ZWEITER TEIL. JULIUS MEIN SOHN


»… Um nun dem Gerede ein Ende zu bereiten, ließ er jene ob ihres Irrwahns verhaßten Menschen, die das Volk Christen nannte, fälschlich anklagen und unter den ausgesuchtesten Martern hinrichten. Christus, von dem sie ihren Namen hatten, war unter der Regierung des Tiberius von dem Prokurator Pontius Pilatus zum Tode verurteilt worden. Dadurch wurde dieser verabscheungswürdige Aberglaube zunächst unterdrückt. Aber er brach sich von neuem Bahn, und zwar nicht nur in Judäa, seiner Wiege, sondern auch in Rom, wo alle nur erdenklichen Schändlichkeiten und Greuel aus aller Welt zusammenkommen und Anhänger finden. Zuerst faßte man jene, die sich als Christen bekannten, dann, auf deren Angabe hin, eine ungeheure Anzahl von Menschen, die zwar nicht der Brandstiftung, wohl aber des allgemeinen Menschenhasses überführt wurden. Noch bei ihrem Tode tat man ihnen Schmach an. Sie wurden in Felle wilder Tiere gesteckt, um von Hunden zerrissen zu werden, oder ans Kreuz geschlagen oder nach Eintritt der Dunkelheit angezündet, um als Fackeln zu dienen.«

Tacitus, Annalen XV, 44



»Lassen wir es genug sein an Beispielen aus der Vergangenheit, und wenden wir uns den Streitern jüngst verflossener Zeiten zu, um aus unserer eigenen Generation edle Vorbilder zu wählen. Um des Neides und der Eifersucht willen litten die Frömmsten Verfolgung und kämpften bis zum Tode. Gedenken wir vor allem unserer eigenen tapferen Apostel: Grundlosen Neides wegen mußte Petrus leiden, nicht nur eine oder zwei, sondern viele Martern, und, nachdem er mit seinem Blute Zeugnis abgelegt, zu der ewigen Herrlichkeit aufbrechen. Des Neides und der Zwietracht wegen gewann auch Paulus die Siegespalme des Dulders. Siebenmal war er gefangen, er mußte fliehen, ward gesteinigt, war Bote in Ost und West und erwarb sich herrlichen Ruhm durch seinen Glauben. Nachdem er alle Welt in der Frömmigkeit unterwiesen, die Grenzen der Länder im Westen erreicht und vor den Mächtigen mit seinem Blute Zeugnis abgelegt als das größte Beispiel wahren Duldermuts, wurde er von der Welt erlöst und ging ein in die Seligkeit. Zu diesen Männern, die zu ihren Lebzeiten ganz Gott ergeben wandelten, gesellte sich eine große Schar Auserwählter, die des Neides und der Zwietracht wegen viele Kränkungen und Leibesqualen erlitten und uns dadurch die herrlichsten Vorbilder wurden. Auch viele Trauen wurden aus eifersüchtigem Haß verfolgt. Sie mußten Danaiden und die Dirke darstellen und die schrecklichste und schändlichste Mißhandlung erdulden, bis auch sie, die Schwachen, das Ziel ihres Kampfes erreichten und die herrliche Siegespalme gewannen.«

Clemens, 1. Korintherbrief 5 – 6

VIII POPPAEA


Die Voraussagen meiner Gattin Sabina bewahrheiteten sich insofern, als es tatsächlich zwei Jahre dauerte, bis Nero ernstlich an eine Scheidung von Octavia zu denken wagte. Nach dem Tod seiner Mutter und seiner Rückkehr nach Rom hatte er Poppaea aus politischen Gründen aus dem Palatium geschickt und seine Nächte heimlich bei ihr zugebracht. Er begnadigte viele Verbannte, setzte verabschiedete Senatoren wieder in ihr Amt ein und teilte das unermeßliche Vermögen, das er nach Agrippina geerbt hatte, so freigiebig aus, daß jeder, der die Stirn hatte, etwas zu verlangen, seinen Anteil bekam. Agrippinas Landgüter, Wertgegenstände und Sklaven erschienen den Vornehmen Roms jedoch nicht begehrenswert, so daß Nero den größten Teil dem Volk schenkte, indem er bei den Vorstellungen im Zirkus aufs Geratewohl Loskugeln unter die Zuschauer werfen ließ.

Um sein Gewissen zu beruhigen und die Gunst des Volkes zu gewinnen, ging er sogar so weit, dem Senat die Abschaffung aller direkten Steuern vorzuschlagen. Er wußte natürlich selbst, daß dieser Vorschlag undurchführbar war, aber er erreichte auf diese Weise, daß der Senat, der ihn aus sachlichen Gründen ablehnen mußte, sich in ein ungünstiges Licht setzte, während er selbst als Wohltäter dastand.

Immerhin wurden im Steuerwesen einige spürbare Verbesserungen und Erleichterungen eingeführt. Gewisse Umsatzsteuern wurden gesenkt, und vor allem hatte in Zukunft jeder ein Recht darauf zu erfahren, warum, wie und in welcher Höhe er besteuert wurde. Die Steuereinnehmer murrten über die Neuregelung, denn es war ihnen nun nicht mehr möglich, willkürlich Zuschläge zur Deckung ihrer eigenen Ausgaben einzutreiben. Die Kaufleute dagegen waren besser gestellt als zuvor, da sie die Preise unverändert beibehalten konnten und dabei weniger Umsatzsteuern zu zahlen brauchten.

Nero beteiligte sich nun öffentlich an Wagenrennen und erklärte zu seiner Rechtfertigung, sie seien vorzeiten ein Zeitvertreib der Götter und Könige gewesen. Um den Vornehmen Roms ein Beispiel zu geben, trat er vor seinen großen Spielen nach griechischem Vorbild als Sänger auf und begleitete sich selbst auf der Zither. Seine Stimme war seit dem Tod seiner Mutter kräftig, weittragend und blank wie Metall geworden. Sicherheitshalber schickte jedoch Burrus jedesmal eine Abteilung Prätorianer ins Theater, die für Ruhe und Ordnung zu sorgen und Nero Beifall zu spenden hatten. Er ging selbst mit gutem Beispiel voran und klatschte laut, obwohl er sich für das Benehmen seines Kaisers schämte. Vielleicht war er aber im stillen der Meinung, daß Nero auf einen noch viel schändlicheren Zeitvertreib als diesen verfallen konnte.

Die Folge von all dem war, daß die griechische Mode endgültig Rom eroberte. Ein großer Teil der Senatoren und der Ritterschaft nahm an Neros Spielen teil. Vornehme junge Mädchen führten griechische Tänze auf, und sogar zu Jahren gekommene Matronen stellten in der Arena die Geschmeidigkeit ihrer Glieder unter Beweis. Ich hatte nichts gegen die Vergnügungen, die das Volk veredeln sollten, da sie mir Mühe und Unkosten ersparten, aber das Volk selbst konnte den Vorführungen mit Ausnahme der Wagenrennen keinen Geschmack abgewinnen.

Es war der Ansicht, daß Berufskünstler – Sänger, Spielleute, Tänzer und Schauspieler – ihre Sache unvergleichlich besser machten als Laien, und es herrschte auch große Enttäuschung darüber, daß nicht einmal in den Pausen wilde Tiere vorgeführt wurden, von den Gladiatoren ganz zu schweigen. Die Älteren unter den Vornehmen waren entsetzt, weil sie meinten, daß gymnastische Übungen, heiße Bäder und weibische Musik die römische Jugend verweichlichten und ihre Kriegstüchtigkeit gerade in einem Augenblick schwächten, da Rom nicht genug hart erzogene und vorzüglich ausgebildete Kriegstribunen haben konnte.

Wie um ihnen recht zu geben, brach der Krieg in Armenien von neuem aus, und in Britannien einte eine Frau namens Boadicea die Stämme zu einer großen Erhebung gegen Rom. Eine ganze Legion wurde aufgerieben, mehrere römische Städte wurden dem Erdboden gleichgemacht, und der Prokurator verlor in dem Maße die Fassung, daß er nach Gallien floh.

Ich für meinen Teil glaube, daß die Königin Boadicea kaum so viele Anhänger in Britannien gewonnen hätte, wenn die Legionen nicht gezwungen gewesen wären, sich aus dem Lande zu ernähren, und wenn die hohen Zinsen und Rückzahlungsraten für die Anleihen, die Seneca den britischen Stammeskönigen bewilligt hatte, nicht fällig gewesen wären. Die Barbaren verstehen nichts von dem heute üblichen Geldwesen.

Die jungen Ritter zeigten keine Lust, freiwillig nach Britannien zu gehen, um sich pfählen und verbrennen zu lassen. Sie blieben lieber in Rom, klimperten auf der Zither, wanderten in der griechischen Tunika umher und ließen sich die Haare lang wachsen. Bevor die Lage noch endgültig geklärt war, gab Nero dem Senat zu bedenken, ob es nicht überhaupt das beste sei, die Legionen aus Britannien zurückzuziehen. Das Land verschlang mehr, als es einbrachte. Durch die Aufgabe Britanniens wurden drei Legionen frei – die vierte war ja vernichtet worden – und konnten im Osten den Parthern entgegengestellt werden.

Während der erregten Debatte, die auf diesen Vorschlag folgte, hielt Seneca, der Fürsprecher des Friedens und der Menschenliebe, eine glänzende Rede, in der er auf die Siege des Gottes Claudius in Britannien hinwies. Nero könne nicht auf die Eroberungen seines Adoptivvaters verzichten, sagte er, ohne seinen Namen und seinen Ruf zu verlieren. In Wirklichkeit ging es Seneca natürlich nur um die ungeheuren Geldsummen, die er in Britannien angelegt hatte.

Einer der Senatoren fragte, ob es unbedingt nötig gewesen sei, daß siebzigtausend römische Bürger und Bundesgenossen ermordet und zwei blühende Städte geplündert und niedergebrannt wurden, nur um Senecas Einkünfte zu schützen. Seneca errötete und versicherte, das Geld, das er den Briten geliehen hatte, sei dazu bestimmt, das Land zu zivilisieren und den Handel zu fördern. Dies könnten andere Senatoren bezeugen, die ihre Mittel für denselben Zweck zur Verfügung gestellt hätten. Wenn einige unzuverlässige Stammeskönige die Anleihen dazu verwendet hatten, in Saus und Braus zu leben und Waffen anzuschaffen, so sei dies nicht seine Schuld. Die Hauptursache des Krieges sei ohne Zweifel das willkürliche, politisch unkluge Verhalten der Legionen. Man müsse ihre Befehlshaber bestrafen und unverzüglich Entsatz nach Britannien schicken.

Der Senat dachte selbstverständlich nicht daran, Britannien aufzugeben, denn noch ist der alte Römerstolz nicht erloschen. Man beschloß zuletzt, neue Truppen zu entsenden. Einige ergrimmte Väter zwangen ihre erwachsenen Söhne sogar, sich das Haar schneiden zu lassen und als Kriegstribunen nach Britannien zu gehen. Sie nahmen ihre Zither mit, warfen sie aber in die Büsche, als sie die verheerten Städte sahen und das gellende Kriegsgeschrei der Briten hörten, und kämpften tapfer.

Ich habe meine besonderen Gründe, so viel über die Ereignisse in Britannien zu berichten, obwohl ich selbst in Rom blieb. Boadicea war die Königin der Icener. Als ihr Gatte starb, legten die römischen Beamten sein Testament dahingehend aus, daß sein Land römisches Erbland wurde. Das Testament war allerdings so abgefaßt, daß sogar wir selbst zu seiner Auslegung gelehrte Juristen benötigten. Als Boadicea gegen den Beschluß Einspruch erhob und geltend machte, daß sie nach altem britischem Recht als Frau erbberechtigt sei, wurde sie von Legionären ausgepeitscht und enteignet, und ihre beiden Töchter wurden geschändet. Die Legionäre verjagten überdies viele vornehme Icener von ihrem Besitz, mordeten und begingen zahllose andere Übeltaten.

Sie hatten das Recht auf ihrer Seite. Der König, der selbst des Lesens unkundig gewesen war, hatte tatsächlich ein Testament aufsetzen lassen, in dem er sein Land dem Kaiser vermachte. Er hatte geglaubt, dadurch die Stellung seiner Witwe und seiner Töchter gegenüber den eifersüchtigen icenischen Edlen zu sichern. Die Icener waren außerdem von Anfang an Bundesgenossen Roms gewesen, obwohl sie uns Römer nicht liebten.

Zur Entscheidungsschlacht kam es nach dem Eintreffen der Entsatztruppen. Die von der rachsüchtigen Königin geführten Briten wurden vernichtend geschlagen. Rom vergalt Gleiches mit Gleichem und rächte die Schandtaten, die die Icener auf Boadiceas Geheiß an römischen Frauen begangen hatten.

In Rom traf ein langer Zug britischer Sklaven ein, allerdings nur Frauen und halbwüchsige Knaben, denn erwachsene Briten taugen nicht zu Sklaven, und Nero hatte zur großen Enttäuschung des Volkes verboten, Kriegsgefangene im Amphitheater kämpfen zu lassen.

Eines Tages suchte mich ein Sklavenhändler auf, der einen etwa zehnjährigen Britenknaben an einem Strick mit sich führte. Er trat sehr geheimnisvoll auf, zwinkerte mir unablässig zu und verlangte, daß ich alle Zeugen fortschickte. Als dies geschehen war, klagte er eine Weile über die schlechten Zeiten, seine großen Ausgaben und den Mangel an willigen Käufern. Der Knabe sah sich unterdessen mit zornigen Blicken um. Endlich erklärte der Sklavenhändler: »Dieser junge Krieger versuchte mit dem Schwert in der Hand seine Mutter zu verteidigen, als unsere ergrimmten Legionäre sie schändeten und erschlugen. Aus Achtung vor seiner Tapferkeit ließen sie ihn am Leben und verkauften ihn mir. Wie du an seinen geradegewachsenen Gliedern, seiner zarten Haut und seinen grünen Augen siehst, ist er von edler icenischer Abstammung. Er kann reiten, schwimmen und mit dem Bogen schießen, und ob du es glaubst oder nicht: er kann sogar ein bißchen lesen und schreiben und ein paar Brocken Latein radebrechen. Man hat mir gesagt, du wirst ihn unbedingt kaufen wollen und mir mehr bieten, als ich auf dem Sklavenmarkt für ihn bekommen kann.«

Ich fragte erstaunt: »Wer konnte dir so etwas sagen? Ich habe schon genug Sklaven. Sie machen mir das Leben unerträglich und nehmen mir meine Freiheit, ganz zu schweigen von dem wahren Reichtum, der die Einsamkeit ist.«

»Ein gewisser Petro, ein icenischer Heilkundiger im römischen Dienst, erkannte den Knaben in Londinium wieder und nannte mir deinen Namen«, antwortete der Sklavenhändler. »Er versicherte mir, du werdest mir den besten Preis für ihn zahlen. Aber wer kann einem Briten trauen. Zeig dein Buch!«

Bei diesen Worten versetzte er dem Knaben einen Schlag auf den Kopf. Der junge Brite griff unter seinen Gürtel und zog ein zerfetztes, schmutziges ägyptisch-chaldäisches Traumbuch hervor. Ich erkannte es sofort wieder, als ich es in die Hand nahm, und begann am ganzen Leibe zu zittern.

»Hieß deine Mutter Lugunda?« fragte ich, obwohl ich es bereits wußte. Allein Petros Name bewies mir, daß ich meinen eigenen Sohn vor mir hatte. Ich wollte ihn in die Arme schließen und als meinen Sohn anerkennen, obgleich keine Zeugen anwesend waren, er aber schlug mit den Fäusten auf mich ein und biß mich in die Wange. Der Sklavenhändler griff nach seiner Peitsche.

»Schlage ihn nicht«, sagte ich rasch. »Ich kaufe ihn. Nenne mir deinen Preis.«

Der Sklavenhändler betrachtete mich abschätzend, redete wieder eine Weile von seinen Auslagen und Verlusten und meinte schließlich: »Um ihn loszuwerden, lasse ich ihn dir für nur hundert Goldstücke. Er ist ja noch ungezähmt.«

Zehntausend Sesterze waren eine wahnwitzige Summe für einen halbwüchsigen Knaben, denn auf dem Markt konnte man sogar eine fürs Bett taugliche junge Frau für wenige Goldstücke bekommen. Dennoch schreckte mich der hohe Preis nicht, und ich hätte nötigenfalls noch mehr bezahlt, aber ich mußte mich zuerst einmal setzen und nachdenken, während ich meinen Sohn betrachtete. Der Sklavenhändler legte mein Schweigen falsch aus. Er begann seine Ware anzupreisen und sagte, es fände sich mehr als ein Reicher in Rom, der die Sitten und Gewohnheiten des Ostens angenommen habe und für dessen Zwecke der Knabe gerade im besten Alter sei. Er ging jedoch mit seinem Preis herunter, zuerst auf neunzig und dann auf achtzig Goldstücke.

Ich dachte währenddessen nur darüber nach, wie ich den Kauf abschließen konnte, ohne daß mein Sohn zum Sklaven wurde. Ein rechtsgültiger Kauf mußte durch einen Gerichtsschreiber beurkundet werden, und ich mußte den Knaben mit meinem Besitzzeichen MM brandmarken, worauf er zwar freigelassen, aber niemals römischer Bürger werden konnte.

Zuletzt sagte ich: »Vielleicht könnte ich ihn zum Wagenlenker ausbilden lassen. Der Petro, den du genannt hast, war wirklich ein Freund von mir, als ich in Britannien als Kriegstribun diente. Ich verlasse mich auf seine Empfehlung. Könntest du mir nicht eine schriftliche Bestätigung geben, daß Petro als Vormund des Knaben dich beauftragt hat, diesen hierherzubringen, damit ich mich seiner annehme?«

Der Sklavenhändler zwinkerte mir listig zu und sagte: »Ich muß die Umsatzsteuer für ihn zahlen, nicht du. Billiger kann ich ihn dir wirklich nicht mehr geben.«

Ich kratzte mir den Kopf. Die Sache war verzwickt und konnte leicht den Anschein erwecken, als versuchten wir nur, die hohen Steuern zu umgehen, mit denen der Sklavenhandel belegt war. Aber als Schwiegersohn des Stadtpräfekten mußte es mir doch möglich sein, einen Ausweg zu finden.

Ich legte meine Toga an, und wir gingen alle drei zum Merkurtempel. Unter den vielen, die dort herumlungerten, entdeckte ich einen Bürger, der seinen Ritterrang verloren hatte und gegen angemessene Entschädigung bereit war, den nötigen zweiten Eideszeugen abzugeben. Wir konnten also eine Urkunde aufsetzen und durch doppelten Eid bekräftigen.

Dieser Urkunde zufolge war der Knabe ein freigeborener Brite, dessen Eltern Ituna und Lugunda wegen ihrer Romfreundlichkeit erschlagen worden waren. Durch die Vermittlung des unbescholtenen Arztes Petro hatten sie ihren Sohn jedoch beizeiten nach Rom geschickt, damit er dort von ihrem einstigen Gastfreund, dem Ritter Minutus Lausus Manilianus, erzogen werde.

In einer Zusatzklausel wurde mir als dem Vormund das Recht vorbehalten, mich um das Erbe des Knaben im Land der Icener zu kümmern, sobald in Britannien der Friede geschlossen war. Das machte meinen Schwindel glaubwürdiger, denn die Merkurpriester nahmen natürlich an, ich wollte bei der Aufteilung der Kriegsbeute meinen besonderen Vorteil herausschlagen.

»Was für einen Namen sollen wir eintragen?« fragte der Schreiber.

»Jucundus«, antwortete ich. Es war der erste Name, der mir einfiel. Alle brachen in ein befreiendes Gelächter aus, denn der finster blickende Bursche war alles andere als angenehm anzusehen. Einer der Priester meinte, ich würde noch viel Arbeit mit ihm haben, bis ein ordentlicher Römer aus ihm geworden sei.

Die Gebühren für die Erstellung und Bestätigung der Urkunde und die übliche Gabe für die Merkurpriester machten bedeutend mehr aus als die Umsatzsteuer für einen gewöhnlichen Verkauf. Der Sklavenhändler begann das Geschäft zu bereuen und hielt mich für gerissener, als ich war. Er hatte zwar schon seinen Eid geleistet, aber ich zahlte ihm zuletzt doch die hundert Goldstücke, die er ursprünglich gefordert hatte, um keinen Streit mit ihm zu bekommen.

Als wir den Merkurtempel endlich wieder verlassen hatten und auf dem Heimweg waren, schob Jucundus plötzlich seine Hand in die meine, so als fürchtete er sich in dem Lärm und Gedränge der Straften. Ein eigentümliches Gefühl ergriff von mir Besitz, als ich seine kleine Hand hielt und ihn durch den Trubel Roms führte. Ich dachte darüber nach, wie ich ihm, wenn er einmal erwachsen war, das römische Bürgerrecht verschaffen konnte und daß ich ihn adoptieren wollte, sofern ich dazu Sabinas Zustimmung erhielt. Doch das waren Sorgen, die noch Zeit hatten.

Mein Sohn Jucundus machte mir mehr Verdruß als Freude. Er sprach anfangs nicht ein Wort, so daß ich schon glaubte, die Greuel des Krieges hätten ihn stumm gemacht. Er zerschlug viele Gegenstände im Haus und wollte die römische Knabenkleidung nicht tragen. Claudia vermochte ihn nicht zu bändigen. Als er zum erstenmal einen etwa gleichaltrigen römischen Knaben vor unserm Haus erblickte, stürzte er auf ihn los und schlug den armen Kerl, bevor Barbus eingreifen konnte, mit einem Stein auf den Kopf. Barbus war dafür, ihm eine Tracht Prügel zu verabreichen, aber ich fand, man müsse es zuerst im Guten versuchen. Daher rief ich ihn zu mir, um ihm unter vier Augen ins Gewissen zu reden.

»Du betrauerst den Tod deiner Mutter«, begann ich. »Du bist mit einem Strick um den Hals hierher geschleppt worden wie ein Hund. Aber du bist kein Hund. Du mußt ein Mann werden. Wir wollen dir nur Gutes. Sag mir, was du am liebsten tun möchtest.«

»Römer erschlagen!« rief Jucundus lebhaft.

Ich seufzte erleichtert auf, da er zumindest sprechen konnte. »Das geht hier in Rom nicht«, erklärte ich ihm. »Du kannst hier aber die römischen Sitten und Gebräuche lernen. Eines Tages werde ich dafür sorgen, daß du Ritter wirst. Wenn du dann deine Pläne noch nicht aufgegeben hast, kannst du nach Britannien zurückkehren und dort Römer auf römische Art erschlagen. Die römische Kriegskunst ist, wie du am eigenen Leibe erfahren hast, der britischen überlegen.«

Jucundus schwieg störrisch, aber ich glaubte zu bemerken, daß meine Worte Eindruck auf ihn gemacht hatten. »Barbus ist ein alter Veteran«, fuhr ich listig fort. »Frag ihn. Er kann dir über Krieg und Kampf mehr erzählen als ich, wenn auch sein Kopf schon zittert.«

Auf diese Weise erhielt Barbus noch einmal Gelegenheit, zu berichten, wie er in voller Rüstung und mit einem verwundeten Zenturio auf dem Rücken im Eisgang über die Donau geschwommen war. Er konnte seine Narben zeigen und erklären, warum unbedingter Gehorsam und ein gestählter Körper die wichtigsten Voraussetzungen des Kriegers sind. Der Wein schmeckte ihm wieder, er ging mit dem Knaben in Rom umher, nahm ihn zum Tiberstrand mit, wo sie badeten, und brachte ihm das saftige Latein des Volkes bei.

Doch auch Barbus erschrak über seine Wildheit. Eines Tages nahm er mich beiseite und sagte: »Jucundus ist ein frecher Bursche, das steht ihm zu in seinem Alter, aber wenn er mir in allen Einzelheiten erzählt, was er einmal mit römischen Männern und Frauen anstellen will, dann kommt selbst mich alten Mann, der manches gesehen und erlebt hat, das Gruseln an. Ich fürchte, er hat entsetzliche Dinge mit ansehen müssen, als der Aufstand der Briten niedergeworfen wurde. Das schlimmste ist, daß er immerzu auf die Hügel hinaufgehen will, um Rom in seiner Barbarensprache zu verfluchen. Er verehrt heimlich unterirdische Götter und opfert ihnen Mäuse. Er ist von bösen Mächten besessen, und man kann ihn nicht erziehen, solange er nicht von seinen Dämonen befreit wird.«

»Wie sollte das zugehen?« fragte ich mißtrauisch.

»Der Kephas der Christen versteht es, Dämonen auszutreiben«, antwortete Barbus und wich meinem Blick aus. »Ich habe selbst gesehen, wie ein Tobsüchtiger auf seinen Befehl lammfromm wurde.«

Barbus fürchtete, ich könnte zornig werden, aber ich war weit davon entfernt und fragte mich vielmehr, warum ich nicht auch einmal Nutzen davon haben sollte, daß ich den Christen erlaubte, sich in meinem Haus zu versammeln, und meine Sklaven glauben ließ, was sie wollten. Als Barbus merkte, daß ich seinen Vorschlag günstig aufnahm, erzählte er mir voll Eifer, daß Kephas mit Hilfe seiner des Lateinischen kundigen Jünger die Kinder Demut und Gehorsam gegenüber den Eltern lehrte. Viele Bürger, die wegen der Zuchtlosigkeit der Jugend in großer Sorge waren, schickten ihre Kinder in eine Feiertagsschule, wo man obendrein nicht einmal etwas zu bezahlen brauchte.

Einige Wochen später kam Jucundus eines Tages ganz von selbst zu mir, ergriff mich an der Hand und zog mich in mein Zimmer hinein. »Ist es wahr, daß es ein unsichtbares Reich gibt und daß die Römer den König ans Kreuz geschlagen haben?« fragte er mich erregt. »Und stimmt es, daß er bald zurückkommen wird, um die Römer allesamt ins Feuer zu werfen?«

Ich fand es sehr vernünftig, daß er nicht einfach alles glaubte, was man ihm erzählte, sondern von mir eine Bestätigung verlangte. In diesen Dingen war ich allerdings ein schlechter Ratgeber, aber ich antwortete vorsichtig: »Es stimmt, daß die Römer ihn kreuzigten. Auf einem Schild auf dem Kreuz stand, daß er der König der Juden war. Mein Vater war damals dabei und sah alles mit eigenen Augen. Er behauptet noch heute, der Himmel habe sich verdunkelt und die Felsen seien eingestürzt, als der König starb. Die Christen glauben, er werde bald wiederkehren, und es ist nun schon hoch an der Zeit, denn seit seinem Tode sind mehr als dreißig Jahre vergangen.«

Jucundus sagte nachdenklich: »Der Lehrer Kephas ist ein Hirtendruide und mächtiger als die Druiden Britanniens, obwohl er Jude ist. Er verlangt dies und jenes von einem, ganz wie die Druiden. Man soll sich waschen und saubere Kleider tragen, man soll beten, Beschimpfungen erdulden, dem, der einen geschlagen hat, auch die andere Wange hinhalten. Das sind Selbstbeherrschungsproben, wie sie auch Petro gefordert hat. Wir haben auch geheime Zeichen, an denen die Eingeweihten einander erkennen.«

Ich sagte darauf: »Ich bin sicher, daß Kephas dich nichts Böses lehrt. Die Übungen, die er vorschreibt, erfordern große Willenskraft. Doch du weißt gewiß selbst, daß dies Geheimnisse sind, über die man nicht mit dem nächsten besten sprechen darf.«

Dann tat ich sehr geheimnisvoll, holte den Holzbecher meiner Mutter aus der Truhe, zeigte ihn Jucundus und sagte: »Dies ist ein Zauberbecher. Der König der Juden hat selbst einmal daraus getrunken. Nun wollen wir beide zusammen daraus trinken, aber du darfst zu keinem Menschen davon sprechen, nicht einmal zu Kephas.«

Ich goß Wein und Wasser in den Becher, und wir tranken, mein Sohn und ich. In dem dämmerigen Raum schien es mir, als würde der Becher nicht leerer, aber das war gewiß nur eine Sinnestäuschung, die von der schlechten Beleuchtung herrührte. Dennoch fühlte ich plötzlich große Zärtlichkeit, und ich erkannte wie durch Offenbarung, daß ich mit meinem Vater über Jucundus sprechen mußte.

Wir machten uns unverzüglich auf den Weg zu Tullias prachtvollem Haus auf dem Virinal. Jucundus benahm sich wirklich fromm wie ein Lamm und sah sich mit großen Augen um, denn solchen Prunk hatte er noch in keinem Haus gesehen. Der Senator Pudens, der Kephas aufgenommen hatte, wohnte eher ärmlich und altmodisch, und ich selbst hatte in meinem Haus auf dem Aventin, obwohl es schon viel zu eng geworden war, keine Änderungen vornehmen lassen, weil Tante Laelia den Lärm der Bauarbeiten nicht ertragen hätte.

Ich ließ Jucundus bei Tullia, schloß mich mit meinem Vater ein und erzählte ihm offen alles über meinen Sohn. Ich hatte meinen Vater schon lange nicht mehr aufgesucht. Tiefes Mitleid ergriff mich, als ich sah, wie kahl er geworden war. Er war nun schon über sechzig. Er hörte mich an, ohne ein Wort zu sagen und ohne mir auch nur ein einziges Mal in die Augen zu sehen.

Zuletzt sagte er: »Wie doch das Schicksal der Väter sich an den Söhnen wiederholt! Deine eigene Mutter war eine Griechin von den Inseln, die Mutter deines Sohnes eine Britin vom Stamm der Icener. Als ich jung war, wurde mein Name im Zusammenhang mit einem Giftmord und einer Testamentsfälschung genannt. Über dich habe ich so furchtbare Dinge gehört, daß ich sie nicht ganz glauben kann. Deine Ehe mit Sabina hat mir nie gefallen, mag ihr Vater auch Stadtpräfekt sein, und ich habe aus Gründen, die ich dir wohl nicht zu erklären brauche, kein Verlangen danach, mir den Sohn anzusehen, den sie dir geboren hat. Mit deinem britischen Sohn aber verhält es sich anders. Wie bist du nur auf den klugen Einfall gekommen, ihn von Kephas erziehen zu lassen? Ich kenne Kephas aus meinen Jahren in Galiläa. Er ist heute nicht mehr der Eiferer, der er damals war. Wie denkst du dir die Zukunft deines Sohnes?«

»Am liebsten möchte ich ihn in der Schule des Palatiums erziehen lassen, wo vorzügliche Rhetoren und Schüler Senecas die Söhne der Könige und Vornehmen unserer Bundesgenossen unterrichten«, erwiderte ich. »Dort würde sein schlechtes Latein nicht weiter auffallen, und er könnte nützliche Freundschaften mit Gleichaltrigen schließen, sobald Kephas ihn ein wenig gezähmt hat. Wenn Britannien einmal eine neue Verwaltung bekommt, wird man eine vom römischen Geist durchdrungene Führungsschicht brauchen, und Jucundus ist mütterlicherseits aus vornehmem icenischem Geschlecht. Aus gewissen Gründen darf ich aber Nero zur Zeit nicht unter die Augen treten, obwohl wir einmal Freunde waren.«

Mein Vater sagte nach langem Nachdenken: »Ich bin Senator und habe mir von Nero noch nie eine Gunst erbeten. Ich habe sogar bei den Senatssitzungen den Mund zu halten gelernt, was allerdings eher Tullias Verdienst ist als mein eigenes, denn in all den Jahren unseres Zusammenlebens habe ich ihr immer das letzte Wort gelassen. In Britannien herrscht zur Zeit ein vollkommenes Durcheinander, und die Archive sind zum größten Teil zerstört. Ein geschickter Jurist wird daher leicht Unterlagen herbeischaffen können, die beweisen, daß Jucundus’ Eltern auf Grund ihrer Verdienste römische Bürger waren. Das kommt der Wahrheit sogar recht nahe, da du mit seiner Mutter nach britischer Sitte die Ehe geschlossen hast. Deiner eigenen Mutter hat man ja sogar in der Stadt Myrina eine Statue errichtet, und sobald Comulodunum wiederaufgebaut ist, kannst du im Claudiustempel eine Statue deiner Lugunda aufstellen lassen. Das bist du der Mutter deines Sohnes schuldig.« Das Unglaublichste war, daß sich Tullia während unseres langen Gesprächs in Jucundus vergafft hatte und sich vor Zärtlichkeit und Entzücken nicht zu fassen wußte. Ihre üppige Schönheit begann zu verwelken, und aus ihrem rundlichen Doppelkinn war ein runzliger Beutel geworden. Als sie von dem traurigen Schicksal seiner Eltern erfuhr, brach sie in Tränen aus, schloß Jucundus in die Arme und rief: »An seinem Mund, seiner Nase, seinen Brauen, ja sogar an seinen Ohren sehe ich, daß er aus edlem Geschlecht stammt. Seine Eltern müssen alle Tugenden besessen haben, nur am Verstand hat es ihnen offenbar gefehlt, sonst hätten sie nicht einen Mann wie Minutus zu seinem Vormund gemacht. Glaubt mir. Ich kann auf den ersten Blick Gold von Messing unterscheiden.«

Jucundus ertrug ihre Küsse und Liebkosungen geduldig wie ein Opferlamm. Die Erziehung durch Kephas begann schon Früchte zu tragen. Tullia fuhr wehmütig fort: »Die Götter haben mir nie ein eigenes Kind gegönnt. In meiner Jugend, während meiner ersten beiden Ehen, hatte ich nichts als Fehlgeburten. Mein dritter Mann, Valerius, war seines hohen Alters wegen unfruchtbar, wenn sonst auch reich, und Marcus vergeudete seinen Samen in den Schoß eines griechischen Freudenmädchens. Doch genug davon, ich will deine Mutter nicht beleidigen, lieber Minutus. Aber daß dieser kleine Brite in unser Haus gekommen ist, darin sehe ich ein Zeichen. Marcus, rette den schönen Jucundus aus den Händen deines Sohnes. Sabina ist imstande und macht noch einen Tierbändiger aus ihm. Könnten wir ihn nicht adoptieren und wie unser eigenes Kind aufziehen?«

Ich war vor Verwunderung wie gelähmt, und mein Vater wußte zuerst nicht, was er sagen sollte. Wenn ich heute über dieses Geschehnis nachdenke, weiß ich mir keine andere Erklärung als die, daß dem Holzbecher meiner Mutter irgendeine übernatürliche Kraft innewohnte.

Wie dem auch war, ich wurde auf diese Weise von einer drückenden Pflicht befreit, denn ich taugte damals kaum dazu, jemanden zu erziehen. Ich tauge auch heute noch nicht dazu. Diese bittere Erkenntnis verdanke ich Dir, Julius. Ich hatte aus mancherlei Gründen einen schlechten Ruf, während man meinen Vater allgemein für einen gutmütigen Dummkopf ansah. Er hatte keinen Ehrgeiz, und niemand vermochte sich vorzustellen, daß er sich mit Absicht und Bedacht in politische Intrigen einmischen könnte.

Als Sachverständiger für orientalische Angelegenheiten hatte er der Form halber zwei Monate lang eine Prätur innegehabt, und einmal war er aus reinem Wohlwollen sogar zum Konsul vorgeschlagen worden. Als sein Adoptivsohn hatte Jucundus unvergleichlich bessere Zukunftsaussichten, und als Sohn eines Senators konnte er sich gleich unter den ersten Namen in die Ritterrolle einschreiben lassen, sobald er die Toga anlegte.


Kurz nachdem ich diese Sorge losgeworden war, erfuhr ich, daß der Prätorianerpräfekt Burrus mit einem Halsgeschwür auf den Tod darniederlag. Nero schickte ihm seinen eigenen Leibarzt. Als Burrus dies erfuhr, schrieb er sein Testament und sandte es zur Verwahrung in den Vestatempel.

Erst dann erlaubte er dem Arzt, ihm mit einer Feder, die in eine unfehlbare Arznei getaucht worden war, den Hals zu pinseln. Schon in der nächsten Nacht war er endgültig tot. Er wäre wahrscheinlich auf jeden Fall gestorben, denn die Blutvergiftung hatte sich schon ausgebreitet, und er hatte bereits im Fieber irrezureden begonnen.

Man begrub Burrus unter großen Ehrenbezeigungen. Bevor der Scheiterhaufen auf dem Marsfeld angezündet wurde, ernannte Nero Tigellinus zum Präfekten der Prätorianer. Dieser ehemalige Pferdehändler brauchte keine juristischen Erfahrungen. Mit der Behandlung von Streitsachen zwischen römischen Bürgern und Ausländern wurde ein gewisser Fenius Rufus betraut, ein Mann jüdischer Abstammung, der ehedem in seiner Eigenschaft als staatlicher Aufseher über den Getreidehandel weit gereist war.

