich die Scheidung bekäme, könnte ich mich frei fühlen.«
Ich verwahrte mich gegen ihre Verwürfe und versicherte, ich würde mir lieber die Pulsadern öffnen, als sie kränken. Sie bekam feuchte Augen und lehnte sich gegen mich, so daß ich ihre Wärme spürte. Ihren weiteren Worten entnahm ich, daß sie kein Geld für einen Scheidungsprozeß hatte und daß ihre Ehe eigentlich nur durch den Kaiser selbst aufgelöst werden konnte, da sie Patrizierin war. Sie kannte jedoch nicht genug einflußreiche Personen im Palast, um ihre Angelegenheit Nero vortragen zu lassen.
»Ich habe die ganze Gemeinheit der Männer erfahren müssen«, sagte sie. »Wenn ich mich an einen Fremden wende und um Hilfe bitte, versucht er nur, meine Wehrlosigkeit auszunützen. Hätte ich nur einen einzigen wahren Freund, der sich mit meiner ewigen Dankbarkeit begnügte, ohne Dinge von mir zu verlangen, die zu gewähren meine Schamhaftigkeit mir verbietet!«
Das Ende vom Lied war, daß ich sie vom Fest nach Hause begleitete. Ihr Gatte Crispinus erlaubte es mir gern, um selbst in Ruhe und Frieden weitertrinken zu können. Die beiden waren so arm, daß sie nicht einmal eine eigene Sänfte besaßen. Ich bot Poppaea die meine an. Sie zögerte zuerst, setzte sich dann aber neben mich, so daß ich während des ganzen Weges ihre Nähe fühlte.
Wir ließen uns jedoch nicht gleich zum Prätorianerlager tragen, denn die Nacht war schön und sternenklar, und Poppaea verspürte ebensowenig Sehnsucht nach dem Schweißgeruch des Lagers wie ich nach dem Gestank des Tiergartens. Zuerst genossen wir vom nächsten Hügel die Aussicht über den erleuchteten Markt, und kurz darauf befanden wir uns auf einmal in meinem Haus auf dem Aventin, weil Poppaea Tante Laelia nach irgend etwas fragen wollte, was ihren armen Vater betraf. Tante Laelia war natürlich schon schlafen gegangen, und Poppaea brachte es nicht über sich, sie wecken zu lassen. Wir waren also allein und tranken ein wenig Wein, während wir zusahen, wie über dem Palatin der Morgen heraufzog. Und wir träumten, wie es sein könnte, wenn sie und ich frei wären.
Poppaea lehnte sich vertrauensvoll gegen mich und gestand mir, daß sie sich schon immer nach einer reinen, selbstlosen Freundschaft gesehnt und sie nie gefunden habe. Nachdem ich sie recht herzlich gebeten hatte, erlaubte sie mir, ihr eine ansehnliche Summe zu leihen, damit sie die Scheidung einreichen konnte.
Um ihr Mut zu machen, erzählte ich ihr von Neros seltener Menschenfreundlichkeit, seinem Edelmut gegenüber seinen Freunden und noch so manchen anderen Eigenschaften, denn Poppaea war nach Frauenart neugierig und noch nie selbst mit Nero zusammengetroffen. Auch von Acte erzählte ich ihr, von ihrer Schönheit und ihrem untadeligen Auftreten, und von anderen Frauen, mit denen Nero zu tun gehabt hatte. Ich versicherte ihr, daß Nero seine Ehe mit Octavia noch nicht vollzogen hatte, da sie ihm sowohl als die Schwester des Britannicus wie auch als seine eigene Halbschwester zuwider war.
Poppaea Sabina verstand es, mir zu schmeicheln, und verleitete mich durch so geschickte Fragen dazu, immer mehr zu erzählen, daß ich ihren Verstand nicht minder als ihre Schönheit zu bewundern begann. Es dünkte mich erstaunlich, daß eine so liebliche, empfindsame Frau, die schon einen Sohn geboren hatte, noch immer wie ein unberührtes Mädchen wirken und in ihrer Unverderbtheit tiefen Widerwillen gegen die Laster des Hofes fühlen konnte, und ich bewunderte sie darum nur noch um so mehr. Je deutlicher ich ahnte, wie unnahbar sie war, desto begehrenswerter wurde sie für mich.
Als wir uns bei Sonnenaufgang, kurz bevor die Hörner erklangen, trennten, erlaubte sie mir, ihr einen Freundschaftskuß zu geben, und als ich ihre weichen Lippen unter den meinen schmelzen fühlte, ergriff mich ein solches Entzücken, daß ich schwor, alles zu tun, was in meiner Macht stand, um sie aus ihrer unwürdigen Ehe zu befreien.
An den folgenden Tagen lebte ich wie im Traum. Alle Farben leuchteten stärker als je zuvor, die Sonne strahlte heller, die Dunkelheit der Nächte erschien mir warm und weich. Ich war wie berauscht und versuchte sogar Gedichte zu schreiben. Wir trafen uns im Minervatempel und taten, als betrachteten wir die Gemälde und Skulpturen der griechischen Meister.
Poppaea Sabina sagte mir, daß sie mit ihrem Gatten gesprochen habe. Crispinus sei mit der Scheidung einverstanden, sofern man ihm eine angemessene Entschädigung zahle. Mit hinreißend klarer Vernunft bewies mir Poppaea, daß es besser sei, das Geld Crispinus zu geben, als es für die Advokaten hinauszuwerfen und gegenseitige Beschuldigungen zu erfinden, die dann wieder bewiesen werden müßten und letzten Endes nur zu einem öffentlichen Skandal führen würden.
Der bloße Gedanke, daß sie noch mehr Geld von mir annehmen sollte, entsetzte sie jedoch. Sie hatte ja noch kostbaren Schmuck, den sie verkaufen könnte, sagte sie. Es handelte sich zwar um Familienerbstücke, die ihr teuer waren, aber noch teurer war ihr die Freiheit.
Ich schämte mich förmlich, als ich Poppaea dennoch zwang, eine Zahlungsanweisung auf meinen Bankier anzunehmen. Nun brauchte also nur noch Neros Zustimmung zur Auflösung der Ehe eingeholt zu werden, die er als oberster Pontifex jederzeit geben konnte, denn dieses Amt stand ihm zu, wenn er es auch nicht ausüben wollte, weil, wie er sagte, die religiösen Pflichten seine ohnehin schwere Arbeitslast vollends unerträglich gemacht hätten.
Ich fürchtete etwas zu verderben, wenn ich selbst mit Nero sprach, denn er hätte mich unlauterer Absichten verdächtigen können, da ich ja selbst nach der längeren Formel getraut war. Außerdem hatte Nero des öfteren spöttisch bemerkt, es sei besser, wenn ich mich an die Angelegenheiten des Tiergartens hielte, auf die ich mich verstünde, und mich nicht in Gespräche über Philosophie oder Musik einmischte, und das grämte mich.
Ich suchte nach einem Mittelsmann und verfiel zuletzt auf Otho, der Neros bester Freund war und so viel Geld und Einfluß hatte, daß er es wagte, mit ihm zu streiten, wenn es ihm dafürstand. Otho tat sich einiges auf seine zarte, glatte Gesichtshaut zugute, die er sorgsam pflegte, und das gab mir Gelegenheit, eines Tages ganz beiläufig zu erwähnen, daß ich eine Frau kannte, die ihre empfindliche Haut mit Eselsmilch behandelte.
Otho zeigte sich sofort interessiert und sagte mir, daß er selbst sich auch manchmal, nach durchwachten Nächten und Zechgelagen, das Gesicht mit Weizenbrot abrieb, das er in Milch aufweichte. Ich berichtete ihm im Vertrauen von Poppaea Sabina und ihrer unglücklichen Ehe. Er wollte sie selbstverständlich selbst kennenlernen, bevor er mit Nero über sie sprach.
Und ich Dummkopf führte Poppaea in Othos prachtvolles Haus. Ihre Schönheit, ihre Zurückhaltung und ihre schimmernde Haut machten einen solchen Eindruck auf ihn, daß er sich gern bereit erklärte, ihr Fürsprecher bei Nero zu sein. Zu diesem Zweck aber mußte er natürlich alle Umstände genau kennen.
Daher fragte er Poppaea freundlich lächelnd nach allen Einzelheiten ihrer Ehe aus, und als er bemerkte, daß ich verlegen wurde und nicht wußte, wohin ich blicken sollte, meinte er taktvoll, ich sollte mich vielleicht besser entfernen. Das tat ich gern, denn ich sah ein, daß die scheue Poppaea über derlei Dinge am liebsten ohne Zuhörer mit dem erfahrenen, verständnisvollen Otho sprach.
Sie berieten hinter verschlossenen Türen bis spät am Nachmittag. Zuletzt kam Poppaea wieder zu mir heraus, nahm mich an der Hand und schlug die rauchgrauen Augen scheu nieder. Otho dankte mir dafür, daß ich ihn mit einer so bezaubernden Frau bekannt gemacht hatte, und versprach, sein Bestes zu tun, um die Scheidung zu erwirken. Poppaea hatte bei dem Gespräch mit ihm rote Flecke auf ihrem weißen Hals bekommen – so empfindlich war ihre Haut.
Otho hielt sein Versprechen. Nero löste in Gegenwart zweier Richter und gestützt auf gewisse Dokumente, die man ihm vorgelegt hatte, die Ehe zwischen Poppaea und Crispinus auf. Poppaea durfte ihren Sohn behalten, und Otho vermählte sich mit ihr einige Wochen später in aller Stille, ohne die üblichen neun Monate abzuwarten. Ich wollte es zuerst nicht glauben, als ich es erfuhr. Mir war, als stürzte der Himmel auf mich nieder, vor meinen Augen wurde es dunkel, und ich bekam so heftige Kopfschmerzen, daß ich mich mehrere Tage in einen dunklen Raum einschließen mußte.
Als ich wieder Herr meiner Sinne war, verbrannte ich die Gedichte auf dem Hausaltar und beschloß, nie wieder welche zu schreiben. Diesem Vorsatz bin ich auch treu geblieben. Ich konnte Otho keine Vorwürfe machen, denn ich kannte Poppaeas Zauber selbst nur zu gut. Ich hatte nur geglaubt, Otho, der wegen seiner zahllosen Liebeshändel mit Frauen und Jünglingen berüchtigt war, könne sich niemals in eine so schüchterne, unerfahrene Frau wie Poppaea verlieben. Doch vielleicht wollte er sein Leben ändern. Vielleicht konnte die sittsame Poppaea einen günstigen Einfluß auf sein verderbtes Gemüt ausüben.
Ich bekam eine Einladung zur Hochzeit von Poppaeas eigener Hand und sandte im voraus als Hochzeitsgabe einen Satz silberner Trinkgefäße, die schönsten, die ich fand. Auf dem Fest selbst glich ich wohl einem Schatten aus der Unterwelt und trank mehr als gewöhnlich, und zuletzt sagte ich zu Poppaea, während mir die Tränen aus den Augen stürzten, ich selbst hätte vielleicht auch die Scheidung bewilligt bekommen.
»O Minutus, warum hast du das aber auch mit keinem Wort angedeutet!« rief Poppaea wehmütig aus. »Aber nein, das hätte ich Flavia Sabina nie antun können. Otho hat natürlich seine Fehler. Er ist ein wenig weibisch und zieht beim Gehen das eine Bein nach, während man dein Hinken kaum bemerkt. Er hat mir aber fest versprochen, daß er sich bessern und die schlechten Freunde verlassen will, die ihn zu gewissen Lastern verführt haben, über die ich mit dir nicht einmal sprechen kann. Der arme Otho ist so feinfühlig und läßt sich so leicht von anderen beeindrucken, aber ich hoffe, mein Einfluß wird einen neuen Menschen aus ihm machen.«
»Und außerdem ist er reicher als ich, aus uraltem Geschlecht und der engste Vertraute des Kaisers«, sagte ich ohne meine Bitterkeit zu verbergen.
Poppaea sah mich tadelnd an und flüsterte mit zitternden Lippen: »So schlecht denkst du von mir, Minutus? Ich dachte, du habest verstanden, daß mir Name und Reichtum nichts bedeuten, wenn ich mich für jemanden entscheide. Ich blicke ja auch nicht auf dich herab, obwohl du nur Tiergartenvorsteher bist.«
Sie war so gekränkt und so schön, daß ich ihr nicht länger böse sein konnte und sie um Vergebung bat. Otho war eine Zeitlang wie verwandelt. Er hielt sich Neros Gelagen fern, und wenn er wirklich erschien, weil Nero nach ihm geschickt hatte, verabschiedete er sich früh und sagte, er könne seine schöne Gattin nicht so lange warten lassen. Von Poppaeas Schönheit und Liebeskunst sprach er so offenherzig, daß Nero immer neugieriger wurde und Otho schließlich bat, seine junge Frau ins Palatium mitzubringen.
Otho erwiderte darauf, Poppaea sei zu scheu und zu stolz. Er fand noch andere Ausflüchte und sagte dann wieder, nicht einmal Venus selbst könne, als sie aus dem Meerschaum geboren wurde, schöner gewesen sein als Poppaea, wenn sie des Morgens ihr Bad in Eselsmilch nahm. Otho hatte einen ganzen Stall voll Eselinnen angeschafft, die für sie gemolken wurden. Sie pflegten beide mit gleicher Hingabe ihre zarte Haut, sofern ihnen die Liebe dafür Zeit ließ.
Ich litt solche Eifersuchtsqualen, daß ich alle Zusammenkünfte mied, bei denen ich Otho hätte antreffen können. Meine Freunde verspotteten mich wegen meiner finsteren Miene, aber allmählich tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß ich Poppaea, wenn ich sie wirklich liebte, nur das Beste wünschen durfte, und zumindest dem äußeren Anschein nach hatte sie die günstigste Partie gemacht, die in Rom überhaupt möglich war. Sabina aber war mir fremder geworden denn je zuvor. Wir konnten nicht mehr zusammen sein, ohne zu streiten, und ich begann ernstlich die Scheidung zu erwägen, obwohl ich wußte, daß ich mir dadurch den Haß des ganzen flavischen Geschlechts zuziehen mußte. Ich vermochte mir allerdings die herbe, schroffe Sabina nicht recht als Ehebrecherin vorzustellen, zumal sie mich deutlich genug merken ließ, daß ich ihr einen tiefen Abscheu gegen die Freuden des Bettes eingeflößt hatte.
Ihr machte es nichts aus, daß ich mich dann und wann zu einer liebeskundigen Sklavin legte, solange ich nur sie in Frieden ließ. Es gab somit keinen stichhaltigen Grund, eine nach der längeren Formel eingegangene Ehe zu lösen, und ich wagte nicht einmal mehr andeutungsweise von Scheidung zu sprechen, so außer sich vor Zorn war Sabina das eine Mal gewesen, da ich die Sache zur Sprache gebracht hatte – wohl weil sie fürchtete, ihre geliebten Tiere zu verlieren. So blieb mir nur die Hoffnung, daß die Löwen sie eines Tages zerrissen, wenn sie ihnen ihren starken Willen aufzwang und sie, von dem erfahrenen Löwenbändiger Epaphroditus unterstützt, unglaubliche, nie zuvor gesehene Kunststücke ausführen ließ.
Auf diese Weise vergingen für mich die ersten fünf Jahre der Regierung Neros. Wahrscheinlich war dies die glücklichste Zeit, die die Welt je erlebt hat und erleben wird. Ich selbst aber fühlte mich wie in einen Käfig eingesperrt. Ich begann allmählich mein Äußeres zu vernachlässigen, mochte nicht mehr reiten und setzte übermäßig viel Fett an.
Gleichwohl unterschied ich mich nicht sehr von den anderen jungen Männern Roms. Man sah damals viele ungepflegte, langhaarige Männer auf den Straßen, die schweißtriefend, singend und klimpernd den Einzug eines neuen Geschlechts verkündeten, das die strengen Sitten der Alten verachtete. Mir selbst war alles gleichgültig, da der beste Teil meines Lebens unbemerkt und ungenutzt an mir vorübergeglitten war, obwohl ich freilich noch keine dreißig war.
Dann entzweiten sich Nero und Otho. Nur um Nero zu reizen, nahm Otho eines Tages Poppaea ins Palatium mit. Nero verliebte sich blind in sie. Nach der Art verwöhnter Kinder war er gewohnt, alles zu bekommen, was er haben wollte. Poppaea wies ihn mit aller Entschiedenheit ab und sagte ihm, er könne ihr nicht mehr bieten als Otho. Nach dem Mahl ließ Nero eine Flasche seines teuersten Parfüms öffnen, und alle Gäste durften sich mit einigen Tropfen davon betupfen. Als Nero kurz darauf bei Otho zu Gast war, ließ dieser das gleiche Parfüm aus dünnen Silberröhrchen über alle Anwesenden regnen.
Es wurde behauptet, Nero habe sich einmal in seiner Liebeskrankheit mitten in der Nacht zu Othos Haus tragen lassen und vergeblich ans Tor geklopft. Otho ließ ihn nicht ein, weil Poppaea den Zeitpunkt für einen Besuch unpassend fand. Ein andermal soll Otho in Gegenwart von Zeugen zu Nero gesagt haben: »In mir siehst du den künftigen Kaiser.«
Ich weiß nicht, ob Otho dergleichen geweissagt worden war oder aus welchem Grunde sonst er sich diesen Wahn in den Kopf gesetzt hatte. Nero lachte nur laut auf und sagte höhnisch: »In dir sehe ich nicht einmal einen künftigen Konsul.«
Eines strahlenden Wochentags, als in den Gärten des Lukull auf dem Pincius die Kirschbäume blühten, ließ mich Poppaea zu sich rufen. Ich glaubte sie schon vergessen zu haben, aber sie war mir wohl doch nur scheinbar gleichgültig gewesen, denn ich kam ihrer Aufforderung sofort, vor Eifer zitternd, nach. Poppaea war schöner, als ich sie je gesehen hatte. Sie hatte ihren kleinen Sohn bei sich und trat auf, wie es einer Mutter geziemt. Sie trug ein seidenes Gewand, das die lockende Schönheit ihrer Gestalt mehr entblößte als verhüllte.
»O Minutus!« rief sie. »Wie habe ich dich vermißt! Du bist der einzige selbstlose Freund, den ich habe. Ich brauche dringend deinen Rat.«
Ich wurde mißtrauisch, denn ich erinnerte mich, wie es mir beim letztenmal als Ratgeber ergangen war. Poppaea lächelte mich aber so unschuldsvoll an, daß ich nichts Schlechtes von ihr denken konnte.
»Du wirst gehört haben, in was für eine peinliche Lage ich durch Nero geraten bin«, sagte sie. »Ich begreife nicht, wie es dazu kommen konnte, denn ich habe ihm nicht den geringsten Anlaß gegeben. Du kennst mich ja. Nero verfolgt mich mit seinen Anträgen, und Otho wird noch in Ungnade fallen, nur weil er meine Tugend beschützt.«
Sie betrachtete mich aufmerksam. Ihre rauchgrauen Augen wurden plötzlich veilchenblau. Sie hatte sich ihr goldblondes Haar so schön um den Kopf legen lassen, daß sie wie die Statue einer Göttin aussah: lauter Gold und Elfenbein.
Sie rang ihre schmalen Hände und gestand mir: »Das schrecklichste ist, daß ich Nero gegenüber nicht ganz gleichgültig bleiben kann. Er ist ein schöner Mann. Sein rötliches Haar und seine heftigen Gefühle entzücken mich. Er ist edelmütig und ein großer Künstler. Wenn ich ihn spielen und singen höre, bin ich so verzaubert, daß ich den Blick nicht von ihm wenden kann. Wäre er so selbstlos wie du, würde er versuchen, mich vor meinen eigenen Gefühlen zu schützen, anstatt sie anzufachen. Aber vielleicht weiß er gar nicht, was für Empfindungen seine Nähe in mir weckt. Ja, Minutus, ich zittere an allen Gliedern, wenn ich ihn nur sehe. Zum Glück konnte ich es bisher verbergen und ihm aus dem Weg gehen, soweit dies meine Stellung zuläßt.«
Sie sprach zurückhaltend und zugleich träumerisch, und ich glaube, sie wußte nicht, wie sehr ich litt. »Du bist in großer Gefahr, Poppaea«, sagte ich erschrocken. »Du mußt fliehen. Bitte Otho, daß er versucht, sich zum Prokonsul in irgendeiner Provinz ernennen zu lassen. Bleib nicht in Rom!«
Poppaea sah mich an, als wäre ich nicht ganz bei Sinnen. »Wie sollte ich anderswo leben können als in Rom? Ich würde vor Sehnsucht sterben. Es gibt aber etwas noch Schlimmeres und Merkwürdigeres, und ich würde nicht wagen, mit dir darüber zu sprechen, wenn ich nicht wüßte, daß ich mich auf deine Verschwiegenheit verlassen darf. Denk dir, ein jüdischer Wahrsager – du weiß ja, daß die Juden sich auf derlei Dinge verstehen – hat mir gesagt, daß ich eines Tages – du darfst mich aber nicht auslachen –, daß ich eines Tages die Gemahlin eines Kaisers sein werde!«
»Liebe Poppaea«, sagte ich begütigend. »Hast du nicht gelesen, was Cicero über die Weissagungen schreibt? Zerbrich dir über solchen Unfug nicht deinen hübschen Kopf.«
Sie warf mir einen bösen Blick zu und fragte beleidigt: »Warum nennst du das einen Unfug? Othos Geschlecht ist uralt, und er hat viele Freunde unter den Senatoren. Nero könnte diese Weissagung nur dadurch zunichte machen, daß er unsere Ehe auflöste. Er selbst hat ja seine Octavia. Er schwört freilich, er habe es noch nie über sich gebracht, sich zu ihr zu legen – so groß ist seine Abneigung gegen dieses einfältige Mädchen. Aber andrerseits kann ich nicht begreifen, daß ein junger Herrscher wie er eine freigelassene Sklavin zur Bettgenossin hat und haben will. Das ist in meinen Augen etwas so Niedriges und Verachtenswertes, daß mein Blut kocht, wenn ich nur daran denke!«
Ich schwieg und dachte nach, und schließlich fragte ich mißtrauisch: »Was willst du eigentlich von mir?«
Poppaea tätschelte meine Wange, seufzte und blickte mir zärtlich in die Augen. »Ach Minutus, du bist wirklich nicht sehr durchtrieben«, klagte sie. »Aber vielleicht mag ich dich deshalb so gern. Eine Frau braucht ja einen Freund, mit dem sie über alles ganz aufrichtig sprechen kann. Wenn du wirklich mein Freund bist, dann gehst du zu Nero und sagst ihm alles. Er wird dich bestimmt anhören, wenn er erfährt, daß du von mir kommst. Er ist schon so verliebt, daß ich ihn gleichsam in der Zange habe.«
»Wie soll ich das verstehen?« fragte ich. »Gerade eben erst hast du auf meine Verschwiegenheit angespielt!«
Poppaea ergriff verlegen meine willenlose Hand, drückte sie gegen ihre Hüfte und sagte: »Er soll mich in Ruhe lassen, weil ich schwach werde, wenn ich ihn sehe. Ich bin nur eine Frau, und er ist unwiderstehlich. Das sollst du ihm sagen. Wenn ich aber in meiner Schwachheit seinen Verführungskünsten erliege, muß ich mir das Leben nehmen, um mir meine Selbstachtung zu bewahren. Ehrlos kann ich nicht leben. Sag ihm das. Erzähl ihm auch von der Weissagung. Ich ertrage den Gedanken nicht, daß Otho ihm Schaden zufügen könnte. Ich habe Otho in meiner Dummheit von der Weissagung berichtet und bereue es tief. Ich ahnte ja nicht, wie machtlüstern er in seinem Innersten ist.«
Es widerstrebte mir, noch einmal für Poppaea den Boten zuspielen, aber ihre Nähe lähmte meinen Willen, und daß sie sich so auf mich verließ, sprach mein männliches Bedürfnis an, die Schwachen zu beschützen. Zwar begann ich dunkel zu ahnen, daß Poppaea vielleicht gar nicht so schutzbedürftig sei, aber wie sollte ich ihr scheues unschuldiges Wesen anders auslegen als zu ihren Gunsten? Sie würde sich gewiß nicht so vertrauensvoll auf mich gestützt und mir erlaubt haben, sie zu umarmen, wenn sie gewußt hätte, was für Gefühle das in meinem schamlosen Leib weckte.