Ich ging auf der Suche nach einem Geschenk, das ich für wertvoll genug halten durfte, durch die ganze Straße der Goldschmiede und entschied mich zuletzt für eine mehrfach geschlungene Halskette aus erlesenen Perlen. Diese sandte ich mit folgendem Brief an Poppaea:


»Minutus Lausus Manilianus grüßt Poppaea Sabina.

Venus wurde aus dem Schaum des Meeres geboren. Perlen sind eine würdige Gabe für Venus, wenngleich der Glanz der allerreinsten dieser bescheidenen parthischen Perlen nicht mit dem Schimmer Deiner Haut verglichen werden darf, den ich nicht vergessen kann. Ich hoffe, diese Perlen werden Dich an unsere Freundschaft erinnern. Gewisse Zeichen sagen mir, daß die Weissagung, von der Du mir einst sprachst, bald in Erfüllung gehen wird.«


Ich war offenbar der erste, der die Vorzeichen richtig zu deuten verstand, denn Poppaea ließ mich sogleich zu sich rufen, dankte mir für das schöne Geschenk und versuchte mich auszuhorchen, woher ich gewußt hätte, daß sie schwanger war, denn sie hatte selbst erst vor wenigen Tagen Gewißheit erhalten. Ich konnte mich nur auf mein etruskisches Erbe ausreden, dem ich bisweilen seltsame Träume verdankte. Zuletzt sagte Poppaea: »Nach dem traurigen Tod seiner Mutter war Nero eine Zeitlang nicht Herr seiner selbst und wollte sich von mir lossagen. Aber nun ist alles wieder gut. Er braucht wirkliche Freunde, die ihm zur Seite stehen und seine politischen Pläne unterstützen.«

Die brauchte Nero in der Tat, denn seit er Octavia vor dem Senat der Unfruchtbarkeit angeklagt und seine Absicht angedeutet hatte, sich von ihr scheiden zu lassen, herrschten in der Stadt gefährliche Unruhen. Er hatte versuchsweise eine Statue Poppaeas auf dem Forum, nahe dem Brunnen der Vestalinnen, aufstellen lassen. Ein Volkshaufe warf sie um, bekränzte die Standbilder Octavias und zog johlend den Palatin hinauf, so daß die Prätorianer zu den Waffen greifen mußten, um ihn auseinanderzujagen.

Ich vermutete, daß Seneca seine geschickten Finger mit im Spiel hatte, denn diese Kundgebungen schienen nach einem bestimmten Plan zu verlaufen. Nero bekam es jedoch mit der Angst zu tun und ließ Octavia zurückrufen, die auf seinen Befehl schon nach Kampanien unterwegs war. Eine jubelnde Menge folgte ihrer Sänfte, und in den Tempeln auf dem Kapitolinischen Hügel wurden Dankopfer dargebracht, als sie ins Palatium zurückgekehrt war.

Tags darauf schickte Nero nach zwei Jahren zum erstenmal wieder nach mir. Eine der Dienerinnen hatte Octavia des Ehebruchs mit einem alexandrinischen Flötenbläser namens Eucerus bezichtigt, und Tigellinus hatte sofort eine geheime Verhandlung angesetzt, bei der Octavia selbst nicht zugegen war.

Ich wurde als Zeuge vernommen, da ich Eucerus kannte, und ich konnte nichts anderes sagen, als daß der Klang der Flöte allein schon dazu angetan sei, dem Menschen leichtfertige Gedanken einzuflößen. Ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Octavia Eucerus wehmütig seufzend betrachtete, als er einmal bei Tisch spielte. Aber, fügte ich um der Gerechtigkeit willen hinzu, Octavia seufzte auch bei anderen Anlässen und war überhaupt, wie jedermann wußte, meist traurig gestimmt.

Octavias Sklavinnen wurden einer peinlichen Befragung unterzogen. Mir wurde unbehaglich zumute, als ich zusah. Einige waren bereit zu gestehen, vermochten aber nicht anzugeben, wann, wo und unter welchen Umständen der Ehebruch stattgefunden habe. Tigellinus griff in das Verhör ein, das nicht nach seinem Wunsch ging, und fragte ein sehr reizvolles Mädchen ungeduldig: »Sprach denn nicht die ganze Dienerschaft über diesen Ehebruch?«

Das Mädchen erwiderte spöttisch: »Wenn man alles glauben will, was geredet wird, dann ist Octavias Scham unvergleichlich keuscher als dein Mund, Tigellinus.«

Diese Worte lösten ein solches Gelächter aus, daß das Verhör abgebrochen werden mußte. Das Laster des Tigellinus war allgemein bekannt, und nun hatte er auch noch seine Unkenntnis in juristischen Dingen unter Beweis gestellt, indem er der Sklavin durch seine plumpe Frage eine Antwort förmlich in den Mund legte, die offenkundig nicht der Wahrheit entsprach. Das Mitgefühl der Richter galt den Sklavinnen, und sie ließen nicht zu, daß Tigellinus die peinliche Befragung gegen die Gesetzesvorschriften so weit trieb, daß die armen Frauen bleibenden Schaden hätten nehmen können.

Die Verhandlung wurde auf den nächsten Tag aufgeschoben, an dem als einziger Zeuge mein alter Freund Anicetus auftrat. Mit gespielter Verlegenheit berichtete er, indem er Ort und Zeit genau angab, daß Octavia bei einem Badeaufenthalt in Baiae ein überraschendes Interesse für die Flotte gezeigt und den Wunsch geäußert hatte, die Kapitäne und Zenturionen kennenzulernen.

Anicetus hatte ihre Absicht mißverstanden und eine Annäherung gewagt, die jedoch von Octavia mit Bestimmtheit abgewiesen worden war. Da hatte er sie, von verbrecherischer Lust verblendet, mit einem Betäubungstrank eingeschläfert und mißbraucht, gleich darauf aber seine Untat bitter bereut. Das Gewissen, behauptete er, zwinge ihn nun, sein Verbrechen zu gestehen, und er könne nur noch die Barmherzigkeit des Kaisers erflehen. Daß Anicetus ein Gewissen besaß, das hatte bis zu jenem Tage wohl nicht einmal er selbst geahnt, aber die Richter sprachen die Scheidung aus. Octavia wurde auf die Insel Pandataria verbannt, Anicetus nach Sardinien versetzt. Nero verfaßte, diesmal ohne Senecas Hilfe, eine wortreiche Mitteilung über das Geschehene an den Senat und das Volk von Rom. Er deutete darin an, Octavia habe im Vertrauen auf Burrus gehofft, die Prätorianer auf ihre Seite zu bekommen. Um sich auch der Unterstützung durch die Flotte zu versichern, habe sie deren Befehlshaber Anicetus verführt und als sie schwanger geworden war, ihre Leibesfrucht auf verbrecherische Weise abgetrieben.

Diese Mitteilung machte einen glaubwürdigen Eindruck auf alle, die Octavia nicht persönlich kannten. Ich selbst las sie mit einiger Verwunderung, denn ich war bei der geheimen Verhandlung zugegen gewesen, aber ich sagte mir, daß eine gewisse Übertreibung aus politischen Gründen nötig sein mochte, nämlich wegen der Gunst, die Octavia beim Volk genoß.

Um Kundgebungen zu vermeiden, ließ Nero unverzüglich die Standbilder Octavias in der ganzen Stadt zerstören, aber die Leute zogen sich in ihre Häuser zurück wie in Zeiten allgemeiner Trauer, und der Senat war nicht einmal beschlußfähig, so viele waren der Sitzung ferngeblieben. Im übrigen gab es über Neros Mitteilung, die ein bloßer Bericht, nicht ein Vorschlag war, keinen Beschluß zu fassen.

Zwölf Tage später vermählte sich Nero mit Poppaea Sabina, aber es wurde kein sehr frohes Fest, obwohl die Hochzeitsgeschenke einen ganzen Saal im Palatium füllten.

Nero ließ wie üblich ein genaues Verzeichnis der Geschenke anlegen und für jedes einen Dankbrief schreiben. Einem Gerücht zufolge wurden außerdem auf einer eigenen Liste alle Senatoren und Ritter vermerkt, die nichts geschickt hatten oder unter dem Vorwand, krank zu sein, der Hochzeit ferngeblieben waren. Daher trafen zugleich mit den Geschenken aus den Provinzen zahllose verspätete Hochzeitsgaben aus Rom mit vielen Erklärungen und Entschuldigungen ein. Der Rat der Juden in Rom sandte Poppaea einige mit Tauben verzierte Goldbecher im Gesamtwert von einer halben Million Sesterzen.

An Stelle der Standbilder Octavias wurden in ganz Rom Statuen Poppaeas aufgestellt. Tigellinus ließ sie Tag und Nacht durch seine Prätorianer bewachen, und mancher, der sie in aller Unschuld bekränzen wollte, erhielt zum Dank einen Stoß mit dem Schild oder einen Hieb mit der flachen Klinge.

Eines Nachts stülpte jemand der Riesenstatue Neros auf dem Kapitolinischen Hügel einen Sack über den Kopf. Am Morgen sprach ganz Rom davon, und jeder wußte, was dieser Streich zu bedeuten hatte. Nach dem Gesetz unserer Väter muß ein Vater oder Muttermörder zusammen mit einer Schlange, einer Katze und einem Hahn in einem Sack ertränkt werden. Soviel ich weiß, war dies das erstemal, daß jemand öffentlich andeutete, Nero habe seine Mutter ermordet.

Mein Schwiegervater Flavius Sabinus war wegen der gedrückten Stimmung, die in Rom herrschte, in großer Sorge. Als er erfuhr, daß man auf einem der Marmorböden im Palatium eine lebende Kreuzotter gefunden hatte, befahl er, alle verdächtig erscheinenden Personen anzuhalten. So kam es, daß man zum Beispiel die Gattin eines wohlhabenden Ritters festnahm, die auf einem Abendspaziergang ihre Katze auf dem Arm trug und daß ein Sklave, der mit einem Hahn, den er für die Gesundheit seines Hausvaters opfern wollte, zum Aeskulaptempel unterwegs war, die Rute zu schmecken bekam. Solche Vorfälle erweckten allgemeine Heiterkeit, obwohl mein Schwiegervater gewiß in gutem Glauben handelte und nichts Böses beabsichtigte. Nero nahm ihm jedoch diese Albernheiten so übel, daß er ihn für eine Weile seines Amtes enthob.

Für uns alle, die vernünftig zu denken vermochten, gab es keinen Zweifel daran, daß die Verstoßung Octavias nur den billigen Vorwand dafür lieferte, Nero in jeder Hinsicht anzuschwärzen. Poppaea Sabina war eine schönere und klügere Frau als die verschlossene, überempfindliche Octavia, aber die Partei der Alten tat, was in ihrer Macht stand, um das Volk aufzuwiegeln.

Ich griff mir in jenen Tagen manchmal an den Hals und fragte mich, was für ein Gefühl es wohl sein mochte, wenn einem der Kopf abgeschlagen wurde. Ein Militäraufstand war täglich zu erwarten. Die Prätorianer haßten Tigellinus, der von niedriger Geburt war – ein ehemaliger Pferdehändler – und mit schonungsloser Härte auf Zucht und Ordnung sah. Er hatte sich von allem Anfang an mit seinem Amtsbruder Fenius Rufus zerstritten, so daß sie nicht mehr in demselben Raum zusammentreffen konnten, ohne daß der eine, gewöhnlich Rufus, sogleich wieder seines Weges ging. Wir, die Freunde Neros, die aufrichtig sein Bestes wünschten, versammelten uns eines Tages zu einer ernsten Beratung im Palatium. Tigellinus war der älteste und willensstärkste unter uns, und wir verließen uns ganz auf ihn, sowenig wir ihn auch mochten. Er übernahm das Wort und redete eindringlich auf Nero ein: »Hier in der Stadt kann ich die Gewähr für Ruhe und Ordnung und deine eigene Sicherheit übernehmen. Aber in Massilia lebt der verbannte Sulla, der von Antonia gestützt wird. Er ist arm und durch die Erniedrigung vor der Zeit grau geworden. Ich habe erfahren, daß er Verbindungen mit vornehmen Kreisen in Gallien angeknüpft hat, die Antonia um ihres eigenen berühmten Namens willen und weil sie die Tochter des Claudius ist, hoch schätzen. Auch die Legionen in Germanien sind so nahe, daß Sullas bloße Anwesenheit in Massilia eine Gefahr für den Staat und das Gemeinwohl bildet.«

Nero gab dies zu und sagte verzweifelt: »Ich kann nicht begreifen, warum niemand Poppaea so liebt wie ich. Sie befindet sich zur Zeit in einem äußerst reizbaren Zustand, und alles, was sie erregen könnte, muß ihr ferngehalten werden.«

Tigellinus fuhr fort: »Noch gefährlicher für dich ist Plautus. Es war ein großer Fehler, ihn nach Asia zu verbannen, wo immer noch Unruhen herrschen. Der Vater seiner Mutter war ein Drusus. Und wer kann die Hand dafür ins Feuer legen, daß Corbulo und seine Legionen dir treu bleiben? Ich weiß aus sicherer Quelle, daß sein Schwiegervater, der Senator Lucius Antistius, einen seiner Freigelassenen zu Plautus geschickt hat, um ihn aufzuhetzen, die Gelegenheit zu nutzen. Er ist außerdem sehr reich, und das ist bei einem ehrgeizigen Manne ebenso gefährlich, wie wenn er arm wäre.«

Ich fiel ihm ins Wort: »Über die Vorgänge in Asia bin ich gut unterrichtet. Ich habe gehört, daß Plautus nur mit Philosophen verkehrt. Der Etrusker Musonius, ein guter Freund des weltberühmten Apollonius von Tyana, folgte ihm freiwillig in die Verbannung.«

Tigellinus schlug triumphierend die Hände zusammen und rief: »Da siehst du es! Die Philosophen sind die allergefährlichsten Ratgeber, wenn sie jungen Männern ihre unverschämten Ansichten über Freiheit und Tyrannei ins Ohr flüstern.«

»Wer könnte behaupten, ich sei ein Tyrann!« sagte Nero tief gekränkt. »Ich habe dem Volk mehr Freiheit gegeben als je ein Herrscher vor mir, und ich unterbreite alle meine Vorschläge demütig und bescheiden dem Senat.«

Wir beeilten uns, zu versichern, daß er der mildeste, edelmütigste Herrscher sei, aber nun, so sagten wir, gehe es um das Wohl des Staates, und es gebe nichts Furchtbareres als einen Bürgerkrieg.

In diesem Augenblick kam Poppaea hereingestürzt, spärlich bekleidet, mit offenem Haar und tränenüberströmtem Gesicht. Sie fiel vor Nero nieder, drückte ihre Brüste gegen seine Knie und rief: »Mir liegt nichts an mir selbst oder an meiner Stellung, und ich denke nicht einmal an unser ungeborenes Kind. Aber es geht um dein Leben, Nero. Höre auf Tigellinus! Er weiß, was er sagt.«

Ihr Arzt war ihr aufgeregt gefolgt. »Poppaea wird ihr Kind verlieren, wenn sie sich nicht beruhigt«, versicherte er und versuchte, sie mit sanfter Gewalt aufzuheben.

»Wie soll ich Ruhe finden, solange dieses entsetzliche Weib auf Pandataria seine Ränke schmiedet!« klagte Poppaea. »Sie hat dein Bett entehrt, sie hat Zauberei getrieben und mich zu vergiften versucht. Ich habe mich heute vor Angst schon einige Male erbrechen müssen.«

Tigellinus sagte mit Nachdruck: »Wer einmal seinen Weg gewählt hat, darf nicht mehr zurückblicken. Wenn dir an deinem eigenen Leben nichts liegt, Nero, so denke an uns. Durch deine Unentschlossenheit bringst du uns alle in Gefahr. Wen werden die Aufrührer als erste aus dem Weg räumen? Uns, deine Freunde, die dein Bestes wollen und nicht, wie Seneca, nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Vor dem Unvermeidlichen müssen sich selbst die Götter beugen.«

Nun wurden auch Neros Augen feucht, und er bat uns: »Seid ihr alle meine Zeugen, daß dies die schwerste Stunde meines Lebens ist. Ich gebiete meinen eigenen Gefühlen zu schweigen und unterwerfe mich der politischen Notwendigkeit.«

Tigellinus’ harte Züge erhellten sich, und er hob den Arm zum Gruß. »Nun bist du ein wahrer Herrscher, Nero. Zuverlässige Prätorianer sind bereits auf dem Wege nach Massilia. Nach Asia habe ich, da wir mit bewaffnetem Widerstand rechnen müssen, eine ganze Manipel geschickt. Der Gedanke war mir unerträglich, daß deine Neider die Gelegenheit nützen könnten, dich zu stürzen und dem Vaterland zu schaden.«

Anstatt sich über diese Eigenmächtigkeit zu erzürnen, seufzte Nero erleichtert auf und lobte Tigellinus als wahren Freund. Dann fragte er zerstreut, wie lange ein Eilbote nach Pandataria brauche.

Nur wenige Tage danach fragte mich Poppaea Sabina mit geheimnisvoller Miene: »Willst du das schönste Hochzeitsgeschenk sehen, das ich von Nero bekommen habe?«

Sie führte mich in eines ihrer Gemächer, zog ein rotbraun geflecktes Tuch von einem Weidenkorb und zeigte mir Octavias blutleeren Kopf. Sie rümpfte ihre hübsche Nase und sagte: »Pfui, er fängt schon an zu stinken und die Fliegen anzuziehen. Mein Arzt hat mir befohlen, ihn wegzuwerfen, aber wenn ich ab und zu dieses Hochzeitsgeschenk betrachte, dann weiß ich, daß ich wirklich die Gemahlin des Kaisers bin. Denk dir, als die Prätorianer sie in ein heißes Bad hoben, um ihr auf schmerzlose Art die Pulsadern zu öffnen, schrie sie wie ein Mädchen, das seine Puppe zerbrochen hat: ›Ich habe nichts getan!‹ Dabei war sie immerhin schon zwanzig Jahre alt, aber ich glaube, sie war ein wenig zurückgeblieben. Wer weiß, von wem Messalina sie hatte. Vielleicht sogar von dem verrückten Kaiser Gajus.«

Nero forderte den Senat auf, ein Dankopfer im Kapitol für die glücklich abgewendete Gefahr, die dem Staat gedroht hatte, zu beschließen. Zwölf Tage später traf aus Massilia der vorzeitig ergraute Kopf des Faustus Sulla ein, und der Senat beschloß von sich aus, mit den Dankopfern fortzufahren.

In der Stadt verbreitete sich das hartnäckige Gerücht, Plautus habe in Asia einen regelrechten Aufstand angestiftet. Man sprach von einem möglichen Bürgerkrieg und dem Verlust der ganzen Provinz. Die Folge davon war, daß Gold und Silber im Preis stiegen und viele es für angebracht hielten, Grundstücke und Ländereien zu verkaufen. Ich nutzte die Gelegenheit und schloß einige sehr günstige Geschäfte ab.

Als Plautus’ Kopf endlich, mit einer gewissen Verzögerung wegen des stürmischen Wetters, aus Asia eintraf, war die allgemeine Erleichterung so groß, daß nicht nur der Senat, sondern auch einfache Bürger Dankopfer darbrachten. Nero machte sich diese Stimmung zunutze, um Rufus wieder in sein früheres Amt als Aufseher über den Getreidehandel einzusetzen und ihn zugleich zum Verwalter der staatlichen Getreidevorräte zu befördern. Tigellinus führte unter seinen Prätorianern eine Säuberung durch und schickte eine ganze Anzahl verdienter Männer vorzeitig in die Veteranenkolonie in Puteoli. Ich selbst war nach all diesen Ereignissen um, vorsichtig geschätzt, fünf Millionen Sesterze reicher.

Seneca nahm an den festlichen Umzügen und den Dankopfern teil, aber viele bemerkten, daß sein Schritt wankte und seine Hände zitterten. Er war nun schon fünfundsechzig Jahre alt und dick geworden. Sein Gesicht war aufgedunsen, und über den Backenknochen traten die Adern blau hervor. Nero wich ihm nach Möglichkeit aus und vermied es, mit ihm unter vier Augen zusammenzutreffen, weil er seine Vorwürfe fürchtete.

Eines Tages bat Seneca jedoch um eine offizielle Audienz. Nero versammelte vorsichtshalber seine Freunde um sich und hoffte, Seneca werde es nicht wagen, ihn im Beisein anderer zu tadeln. Dies war auch nicht seine Absicht gewesen. Er hielt vielmehr eine schöne Rede und pries Nero für seinen Weitblick und die Entschlossenheit, mit der er das Vaterland aus Gefahren errettet hatte, die seine, Senecas, eigenen, alt gewordenen Augen nicht mehr zu erkennen vermochten. Danach war Seneca für niemanden mehr zu sprechen. Er verabschiedete seine Ehrenwache und zog aufs Land, auf sein schönes Landgut an der Straße nach Praeneste. Als Grund gab er an, daß er leidend sei und sich im übrigen mit einem philosophischen Werk über die Freuden der Entsagung beschäftigen wolle. Er hielt angeblich strenge Diät und wich den Menschen aus, so daß er seine Reichtümer nicht zu genießen vermochte.

Mir wurde die unerwartete Ehre zuteil, mitten in einer Amtsperiode zum außerordentlichen Prätor ernannt zu werden. Das verdankte ich wahrscheinlich der Freundschaft Poppaeas, andrerseits aber auch der Tatsache, daß Tigellinus mich für willensschwach genug hielt. Nero, der unter der Stimmung litt, die durch die politischen Morde entstanden war, und sich zudem wegen Poppaeas Schwangerschaft beunruhigte, fühlte das Bedürfnis, sich als guter, tüchtiger Herrscher zu erweisen, und drang darauf, daß die vielen Prozesse, deren Akten sich im Prätorium türmten, endlich zu Ende gebracht wurden.

Sein Selbstvertrauen wurde übrigens bald durch ein seltsames Vorzeichen gestärkt. Während eines plötzlich losbrechenden Gewitters schlug ihm der Blitz einen goldenen Becher aus der Hand. Ich glaube allerdings nicht, daß der Blitz den Becher selbst getroffen, sondern eher, daß er so nahe bei Nero eingeschlagen hatte, daß diesem der Becher aus der Hand gefallen war. Man versuchte das Geschehnis geheimzuhalten, aber es wurde bald in der ganzen Stadt bekannt und selbstverständlich als böses Vorzeichen gedeutet.

Nach der uralten Blitzkunde der Etrusker ist jedoch ein Mensch, der vom Blitz getroffen wird, ohne getötet zu werden, heilig und den Göttern geweiht. Nero, der gern an Vorzeichen glaubte, betrachtete sich von dieser Stunde an als einen Heiligen und versuchte eine Zeitlang sogar dementsprechend aufzutreten, solange nämlich die aus politischen Gründen nötigen Morde sein überempfindliches Gewissen noch belasteten.

Als ich mein Amt antrat, stellte mir Tigellinus einen Raum zur Verfügung, der mit staubbedeckten Akten vollgestopft war. Sie betrafen allesamt Streitsachen, in denen sich im Ausland ansässige römische Bürger an den Kaiser gewandt hatten. Tigellinus legte einige davon zur Seite und sagte: »Ich habe ansehnliche Geschenke entgegennehmen müssen, um diese hier rascher zu erledigen. Bearbeite sie zuerst. Ich habe dich zu meinem Mitarbeiter erwählt, weil du eine gewisse Geschmeidigkeit in schwierigen Angelegenheiten bewiesen hast und weil du selbst so reich bist, daß deine Rechtschaffenheit nicht angezweifelt zu werden braucht. Die Ansichten, die bei deiner Ernennung im Senat geäußert wurden, waren übrigens nicht sehr schmeichelhaft. Sei also darauf bedacht, daß sich der Ruf unserer Rechtschaffenheit in allen Provinzen verbreitet. Wenn man dir Geschenke anbietet, so weigere dich, sie entgegenzunehmen. Du darfst aber durchblicken lassen, daß ich als Präfekt die Möglichkeit habe, eine Sache zu beschleunigen. Bedenke dabei jedoch, daß das endgültige Urteil in keinem Fall erkauft werden kann, denn es wird auf Grund unserer Vorträge von Nero selbst gefällt.«

Er wandte sich schon zum Gehen, als er noch hinzufügte: »Wir halten seit einigen Jahren einen jüdischen Zauberer gefangen. Er ist von der Schreibwut besessen und hat sogar Seneca mit seinen Briefen belästigt. Wir müssen ihn freilassen. Poppaea Sabina darf während ihrer Schwangerschaft nicht der Gefahr irgendeiner Zauberei ausgesetzt werden. Sie begünstigt diese Juden übrigens mehr als gut wäre. Unser Jude hat mehrere meiner Prätorianer Schon so verhext, daß sie nicht mehr zum Wachdienst zu gebrauchen sind.«

Meine Aufgabe war nicht so schwierig, wie ich zuerst geglaubt hatte. Die meisten Prozesse stammten noch aus Burrus’ Zeiten und waren von einem kundigeren Juristen, als ich es bin, mit Anmerkungen versehen worden. Nach Agrippinas Tod war Nero Burrus aus dem Wege gegangen und hatte die Prozesse aufgeschoben, um eine allgemeine Unzufriedenheit wegen der Saumseligkeit des Gerichts und damit eine feindselige Stimmung gegen Burrus zu erzeugen.

Aus Neugier nahm ich mir zuerst die Akten vor, die den jüdischen Zauberer betrafen, und stellte zu meiner Verwunderung fest, daß es sich um meinen alten Bekannten Saulus aus Tarsos handelte. Er war angeklagt, den Tempel zu Jerusalem geschändet zu haben. Nach den Unterlagen war er festgenommen worden, als Felix noch Prokurator war.

Bei der Neubesetzung der Beamtenstellen nach Agrippinas Tod war Felix seines Amtes enthoben worden, weil er ein Bruder des Pallas war. Der neue Statthalter, Festus, hatte Paulus gebunden nach Rom bringen lassen, und ich sah nun, daß er tatsächlich seit ganzen zwei Jahren gefangensaß.

Er durfte jedoch in der Stadt wohnen, da er seine Bewachung selbst bezahlte. Unter den Dokumenten fand ich ein Gutachten Senecas, das seine Freilassung befürwortete. Ich hatte nicht gewußt, daß Saulus, oder vielmehr Paulus, die Mittel besaß, sich sogar an den Kaiser selbst zu wenden.

Binnen weniger Tage hatte ich einige Prozesse ausgesondert, die Nero Gelegenheit gaben, seine Milde und seinen Edelmut zu beweisen. Mit Paulus wollte ich zunächst selbst sprechen, denn ich kannte seinen Eifer und fürchtete, er könnte vor dem kaiserlichen Gericht den Fehler begehen, Neros Zeit mit unnötigem Gerede zu verschwenden. Seine Freilassung war ja ohnehin beschlossene Sache.

Paulus wohnte recht bequem in einigen Räumen, die er im Hause eines jüdischen Händlers gemietet hatte. Er war in den letzten Jahren merklich gealtert. Sein Gesicht war tief gefurcht, sein Scheitel noch kahler als zuvor. Er trug zwar die vorgeschriebenen Ketten, aber seine Prätorianerdoppelwache erlaubte ihm, Gäste zu empfangen und Briefe zu schreiben, wohin er wollte.

Bei ihm wohnten einige seiner Anhänger. Er hatte sogar einen eigenen Arzt, einen Juden aus Alexandria, der Lucas hieß. Paulus mußte recht wohlhabend sein, daß er sich seine Gefangenschaft so angenehm einrichten konnte und nicht in eine der stinkenden Gemeinschaftszellen des allgemeinen Gefängnisses gesteckt worden war. Das schlimmste aller Gefängnisse, die Mamertinischen Kerker, kam für ihn nicht in Frage, weil er kein Staatsverbrecher war.

In den Akten wurde er selbstverständlich als Saulus geführt, denn dies war vor dem Gesetz sein Name. Um ihn aber freundlich zu stimmen, nannte ich ihn Paulus. Er erkannte mich sofort wieder und erwiderte meinen Gruß so vertraulich, daß ich es für angebracht hielt, den Schreiber und die beiden Liktoren hinauszuschicken, denn ich wollte später bei der Verhandlung nicht der Befangenheit bezichtigt werden. »Deine Sache steht gut«, sagte ich zu ihm. »Sie wird in den nächsten Tagen verhandelt. Der Kaiser ist jetzt, vor der Geburt seines Erben, sehr milde gestimmt. Du solltest deine Zunge im Zaum halten, wenn du vor ihm stehst.«

Paulus lächelte mit der schmerzlichen Miene eines Mannes, der viel erduldet hat, und antwortete ergeben: »Ich habe den Auftrag, die gute Botschaft zu verkünden, ob nun die Stunde günstig ist oder nicht.«

Aus Neugier fragte ich ihn, warum die Prätorianer ihn als Zauberer betrachteten. Er erzählte eine lange Geschichte von einem Schiffbruch, den er und seine Reisebegleiter auf der Fahrt nach Rom erlitten hatten. Wenn er müde wurde, übernahm der Arzt Lucas das Wort. Paulus versicherte mir, die Anklage wegen Tempelschändung sei falsch oder unbegründet oder beruhe zumindest auf einem Mißverständnis. Der Prokurator Felix würde ihn ohne Zögern freigelassen haben, wenn er, Paulus, bereit gewesen wäre, genug zu zahlen.

Von den Römern wußte er nur Gutes zu sagen, denn dadurch, daß sie ihn gebunden von Jerusalem nach Caesarea führten, retteten sie ihm das Leben. Vierzig glaubenseifrige Juden hatten nämlich geschworen, weder zu essen noch zu trinken, ehe sie ihn nicht getötet hätten. Sie dürften jedoch kaum wirklich verhungert sein, meinte Paulus lächelnd und ohne Groll. Er war außerdem seinen Bewachern dankbar, denn er fürchtete, die rechtgläubigen Juden Roms würden ihn sonst ermorden.

Ich versicherte ihm, daß seine Furcht grundlos war. Unter Claudius waren die Juden streng genug verwarnt worden, und sie enthielten sich deshalb innerhalb der Mauern aller Gewalttaten gegen Christen. Auch hatte Kephas einen beruhigenden Einfluß ausgeübt und bewirkt, daß die Christen sich den Juden fernhielten. Meiner Ansicht nach war dies um so leichter gegangen, als die Anhänger des Jesus von Nazareth, deren Zahl sich dank Kephas beträchtlich vermehrt hatte, nunmehr nur noch in den seltensten Fällen beschnittene Juden waren.

Sowohl der Arzt Lucas als auch Paulus machte eine saure Miene, als ich den Namen Kephas erwähnte. Kephas hatte dem Gefangenen große Freundlichkeit erwiesen und ihm seinen besten Jünger, den griechischen Dolmetsch Marcus, zur Verfügung gestellt. Paulus aber hatte dieses Vertrauen offenkundig mißbraucht und Marcus in seinen eigenen Angelegenheiten auf lange Reisen geschickt, mit Briefen an die Gemeinden, die er gegründet hatte und für sich behalten wollte wie ein Löwe seine Beute. Deshalb wohl sah es Kephas nicht mehr gerne, wenn Christen aus seiner eigenen Herde zu Paulus gingen und dessen dunklen Reden lauschten.

Der Arzt Lucas erzählte mir, daß er zwei Jahre lang in Galiläa und Judäa umhergereist war, um aus dem Munde von Menschen, die ihn selbst gesehen und gehört hatten, alles über das Leben, die Wundertaten und die Lehre jenes Jesus von Nazareth zu erfahren. Er hatte alles genau in aramäischer Sprache aufgezeichnet und dachte nun ernstlich daran, einen eigenen Bericht in griechischer Sprache zu schreiben, um zu beweisen, daß Paulus alles ebensogut wußte wie Kephas. Ein vermögender Grieche namens Theophilus, der von Paulus bekehrt worden war, hatte schon versprochen, das Buch zu verlegen.

Ich vermutete, daß sie reiche Gaben von den Christengemeinden in Korinth und Asia erhielten, über denen Paulus eifersüchtig wachte, damit sie weder mit den rechtgläubigen Juden noch mit den anderen Parteien unter den Christen in Berührung kamen. Er verbrachte die meiste Zeit damit, ihnen Ermahnungen zu schreiben, denn in Rom hatte er nicht viele Anhänger.

Meine Ahnungen sagten mir, daß er nach seiner Freilassung am liebsten in Rom geblieben wäre. Aber ich wußte, daß es überall, wo er erschien. Streit gab. Wenn ich ihn freibekam, was zu erwarten war, zog ich selbst mir den Zorn der Juden zu, und wenn er wirklich in der Stadt blieb, kriegten sich über kurz oder lang die Christen wieder in die Haare. Deshalb sagte ich nun vorsichtig: »Für zwei Hähne ist nicht Platz auf demselben Misthaufen. Um deines eigenen Friedens und des meinen willen würdest du gut daran tun, Rom sofort nach deinem Freispruch zu verlassen.«

Paulus blickte finster vor sich hin, meinte dann aber, Christus habe ihn zu einem ewigen Wanderer gemacht, der an keinem Ort lange verweilen dürfe. Daher sei für ihn die Gefangenschaft eine harte Prüfung gewesen. Er habe den Auftrag erhalten, alle Menschen zu Anhängern Christi zu bekehren, und wolle demnächst in die Provinz Baetica in Iberien reisen. Dort gebe es mehrere Hafenstädte, die von Griechen gegründet worden seien und in denen noch hauptsächlich Griechisch gesprochen werde. Ich legte ihm aus ganzer Überzeugung nahe, womöglich bis nach Britannien zu reisen.

Trotz meiner Ermahnungen und wohlgemeinten Ratschlägen konnte Paulus natürlich nicht den Mund halten, als er im Prätorium vor Nero geführt wurde. Nero war bei guter Laune und rief, sobald er ihn sah: »Der Gefangene ist Jude! Da muß ich ihn freilassen, sonst ist Poppaea mir böse, Sie ist nun im letzten Monat, und sie achtet den Gott der Juden höher als je zuvor.«

Er ließ die Wasseruhr einstellen, um die Länge der Verteidigungsrede zu messen, und vertiefte sich in die Akten der folgenden Prozesse. Paulus pries sich glücklich, Gelegenheit zu erhalten, sich von allen Beschuldigungen reinzuwaschen, und bat Nero, ihn geduldig anzuhören, da ihm die Sitten und die Glaubenslehre der Juden vielleicht doch nicht gut genug bekannt seien. Er begann mit Moses, erzählte sein eigenes Leben und berichtete, wie Jesus von Nazareth sich ihm geoffenbart habe.

Ich schob Nero ein persönliches Gutachten zu, das der Prokurator Festus den Akten beigelegt hatte und in dem er erklärte, er selbst betrachte Paulus als einen harmlosen Toren, dem allzuviel Gelehrsamkeit den Verstand verwirrt hatte. Auch König Herodes Agrippa, der sich in den Glaubensfragen der Juden am besten auskannte, hatte, nachdem er ihn ins Verhör genommen, vorgeschlagen, man solle Paulus auf freien Fuß setzen. Nero nickte und tat, als hörte er aufmerksam zu, obwohl er, wie ich glaube, nicht ein einziges Wort verstand. Paulus konnte gerade noch sagen: »Darum mußte ich den himmlischen Gesichten gehorchen. Ach, daß auch dir die Augen geöffnet würden und du dich von der Finsternis zum Licht wendetest und von der Gewalt Satans zu Gott! Wenn du an Jesus von Nazareth glaubtest, würdest du Vergebung deiner Sünden und ein Erbteil unter den Heiligen erhalten.«

Dann aber klirrte die Wasseruhr, und Paulus mußte schweigen. Nero sagte mit Nachdruck: »Ich verlange nicht von dir, daß du meiner in deinem Testament gedenkst. Ich bin nicht auf das Erbe anderer aus. Das ist nichts als üble Verleumdung, und das kannst du den anderen Juden sagen. Du erweist mir aber einen großen Dienst, wenn du für meine Gemahlin Poppaea Sabina zu deinem Gott betest. Die arme Frau scheint sehr fromm auf den Gott zu vertrauen, von dem du mir gerade sehr überzeugend berichtet hast.«

Er befahl, Paulus von seinen Ketten zu befreien und diese zum Zeichen seines Wohlwollens gegenüber dem Glauben der Juden als Weihgabe dem Tempel zu Jerusalem zu schicken. Ich nehme an, die Juden hatten keine große Freude daran. Die Kosten des Prozesses mußte Paulus selbst bezahlen, da er ja die Berufungsklage eingebracht hatte.

Wir erledigten in wenigen Tagen eine große Anzahl von Prozessen. Die meisten Urteile waren Freisprüche, und es wurden nur solche Prozesse aufgeschoben, bei denen es Tigellinus aus wirtschaftlichen Gründen vorteilhaft erschien, zu warten, bis die Beklagten an Altersschwäche starben, ehe sein Urteil gefällt wurde. Zwei Monate später war ich meines Amtes wieder ledig, mein Fleiß und meine Unbestechlichkeit wurden öffentlich gelobt, und man verleumdete mich nicht mehr so viel wie vorher.

Der Prozeß des Paulus war eine ganz und gar belanglose Angelegenheit. Geschichtlich bedeutsam war dagegen die Verhandlung, die auf die Ermordung des Pedanus Secundus folgte. Wie ich schon berichtete, setzte Nero in seinem Zorn meinen Schwiegervater ab und ernannte an seiner Stelle Pedanus zum Stadtpräfekten. Nur wenige Monate später wurde dieser von einem seiner eigenen Sklaven im Bett erstochen. Der wahre Grund für diesen Mord wurde nie erforscht, aber ich kann aufrichtig versichern, daß zumindest meiner Meinung nach mein Schwiegervater nichts mit dieser Sache zu tun hatte.

Unser altes Gesetz schreibt vor, daß, wenn ein Sklave seinen Herrn ermordet, alle Sklaven unter demselben Dach das Leben verlieren müssen. Es ist ein notwendiges Gesetz, das sich auf lange Erfahrung gründet und der allgemeinen Sicherheit dient. Nun hatte aber Pedanus über fünfhundert Sklaven in seinem Haus, und das Volk versammelte sich und wollte verhindern, daß sie zur Hinrichtung geführt wurden. Der Senat mußte in aller Eile zusammengerufen werden, und wie weit unsere Sitten schon verfallen sind, ersieht man daraus, daß mehrere Senatoren allen Ernstes zu behaupten wagten, das Gesetz dürfe in diesem Fall nicht angewandt werden. Einige Freunde Senecas erklärten in aller Öffentlichkeit, ein Sklave sei ein Mensch, und es gehe nicht an, Unschuldige zusammen mit den Schuldigen zu bestrafen. Der Senator Pudens und mein Vater ergriffen ebenfalls das Wort und widersetzten sich einer solchen Grausamkeit. Man fand sogar eine Entschuldigung für den Sklaven, der sich angeblich nur für erlittenes Unrecht gerächt hatte.

Die anderen aber fragten sich mit vollem Recht, wer sich in seinem eigenen Haus noch sicher fühlen durfte, wenn die Sklaven des Pedanus wirklich begnadigt wurden. Unsere Väter hatten dieses Gesetz geschaffen und damit zu erkennen gegeben, daß sie – mit Recht – auch solchen Sklaven mißtrauten, die im Hause geboren worden waren und ihrem Herrn von Kind auf anhingen. Wir haben heute überdies Sklaven aus den verschiedensten Völkern mit fremden Sitten und fremden Göttern.

Soviel ich weiß, wurde bei dieser Gelegenheit zum erstenmal der Verdacht laut ausgesprochen, daß sich unter den Senatoren selbst Männer befänden, die einem fremden Glauben ergeben seien und nun ihre Glaubensfreunde zu verteidigen versuchten. Bei der Abstimmung siegten jedoch zum Glück für Rom die Anhänger des Gesetzes.

Die Volksmenge, die das Haus des Pedanus umringt hatte, sammelte Steine auf und drohte, die ganze Nachbarschaft in Brand zu stecken. Die Prätorianer mußten zu Hilfe geholt werden, und Nero erließ eine strenge Bekanntmachung. Längs der Straßen, durch die die fünfhundert zum Hinrichtungsplatz geführt wurden, nahmen mehrere Reihen Prätorianer Aufstellung.

Das Volk warf Steine und rief Schimpfworte, aber zu einem regelrechten Aufruhr kam es nicht. Eine beträchtliche Anzahl der Sklaven des Pedanus schien den Christen anzugehören, denn in der Menge gingen andere Christen umher und warnten vor Gewalttaten, da nach ihrer Lehre Böses nicht mit Bösem vergolten werden darf.

Die Vorfälle brachten das eine Gute mit sich, daß mein Schwiegervater wieder in sein Amt eingesetzt wurde. Der Senat, und das Volk hatten einen neuen Gesprächsgegenstand, und auch Poppaeas Schwangerschaft begann nun ein gewisses Mitgefühl zu erwecken.

Nero wollte, daß sein Kind in Antium zur Welt komme, wo er selbst geboren worden war. Vielleicht dachte er, ein solches glückliches Ereignis könne das Landgut, das er nach Agrippina geerbt hatte, von allen traurigen Erinnerungen befreien. Außerdem betrachtete er das heiße, von üblen Gerüchen erfüllte sommerliche Rom als keinen gesunden Ort für die Entbindung.

Ich hatte das Glück, noch einmal mit Poppaea zusammenzutreffen, bevor sie sich nach Antium begab. Die Schwangerschaft hatte sie nicht häßlich gemacht. Ihre Augen hatten einen stillen Glanz, der dem ganzen Gesicht einen sanften, fraulichen Ausdruck verlieh.

Ich fragte sie vorsichtig: »Ist es wahr, daß du den Gott der Juden verehrst? Man behauptet es in Rom, und es heißt auch, du habest Nero dazu gebracht, die Juden auf Kosten anderer zu begünstigen?«

»Du mußt selbst zugeben, daß die Weissagung der Juden sich erfüllt hat«, antwortete Poppaea. »In meinen schwersten Stunden gelobte ich, immer ihren Gott zu verehren, der so mächtig ist, daß es nicht einmal ein Bild von ihm geben darf. Und ebenso mächtig ist Moses. Ich würde es nicht wagen, nach Antium zu reisen, um dort zu gebären, ohne einen jüdischen Arzt mitzunehmen. Auch einige alte jüdische Frauen nehme ich mit, aber vorsichtshalber natürlich auch einen gründlich ausgebildeten griechischen und einen römischen Arzt.«

»Hast du auch von Jesus von Nazareth, dem König der Juden, gehört?« fragte ich.

Poppaea schnaubte durch die Nase und sagte auf ihre launische Art: »Ich weiß, daß es unter den Juden allerlei Heilige gibt. Sie haben strenge Gesetze, aber eine gottesfürchtige Frau in meiner Stellung braucht sich nicht viel um die Gesetze zu kümmern, solange sie nur den behörnten Moses verehrt und kein Blut trinkt.«

Ich erkannte, daß sie ebenso dunkle Vorstellungen vom Glauben der Juden hatte wie alle anderen Römer, die einen Gott ohne Abbild nicht begreifen können. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Wenn Poppaea gewußt hätte, wie sehr die Juden Paulus verabscheuten, würde sie Nero und mir kaum dafür gedankt haben, daß wir ihn freigelassen hatten, damit er weiter bittere Zwietracht unter den Juden säen konnte.

Poppaea reiste also nach Antium, und ich hoffte von Herzen, sie möge recht bald ihr Kind gebären. Nero war während der Wartezeit eine anstrengende Gesellschaft. Sang er, mußte er gelobt werden. Lenkte er sein Viergespann, mußte man seine unvergleichliche Geschicklichkeit preisen. Er trank ganze Nächte hindurch und wählte seine Freunde nicht sehr sorgfältig aus. Auch mit Acte traf er heimlich wieder zusammen, und er knüpfte Beziehungen zu vornehmen Frauen an, die es mit der Heiligkeit der Ehe nicht so genau nahmen. Tigellinus führte ihm seine Knaben zu. Als wir uns einmal darüber unterhielten, berief sich Nero auf das Vorbild der Griechen und brachte die folgende erstaunliche Rechtfertigung vor: »Als mir der Blitz den Becher aus der Hand schlug, wurde ich heilig. Es war ein Zeichen dafür, daß ich nach meinem Tode zum Gott erhöht werden soll. Die Götter sind aber zwiegeschlechtig. Ich könnte mich nicht wirklich göttergleich fühlen, wenn ich nicht zum Zeitvertreib auch hübsche Knaben lieben dürfte, und Poppaea ist es lieber, ich spiele mit Knaben als mit ehrgeizigen Frauen. Sie meint, sie braucht dann wenigstens nicht eifersüchtig zu sein und zu befürchten, ich könnte versehentlich die eine oder andere schwängern.«

Meinen Sohn Jucundus sah ich nur selten. Barbus hatte mein Haus verlassen und war zu Tullia gezogen, da er sich für den Mentor des Knaben ansah. Das war nötig, denn Tullia verwöhnte Jucundus und ließ ihn tun und treiben, was er wollte. Mir wurde er immer mehr entfremdet.

In Sabinas Haus im Tiergarten war ich nur geduldet, wenn sie gerade Geld brauchte. Der kleine Lausus war mir noch fremder als Jucundus. Seine Haut war merkwürdig dunkel und sein Haar kraus. Ich verspürte keine Lust, ihn auf meinen Schoß zu setzen und mit ihm zu spielen. Sabina machte mir deshalb Vorwürfe und nannte mich einen entarteten Vater.

Ich antwortete darauf, daß Lausus unter den Tierbändigern genug Väter zu haben schien, die mit ihm spielten, und ich hatte leider recht. Jedesmal, wenn ich meinen Sohn sehen wollte, war auch gleich Epaphroditus da und drängte sich zwischen ihn und mich, um mir zu zeigen, wie gut er sich mit ihm verstand. Sabina wurde bleich vor Zorn und verlangte, ich solle wenigstens in Gegenwart anderer solche unziemlichen Scherze unterlassen. Sie hatte viele Freundinnen unter den vornehmen Damen, die in den Tiergarten kamen, um ihren Kindern die Tiere zu zeigen und selbst die waghalsigen Kunststücke der Tierbändiger mit begehrlichen Blicken zu bewundern. Es war damals in den vornehmen Häusern Mode, Gazellen und Geparde zu halten, und ich hatte viel Ärger mit gewissenlosen Betrügern, die mein Alleinrecht verletzten und diese Tiere selbst einführten, um sie zu einem niedrigen Preis zu verkaufen. Sogar wilde Bluthunde aus Britannien wurden eingeführt. Ich erzielte gute Preise für die Welpen.

Poppaea kam endlich mit einer wohlgestalteten Tochter nieder. Nero war ebenso entzückt, wie wenn sie ihm einen Sohn geboren hätte. Er überhäufte Poppaea mit Geschenken und benahm sich in jeder Hinsicht wie ein junger Vater, der vor Freude den Verstand verloren hat.

Der ganze Senat reiste nach Antium, um seine Glückwünsche auszusprechen, und mit dem Senat ein jeder, der in Rom jemand zu sein glaubte. Die Flußboote und die von Ostia auslaufenden Schiffe waren überfüllt, und auf dem ziemlich schlechten Landweg von Aricia nach Antium stauten sich die Wagen und Sänften, daß kein Weiterkommen war. Einer meiner Freigelassenen verdiente sich ein Vermögen, indem er entlang des Weges Behelfsherbergen und Garküchen einrichtete.

Das Neugeborene erhielt den Namen Claudia und dazu gleich den Ehrentitel Augusta. Beim Wein kam irgendein Schwachkopf auf den Einfall, Poppaea Sabina auf die gleiche Weise zu ehren, und da Nero selbst zugegen war, wagte keiner zu widersprechen. Poppaea Sabina sandte einige heilige Gegenstände aus Gold als Dankesgabe an den Tempel zu Jerusalem, und ihr jüdischer Arzt wurde zum römischen Bürger gemacht.

Ich für mein Teil hatte mich beizeiten vorbereitet, und wir führten während dieser Freudentage in dem hölzernen Theater so prächtige Tierkämpfe vor, daß wir, wie ich in aller Unbescheidenheit selbst sagen muß, wenigstens dieses eine Mal die Wagenrennen im großen Zirkus in der Gunst des Volkes ausstachen. Die Vestalinnen ehrten meine Vorführung durch ihre Anwesenheit, und man versicherte mir, es sei mir gelungen, die Tierdressur zur schönen Kunst zu erheben.

Sabina fuhr als Amazone gekleidet in einem goldenen, von vier Löwen gezogenen Wagen um die Arena und nahm den brausenden Beifall entgegen. Es war mir unter großen Schwierigkeiten gelungen, haarige Riesenaffen als Ersatz für die beiden an Schwindsucht eingegangenen aus Afrika herbeizuschaffen. Sie waren ganz klein im Tiergarten angekommen und von gelbhäutigen Zwergen gefüttert und aufgezogen worden, die im dunkelsten Afrika mit den großen Affen zusammenleben.

Diese Affen verstanden es, Steine und Knüppel als Waffen zu gebrauchen, wenn sie miteinander kämpften, und den gelehrigsten hatten wir als Gladiator verkleidet. Ein Teil der Zuschauer glaubte, sie seien Menschen und nicht Tiere. Es gab deshalb einen Streit und schließlich eine Schlägerei, bei der ein Bürger getötet wurde und einige Dutzend mehr Verletzungen davontrugen. Eine geglücktere Vorstellung hätte man sich nicht wünschen können.

Ich wurde endlich für alle meine Auslagen und Verluste entschädigt. Seneca, der so geizig über die Staatskasse gewacht hatte, war nicht mehr da. Nero verstand nichts vom Geldwesen und begriff den Unterschied zwischen der Staatskasse und der kaiserlichen Privatkasse noch immer nicht ganz. Ich stellte daher meine Forderungen an beide und legte das Geld, das ich erhielt, mit Hilfe meiner Freigelassenen in Mietshäusern in Rom und Ländereien bei Caere an.

Neros Vaterglück war jedoch nicht von langer Dauer. Der Herbst war regnerisch. Der Tiber schwoll beunruhigend an, und mit den giftigen Dünsten verbreitete sich in der Stadt eine Halskrankheit, die für Erwachsene nicht lebensgefährlich war, aber zahllose Kinder im zarten Alter hinraffte.

Auch Nero erkrankte. Er wurde so heiser, daß er nicht ein Wort hervorbrachte und schon fürchtete, seine Singstimme für alle Zeit verloren zu haben. In allen Tempeln wurden, vom Staat und von einzelnen Bürgern, Versöhnungsopfer für seine Stimme dargebracht. Doch kaum begann er zu genesen, da erkrankte seine Tochter und starb trotz den Anstrengungen der Ärzte und den Gebeten der Juden innerhalb weniger Tage. Poppaea war von den Nachtwachen und vor Kummer wie von Sinnen und machte Nero heftige Vorwürfe, weil er trotz seinem kranken Hals nicht davon abgelassen hatte, das Kind zu umarmen und zu küssen.

Nero dagegen kam zu der abergläubischen Auffassung, die öffentlichen und privaten Opfer hätten nicht ausgereicht, die Götter zu besänftigen und seine Stimme zu retten, und die Götter hätten auch noch seine Tochter gefordert. Dies bestärkte ihn in der Überzeugung, daß er ausersehen sei, der größte Künstler seiner Zeit zu werden, und linderte seinen Kummer.

Der Senat verlieh Claudia Augusta göttlichen Rang, ließ sie wie eine Göttin bestatten und einen Tempel für sie errichten und ernannte ein eigenes Priesterkollegium. Nero war insgeheim überzeugt, daß in dem neuen Tempel in Wirklichkeit seine Stimme verehrt wurde, die von den Opfern immer besser werden mußte.

Daher erhielt das neue Priesterkollegium neben den öffentlichen Opfern noch ein besonderes, geheimes Ritual aufgetragen, das keinem Außenstehenden enthüllt werden durfte. Und wirklich wurde Neros Stimme, ganz wie nach Agrippinas Tod, kräftiger. Sie klang wie Erz und süß wie Honig zugleich, so daß die Zuhörer tiefinnerlich erzitterten. In mir rührte sich allerdings nichts. Ich gebe nur wieder, was sachkundigere Beurteiler ihm versicherten.

Nero nahm zu, seine Wangen wurden feist, er mästete sich, denn man hatte ihm gesagt, ein guter Sänger müsse reichlich Fleisch auf den Knochen haben, um die Anstrengungen des Singens zu ertragen. Und Poppaea war es lieber, er vertrieb sich die Zeit mit Gesangsübungen, als daß er wieder in sein Luderleben zurückfiel.

Nach dem Tod seiner Tochter widmete sich Nero den ganzen Winter der Ausbildung seiner Stimme, und das in dem Maße, daß er die Staatsgeschäfte als eine überflüssige Sorge ansah. Er versäumte die Versammlungen des Senats, weil er fürchtete, er könnte sich auf dem eiskalten Boden der Kurie erkälten. Wenn er wirklich einmal kam, wie üblich zu Fuß, hatte er die Füße mit Wolle umwickelt. Er erhob sich auch von seinem Platz, wenn ein Konsul ihn anredete. Sobald er aber das erstemal niesen mußte, entfernte er sich eilig und überließ es dem zuständigen Senatsausschuß, die wichtigsten Angelegenheiten zu entscheiden.


Während des Winters, kurz vor dem Saturnalienfest, wollte Claudia mich einmal dringend sprechen, um, wie sie mir sagen ließ, unter vier Augen etwas Wichtiges mit mir zu erörtern. Als ich meine täglichen Geschäfte mit meinen Klienten und Freigelassenen erledigt hatte, ließ ich sie rufen, fürchtete jedoch, sie werde wieder davon anfangen, daß ich mich bessern und die Taufe der Christen annehmen müsse.

Aber Claudia rang die Hände und sagte klagend: »Ach Minutus, ich bin eine Beute meiner widerstrebenden Gefühle, und es zieht mich bald hierhin, bald dorthin. Ich habe etwas getan, was ich dir bisher noch nicht zu sagen wagte. Doch sieh mich erst einmal an. Findest du nicht, daß ich mich verändert habe?«

Sie war mir wegen ihrer unaufhörlichen Nörgelei und ihrer christlichen Neunmalklugheit seit langem so widerwärtig gewesen, daß ich sie nie hatte ansehen mögen. Nun besänftigte mich aber ihre Demut, ich betrachtete sie näher und bemerkte zu meiner Verblüffung, daß die Sonnenbräune der Sklavin aus ihrem Gesicht verschwunden war. Sie war schön gekleidet und hatte sich das Haar nach der neuesten griechischen Mode gelegt.

Ich schlug die Hände zusammen und rief aufrichtig und ohne ihr schmeicheln zu wollen: »Du siehst aus wie die vornehmste Römerin. Ich glaube gar, du wäschst dein Gesicht heimlich mit Eselsmilch!«

Claudia errötete bis zum Hals und sagte rasch: »Nicht aus Eitelkeit pflege ich mich, sondern weil du mir deinen großen Haushalt anvertraut hast. Bescheidenheit und ein schlichter Sinn sind die schönste Zierde einer Frau, aber nicht in den Augen deiner Klienten und der Fleischhändler in den Markthallen. Ich meinte jedoch etwas anderes: entdeckst du in meinem Gesicht nicht eine gewisse Ähnlichkeit mit Kaiser Claudius?«

Ich beruhigte sie: »Nein, ganz gewiß nicht. Sei ohne Sorge. Der alte Claudius brauchte sich auf sein Aussehen nichts einzubilden. Du aber bist eine schöne, reife Frau, vor allem da du dir nun, wie ich sehe, die dichten Brauen auszupfst.«

Claudia war offenbar enttäuscht. »Du irrst dich ganz bestimmt«, sagte sie verdrossen. »Tante Paulina und ich haben in aller Heimlichkeit meine Halbschwester Antonia besucht, die uns in ihrer Einsamkeit dauert. Claudius ließ ihren ersten Gatten ermorden und Nero den zweiten. Daher wagt, seit sie aus Massilia zurückgekehrt ist, niemand mit ihr Umgang zu haben. Ihre Leiden haben sie gelehrt, die Dinge anders zu betrachten als zuvor. Sie bot uns Honigwein und Obsttorten an und schenkte mir ein goldenes Haarnetz. Wie die Dinge nun stehen, wäre sie vielleicht bereit, mich öffentlich als ihre Schwester anzuerkennen. Von den echten Claudiern sind nur noch sie und ich übrig.« Ich erschrak, als ich erkannte, wie sehr sie sich in ihrem weiblichen Ehrgeiz an eitle Einbildungen klammerte.

»Hast du vergessen, daß dich Agrippina auf die bloße Andeutung deiner Herkunft hin durch falsche Zeugenaussagen in Schande und Unglück stürzte?« rief ich. »Als Adoptivsohn des Claudius wird Nero kaum erfreut sein, wenn er erfährt, daß er noch eine Schwester hat!«

»Ich habe Antonia natürlich nicht gesagt, was mir widerfahren ist«, sagte Claudia verärgert. »Ich gab ihr zu verstehen, ich hätte mich aus Furcht vor Agrippina auf dem Lande versteckt, und das ist zum Teil sogar wahr. Meine bösen Erinnerungen waren wie durch Gnade ausgelöscht, sobald ich es über mich brachte, Agrippina in meinem Herzen zu verzeihen. Ich habe, wie du dich vielleicht erinnern wirst, im Sklavinnenkleid und mit geschorenen Haaren und Augenbrauen Buße getan und fühle mich rein und frei von der Sünde, an der ich nicht selbst schuld war.«

Sie sah mich mit seltsam glänzenden Augen an, seufzte so schwer, daß sich ihr fülliger Busen hob, und ergriff mit beiden Händen eine der meinen, als ich erschrocken zurückwich.

»Wie soll ich das alles verstehen, unglückliche Claudia?« fragte ich.

»Minutus«, sagte sie. »Du weißt wohl selbst, daß du nicht so weiterleben kannst. Deine Ehe mit Sabina ist keine richtige Ehe. Du bist dumm und scheinst das noch nicht begriffen zu haben. Ganz Rom lacht darüber. In deiner Jugend gabst du mir ein gewisses Versprechen. Nun bist du ein erwachsener Mann, und der Altersunterschied zwischen uns beiden ist nicht mehr so groß wie damals, ja man bemerkt ihn kaum noch. Minutus, du mußt dich um deines eigenen Ansehens willen von Sabina scheiden lassen.«

Ich fühlte mich wie ein Tier, das man in eine Ecke seines Käfigs drängt und mit glühenden Stangen bändigt. »Das kann nicht dein Ernst sein«, sagte ich. »Der Aberglaube der Christen hat deine Sinne verwirrt, was ich schon seit langem befürchte.«

Claudia starrte mich unverwandt an und sagte klagend: »Ein Christ muß die Unzucht meiden. Aber Jesus von Nazareth soll gesagt haben, wer eine Frau mit begehrlichen Blicken betrachtet, der treibt in seinem Herzen schon Hurerei mit ihr. Ich habe es unlängst erst gehört, und ich weiß, daß dieses Wort auch für eine Frau gilt. Deshalb ist mir das Leben unerträglich, denn ich sehe dich jeden Tag und fühle ein heißes Begehren in meinem Herzen. In den Nächten werfe ich mich ruhelos in meinem Bett hin und her und beiße vor Sehnsucht in mein Kissen.«

Ich fühlte mich unwillkürlich geschmeichelt und betrachtete sie mit anderen Augen. »Warum hast du mir das nicht früher gesagt?« fragte ich. »Ich hätte ja aus reiner Barmherzigkeit die eine oder andere Nacht zu dir kommen können! Mir selbst ist es nie eingefallen, weil du immerzu mit mir gestritten hast.«

Claudia schüttelte heftig den Kopf: »Deine Barmherzigkeit brauche ich nicht. Ich würde eine große Sünde begehen, wenn ich ohne das Band der Ehe in dein Bett käme. Daß du mir so etwas vorschlägst, zeigt mir, wie verhärtet dein Herz ist und wie niedrig du mich einschätzt.«

Mein Taktgefühl verbot mir, sie daran zu erinnern, wie tief gesunken sie war, als ich sie wiederfand. Ihre Absichten waren so wahnwitzig, daß ich vor Schreck verstummte. Aber Claudia fuhr fort: »Antonia könnte vor den Vestalinnen den heiligsten Eid schwören, daß ich eine Tochter des Claudius bin und vom selben Blute wie sie. Sie wäre wahrscheinlich auch dazu bereit, und sei es nur, um Nero zu ärgern. Eine Ehe mit mir wäre dann für dich nicht ohne Vorteil. Wenn wir ein Kind hätten, wüßten die Vestalinnen von seiner hohen Geburt, und wenn sich einmal die Verhältnisse ändern, könnte dein und mein Sohn zu den höchsten Ämtern Roms aufsteigen. Antonia ist sehr unglücklich darüber, daß ihre beiden Ehen kinderlos geblieben sind.«

Ich konnte mich nicht mehr beherrschen und schrie: »Wie sollte ein verdorrter Baum frische Sprosse treiben! Denk doch, was du gewesen bist!«

»Ich bin eine Frau!« rief Claudia tief gekränkt. »Mein Leib beweist es mir jeden Monat. Ich habe dir gesagt, daß ich von meiner Vergangenheit gereinigt bin. Du kannst dich selbst davon überzeugen, wenn du willst.«

Als ich aus dem Raum zu fliehen versuchte, vertrat sie mir den Weg. Wir begannen miteinander zu ringen, und plötzlich hielt ich sie in meinen Armen. Alte Wunden jucken, und ich war lange bei keiner Frau gelegen. Ehe wir noch wußten, wie uns geschah, küßten wir uns leidenschaftlich, und Claudia verlor alle Beherrschung. Später weinte sie zwar bitter, aber sie hielt mich fest umschlungen und sagte: »Mein unzüchtiges Benehmen beweist am besten, daß ich die Tochter des lasterhaften Claudius bin. Da du mich aber zur Sünde verleitet hast, mußt du es auch wiedergutmachen. Wenn du ein Mann bist, gehst du zu Sabina und sprichst mit ihr über die Scheidung.«

»Ich habe aber einen Sohn mit ihr«, wandte ich ein. »Die Flavier würden es mir nie verzeihen. Und Sabinas Vater ist Stadtpräfekt. Ich würde meine Stellung verlieren.«

»Ich will Sabina ja nicht verleugnen«, sagte Claudia mit unschuldsvoller Miene. »Es gibt aber einige Christen unter den Angestellten des Tiergartens, und die haben mir von Sabinas sittenlosem Lebenswandel einiges berichtet.«

Ich mußte lachen. »Sabina ist eine kalte, geschlechtslose Frau«, sagte ich voll Verachtung. »Das muß ich selbst wohl am besten wissen. Nein, ich finde keinen stichhaltigen Scheidungsgrund, denn sie hat nicht einmal etwas dagegen, daß ich meine Gelüste an anderen Frauen befriedige. Vor allem aber, das weiß ich genau, wird sie sich nie von den Löwen trennen wollen. Die sind ihr lieber als ich.«

»Was hindert sie daran, im Tiergarten zu bleiben?« wandte Claudia sehr vernünftig ein. »Sie hat dort ihr eigenes Haus, das du ohnehin nur noch selten aufsuchst. Ihr könnt ja auch nach der Scheidung noch gute Freunde sein. Sag ihr, du weißt alles und willst dich ohne großes Aufsehen von ihr scheiden lassen. Der Kleine kann ja deinen Namen behalten, da du ihn nun einmal in deiner Leichtgläubigkeit und Einfalt auf deine Knie gesetzt hast und dies nicht mehr widerrufen werden kann.«

»Willst du etwa andeuten, Lausus sei nicht mein Sohn?« fragte ich verwundert. »Daß du so boshaft bist, hätte ich nicht gedacht. Wo bleibt da deine christliche Nächstenliebe?«

Claudia geriet außer sich und schrie: »Es gibt nicht einen Menschen in ganz Rom, der nicht wüßte, daß er nicht dein Sohn ist. Sabina hat es mit Tierbändigern und Sklaven und bestimmt auch mit den Affen getrieben. Nero lacht über dich hinter deinem Rücken, von deinen anderen schönen Freunden ganz zu schweigen.«

Ich hob meine Toga vom Boden auf, schlang sie um mich und ordnete den Faltenwurf, so gut ich es mit meinen vor Zorn zitternden Händen vermochte.

»Nur um dir zu beweisen, was dein niederträchtiges Geschwätz wert ist, gehe ich jetzt zu Sabina und rede mit ihr!« rief ich. »Dann komme ich zurück und lasse dich vor meinen Genien auspeitschen, weil du eine untaugliche Beschließerin und ein gift spritzendes Lästermaul bist. Danach kannst du in den Lumpen, in denen du gekommen bist, zu deinen Christen gehen.«

Ich rannte wie von den Furien gehetzt mit flatternder Toga geradewegs in den Tiergarten, so daß ich weder das Gedränge auf den Straßen bemerkte noch die Grüße erwiderte, die mir allenthalben entboten wurden. Ich ließ mich nicht einmal, wie es die gute Sitte erfordert hätte, bei meiner Gattin anmelden, sondern stürzte in ihr Zimmer, ohne der Sklaven zu achten, die mich aufzuhalten versuchten.

Sabina machte sich aus Epaphroditus’ Armen frei, fuhr rasend wie eine verwundete Löwin auf mich los und schrie mit flammendem Blick: »Wie führst du dich auf, Minutus! Hast du den letzten Rest Vernunft verloren? Wie du sahst, war ich gerade dabei, Epaphroditus mit der Zungenspitze ein Staubkorn aus dem Auge zu nehmen. Er ist halb erblindet und kann sich nicht einmal mehr um die Löwen kümmern, die wir unlängst aus Numidien bekommen haben.«

Ich schrie zurück: »Schweig! Ich habe mit eigenen Augen gesehen, daß vielmehr er gerade dabei war, nach einer gewissen Stelle an dir zu suchen. Reicht mir mein Schwert, daß ich diesen schamlosen Sklaven erschlage, der in mein Ehebett spuckt!«

Sabina verhüllte ihre Nacktheit, befahl den erschrockenen Sklaven, sich zu entfernen, und schloß die Tür. »Du weißt, daß wir immer so leicht gekleidet wie nur möglich üben«, sagte sie. »Wehende Kleider reizen die Löwen nur. Du hast dich geirrt. Bitte Epaphroditus sofort um Vergebung dafür, daß du ihn beleidigt und einen Sklaven genannt hast. Er hat längst den Freilassungsstab erhalten und für seine Verdienste im Amphitheater das römische Bürgerrecht aus Neros eigener Hand.«

Nur halb überzeugt, rief ich weiter laut nach meinem Schwert und sagte: »Hier und jetzt fordere ich von dir eine Erklärung, was es mit den schändlichen Gerüchten auf sich hat, die über dich in Rom verbreitet werden. Morgen bitte ich den Kaiser um die Scheidung.«

Sabina erstarrte, warf Epaphroditus einen bedeutsamen Blick zu und sagte kalt: »Erwürge ihn. Wir rollen ihn in einen Teppich und werfen ihn in den Löwenkäfig. Es ist schon so mancher verunglückt, als er mit Raubtieren spielte.«

Epaphroditus kam auf mich zu und streckte seine riesigen Hände nach mir aus. Er war kräftig gebaut und um einen ganzen Kopf größer als ich. Trotz meinem begreiflichen Zorn begann ich für mein Leben zu fürchten und sagte hastig: »Versteh mich recht, Sabina. Warum sollte ich den Vater meines Sohnes beleidigen wollen! Epaphroditus ist römischer Bürger und mir dadurch ebenbürtig. Laß uns dies in Ruhe besprechen. Es will doch keiner von uns einen öffentlichen Skandal!«

Auch Epaphroditus sagte begütigend: »Hör auf ihn, Sabina. Ich bin ein harter Mann, aber ich möchte nur ungern deinen Gatten töten. Er hat beide Augen zugedrückt und uns tun lassen, was wir wollten. Wenn er jetzt die Scheidung verlangt, wird er wohl seine eigenen Gründe haben. Wie oft hast du nach deiner Freiheit geseufzt! Nimm Vernunft an, Sabina.«

Aber Sabina verhöhnte ihn und schrie so zornig wie zuvor: »Wirst du weich in den Knien, wenn du dieses glatte Narbengesicht siehst, du Riesenkerl! Beim Herkules, das Beste an dir ist größer als dein Mut. Begreifst du nicht, daß es klüger ist, ihn einfach zu erwürgen und zu erben, was er hat, als seinetwegen verspottet zu werden?«

Epaphroditus wich meinem Blick aus und legte mir mit einem so eisenharten Griff die Finger um den Hals, daß jeder Widerstand sinnlos war. Meine Stimme erstickte, und es wurde mir schwarz vor Augen, aber ich gab durch Zeichen zu verstehen, daß ich bereit war, um mein Leben zu handeln. Als Epaphroditus seinen Griff gelockert hatte, sagte ich röchelnd: »Es versteht sich von selbst, daß du dein Eigentum behältst und im Tiergarten bleibst, wenn wir wie vernünftige Menschen auseinandergehen. Verzeih mir meine ganz unnötige Erregung, liebe Sabina. Dein Sohn trägt selbstverständlich weiter meinen Namen und erbt nach mir, wenn einmal die Zeit gekommen ist. Um der Liebe willen, die uns einst verband, möchte ich nicht, daß du dich eines Verbrechens schuldig machst, das früher oder später doch entdeckt wird. Laß uns Wein trinken und ein Versöhnungsmahl halten, du und ich und mein Schwager, vor dessen Körperkräften ich die größte Achtung hege.«

Epaphroditus brach plötzlich in Tränen aus, umarmte mich und rief: »Nein, ich kann dich nicht erwürgen! Wir wollen Freunde sein, alle drei. Es ist eine Ehre für mich, wenn du wirklich am selben Tisch mit mir essen willst.«

Vor Schmerz und Erleichterung stiegen auch mir die Tränen in die Augen. »Das ist das mindeste, was ich tun kann«, sagte ich und legte meinen Arm um seine breiten Schultern. »Meine Gattin habe ich schon mit dir geteilt, daher ist deine Ehre auch meine Ehre.«

Als Sabina sah, wie wir uns umschlungen hielten, kam auch sie wieder zur Vernunft. Wir ließen das Beste auftragen, was das Haus zu bieten hatte, tranken Wein miteinander und riefen auch Lausus zu uns, damit Epaphroditus ihn auf den Schoß nehmen und mit ihm plaudern konnte. Ab und zu lief mir ein kalter Schauder über den Rücken, wenn ich bedachte, was beinahe durch meine Dummheit geschehen wäre, aber nach und nach beruhigte mich der gute Wein.

Als wir eine Weile getrunken hatten, wurde mir recht traurig zumute. Ich erinnerte mich vergangener Zeiten und fragte Sabina: »Wie konnte es dahin mit uns kommen, da wir doch anfangs glücklich waren? Zumindest war ich blind verliebt in dich.«

Der Wein hatte auch Sabina weich gestimmt. »Du hast mich nie wirklich verstanden, Minutus«, sagte sie. »Ich mache es dir nicht zum Vorwurf, und ich bereue meine bösen Worte, damals, als ich deine Manneskraft anzweifelte. Wenn du mir wenigstens einmal ein blaues Auge geschlagen hättest wie bei unserer ersten Begegnung, oder wenn du mich ab und zu verprügelt hättest! Glaub mir, dann wäre alles anders gekommen. Erinnerst du dich noch, wie ich dich in der Hochzeitsnacht bat, mich zu vergewaltigen? Aber du bist nicht so ein herrlicher Mannskerl, der mit einem macht, was er will, soviel man auch zappelt und strampelt und schreit.«

Ich sagte verblüfft: »Bisher habe ich immer geglaubt, eine Frau verlange von der Liebe vor allem Zärtlichkeit und Geborgenheit.«

Sabina schüttelte mitleidig den Kopf und antwortete: »Das beweist nur, wie wenig du von den Frauen verstehst.«

Nachdem wir uns über die nötigen finanziellen Maßnahmen einig geworden waren, und ich Epaphroditus zu wiederholten Malen als einen Ehrenmann und den größten Künstler in seinem Fach gepriesen hatte, ging ich, gestärkt vom Wein, zu Flavius Sabinus, um ihn davon zu unterrichten, daß wir uns scheiden lassen wollten. Ich hatte, offen gestanden, beinahe mehr Angst vor seinem Zorn als vor Sabina. Zu meiner Verwunderung zeigte er sich jedoch sehr verständnisvoll.