Nach langem Suchen fand ich Nero endlich im Zirkus des Gajus. Er übte sich mit seinem Viergespann und fuhr mit dem aus der Verbannung zurückgekehrten Gajus Sophonius Tigellinus um die Wette, den er zu seinem Stallmeister gemacht hatte. Der Form halber standen zwar Wachen an den Toren, aber es hatte sich trotzdem eine ganze Menge Volks auf den Zuschauerbänken versammelt, um Nero anzufeuern und ihm Beifall zu rufen.
Ich mußte lange warten, bis Nero endlich, staubig und verschwitzt, den Schutzhelm abnahm und sich die Leinenbinden abwickeln ließ, die seine Beine schützten. Tigellinus lobte seine raschen Fortschritte, tadelte ihn dann aber scharf wegen eines Fehlers, den er beim Wenden begangen hatte. Nero nahm den Tadel demütig entgegen. Er wußte, daß er gut daran tat, Tigellinus in allem, was Pferde und Gespanne betraf, ohne Einwände zu gehorchen.
Tigellinus fürchtete niemanden. Er war gewohnt, seinen Willen durchzusetzen, und behandelte seine Sklaven grausam. Groß und kräftig, mit schmalem Gesicht, so stand er da und blickte sich hochmütig um wie einer, der sagen will, daß sich mit Gewalt alles im Leben erzwingen läßt. Er hatte einmal alles verloren, was er besaß, und hatte sich in der Verbannung durch Fischfang und Pferdezucht ein neues Vermögen geschaffen. Es hieß, daß keine Frau und kein Knabe vor ihm sicher seien.
Ich gab Nero durch Mienen und Gesten zu verstehen, daß ich ihn in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen wünschte, und er erlaubte mir, ihm zum Badehaus im Garten zu folgen. Als ich ihm Poppaea Sabinas Namen ins Ohr flüsterte, schickte er alle anderen fort und ließ mich gnädig seinen untersetzten Körper mit; Bimsstein abreiben, während er mich eifrig ausfragte und nach und nach alles erfuhr, was Poppaea mir gesagt hatte. Zuletzt bat ich ihn ernsthaft: »Laß sie also in Ruhe. Das ist alles, was sie sich wünscht, um nicht ständig zwischen ihren eigenen, einander widersprechenden Gefühlen hin und her gerissen zu werden. Sie will nur eine ehrbare Gattin sein. Du kennst ihre Unschuld und ihre Zurückhaltung.«
Nero lachte laut auf, wurde aber gleich wieder ernst, nickte mehrere Male und sagte: »Lieber hätte ich es freilich gesehen, wenn du mit dem Lorbeerkranz auf der Speerspitze zu mir gekommen wärst, Bote. Ich kann mich nur wundern, wie gut du die Frauen kennst. Ich aber habe genug von ihren Launen. Es gibt noch andere Frauen außer Lollia Poppaea, und ich will sie in Ruhe lassen. Sie soll nur selbst aufpassen, daß sie mir nicht mehr so oft vor die Augen kommt wie bisher. Grüße sie und sage ihr, ihre Bedingungen sind mir zu hoch.«
»Sie hat doch gar keine Bedingungen gestellt«, wandte ich verwirrt ein.
Nero betrachtete mich mitleidig und sagte: »Es ist das beste, du kümmerst dich um deine wilden Tiere und deine eigene Gattin. Schick mir Tigellinus, damit er mir das Haar wäscht.«
So ungnädig entließ er mich. Doch ich verstand ihn gut. Er liebte Poppaea und war nun enttäuscht, weil sie ihn abwies. Ich eilte mit meiner guten Nachricht froh zu Poppaea zurück, aber zu meiner Verwunderung war Poppaea nicht zufrieden, ja sie zerschlug sogar eine kleine Glasbüchse, so daß die kostbare Salbe auf den Boden tropfte und mir von dem betäubenden Duft ganz wirr im Kopf wurde. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer häßlichen Fratze, und sie schrie: »Wir werden sehen, wer zuletzt gewinnt, er oder ich!«
Ich erinnere mich noch gut an den Tag im darauffolgenden Herbst, an dem ich beim Aufseher über die Aquädukte saß und starrsinnig durchzusetzen versuchte, daß neue und größere Bleileitungen zum Tiergarten gelegt würden. Wir hatten schon tagelang jenen heißen Wind gehabt, der roten Staub mit sich führt und Kopfschmerzen verursacht.
Wegen der Wasserverteilung gab es ständig Streit, weil die Reichen und Vornehmen ihre eigenen Leitungen von den Aquädukten zu ihren Thermen, Gärten und Teichen legen ließen. Durch den raschen Bevölkerungszuwachs herrschte in Rom Wassermangel. Der Aufseher über die Aquädukte befand sich daher in einer schwierigen Lage. Er war nicht um sein Amt zu beneiden, obwohl einer, der bedenkenlos genug war, sich während seiner Amtszeit bereichern konnte. Ich war jedoch der Ansicht, daß der Tiergarten eine Sonderstellung einnahm und daß ich keine Ursache hatte, ihm Geld zu geben, um meine berechtigten Forderungen durchzusetzen.
Ich forderte, er lehnte ab. Wir kamen keinen Schritt weiter, und es gelang uns gerade noch, eine rein äußerliche Höflichkeit zu bewahren. Ich hätte am liebsten aufgegeben und die Sache auf sich beruhen lassen, aber ich fürchtete den Zorn Sabinas. Schließlich sagte ich gereizt: »Ich kenne die Verordnungen der Ädilen und den Senatsbeschluß über das Wasser auswendig. Ich kann mich an Nero selbst wenden, obwohl er mit solchen Kleinigkeiten nicht gern belästigt werden will, und ich fürchte, die Sache geht für dich schlechter aus als für mich.« Der Aufseher, ein langweiliger Mensch, lächelte spöttisch und entgegnete mir: »Tu nur, was du für richtig hältst. Ich an deiner Stelle würde aber Nero nicht ausgerechnet in diesen Tagen mit dem Streit wegen der Wasserverteilung behelligen.«
Ich hatte mich lange nicht mehr um den Klatsch in der Stadt gekümmert und fragte daher, was denn Besonderes geschehen sei. »Weißt du es wirklich nicht, oder tust du nur so, als hättest du noch nichts gehört?« fragte er mißtrauisch. »Otho ist zum Prokonsul in Lusitanien ernannt und aufgefordert worden, so rasch wie möglich zu reisen. Heute morgen hat Nero seine Ehe aufgelöst, selbstverständlich auf Ansuchen Othos. Alle anderen Angelegenheiten wurden aufgeschoben, weil sich Nero natürlich zuerst einmal der armen, schutzbedürftigen Poppaea annehmen mußte, die ins Palatium übersiedelte.«
Es war wie ein Keulenschlag auf meinen ohnehin schmerzenden Kopf. »Ich kenne Poppaea Sabina!« rief ich. »Sie würde so etwas nie aus freiem Willen getan haben. Nero hat sie mit Gewalt ins Palatium bringen lassen.«
Der Aufseher schüttelte seinen grauen Kopf. »Ich fürchte, wir bekommen eine neue Agrippina an Stelle der alten, die übrigens Antonias Haus verlassen und sich aufs Land zurückziehen muß, nach Antium.«
Ich achtete nicht auf seine gehässigen Andeutungen. Das Einzige, was ich klar erfaßte, war der Name Agrippina. Ich vergaß meine durstigen Tiere und das ausgetrocknete Becken der Flußpferde. Agrippina war, so glaubte ich, die einzige, die Poppaea Sabina vor Neros verruchten Absichten zu retten vermochte. So viel Einfluß mußte eine Mutter auf ihren Sohn haben, daß sie ihn daran hindern konnte, die schönste Frau Roms öffentlich zu schänden. Ich mußte Poppaea beschützen, da sie offenbar nicht mehr imstande war, sich selbst zu schützen.
Vor Erregung ganz von Sinnen, eilte ich zu dem alten Haus der Antonia auf dem Palatin, wo des Umzugs wegen ein großes Durcheinander herrschte, so daß mir niemand den Zutritt verwehrte. Agrippina raste vor Zorn. Octavia war bei ihr, das schweigsame Mädchen, dessen einzige Freude ihre Stellung als Gemahlin des Kaisers war. Auch ihre schöne Halbschwester Antonia, die Tochter des Claudius aus dessen erster Ehe, war anwesend und mit ihr ihr zweiter Gatte, der gleichgültige, schwerfällige Faustus Sulla. Als ich unerwartet unter sie trat, verstummten sie plötzlich. Agrippina begrüßte mich und rief mit schriller Stimme: »Was für eine Freude und Überraschung nach so vielen Jahren! Ich glaubte schon, du habest alles vergessen, was ich für dich getan habe, und seist ebenso undankbar wie mein Sohn. Desto mehr freue ich mich nun darüber, daß du als einziger Ritter in ganz Rom gekommen bist, um von einer armen Verbannten Abschied zu nehmen.«
Ich rief verzweifelt: »Es mag sein, daß ich unsere Freundschaft vergessen habe, aber darüber können wir ein andermal reden. Rette Poppaea Sabina aus Neros lüsternen Händen und stelle sie unter deinen Schutz! Dein Sohn macht nicht nur die unschuldige Poppaea, sondern auch sich selbst in ganz Rom unmöglich.«
Agrippina starrte mich an, schüttelte den Kopf und sagte: »Ich habe getan, was möglich war, ich habe geweint und geflucht, um meinen Sohn aus den Händen dieses liederlichen, niederträchtigen Weibes zu retten. Zur Belohnung bekam ich den Befehl, Rom zu verlassen. Poppaea hat ihren Willen durchgesetzt und beißt sich nun fest wie eine Laus.«
Ich versuchte ihr zu erklären, daß Poppaea lediglich wünsche, in Ruhe gelassen zu werden, aber Agrippina lachte nur höhnisch. Sie konnte von anderen Frauen nur das Schlimmste glauben.
»Dieses Weib hat Nero mit seinen schamlosen Künsten um den Verstand gebracht«, sagte sie. »Nero ist so veranlagt, und ich habe bisher mein Bestes getan, um es zu verbergen. Wer er wirklich ist, das zeigt seine unglückselige Neigung für niedrige, gemeine Vergnügungen. Ich habe begonnen, meine Erinnerungen zu schreiben, und werde sie in Antium beenden, und ich gedenke nichts zu verschweigen. Ich habe alles für meinen Sohn geopfert und sogar ein Verbrechen begangen, das nur er selbst mir vergeben kann. Ja, ich will es nun offen aussprechen, da es doch alle wissen.«
Ihr Blick wurde eigentümlich starr, und sie hob die Hände, wie um Geister abzuwehren. Dann betrachtete sie Octavia, streichelte ihr die Wangen und weissagte: »Ich sehe schon den Todesschatten über deinem Gesicht. Deine Wangen sind kalt. Aber noch kann alles vorübergehen, wenn nur Nero von seinem Wahn geheilt wird. Nicht einmal der Kaiser kann der Meinung des Senats und des Volkes trotzen. Die glatthäutige kleine Hure hat sich verrechnet. Auf Nero kann sich niemand verlassen. Er ist ein gemeiner Heuchler, ein Schauspieler durch und durch.« Als ich die trotz ihrer Blässe schöne Antonia betrachtete, tauchte ein Schatten aus der Vergangenheit in meiner Erinnerung auf. Ich dachte an ihre Halbschwester Claudia, die ihren Spott mit meiner Liebe zu ihr getrieben hatte. Ich muß durch Agrippinas unsinnige Anklagen gegen Poppaea völlig verwirrt gewesen sein, denn plötzlich sagte ich, ohne mich zu bedenken, zu ihr: »Du hast deine Erinnerungen erwähnt. Erinnerst du dich noch an Claudia? Was ist mit ihr? Hat sie sich gebessert?«
Ich glaube, Agrippina wäre stillschweigend über meine Frage hinweggegangen, wenn der Zorn sie nicht völlig um die Beherrschung gebracht hätte. »Frag im Flottenbordell in Misenum nach ihr!« antwortete sie höhnisch. »Ich habe dir ja versprochen, deine Claudia in ein geschlossenes Haus zu schicken, um ihre Erziehung zu vollenden. Ein Bordell ist gerade der richtige Ort für einen Bankert.«
Sie starrte mich an wie die Medusa und fügte hinzu: »Du bist der leichtgläubigste Dummkopf, der mir je begegnet ist. Du hast mich mit offenem Munde angestarrt und alle falschen Beweise für ihre angebliche Hurerei geschluckt. Aber mir genügte es, daß sie es ohne Erlaubnis gewagt hatte, sich mit einem römischen Ritter einzulassen. Hätte ich gewußt, wie undankbar du bist, ich würde mir nicht die Mühe gemacht haben, dich daran zu hindern, in dein eigenes Verderben zu rennen!«
Antonia lachte laut auf und fragte: »Hast du Claudia wirklich in ein Bordell gesteckt, liebe Stiefmutter? Ich habe mich darüber gewundert, daß sie auf einmal verschwunden war und mich nicht mehr damit belästigte, daß ich sie als meine Schwester anerkennen solle.« Antonias Nasenflügel zitterten. Sie fuhr sich mit der Hand über ihren zarten Hals, wie um etwas wegzuwischen. Ihre ganze schlanke Gestalt strahlte in diesen Augenblicken eine eigentümliche Schönheit aus.
Ich war unfähig, ein Wort zu sagen. Erschrocken bis ins Herz hinein, starrte ich diese beiden Ungeheuer an. Und plötzlich sah ich alles wie von einem Blitz erhellt vor mir und glaubte all das Böse, das ich je über Agrippina gehört hatte.
Ja, ich erkannte nun auch, daß Poppaea Sabina meine Freundschaft rücksichtslos ausgenutzt hatte, um ihre eigenen Pläne zu verwirklichen. Es überkam mich in einem Augenblick wie eine Offenbarung, und mir war, als wäre ich plötzlich um Jahre gealtert und hart, sehr hart geworden. Vielleicht war ich dieser Verwandlung unbewußt seit langem entgegengereift. Ein Käfig wurde niedergerissen, und ich stand als freier Mann unter freiem Himmel. So empfand ich es.
Es war die größte Dummheit meines Lebens gewesen, mit Agrippina über Claudia zu sprechen. Nein, es war mehr als eine Dummheit. Es war ein Verbrechen an Claudia, und dieses Verbrechen mußte gesühnt werden. Ich mußte in meine Vergangenheit zurückkehren und mein Leben von dem Tage an neu beginnen, da Agrippina mir das Gift einträufelte und meine Liebe zu Claudia zerstört hatte.
Ich mußte vorsichtig sein und reiste unter dem Vorwand nach Misenum, zu untersuchen, ob es nicht möglich wäre, mit Schiffen der Kriegsflotte Tiere aus Afrika herüberzuholen. Der Befehlshaber der Flotte war Anicetus, ein ehemaliger Barbier und der erste Lehrer Neros. Es ist eine ganz eigene Sache mit der Flotte. Kein römischer Ritter mag auf See dienen. Während ich dies schreibe, hat den Oberbefehl ein Verfasser von Nachschlagewerken inne, ein gewisser Plinius, der die Kriegsschiffe dazu verwendet, seltene Pflanzen und Steine aus fernen Ländern zu holen, was freilich nicht die schlechteste Art ist, die Seeleute zu beschäftigen. Sie kommen in der Welt herum und können Barbarenvölker mit Wolfsblut veredeln.
Der Emporkömmling Anicetus empfing mich achtungsvoll. Ich war von guter Herkunft, Ritter und Sohn eines Senators. Außerdem hatten die Klienten meines Vaters mit den Docks zu tun, und Anicetus erhielt von ihnen ansehnliche Bestechungsgelder. Nachdem er eine Weile mit seiner griechischen Bildung, seinen Gemälden und Kunstgegenständen geprahlt hatte, bekam er einen Rausch und begann unanständige Geschichten zu erzählen, wobei er mir seine eigene Lasterhaftigkeit offen eingestand.
»Jeder Mensch hat ein besonderes Laster«, sagte er. »Das ist natürlich und begreiflich, und es braucht sich dessen niemand zu schämen. Die Tugend ist nur Verstellung. Diese Wahrheit habe ich Nero beizeiten eingetrichtert. Ich hasse niemanden so sehr wie einen Menschen, der den Tugendhaften spielt. Was für eine hättest du denn gern: eine Dicke oder eine Magere, eine Schwarze oder eine Blonde? Oder soll’s ein Knabe sein? Ich kann dir besorgen, was du wünschst, ein junges, aber geschicktes Mädchen oder eine alte Vettel, einen Akrobaten oder eine unberührte Jungfrau. Möchtest du bei einer Geißelung zusehen, oder möchtest du selbst gegeißelt werden? Wenn du willst, lasse ich ein Dionysosmysterium nach allen Regeln feiern. Sag mir ein Wort, gib mir einen Wink, und ich befriedige um der Freundschaft willen deine geheimsten Wünsche. Wir sind hier in Misenum, und hier ist nicht viel los, verstehst du, aber es ist nicht weit nach Baiae, Puteoli und Neapolis, wo du alle Laster Alexandrias finden kannst. Auf Capri lebt in diesen Dingen noch der ganze Einfallsreichtum des Gottes Tiberius fort, und in Pompeji gibt es ein paar prächtige Bordelle. Sollen wir uns hinrudern lassen?«
Ich gab mich ein wenig befangen, sagte dann aber, um mich seines Vertrauens würdig zu erweisen: »Vor Jahren hat es mir das größte Vergnügen gemacht, mich zu verkleiden und mit deinem begabten Schüler Nero des Nachts durch Suburra zu streifen. Ich glaube, ich habe nirgends größere Wollust empfunden als in den elenden Hurenhäusern, die von den Sklaven aufgesucht werden. Du verstehst, was ich meine: man hat bisweilen die Leckereien satt und freut sich an grobem Brot und ranzigem Öl. Als ich dann heiratete, gab ich diese Gewohnheiten auf, aber jetzt hätte ich Lust, das Flottenbordell kennenzulernen, das du, wie man mir sagte, tadellos eingerichtet hast.«
Anicetus grinste liederlich, nickte verständnisvoll und erklärte: »Wir haben drei Häuser, das beste für die Dienstgrade, das zweite für die Mannschaft und das dritte für die Rudersklaven. Ob du mir’s glaubst oder nicht: ich bekomme manchmal Besuch von vornehmen Frauen aus Baiae, denen es anders keinen Spaß mehr macht und die eine Nacht in einem Bordell arbeiten wollen. Die älteren gehen am liebsten zu den Rudersklaven und übertreffen unsere erfahrensten Huren an Bereitwilligkeit. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit habe ich es so eingerichtet, daß die Neuen zuerst einmal die Dienstgrade bedienen, dann die Mannschaft und nach drei Jahren die Rudersklaven. Manche halten diesen anstrengenden Beruf zehn Jahre aus, aber ich möchte behaupten, daß im allgemeinen fünf Jahre reichen. Einige hängen sich natürlich schon vorher auf, ein gewisser Teil wird krank und untauglich, und andere fangen an zu saufen, daß sie zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Wir bekommen aber ständig Nachschub aus Rom und anderen italienischen Städten. Die Flottenbordelle sind nämlich Strafanstalten für solche, die wegen unsittlichen Lebenswandels abgeurteilt werden, das heißt, weil sie einen Kunden bestohlen oder irgendeinem Grobian einen Weinkrug über den Schädel gehauen haben.«
»Was geschieht mit denen, die ihre Dienstzeit überleben?« fragte ich.
»Für die Ruderer ist so ein Weib noch lange gut genug«, antwortete Anicetus. »Sei unbesorgt. Keine verläßt meine Häuser lebend. Zuletzt finden sich immer gewisse Männer, die kein größeres Vergnügen kennen, als auf irgendeine viehische Art ein Weibsbild abzumurksen, und die können sich hier austoben. Meine Häuser haben ja unter anderem den Zweck, die anständigen Frauen und Mädchen der Umgebung vor den Seeleuten zu schützen. Ich habe da zum Beispiel einen Ehrenmann auf meiner Liste, der einmal im Monat Blut aus der Halsschlagader einer Frau saugen muß. Wegen dieser kleinen Schwäche ist er an die Ruderbank gekettet. Das spaßigste ist, daß er es hinterher immer bitter bereut und darum bittet, totgeschlagen zu werden.«
Ich glaubte nicht alles, was mir Anicetus erzählte. Er prahlte und wollte mich mit seiner Lasterhaftigkeit erschrecken, weil er im Innern ein schwacher, unzuverlässiger Mensch war. Außerdem1 hatte er von den Seeleuten das Flunkern gelernt.
Er führte mich zuerst zu einem kleinen runden Venustempel, von dem aus man das glitzernde Meer unter sich liegen sah und der, um alles unnötige Aufsehen zu vermeiden, durch einen unterirdischen Gang mit den Unterkünften der Seeleute verbunden war. Die ersten beiden Häuser, die mit einer Mauer umgeben waren, unterschieden sich in nichts von den sauberen, ordentlichen Lupanaren Roms. Sie hatten sogar fließendes Wasser. Das Haus für die Rudersklaven glich dagegen eher einem Gefängnis. Ich ertrug kaum den Anblick seiner Bewohnerinnen, so verkommen und vertiert waren sie.
So genau ich aber alle Frauen musterte, Claudia befand sich nicht unter ihnen. Ich entdeckte sie erst am folgenden Tag im Quartier der Seewache in Puteoli. Sie war gealtert. Die Haare und die Augenbrauen hatte man ihr des Ungeziefers wegen geschoren. Sie trug einen zerlumpten Sklavinnenmantel, denn sie verrichtete Sklavenarbeit in der Küche.