»Ich habe längst bemerkt, daß es mit eurer Ehe nicht zum besten steht«, sagte er und vermied es, mir in die Augen zu sehen. »Ich hoffe aber von Herzen, daß die Scheidung an unserer Freundschaft und an der Achtung, die wir beide füreinander hegen, nichts ändern wird. Ich würde in eine üble Klemme geraten, wenn du mir beispielsweise die Anleihe kündigtest, die du mir zugesagt hast. Wir Flavier sind leider nicht so vermögend, wie es zu wünschen wäre. Mein Bruder Vespasian soll zur Zeit vom Maultierhandel leben. Als Prokonsul in Afrika ist er nur ärmer geworden, als er ohnehin schon war. Es heißt, die Leute hätten ihn mit Kohlrüben beworfen. Er wird, fürchte ich, den Senat verlassen müssen, wenn der Zensor merkt, daß er die finanziellen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.«

Nero war unerwartet nach Neapolis gereist, nachdem er es sich in den Kopf gesetzt hatte, daß dort sein erstes großes öffentliches Auftreten als Sänger stattfinden solle. Die Zuhörer dort sind griechischer Abstammung und kunstverständiger als die Römer. Nero fürchtete sich trotz seinem Selbstbewußtsein vor jedem Auftritt und zitterte und schwitzte so, daß er sich erst beruhigte, wenn er wußte, daß seine eigenen, bezahlten Leute sich unter die Zuschauer gemischt hatten, um diese durch stürmisches Klatschen zu den ersten befreienden Beifallsäußerungen hinzureißen.

Ich reiste ihm schleunigst nach, wozu ich allein schon durch mein Amt verpflichtet war. Das schöne Theater in Neapolis war gedrängt voll. Neros glanzvolle Stimme versetzte die Zuhörer in Ekstase. Einige Reisende aus Alexandria, die ihrem Entzücken nach der Sitte ihrer Heimat durch rhythmisches Klatschen Ausdruck verliehen, fielen besonders auf.

Während der Vorstellung wurde das Theater plötzlich durch ein Erdbeben erschüttert. Unter den Zuhörern drohte eine Panik auszubrechen, aber Nero sang weiter, als wäre nichts geschehen, und machte ihnen durch seine Unerschrockenheit Mut. Man pries ihn wegen seiner Selbstbeherrschung, er aber sagte später, er habe sich so in seine Rolle eingelebt, daß er von dem Erdbeben nichts bemerkte.

Von seinem Erfolg begeistert, trat er mehrere Tage hintereinander im Theater auf. Zuletzt mußte der Rat der Stadt seinen Gesangslehrer bestechen, damit dieser ihn warnte und seine unvergleichliche Stimme zu schonen bat, denn die täglichen Geschäfte der Stadt, der Handel und die Seefahrt kamen durch die Vorstellungen beinahe völlig zum Erliegen. Die Alexandriner belohnte Nero für ihren Kunstverstand, indem er sie zu römischen Bürgern machte und ihnen viele Geschenke gab. Auch beschloß er, so bald wie möglich nach Alexandria zu reisen, um dort vor einem Publikum aufzutreten, das seiner, wie er sagte, würdig war.

Als ich bei passender Gelegenheit für mein eigen Teil seinen glänzenden Erfolg rühmte, fragte mich Nero: »Glaubst du nicht, daß ich mir, wenn ich nicht Kaiser wäre, an jedem beliebigen Ort der Welt als Künstler mein Brot verdienen könnte?«

Ich versicherte ihm, daß er als Künstler nicht nur freier, sondern in gewissem Sinne auch reicher wäre denn als Kaiser, da er sich nicht wegen jeder kleinen Ausgabe mit seinen Verwaltern herumzustreiten brauchte. Ich erwähnte, daß es nach meiner Amtszeit als Prätor meine Schuldigkeit war, dem Volk eine Theatervorstellung zu bieten, daß es aber meiner Meinung nach in ganz Rom keinen wirklich guten Sänger gebe. Zuletzt sagte ich mit gespielter Verlegenheit: »Wenn du in meiner Vorstellung auftreten wolltest, wäre mir die Gunst des Volkes gewiß. Ich würde dir eine Million Sesterze zahlen. Das Stück dürftest du dir natürlich selbst wählen.«

Soviel ich weiß, war das das höchste Honorar, das man jemals einem Sänger für ein einziges Auftreten geboten hatte. Sogar Nero war überrascht und fragte: »Meinst du wirklich, daß meine Stimme eine Million Sesterze wert ist und daß du mit ihr die Gunst des Volkes gewinnen kannst?«

Ich versicherte ihm, daß es für mich die höchste Gunst wäre, die ich mir vorstellen könne, wenn er einwilligte. Nero runzelte die Stirn, murmelte etwas von seinen vielen Pflichten und sagte schließlich: »Ich muß als Schauspieler verkleidet auftreten und mit einer Maske vor dem Gesicht. Dir zuliebe kann ich mir ja eine Maske anfertigen lassen, die mir ähnelt. Ich möchte einmal den Geschmack des römischen Publikums auf die Probe stellen, und deshalb dürfen wir meinen Namen erst nach der Aufführung bekanntgeben. Unter diesen Bedingungen nehme ich dein Angebot an. Ich glaube, ich werde den Orest wählen. Das ist eine Rolle, die ich schon lang einmal singen möchte, und ich traue mir zu, mit der aufgestauten Kraft meiner Empfindungen sogar das harthörige römische Publikum zu erschüttern.«

In seiner Künstlereitelkeit wollte er ausgerechnet diese Muttermörderrolle spielen, um seine eigenen Gefühle in Wallung zu versetzen. Im Grunde verstand ich ihn. Hatte ich selbst mich doch von meinen bösen Erinnerungen an die kilikische Gefangenschaft, die mich an den Rand des Wahnsinns trieben, dadurch befreit, daß ich ein komisches Buch schrieb. Für Nero war die Ermordung Agrippinas ein erschütterndes Erlebnis, das er durch den Gesang zu überwinden suchte. ich fürchtete jedoch, daß ich mich durch mein Angebot in große Gefahr gebracht hatte. Was geschah, wenn das Publikum Nero nicht erkannte und seine Darbietung nicht zu würdigen verstand?

Ja, es konnte sogar noch schlimmer kommen. Eine Maske, die Nero ähnelte, in der Rolle des Muttermörders! Die Zuschauer faßten die Vorstellung womöglich als eine Kundgebung gegen Nero auf und ließen sich mitreißen. In dem Falle war ich verloren. Und wenn andere Zuschauer es sich angelegen sein ließen, Neros Ruf zu verteidigen, kam es zu einem Handgemenge, das sogar Menschenleben fordern konnte.

Ich wußte mir keinen anderen Rat, als heimlich die Kunde zu verbreiten, daß Nero selbst in meiner Vorstellung als Orest aufzutreten gedachte. Viele altmodisch gesinnte Senatoren und Ritter weigerten sich, zu glauben, daß ein Kaiser imstande sei, sich mit Schauspielern und Gauklern auf eine Stufe zu stellen und mit Absicht und Bedacht zum Gespött der Leute zu machen. Als sie gar noch erfuhren, was für ein Stück gewählt worden war, hielten sie das Gerücht für einen boshaften Scherz.

Zum Glück hatte auch Tigellinus in dieser Sache seinen Vorteil zu wahren. Er stellte eine Kohorte Prätorianer ab, die einerseits für Ruhe und Ordnung im Theater sorgen und andrerseits an bestimmten Stellen, dem Beispiel der von Nero selbst zu diesem Zweck gedungenen Männer folgend, klatschen mußte. Als Anführer wurden einige junge Ritter auserwählt, die ein wenig von Musik und Gesang verstanden und nicht den Fehler begingen, den Beifall im falschen Augenblick einsetzen zu lassen. Alle mußten außerdem üben, vor Entzücken zu trällern, mit zu Schalen gewölbten Händen dumpf zu klatschen und dann wieder weithin schmetternde Klatschlaute hervorzubringen und an ergreifenden Stellen schmachtend und im Takt zu seufzen.

Das Gerücht von einer politischen Kundgebung im Theater lockte ungeheure Mengen von Zuschauern an, die unter anderen Umständen wohl kaum meine Vorstellung mit ihrer Gegenwart beehrt hätten. Das Gedränge war so groß, daß bei den Eingängen einige Menschen niedergetrampelt wurden und die Sklaven so manchen alten Senators handgreiflich werden mußten, um ihren Herrn zu den Ehrensitzen des Senats tragen zu können. Es ging zu wie bei den Wagenrennen im Zirkus, wenn etwas Besonderes zu erwarten stand.

Nero war so aufgeregt, daß er sich vor der Vorstellung mehrere Male erbrach und seine Kehle unaufhörlich mit Getränken spülte, die sein Lehrer ihm verschrieben hatte und die die Stimmbänder kräftigen sollten. Ich muß jedoch gestehen, daß er eine glänzende Vorstellung gab, sobald er die Szene betreten hatte. Seine mächtige Stimme hallte durch das ganze Theater und erreichte die Ohren von wohl zwanzigtausend Menschen, und er stellte seine grausame Rolle so echt und ergreifend dar, daß einige empfindsamere Frauen in Ohnmacht fielen.

Das Trällern, Seufzen und Klatschen kam an den richtigen Stellen, und das gewöhnliche Publikum stimmte bereitwillig in den Beifall ein. Als Nero aber zuletzt mit blutbefleckten Händen auf die Szene stürzte, erhob sich von den Bänken der Senatoren und Ritter ein lautes Miauen, Krähen und Zischen, das selbst der stärkste Beifall nicht zu übertönen vermochte. Ich glaubte, meine letzte Stunde sei gekommen, als ich mit weichen Knien hinter die Szene ging, um zusammen mit Nero, der die Maske abgenommen hatte, hinauszutreten und zu verkünden, dal? der Kaiser selbst vor seinem Volke aufgetreten war.

Zu meiner unbeschreiblichen Verwunderung fand ich jedoch einen Nero vor, der, schweißnaß und mit vor Erschöpfung verzerrtem Gesicht, vor Freude weinte.

»Hast du gesehen, hast du gehört, wie ich das Publikum mitriß?« fragte er mich. »Sie miauten und krähten sogar, um die Strafe für den Muttermord auf Orest herabzurufen! Ich glaube, es ist noch nie vorgekommen, daß die Zuschauer bei einer Aufführung so vollständig mitlebten!«

Nero trocknete sich den Schweiß ab und trat dann siegesstolz lächelnd hinaus, um den Beifall entgegenzunehmen, der zu Donnertosen anschwoll, als ich, durch einen Trichter rufend, verkündete, daß der Kaiser in eigener Person mitgespielt hatte. Das Publikum forderte wie ein Mann, er solle noch mehr singen.

Mir wurde die Ehre zuteil, Nero die Zither zu bringen. Er sang und begleitete sich selbst, um auch seine Meisterschaft als Zitherspieler zu beweisen, bis es so dunkel wurde, daß man sein Gesicht nicht mehr erkennen konnte. Erst dann hörte er widerstrebend auf, ließ aber kundmachen, daß er auch in Zukunft vor dem Volk auftreten werde, wenn dies der Wunsch des Volkes sei.

Als ich ihm die Anweisung auf eine Million Sesterze reichte, sagte ich ihm, daß ich Befehl gegeben hatte, seinem Geburtsgenius, seiner verstorbenen Tochter und zur Sicherheit auch Apoll ein Dankopfer darzubringen. »Obwohl«, fügte ich hinzu, »obwohl ich glaube, daß du Apoll bereits übertroffen hast und seine Hilfe nicht mehr brauchst.«

Während er noch vor Freude ganz außer sich war, brachte ich so beiläufig wie möglich den Wunsch vor, er möge meine Ehe in aller Stille auflösen, da wir uns, Sabina und ich, nicht vertrugen, beide die Scheidung wünschten und im übrigen auch die Einwilligung unserer Eltern hatten.

Nero begann laut zu lachen und sagte, es sei ihm schon längst klar, daß ich meine sonderbare Ehe aus reiner Lasterhaftigkeit weitergeführt hätte. Er fragte mich neugierig, ob es wahr sei, daß Sabina geschlechtlichen Umgang mit den afrikanischen Riesenaffen pflege, wie in der Stadt so hartnäckig behauptet werde. Er hätte ganz und gar nichts dagegen, sich einmal heimlich so eine Vorstellung anzusehen. Ich bat ihn, Sabina selbst danach zu fragen, und gab vor, wir seien so verfeindet, daß wir nicht einmal mehr miteinander redeten. Er stellte mir nur noch die Bedingung, daß Sabina auch nach der Scheidung zum Vergnügen des Volkes im Amphitheater auftreten müsse, und schon am nächsten Morgen erhielt ich die Scheidungsurkunde, für die ich nicht einmal die übliche Gebühr zu entrichten brauchte.

Neros Auftreten als Orest erweckte Verwunderung und endlose Diskussionen, und ich geriet in den Ruf eines kühnen, rücksichtslosen Menschen. Zu jener Zeit begannen Neros Feinde boshafte Geschichten über ihn zu erfinden, indem sie den gleichen Grundsatz befolgten, den er selbst sich zu eigen gemacht hatte, als er beispielsweise Octavias Ehebruch bekanntgab: Je größer die Lüge, desto lieber wird sie geglaubt.

Diese Wahrheit kehrte sich nun gegen Nero selbst, denn das Volk glaubte die schamlosesten Lügen mit der größten Bereitwilligkeit. Dagegen wollte niemand von dem Guten hören, das man über ihn berichtete.

Daß die Herrscher Roms das Volk belogen, war freilich nichts Neues. Denken wir nur an den Gott Julius, der durch tägliche Bekanntmachungen seinem schlechten Ruf entgegenzuarbeiten versuchte, oder an den Gott Augustus, dessen Grabinschrift auf der Mauer des Mausoleums ungezählte Verbrechen verschweigt.

Ich hatte mir unter Einsatz meines Lebens die Scheidung verschafft, aber damit waren meine Schwierigkeiten noch nicht zu Ende. Zwar bedeutete die Scheidung an sich eine Erleichterung, denn sie befreite mich von der herrschsüchtigen Sabina, aber ich konnte natürlich nicht daran denken, mich mit Claudia zu vermählen, die der Tatsache, daß wir sozusagen aus reinem Zufall, der Verlockung des Augenblicks gehorchend wie in unserer Jugend Tagen, beieinandergelegen waren, eine übertriebene Bedeutung beimaß.

Ich sagte ihr offen ins Gesicht, daß ich nicht der Meinung war, ein Mann müsse jede Frau, die sich in seine Arme warf, gleich heiraten. Unter solchen Umständen wäre ja unter den Menschen kein vernünftiges Zusammenleben mehr möglich. In meinen Augen war das Geschehene weder eine Sünde noch eine Erniedrigung für Claudia.

Nicht einmal Christus selbst hatte, während er auf Erden lebte, eine Ehebrecherin verdammen wollen, weil er diejenigen, die sie anklagten, für nicht minder schuldig hielt. Diese Geschichte hatte ich selbst gehört. Aber Claudia erboste sich und sagte, sie wisse besser als ich, was Christus gesagt und getan habe, denn sie habe es aus Kephas’ eigenem Munde gehört. Nachdem sie gefallen sei und mit mir gesündigt habe, sei sie auch sündhaft und werde immer sündhafter, je öfter sie mich sehe.

Ich versuchte ihr daher nach Möglichkeit auszuweichen, damit sie mich nicht so oft zu sehen brauchte. Ich ließ mich auf neue große Geschäfte ein, um meine Stellung zu fördern und mich durch Arbeit abzulenken. Einer meiner Freigelassenen brachte mich zu der Einsicht, daß wirklich große Vermögen nur durch den Getreidehandel und die Einfuhr von Speiseöl zu verdienen waren. Der Handel mit Seide aus China, Gewürzen aus Indien und anderen Kostbarkeiten für die Reichen und Vornehmen war daneben eine ganz unbedeutende Erwerbsquelle. Dank meinen Tiereinkäufen hatte ich bereits gute Handelsverbindungen in Afrika und Iberien, und durch meine Freundschaft mit Fenius Rufus war es mir möglich, im Getreidehandel Fuß zu fassen. Mein Freigelassener reiste selbst nach Iberien, um Olivenöl aufzukaufen.

Ich hatte nun oft in Ostia zu tun und stellte fest, daß dort eine ganz neue, schön gebaute Stadt emporgewachsen war. Ich hatte mich schon lange über Claudias Vorwurf geärgert, ich verschaffte mir verbrecherische Einkünfte aus meinen Mietshäusern in Suburra und auf der dem Zirkus zugekehrten Seite des Aventins. Sie behauptete, meine Mieter wohnten unmenschlich eng, schmutzig und ungesund, aber ich wußte, daß es nur die armen Christen waren, die sich bei ihr beklagt hatten, weil ihnen die Mieten zu hoch waren.

Wenn ich aber die Mieten gesenkt hätte, würde der Andrang zu meinen Häusern noch größer geworden sein, und ich wäre überdies von allen anderen Hausherren des unlauteren Wettbewerbs bezichtigt worden. Daß die Häuser in schlechtem Zustand waren, sah ich selbst, aber an eine Instandsetzung war nicht zu denken, denn ich brauchte all mein Bargeld und mußte sogar noch Anleihen aufnehmen, um meine neuen Unternehmungen voranzubringen. Ich faßte daher einen raschen Entschluß, verkaufte mehrere Mietshäuser auf einmal und erwarb mit dem Erlös einige billige Baugründe an den Rändern Ostias.

Claudia machte mir deshalb bittere Vorwürfe und behauptete, ich hätte meine Mieter in noch ärgere Bedrängnis gebracht, denn die neuen Hausherren dachten ebensowenig daran, die Häuser instand zu setzen, und erhöhten obendrein die Mieten, um die Riesensummen wieder hereinzubringen, die sie mir bezahlt hatten. Ich warf Claudia meinerseits vor, daß sie nicht hauszuhalten verstand und mein Geld für wohltätige Zwecke verschwendete, die mir nicht einmal die Gunst der Leute eintrugen, da es die Christen für selbstverständlich hielten, daß man den Armen half, und für die Hilfe, die sie bekamen, nur Christus dankten.

Daraufhin hielt mir Claudia wiederum vor, daß ich unvergleichlich größere Summen für gottlose Theatervorstellungen hinauswürfe. Sie machte keinen Unterschied zwischen Schauspielen und Tierkämpfen im Amphitheater und wollte nichts hören, als ich ihr zu erklären versuchte, daß ich nur einer Verpflichtung nachkam, weil ich Prätor gewesen war und mein Vater einen Sitz im Senat hatte. Ein Mann in meiner Stellung brauchte die Gunst der Bürger. Die Christen sind dagegen zum größten Teil ohnehin nur Sklaven und anderes Pack, das nicht das Bürgerrecht besitzt.

Ich konnte Claudia erst den Mund stopfen, als ich sagte, sie sei offenbar keine echte Claudierin. Ihr Vater hatte nämlich an den Vorstellungen im Amphitheater so großen Gefallen gefunden, daß er nicht einmal essen gehen wollte, während die Raubtiere die zum Tode Verurteilten in Stücke rissen. Anständige Menschen halten dann Mittagsruhe und verlassen das Amphitheater für eine Weile. Der menschliche Nero hatte gleich zu Beginn seiner Regierungszeit das Verbot erlassen die Verurteilten den Tieren vorzuwerfen, und duldete nicht einmal, daß die Berufsgladiatoren bis zum letzten Atemzug kämpften.

Ich gestehe, daß ich Claudias weibliche Schwachheit ausnützte, um sie wenigstens ab und zu einmal zum Schweigen zu bringen. Ich verschloß ihr den Mund mit Küssen und streichelte sie so lange, bis sie der Versuchung nicht mehr zu widerstehen vermochte und sich mir lachend in die Arme warf. Später war sie dann freilich noch finsterer und drohte mir sogar mit dem Zorn ihrer Halbschwester Antonia. Als ob Antonias Zorn damals noch“ irgendeine politische Bedeutung gehabt hätte!

Ich ließ, wenn wir auf diese Weise beisammen waren, jede Vorsicht außer acht, wußte ich doch, was Claudia in Misenum erlebt hatte. Im übrigen dachte ich daran nicht gern, denn in gewissem Sinne war ich an ihrem Schicksal schuld. Wie dem auch sei: ich vertraute auf die Richtigkeit des Sprichworts, daß auf öffentlichen Wegen kein Gras wächst.

Um so größer war meine Verwunderung, ja mein Entsetzen, als Claudia mich eines Tages, da ich eben aus Ostia zurückgekehrt war, mit geheimnisvoller Miene beiseite führte und mir strahlend vor Stolz ins Ohr flüsterte, daß sie von mir schwanger sei. Ich glaubte ihr nicht und nahm vielmehr an, sie sei ein Opfer ihrer Einbildungen oder leide an einer Frauenkrankheit. Ich ließ rasch einen griechischen Arzt kommen, der in Alexandria studiert hatte, glaubte aber auch ihm nicht, als er mir versicherte, Claudia sei vollkommen gesund. Ihr Harn hatte ein Haferkorn sofort zum Keimen gebracht, was ein sicheres und untrügliches Zeichen für Schwangerschaft ist.

Als ich eines Abends, gut gelaunt und nichts Böses ahnend, in mein Haus auf dem Aventin heimkehrte, erblickte ich im Gästezimmer Antonia mit ihrem feingeschnittenen Gesicht und dazu die alte Paulina, mit der ich seit meiner Abreise nach Achaia nicht mehr zusammengetroffen war. Sie war vom vielen Fasten ganz vom Fleisch gefallen und kleidete sich noch immer in Schwarz. In ihren alten Augen leuchtete ein überirdisches Licht.

Antonia war offensichtlich verlegen, bewahrte aber ihre spöttische Haltung und musterte mich von oben herab. Während ich mich noch fragte, ob ich ihr nicht, mit einiger Verspätung zwar, mein Beileid zu dem plötzlichen Hinscheiden ihres Gatten Faustus Sulla aussprechen müsse, sagte Tante Paulina plötzlich streng: »Du hast deine Pflichten gegenüber Claudia versäumt. Ich fordere im Namen Christi, daß du sie unverzüglich zur Gattin nimmst. Wenn du Gott nicht fürchtest, so fürchte die Plautier. Es geht um das Ansehen unseres Geschlechts.«

Auch Antonia tadelte mich: »Ich kann dein Betragen gegen meine Halbschwester nicht eben bewundern, und es wäre mir lieber, sie müßte nicht einen Mann mit einem so schlechten Ruf nehmen. Doch du hast sie verführt, sie ist schwanger, und es läßt sich nicht mehr ändern.«

Vor Verwunderung außer mir, fragte ich: »Glaubst auch du, die du eine vernünftige Frau bist, die unsinnige Geschichte von ihrer Abstammung? Claudius hat sie doch nie anerkannt!«

»Aus politischen Gründen«, sagte Antonia ruhig. »Mein Vater Claudius ließ sich seinerzeit von Plautia Urgulanilla scheiden, um meine Mutter Aelia zu heiraten, die, wie du weißt, eine Adoptivschwester des Sejanus war. Claudia wurde fünf Monate nach der Scheidung geboren, und aus Rücksicht auf meine Mutter hielt es Sejanus für unziemlich, ihr die gesetzliche Stellung einer Kaisertochter zu geben. Du weißt, welchen Einfluß Sejanus damals hatte. Um seine Gunst zu gewinnen, hatte Claudius meine Mutter geheiratet. Ich erinnere mich noch gut, daß sie sich oft über das ehrlose Benehmen meines Vaters beklagte. Über Claudias Mutter erzählt man das eine und das andere. Ich war zu hochmütig, um Claudia auch nur im geheimen als meine Halbschwester anzuerkennen, aber jetzt ist von meinem Hochmut nicht mehr viel geblieben. Deshalb möchte ich das Unrecht wiedergutmachen, das ich Claudia angetan habe.«

»Bist auch du unter die Christen gegangen?« fragte ich spöttisch.

Antonia errötete über meine Frage. »Ich bin nicht eingeweiht«, sagte sie abwehrend. »Aber ich erlaube meinen Sklaven, Christus zu verehren. Das tust auch du. Und ich möchte nicht, daß das uralte Geschlecht der Claudier mit mir ausstirbt. Ich bin bereit, dein Kind zu adoptieren, wenn es sein muß. Wenigstens hätten Nero und Poppaea immer etwas, woran sie denken könnten.«

Ich begriff, daß sie mehr aus Haß gegen Nero denn aus Liebe zu Claudia handelte. Nun mischte sich Paulina ins Gespräch und sagte: »Urgulanilla hat auf dem Totenbett den heiligsten Eid geschworen, daß Claudia wirklich die Tochter des Claudius ist. Ich war mit Urgulanilla wegen ihres lasterhaften Lebenswandels während ihrer letzten Jahre nicht mehr gut befreundet, aber ich glaube nicht, daß eine Frau in einer so ernsten Sache auf dem Totenbett einen Meineid zu schwören imstande ist. Die Schwierigkeit war von Anfang an die, daß du als Ritter dich nicht mit einer unehelich Geborenen glaubtest vermählen zu dürfen. Aus demselben Grund und aus Angst vor Claudius weigerte sich mein Gatte, Claudia zu adoptieren. Im Grunde ist Claudia jedoch sowohl römische Bürgerin als auch in der Ehe geboren. Es würde niemanden einfallen, dies zu bezweifeln, wenn sie nicht die Tochter eines Kaisers wäre.«

Claudia, die in diesen Tagen wie alle Schwangeren empfindlich war, begann zu weinen und rief: »Ich glaube nicht einmal, daß mein armer Vater mich wirklich haßte. Er ist nur so beeinflußt worden, zuerst von der unglückseligen Messalina und dann von der niederträchtigen Agrippina, daß er es nicht wagte, mich als seine Tochter anzuerkennen, selbst wenn er es gewollt hätte. In meinem Herzen habe ich ihm bereits verziehen.«

Als ich über die juristische Seite der Sache nachdachte, fiel mir ein, wie rasch ich Jucundus zum römischen Bürger gemacht hatte. »Claudia war gezwungen, sich jahrelang in einer Landstadt versteckt zu halten«, sagte ich vorsichtig. »Es ließe sich vielleicht so einrichten, daß sie in die Bürgerrolle irgendeines abgelegenen Ortes eingeschrieben wird, und zwar als Tochter eines bereits verstorbenen Vaters A und einer ebenfalls dahingeschiedenen Mutter B. Man brauchte nur eine kleine Stadt zu wählen, in der etwa ein Brand das Archiv zerstört hat. Es gibt ja Millionen römischer Bürger in den verschiedensten Ländern, und wir wissen, daß so mancher Zugewanderte behauptet, römischer Bürger zu sein, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, weil es zur Zeit nicht möglich ist, ihm das Gegenteil zu beweisen. Auf diese Weise könnte ich Claudia heiraten.«

Claudia fuhr mich zornig an: »Laß mich mit deinem Alphabet in Frieden. Ich will weder A zum Vater noch B zur Mutter. Mein Vater war Tiberius Claudius Drusus, und meine Mutter war Plautia Urgulanilla. Immerhin danke ich dir dafür, daß du die Möglichkeit zu erwägen geruhst, mich zu heiraten. Ich fasse deine Worte als eine Werbung auf, und ich habe hier zwei achtbare Zeugen.«

Paulina und Antonia beeilten sich, mich lächelnd zu beglückwünschen. Ich war in eine Falle gegangen und hatte mich doch eigentlich nur rein theoretisch zu einem juristischen Problem geäußert. Nach einigem Hin und Her kamen wir überein, eine Urkunde über Claudias Herkunft aufzusetzen, die Antonia und Paulina als Geheimdokument im Archiv der Vestalinnen hinterlegen sollten.

Die Hochzeit sollte in aller Stille stattfinden, ohne Opfer und Festlichkeiten, und in die Bürgerrolle sollte Claudia unter dem Namen Plautia Claudia Urgulanilla eingetragen werden. Daß die Behörden keine überflüssigen Fragen stellten, dafür hatte ich zu sorgen. Claudias Stellung brauchte keine Veränderung zu erfahren, denn sie stand längst mit allen Vollmachten meinem Hause vor.

Ich ging schweren Herzens auf alles ein, da mir keine andere Wahl blieb, und fürchtete, auf die übelste Art und Weise in eine politische Verschwörung gegen Nero verwickelt worden zu sein. Tante Paulina dachte gewiß an nichts dergleichen, aber Antonia sagte zuletzt ganz offen: »Ich bin einige Jahre jünger als Claudia, aber Nero erlaubt mir nicht, noch einmal zu heiraten. Und kein vornehmer Mann würde es wagen, sich mit mir zu vermählen, denn jeder weiß, wie es Faustus Sulla erging. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Sulla nicht so täppisch gewesen wäre. Er verstand es nicht, Fortuna beim Schopf zu fassen. Deshalb freute ich mich nun, daß Claudia als Tochter des Kaisers heiraten kann, wenn auch nur heimlich. Deine Durchtriebenheit, lieber Minutus, deine Rücksichtslosigkeit und dein Reichtum ersetzen vielleicht die anderen Eigenschaften, die ich mir von Claudias Gatten gewünscht hätte. Denke immer daran, daß du dich durch diese Heirat sowohl mit den Claudiern als auch mit den Plautiern verbindest.«

Paulina und Claudia baten uns, mit ihnen zusammen zu beten, daß unser Bund im Namen Christi gesegnet werde. Antonia lächelte verächtlich, sagte jedoch: »Mir ist ein Name so recht wie der andere, wenn ihr an seine Macht glaubt. Ich unterstütze seine Partei, weil ich weiß, wie sehr die Juden ihn hassen, deren Einfluß unerträglich wird. Poppaea verhilft ihnen zu Ämtern, und Nero überschüttet einen jüdischen Pantomimiker mit den kostbarsten Geschenken, obwohl der Kerl sich frech weigert, am jüdischen Sabbat aufzutreten.«

Die stolze Antonia dachte in ihrer Verbitterung offenbar an nichts anderes, als wie sie Nero und Poppaea mit allen Mitteln schaden könnte. Sie konnte gefährlich sein, obgleich sie keinen Einfluß mehr besaß, und ich war froh, daß sie so viel Verstand bewiesen hatte, erst nach Einbruch der Dunkelheit und in einer Sänfte mit geschlossenen Vorhängen in mein Haus zu kommen.

Ich war so niedergeschlagen, daß ich den letzten Rest von Stolz ablegte und mich an dem christlichen Gebet beteiligte und um Vergebung meiner Sünden bat. Ich brauchte Hilfe, einerlei woher sie kam. Kephas und Paulus und mehrere andere heilige Christen hatten immerhin in Christi Namen Wunder gewirkt. Als die Gäste gegangen waren, trank ich sogar mit Claudia aus dem Zauberbecher meiner Mutter, und dann legten wir uns, nach langem wieder miteinander ausgesöhnt, schlafen.

Wir schliefen nach diesem Tage zusammen, als wären wir schon Ehegatten, und niemand im Haus machte ein Aufhebens davon. Ich will auch nicht leugnen, daß es mir schmeichelte, das Bett mit einer Kaisertochter zu teilen. Dafür ging ich auf Claudias Wünsche ein und unterwarf mich während der Zeit der Schwangerschaft allen ihren Launen. Die Folge davon war, daß die Christen mein Haus endgültig zu ihrer Heimstatt machten. Ihre Lobpreisungen hallten von morgens bis abends so laut durch die Gegend, daß sogar die Nachbarn gestört wurden.

IX TIGELLINUS


Es hatte, von einigen Gewittern abgesehen, lange nicht geregnet. Ganz Rom litt unter Hitze, Schmutz, üblen Gerüchen und Staub. In meinem Garten auf dem Aventin war das Laub der Bäume mit einer dicken Staubschicht bedeckt, und das Gras raschelte vor Dürre. Allein Tante Laelia genoß die Hitze. Sie, die vor Alter ständig fror, ließ sich aus den kühlen inneren Räumen in den Garten hinaustragen, sog schnuppernd die Luft ein und sagte: »Ein richtiges Brandwetter ist das.«

Sie schien für Augenblicke wieder klar im Kopf zu sein und berichtete zum hundertsten Male lebhaft von der Feuersbrunst, die vor vielen Jahren den ganzen Aventin verheert hatte. Der Bankier meines Vaters hatte damals die verwüsteten Grundstücke billig aufgekauft und Mietshäuser darauf errichten lassen, aus denen ich meine Einkünfte bezogen hatte, bis ich sie im vergangenen Winter vorteilhaft verkaufte.

Als ich eines Tages wieder in meinem Garten war, glaubte ich einen Rauchgeruch wahrzunehmen. Ich achtete jedoch weiter nicht darauf und redete mir sogar ein, ich müsse mich getäuscht haben, da ich wußte, daß in dieser Sommerhitze die Brandwachen in allen Stadtbezirken wachsam Ausschau hielten und daß es verboten war, ohne besondere Notwendigkeit Feuer anzuzünden. Es wehte auch kein Wind. Die Luft war vom frühen Morgen an sengend heiß und stickig gewesen.

Irgendwo in der Ferne hörte ich Hornsignale und ein seltsames Brausen, aber erst als ich mich in die Stadt begab, stellte ich erschrocken fest, daß die ganze dem Palatin zugekehrte Längsseite der großen Rennbahn in hellen Flammen stand. Ungeheure Rauchwolken stiegen von den Wachs-, Weihrauch- und Tuchläden auf. Diese leicht entzündlichen kleinen Buden hatten keinerlei Brandmauern, weshalb das Feuer mit Blitzesschnelle um sich griff.

Um die große Brandstätte herum wimmelten die Menschen durcheinander wie Ameisen, und ich glaubte die Löschmannschaften von mindestens drei Stadtbezirken zu erkennen, die breite Brandgassen schlugen, um das rasende Flammenmeer einzudämmen. Eine solche Feuersbrunst hatte ich nie zuvor gesehen. Es war ein beklemmender Anblick, aber noch machte ich mir keine allzu großen Sorgen. Im Gegenteil, ich fand, die Löschmannschaft unseres eigenen Stadtteils hätte sich nicht den anderen anschließen sollen, sondern bleiben, wo sie war, und den Hang des Aventins bewachen.

Ich schickte einen meiner Begleiter zurück, um Claudia und die Hausgenossen zu warnen. Auf dem Weg zum Tiergarten ging ich kurz bei der Präfektur vorbei, um mich zu erkundigen, wie der Brand entstanden war. Man hatte einen reitenden Eilboten ausgeschickt, der meinen ehemaligen Schwiegervater von seinem Landgut holen sollte, aber der Stellvertreter des Präfekten fühlte sich seiner Aufgabe durchaus gewachsen.

Er beschuldigte die jüdischen Kramhändler und die Zirkusleute in den Läden und am Capuanischen Tor, leichtsinnig mit dem Feuer umgegangen zu sein, meinte aber, daß diese Warenlager rasch ausgebrannt sein würden und keine weitere Gefahr bestünde. Im Grunde hielt er die Aufrechterhaltung der Ordnung für dringlicher als die Bekämpfung des Brandes, denn schon waren zahllose Sklaven und anderes Gesindel herbeigeströmt, um die günstige Gelegenheit zu nutzen und die Zirkusbuden zu plündern.

Nach einem Rundgang durch den Tiergarten, der schwer unter der Hitze litt, und einer Beratung mit dem Tierarzt wegen der Aufbewahrung der leicht verderblichen Fleischvorräte ordnete ich an, die Käfige mit frischem Wasser zu übergießen und den Tieren mehr Wasser als üblich zu geben. Mit Sabina unterhielt ich mich sehr freundschaftlich, denn seit der Scheidung verstanden wir uns viel besser als während der Zeit unserer Ehe.

Sabina bat mich, den Aufseher über die Aquädukte aufzusuchen und dafür zu sorgen, daß die Leitungen zum Tiergarten nicht wegen des Brandes gesperrt wurden. Ich versicherte ihr, daß wir uns deshalb nicht zu bemühen brauchten, da gewiß schon die Hausvorsteher aller vornehmen Familien in derselben Angelegenheit beim Aufseher vorgesprochen hatten, um die Bewässerung ihrer Gärten bei diesem heißen Wetter sicherzustellen.

Tatsächlich erhielt ich den Bescheid, daß die Absperrung der Leitungen nur durch Senatsbeschluß oder auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers aufgehoben werden konnte. Die üblichen Sparmaßnahmen mußten streng eingehalten werden. Da der Senat im Sommer nur zusammentritt, wenn der Staat in Gefahr ist, waren die meisten Senatoren nicht erreichbar, und Nero hielt sich zufällig gerade in Antium auf.

Ich kehrte wieder zum Palatin zurück, ging an dem nun im Sommer leeren Palatium vorüber und mengte mich unter die Zuschauer, die sich auf dem Hang über der Rennbahn angesammelt hatten. Es waren zumeist Sklaven, Diener und kaiserliche Gärtner. Niemand schien ernstlich besorgt zu sein, obwohl das ganze Tal unter uns eine einzige glühende, rauchende Esse war.

Die Feuersbrunst war so gewaltig, daß sich in der Luft Wirbel bildeten. Ein heißer Wind fuhr uns ins Gesicht. Funken und schwelende Tuchfetzen segelten bis zu uns herauf. Einige der Sklaven traten gleichgültig die Glut im Grase aus, und irgendeiner fluchte, weil ihm ein Funke ein Loch in sein Untergewand gebrannt hatte. Sonst aber war in den Gesichtern der Zuschauer nur die Erregung über das gewaltige Schauspiel zu lesen.

Als ich durch die Rauchwirbel zum Aventin hinüberblickte, bemerkte ich, daß der Brand schon den Fuß des Hanges erreicht hatte und langsam gegen meinen eigenen Stadtteil vorrückte. Ich mußte mich beeilen. Daher entließ ich meine Begleiter und lieh mir ein Pferd aus Neros Ställen. Ein Eilbote galoppierte vor mir her die heilige Straße zum Forum hinunter.

Dort waren die Vorsichtigeren schon dabei, ihre Läden zu verrammeln. Nur in den großen Markthallen herrschte noch die übliche Geschäftigkeit. Ich ritt zum Tiberstrand hinunter, um auf einem Umweg mein Haus zu erreichen. Unterwegs sah ich viele Männer, die schwere Lasten trugen und entweder geplündertes Gut fortschleppten oder ihre eigene Habe zu retten versuchten.

In den engen Gassen drängte sich das Volk. Mütter riefen weinend nach ihren Kindern. Familienväter standen besorgt vor ihren Türen und fragten einander unentschlossen, was sie tun sollten. Niemand wollte sein Haus leer zurücklassen, da es bei einem so großen Brand unmöglich ist, die Ordnung aufrechtzuerhalten.

Viele riefen bereits, der Kaiser müsse aus Antium zurückkehren. Auch ich fand es an der Zeit, Notstandsmaßnahmen zu ergreifen. Zum Glück lag mein Tiergarten außerhalb der Stadt, jenseits des Marsfeldes.

Als ich nach Hause kam, befahl ich sofort den Trägern, sich mit den Sänften bereitzuhalten, und forderte Claudia und Tante Laelia auf, sich mit den Hausgenossen in den vierzehnten Stadtbezirk jenseits des Tibers zu begeben. Ein jeder sollte von seiner wertvollsten Habe so viel mitnehmen, wie er zu tragen vermochte, denn Fuhrwerke standen uns unter Tage nicht zur Verfügung.

Nur dem Türhüter und dem kräftigsten der Sklaven befahl ich, zu bleiben und das Haus vor Plünderern zu schützen. Ich gab ihnen sogar Waffen, was durch die besonderen Umstände gewiß gerechtfertigt war. Wir mußten uns beeilen, denn ich nahm an, daß andere unserem Beispiel folgen und daß die engen Gassen des Aventins bald mit Flüchtlingen verstopft sein würden.

Claudia wollte jedoch nicht fliehen. Sie sagte, sie müsse zuerst ihre Freunde unter den Christen warnen und den Alten und Schwachen helfen. Sie seien durch Christus erlöst und darum mehr wert als Gefäße aus Gold und Silber. Ich zeigte auf Tante Laelia und schrie: »Da hast du eine Alte, um die du dich kümmern kannst. Und denke wenigstens an unser ungeborenes Kind!«

In diesem Augenblick erschienen Aquila und Prisca, schwitzend, keuchend und schwere Bündel schleppend, in unserem Garten. Sie baten mich, ihre Waren in meinem Haus ablegen zu dürfen, wo sie in Sicherheit wären, denn das Feuer näherte sich schon ihrer Weberei. Ihre Einfalt machte mich rasend, und zu allem Überfluß versicherte ihnen Claudia auch noch, es bestünde für uns bestimmt noch keine Gefahr. Aquila und Prisca durften sich nicht im jüdischen Stadtteil jenseits des Tibers sehen lassen. Die Juden kannten sie und verabscheuten sie wie die Pest.

Durch den Streit und das Gejammer der Weiber verloren wir kostbare Zeit. Zuletzt wußte ich mir nicht mehr anders zu helfen. Ich versetzte Tante Laelia einen Schlag auf ihr Hinterteil und stieß Claudia mit Gewalt in eine Sänfte. Endlich setzte sich unser Zug in Bewegung. Da kamen einige Christen mit rußigen Gesichtern und weißen Brandblasen auf den Armen herbeigestürzt und fragten nach Aquila.

Mit erhobenen Armen und starren Blicken riefen sie, sie hätten mit eigenen Ohren Erde und Himmel mit Donnergetöse bersten gehört, und nun werde Christus, seinem Versprechen treu, aus einer Wolke niedersteigen. Alle Christen müßten daher ihre Bürden abwerfen und sich auf den Hügeln der Stadt versammeln, um ihren Herrn und sein neues Reich zu empfangen. Der Tag des Gerichts sei gekommen.

Prisca war eine lebenskluge, vernünftige und beherrschte Frau und wollte eine solche Botschaft nicht ohne weiteres glauben. Im Gegenteil, sie gebot den Ankömmlingen zu schweigen. Ihr selbst war keine Offenbarung zuteil geworden, und im übrigen war außer den Rauchschwaden am ganzen Himmel nichts zu sehen.

Auch ich versicherte ihnen, daß Rom zwar von einem großen Unglück heimgesucht werde, daß aber Brände in zwei oder drei Stadtbezirken noch nicht den Untergang bedeuteten. Die erschrockenen Christen waren Arme und daher gewohnt, Höhergestellten zu glauben, und der schmale roten Streifen, den ich trug, überzeugte sie vollends davon, daß ich die Lage besser überschaute als sie.

Meiner Meinung nach war es nun höchste Zeit, die Prätorianer ausrücken zu lassen und in der Stadt den Notstand auszurufen. Ich war auf diesem Gebiet nicht sehr sachkundig, aber der gesunde Menschenverstand sagte mir, daß man quer über den Aventin eine möglichst breite Brandgasse schlagen mußte, ohne die Häuser zu schonen. Sodann mußte ein Gegenfeuer angezündet werden, um diejenigen Häuser aus dem Wege zu räumen, die ohnehin verloren waren. Es war menschlich verständlich, daß ich mein eigenes altes Haus zu denen rechnete, die gerettet werden konnten.

Ich ritt fort, um die Sache mit den Triumvirn meines Stadtteils zu besprechen, und schrie ihnen, als sie zögerten, ins Gesicht, daß ich bereit sei, die Verantwortung zu übernehmen. Sie schrien, kopflos, wie sie waren, zurück, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern und es bestehe noch keine Notwendigkeit zu solchen Maßnahmen.

Ich ritt weiter zum Forum, wo von dem ganzen Brand weiter noch nichts zu sehen war als Rauchwolken über den Hausdächern, und ich schämte mich meiner Aufregung, als ich sah, wie die Menschen ihren gewohnten Beschäftigungen nachgingen. Man beruhigte mich mit der Versicherung, daß man die Sibyllinischen Bücher hervorgeholt habe, um nachzuforschen, welchem Gott man opfern mußte, damit sich der Brand nicht weiter ausbreitete.

Ein rußschwarzer, bekränzter Stier wurde eben in den Tempel des Vulcanus geführt. Einige alte Männer meinten, es sei, früheren Erfahrungen nach zu urteilen, das klügste, gleichzeitig auch Proserpina zu opfern. Sie waren überzeugt, daß Roms Schutzgenien und uralte Hausgötter nicht zulassen würden, daß das Feuer allzu weit um sich griff. Man brauchte nur die Sibyllinischen Bücher zu befragen, warum die Götter zürnten.

Ich glaube, es wäre ohne weiteres möglich gewesen, den Brand einzudämmen, wenn man gleich am ersten Tag zu entschlossenen und schonungslosen Maßnahmen gegriffen hätte. Es fand sich jedoch niemand, der die Verantwortung übernehmen wollte. Tigellinus’ Stellvertreter schickte lediglich auf eigene Faust einige Kohorten Prätorianer aus, die die unmittelbar bedrohten Straßen räumten und leidlich für Ruhe und Ordnung sorgten.

Gegen Abend traf der Präfekt Flavius Sabinus in der Stadt ein und befahl zu allererst allen Löschmannschaften, den Palatin zu schützen, in dessen Gärten schon die Pinien lichterloh brannten. Dann forderte er Mauerbrecher und Belagerungsmaschinen an, die jedoch erst am nächsten Tag eingesetzt werden konnten, als Tigellinus aus Antium zurückkehrte und mit kaiserlichem Auftrag entschlossen die Führung übernahm. Nero selbst wollte seinen Erholungsaufenthalt des Brandes wegen nicht abbrechen und hielt seine Anwesenheit in der Stadt nicht für notwendig, obwohl das Volk auf den Straßen seinen Namen rief.

Als Tigellinus jedoch einsah, daß die Gebäude auf dem Palatin nicht mehr zu retten waren, drang er selbst darauf, daß Nero nach Rom zurückkehrte, um das Volk zu beruhigen. Nero war wegen seiner griechischen Kunstschätze so besorgt, daß er die ganze Strecke von Antium nach Rom ohne Rast in einem einzigen Ritt zurücklegte. Auch zahlreiche Senatoren und vornehme Ritter strömten von ihren Landsitzen herbei. Es gelang Tigellinus nicht, sie zur Vernunft zu bringen. Ein jeder wollte nur sein eigenes Haus und seine eigenen Schätze retten, und sie führten sogar entgegen dem allgemeinen Verbot Ochsengespanne und Karren mit, so daß der Verkehr auf den Straßen vollends ins Stocken geriet.

Nero verlegte seine Befehlsstelle in die Gärten des Maecenas auf dem Esquilin und bewies in der Stunde der Gefahr Vernunft und Entschlossenheit. Flavius Sabinus dagegen brach zusammen und weinte. Ich selbst war, während ich die Flüchtlingsströme lenkte, einmal von den Flammen umzingelt worden und hatte mir einige Brandwunden zugezogen.

Vom Turm des Maecenas aus konnte Nero die ganze Ausdehnung des Brandes überblicken. Er zeichnete auf einer Karte nach den Anweisungen des Tigellinus die bedrohten Bezirke an, die geräumt und niedergebrannt werden mußten, sobald die Brandgassen fertig waren. Die einzelnen Maßnahmen waren nun besser aufeinander abgestimmt. Die Patrizier wurden aus ihren Häusern vertrieben, die Mauerbrecher begannen die gefährlichen Getreidespeicher niederzurammen, und bei der Anlage der Brandgassen wurden weder Tempel noch Prachtbauten geschont.

Nero hielt es für wichtiger, Menschenleben zu retten als Schätze, und sandte Hunderte von Herolden aus, die die Massen der flüchtenden in die Bezirke und Stadtteile führten, von denen man hoffte, daß sie verschont bleiben würden. Diejenigen, die sich weigerten, die Häuser zu verlassen, die aufgegeben werden mußten, wurden mit Waffengewalt daraus vertrieben, und in den engen Gassen durften keine Möbel oder andere sperrige Gegenstände mehr befördert werden. Nero eilte selbst, schmutzig von Rauch und Ruß, mit seiner Leibwache von Ort zu Ort, um die Verängstigten zu beruhigen und Verhaltensmaßregeln zu erteilen. Einmal nahm er ein weinendes Kind in die Arme und gab es seiner Mutter zurück, während er die Umstehenden bat, in seinen eigenen Gärten jenseits des Flusses Schutz zu suchen. Alle öffentlichen Gebäude in der Nähe des Marsfeldes wurden den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt.

Die Senatoren, die wenigstens ihre Ahnenmasken und Penaten zu retten versuchten, konnten nicht fassen, warum die Soldaten sie mit der flachen Klinge aus ihren eigenen Häusern jagten und die Gebäude mit Fackeln in Brand steckten.

Unglücklicherweise entstand durch den ungeheuren Brand ein gewaltiger Sturm, der das Feuer über den ganzen, ein Stadion breiten Schutzstreifen trug. Die Löschmannschaften waren von den Anstrengungen der letzten Tage so erschöpft, daß es ihnen nicht mehr möglich war, die weitere Ausbreitung des Feuers zu verhindern. Manche fielen vor Müdigkeit zu Boden, schliefen ein und kamen in den Flammen um.

Um Suburra zu schützen, wurde eine neue, noch breitere Brandgasse geschlagen, aber Tigellinus war auch nur ein Mensch und versuchte die uralten Bäume in seinem eigenen Garten zu schonen. Dadurch konnte die Feuersbrunst, die am sechsten Tag beinahe am Erlöschen war, auch auf Suburra übergreifen, und sie pflanzte sich in den hohen, zum Teil aus Holz gezimmerten Häusern so rasch fort, daß die Menschen in den obersten Stockwerken oft nicht einmal mehr Zeit hatten, sich auf die Straßen zu retten. Hunderte, vielleicht Tausende verbrannten auf diese Weise.

Um diese Zeit verbreitete sich das Gerücht, Nero habe die Stadt mit Absicht in Brand stecken lassen, und dieses Gerücht war so unsinnig, daß sich sofort Leute fanden, die es glaubten. Gab es doch zahllose Zeugen, die selbst gesehen hatten, wie Soldaten mit Fackeln Feuer an die Häuser legten und ihre Bewohner vertrieben. In der allgemeinen Verwirrung, der Erregung, der Erschöpfung durch Schlafmangel und unerhörte Anstrengungen fand sogar die Behauptung der Christen, daß der Tag des Gerichts gekommen sei, da und dort Glauben.

Niemand wagte Nero zu berichten, wessen man ihn beschuldigte. Als vorzüglicher Schauspieler bewahrte er die Ruhe und ließ, während noch der Brand wütete, die besten Baumeister Roms rufen, um den Wiederaufbau der Stadt zu planen. Er sorgte auch gleich dafür, daß aus den Nachbarstädten Lebensmittel in das notleidende Rom gebracht wurden. Wenn er aber auf seinen täglichen Rundgängen die Menschen, die alles verloren hatten, mit Versprechungen tröstete, bekam er immer öfter drohende Rufe zu hören. Man bewarf die Prätorianer mit Steinen, und einige klagten Nero an, er habe die Stadt zerstört.

Nero war bestürzt. Er beherrschte sich jedoch und sagte mitleidig: »Die armen Menschen haben den Verstand verloren.«

Er kehrte in die Gärten des Maecenas zurück und befahl endlich, die Absperrung der Aquädukte aufzuheben, obwohl dies bedeutete, daß die Bewohner der vom Feuer verschonten Stadtteile eine Zeitlang Durst leiden mußten. Ich ritt rasch zum Tiergarten, um zu veranlassen, daß alle Wasserzisternen rechtzeitig gefüllt wurden. Zugleich ordnete ich an, daß alle Tiere getötet werden mußten, wenn der Brand das Amphitheater, das aus Holz war, erreichte. Es bestand zwar noch keine wirkliche Gefahr, aber meine Augen brannten und meine Brandwunden quälten mich so sehr, daß ich den Mut verlor und es für durchaus möglich hielt, daß die ganze Stadt den Flammen zum Opfer fiel. Ich mußte um jeden Preis verhindern, daß die Tiere ausbrachen und plötzlich unter den vielen Obdachlosen frei umherliefen.

Gegen Abend wurde ich von einem Boten, der mich zu Nero rief, aus dem tiefsten Schlaf geweckt. Ich war kaum gegangen, als Sabina auch schon meinen Befehl widerrief und jedem, der den Tieren etwas antat, mit dem Tode drohte.

Als ich auf weiten Umwegen durch die vom Feuer erhellte Stadt zu den Gärten des Maecenas ging, ein nasses Tuch als Schutz um den Kopf gewickelt, ergriff mich eine trostlose Weltuntergangsstimmung. Ich dachte an die schrecklichen Prophezeiungen der Christen, aber auch an die griechischen Philosophen, die behaupteten, daß aus dem Feuer alles entstanden sei und im Feuer alles vergehen werde.

Ich begegnete grölenden, lallenden Betrunkenen, die ihren Durst in Ermangelung von Wasser in irgendeinem verlassenen Weinkeller gestillt hatten und nicht minder betrunkene Weiber mitschleppten. In dichten Haufen standen die Juden beisammen und sangen Hymnen an ihren Gott. An einer Straßenecke stieß ich mit einem verstörten Mann zusammen, dessen Bart versengt war und der mich umarmte, das geheime Zeichen der Christen machte und mich aufforderte, Buße zu tun, denn der Tag des Gerichts sei gekommen.

Am Turm des Maecenas stand Nero und erwartete ungeduldig seine Freunde. Zu meiner Verwunderung trug er den langen gelben Mantel der Sänger und einen Kranz auf dem Kopf. Tigellinus stand mit der Zither neben ihm.

Nero brauchte Zuhörer und hatte allen hochgestellten Römern, von denen er wußte, daß sie sich in der Stadt aufhielten, Boten geschickt. Überdies hatte er an die tausend Prätorianer kommen lassen, die unter den mit Wasser berieselten Bäumen im Grase lagen und gierig aßen und tranken. Unter uns glühten die brennenden, schwelenden Stadtteile wie tiefrote Inseln in der Dunkelheit, und gewaltige Rauchsäulen stiegen zum Himmel empor.

Nero vermochte sich nicht länger zu gedulden. »Vor uns liegt ein Anblick, wie er seit der Zerstörung Trojas keinem Sterblichen mehr zuteil wurde!« rief er mit weithin hallender Stimme. »Apoll selbst ist im Traum zu mir herabgestiegen, und als ich erwachte, quollen die Strophen aus meinem Herzen wie in göttlichem Wahnsinn. Ich werde euch Verse vorsingen, die ich über den Brand Trojas gedichtet habe, und mir ahnt, daß es Verse sind, die durch alle künftigen Zeiten klingen und Nero als Dichter unsterblich machen werden!«

Ein Herold wiederholte seine Worte, während Nero auf den Turm stieg. Dort war nicht für viele Platz, aber wir drängten uns alle in seine Nähe. Er begann zu singen und begleitete sich selbst. Seine kraftvolle Stimme klang laut über das Prasseln und Brausen des Brandes hinaus und erreichte die Zuhörer in den Gärten ringsumher. Er sang wie in einem Rausch, und sein Sekretär reichte ihm ständig neue Strophen, die er im Laufe des Tages diktiert hatte. Und während er sang, dichtete Nero neue dazu, die ein anderer Schreiber in Kurzschrift festhielt.

Ich war oft genug im Theater gewesen, um zu erkennen, daß er bekannte Verse frei wiedergab oder abänderte, entweder unbewußt seiner Eingebung gehorchend oder indem er bewußt von der Freiheit Gebrauch machte, die man dem Künstler in diesen Dingen zugesteht. Er sang mehrere Stunden ohne Unterbrechung. Die Zenturionen hatten alle Mühe, die erschöpften Prätorianer im Grase mit ihren Stäben wachzuhalten.

Die Sachverständigen aber konnten ihm nicht oft genug versichern, sie hätten noch nie einen so strahlenden Gesang vor einem so erhabenen Hintergrund gehört. Sie brachen in Beifallsrufe aus und sagten, was wir nun erlebten, würden wir unseren Kindern und Kindeskindern erzählen, und die Erinnerung daran werde in aller Zukunft nicht erlöschen.

Ich selbst fragte mich im stillen, ob Nero nicht am Ende wahnsinnig geworden sei. Doch ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß ihn, empfindlich wie er war, die unsinnigen Anklagen gewiß tief gekränkt hatten und daß er in diesen Stunden die Last des Herrschens abwarf, um sich durch seine Kunst zu erleichtern und zu trösten.

Er brach seine Vorstellung erst ab, als er von dem immer dichter heranwallenden Rauch husten und sich in den Mantelsaum schneuzen mußte. Wir riefen rasch wie aus einem Munde, er möge doch seine göttliche Stimme schonen. Er war hochrot im Gesicht und schwitzte, aber er strahlte vor Triumph und versprach, am nächsten Abend weiterzusingen. Von den Rändern der Brandherde unter uns in der Stadt erhoben sich dichte Dampfwolken, als das Wasser aus den geöffneten Aquädukten zwischen den schwelenden Ruinen ausströmte.

Tullias Haus auf dem Virinal lag ziemlich nahe. Ich beschloß, mich dorthin zu begeben, um während der Morgenstunden noch ein wenig zu schlafen. Um meinen Vater hatte ich mir noch keine Sorgen gemacht, da das Haus vorerst noch sicher war. Ich wußte nicht einmal, ob er überhaupt von seinem Landaufenthalt zurück war. Unter den Senatoren, die Neros Gesang lauschten, hatte ich ihn nicht entdeckt.

Ich fand ihn einsam wachend und mit rotgeränderten Augen in Tullias beinahe völlig verlassenem und ausgeräumten Haus. Er sagte mir, daß Tullia schon am ersten Tag der Feuersbrunst mit Hilfe von tausend Sklaven alle wertvollen Gegenstände auf eines ihrer Landgüter gebracht hatte.

Jucundus, der seit dem Frühjahr einen schmalen roten Streifen auf seinem Untergewand trug, war mit einigen Kameraden aus der Palatiumschule in der Stadt umhergestreift, um das Feuer zu beobachten, und hatte sich beide Füße verbrannt, als plötzlich aus einem der brennenden Tempel ein Strom von geschmolzenem Silber und Gold auf die Straßen geronnen war. Man hatte ihn nach Hause getragen, und Tullia hatte ihn aufs Land mitgenommen. Mein Vater meinte, er werde vielleicht fürs Leben ein Krüppel bleiben, und fügte hinzu: »So braucht dein Sohn wenigstens nicht Kriegsdienst zu tun und sein Blut in den Wüsten jenseits des Euphrat zu vergießen.«

Ich bemerkte zu meiner Verwunderung, daß er zuviel Wein getrunken hatte, und nahm an, Jucundus Unglück habe ihn so erschüttert. Er erriet meine Gedanken und sagte übellaunig: »Warum sollte ich nicht ab und zu trinken! Ich fühlte, daß mein Todestag nahe ist. Wegen Jucundus mache ich mir keine Sorgen. Er hatte allzu flinke Füße, und sie haben ihn schon auf gefährliche Wege geführt. Es ist besser, als Krüppel Gottes Reich zu finden, als im Herzen verdorben zu werden. Ich selbst war ein Krüppel im Geiste, seit deine Mutter starb, Minutus.«

Mein Vater war schon weit über sechzig und kehrte in der Erinnerung gern in vergangene Zeiten zurück. Man denkt in seinem Alter mehr an den Tod als in meinem, weshalb ich seine Ahnungen nicht ernst nahm. Ich fragte vielmehr neugierig: »Was sagtest du da über die Wüsten jenseits des Euphrat?«

Mein Vater nahm einen gierigen Schluck aus seinem goldenen Becher und erzählte: »Unter Jucundus’ Schulkameraden gibt es Königssöhne aus dem Osten. Deren romfreundliche Väter betrachteten die Niederwerfung Parthiens als eine Lebensnotwendigkeit, und diese jungen Männer sind römischer als die Römer selbst, was sich auch von Jucundus sagen läßt. Die Frage ist im Senat schon oft besprochen worden. Sobald es Corbulos gelingt, Armenien zu befrieden, hat Rom dort eine Stütze, und Parthien gerät in die Zange.«

»Wie kannst du an Krieg denken, da Rom von einem so großen Unglück heimgesucht wird!« rief ich. »Drei ganze Stadtbezirke sind zerstört und sechs weitere stehen noch in Flammen. Uralte Mahnmale sind vernichtet worden, der Vestatempel ist niedergebrannt, ebenso das Tabularium mit allen Gesetzestafeln. Wieviel Zeit und Geld wird es kosten, Rom wiederaufzubauen, und wie kannst du unter solchen Umständen einen Krieg überhaupt für möglich halten?«

»Gerade jetzt halte ich einen Krieg für möglich«, sagte mein Vater nachdenklich. »Ich habe weder Gesichte noch Offenbarungen, wenngleich ich in letzter Zeit Dinge träume, die mich nachdenklich stimmen. Doch reden wir nicht von Träumen. Der Wiederaufbau Roms wird eine schwere Besteuerung der Provinzen mit sich bringen, und das wird Unzufriedenheit wecken, da die Reichen und die Kaufleute die Steuern zuletzt auf das Volk abwälzen. Wenn die Unzufriedenheit um sich greift, wird man die Regierung tadeln, und nach den Regeln der Staatskunst ist ein Krieg das beste Mittel, der Unzufriedenheit im Innern des Reiches einen Auslauf zu verschaffen. Und wenn der Krieg einmal begonnen wurde, finden sich auch immer die Mittel, ihn fortzusetzen. Du weißt selbst, daß man allgemein über die Verweichlichung Roms und den Verfall seiner kriegerischen Tugenden klagt. Es ist wahr, daß die Jungen die Tugenden der Väter verspotten und Parodien auf die Werke des Livius aufführen. Deshalb haben sie aber doch Wolfsblut in den Adern.«

»Nero will keinen Krieg«, wandte ich ein. »Er war ja sogar bereit, Britannien aufzugeben. Der Lorbeer des Künstlers ist das einzige, wonach er strebt.«

»Ein Herrscher ist zuletzt gezwungen, dem Willen des Volkes zu gehorchen, sonst sitzt er nicht lange auf seinem Thron«, erwiderte mein Vater. »Das Volk als solches will natürlich keinen Krieg, sondern Brot und Zirkusspiele, aber es gibt Kräfte, die sich von einem Krieg persönlichen Gewinn versprechen. Noch nie zuvor in der Geschichte haben einzelne so große Vermögen angesammelt wie heute. Freigelassene Sklaven treiben größeren Aufwand als die Vornehmen Roms, weil sie sich nicht durch althergebrachte Sitten verpflichtet fühlen, mehr auf den Vorteil des Staates zu sehen als auf ihren eigenen. Du weißt noch nicht, Minutus, was für eine ungeheure Macht Geld hat, das sich mit Geld verbindet.«

Plötzlich unterbrach er sich und sagte: »Da wir gerade von Geld reden: es gibt zum Glück Dinge, die mehr wert sind. Ich hoffe, du hast den Holzbecher deiner Mutter gut verwahrt!«

Ich hatte den Becher während des Streits mit Claudia völlig vergessen, und da ich annahm, daß mein Haus auf dem Aventin mittlerweile niedergebrannt sei, hielt ich auch den Becher für verloren. Ich stand zornig auf und sagte: »Du bist betrunkener, als du weißt. Geh und leg dich schlafen. Ich muß zu meinen Geschäften zurückkehren. Die Furien hetzen heute nacht nicht nur dich.«

Empfindlich wie alle Betrunkenen rief mein Vater, ich solle an seine Ahnungen denken, wenn er einmal tot sei, und er werde nicht mehr lange unter den Lebenden weilen. Ich verließ sein Haus und kehrte, an den Rändern der weit ausgedehnten Brandstätten entlang irrend, zum Aventin zurück. Die Hitze zwang mich, über die Brücke in den jüdischen Stadtteil zu gehen und mich weiter oben wieder über den Fluß rudern zu lassen. Wer in diesen Tagen ein Boot besaß, verdiente sich ein Vermögen, indem er die Flüchtlinge über den Strom setzte.

Zu meiner Verwunderung schien der dem Fluß zugekehrte Hang des Aventins noch verschont geblieben zu sein. Ich ging in dem dichten Rauch jedoch mehrere Male in die Irre und sah den Tempel der Mondgöttin und dessen Umgebung in rauchenden Trümmern liegen. Mein eigenes Haus aber war unversehrt geblieben. Vermutlich hatte der Wind, der an anderen Stellen eine so verheerende Wirkung ausgeübt hatte, das Feuer von der Kuppe des Aventins ferngehalten, wo nicht einmal eine richtige Brandgasse angelegt worden war. Man hatte nur einige wenige Häuser niedergerissen.

Der achte Morgen seit Ausbruch des Brandes graute über den Ruinen. In meinem Garten lagen dicht gedrängt Hunderte von Männern, Frauen und Kindern. Sogar in den leeren Wasserbecken schliefen Menschen. Ich schritt über die auf dem Boden Liegenden hinweg zum Haus, das keiner zu betreten gewagt hatte, obwohl die Türen weit offenstanden.

Ich stürzte in mein Zimmer, fand meine verschlossene Truhe und auf ihrem Boden den alten, in ein Seidentuch eingeschlagenen Holzbecher. Als ich ihn herausnahm, wurde ich in meiner Erschöpfung von abergläubischer Furcht ergriffen, so als hielte ich einen wundertätigen Gegenstand in der Hand, und der unheimliche Gedanke schoß mir durch den Kopf, daß der geheimnisvolle Becher der Glücksgöttin vielleicht mein Haus beschützt hatte. Dann aber vermochte ich nichts mehr zu denken. Mit dem Becher in der Hand fiel ich auf das Bett nieder und versank in den tiefsten Schlaf meines Lebens.

Ich schlief, bis der Abendstern aufging, und erwachte von dem Gesang und den lauten Freudenrufen der Christen. Ich war noch so schlaftrunken, daß ich zornig nach Claudia rief, um ihr zu sagen sie solle mit ihren Freunden leiser sein. Ich glaubte, es sei früher Morgen und meine Klienten und Freigelassenen erwarteten mich. Erst als ich in den Garten hinauseilte, erinnerte ich mich an die grauenvolle Zerstörung und alles, was geschehen war.

Der Feuerschein am Himmel sagte mir, daß in der Stadt noch immer Brände wüteten, aber das Schlimmste schien doch vorüber zu sein. Ich suchte aus den vielen Menschen meine eigenen Sklaven heraus und lobte sie, daß sie geblieben waren und mutig und, ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben mein Haus bewacht hatten. Die übrigen Sklaven ermahnte ich, unverzüglich ihre Herren aufzusuchen, um nicht als Entlaufene bestraft zu werden.

Danach herrschte in meinem Garten nicht mehr ein so großes Gedränge, aber mehrere Kleinhändler und Handwerker, die alles, was sie besaßen, verloren hatten, baten mich flehentlich, fürs erste bleiben zu dürfen, da sie nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten. Sie hatten Greise und Säuglinge bei sich, und ich brachte es nicht übers Herz, sie zu verjagen.

Ein Teil der Tempel auf dem Kapitolinischen Hügel reckte noch unversehrte Säulen gegen den flammend roten Himmel. Wo die Ruinen schon ausgekühlt waren, suchten Diebe unter Einsatz des Lebens nach geschmolzenem Metall. Tigellinus ließ noch am selben Tag die Brandstätten durch Soldaten absperren. Um alle Unordnung zu vermeiden, durften nicht einmal die Hauseigentümer zurückkehren und in den Ruinen graben.

Im Tiergarten mußten meine Leute zu Speer und Bogen greifen, um die Wasserbecken und die Lebensmittel- und Futtervorräte zu schützen. Aus den Freigehegen wurden mehrere Hirsche und Antilopen gestohlen und geschlachtet. Nur an die Auerochsen wagte sich niemand heran.

Da das Feuer alle Thermen vernichtet hatte, krönte Nero sein zweites Auftreten als Dichter durch ein Bad in einem der heiligen Becken. Es war ein gefährliches Unternehmen, aber er verließ sich auf seine Schwimmkunst und seine Körperkräfte. Das Volk nahm es übel auf und beschuldigte ihn im stillen, er habe, nachdem er Rom in Brand gesteckt hatte, nun auch noch das letzte Trinkwasser mit seinem Körper verunreinigt. Er war in Wirklichkeit in Antium gewesen, als das Feuer ausbrach, aber davon wollten die Aufwiegler nichts wissen.

Ich habe Rom nie so sehr bewundert wie in diesen Tagen, als ich sah, wie rasch der Bevölkerung geholfen wurde und wie planmäßig und zielbewußt man die Aufräumungsarbeiten und den Wiederaufbau der Stadt in Angriff nahm. Die Städte in der näheren und weiteren Umgebung erhielten den Befehl, Hausrat und Kleider zu schicken. Für die Obdachlosen wurden Befehlsunterkünfte errichtet. Getreideschiffe, die ausgeladen wurden, mußten Schutt an Bord nehmen und in den Sümpfen vor Ostia abladen.

Der Getreidepreis wurde auf zwei Sesterze gesenkt. Das war der niedrigste Preis, von dem man je gehört hatte. Ich erlitt dadurch keine Verluste, denn der Staat sicherte den Getreidehändlern höhere Preise zu. Täler wurden aufgefüllt, verbrannte Hügel abgetragen. Nero nahm das ganze Gebiet zwischen Palatin, Caelius und Esquilin in Besitz, wo er einen neuen Palast errichten lassen wollte, und im übrigen wurden in den Ruinenfeldern ohne Rücksicht auf den früheren Stadtplan Baugründe und breite Straßen abgesteckt.

Wer sein Haus nach den neuen Bauvorschriften wieder aufbauen konnte und wollte, erhielt eine Anleihe aus der Staatskasse, mußte aber innerhalb eines bestimmten Zeitraums bauen, wenn er nicht seines Rechts verlustig gehen wollte.

Alle Häuser mußten aus Stein errichtet werden, und die Höhe war auf drei Stockwerke begrenzt. Auf der Straßenseite war eine Arkade vorgeschrieben, und jeder Hof mußte seine eigene Wasserzisterne haben. Die Wasserverteilung wurde neu geregelt, so daß die Reichen nicht mehr so viel für ihre Gärten und Thermen verbrauchen konnten, wie sie wollten.

Diese notwendigen Zwangsmaßnahmen weckten allgemeine Verbitterung. Nicht nur die Vornehmen beklagten sich, auch das Volk murrte und behauptete, die neuen breiten, sonnigen Straßen seien viel ungesünder als die alten krummen Gassen, die im Sommer kühl und schattig waren und in den Nächten den Verliebten ein Versteck boten. Man fürchtete, die Früh- und Zwangsehen könnten überhandnehmen, wenn man sich nur noch innerhalb der vier Wände lieben durfte.

Die Städte und die Reichen in den Provinzen wetteiferten darin, Geldsummen für den Wiederaufbau Roms zu spenden. Dennoch reichten die Mittel bei weitem nicht, und man hob daher Steuerzuschläge ein, die sowohl Einzelpersonen wie ganze Städte an den Rand des Ruins brachten.

Allein der Wiederaufbau des großen Zirkus, der Tempel und Theater nach den Plänen Neros schien darauf abzuzielen, die ganze Welt bettelarm zu machen. Dazu wurde noch sein Plan bekannt, ein riesiges Bauwerk von noch nie gesehenen Ausmaßen zu errichten, und als man sah, was für ungeheure Flächen er sich mitten in der Stadt für seinen eigenen Gebrauch vorbehielt, kannte die Unzufriedenheit des Volkes keine Grenzen mehr. Nero hatte unter anderem das ganze Gebiet, auf dem die durch Mauerbrecher niedergerissenen Getreidespeicher gestanden waren, in Beschlag genommen, und man glaubte nun um so bereitwilliger, daß wirklich er selbst die Stadt hatte anzünden lassen, um Platz für sein Goldenes Haus zu schaffen.

Zu Beginn des Herbstes spülten einige heftige Gewitter den Ruß von den Ruinen. Tag und Nacht wurden auf Ochsenkarren Bausteine in die Stadt gebracht. Das unaufhörliche Klopfen und Hämmern auf den Baustellen machte den Aufenthalt unerträglich. Um die Arbeit so rasch wie möglich voranzutreiben, hielt man nicht einmal die Festtage ein. Das Volk, das an freie Mahlzeiten, Zirkusvorstellungen und andere Vergnügungen gewöhnt war, stöhnte und fand, man tue des Guten zuviel und das Leben in Rom sei noch nie so unbehaglich gewesen.

Das Entsetzen über das Ausmaß der Zerstörung, der Schrecken, die ausgestandene Lebensgefahr, all dies ließ die Bürger nicht zur Ruhe kommen. Männer mit Konsulsrang scheuten sich nicht, öffentlich zu erzählen, wie sie aus ihren Häusern gejagt worden waren und wie betrunkene Soldaten, die sich auf den Befehl des Kaisers beriefen, die Gebäude in Brand gesteckt hatten, bevor noch das Feuer in die Nähe gekommen war.

Andere wußten zu berichten, daß die Christen ihre Freude offen gezeigt und während des Brandes Dankhymnen gesungen hätten. Das gewöhnliche Volk unterschied nicht zwischen Christen und Juden. Man machte einander darauf aufmerksam, daß der jüdische Stadtteil jenseits des Tibers sowie gewisse andere von Juden bewohnte Bezirke in der Stadt selbst vom Feuer verschont worden waren.

Die Absonderung der Juden, ihre zehn selbständigen Synagogen und die eigene Gerichtsbarkeit, die der Rat der Juden ausübte, hatten das Volk schon immer gereizt. Die Juden duldeten ja nicht einmal das Bild des Kaisers in ihren Bethäusern, und über ihre Zauberkünste gingen zahllose Gerüchte um.

Wenn man auch in der ganzen Stadt, offen und versteckt, Nero als den Urheber des Brandes beschuldigte, so sah man doch ein, daß er als Kaiser nicht bestraft werden konnte. Es bereitete den Menschen eine gewisse Genugtuung, ihn anzuklagen, aber das Unglück, das Rom getroffen hatte, war so groß, daß es irgendeine Art von Sühne forderte.