Nur ihre Augen sagten mir, daß ich Claudia vor mir hatte. Sie selbst erkannte mich auf den ersten Blick wieder, ließ es sich aber nicht anmerken. Es war nicht schwer, sie gegen einen Beutel Silber auszutauschen. Ich hätte sie auch umsonst haben können, um aber die Spuren zu verwischen, hielt ich es für das beste, mir durch das Bestechungsgeld Stillschweigen zu erkaufen.
Als wir uns in der besten Herberge der Stadt allein gegenüberstanden, waren Claudias erste Worte: »Du hast bestimmt sehr eifrig nach mir gesucht, mein lieber Minutus, sonst hättest du mich nicht so schnell gefunden. Seit unserem letzten Zusammensein sind ja erst sieben Jahre vergangen. Was willst du von mir?«
Auf meine inständigen Bitten erklärte sie sich endlich bereit, ordentliche Kleider anzuziehen, eine Perücke aufzusetzen und sich mit Augenschwärze Brauen auf die Stirn zu malen. Sie war, dank der Beschäftigung in der Küche, ziemlich dick geworden und sehr gesund.
Von ihren Erlebnissen in Misenum wollte sie nicht sprechen. Ihre Hände waren hart wie Holz, und sie hatte eine dicke Hornhaut auf den Fußsohlen. Die Sonne hatte sie dunkelbraun gebrannt, und man sah trotz der Kleidung und der Perücke auf den ersten Blick, daß sie eine Sklavin war. Je länger ich sie betrachtete, desto fremder wirkte sie auf mich.
Zuletzt sagte ich verzweifelt: »Agrippina, niemand anders als Agrippina ist an deinem Schicksal schuld. Ich wollte dein Bestes und wandte mich in meiner Dummheit an sie, um ein Wort für dich einzulegen.«
»Habe ich mich beklagt?« fragte Claudia scharf. »Alles, was mir angetan wurde, geschah mit Gottes Willen, um meinen Hochmut zu strafen und mich zu demütigen. Glaubst du, ich wäre noch am Leben, wenn nicht Christus meinem Herzen Kraft gegeben hätte?«
Wenn der Aberglaube der Christen ihr geholfen hatte, die Erniedrigung und den Sklavendienst zu ertragen, wollte ich ihr nicht widersprechen. Ich begann daher vorsichtig von mir selbst zu erzählen, und um ihr Vertrauen wiederzugewinnen, berichtete ich von meiner Begegnung mit Paulus und Kephas in Korinth und von meinem Freigelassenen Hierax Lausius, der Christ geworden war und großen Einfluß unter den anderen Christen hatte. Claudia hörte mir, den Kopf in die Hand gestützt, aufmerksam zu. Ihre dunklen Augen hellten sich auf, und sie sagte lebhaft: »Wir sind hier in Puteoli mehrere Brüder und Schwestern, die Jesus als den Christus anerkennen. Auch unter den Seeleuten gibt es Brüder, die sich bekehrten, als sie hörten, daß Jesus von Nazareth über das Wasser gegangen ist. Ich wäre sonst nicht aus dem geschlossenen Haus in Misenum herausgekommen.«
»Das Leben der Seeleute ist voller Gefahren«, sagte ich. »In Puteoli und Neapolis wird alles abgeladen, was aus dem Osten kommt. Es wundert mich daher nicht, daß die Juden auch den neuen Glauben hierhergebracht haben.«
Claudia sah mich forschend an: »Und du, Minutus?« fragte sie. »Glaubst du an etwas?«
Ich dachte eine Weile nach, schüttelte den Kopf und bekannte: »Nein, Claudia. Ich glaube an nichts mehr. Ich bin verhärtet.«
»Dann muß ich dir den rechten Weg zeigen«, sagte sie entschlossen und preßte ihre harten Handflächen gegeneinander. »Deshalb bist du hierhergeführt worden, deshalb hast du mich nach so vielen Jahren gesucht, um mich von der Sklaverei loszukaufen. Nach Misenum war die Sklaverei gewiß die größte Gnade, die Gott mir zuteil werden ließ.«
»Ich bin von niemandem geführt worden«, wandte ich gereizt ein. »Ich habe aus eigenem freiem Willen nach dir zu suchen begonnen, sobald ich aus Agrippinas Mund hörte, wie grausam sie mich getäuscht hatte.«
Claudia sah mich mitleidig an und sagte: »Minutus, du hast keinen eigenen Willen und hast nie einen gehabt, sonst wäre alles anders gekommen. Ich verlasse die Christen in Puteoli nicht gern, aber ich sehe ein, daß ich mit dir nach Rom gehen und Tag und Nacht auf dich einwirken muß, bis du deinen Hochmut ablegst und Untertan in Christi heimlichem Reiche wirst. Sieh mich nicht so entsetzt an. Bei ihm allein findet man wahren Frieden und wahre Freude in dieser verworrenen Welt, die bald untergehen wird.«
Ich dachte mir, daß Claudia nach all dem Schweren, das sie erlebt hatte, wohl nicht mehr ganz bei Sinnen war, und widersprach ihr deshalb nicht. Wir reisten zusammen auf einem Frachtschiff, das wilde Tiere an Bord hatte, nach Antium und von dort aus nach Ostia. In Rom angekommen, führte ich sie heimlich in mein Haus auf dem Aventin. Ich stellte sie als Dienerin an, und Tante Laelia gewann sie lieb und hielt sie für ihre einstige Amme. Sie war in ihren Gedanken ganz in ihre Kindheit zurückgekehrt und am glücklichsten, wenn sie mit Puppen spielen durfte.
Es verging jedoch kein Tag, an dem Claudia mir nicht mit ihrem Jesus von Nazareth in den Ohren lag. Ich floh in mein Haus im Tiergarten. Dort machte mir wieder Sabina mit ihrer Bosheit das Leben unerträglich. Sie wurde immer hochmütiger, seit einer ihrer Verwandten eine führende Stellung in der Finanzverwaltung erhalten hatte, wodurch sie nicht mehr so sehr auf mein Geld angewiesen war. Sie war in Wirklichkeit die Vorsteherin des Tiergartens, sie bestimmte, was für Tiere gekauft werden mußten, und plante die Vorführungen im Amphitheater. Sie trat sogar selbst öffentlich auf, um zu zeigen, was für eine geschickte Löwenbändigerin sie war.
Ich glaube, Neros Leben war damals ebenso unerträglich wie meines. Als er seine Mutter nach Antium verbannte und Lollia Poppaea als seine Geliebte ins Palatium holte, kam er vom Regen ; in die Traufe. Das Volk nahm ihm die Zurücksetzung Octavias übel, und Poppaea weinte und jammerte und verlangte, er solle sich von Octavia trennen. Sie erschreckte ihn durch die Behauptung, Agrippina zettle eine Verschwörung gegen ihn an, was vielleicht nicht ganz frei erfunden war. Jedenfalls mußte Nero Antonias Gatten Faustus Sulla nach Massilia verbannen. Antonia folgte ihm, und es vergingen fünf Jahre, ehe ich sie wiedersah.
Seneca sprach sich mit Nachdruck gegen eine Scheidung aus, und der alte Burrus sagte öffentlich, wenn Nero sich von Octavia trenne, dann müsse er auch auf die Mitgift verzichten, das heißt ; auf den Rang des Imperators. Und Poppaea hatte kein Verlangen danach, mit Nero nach Rhodos zu gehen und dort ihr Leben als Gattin eines Künstlers zu beschließen.!
Agrippina beschwor vielleicht durch ihre Machtlüsternheit und ; Eifersucht ihr Schicksal selbst herauf. Sie besaß Reichtümer genug, die sie nach ihrem zweiten Gatten und nach Claudius geerbt hatte, und war trotz der Verabschiedung des Pallas noch immer sehr einflußreich. Wirkliche Freunde hatte sie freilich keine mehr, aber mehr als eine politische Verschwörung fürchtete Nero, sie könnte in ihrer Unbesonnenheit tatsächlich ihre Erinnerungen veröffentlichen, die sie in Antium mit eigener Hand niederschrieb, weil sie nicht einmal dem zuverlässigsten Sklaven zu diktieren wagte. Agrippina hatte selbst dafür gesorgt, daß man in Rom von diesen Erinnerungen wußte, und es gab daher so manchen, der ihr den Tod wünschte, weil er auf die eine oder andere Art mit in ihre Machenschaften verwickelt gewesen war.
Ich selbst klagte Agrippina in meinen Gedanken dessen an, daß sie mein Leben zerstört hatte, als ich noch jung war und Claudia liebte. Alles Schlimme, das mir widerfahren war, legte ich ihr zur Last. Einmal besuchte ich die alte Locusta in ihrem kleinen Haus. Sie lächelte mich an, soweit eine Totenmaske zu lächeln vermag, und sagte offenherzig, daß ich nicht der erste sei, der sie in dieser Sache zu sprechen wünsche. Vor mir waren schon andere bei ihr gewesen.
Sie hatte nichts dagegen, auch für Agrippina ein Gift zu mischen, nein, durchaus nicht. Es kam nur darauf an, wieviel man zu zahlen bereit war. Dann aber schüttelte sie den Kopf und behauptete, sie habe bereits alle Mittel versucht. Agrippina sei viel zu vorsichtig. Sie bereite ihre Speisen selbst zu und pflücke nicht einmal Früchte von ihren eigenen Bäumen, da sich diese besonders leicht vergiften ließen. Ich schloß daraus, daß auch Agrippina ihres Lebens nicht froh werden konnte, obwohl die Niederschrift ihrer Erinnerungen gewiß ihre Rachegelüste befriedigte.
Nero konnte erst mit Poppaea Frieden schließen, als er den festen Entschluß gefaßt hatte, seine Mutter zu ermorden. Agrippinas Tod war für ihn aus politischen Gründen ebenso notwendig wie seinerzeit der Tod des Britannicus. Ich hörte jedenfalls nichts davon, daß Seneca sich diesem Mord auch nur mit einem einzigen Wort widersetzt hätte, wenngleich er selbst freilich nichts damit zu tun haben wollte.
Die Frage war nur, wie der Mord so ausgeführt werden konnte, daß man allgemein an einen Unglücksfall glauben mußte. Neros Phantasie begann zu arbeiten. Er verlangte möglichst dramatische Umstände und beriet sich mit seinen vertrautesten Freunden.
Tigellinus, der gewisse persönliche Gründe hatte, Agrippina zu hassen, wollte sie mit einem Viergespann überfahren, sofern es gelang, sie in Antium auf die Straße zu locken. Ich dachte an Raubtiere, aber wie sollten wir diese in Agrippinas sorgfältig bewachten Garten bringen?
Nero glaubte, ich stünde ihm und Poppaea zuliebe auf seiner Seite, und ahnte nicht, daß mich allein meine Rachsucht leitete. Agrippina verdiente tausendfachen Tod für alle ihre Verbrechen, und ich betrachtete es als einen Beweis für die Gerechtigkeit des Schicksals, daß sie ihn durch ihren eigenen Sohn finden sollte. Auch Du, mein Sohn Julius, hast Wolfsblut in Deinen Adern, echteres als ich. Versuche es besser im Zaum zu halten, als es Dein Vater vermochte.
Wir verdankten es eigentlich Sabina, daß wir zuletzt eine brauchbare Lösung fanden. Ein griechischer Techniker hatte ihr den Entwurf zu einem kleinen Schiff gezeigt, das dazu bestimmt war, wilde Tiere aufzunehmen, und dessen Teile so miteinander verbunden waren, daß sie durch den Druck auf einen einzigen Hebel auseinanderfielen.