Die vornehmen, uralten Familien, die ihre kostbaren Erinnerungsstücke an vergangene Zeiten und sogar die Wachsmasken ihrer Toten verloren hatten, klagten Nero mit der größten Erbitterung an. Auf ihre Seite schlugen sich alle reichen Emporkömmlinge, die ihr Vermögen durch Steuern zu verlieren fürchteten. Das Volk selbst sah nur, wie schnell seine Not gelindert worden war. Es brauchte ja für die Hilfe nichts zu bezahlen. Nach alter Sitte betrachtete es den Kaiser, der auch Volkstribun auf Lebenszeit war, als den Beschützer seiner Rechte gegenüber den Vornehmen und seine Person als unverletzlich. Daher empfand es nichts als Schadenfreude, als die Reichen ihre Grundstücke an den Kaiser abtreten und sich eine empfindliche Einschränkung ihrer Vorrechte gefallen lassen mußten. Die Sonderstellung der Juden dagegen war dem Volk seit eh und je ein Dorn im Auge gewesen.

Man behauptete, die Juden hätten den Brand vorausgesagt, und erinnerte sich gern daran, daß Claudius sie seinerzeit aus Rom vertrieben hatte. Es dauerte nicht lange, bis man zuerst andeutete und dann offen aussprach, die Juden und niemand anders hätten den Brand gelegt, damit sich ihre eigene Voraussage erfüllte und sie ihren Nutzen aus der Not des Volkes ziehen konnten.

Das waren gefährliche Behauptungen, und mehrere angesehene Juden wandten sich daher an Poppaea, um ihr – und durch ihre Vermittlung Nero – zu erklären, wie groß der Unterschied zwischen Juden und Christen sei. Sie hatten einen schweren Stand, denn Jesus von Nazareth war unleugbar Jude gewesen, und die Lehre, daß er der Christus sei, entstammte den Vorstellungen der Juden. Und wenn auch die Mehrheit der Christen in Rom nicht beschnitten war, so waren doch ihre Führer noch immer Juden, die sich von den Rechtgläubigen abgesondert hatten.

Poppaea hielt sich für eine gottesfürchtige Frau, sie verehrte den Tempel in Jerusalem und glaubte an Abraham und Moses. Über den Messias, der in den heiligen Schriften vorausgesagt wurde, hatten die Juden jedoch vorsichtshalber kaum mit ihr gesprochen. Daher vermochte sie nun ihren Erklärungen nicht zu folgen und ließ sogar mich in ihre Gemächer auf dem Esquilin rufen, damit ich ihr verständlich machte, was die Juden eigentlich wollten.

»Sie wollen, daß du ihre Glaubenszwiste schlichtest«, sagte ich im Scherz. Aber die Juden ereiferten sich.

»Mit diesen Dingen scherzt man nicht!« riefen sie. »Der Gesalbte der Christen ist nicht der Messias der Juden. Verflucht sei, wer ihn als den Christus anerkennt! Von ihm sagen wir uns los, sei er beschnitten oder unbeschnitten. Die Christen waren es, die den Tag des Gerichts voraussagten und während des Brandet Dankhymnen sangen. Ihr Verbrechen ist nicht das unsere.«

»Die Christen sind keine Verbrecher«, fiel ich ihnen rasch ins Wort. »Sie sind demütige und vielleicht ein wenig einfältige Menschen, dümmer jedenfalls als ihr. Und glauben die Juden etwa nicht an das Jüngste Gericht und das Tausendjährige Reich?«

Die Juden betrachteten mich finster, berieten eine Weile unter sich und sagten dann: »Über solche Dinge sprechen wir nicht mit Hunden. Wir wollen nur versichern, daß die Schuld der Christen nicht uns Juden anhaftet.«

Ich fühlte, daß das Gespräch, so wie es nun verlief, schlimme Folgen haben konnte, und sagte daher: »Ich sehe deinen bekümmerten Augen an, daß dein Kopf zu schmerzen beginnt, Poppaea, und will darum kurz zusammenfassen, worum es geht: Die Juden wollen mit den Christen nichts zu schaffen haben. Sie betrachten sich selbst als Fromme. Von den Christen glauben sie nur das Schlechteste, von sich selbst nur Gutes. Das ist alles.«

Als ich die haßerfüllten Blicke der Juden bemerkte, fuhr ich fort: »Es mag sein, daß sich unter den Christen ehemalige Verbrecher und Übeltäter finden, die sich gebessert haben und denen ihre Sünden vergeben wurden. Ihr König soll zu den Sündern gekommen sein, nicht zu den Frommen. Im allgemeinen aber sind die Christen sanftmütig und friedfertig. Sie speisen die Armen, helfen den Witwen und trösten die Gefangenen. Ich weiß über sie nichts Böses zu sagen.«

Poppaea fragte neugierig: »Von was für einer Schuld sprechen sie? Es ist in all dem etwas Dunkles, das ich nicht begreife.«

Ich erklärte ihr spöttisch: »Du hast gewiß gehört, was für unsinnige Gerüchte über die Ursache des großen Unglücks verbreitet werden. Ich glaube, die Juden wollen auf Umwegen zu verstehen geben, daß nicht sie es waren, die Rom anzündeten, und daß diese Behauptung ebenso vernunftwidrig sei, wie wenn man den Kaiser selbst anklagte.«

Ich hätte mir meinen Spott sparen können. Poppaea fürchtete die Zauberkünste der Juden zu sehr. Ihr Gesicht erhellte sich, und sie rief: »Jetzt verstehe ich! Geht in Frieden eures Wegs, ihr heiligen Männer! Ich werde nicht zulassen, daß man Böses von euch denkt. Ihr habt gut daran getan, mir zu sagen, daß ihr die Christen nicht als Juden anerkennt.«

Die Juden segneten sie im Namen eines Gottes, den sie Halleluja nannten, und entfernten sich. Als sie gegangen waren, sagte ich: »Du weißt sicherlich, daß die Juden die Christen nur aus Eifersucht hassen. Die Christen haben viele, die ehedem den Gott der Juden verehrten, zu ihrem Glauben bekehrt, und dadurch sind sowohl den Synagogen als auch dem Tempel zu Jerusalem viele Geschenke verlorengegangen.«

Poppaea antwortete mir jedoch: »Wenn die Juden Grund haben, die Christen zu hassen, dann sind die Christen gewiß gefährlich. Du sagtest selbst, daß sie Verbrecher und Übeltäter sind.«

Sie wollte keine Erklärungen mehr hören, die in ihrem reizenden Köpfchen ohnehin keinen Platz fanden, und ich glaube, sie ging geradewegs zu Nero, um ihm zu berichten, daß die Christen, die allesamt Verbrecher seien, Rom angezündet hätten.

Nero hörte es gern und befahl Tigellinus unverzüglich, zu untersuchen, wie man die Anklage begründen könne. Die Juden sollten jedoch aus dem Spiel gelassen werden, da ihr Glaube nur einige scheinbare Ähnlichkeiten mit der gefährlichen Lehre der Christen aufweise.

Eine solche Untersuchung wäre eigentlich Sache des Stadtpräfekten gewesen, aber Nero verließ sich mehr auf Tigellinus. Außerdem stammte ja die Lehre der Christen aus dem Osten, und die meisten ihrer Anhänger waren aus dem Osten eingewanderte Ausländer. Tigellinus war es einerlei, was die einen oder anderen glaubten. Er führte nur einen Befehl aus und hielt sich bei seinen Nachforschungen an das, was ihm der gemeinste Pöbel Roms einflüsterte.

Er hatte leichtes Spiel. Seine Handlanger suchten an einem einzigen Nachmittag mehrere Dutzend Verdächtige auf, die sich bereitwillig zu Christus bekannten und sich verwunderten, als sie auf der Stelle festgenommen und in die Kellergewölbe des Prätoriums gebracht wurden. Dort verhörte man sie streng, ob sie im letzten Sommer Rom angezündet hätten. Sie verneinten es mit aller Bestimmtheit. Darauf fragte man sie, ob ihnen noch andere Christen bekannt seien. Sie gaben in aller Unschuld alle Namen an, an die sie sich zu erinnern vermochten. Die Soldaten brauchten die genannten Männer und Frauen nur in ihren Häusern zu verhaften, und die Christen folgten ihnen ohne Einwände.

Bei Einbruch der Nacht hatte man schon an die tausend Christen beisammen, die zumeist aus den untersten Schichten des Volkes stammten. Die Soldaten berichteten, sie brauchten sich nur irgendwo unter die Menge zu mischen und zu fragen, ob Christen anwesend seien, und schon meldeten sich diese Wahnsinnigen freiwillig, um sich verhaften zu lassen.

Tigellinus wußte nicht, wie er die vielen Menschen verhören sollte, und da er überdies nicht alle unterbringen konnte, hielt er es für das beste, auf der Stelle eine grobe Auslese zu treffen. Als erste entließ er die Juden, die nachweisen konnten, daß sie beschnitten waren. Einige Angehörigen des Ritterstandes, die mit unter den Haufen geraten waren, erteilte er einen strengen Verweis. Dann ließ er sie frei, weil er meinte, man könne einen römischen Ritter nicht gut anklagen, die Stadt in Brand gesteckt zu haben.

Einige wohlhabendere Bürger waren peinlich berührt, als sie sahen, unter was für einem Gesindel sie sich befanden, und versicherten, es müsse sich um einen Irrtum handeln. Sie boten dem Präfekten Geschenke an, um das Mißverständnis aufzuklären. Tigellinus entließ sie bereitwillig, da er die gebrandmarkten Verbrecher und die entlaufenen Sklaven für die eigentlichen Schuldigen hielt. Er hatte gute Lust, Roms Unterwelt, die nun nach dem Brand in den Nächten die Stadt unsicher machte, gründlich zu säubern, und dies zeigt, wie unklar seine Vorstellung von den Christen war.

Anfangs verhielten sich die Gefangenen ruhig. Sie riefen Christus an und verstanden nicht, wessen man sie anklagte. Als sie aber sahen, daß ein Teil freigelassen wurde, und von anderen hörten, daß es darum ging, ob sie Rom angezündet hätten oder etwas von der Sache wüßten, bekamen sie es mit der Angst und begannen einander zu mißtrauen.

Daß man die Beschnittenen aussonderte, weckte den Verdacht, die Anhänger des Jacobus müßten irgendwie die Hand im Spiel haben. Diese hatten nie mit den übrigen Christen gemeinsame Sache gemacht. Sie hatten ihre eigenen jüdischen Sitten befolgt und sich für frömmer gehalten als alle anderen. Auch zwischen den Anhängern des Kephas einerseits und denen des Paulus andrerseits entstand heftiger Streit, was zur Folge hatte, daß die zurückgebliebenen Gefangenen so viele Christen aus der Gegenpartei anzeigten, wie ihnen nur einfielen. Auch die anfangs noch Besonnenen ließen sich zuletzt von Eifersucht und Rachsucht hinreißen und gaben ihre Glaubensbrüder an. Andere wieder dachten durchaus vernünftig und hielten es für das Vorteilhafteste, so viele wie nur möglich, vor allem auch hochgestellte Persönlichkeiten, anzuzeigen.

Je mehr wir sind, dachten sie zuversichtlich, desto unmöglicher wird es sein, uns vor Gericht zu stellen. Auch Paulus ist freigelassen worden, und Tigellinus wird rasch zur Vernunft kommen, wenn er sieht, wie zahlreich und einflußreich wir sind. Im Laufe der Nacht wurden daher überall in Rom ganze Familien verhaftet, und die Prätorianer waren kaum imstande, ihre Aufgabe zu bewältigen.

Tigellinus erlebte eine böse Überraschung, als er nach einer Nacht, die er sich mit Wein und Lustknaben vertrieben hatte, erwachte und auf dem ganzen großen Exerzierfeld der Prätorianer ordentlich gekleidete Menschen familienweise beisammen sitzen sah. Man zeigte ihm lange Listen von weiteren Verdächtigen und fragte, ob man auch bei Männern mit Senatoren- und Konsulsrang Hausdurchsuchungen und Verhaftungen vornehmen solle.

Er glaubte zuerst, die verbrecherischen Christen hätten aus reiner Böswilligkeit ehrenwerte Bürger verleumdet. Deshalb ging er mit einer Peitsche in der Hand drohend auf dem Feld hin und her und fragte da und dort zornig: »Seid ihr wirklich Christen?« Alle bekannten freimütig, daß sie an Christus glaubten.

Sie waren allesamt so anständige, ordentliche und unschuldige Menschen, daß er es nicht wagte, auch nur einen einzigen zu schlagen. Er nahm vielmehr an, es müsse irgendein grober Irrtum geschehen sein. Zusammen mit seinen Helfern berechnete er anhand der Listen, daß immer noch an die zwanzigtausend Menschen aus allen Gesellschaftsschichten verhaftet werden mußten. Eine solche Menge von Menschen bestrafen zu wollen war reiner Wahnsinn.

Mittlerweile hatte sich die Nachricht von der Massenverhaftung der Christen in der ganzen Stadt verbreitet, und Tigellinus war bald von ganzen Scharen neidischer und schadenfroher Zeugen belagert, die alle berichten wollten, daß sie selbst gesehen hatten, wie sich die Christen während des Brandes auf den Hügeln versammelten, um Lobeshymnen zu singen und einen Feuerregen über Rom zu prophezeien.

Im Prätorium ging alles drunter und drüber. Viele, die in den Notunterkünften auf dem Marsfeld einquartiert worden waren, nutzten die Gelegenheit und übersiedelten in die Häuser von Familien, von denen sie wußten, daß sie Christen waren, mißhandelten andere und plünderten ihre Läden, ohne lang zu fragen, ob sie es mit Christen oder Juden zu tun hatten.

Aufgehetzte Volkshaufen schleppten, ohne daß sie jemand daran hinderte, blutig geschlagene Christen und Juden zum Prätorium, um sie aburteilen zu lassen. Tigellinus hatte noch so viel Vernunft übrigbehalten, daß er die Leute streng tadelte und ihnen verbot, in ihrem, wie er sagte, begreiflichen Zorn das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Er versicherte ihnen, der Kaiser werde alle Schuldigen so bestrafen, wie sie es für ihr abscheuliches Verbrechen verdienten.

Danach schickte er die Prätorianer aus, um die Ordnung in der Stadt wiederherzustellen. In diesen Vormittagsstunden befanden sich die* Christen innerhalb der Mauern des Prätoriums in größerer Sicherheit als in ihren eigenen Häusern.

Schon seit dem frühen Morgen hatten sich verängstigte Flüchtlinge in meinem Haus und meinem Garten auf dem Aventin versammelt, weil sie hofften, daß ich in meiner Stellung mit meinem Rang sie schützen könnte. Die Nachbarn drohten uns, riefen Schimpfworte und warfen Steine über die Mauern in meinen Hof. Ich wagte es nicht, meinen Sklaven Waffen zu geben, damit man die Christen nicht zuletzt auch noch des bewaffneten Widerstandes anklagte, und befahl nur, das Tor so gut wie möglich zu bewachen. Ich befand mich in einer mißlichen Lage, und das einzige Gute war, daß Claudia sich schließlich doch bereit erklärt hatte, mit den Dienern auf mein Landgut bei Caere zu übersiedeln, um dort unser Kind zu gebären.

Weil ich ihretwegen beunruhigt war und auf eine glückliche Niederkunft hoffte, wollte ich ihren geliebten Christen gegenüber nicht zu hart sein. Nachdem ich die verschiedenen Möglichkeiten überdacht hatte, sprach ich ernsthaft mit ihnen und riet ihnen, sofort aus der Stadt zu fliehen, da irgendeine schwerwiegende Anklage gegen sie zu erwarten sei.

Die Christen wandten jedoch ein, es könne niemand beweisen, daß sie Böses getan hätten. Im Gegenteil, sie hätten sich bemüht. alle Laster und Sünden zu meiden und ein stilles Leben zu führen. Sie hätten in ihrer menschlichen Schwachheit vielleicht gegen Christi Gebote verstoßen, aber ganz gewiß dem Kaiser und dem Staat keinen Schaden zugefügt. Sie wollten daher Männer erwählen, die ihre gefangenen Brüder und Schwestern verteidigen und ihnen Speise und Trank bringen sollten. Zu diesem Zeitpunkt wußten wir noch nicht, was für eine ungeheure Anzahl von Menschen im Laufe der Nacht festgenommen worden war.

Um sie loszuwerden, versprach ich ihnen in meiner Verzweiflung Geld und Zuflucht auf meinen Besitzungen in Praeneste und Caere, wenn sie sich nur dorthin begeben wollten. Darauf gingen sie jedoch erst ein, als ich ihnen versprochen hatte, selbst Tigellinus aufzusuchen und die Christen, so gut ich es vermochte, in Schutz zu nehmen. Ich hatte ja den Rang eines Prätors und konnte ihnen mehr nützen als irgendein Armenadvokat von zweifelhaftem Ruf. Zuletzt verließen sie endlich zögernd und lebhaft diskutierend mein Haus und meinen Garten.

Die Christen auf dem Exerzierfeld hatten sich unterdessen um ihre Führer versammelt, die sich miteinander ausgesprochen und beschlossen hatten, ihren alten Zwist zu begraben und auf Christus zu vertrauen, dessen Geist ihnen sicherlich zu Hilfe kommen werde. Alle erschraken, als sie die Schmerzensschreie aus den Kellergewölben hörten, und nahmen zu Liedern und Gebeten Zuflucht.

Es gab auch einige Gesetzeskundige unter ihnen, die von Mann zu Mann und von Frau zu Frau gingen, um zu berichten, daß der Kaiser selbst Paulus freigesprochen hatte. Das wichtigste war nun, daß sich auch unter Androhung der schwersten Folter niemand der Brandstiftung schuldig bekannte. Ein solches falsches Geständnis könnte für alle Christen verhängnisvoll sein. Es war ihnen vorausgesagt worden, daß sie um Christi Namen willen Verfolgung leiden würden. Sie sollten sich zu Christus und zu nichts anderem bekennen.

Als ich zum Prätorium kam, entsetzte ich mich über die ungeheure Menge der Verhafteten, beruhigte mich aber sogleich wieder, da ich mir sagte, daß nicht einmal ein Wahnsinniger alle diese Menschen für Mordbrenner halten konnte. Ich traf Tigellinus in einem günstigen Augenblick an, denn er war völlig verwirrt und wußte sich nicht mehr zu helfen. Er stürzte brüllend auf mich zu und warf mir vor, ich hätte Nero über die Christen völlig falsch unterrichtet, da nur ein kleiner Teil Verbrecher zu sein schien.

Ich verwahrte mich gegen diesen Vorwurf und erwiderte, daß ich mit Nero nicht über die Christen gesprochen hatte. »Im Gegenteil«, sagte ich. »Ich weiß nur Gutes über sie. Sie sind ganz ungefährlich und streiten höchstens wegen ihres Glaubens miteinander, aber sie mischen sich nie in Staatsangelegenheiten ein und halten sich sogar den Vergnügungen des Volkes fern. Sie gehen nicht einmal ins Theater. Es ist unsinnig, diese Menschen für den Brand Roms verantwortlich zu machen.«

Tigellinus grinste, rollte eine seiner Listen auf, las mir meinen eigenen Namen vor und sagte höhnisch: »Du bist gewiß ein Sachverständiger in diesen Dingen, denn man hat dich selbst als Christen angezeigt, dich und deine Frau und dein ganzes Haus.«

Mir war, als drückten mich schwere Bleigewichte nieder, und ich vermochte nicht ein Wort zu sagen. Tigellinus begann jedoch zu lachen, versetzte mir einen Klaps mit der Rolle und rief: »Du glaubst doch nicht etwa, daß ich solche Anzeigen ernst nehme! Ich kenne dich und deinen Ruf. Und selbst wenn ich dich verdächtigen sollte, so würde es mir nie einfallen, Sabina für eine Christin zu halten. Der Angeber wußte nicht einmal, daß du von ihr geschieden bist. Nein, diese Anzeigen sind das Werk abgefeimter Verbrecher, die aus reiner Bosheit den Anschein erwecken wollen, daß auch vornehme Kreise Roms an ihrem Aberglauben teilhätten.

Jedenfalls hat die Verschwörung weiter um sich gegriffen, als irgendeiner von uns geahnt hätte, und was ich am wenigsten begreife, ist, daß alle diese Menschen freiwillig und gern bekennen, daß sie Christus als ihren Gott verehren. Sie müssen verhext sein, anders kann ich es mir nicht erklären, aber derlei Zauberei wird bald ein Ende haben. Wenn sie sehen, wie die Schuldigen bestraft werden, werden sie schnell genug von ihrem Wahn ablassen!«

Ich schlug vorsichtig vor: »Du tust vielleicht gut daran, die Listen zu vernichten. Aber was redest du da von Schuldigen?«

Tigellinus sagte zufrieden grinsend: »Du hast recht. Ob du es glaubst oder nicht: man hat mir sogar Senatoren und Konsuln genannt, die angeblich Christen sein sollen. Solche Verunglimpfungen hält man natürlich besser geheim, damit nicht Personen von Rang und Namen in den Augen des Volkes zum Gespött werden. ich glaube, ich werde Nero nichts von diesen Verleumdungen sagen.«

Er betrachtete mich forschend, und seine grausamen Augen funkelten boshaft. Ich erriet, daß er die Absicht hatte, die Listen für seinen eigenen Gebrauch aufzubewahren und zu Erpressungen zu benutzen, denn selbstverständlich würde jeder hochgestellte Mann in Rom bereit sein, jede beliebige Summe zu zahlen, um sich von einem solchen Makel reinzuwaschen. Ich fragte noch einmal, wen er mit den Schuldigen gemeint habe.

»Ich habe genug Geständnisse«, erwiderte er selbstgefällig, und als ich ihm nicht glauben wollte, führte er mich in die Keller hinunter und zeigte mir seine jammernden, halbtoten Opfer.

»Ich habe natürlich nur gebrandmarkte Verbrecher, entlaufene Sklaven und solche, die offensichtlich etwas verschwiegen, foltern lassen«, erklärte er. »Es hat im allgemeinen genügt, sie auszupeitschen, aber in einzelnen Fällen mußten wir, wie du siehst, zu glühenden Stangen und Eisenklauen greifen. Diese Christen sind sehr dickfellig. Einige gingen mir ein, ohne gestanden zu haben. Sie riefen nur ihren Christus zu Hilfe. Andere wieder gestanden, sobald sie die Folterwerkzeuge erblickten.«

»Was gestanden sie?« fragte ich.

»Daß sie auf Christi Geheiß Rom angezündet haben«, sagte Tigellinus unverfroren und starrte mir herausfordernd in die Augen. Als er bemerkte, daß ich in Zorn geriet, fügte er beschwichtigend hinzu: »So kann man es jedenfalls auffassen. Der eine oder andere gab halb und halb zu, daß er zusammen mit den Soldaten Häuser angezündet hatte. Einen Verbrecherbund oder eine Verschwörung habe ich eigentlich nicht aufdecken können, aber mehrere im übrigen durchaus achtbare Männer haben freiwillig zugegeben, daß ihrer Ansicht nach ihr Gott die Stadt ihrer Sünden wegen durch das Feuer gestraft hat. Was willst du mehr? Andere erzählten mir, daß sie während des Brandes darauf gewartet hätten, daß ihr Gott vom Himmel niedersteige, um alle zu richten, die sich nicht zu Christus bekennen. Das deutet auf eine geheime Verschwörung gegen den Staat hin, und deshalb müssen die Christen für ihren Aberglauben bestraft werden, gleichgültig ob sie mit eigener Hand den Brand legten oder von dem grausamen Plan nichts wußten.«

Ich zeigte auf ein junges Mädchen, das mit Lederriemen gebunden auf einer blutbesudelten Steinbank lag. Sie blutete aus dem Mund, und Brust und Glieder waren von den Eisenklauen so gräßlich zerfleischt, daß sie offenbar das Bewußtsein verloren hatte, wenn sie nicht schon an dem Blutverlust gestorben war. »Was hat dir dieses unschuldige Mädchen gestanden?« fragte ich.

Tigellinus rieb verlegen die Handflächen gegeneinander, wich meinem Blick aus und sagte: »Versuche mich ein wenig zu verstehen. Ich habe den ganzen Morgen mit einem fürchterlichen Katzenjammer hart gearbeitet. Da mußte ich mir doch auch ein kleines Vergnügen leisten! Außerdem war ich wirklich neugierig, was sie zu gestehen hatte. Ich habe aber nicht mehr aus ihr herausbekommen, als daß bald irgendeiner kommen und mich zur Strafe für meine Übeltaten ins Feuer werfen wird. Ein rachsüchtiges Mädchen! Sie reden überhaupt gern vom Feuer, diese Christen. Es gibt ja Menschen, die beim Anblick einer Feuersbrunst ganz außer sich geraten. Warum hätte Nero sonst in jener Nacht auf dem Turm des Maecenas gesungen?«

Ich tat, als betrachtete ich das Mädchen näher, obwohl es mich in der Kehle würgte, und sagte mit Absicht: »Tigellinus, sie sieht aus, als ob sie Jüdin wäre.«

Er erschrak und packte mich am Arm. »Sag Poppaea nichts davon«, bat er. »Bei allen Unterirdischen, wie soll ich denn je ein jüdisches Mädchen von einem gewöhnlichen unterscheiden! Sie tragen ja kein Merkmal an ihrem Körper wie die Männer. Eine Christin war sie aber ganz gewiß. Sie wollte ihrem Aberglauben nicht einmal abschwören, als ich ihr versprach, sie dafür laufen zu lassen.«

Zum Glück ließ Tigellinus danach die Folterungen einstellen und seine Opfer wieder zu sich bringen, damit sie die Strafe entgegennehmen konnten, die Nero für die Brandstiftung festsetzen sollte. Als wir in den Raum zurückkehrten, in dem er selbst seine Verhöre vorgenommen hatte, meldete man uns, daß der Senator Pudens Publicola, ein alter Mann aus dem Geschlecht der Valerier, in Begleitung eines älteren Juden erschienen sei und vorgelassen zu werden wünschte.

Tigellinus kratzte sich unangenehm überrascht den Kopf, sah mich hilfesuchend an und sagte: »Pudens ist ein rührseliger, vor Alter schon völlig verblödeter Greis. Was kann er gegen mich haben? Ich hoffe, ich habe nicht versehentlich einen seiner Klienten verhaften lassen! Bleib hier und steh mir bei. Du kennst ja die Juden.« Pudens’ weißhaariger Kopf zitterte vor Zorn. Zu meiner Verwunderung erkannte ich in dem Begleiter des Alten Kephas, der seinen Hirtenstab in der Hand trug und dessen bärtiges Gesicht vor Erregung rot anlief. Hinter den beiden trat, bleich vor Angst, ein gewisser Cletus ein, ein junger Mann, den ich bei früherer Gelegenheit schon als Dolmetsch des Kephas kennengelernt hatte.

Tigellinus erhob sich, um Pudens ehrerbietig zu begrüßen, aber der Alte stürzte auf ihn zu, trat mit seinem Purpurstiefel nach ihm und schrie: »Tigellinus, du verfluchter Roßtäuscher, Hurenbock und Knabenschänder! Was hast du angerichtet! Was sind das für erlogene Beschuldigungen gegen die Christen! Wie weit willst du es in deiner Unverschämtheit noch treiben!«

Tigellinus versuchte zu erklären, daß seine Lebensgewohnheiten mit seinem Amt nichts zu tun hätten, daß es in Rom noch mehr Männer gebe, die Knaben liebten, und daß er sich nicht zu schämen brauche, weil er einst in der Verbannung das Leben als Pferdezüchter gefristet habe.

»Kränke mich also nicht länger, Pudens, Liebling des Volkes«, schloß er. »Denk an deine eigene Würde und daran, daß du zu einem Diener des Staates sprichst. Wenn du eine Klage vorzubringen hast, will ich dich geduldig anhören.«

Kephas warf die Arme empor und begann laut auf aramäisch zu sprechen, ohne uns anzusehen, so als richtete er seine Worte an einen Fremden, der sich mit uns im Raum befand. Tigellinus folgte erschrocken seinem Blick und fragte: »Wer ist der Jude, was sagt er, und mit wem spricht er? Ich hoffe, er verflucht uns nicht! Hat man sich vergewissert, daß er keine Zauberbinden und gefährlichen Amulette bei sich trägt?«

Ich packte ihn am Arm, zwang ihn so, mich anzuhören, und sagte: »Dies ist der Führer der Christen, der berühmte Kephas. Er soll Tote erweckt und solche Wunder getan haben, daß Simon der Zauberer, verglichen mit ihm, ein unbeholfener Knabe war. Er steht unter dem Schutz des Senators Pudens, seit er diesen von der Wassersucht geheilt hat.«

Tigellinus spreizte zwei Finger aus, um die bösen Mächte abzuwehren, und sagte: »Er ist Jude. Mit ihm habe ich nichts zu schaffen. Bitte ihn, daß er von seinen Beschwörungen abläßt, in Ruhe seines Weges geht und seinen Zauberstab mitnimmt, ehe ich mich erzürne.« Der Senator Pudens hatte sich mittlerweile beruhigt und sagte nun: »Der ehrwürdige Kephas ist gekommen, um selbst alle Beschuldigungen zu widerlegen, die du gegen die Christen erfunden hast. Er verlangt, daß du die anderen freiläßt und an ihrer Stelle ihn selbst festnimmst. Er ist ihr Hirte, und alle anderen, vom Geringsten bis zum Höchsten, sind nur seine Schafe.«

Tigellinus trat erbleichend an die Wand zurück und bat mit zitternden Lippen: »Führt ihn weg, bevor ich ihn mit der Geißel hinausjagen lasse. Sagt ihm, er soll am besten die Stadt verlassen. Ich untersuche auf Befehl des Kaisers die Verschwörung der Christen, deren Ziel die Zerstörung Roms war. Die Brandstifter haben schon gestanden, aber ich will meinetwegen gern zugeben, daß viele anständige Christen und vielleicht auch dieser alte Zauberer da mit seinem Stab nichts von dem entsetzlichen Plan wußten.«

Pudens lauschte mit offenem Mund und zitterndem Kinn. Dann schüttelte er mitleidig den Kopf und sagte vorwurfsvoll: »Alle Welt weiß doch, daß der Kaiser selbst Rom in Brand stecken ließ, um die Grundstücke zwischen Caelius und Esquilin für seine wahnsinnigen Bauvorhaben zu bekommen. Aber Nero irrt, wenn er glaubt, er kann seine Schuld auf Unschuldige abwälzen. Möge er sich vor dem Zorn des Volkes hüten, wenn dies bekannt wird!«

Tigellinus blickte sich um, als fürchtete er, die Wände könnten Ohren haben, und sagte warnend: »Du bist ein alter Mann, Pudens, und schon wirr im Kopf. Du darfst nicht einmal im Scherz sagen, was wir soeben aus deinem Munde gehört haben. Oder bist du vielleicht selbst Christ und in deiner Torheit in diese Sache verwickelt? Nimm dich in acht! Du gehörst zu denen, die man mir angezeigt hat, aber ich nehme eine solche unsinnige Beschuldigung natürlich nicht ernst. Ein römischer Senator kann wohl nicht Christ sein!«

Er versuchte zu lachen, starrte aber unverwandt auf Kephas und zuckte jedesmal zusammen, wenn dieser eine Bewegung machte. Pudens erinnerte sich seines Rangs und seiner Stellung und sah ein, daß er zu weit gegangen war. Daher sagte er nun begütigend: »Es mag sein, daß es Hitzköpfe und Schwärmer unter den Christen gibt und sogar falsche Propheten. Vielleicht hat sich auch ein Wolf in Schafskleidern unter sie gemengt. Kephas aber wird bei einem öffentlichen Prozeß für sie alle einstehen, und ich hoffe nur, daß er nicht auf Geheiß des Geistes Worte sagt, die Nero erschrecken.«

Tigellinus beruhigte sich ein wenig und erwiderte: »Ich bin ein Mensch, der mit sich reden läßt und jederzeit bereit ist, anderen auf halbem Wege entgegenzukommen. Aber dein jüdischer Zauberer kann in dieser Sache für niemanden einstehen. Er hat seine Rechte und seine Sonderstellung wie alle diese verfluchten Juden. Nero hat mir ausdrücklich befohlen, die Finger von den Juden zu lassen, denn in ihrem Augiasstall könnte nicht einmal Herkules selbst die Rechtgläubigen von den Irrgläubigen scheiden. Meiner Meinung nach wäre Rom ohne die Juden besser daran, aber das ist nur meine persönliche Ansicht, die nicht ins Gewicht fällt. Ich muß dem Kaiser gehorchen.«

Ich erklärte Cletus, der meine Worte für Kephas ins Aramäische übersetzte, in aller Kürze den juristischen Sachverhalt. Kephas bekam wieder einen roten Kopf, versuchte anfangs beherrscht zu sprechen, ereiferte sich dann aber und schrie zuletzt mit Donnerstimme. Cletus versuchte zu dolmetschen, ich selbst mischte mich gleichfalls ein, Pudens redete dazwischen, was ihm gerade einfiel, und keiner verstand, was der andere sagte.

Tigellinus hob abwehrend beide Hände, bat uns zu schweigen und sagte: »Laßt es genug sein. Aus Achtung vor deinem weißen Haupt, Pudens, und um die Gunst dieses mächtigen Zauberers zu gewinnen, bin ich bereit, zehn oder zwanzig oder sagen wir hundert Christen freizugeben, die er selbst auswählen darf. Ich habe ohnehin zu viele Christen und bin froh, wenn ich auf eine vernünftige Weise einige davon loswerde.«

Kephas dachte einen Augenblick über diesen Vorschlag nach, lehnte ihn dann aber ab und verlangte halsstarrig, man solle ihn gefangennehmen und die anderen freilassen. Das war eine wahnwitzige Forderung, aber als ich später darüber nachdachte, sah ich ein, daß Kephas von seinem Standpunkt aus klug gehandelt hatte. Wenn er aus der großen Zahl der Gefangenen nach eigenem Gutdünken hundert ausgewählt hätte, würde dies gerade nun, da die Sprecher der verschiedenen Parteien sich angesichts der gemeinsamen Prüfung miteinander ausgesöhnt hatten, zu neuem Mißtrauen und Streit Anlaß gegeben haben.

Unsere Verhandlungen führten zu nichts. Zuletzt verlor Tigellinus trotz seiner Furcht vor Zauberei die Geduld und rannte mit langen Schritten aus dem Raum. Wir hörten, wie er draußen den Wachtposten befahl, den aufsässigen Juden mit der Geißel davonzujagen.

»Wendet aber nicht mehr Gewalt an, als unbedingt nötig ist!« rief er. »Und rührt mir den Senator Pudens nicht an. Er ist ein Publicola!«

Die Prätorianer wollten nicht gehorchen. Einige von ihnen hatten Paulus reden gehört, als sie ihn bewachten, und hegten seither insgeheim Achtung für die Christen. Sie warnten ihre Kameraden, und Tigellinus konnte sie nicht einmal zur Rechenschaft ziehen, weil er selbst die Zauberkünste des Kephas fürchtete. Sogar der Kasernenzenturio des Prätoriums warnte ihn davor, sich an einem so heiligen Mann zu vergreifen.

Schließlich war Tigellinus gezwungen, denjenigen, die bereit waren, Kephas aus dem Lager zu treiben und dafür zu sorgen, daß er außerhalb der Mauern blieb, einen zusätzlichen Monatssold zu versprechen. Da endlich meldeten sich fünf grobschlächtige Kerle, die sich gegenseitig Mut machten, indem sie versicherten, sie fürchteten nicht einmal die Mächte der Unterwelt. Sie leerten hastig jeder ein Maß Wein und stürzten dann ins Haus, um Kephas mit kräftigen Geißelhieben hinauszutreiben.

Pudens durfte nicht einschreiten, denn nicht einmal ein Senator ist befugt, einen militärischen Befehl aufzuheben. Er konnte nur schimpfen und Tigellinus drohen, der vorsichtshalber zwanzig Schritte zurückwich und die Prätorianer mit lauten Rufen zur Eile antrieb.

Die mit Bleikugeln beschwerten Geißelschnüre klatschten auf Kephas’ Schultern und Gesicht, aber der hochgewachsene alte Mann richtete sich nur noch höher auf, lächelte mild, segnete die Soldaten und bat sie, fester zu schlagen, da es ihm eine Freude sei, um Christi willen zu leiden.

Um ihnen ihr Werk zu erleichtern, zog er sich den groben Mantel aus und reichte ihn Pudens, damit er nicht mit Blut besudelt wurde. Pudens würde ihn gern gehalten haben, aber das konnte ich, da er doch Senator war, nicht zulassen. Ich nahm daher selbst den Mantel über den Arm.

Die Soldaten schlugen, wild vor Angst, mit voller Kraft auf Kephas ein und verletzten sich aus Versehen gegenseitig mit den Geißeln. Das Blut strömte Kephas übers Gesicht und sammelte sich in seinem grauen Bart. Sein Untergewand hing bald in Fetzen an ihm nieder. Je härter aber die Soldaten zuschlugen, desto inniger lächelte er. Ab und zu brach er in Freudenrufe aus und bat Christus, sie zu segnen, weil sie ihm so große Freude zuteil werden ließen.

Als Tigellinus dieses grausame Schauspiel sah, wurde er erst recht in seiner Meinung bestärkt, daß Kephas, da er offenbar nicht einmal körperlichen Schmerz fühlte, ein fürchtenswerter Zauberer sei, entsetzlicher noch als Apollonius von Tyana. Er befahl den Soldaten brüllend, die Geißeln wegzuwerfen und Kephas hinauszutragen.

Sie scheuten zwar davor zurück, ihn mit Händen zu berühren, aber ihre Soldatenehre stand auf dem Spiel. Durch das Gelächter und die Spottrufe ihrer Kameraden aufgehetzt, ergriffen sie ihn laut fluchend und hoben ihn wirklich vom Boden auf, obwohl er sich mit seinen gewaltigen Kräften zur Wehr setzte, wobei er jedoch darauf bedacht war, die Soldaten nicht zu schlagen oder anderswie zu verletzen.

Es gelang ihnen, ihn durch die Arkade auf die Marmortreppe hinauszutragen. Dort riß er sich aus ihren Fäusten los und versprach, freiwillig durch das Tor zu gehen, wenn sie ihn auf dem Wege geißelten. Sie ließen ihn gern frei, denn ihre Arme waren schon erlahmt, und in ihren Geißelhieben war keine rechte Kraft mehr.

Die gefangenen Christen umringten Kephas, ohne daß sie jemand hinderte, riefen jubelnd seinen Namen und fielen zu beiden Seiten seines Weges auf die Knie nieder, um ihm ihre Verehrung zu zeigen. Er sprach ihnen Mut zu, hob die Arme, um sie zu segnen, lächelte und rief immer wieder Christi Namen. Die Gefangenen schöpften fromme Zuversicht und neuen Mut, als sie sahen, wie der blutüberströmte Kephas mit Geißelhieben aus dem Lager getrieben wurde, und sie mißtrauten einander nicht mehr.

Kephas war fest entschlossen, vor dem Tor zu bleiben und zu warten, ohne zu essen und zu trinken, aber Pudens überredete ihn zuletzt doch mit guten Worten und übergab ihn seinen Begleitern, damit sie ihn rasch und in aller Heimlichkeit in sein Haus führten. Er stellte ihm dazu seine eigene Sänfte zur Verfügung, obwohl Kephas, der sich vor Erschütterung und nach dem Blutverlust kaum auf den Beinen zu halten vermochte, lieber zu Fuß gegangen wäre. Pudens selbst kehrte noch einmal zurück, um mit Tigellinus auf vernünftige römische Art zu verhandeln.

Als Tigellinus sah, wie die Christen noch immer laut rufend und mit frohen Mienen in den Hof des Prätoriums drängten, gewann er die Fassung zurück, befahl, sie in die Einzäunung des Exerzierfeldes zurückzutreiben, und forderte einige der nächststehenden auf, das Blut vom Boden und von den Wänden seines Verhörraums zu wischen.

Die Christen sahen einander ratlos an. Sie hatten weder Bürsten noch Wassereimer. Tigellinus lachte und rief: »Meinetwegen könnt ihr das Blut aufschlecken!« Da ließen sie sich auf die Knie nieder und trockneten jeden Tropfen behutsam mit ihren Kleidern und Halstüchern auf, da das Blut nach ihrer Meinung für ihren Gott vergossen worden war und sie an die Leiden Christi erinnerte.

Als vernünftiger Mann versuchte Pudens nun zu retten, was noch zu retten war, und erinnerte Tigellinus kühn an sein Versprechen, daß unter den Gefangenen hundert ausgewählt werden dürften. Tigellinus, der sich seiner hohen Geburt wegen mit ihm gutstellen wollte, erwiderte: »Nimm dir meinethalben zweihundert von denen, die leugnen, sich an der Brandstiftung beteiligt zu haben.«

Pudens begab sich eilig auf das Exerzierfeld hinaus, bevor Tigellinus seine Zusage, die er aus reiner Erleichterung gegeben hatte, bereuen konnte, aber der Präfekt besann sich doch noch zur rechten Zeit auf seinen eigenen Vorteil und rief ihm nach: »Du zahlst mir aber für jeden hundert Sesterze Lösegeld in meine Börse!«

Er wußte, daß Pudens nicht reich war, sondern nur mit knapper Not die Einkünfte zusammenbrachte, die er als Senator unbedingt nachweisen mußte. Kaiser Claudius hatte seinerzeit einmal den erforderlichen Betrag aus seiner eigenen Tasche erlegt, damit Pudens nicht seiner Armut wegen aus den Reihen der Senatoren ausscheiden mußte. Tigellinus sah daher ein, daß er kein höheres Lösegeld von ihm verlangen durfte.

Aus den vielen tausend Christen wählte Pudens Männer, die Kephas nahestanden, sowie Frauen, die Kinder daheim hatten oder aus anderen dringenden Ursachen nach ihrem Haushalt sehen mußten. Er hielt es nicht für nötig, auch Mädchen auszulösen, da er nicht annahm, sie könnten der Brandstiftung angeklagt werden. Seiner Meinung nach drohte keiner der Frauen irgendeine Gefahr oder Strafe, ja er hielt es nicht einmal für möglich, mit den kümmerlichen Beweisen, die Tigellinus zu besitzen glaubte, ein ordentliches Gerichtsverfahren einzuleiten.

Daher begnügte er sich damit, seine eigenen Freunde unter den Christen zu trösten und ihnen zu versichern, daß man sie als unbescholtene Bürger bald freilassen werde. Man drängte sich auch nicht um ihn. Im Gegenteil, mehrere Männer und Frauen, die er ausgewählt hatte, weigerten sich, ihre Glaubensbrüder zu verlassen.

Pudens nahm etwas über zweihundert Personen mit und handelte mit Tigellinus, so daß dieser es zuletzt mit der Zahl nicht so genau nahm und sich aus Freundschaft mit einer Summe von zehntausend Sesterzen zufriedengab.

Seine Nachgiebigkeit reizte mich, und ich fragte, ob auch ich einige auslösen dürfe, in denen ich Anhänger des Paulus wiedererkannt hatte. Es schien mir um der Einigkeit unter den Christen willen nötig, daß auch solche freigelassen wurden, die Paulus nahestanden, damit böse Zungen nicht behaupten konnten, diejenigen, die Kephas’ Gunst besaßen, seien bevorzugt worden.

Letztere warfen Paulus vor, seine Reden seien dunkel und unbegreiflich, während jene wiederum, die sich um ihn scharten, die göttlichen Geheimnisse am besten zu verstehen glaubten. Mir war recht froh zumute, als ich daran dachte, wie ich mich vor Claudia damit brüsten konnte, daß ich ohne eigenen Gewinn so vielen Christen in der Not geholfen hatte.

Tigellinus verlangte von mir nicht einmal ein Lösegeld, da er meine Hilfe bei der Abfassung eines sachlichen Berichtes über den Aberglauben der Christen für die Anklageakte benötigte. Er konnte mir seine Achtung nicht versagen, da ich keine Angst vor Kephas gehabt hatte und bei ihm geblieben war, wofür er mir widerstrebend dankte.

Er selbst fürchtete Kephas noch immer, denn den Soldaten, die ihn ergriffen und hinausgetragen hatten, war alle Kraft aus den Armen geschwunden. Sie jammerten kläglich über ihre Lähmung, die sie ihrer Ansicht nach ihrem Präfekten verdankten, weil der ihnen befohlen hatte, Hand an einen Zauberer zu legen. Ich für mein Teil glaube, sie übertrieben ihre Beschwerden, um mehr bezahlt zu bekommen. Jedenfalls habe ich später nichts davon gehört, daß sie bleibenden Schaden davongetragen hätten.

Tigellinus war nun bereit, die Sache Nero vorzutragen. Er bat mich, ihn zu begleiten, da ich mich als sachverständig erwiesen hatte und die Christen kannte, und meinte, ich sei dazu geradezu verpflichtet: da ich Poppaea falsche Auskünfte gegeben und dadurch Nero irregeführt hätte. Auch war er der Ansicht, es schade nichts, daß ich Mitleid mit den Christen hatte und nicht alles glaubte, was er beim Verhör aufgedeckt zu haben meinte. Im Gegenteil, unser Vortrag würde nur um so unparteiischer wirken, wenn ich sie verteidigte.

Wir ritten zum Esquilin, denn um die Bauarbeiten nach der Verbreiterung der Straßen zu beschleunigen, waren Fuhrwerke und Reitpferde auch tagsüber innerhalb der Mauern zugelassen worden. Nero war bei bester Laune. Er hatte gerade mit seinem Gefolge eine gute Mahlzeit beendet und sich in einem kalten Bad erfrischt, um bis zum Abend weiter essen und trinken zu können, wie es bisweilen seine Gewohnheit war.

Er war mit sich selbst überaus zufrieden, weil er, wie er glaubte, eine in politischer Hinsicht ganz vortreffliche Methode entdeckt hatte, die Aufmerksamkeit des Volkes von sich ab und auf die verbrecherischen Umtriebe der Christen zu lenken und damit die bösen Gerüchte zum Verstummen zu bringen. Die große Zahl der Gefangenen nahm er ungerührt zur Kenntnis, denn er hielt an seiner Anschauung fest, die Christen seien lauter Verbrecher und anderes Gesindel.

»Wir müssen lediglich eine Strafe finden, die der Abscheulichkeit ihres Verbrechens gerecht wird«, meinte er lächelnd. »Je strenger sie bestraft werden, desto lieber glaubt das Volk, daß sie auch wirklich an dem Brand schuld sind. Wir müßten dem Volk bei dieser Gelegenheit ein Schauspiel bieten, wie dergleichen noch nie zuvor gesehen wurde. Das hölzerne Amphitheater kommt nicht in Frage, denn seine Keller sind noch mit Obdachlosen überfüllt. Der große Zirkus ist niedergebrannt. Wir müssen also meinen eigenen Zirkus auf dem Vatikanischen Hügel nehmen. Er ist zwar ein wenig eng, aber wir können am Abend in meinen Gärten gleich daneben, unterm Janiculum, ein großes Volksfest veranstalten.«

Ich ahnte noch nicht, wo er hinauswollte, aber ich erdreistete mich, zu bemerken, daß zunächst einmal ein öffentlicher Prozeß durchgeführt werden müsse und daß man auf Grund der bis dahin vorliegenden Beweise wohl kaum jemanden der Brandstiftung werde überführen können.

»Warum ein öffentlicher Prozeß?« fragte Nero verwundert. »Die Christen sind Verbrecher und entlaufene Sklaven, die nicht das Bürgerrecht besitzen. Um solches Pack abzuurteilen, braucht man nicht die Hundertmänner. Ein Entscheid des Präfekten genügt vollauf.«

Tigellinus erklärte, daß überraschend viele der Verhafteten Bürger waren, gegen die sich nichts anderes anführen ließ, als daß sie sich freimütig zu Christus bekannten. Er wußte auch nicht, wie er fünftausend Menschen mehrere Tage lang auf dem Exerzierfeld beherbergen sollte, und wies darauf hin, daß die verhafteten Bürger über hinreichend große Mittel zu verfügen schienen, um gegen ein gewöhnliches Gerichtsurteil Berufung einzulegen und sich an den Kaiser selbst zu wenden. Der Kaiser müsse daher im voraus entscheiden, ob das bloße Bekenntnis zu Christus bereits für die Verurteilung ausreiche.

»Fünftausend, sagst du?« fragte Nero eifrig. »So viele sind noch nie bei einer einzigen Vorstellung aufgetreten, nicht einmal bei den größten Triumphen. Aber meiner Ansicht nach muß eine Vorstellung genügen. Wir können nicht tagelang feiern, denn das würde die Bauarbeiten zu sehr aufhalten. Könntest du sie nicht durch die ganze Stadt auf die andere Tiberseite hinüberführen und gleich in meinem Zirkus einquartieren? Das Volk bekäme auf diese Weise einen Vorgeschmack, und ich hätte nichts dagegen, wenn es seinem Zorn über ihr Verbrechen Luft machte. Meinetwegen dürfen unterwegs ruhig ein paar in Stücke gerissen werden, solange nur keine größere Unordnung entsteht.«

Mir schien, Nero habe noch nicht recht begriffen, worum es ging und welche Ausmaße die Sache angenommen hatte, weshalb ich sagte: »Verstehst du nicht, daß die meisten anständige, unbescholtene Leute sind, viele darunter Mädchen und Knaben, die man keiner Übeltat verdächtigen kann? Und viele tragen die Toga. Du denkst doch nicht im Ernst daran, zuzulassen, daß der Pöbel die römische Toga verunehrt!«

Nero starrte mich eine Weile finster an: »Du zweifelst offenbar an meinem Verstand und meinem Urteil, Manilianus«, entgegnete er und nannte mich zum Zeichen seiner Ungnade nur bei meinem Familiennamen. Plötzlich aber kam ihm ein neuer Einfall, und er lachte laut auf. »Tigellinus kann sie ja nackt durch Rom ziehen lassen«, schlug er vor. »Das Volk wird seinen Spaß daran haben, und niemand wird die Strolche von den Ehrenmännern unterscheiden können.« Er schüttelte den Kopf und fügte hinzu: »Ihre vorgebliche Unschuld ist reine Verstellung. Meine eigenen Erfahrungen haben mich gelehrt, am meisten denen zu mißtrauen, die ihre Schlechtigkeit mit äußerlicher Frömmigkeit und einem sittenstrengen Lebenswandel bemänteln. Ich weiß über den Aberglauben der Christen so viel, daß die strengste Strafe noch zu milde ist. Wollt ihr hören?«

Er blickte sich fragend um. Ich wußte, daß es das beste war, zu schweigen, wenn er reden wollte, und wir alle baten ihn, fortzufahren.

»Der Aberglaube der Christen ist so schändlich und abscheulich, daß dergleichen nur im Osten entstanden sein kann«, erklärte er. »Sie betreiben greuliche Zauberei und wollen eines Tages die ganze Welt verbrennen. Sie erkennen einander an geheimen Zeichen und versammeln sich des Abends hinter verschlossenen Türen, um Menschenfleisch zu essen und Blut zu trinken. Zu diesem Zweck nehmen sie die Kinder, die gutgläubige Menschen ihrer Obhut anvertrauen, und opfern sie bei ihren geheimen Mählern. Wenn sie gegessen und getrunken haben, treiben sie auf allerlei natürliche und widernatürliche Weise Unzucht miteinander, ja sie vereinigen sich sogar mit Tieren, vor allem mit Schafen, wie man mir sagte.«

Er blickte sich triumphierend um. Ich glaube, Tigellinus ärgerte sich, weil Nero ihm zuvorkam und ihm keine Gelegenheit gab, vorzutragen, was er bei seinen Verhören herausbekommen hatte. Er streckte die Zungenspitze vor und sagte verächtlich: »Der Unzucht wegen kannst du sie nicht gut verurteilen. Ich kenne einige Leute in unserer nächsten Umgebung, die ebenfalls hinter verschlossenen Türen zusammenkommen, um miteinander Unzucht zu treiben.«

Nero lachte. »Das ist doch nicht dasselbe! Die Leute, die du meinst, versammeln sich in bestem Einvernehmen, studienhalber und um ihres eigenen Vergnügens willen, zu solchem Zeitvertreib. Aber ich bitte euch: von alldem kein Wort zu Poppaea. Sie ist nicht so nachsichtig, wie es zu wünschen wäre. Die Christen dagegen betreiben derlei Dinge als eine Art Verschwörung zu Ehren ihrer Götter und erhoffen sich davon allerlei Vorteile gegenüber anderen Menschen. Sie glauben, ihnen sei alles erlaubt, und wollen, sobald sie die Macht hätten, über alle anderen zu Gericht sitzen. Wären diese Anschauungen nicht so lachhaft, sie könnten politisch gefährlich sein.«

Wir stimmten in sein ein wenig gequältes Lachen ein. Tigellinus nutzte die Gelegenheit und sagte rasch: »Die Keller unter deinem Zirkus sind zu klein für fünftausend Menschen. Ich bin immer noch der Meinung, daß wir die Bürger aus dem Spiel lassen sollten, und schlage vor, wir geben alle frei, die aufrichtig versprechen, vom Aberglauben der Christen abzulassen, und im übrigen achtbare Bürger sind.«

»Dann bleiben nicht mehr genug zur Bestrafung übrig«, wandte Nero ein. »Es ist doch selbstverständlich, daß jeder die Gelegenheit ergreifen wird, sich aus dem Staube zu machen. Nein, an der Verschwörung sind sie alle mit beteiligt, auch wenn sie mit der Brandstiftung selbst nichts zu tun haben. Sollte ich wirklich zu der Auffassung kommen, es seien zu viele – was ich aber im Hinblick auf ihr abscheuliches Verbrechen kaum für möglich halte –, so kann ich sie immer noch Lose ziehen lassen, wie man es im Krieg macht, wenn eine Legion eine schimpfliche Niederlage erlitten hat. Corbulo, zum Beispiel, hat die Erlaubnis erhalten, in Armenien jeden zehnten Mann mit Hilfe des Loses aussondern und hinrichten zu lassen, und da hat es dann Helden wie Feiglinge getroffen. Ich schlage also vor, daß du gegebenenfalls das Los entscheiden läßt und jeden zehnten freigibst. Die Strafe, die die anderen erleiden, wird die Begnadigten so einschüchtern, daß der Aberglaube der Christen für alle Zeit aus Rom verschwinden wird.«

Tigellinus bemerkte gekränkt, es habe ihm bisher noch niemand übertriebene Milde bei der Ausübung seines Amtes vorgeworfen. »Ich denke lediglich an die praktische Seite der Sache«, sagte er gereizt. »Fünftausend Menschen auf eine künstlerische Art und Weise hinrichten, so wie du dir das vorstellst, das läßt sich in deinem engen Zirkus an einem einzigen Tage nicht machen, und wenn wir in allen Gärten rings umher Kreuze aufstellten! Nein, so etwas will ich gar nicht erst versuchen. Wenn du aber keine künstlerische Vorstellung verlangst, dann können wir natürlich eine Massenhinrichtung veranstalten. Nur fürchte ich, daß das Volk nicht viel davon haben wird. Es wird sich langweilen, denn es gibt nichts Eintönigeres als so ein ununterbrochenes Gemetzel.«

Seine Worte erschreckten uns alle so sehr, daß wir ihn nur stumm anstarrten. Wir hatten uns gedacht, daß man einige Dutzend Christen auf irgendeine grausame Art hinrichten und die übrigen in einer großen Vorstellung auftreten lassen werde. Petronius schüttelte den Kopf und sagte endlich: »Nein, das wäre geschmacklos.«

Tigellinus fuhr fort: »Ich möchte nicht, daß man dich und vielleicht auch mich beschuldigt, wir hätten uns über die Rechte von Bürgern hinweggesetzt. Wir müssen das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Ich habe zehn oder zwölf Geständnisse, aber sie genügen nicht für einen öffentlichen Prozeß, und die Männer und Frauen, die gestanden haben, sind nicht in der Verfassung, daß man sie öffentlich vorzeigen kann.«

Unsere Blicke machten ihn verlegen, und er fuhr mürrisch fort: »Einige sind bei dem Versuch, zu fliehen, umgekommen. So etwas kommt öfter vor.«

Ich hatte wieder das Gefühl, von schweren Bleigewichten erdrückt zu werden, aber ich raffte mich auf und sagte: »Imperator, ich kenne die Christen und ihre Sitten und Bräuche. Sie sind friedfertige Menschen, die gern für sich bleiben, sich nicht in politische Dinge mischen und das Böse meiden. Ich weiß nur Gutes über sie. Sie sind vielleicht ein wenig einfältig in ihrem Glauben, daß ein gewisser Jesus von Nazareth, den sie Christus nennen und der unter Pontius Pilatus in Judäa gekreuzigt wurde, sie von allen Sünden erlösen und ihnen das ewige Leben geben wird. Aber Einfalt als solche ist wohl nicht strafbar.«

»Das ist es eben! Sie glauben, daß sie für die schlimmsten Verbrechen Vergebung erhalten werden und daß ihnen daher alles erlaubt sei«, sagte Nero ungeduldig. »Wenn das keine gefährliche Lehre ist, dann möchte ich wissen, was überhaupt für den Staat gefährlich ist!«

Einige wandten zögernd ein, das Gerücht übertreibe vielleicht die Gefährlichkeit der Christen. Wenn man einen Teil bestrafte, würden die anderen sich aus Furcht vor ihrem Aberglauben lossagen. Aber Tigellinus rief triumphierend: »In Wirklichkeit hassen sie die ganze Menschheit und glauben, daß ihr Christus sich offenbaren wird, um dich, Imperator, und auch meine Wenigkeit zur Strafe für unsere Übeltaten bei lebendigem Leibe verbrennen zulassen!«

Nero lachte und zuckte die Schultern. Zu seiner Ehre muß gesagt werden, daß er Verunglimpfungen seiner eigenen Person gelassen hinnahm und sogar Männer, die boshafte Verse auf ihn dichteten, wohlwollend behandelte. Er blickte jedoch betroffen auf, als Tigellinus, an mich gewandt, fortfuhr: »Hast du, Minutus, mir gesagt, daß die Christen nicht einmal Theatervorstellungen dulden?«

»Sie hassen das Theater!« sagte Nero und erhob sich langsam, denn er ertrug es nicht, daß man seine Sangeskunst geringschätzte. »Wenn dem so ist, sind sie wirklich Feinde der Menschheit und verdienen die härteste Strafe. Wir verurteilen sie wegen Brandstiftung und allgemeinen Menschenhasses. Ich denke, es wird sich niemand erheben, um sie zu verteidigen!«

Ich stand mit zitternden Knien auf und sagte starrsinnig: »Ich habe selbst an den heiligen Mählern der Christen teilgenommen, und ich kann beschwören, daß dort nichts Unziemliches geschehen ist. Sie tranken Wein und aßen Brot und andere gewöhnliche Speisen. Sie halten Brot und Wein für Christi Fleisch und Blut. Nach dem Mahl küssen sie sich, doch daran kann ich nichts Böses finden.«

Nero wischte meine Worte fort wie eine Fliege und sagte: »Reize mich nicht, Manilianus. Wir wissen, daß du nicht zu den Klügsten gehörst, wenn du dafür auch andere gute Eigenschaften haben magst. Die Christen haben dich in deiner Leichtgläubigkeit getäuscht.«

»Richtig!« bestätigte Tigellinus seine Worte. »Unser Minutus ist viel zu gutgläubig. Diese Zauberer haben ihm den Blick verwirrt. Sie haben auch mir hart zugesetzt, während der Verhöre. Nach außen hin geben sie sich als bescheidene, wohlanständige Leute, und sie locken die Armen durch freie Mahlzeiten an. Wer aber an ihren Mysterien teilnimmt, der erliegt ihren Zauberkünsten.«

Zuletzt gab Nero so weit nach, daß er erklärte, etwa dreitausend Gefangene würden für seine Vorstellung genügen. Er erlaubte Tigellinus, alle freizulassen, die ihrem Aberglauben abschworen, vorausgesetzt, daß noch genug zur Bestrafung übrigblieben. »Wir anderen wollen uns unterdessen etwas ausdenken, woran das Volk seinen Spaß haben wird«, sagte er. »Und du, Tigellinus, sorgst dafür, daß für die Theatervorstellung auch einige makellose Jünglinge und Jungfrauen übrigbleiben, und nicht nur gebrandmarkte Sklaven.«

Der Mensch glaubt allzu gerne, was er hofft. Daher dachte ich, als ich Tigellinus zum Prätorianerlager zurückbegleitete, daß Nero nur einige Christen hinrichten lassen wollte, um das Volk zufriedenzustellen, und daß die übrigen in einer schimpflichen, erniedrigenden Vorstellung auftreten sollten. Tigellinus schwieg. Er hatte seine eigenen Pläne, von denen ich noch nichts ahnte.

Wir begaben uns zum Exerzierfeld. Die Gefangenen waren von der Sonne erschöpft, denn es war ein heißer Herbsttag. Man hatte Lebensmittel und Wasser aus der Stadt herbeigeschafft, aber nicht genug für alle. Viele, die hungrig und durstig waren, baten, sich selbst etwas bringen lassen zu dürfen, wie es das Gesetz und die gute Sitte erlaubten.

Wenn Tigellinus einen Mann in der Toga erblickte, blieb er bei ihm stehen, sprach freundlich mit ihm und fragte: »Bist du einer von denen, die Rom angezündet haben?« Sobald der Mann verneinte, fragte er: »Bist du schon einmal wegen eines schändlichen Verbrechens bestraft worden?« Erhielt er auch darauf eine zufriedenstellende Antwort, rief er erleichtert: »Gut! Du scheinst mir ein Ehrenmann zu sein. Ich lasse dich frei, wenn du versprichst, dem verderblichen Irrglauben der Christen abzuschwören. Du hast gewiß hundert Sesterze, um die Haftkosten zu bezahlen.«

Er war jedoch unangenehm überrascht, und auch ich war, um die Wahrheit zu sagen, verblüfft, als einer nach dem anderen ruhig zur Antwort gab, er könne Christus nicht verleugnen, der ihn von seinen Sünden erlöst und in sein Reich gerufen habe. Im übrigen sagten sie, seien sie gern bereit, heimzugehen und fünfzig, hundert oder auch fünfhundert Sesterze zu zahlen, um dem Staat die Auslagen zu ersetzen.

Zuletzt stellte sich Tigellinus taub, murmelte eine Frage: »Du sagst dich also von Christus los?« gab sich selbst die Antwort und sagte hastig: »Gut, gut, du kannst gehen!« Er verlangte nicht einmal mehr ein Bestechungsgeld und wollte nur, daß sie auch wirklich gingen. Viele waren aber so starrsinnig, daß sie heimlich zurückkehrten und sich unter den anderen Christen versteckten.

Unterdessen ließ Tigellinus durch Prätorianer, die den Ordnungsdienst in der Stadt versahen, überall bekanntmachen, daß die am Brande Roms schuldigen Christen quer durch das Trümmerfeld und die Via Sacra entlang auf die andere Seite des Flusses, in Neros Zirkus, geführt werden sollten. Der Begleitmannschaft gab er zu verstehen, daß er nichts dagegen hatte, wenn der eine oder andere unterwegs entkam und im Gedränge verschwand. Einige Greise und zarte Frauen klagten, der Weg sei zu weit, aber Tigellinus meinte scherzend, er könne nicht für jeden kleinen Spaziergang allen eine Sänfte besorgen.

Entlang des Weges versammelten sich johlende Volkshaufen, die die Christen mit Steinen und Kot bewarfen, aber der Zug der Gefangenen war so lang, daß auch die lautesten Schreier ermüdeten, ehe noch das Ende in Sicht kam. Ich ritt an dem Zuge auf und ab und achtete darauf, daß die Prätorianer ihre Pflicht taten und die Gefangenen beschützten.

Dennoch wurden einige so übel zugerichtet, daß sie in ihrem Blute liegen blieben. Als wir aber zur Via Sacra kamen, der Himmel sich rot färbte und die Schatten lang wurden, herrschte ein seltsames Schweigen unter dem Volk links und rechts des Weges. Es war, als wäre für einen Augenblick die ganze Stadt in gespenstische Stille versunken. Die Prätorianer blickten sich beunruhigt um, denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, der Himmel werde sich auftun und Christus werde herabsteigen, um die Seinen zu beschützen.

Von Hunger, Durst und Schlafmangel ermattet, vermochten viele nicht mehr weiterzugehen und ließen sich am Wegrand nieder, aber niemand tat ihnen etwas zuleide. Sie baten ihre Glaubensbrüder, sie nicht zurückzulassen und ihres Anteils an der Freude in Christus zu berauben. Da mieteten einige der Christen Wagen, auf denen Schutt und Baumaterial befördert wurden, und luden die Müden auf. Bald folgten unserem Zug an die hundert Ochsenkarren, und niemand brauchte mehr zurückzubleiben. Tigellinus schritt nicht ein, aber er fluchte und sagte, die Christen in ihrem Aberglauben seien starrsinniger und unbelehrbarer, als er je geahnt habe.

Er beging einen Fehler, indem er den Zug über die Insel des Äskulap und durch das Judenviertel zum Vatikanischen Hügel führte. Es dämmerte schon, und als der Volkshaufe, der dem Zug folgte, die Juden erblickte, stürzte er sich auf sie, um sie zu mißhandeln, und drang in ihre Häuser ein. Tigellinus mußte den größten Teil der Bewachung abziehen, um die Ordnung wiederherzustellen, so daß der Zug der Christen mehr oder weniger selbst zusehen mußte, wie er in den Zirkus auf dem Vatikanischen Hügel kam.

Ich hörte die Männer und Frauen an der Spitze einander fragen, ob sie wohl auf dem richtigen Wege seien. Manche verirrten sich in der Dunkelheit in die Gärten Agrippinas, aber gegen Morgen waren alle im Zirkus. Es wurde behauptet, nicht ein einziger der Christen sei entflohen, aber das zu glauben fällt mir schwer. Die Gelegenheit, sich aus dem Staube zu machen, war zu günstig, als die Dunkelheit eingebrochen war und man sich im vierzehnten Stadtteil prügelte.

Die riesige Menschenmenge fand natürlich nicht in den Kellern und Stallungen Platz, und viele mußten sich in den Sand der Arena legen. Tigellinus erlaubte ihnen, sich mit Heu aus den Vorgärten ein Lager zu bereiten, und ließ die Wasserleitungen der Rennställe für sie öffnen. Er tat es nicht aus Barmherzigkeit. Die Christen waren ihm anvertraut worden, und er war Römer.

Einigen Kindern, die ihre Eltern verloren hatten, und einigen jungen Mädchen, die von den Prätorianern aus der Menge ausgewählt und geschändet worden waren, damit dem Gesetz Genüge getan wurde, welches vorschreibt, daß keine Jungfrau zur Leibesstrafe verurteilt werden darf, befahl ich streng, nach Hause zu gehen – in Christi Namen, denn anders gehorchten sie mir nicht. Und ich war nicht der einzige, der sich in diesem Durcheinander gezwungen sah, sich auf Christus zu berufen. Auch die Prätorianer, die bei den Wasserleitungen für Ordnung zu sorgen hatten, hörte ich ihre Befehle in Christi Namen geben.

Bedrückt kehrte ich mit Tigellinus in der Dunkelheit zum Esquilin zurück, und wir ließen uns bei Nero melden. Als er mich sah, fragte er mich ungeduldig: »Wo hast du dich herumgetrieben? Wenn man dich einmal braucht, bist du nicht da. Sag mir, was für wilde Tiere du in deinem Tiergarten hast.«

Ich erwiderte, daß die Auswahl nicht groß war, da wir wegen des Wassermangels und der Futterknappheit nach dem Brand den Tierbestand einschränken mußten. Für Jagdspiele hatte ich eigentlich nur hyrkanische Auerochsen und Jagdhunde, erklärte ich, nichts Böses ahnend. Sabina hatte außerdem ihre Löwen. »Aber«, sagte ich düster, »es wird bei den neuen Wassergebühren kaum möglich sein, den Tiergarten aufzufüllen.«

»Man wirft mir immer vor, ich sei zu milde und entwöhnte das Volk der alten römischen Tugenden«, unterbrach mich Nero. »Nun soll es einmal haben, wonach es verlangt, sosehr mir solche Grausamkeiten persönlich widerstreben. Aber das entsetzliche Verbrechen der Christen und ihr Menschenhaß rechtfertigen sie. Die Gefangenen werden gegen wilde Tiere kämpfen. Ich bin bereits die Göttersagen durchgegangen, um Anregungen für passende Szenen daraus zu schöpfen. Fünfzig Mädchen können Danaiden darstellen und fünfzig Jünglinge deren Gatten. Eine, die Dirke hieß, wurde auf die Hörner eines Stiers gebunden. Das können wir mehrere Mädchen darstellen lassen.«

Ich wandte erschrocken stammelnd ein: »Unter deiner Regierungszeit durften im ganzen Reich nicht einmal die schlimmsten Verbrecher zu den wilden Tieren verurteilt werden! Ich glaubte, diese barbarische Sitte hätte ein für allemal ein Ende. Auf so etwas bin ich nicht vorbereitet. Ich habe die erforderlichen Tiere nicht. Nein, ich mag nicht einmal daran denken!«

Neros Hals schwoll vor Zorn. »Rom irrt, wenn es glaubt, ich scheute mich, Blut im Sand zu sehen!« rief er. »Du tust, was ich dir befehle. Die Mädchen, die Dirke darstellen, werden nackt auf die Hörner von Auerochsen gebunden. Ein paar hundert Menschen können wir von Hunden zerreißen lassen.«

»Die Hunde sind darauf abgerichtet, wilde Tier zu jagen«, sagte ich und wunderte mich über seine mangelnde Sachkenntnis. »Sie würden niemals einen Menschen angreifen.« Ich dachte einen Augenblick nach und schlug dann vorsichtig vor: »Man könnte die Gefangenen bewaffnen und sie mit den Hunden Auerochsen jagen lassen. Bei einer solchen Jagd setzen, wie du weißt, sogar erfahrene Jäger ihr Leben aufs Spiel.«

Nero starrte mich böse an und fragte mit gefährlicher Ruhe: »Trotzest du meinem Willen, Manilianus. Ich denke, ich habe dir deutlich genug gesagt, was für eine Vorstellung ich morgen von dir haben will.«

»Morgen!« rief ich. »Du mußt von Sinnen sein! Das ist ganz und gar unmöglich!«

Nero richtete seinen großen Kopf in die Höhe und sagte prahlerisch: »Für Nero ist nichts unmöglich. Morgen haben wir die Iden. Bei Tagesanbruch tritt der Senat zusammen. Ich unterrichte ihn davon, daß wir die Brandstifter entdeckt haben. Sobald der Senat vollständig im Zirkus angelangt ist, kann die Vorstellung beginnen. Mein Entscheid stellt in einem solchen Fall ein rechtskräftiges Urteil dar, und ein Prozeß ist nicht notwendig. Das haben mir meine gelehrten Freunde übereinstimmend versichert. Nur aus Achtung vor dem Senat und um gewissen boshaften Gerüchten den Boden zu entziehen, überlasse ich die öffentliche Kundmachung dem Senat und lade diesen in den Zirkus ein, damit er sich mit eigenen Augen davon überzeugt, daß Nero nicht vor Blut zurückschreckt.«

»Ich habe für diesen Zweck keine Tiere«, sagte ich kurz und bereitete mich darauf vor, einen Trinkbecher an den Kopf oder einen Tritt in den Leib zu bekommen. Das wäre nicht das Gefährlichste gewesen, denn wenn Nero seinen Zorn durch körperliche Gewalttätigkeiten austobte, beruhigte er sich immer sehr rasch.