Sabina wollte diesen Entwurf unbedingt ausführen, um auch in dem neuen Theater, in dem ganze Seeschlachten vorgeführt werden konnten, ein Wort mitzureden. Ich selbst lehnte Meerestiere wegen der hohen Kosten ab, aber zuletzt siegte Sabinas Herrschsucht. Die neue Erfindung erregte schon im voraus so viel Aufsehen, daß Anicetus eigens zur Vorstellung aus Misenum nach Rom gereist kam.
Das Schiff bildete den Höhepunkt der Vorführungen. Es zerfiel wie geplant, die Tiere stürzten ins Wasser, und die Zuschauer sahen Auerochsen und Löwen mit Seeungeheuern kämpfen oder an Land schwimmen, wo sie von mutigen Jägern erlegt wurden. Nero klatschte begeistert Beifall und rief Anicetus zu: »Kannst du mir so ein Schiff bauen, aber größer und so prunkvoll, daß es ‘ der Mutter eines Kaisers würdig ist?«
Ich versprach bereitwillig, Anicetus wenigstens einen Teil der geheimen Zeichnungen des Griechen zu beschaffen, obwohl ich der Meinung war, daß dieser Plan zu viele Mithelfer erforderte, um geheimgehalten werden zu können.
Zum Lohn lud Nero mich zu dem Fest in Baiae ein, wo ich Gelegenheit haben sollte, die besondere Vorstellung mit anzusehen, die er sich ausgedacht hatte. In Gesellschaft und vor dem Senat begann er nun den reumütigen Sohn zu spielen, der sich mit seiner Mutter aussöhnen wollte. Mit ein wenig gutem Willen auf beiden Seiten lassen sich alle Zerwürfnisse beseitigen, erklärte er.
Agrippinas Kundschafter meldeten diese Worte unverzüglich nach Antium, und sie war daher weder sonderlich überrascht noch mißtrauischer als gewöhnlich, als sie von Nero einen in schönen Worten abgefaßten Brief erhielt, in dem sie zum Minervafest nach Baiae eingeladen wurde. Daß Nero das Minervafest für die Begegnung gewählt hatte, war an sich schon eine deutliche Anspielung, denn Minerva ist ja auch die Göttin der Schulknaben, und es erschien ganz natürlich, daß er die Versöhnung fern von Rom und der zänkischen Poppaea feiern wollte.
Am Tag der Minerva darf kein Blut vergossen werden, und es ist verboten, Waffen sichtbar zu tragen. Nero hatte anfangs vorgehabt, Agrippina mit dem neuen Prunkschiff aus Antium holen zu lassen, um mit dieser Ehrung zu bekunden, daß er seiner Mutter ihren früheren Rang zurückzugeben beabsichtigte. Wir errechneten jedoch mit Hilfe einer Wasseruhr, daß das Schiff in diesem Fall am hellichten Tag hätte versenkt werden müssen.
Zudem war Agrippina bekanntermaßen so mißtrauisch, daß sie die Ehrung vielleicht dankend abgelehnt hätte und zu Lande gereist wäre. Sie kam daher auf einer Trireme in Misenum an, die von ihren eigenen treuen Sklaven gerudert wurde. Nero empfing sie mit großem Gefolge, und um den politischen Charakter der Versöhnungshandlungen zu betonen, hatte er sogar Seneca und Burrus an seine Seite gerufen.
Ich mußte seine glänzende schauspielerische Begabung unwillkürlich bewundern. Gebrochen vor Rührung, eilte er seiner Mutter entgegen, umarmte sie und begrüßte sie als die edelste aller Mütter. Auch Agrippina hatte sich Mühe gegeben. Sie war schön gekleidet und hergerichtet, so daß sie wie die schlanke, der dick aufgetragenen Schminke wegen aber recht ausdruckslose Statue einer Göttin wirkte.
Es herrschte allgemein eine freudige Frühlingsstimmung am Tag der Minerva, weshalb das Volk, das von politischen Dingen nicht viel versteht, Agrippina zujubelte, als sie von ihrem Landgut Bauli am Lucrinersee geleitet wurde. An den Landebrücken am Meeresufer lagen mehrere wimpelgeschmückte Kriegsschiffe vertäut. Unter ihnen befand sich das Prunkschiff, das Anicetus auf Neros Geheiß Agrippina zur Verfügung stellte. Sie zog es jedoch am nächsten Morgen vor, sich wieder in der Sänfte nach Baiae tragen zu lassen, denn der Weg ist kurz, und sie wollte die Huldigungen des Volkes genießen.
Bei den Feiern zu Ehren der Minerva in Baiae ließ Nero Agrippina den Vorrang und hielt sich wie ein schüchterner Schuljunge abseits. Durch das Mittagsmahl mit den hohen Beamten der Stadt und die vielen Reden sowie die Ruhe danach zogen sich die Festlichkeiten so in die Länge, daß die Dunkelheit schon eingebrochen war, als Neros abendliches Gelage begann, an dem auch Seneca und Burrus teilnahmen. Agrippina lag auf dem Ehrenplatz. Nero saß zu ihren Füßen und unterhielt sich eifrig mit ihr. Man trank reichlich Wein. Als Agrippina bemerkte, daß es schon spät sei, setzte Nero eine ernste Miene auf und begann, sie mit gesenkter Stimme in verschiedenen Staatsangelegenheiten um Rat zu fragen.
Soweit ich dem Gespräch zu folgen vermochte, ging es darum, welche Stellung Poppaea in Zukunft innehaben solle. Agrippina war unerbittlich. Durch Neros Bescheidenheit ermutigt, erklärte sie, sie verlange nur das eine, daß Nero Poppaea nach Lusitanien, zurück zu Otho, schicke. Danach dürfe er wieder auf ihre Hilfe und Mutterliebe zählen. Sie wolle für ihren Sohn nur das Beste.
Nero preßte ohne große Mühe ein paar Zornestränen hervor, gab dann aber zu verstehen, daß seine Mutter ihm lieber sei als jede andere Frau der Welt. Er sagte sogar einige Verse auf, die er zu Ehren Agrippinas gedichtet hatte.
Agrippina war vom Wein und von ihrem Erfolg berauscht, da der Mensch gern glaubt, was er hofft. Ich bemerkte aber, daß sie sich trotz allem hütete, den Weinbecher anzurühren, bevor nicht Nero daraus getrunken hatte, oder von einer Speise zu kosten, solange nicht Nero oder ihre Freundin Acerronia sich aus derselben Schüssel bedient hatte. Ich glaube jedoch, daß Agrippina in diesen Stunden kein Mißtrauen hegte, sondern nur einer jahrelangen, tief eingewurzelten Gewohnheit gehorchte.
Auch Anicetus erwies sich als ein begabter Schauspieler, als er plötzlich verstört herbeigeeilt kam, um zu melden, daß Agrippinas Trireme von zwei Kriegsschiffen, die an den Festvorführungen teilgenommen hatten, versehentlich gerammt und so übel zugerichtet worden sei, daß sie nicht nach Antium zurückkehren könne, aber zum Glück liege ja das mit tüchtigen Seeleuten bemannte Prunkschiff bereit.
Wir geleiteten Agrippina zum festlich beleuchteten Hafen. Beim Abschied küßte Nero ihre Augen und ihre Brust. Dann führte er die vom Wein Schwankende an Bord und rief mit seiner gut geschulten Stimme: »Möge es dir wohl ergehen, meine Mutter. Aus dir bin ich geboren. Nur durch dich kann ich herrschen!«
Ich muß ehrlich sagen, daß ich diesen Abschiedsgruß übertrieben und eines so guten Schauspielers unwürdig fand. Die Nacht war still und sternklar. Als das Schiff aus dem Lichterkreis des Hafens verschwand, begaben sich Seneca und Burrus in ihre Nachtquartiere. Wir Verschwörer feierten weiter.
Nero war schweigsam. Plötzlich wurde er leichenblaß und ging hinaus, um sich zu erbrechen. Wir glaubten schon, Agrippina sei es gelungen, ihm heimlich Gift in seinen Becher zu tun. Später erst begriffen wir, wie schwer es ihm gefallen war, sich einen ganzen Tag lang zu verstellen, und nun litt er unter der Spannung des Wartens, obgleich Anicetus ihn zu trösten versuchte und immer wieder versicherte, der Plan könne nicht fehlschlagen.
Ich hörte später von dem Seezenturio Obaritus, der das Prunkschiff befehligte, wie alles zugegangen war. Agrippina hatte sich sofort in ihre prachtvoll eingerichtete Kajüte begeben, aber keinen Schlaf gefunden. Ihr Mißtrauen erwachte wieder draußen auf dem dunklen Meer, als ihr bewußt wurde, daß sie als einzige zuverlässige Begleiter Acerronia und ihren Verwalter Crepeius Gallus bei sich hatte und der Willkür fremder Seeleute ausgesetzt war.
Sie schickte Gallus nach achtern. Er sollte verlangen, daß das Schiff Bauli anlaufe. Dort wollte sie die Nacht verbringen, um am Morgen, bei Tageslicht, nach Antium weiterzureisen. Anicetus wußte, daß Agrippina sich während ihrer Verbannung auf der Insel Pandataria durch Schwammtauchen ihren Lebensunterhalt verdient hatte. Das Schiff war daher so gebaut worden, daß es mit zwei Handgriffen zerstört werden konnte.
Durch die Bedienung des ersten Hebels stürzten die mit Blei beschwerten Decksaufbauten zusammen, und durch Druck auf den zweiten Hebel brach der Rumpf selbst auseinander. Aus Sicherheitsgründen hatte man nur einen kleinen Teil der Mannschaft eingeweiht, und die Einrichtung der Kajüte war durch Zufall Leuten anvertraut worden, die von dem Plan nichts wußten und ein Prunkbett mit hohen Giebeln aufstellten. Als das Dach einstürzte, schützten die Giebel Agrippina, und sie wurde nur an der Schulter verwundet. Acerronia, die gerade auf dem Boden kniete und ihr die Füße massierte, geschah nichts, und Gallus war der einzige, der von dem herabfallenden Dach sofort getötet wurde.
Auf dem Schiff herrschte völliges Durcheinander, als plötzlich die Aufbauten einstürzten. Nur Agrippina erfaßte die Lage sofort, denn die See war ruhig, und das Schiff war auf kein Hindernis gestoßen. Sie befahl Acerronia, aufs Deck hinauszukriechen und zu rufen: »Ich bin Agrippina. Rettet die Mutter des Kaisers!«
Der Zenturio befahl den Eingeweihten, sie auf der Stelle mit Rudern zu erschlagen. Dann zog und zerrte er vergeblich an dem zweiten Hebel, der sich verklemmt hatte. Daraufhin versuchte er, das Schiff zum Kentern zu bringen, das durch das herabgestürzte und mit Blei beschwerte Dach schon Schlagseite hatte. Mehrere Männer, die den Plan kannten, rannten auf die tieferliegende Seite, aber andere kletterten gleichzeitig auf die höhere, so daß das Schiff nicht kentern konnte. Währenddessen glitt Agrippina unbemerkt ins Wasser und begann auf das Land zuzuschwimmen. Trotz der Trunkenheit und der Wunde an der Schulter gelang es ihr, weite Strecken zu tauchen, so daß niemand ihren Kopf auf der von den Sternen erhellten Wasserfläche sah.
Als sie das Schiff schon aus den Augen verloren hatte, traf sie auf ein auslaufendes Fischerboot. Die Fischer zogen sie an Bord und brachten sie auf ihren Wunsch nach Bauli. Der Zenturio war ein kaltblütiger Mann. Er wäre sonst nicht von Anicetus für diese Aufgabe auserwählt worden. Als er sah, daß die Erschlagene Acerronia war und daß Agrippina selbst spurlos verschwunden war, ließ er das halb zerbrochene, krängende Schiff nach Baiae zurückrudern, um Anicetus sofort Bericht zu erstatten. In Baiae verbreiteten diejenigen der Mannschaft, die immer noch ahnungslos waren, die Nachricht von einem entsetzlichen Unglück.
Die Bewohner rannten aufgeschreckt zum Strand hinunter und wateten zu ihren Booten, um auszufahren und Agrippina zu retten. Indessen kehrten ihre wirklichen Retter zurück, die reich belohnt worden waren, und berichteten, daß sie nur leichte Verletzungen erlitten hatte und sich in Sicherheit befand. Die Menge beschloß auf der Stelle, nach Bauli zu ziehen, um Agrippina zu huldigen und zu ihrer wunderbaren Errettung zu beglückwünschen.
Nero hatte sich, zwar unruhig, aber nichts Böses ahnend, von uns treuen Freunden umgeben, bald weinend, bald lachend, darauf vorbereitet, den Tod seiner Mutter zu betrauern. Er plante Trauerfeiern im ganzen Imperium und entwarf eine Mitteilung an den Senat und das Volk von Rom.
Da ihm das Gewissen doch keine Ruhe ließ, fragte er uns, ob er wohl den Vorschlag machen dürfe, Agrippina zur Göttin zu erhöhen. Sie war schließlich die Tochter des großen Germanicus, die Schwester des Kaisers Gajus, Witwe nach Claudius und Mutter des Kaisers Nero, mithin eine Frau von noch höheren Verdiensten, als es Livia gewesen war. All dies wirkte auf eine grauenerregende Weise lächerlich, und wir begannen uns gegenseitig zu Mitgliedern des Priesterkollegiums der neuen Göttin zu ernennen.
Während wir so unsern Scherz trieben, kam plötzlich Obaritus hereingestürzt und meldete, daß das Schiff nur zur Hälfte auseinandergefallen war und daß von Agrippina jede Spur fehlte. Die Hoffnung, sie könnte ertrunken sein, erlosch, als kurz darauf an der Spitze eines jubelnden Volkshaufens die Fischer ankamen und von Agrippinas Rettung berichteten. Sie hofften, Nero werde sie belohnen, aber der verlor die Fassung und schickte nach Seneca und Burrus wie ein Schuljunge, den man bei einem Streich ertappt hat und der nun weinend zu seinem Lehrer flüchtet.
Ich behielt so viel Geistesgegenwart, daß ich Anicetus befahl, die Fischer an einem sicheren Ort einzusperren, während sie auf ihre Belohnung warteten, damit sie nicht Gerüchte verbreiteten, die die ohnehin verworrene Lage noch hätten verschlimmern können. Zum Glück für Nero hatte Agrippina den Fischern gegenüber offenbar keinen Verdacht geäußert, denn sonst würden diese nicht so froh und in aller Unschuld von der Rettung gesprochen haben.
Seneca und Burrus erschienen zur gleichen Zeit, Seneca barfuß und im Untergewand. Nero benahm sich wie ein Wahnsinniger und rannte hin und her. Anicetus berichtete kurz, was geschehen war. Von seinem schlechten Gewissen gequält, fürchtete Nero ernstlich für sein eigenes Leben, und er schrie laut hinaus, was seine erregte Phantasie ihm vorgaukelte. Agrippina bewaffnete ihre Sklaven oder wiegelte die Soldaten der Garnison gegen ihn auf, oder sie befand sich bereits auf dem Wege nach Rom, um ihn vor dem Senat des Mordversuchs anzuklagen, ihre Wunden vorzuweisen und von dem grausamen Tod ihrer Diener zu berichten.
Seneca und Burrus waren erfahrene Staatsmänner und brauchten keine langen Erklärungen. Seneca begnügte sich damit, Burrus fragend anzusehen. Burrus zuckte die Schultern und sagte: »Ich werde weder die Prätorianer noch die Germanen der Leibwache ausschicken, um die Tochter des Germanicus zu töten.« Dann wandte er sich mit einer Miene unverhohlenen Abscheus nach Anicetus um und fügte hinzu: »Anicetus soll zu Ende führen, was er begonnen hat. Ich wasche meine Hände.«
Anicetus ließ es sich nicht zweimal sagen. Er fürchtete mit gutem Grund für sein eigenes Leben. Nero hatte ihn bereits in seinem Zorn mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Er versprach eifrig, mit Hilfe der Seeleute seinen Auftrag auszuführen. Nero starrte Seneca und Burrus mit einem irren Blick an und rief vor wurfsvoll: »Erst heute nacht werde ich der Vormundschaft ledig und wirklich zum Herrscher. Aber ich verdanke die Macht einem ehemaligen Barbier, einem freigelassenen Sklaven, nicht dem Staatsmann Seneca und nicht dem Feldherrn Burrus. Geh, Anicetus, beeile dich und nimm alle mit, die willens sind, ihrem Herrscher diesen Dienst zu erweisen.«
Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als er plötzlich erbleichte und einen Schritt zurücktrat, denn man meldete ihm, ein Freigelassener Agrippinas, ein gewisser Agerinus, habe ihm eine Botschaft auszurichten. »Ein Mörder!« rief Nero, ergriff sein Schwert und verbarg es unter seinem Mantel.
Er hatte im Grunde nichts zu befürchten, denn die durch den Blutverlust und von der Anstrengung des Schwimmens erschöpfte Agrippina hatte ihre Möglichkeiten überdacht und eingesehen, daß ihr nichts anderes blieb, als gute Miene zum bösen Spiel zu, machen und so zu tun, als ahnte sie nichts von dem Mordanschlag. Agerinus trat zitternd ein und brachte mit einem leichten Stottern seine Botschaft vor: »Die Götter und der Schutzgeist des Kaisers haben mich vor dem Tode bewahrt. Sosehr es dich erschrecken wird, von der Gefahr zu hören, die deiner Mutter drohte, sollst du mich einstweilen nicht aufsuchen. Ich brauche Ruhe.«
Als Nero erkannte, daß er von Agerinus nichts zu fürchten hatte, gewann er die Fassung zurück, ließ heimlich das Schwert dem Boten vor die Füße fallen, sprang zurück, zeigte anklagend auf die Waffe und rief: »Ich nehme euch alle zu Zeugen dafür, daß meine eigene Mutter ihren Freigelassenen geschickt hat, um mich zu ermorden!«
Wir stürzten vor und ergriffen Agerinus, ohne auf seine verzweifelten Einwände zu achten. Nero befahl, ihn gefangenzusetzen, aber Anicetus, kaum daß er mit ihm den Raum verlassen hatte, hielt es für klüger, ihm das Schwert in den Hals zu stoßen. Ich beschloß, Anicetus zu begleiten, um mich zu vergewissern, daß er seinen Auftrag auch wirklich zu Ende führte. Nero eilte uns nach, glitt im Blut des Agerinus aus und rief erleichtert: »Meine Mutter trachtet mir nach dem Leben. Niemand wird sich darüber wundern, daß sie sich selbst das Leben nahm, als ihr Verbrechen aufgedeckt wurde. Handelt danach!«
Auch Obaritus schloß sich uns an, um seinen Fehler wiedergutzumachen. Anicetus befahl seinem nächsten Untergebenen, Herculeius, in der Kaserne Alarm zu schlagen. Wir holten unsere Pf erde und ritten los. Eine Schar Seesoldaten lief barfuß vor uns her und trieb brüllend und die Schwerter schwingend die Menge auseinander, die nach Bauli unterwegs war, um Agrippina zu huldigen, und uns am Vorwärtskommen hinderte.
Als wir in Bauli ankamen, graute der Morgen. Anicetus befahl seinen Leuten, das Haus zu umzingeln. Wir schlugen die Tür ein und verjagten die Sklaven, die Widerstand zu leisten versuchten. Der Schlafraum war spärlich erhellt. Agrippina lag mit einem warmen Umschlag um die eine Schulter in ihrem Bett. Eine Dienerin, die gerade nach ihr gesehen hatte, floh Hals über Kopf. Agrippina hob die Hand und rief nach ihr: »So verläßt auch du mich!«
Anicetus schloß die Tür hinter uns, damit nicht zu viele Zuschauer nachdrängten. Agrippina grüßte uns mit matter Stimme und sagte: »Wenn ihr gekommen seid, um auch nach meinem Befinden zu erkundigen, so sagt meinem Sohn, daß ich mich schon ein wenig erholt habe.«
Dann erst sah sie unsere Waffen. Ihre Stimme wurde fester, und sie rief drohend: »Wenn ihr aber gekommen seid, um mich zu töten, so glaube ich nicht, daß es auf Befehl meines Sohnes geschieht. Er würde nie einen Muttermord begehen!«
Anicetus, Herculeius und Obaritus traten an ihr Lager, standen täppisch da und wußten nicht, was sie tun sollten, so gebieterisch wirkte Agrippina noch als Kranke. Ich selbst drückte mit dem Rücken die Tür zu. Endlich versetzte Herculeius Agrippina mit seinem kurzen Befehlsstab einen Schlag auf den Kopf, jedoch so ungeschickt, daß sie nicht das Bewußtsein verlor. Er hatte die Absicht gehabt, sie bewußtlos zu schlagen, um ihr dann die Pulsadern aufzuschneiden, so daß die Behauptung, sie habe Selbstmord verübt, wenigstens den Anschein von Wahrscheinlichkeit gehabt hätte.
Agrippina gab nun alle Hoffnung auf. Sie entblößte den Unterleib, spreizte die Beine auseinander und schrie Anicetus zu: »Stoße dein Schwert in den Schoß, der Nero geboren hat!«
Der Zenturio zog sein Schwert und stieß zu. Danach hieben und stachen auch die anderen auf Agrippina ein, so daß sie viele Wunden erhielt, ehe sie röchelnd den letzten Atemzug tat.
Als wir uns vergewissert hatten, daß sie tot war, steckten wir rasch einige kleine Gegenstände, die sich im Raum befanden, als Andenken zu uns. Anicetus befahl den Dienern, die Leiche zu waschen und für den Scheiterhaufen herzurichten. Ich selbst nahm eine kleine goldene Fortunastatue mit, die neben dem Bett stand und von der ich glaubte, sie sei dieselbe, die Kaiser Gajus seinerzeit immer bei sich gehabt hatte. Später erfuhr ich, daß sie es nicht war, und das betrübte mich.
Ein Eilbote ritt zu Nero, um ihm Agrippinas Selbstmord zu melden. Nero, der bereits mit Senecas Hilfe einen Bericht an den Senat über den auf ihn verübten Mordanschlag abgefaßt hatte, eilte sofort nach Bauli, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, daß Agrippina tot war. So wenig traute er Anicetus.
Er traf so früh ein, daß die Diener noch damit beschäftigt waren, den nackten Leichnam zu waschen und zu salben. Nero untersuchte die Wunden mit einem Finger und sagte: »Seht nur, wie schön meine Mutter bis zuletzt noch war.«
Im Garten wurde Holz zu einem Scheiterhaufen geschichtet, und Agrippinas Leichnam wurde ohne Zeremonien auf ein Liegesofa gebettet und hinaufgehoben. Als der Rauch aufzusteigen begann, bemerkte ich plötzlich, was für ein strahlender Morgen über Bauli heraufgezogen war. Das Meer leuchtete tiefblau, die Vögel zwitscherten, und im Garten blühten die Blumen des Frühlings in prächtigen Farben. Auf den Wegen war jedoch niemand zu sehen. Die Leute waren verwirrt und hielten sich in ihren Häusern verborgen, da sie nicht wußten, wie das Geschehen zu deuten sei.
Der Scheiterhaufen brannte noch, als plötzlich ein Trupp Kriegstribunen und Zenturionen in vollem Galopp heranpreschte. Nero sah die Soldaten vor den Pferden zur Seite weichen und blickte sich entsetzt nach einem Fluchtweg um. Die Reiter sprangen jedoch aus den Sätteln, stürzten auf ihn zu, drückten ihm die Hände und dankten den Göttern, daß er dem verbrecherischen Anschlag seiner Mutter entronnen war.
Die Reiter waren vom Präfekten Burrus ausgesandt worden, der dem Volk zeigen wollte, wie man sich zu verhalten habe. Er selbst kam nicht, weil er sich zu sehr schämte. Als die Überreste von Agrippinas Leichnam aus der Asche gesammelt und im Garten vergraben worden waren, ließ Nero die Erde über dem Loch glätten. Er gönnte seiner Mutter keinen Grabhügel, weil er fürchtete, ein solcher könnte zu einer Art Pilgerstätte für politisch Unzufriedene werden.
Wir stiegen zu dem Tempel in Bauli hinauf, um den Göttern ein Dankopfer für Neros wunderbare Rettung darzubringen, aber im Tempel hörte Nero plötzlich Hörner und laute Klagerufe erschallen. Er behauptete sogar, es sei dunkel geworden, obwohl die Sonne hell schien.
Agrippinas Tod war weder für den Senat noch für das Volk eine Überraschung. Man war darauf vorbereitet, daß sich etwas Außergewöhnliches ereignet hatte, denn in Agrippinas Todesnacht war ein Unwetter, wie man es seit Jahren nicht mehr erlebt hatte, über Rom niedergegangen. Der Senat hatte schon im voraus Versöhnungsopfer beschlossen. Als die Todesnachricht eintraf, wurden sie in Dankopfer verwandelt, und so tief war der seit langem gegen Agrippina aufgestaute Haß, daß der Senat beschloß, ihren Geburtstag künftig zu den Unglückstagen zu rechnen.
Nero hatte ohne Grund Unruhen befürchtet. Als er endlich aus Neapolis eintraf, wurde er wie ein Triumphator empfangen. Die Senatoren waren festlich gekleidet. Die Frauen und Kinder der vornehmsten Familien begrüßten ihn mit Lobgesängen und streuten ihm Frühlingsblumen auf den Weg. Zu beiden Seiten des Weges waren in aller Eile Schaugerüste errichtet worden.
Als Nero zum Kapitol hinaufging, um sein eigenes Dankopfer darzubringen, war es, als wäre ganz Rom aus einem Alptraum erwacht, und gern glaubten an diesem strahlenden Tag alle Senecas lügnerischem Bericht über Agrippinas Selbstmord. Den Alten war der bloße Gedanke an einen Muttermord so entsetzlich, daß sie ihn von sich wiesen.
Ich war selbst schon vor Nero nach Rom zurückgekehrt und hatte sofort Claudia rufen lassen. »Ich habe dich gerächt«, sagte ich stolz. »Agrippina ist tot. Ich war selbst mit dabei. Ihr eigener Sohn befahl, sie zu töten. Beim Herkules, ich habe meine Schuld beglichen. Du brauchst dich deiner Erniedrigung nicht mehr zu schämen.«
Zur Bekräftigung meiner Worte reichte ich Claudia die kleine Fortunastatue, die ich von Agrippinas Nachttisch genommen hatte. Claudia starrte mich jedoch an wie ein Ungeheuer, hob abwehrend beide Hände und rief entsetzt: »Ich habe dich nicht geheißen, mich zu rächen. Du hast Blut an deinen Händen, Minutus!«
Ich trug wirklich einen blutigen Verband um die eine Hand und versicherte ihr nun verlegen, daß ich meine Hände nicht mit dem Blut Agrippinas besudelt, sondern mir nur in der Eile mit meinem eigenen Schwert den Daumenballen geritzt hatte. Es half mir jedoch nichts. Claudia beschimpfte mich, drohte mir mit dem Zorn ihres Jesus von Nazareth und benahm sich alles in allem kindisch und dumm. Zuletzt konnte ich nicht mehr an mich halten und fuhr sie an: »Wenn es so ist, wie du sagst, war ich nur ein Werkzeug deines Gottes. Nimm an, Christus selbst habe Agrippina für ihre Verbrechen bestraft. Außerdem sind die Juden das rachsüchtigste Volk der Welt, das habe ich selbst in ihren heiligen Schriften gelesen. Du vergeudest deine Tränen, wenn du um Agrippina weinst.«
»Manche haben Ohren und hören nicht!« rief Claudia zornig. »Hast du wirklich nicht ein Wort von alledem begriffen, was ich dich zu lehren versuchte?«
Ich schrie wütend zurück: »Verfluchte Claudia, du bist die undankbarste Frau der Welt. Ich habe bisher dein Geschwätz über Christus geduldig ertragen, aber jetzt schulde ich dir nichts mehr. Halt deinen Mund und geh aus meinem Haus!«
»Christus, verzeihe mir mein heftiges Gemüt«, murmelte Claudia mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich kann mich nicht mehr beherrschen.«
Sie schlug mich mit ihren harten Händen auf beide Wangen, daß es mir in den Ohren gellte, packte mich im Genick, drückte mich auf die Knie nieder und befahl: »Nun bitte den himmlischen Vater um Vergebung für deine furchtbare Sünde.«
Meine Selbstachtung hinderte mich, mit ihr handgreiflich zu werden. Außerdem waren ihre Arme von der Sklavenarbeit noch sehr kräftig. Ich kroch auf allen vieren aus dem Raum, und Claudia warf mir die Fortunastatue nach. Als ich wieder auf beiden Beinen stand, rief ich zitternd vor Zorn die Diener und befahl ihnen, Claudias Habseligkeiten zusammenzupacken und vor die Tür zu schaffen. Dann hob ich die Fortunastatue auf, deren linker Flügel verbogen war, und ging in den Tiergarten, um wenigstens vor Sabina mit meiner Tat zu prahlen. Zu meiner Verwunderung empfing sie mich freundlich und tätschelte mir sogar die Wangen, die von Claudias Ohrfeigen geschwollen waren. Sie nahm die Fortunastatue dankbar entgegen und hörte sich willig, wenn auch etwas zerstreut, meinen Bericht über die Geschehnisse in Baiae und Bauli an.
»Du bist ein Mann, Minutus, und tapferer, als ich glaubte«, sagte sie zuletzt. »Nur darfst du nicht überall und jedem erzählen, wie alles zuging. Die Hauptsache ist, daß Agrippina tot ist. Niemand trauert ihr nach. Und die Hure Poppaea hat nun auch ausgespielt, denn nach diesem Mord wird es Nero im Leben nicht wagen, sich von Octavia zu trennen. So viel glaube ich von Politik zu verstehen.«
Ich wunderte mich über diese Behauptung, aber ehe ich noch antworten konnte, legte mir Sabina zärtlich die Hand auf meinen Mund und flüsterte: »Es ist Frühling, Minutus. Die Vögel singen, die Blumen blühen, und die Erde erzittert von dem brunftigen Gebrüll der Löwen. Es rieselt mir so heiß durch meine Glieder. Außerdem meine ich, daß wir sowohl um des Geschlechts der Flavier als auch um deiner Familie willen ein Kind haben sollten. Ich glaube nicht, daß ich unfruchtbar bin, wenngleich du mich fortwährend beleidigst, indem du meinem Bett fernbleibst.«
Ihr Vorwurf war ungerecht. Ich dachte mir jedoch, daß sie mich, nach allem, was geschehen war, vielleicht mit anderen Augen ansah oder daß die Schilderung der Bluttat ihre Sinne gekitzelt hatte, denn es gibt ja genug Frauen, die beim Anblick entsetzlicher Dinge wie Feuersbrünste oder Blut, das in den Sand rinnt, in Erregung geraten.
Ich betrachtete meine Gattin und fand an ihr nichts auszusetzen, obgleich ihre Haut nicht so weiß war wie die Poppaeas. Wir lagen ein paar Nächte beisammen, was wir lang nicht mehr getan hatten, aber das Entzücken, das ich zu Beginn unserer Ehe empfunden hatte, kehrte nicht zurück. Auch Sabina war steif und hölzern und gestand mir schließlich, daß sie nur eine Pflicht erfüllte und keine Freude daran hatte, obwohl die Löwen die Nächte hindurch dumpf brüllten.
Acht Monate später wurde unser Sohn geboren. Ich fürchtete, wir würden ihn aussetzen müssen, wie man es mit den zu früh Geborenen zu tun pflegt, aber er war gesund und wohlgestaltet, und nach der glücklichen Entbindung herrschte große Freude im Tiergarten. Ich lud unsere vielen hundert Angestellten zu einem großen Festmahl zu Ehren meines Erstgeborenen ein, und ich hätte nie geglaubt, daß die rohen Tierbändiger zu einem Kind so sanft und zärtlich sein könnten.
Des dunkelhäutigen Epaphroditus konnten wir uns kaum erwehren. Er war ständig bei dem Kind, um es zu streicheln und zu tätscheln, versäumte darüber die Fütterung der Tiere und seine übrigen Pflichten und wollte unbedingt die Kosten für eine Amme übernehmen. Ich ging zuletzt darauf ein, weil ich begriff, daß er mich durch sein Anerbieten ehren wollte.
Claudia ließ jedoch nicht von mir ab. Als ich einige Tage nach unserem Streit nichts Böses ahnend in mein Haus auf dem Aventin zurückkehrte, fand ich dort alle Diener und sogar den alten Barbus im Atrium versammelt. Mitten unter ihnen saß der jüdische Wundertäter Kephas, der einige mir gänzlich unbekannte junge Männer mitgebracht hatte.
Einer von ihnen verdolmetschte die aramäischen Worte des Kephas. Tante Laelia tanzte entzückt umher und klatschte in die Hände. Ich fühlte einen solchen Zorn in mir aufsteigen, daß ich schon daran dachte, die Diener auspeitschen zu lassen, aber Claudia erklärte mir rasch, daß Kephas unter dem Schutz des Senators Pudens Publicola stand und in dessen Haus wohnte, so daß er nicht mit den anderen Juden jenseits des Tibers zusammentraf und neue Unruhen vermieden wurden. Pudens war ein kindischer Greis, aber ein echter Valerius, und deshalb schwieg ich.
Kephas entsann sich unserer Begegnung in Korinth und sprach mich freundlich bei meinem Namen an. Er war nicht gekommen, um mich zu seinem Glauben zu bekehren, sondern wollte, daß ich mich mit Claudia aussöhnte. Ich weiß selbst nicht, wie es zuging, aber zuletzt reichte ich Claudia zu meiner eigenen Verwunderung wirklich die Hand und küßte sie, und dann nahm ich sogar an ihrem gemeinsamen Mahl teil, denn schließlich konnte ich in meinem eigenen Haus tun und lassen, was ich wollte.
Mehr will ich von diesem beschämenden Ereignis nicht berichten. Ich fragte Barbus später, ob er von Mithras abgefallen und Christ geworden sei. Er wollte mir nicht geradeheraus antworten, sondern murmelte nur: »Ich bin alt. In den Nächten plagt mich der Rheumatismus aus meinen Legionsjahren so fürchterlich, daß ich bereit bin, alles zu tun, um nur die Schmerzen loszuwerden, und wenn ich den früheren Fischer Kephas sehe, lassen sie jedesmal nach. Ich brauche nur von seinem Brot zu essen und von seinem Wein zu trinken, um tagelang keine Beschwerden zu haben. Die Priester des Mithras konnten mir nicht helfen, obwohl sie sich sonst besser als alle anderen auf die Krankheiten eines alten Legionärs verstehen.«