Er wurde aber nur noch ruhiger, starrte mich erbleichend an und fragte: »Habe nicht ich selbst dich zum Vorsteher des Tiergartens ernannt? Sind es deine Tiere oder meine?«

»Der Tiergarten gehört zweifellos dir, obwohl ich einen beträchtlichen Teil meines eigenen Vermögens hineingesteckt habe, was ich leicht nachweisen kann«, erwiderte ich. »Die Tiere dagegen sind mein persönliches Eigentum. In den Büchern der Staatskasse und deiner eigenen Kasse kannst du nachlesen, daß ich die Tiere für Jagdspiele Stück für Stück verkauft und die zahmen Tiere für andere Vorführungen um einen Preis, der von dem Wert der Vorstellung abhing, vermietet habe. Für deine Zwecke habe ich keine Tiere zu verkaufen oder zu vermieten. Weder du noch der Senat kann mich dazu zwingen, dir mein persönliches Eigentum zu überlassen, nur um eine umbarmherzige Laune zu befriedigen. Ich habe das Recht auf meiner Seite und brauche mich nicht zu fürchten.«

Die anwesenden Rechtsgelehrten und Senatoren nickten widerwillig. Nero lächelte mich plötzlich freundlich an. »Wir sprachen eben auch über dich, Minutus«, sagte er. »Ich nahm dich in Schutz, so gut ich es vermochte, aber du bist selbst von dem verderblichen Aberglauben der Christen angesteckt. Du weißt zu viel darüber. Während des Brandes im letzten Sommer hast du übrigens auch ein kostbares Pferd aus meinem Stall aus dem Palatin gestohlen und es nie zurückgegeben. Ich habe dich nicht daran erinnert, denn Nero ist nicht kleinlich, was immer man ihm sonst auch nachsagen mag. Und ist es nicht sonderbar, daß dein Haus auf dem Aventin von den Flammen verschont wurde? Ich habe außerdem gehört, daß du dich hinter meinem Rücken wieder vermählt hast. Es gibt freilich verschiedene Gründe, eine Ehe geheimzuhalten, aber es gibt mir doch zu denken, wenn ganz offen behauptet wird, die Gattin eines meiner Freunde sei Christin. Sagtest du nicht selbst, du habest an ihren geheimen Mählern teilgenommen? Ich hoffe, du wirst dich hier unter deinen Freunden augenblicklich von derlei Beschuldigungen reinwaschen.«

»Gerüchte, nichts als Gerüchte«, sagte ich verzweifelt. »Man sollte meinen, daß du, ja gerade du, allen unbegründeten Klatsch verachtest, ich hätte nicht gedacht, daß du ihm deine Ohren öffnen würdest.«

»Du zwingst mich dazu, Minutus«, erwiderte Nero sanft. »Du bringst mich als deinen Freund in eine mißliche Lage. Daß die Christen rasch und unnachsichtig bestraft werden, ist eine politische Notwendigkeit. Oder willst du vielleicht behaupten, ich hätte Rom angezündet, wie es gewisse Senatoren aus uraltem Neid und Eifersucht hinter meinem Rücken tun? Du willst verhindern, daß die Christen so bestraft werden, wie ich es wünsche, und deine Widersetzlichkeit hat zweifellos politische Ursachen. Ich muß sie wohl oder übel als eine Kundgebung gegen mich als Herrscher auffassen. Willst du etwa mich, deinen Freund, zwingen, dich als Christen zu verurteilen – natürlich nicht zu den wilden Tieren, sondern nur zur Enthauptung –, weil ich dich als meinen Feind und überdies als Feind der Menschheit ansehen muß? Das wäre vermutlich die einzige Möglichkeit, dein Eigentum auf gesetzlichem Wege zu beschlagnahmen. Liebst du wirklich die Christen und deine Tiere mehr als mich und dein eigenes Leben?«

Er lächelte selbstzufrieden, weil er wußte, daß er mich in der Falle hatte. Der Form halber zögerte ich noch und dachte währenddessen angestrengt nach, und ich muß heute zu meiner Rechtfertigung sagen, daß ich mehr an Claudia und mein ungeborenes Kind, also an Dich, Julius, dachte als an mich selbst.

Endlich sagte ich: »Man könnte einen Teil der Verurteilten in Bären- und Wolfsfelle stecken. Vielleicht würden die Hunde sie dann zerreißen. Aber die Zeit, eine sehenswerte Vorstellung vorzubereiten, ist sehr knapp bemessen.«

Alle brachen in ein befreiendes Gelächter aus, und es war nicht mehr die Rede davon, daß ich mit den Christen gemeinsame Sache gemacht hätte. Vielleicht hatte mich Nero nur im Scherz erschrecken wollen und nie die Absicht gehabt, seine Drohung wahr zu machen. Meine Tiere hätte er übrigens ohne weiteres beschlagnahmen lassen können, und zwar auf Grund der Buchführung des Tiergartens, die einer genaueren Überprüfung nicht standgehalten hätte, denn ich hatte mir meine Auslagen doppelt ersetzen lassen: einmal aus der Staatskasse und ein zweites Mal aus Neros eigener Kasse.

Ich will damit sagen, daß Nero meine Tiere in jedem Fall bekommen hätte, was auch immer aus mir geworden wäre. Deshalb glaube ich auch noch heute, daß ich damals das einzig Mögliche tat. Was würde es den Christen oder mir selbst genützt haben, wenn ich mir aus lauter Halsstarrigkeit den Kopf hätte abschlagen lassen? Als ich meinen Entschluß faßte, wußte ich freilich noch nicht, was für eine Rolle mein eigener Vater in dieser unglückseligen Geschichte zu spielen gedachte.

Nein, ich hätte vergeblich wider den Stachel gelockt. Nero hatte seine Herolde, schon als der Abendstern aufleuchtete, in den erhaltenen Stadtteilen ein Fest für den folgenden Tag ausrufen und das Volk zum Schauspiel in den Zirkus auf dem Vatikanischen Hügel laden lassen. Um diese Zeit hatte der Zug der Christen noch nicht einmal diese Stadtteile erreicht.

Ich hatte es so eilig, in den Tiergarten zu kommen, daß wir das Programm nur in großen Zügen festlegen konnten. Ich mußte noch in derselben Nacht die Tiere auswählen und über den Fluß schaffen, was keine leichte Aufgabe war. Ich ließ im Tiergarten sofort Alarm schlagen und Fackeln und große Ölbecken anzünden, so daß die ganze Gegend taghell erleuchtet war.

Die Tiere waren noch unruhiger und aufgeregter als die Menschen, als sie bei flackerndem Feuerschein und unter großem Lärm aus dem Schlaf gerissen wurden. In das Poltern der Karren und der von Ochsen gezogenen Schlitten mischten sich das Gebrüll der Auerochsen und der Löwen und das Trompeten der Elefanten. Der Lärm war bis zum Marsfeld zu hören, wo die Menschen, in dem Glauben, der Brand sei von neuem ausgebrochen, aus ihren Notunterkünften stürzten.

Zusätzlich zu unseren eigenen Fuhrwerken beschlagnahmte ich die am festesten gezimmerten Ochsenschlitten, die Tag und Nacht Bausteine aus den Steinbrüchen außerhalb der Stadt herbeischleppten. Tigellinus stellte mir eine Kohorte Prätorianer zur Verfügung, die ich mit Wein und Geld anspornte, so daß sie kräftig mit zupackten, obwohl sie, nachdem sie einen Tag und eine Nacht ununterbrochen Dienst getan hatten, zum Umfallen müde waren.

Das größte Hindernis war, wie nicht anders zu erwarten, Sabina. Sie kam geradewegs aus Epaphroditus’ Bett zu mir gerannt und schrie: »Du bist besessen? Was soll dies alles bedeuten?« Sie wollte um keinen Preis ihre zahmen Löwen hergeben, da die ganze lange Arbeit, die sie mit ihnen gehabt hatte, zunichte war, wenn sie ein einziges Mal Gelegenheit erhielten, einen Menschen zu zerreißen und Menschenblut zu schmecken.

Zum Glück war Epaphroditus vernünftiger als sie. Er begriff, daß größte Eile geboten war, und half selbst mit, drei wilde Löwen, die erst kürzlich aus Afrika eingetroffen waren, zu verladen. Leider war die Abendfütterung schon vorüber, und sie waren satt und faul. Einige alte Sklaven, die sich noch gut an die großartigen Raubtiervorstellungen des Kaisers Claudius erinnerten, meinten, man werde an den Tieren nicht viel Freude haben.

Für die hyrkanischen Auerochsen hatten wir keine Transportkäfige, denn sie wurden gewöhnlich durch eine feste Einzäunung und einen unterirdischen Gang in die Ställe des Amphitheaters getrieben. Wir mußten sie auf ihrem Weideplatz einfangen und binden. Wenn man bedenkt, daß es an die dreißig waren und daß wir sie teilweise im Dunkeln einfangen mußten, während die Tiere, von dem Lärm und dem Fackelschein erschreckt, umherrasten und miteinander kämpften, meinte ich, daß ich mir einige Achtung dafür verdient habe, daß ich noch vor Anbruch der Morgendämmerung meinen Auftrag ausgeführt hatte.

Ich mußte mich, um ein gutes Beispiel zu geben, selbst am Einfangen beteiligen, nachdem mehrere ungeschickte Prätorianer niedergestoßen und zertrampelt worden waren, und bekam einen Tritt auf den Fuß und einige Schrammen ab, doch ich brach mir keine Knochen und spürte in der Eile nicht einmal die Schmerzen. Einer der Bären schlug mir mit der Tatze den linken Arm gefühllos, aber ich freute mich nur über die wilde Kraft dieser Tiere.

Unterdessen hatte ich in der ganzen Stadt die Schneider und Schuster wecken lassen. Tierfelle hatten wir genug, da es, seit die verfeinerten griechischen Sitten in die Häuser der Vornehmen Eingang gefunden hatten, nicht mehr üblich war, Felle als Bettdecken oder Wandbehänge zu verwenden. Ich hatte dadurch große finanzielle Einbußen erlitten, aber jetzt dankte ich Fortuna für die zahllosen Felle, die uns zur Verfügung standen.

Als der Morgen graute, herrschte in Neros Zirkus ein vollkommnes Chaos. Theaterleute rannten mit Kostümen hin und her, Soldaten rammten Pfähle ein, und Sklaven bauten Laubhütten darum herum. Ganze Häuser wurden in aller Eile auf dem Sand errichtet. Ich ließ Felsbrocken herbeischleppen und in der Mitte der Arena aufeinandertürmen.

Es war nicht zu verhindern, daß es zu Streitigkeiten kam, denn jeder hielt seinen Auftrag und seinen Anteil an den Vorbereitungen für das Wichtigste. Die Christen waren überall im Wege. Sie lagen in ganzen Scharen im Sand oder gingen neugierig umher und störten die Arbeiter. Der Zirkus, der bisher nur für Wagenrennen verwendet worden war, war zu klein. Ich mußte sämtliche Kellerräume und Ställe belegen und zum Teil die Wände für meine Tiere verstärken lassen. Die kräftigsten Christen wurden mit zur Arbeit angestellt, die anderen auf die Zuschauertribünen hinaufgetrieben. Es gab nicht genug Abtritte für so viele Gefangene. Deshalb mußten sie zuletzt rasch noch die Gänge reinigen, die sie beschmutzt waren, aber wir waren dennoch gezwungen, überall Weihrauch zu verbrennen und große Mengen von Parfüm zu versprühen, um wenigstens in der Kaiserloge und auf den Bänken des Senats den Aufenthalt erträglich zu machen. Ich muß allerdings zugeben, daß meine Tiere an dem Gestank nicht ganz schuldlos waren, aber ich war ihren Geruch schon so gewöhnt, daß ich ihn kaum noch wahrnahm.

Die Christen begannen sich in Gruppen zu sammeln, um zu beraten und Christus zu preisen. Einige sprangen und tanzten mit rollenden Augen verzückt umher. Andere redeten in Zungen, die niemand verstand. Viele Prätorianer meinten, als sie das sahen, es sei Neros erste wirkliche Herrschertat, daß er solche Zauberei in Rom ausrottete.

Die Vernünftigsten unter den Christen wußten noch immer nicht recht, was für ein Schicksal sie erwartete. Sie sahen den Vorbereitungen verwundert zu. Einige, die mich vom Sehen kannten, kamen zu mir und fragten mich in aller Unschuld, wie lange man sie noch gefangenhalten wolle und wann der Prozeß beginnen werde.

Sie hatten, wie sie sagten, wichtige Angelegenheiten zu ordnen und sich um ihre Arbeit zu kümmern. Vergebens versuchte ich ihnen zu erklären, daß das Urteil bereits gefällt war und daß sie gut daran täten, sich darauf vorzubereiten, tapfer für Christus zu sterben, um dem Senat und dem Volk von Rom ein denkwürdiges Schauspiel zu bieten.

Sie schüttelten die Köpfe und glaubten mir nicht. »Du treibst deinen Scherz mit uns«, sagten sie. »So etwas kann in Rom nicht geschehen.«

Sie glaubten mir noch nicht einmal, als sie ihre Kleider ablegen mußten und die Schneider und Schuhmacher begannen, sie in Felle einzunähen. Einige lachten sogar und gaben den Handwerkern gute Ratschläge, und ich sah Knaben und junge Mädchen, die knurrten und sich miteinander balgten, als man sie in Panther oder Wolfsfelle eingenäht hatte. Und so groß ist die Eitelkeit der Menschen, daß manche sich sogar um die schönsten Felle stritten. Sie begriffen noch immer nicht, was man mit ihnen vorhatte, obwohl sie meine Hunde in den Kellergewölben ununterbrochen heulen hörten.

Als die Theaterleute daran gingen, die schönsten und stattlichsten Männer und Frauen für ihre Zwecke auszuwählen, verlangte ich die dreißig schönsten Frauen für die Dirkenummer und suchte mir, während die Danaiden und ihre ägyptischen Bräutigame in ihre Kostüme gekleidet wurden, Mädchen und Frauen zwischen sechzehn und fünfundzwanzig Jahren aus, die ich sofort beiseite führen ließ, bevor die unehrlichen Theaterleute sie mir wegschnappten.

Ich glaube, den Christen dämmerte die Wahrheit erst, als die Strahlen der aufgehenden Sonne den Sand röteten und man die dem Aussehen nach schlimmsten Verbrecher zu kreuzigen begann. Einen Teil der Balken und Planken, die für diesen Zweck herbeigeschafft worden waren, hatte ich zur Verstärkung der Stallwände verwendet, aber es wäre ohnehin nicht gut möglich gewesen, die Kreuze zu dicht nebeneinander aufzustellen, da sie sowohl die Sicht als auch die Vorführung selbst behindert hätten.

Tigellinus eilte in den Senat. Zuvor bestimmte er rasch noch, daß nur vierzehn Kreuze, eins für jeden Stadtbezirk, in der Mitte der Arena errichtet werden sollten. Weitere Kreuze hatten links und rechts neben den Eingängen Platz, aber darüber hinaus mußte man sich damit begnügen, so viele wie möglich an die Planken rund um die Rennbahn zu nageln.

Um mehr Platz zu bekommen, schickte er tausend Männer und tausend Frauen unter Bewachung in die Gärten der Agrippina, wo Nero das Volk am Abend nach der Vorstellung zum Mahle laden wollte. Außerdem mußte dem Volk aber auch während der Vorstellung etwas geboten werden. Der Zirkus auf dem Vatikanischen Hügel liegt so weit von der Stadt entfernt, daß man von den Leuten nicht erwarten konnte, daß sie zu Mittag heimgingen. Die kaiserliche Küche war jedoch gut vorbereitet, und so trafen zahllose Körbe mit Speisen ein, einer für jeweils zehn Zuschauer, daneben besondere Körbe mit Wein und gebratenen Hühnern für die Senatoren und zweitausend Körbe allein für die Ritter.

Meiner Meinung nach übertrieb Tigellinus, indem er so viele Christen auf den Planken um die Arena kreuzigen ließ. Man brauchte dazu ganze Fuhren kostbarer Nägel. Außerdem fürchtete ich, das Gejammer der Gekreuzigten könnte die Vorstellung stören, obgleich sie sich zu Anfang, vermutlich vor Überraschung und Verwunderung, sehr still verhielten. Daß die Aufmerksamkeit des Publikums von meinen Raubtieren abgelenkt würde, war meine geringste Sorge, denn wenn es gar zu viele Menschen sind, die sich vor Qualen winden, wird man des Anblicks bald müde, aber die Schmerzensschreie von an die tausend Menschen sind imstande, sowohl das Brummen der Bären und das Brüllen der Löwen als auch die Erklärungen der Herolde zu den Pantomimen zu übertönen. Ich glaubte daher richtig zu handeln, als ich einige der Führer der Christen um mich versammelte und ihnen befahl, umherzugehen und die Gekreuzigten zu bitten, während der Vorstellung entweder zu schweigen oder allenfalls laut Christi Namen zu rufen, damit das Volk auch verstand, wofür sie bestraft wurden.

Die Lehrer der Christen, deren einige schon in Tierfellen staken, nahmen ihren Auftrag ernst. Sie sprachen mit den Jammernden und versicherten ihnen, es sei für sie die größte Ehre, daß sie den Kreuzestod erleiden durften wie Jesus von Nazareth. Ihre Prüfung sei kurz, sagten sie, verglichen mit der ewigen Seligkeit, die sie in Christi Reich erwartete. Noch am selben Abend sollten sie im Paradiese sein.

Die Lehrer sprachen so eifrig und so überzeugend, daß ich lächeln mußte. Als sie aber mit immer innigerer Glut den Gekreuzigten vor Augen führten, welch Freudentag dies sei, da sie unschuldig zur Verherrlichung des Namens Christi leiden und als seine Zeugen gen Himmel fahren durften, da biß ich mir auf die Lippen. Es war, als beneideten sie die Gekreuzigten wirklich um ihr Schicksal, und das schien mir reine Verstellung zu sein. Daher sagte ich barsch, sie könnten meinethalben gern ihre eigene kurze Pein gegen die lange Qual der Kreuzigung austauschen. Zu meiner Überraschung riß sich wirklich einer von ihnen das Bärenfell vom Leibe und bat mich auf den Knien um die Ehre, gekreuzigt zu werden. Es blieb mir nichts anders übrig, als den Prätorianern zu befehlen, ihn in irgendeinem Zwischenraum an die Planken zu schlagen.

Die Prätorianer ärgerten sich über diese zusätzliche und, wie sie meinten, unnötige Mühe so sehr, daß sie ihm einige kräftige Hiebe versetzten. Sie hatten schon so viele grobe Nägel mit schweren Hämmern einschlagen müssen, daß ihre Arme lahm vor Schmerzen waren. Ich hatte nichts dagegen, daß sie ihn schlugen. Das Gesetz schreibt vor, daß die Gekreuzigten gegeißelt werden, damit sie schneller sterben, aber wir hatten keine Zeit, all die vielen Christen zu geißeln, und es mußte genügen, daß da und dort ein mitleidiger Prätorianer einen mit der Lanze stach, so daß das Blut zu strömen begann.

Ich frage mich noch heute, wie es möglich war, Neros Befehl rechtzeitig auszuführen. Als das Volk am hellen Morgen in den Zirkus strömte und die Wege draußen weiß von Menschen waren, waren die Tribünen gesäubert, die Bauten in der Arena fertig, die Auftretenden eingekleidet, die Nummern im einzelnen durchgesprochen und die Rollen verteilt, und die Gekreuzigten hingen zuckend und leise jammernd an den Kreuzen oder Planken.

Das Heulen der Hunde und das Gebrüll der Auerochsen klangen den Zuschauern vielversprechend in den Ohren, und während sich die Eifrigsten um die besten Plätze rauften, bekam jeder, der ruhig oder ordentlich durch einen der Eingänge trat, ein frisch gebackenes Brot und ein Stück Pökelfleisch. Wer wollte, durfte außerdem einen Becher mit Wasser vermischten Weins trinken.

Ich war insgeheim stolz auf Rom, als ich mich neben einem Heubündel im Stall hastig wusch und meine Festtoga mit dem roten Streifen anlegte, so tief war der Eindruck, den das langsam ansteigende freudige Gemurmel einer Volksmenge in gespannter Erwartung auf mich machte. Als ich einige Becher Wein getrunken hatte, wurde ich gewahr, daß eine der Ursachen für meinen frohen Stolz die allgemeine Freude der Christen war. Sie ermahnten einander, nicht zu weinen, und versicherten sich gegenseitig, daß es besser sei, vor Freude und Entzücken zu lachen, während sie darauf warteten, an der Pforte zu Christi Reich Zeugnis abzulegen. Während mir der Wein in meinen müden Kopf stieg, war ich immer mehr davon überzeugt, daß die Vorstellung, zumindest was meinen Anteil daran anbetraf, nicht mißlingen konnte, aber ich wäre wohl kaum so ruhig und stolz auf meine Leistungen gewesen, wenn ich gewußt hätte, was zu gleicher Zeit in der Kurie geschah. Nun da ich daran zurückdenke, faßt mich so tiefe Trauer, daß ich mich unterbrechen und eine neue Buchrolle beginnen will, um so gefaßt wie möglich darüber zu berichten.

X DIE ZEUGEN


Der Senat hatte sich, wie an allen Iden außer während der Sommermonate, bei Tagesanbruch leidlich vollzählig in der Kurie versammelt, die zum Verdruß so manchen Senators den Brand beinahe unbeschädigt überstanden hatte.

Nero schlief so lange, daß er am Eröffnungsopfer nicht teilnehmen konnte. Dann aber traf er voller Unternehmungslust ein, begrüßte die beiden Konsuln mit einem Kuß und bat mit vielen Worten um Vergebung für seine Verspätung, an der wichtige Staatsgeschäfte schuld seien. »Ich bin bereit, jede Strafe anzunehmen, die mir der Senat für mein Säumen auferlegt«, sagte er scherzend. »Aber ich glaube, die Väter werden Müde walten lassen, wenn sie hören, was ich ihnen mitzuteilen habe.«

Die Senatoren unterdrückten ihr Gähnen, setzten sich bequemer auf ihren Elfenbeinschemeln zurecht und machten sich auf eine stundenlange Redeübung nach dem Muster Senecas gefaßt. Nero begnügte sich jedoch mit einigen knappen Worten über die sittliche Lebensordnung, die das Gebot der Götter und das Erbe der Väter ist, und kam auch schon zur Sache.

Der verheerende Brand im letzten Sommer, das größte Unglück, das Rom seit der Verwüstung durch die Gallier getroffen hatte, sei keineswegs eine Strafe der Götter für gewisse politisch notwendige Geschehnisse in der Stadt, wie böse Zungen noch immer behaupteten, sondern das Werk frevlerischer Menschen, das ungeheuerlichste Verbrechen, das je am Reich und an der Menschheit begangen worden ist. Die Schuldigen seien die sogenannten Christen, deren abscheulicher Aberglaube sich in aller Stille in ungeahntem Maße in der Verbrecherwelt Roms und den untersten Volksschichten ausgebreitet habe. Die meisten Christen seien zugewanderte Ausländer, sagte Nero, und sprächen nicht einmal Latein. Sie gehörten dem ununterbrochen nach Rom hereinströmenden wurzel- und sittenlosen Pöbel an.

Die Verschwörung sei um so gefährlicher, als diese verachtungswürdigen Christen nach außen hin untadelig aufzutreten versuchten und die Armen durch freie Mahlzeiten und Almosen an sich lockten, um danach bei ihren sorgfältig geheimgehaltenen Mysterien ihren entsetzlichen Menschenhaß in all seiner Gräßlichkeit zu enthüllen. Sie äßen Menschenfleisch und tränken Menschenblut und betrieben auch Zauberei, indem sie Kranke heilten und sie dadurch in ihre Gewalt brächten. Einige dieser Bedauernswerten hätten sie sogar dazu überredet, ihnen ihr gesamtes Vermögen für ihre verbrecherischen Zwecke zu überlassen.

Nero unterbrach sich, um den eifrigsten Senatoren Gelegenheit zu geben, ihren Abscheu und ihr Entsetzen laut kundzutun, wie es die Rhetorik verlangt.

Dann fuhr er fort, er wolle und könne aus sittlichen Gründen nicht all die Greuel aufzählen, die die Christen bei ihren Mysterien begingen. Das Wesentliche sei, daß sie im Vertrauen auf ihre große Zahl Rom in Brand gesteckt und sich auf Befehl ihrer Führer unter freudigem Jubel auf den Hügeln versammelt hätten, um die Ankunft eines Königs zu erwarten, der Rom unterwerfen, ein neues Reich gründen und alle Andersdenkenden zu den grausamsten Martern verurteilen sollte.

Aufgrund dieses Planes hätten die Christen ihre Bürgerpflichten im Dienste des Staates nicht mehr erfüllt, denn so schändlich und unglaublich es auch klinge: es gebe sogar römische Bürger, die sich in ihrer Einfalt und in der Hoffnung auf. spätere Belohnung der Verschwörung angeschlossen hätten. Daß die Christen alles haßten, was andere Menschen hoch und heilig hielten, ersehe man schon daraus, daß sie nicht den römischen Göttern opferten, die Künste für verderblich ansähen und sich weigerten, ins Theater zu gehen.

Es sei zum Glück ein leichtes gewesen, die Verschwörung ganz aufzudecken, denn die feigen Christen hätten, sobald die ersten gefaßt worden seien, nichts Eiligeres zu tun gehabt, als sich gegenseitig anzuzeigen. Er, Nero, habe augenblicklich Maßnahmen getroffen, die Stadt zu schützen und die Brandstifter zu bestrafen. Eine große Hilfe sei ihm der Prätorianerpräfekt Tigellinus gewesen, der sich die Anerkennung des Senats verdient habe.

Um den Vätern Zeit zu geben, die Sache zu überdenken, schilderte Nero nun kurz, wie der Aberglaube der Christen aufgekommen war. Er war ursprünglich in Galiläa von einem Aufwiegler, der Christus hieß, begründet worden. Dieser Christus wurde unter der Regierung des Tiberius von dem Prokurator Pontius Pilatus als Staatsverbrecher zum Tode verurteilt. Dadurch wurden die Unruhen für eine Weile niedergehalten. Dann aber streuten die Anhänger dieses Verbrechers das unsinnige Gerücht aus, er sei von den Toten auferstanden, worauf der Aberglaube in Judäa wieder auflebte und sich wie eine Seuche im Reiche ausbreitete.

Die Juden hätten mit diesem Aberglauben nichts zu schaffen, betonte Nero. Man könne sie nicht der Verschwörung gegen Rom anklagen, wie es gewisse Menschen in ihrem blinden Judenhaß täten. Im Gegenteil, die Juden lebten in Rom im Schutze ihrer Sonderrechte und von ihrem weisen Rat gelenkt zum Nutzen des Gemeinwohls.

Diese Behauptung fand beim Senat wenig Anklang, denn der Senat hat von alters her die Ausnahmerechte, die viele Kaiser den Juden bewilligten und immer wieder von neuem bestätigten, mißbilligt. Warum auch sollten wir einen Staat im Staate dulden?

Nero fuhr mit Nachdruck fort: »Man hat Nero allzu menschenfreundlich bei der Bestrafung von Verbrechern genannt. Man hat behauptet, er lasse die strengen Sitten der Väter in Vergessenheit geraten und verleite die Jugend zu einem weichlichen Leben, anstatt die kriegerischen Tugenden zu pflegen. Der Augenblick ist gekommen, zu beweisen, daß sich Nero nicht vor Blut fürchtet, wie gewisse Meister der Stoa säuerlich grimassierend versichern. Ein unerhörtes Verbrechen fordert eine unerhörte Strafe. Nero hat seine künstlerische Phantasie zu Hilfe gerufen, um mit der Bestrafung der Christen dem Senat und Volk von Rom ein Beispiel zu bieten, das man, wie er hofft, in den Annalen Roms nie vergessen wird. Ehrwürdige Väter, ihr werdet in seinem Zirkus mit eigenen Augen sehen, wie Nero die Christen, die Feinde der Menschheit, bestraft!«

Nachdem er auf diese Weise von sich selbst feierlich in der dritten Person gesprochen hatte, ging er wieder zur Ichform über und schlug in aller Bescheidenheit vor, man möge alle anderen Angelegenheiten bis zur nächsten Versammlung des Senats aufschieben, und die Väter sollten sich nun in ihren Sänften in den Zirkus begeben, sofern die Konsuln nichts dagegen einzuwenden hätten.

Die Konsuln dankten Nero von Amts wegen für seine Umsicht und sein rasches Einschreiten zur Rettung des Vaterlandes aus drohender Gefahr und drückten ihm ihre Freude darüber aus, daß er die wirklichen Urheber des Brandes ausgeforscht habe, was für den Staat vor allem deshalb nützlich sei, weil es allerlei unsinnigen Gerüchten den Boden entziehe. Sie schlugen vor, eine Zusammenfassung der Rede Neros in den öffentlichen Mitteilungen erscheinen zu lassen, und unterstützten seinen Antrag, die Versammlung aufzuheben. Nur um ihrer Pflicht Genüge zu tun, fragten sie, ob etwa einer der ehrwürdigen Väter den Wunsch habe, sich zu dieser ihrer Ansicht nach völlig klaren Angelegenheit zu äußern.

Der Senator Paetus Thrasea, der sich durch Neros Seitenhieb auf die säuerlich grimassierenden Stoiker in seiner Eitelkeit verletzt fühlte, bat ums Wort und schlug spöttisch vor, der Senat solle doch gleich die nötigen Dankopfer an die Götter für die Errettung aus dieser entsetzlichen Gefahr beschließen. Man habe ja auch wegen aller möglichen anderen Schandtaten Dankopfer dargebracht, und es sei nicht einzusehen, weshalb die Christen ein geringerer Anlaß sein sollten, da Nero ebenso große Angst vor Zauberei zu haben scheine wie vor einer Philosophie, welche die Aufrichtigkeit lehrt. Nero tat, als habe er nicht gehört. Er stampfte nur auf den Boden, um seine Ungeduld zu bekunden. Der Senat stimmte hastig für das übliche Dankopfer an Jupiter Custos und die anderen Götter. Die Konsuln fragten ungeduldig, ob sonst noch jemand zu sprechen wünsche.

Da erhob sich entgegen seiner Gewohnheit mein Vater Marcus Mecentius Manilianus und bat leicht stotternd ums Wort. Einige, die ihm zunächst saßen, zupften ihn an der Toga und flüsterten ihm zu, er solle schweigen, da er offenbar betrunken war. Mein Vater raffte jedoch die Toga mit beiden Armen zusammen und begann zu sprechen, während sein kahler Kopf vor Zorn zitterte: »Konsuln, Väter, du, Nero, Erster unter deinesgleichen. Ihr alle wißt, daß ich selten das Wort ergriffen habe. Ich kann mich nicht großer Weisheit rühmen, obgleich ich siebzehn Jahre lang im Ausschuß für orientalische Angelegenheiten meinen Teil zum besten des Staates beigetragen habe. Viel Schändliches habe ich hier in der Kurie gehört und gesehen, aber nie haben meine alten Augen Schmählicheres bezeugen müssen als an diesem Morgen. Sind wir nun dahin gekommen, daß der römische Senat schweigend billigt, daß, soviel ich weiß, Tausende von Männern und Frauen, darunter Hunderte von Bürgern und sogar einige Ritter, auf einige unbewiesene Beschuldigungen hin und ohne sich vor einem ordentlichen Gericht verantworten zu dürfen, auf die grausamste Weise hingerichtet werden?«

Einige mißbilligende Rufe wurden laut. Tigellinus erhielt die Erlaubnis, eine Erklärung abzugeben: »Es gibt nicht einen einzigen Ritter unter ihnen, und wenn das wirklich der Fall sein sollte, so hat er mir aus Scham seinen Rang verschwiegen.«

Nero fragte mit schlecht verhohlener Ungeduld: »Soll ich deine Worte so verstehen, daß du meine Ehrlichkeit und Gerechtigkeit anzweifelst, Marcus Manilianus?«

Mein Vater fuhr fort: »Ich habe von alldem nun genug. Ich habe stillschweigend römisches Kloakenwasser geschluckt, daß es mir bis zum Halse steht. Ich bezeuge, daß ich selbst zu Pontius Pilatus’ Zeiten in Jerusalem und Galiläa war und mit eigenen Augen gesehen habe, wie Jesus von Nazareth gekreuzigt wurde, der nicht nur Christus hieß, sondern wirklich Christus und Gottes Sohn ist, denn ich habe gleichfalls mit eigenen Augen gesehen, daß das Grab leer und er am dritten Tage von den Toten auferstanden war, was immer auch die Juden lügen mögen.«

Viele riefen, mein Vater müsse von Sinnen sein, aber die Neugierigeren verlangten, man solle ihn weitersprechen lassen. Im Grunde hegten die meisten Senatoren einen alten Groll gegen Nero und die Kaisermacht als solche. Dessen sollst Du stets eingedenk sein, mein Sohn Julius.

Mein Vater sprach also weiter: »Im stillen und in all meiner menschlichen Schwäche habe ich ihn schon seit langem als den Christus anerkannt, obwohl ich in meinem eigenen Leben nie imstande war, mich an seine Gebote zu halten. Ich glaube aber, er wird mir meine Sünden verzeihen und mir einen geringen Platz in seinem Reiche geben, wie immer dieses Reich beschaffen sein mag, von dem ich nichts Genaues weiß. Es muß ein Reich der Gnade, des Friedens und der Klarheit sein, dort oder hier oder überall. Eine politische Bedeutung aber hat dieses Reich nicht, und daher verfolgen die Christen auch keine politischen Ziele, außer in dem Sinne, daß sie glauben, nur in Christus und indem er Christi Weg wandelt, könne der Mensch die wahre Freiheit finden. Es gibt freilich viele Wege, und in die Glaubenszwiste der Christen mische ich mich nicht ein, aber ich glaube, sie führen zuletzt alle in sein Reich. Jesus Christus, Gottes Sohn, erbarme dich über mich Sünder!«

Die Konsuln unterbrachen ihn mit der Begründung, daß er nicht mehr zur Sache spreche, sondern philosophiere. Nero bat ums Wort und sagte ruhig: »Ich will die Geduld der Väter nicht mit unsinnigem Geschwätz auf die Probe stellen. Marcus Manilianus hat gesagt, was er zu sagen hatte. Ich für mein Teil war immer der Meinung, daß mein Vater, der Gott Claudius, in Sinnesverwirrung gehandelt hat, als er seine Gattin Messalina und so viele hochgeachtete Männer hinrichten ließ, daß er den Senat mit untauglichen Mitgliedern auffüllen mußte. Marcus Manilianus’ eigene Worte beweisen, daß er des Purpurstreifens und der roten Stiefel nicht würdig ist. Er hat offenbar den Verstand verloren. Was daran schuld sein mag, wage ich nicht zu sagen. Ich möchte nur vorschlagen, daß wir ihn aus Achtung vor seinem kahlen Haupt aus unserem Kreise ausschließen und in einen abgelegenen Kurort schicken, wo sein Geist wieder gesunden kann. Wir brauchen darüber wohl nicht erst abzustimmen.«

Mehrere Senatoren wollten Nero jedoch reizen, solange ein anderer den Kopf hinhalten mußte, und riefen, Marcus solle weitersprechen, sofern er noch etwas zu sagen habe. Paetus Thrasea meldete sich aus reiner Bosheit zum Worte und sagte mit gespielter Unschuld: »Wir sind uns natürlich alle darin einig, daß Marcus Mecentius von Sinnen ist. Aber göttlicher Wahnsinn macht einen Menschen bisweilen zum Seher und Künder. Vielleicht wohnt ihm dank seiner etruskischen Vorfahren diese Gabe inne. Wenn er nicht glaubt, daß die Christen Rom angezündet haben, woran dank Neros Redekunst wohl kaum noch zu zweifeln ist, so mag er uns sagen, wer die wirklichen Brandstifter sind.«

Mein Vater antwortete zornig: »Spotte, soviel du willst, Paetus Thrasea. Auch dein Ende ist nahe. Man braucht nicht die Gabe der Weissagung zu besitzen, um das zu sehen. Ich beschuldige niemanden der Brandstiftung, nicht einmal Nero, so gern auch viele unter euch aus reiner Schadenfreude eine solche Anklage endlich einmal öffentlich ausgesprochen hören möchten. Ich kenne Nero nicht. Aber ich kenne die Christen und glaube und versichere, daß sie am Brande Roms unschuldig sind.« Nero schüttelte mitleidig den Kopf, hob die Hand und sagte: »Ich habe deutlich genug zu verstehen gegeben, daß ich nicht alle Christen Roms der Brandstiftung anklage. Ich habe sie mit gutem Grunde als Feinde der Menschheit verurteilt. Wenn Marcus Manilianus beweisen will, daß er selbst ein Feind der Menschheit ist, müssen wir ihn ernst nehmen und dürfen ihn nicht mehr damit entschuldigen, daß sich seine Sinne verwirrt hätten.«

Nero irrte jedoch, wenn er glaubte, mein Vater ließe sich einschüchtern. Er war bei aller Gutmütigkeit und Schweigsamkeit sehr starrsinnig und fuhr nun fort: »Eines Nachts am Galiläischen Meer begegnete ich einem Fischer, der gegeißelt worden war. Ich habe Ursache zu glauben, daß er der auferstandene Jesus von Nazareth war. Er versprach mir, ich werde eines Tages um seines Namens willen sterben. Damals verstand ich ihn nicht. Ich glaubte, er sage mir Böses voraus. Jetzt verstehe ich ihn und danke ihm inniglich für seine gute Weissagung. Um Jesu Christi, des Gottessohnes, Namen zu verherrlichen, sage ich euch, daß ich Christ bin und daß ich teilhabe an der Taufe, dem Geiste und den heiligen Mählern der Christen. Überdies sage ich euch, ehrwürdige Väter, falls ihr es noch nicht wissen solltet, daß Nero selbst der schlimmste Feind der Menschheit ist, und auch ihr seid Feinde der Menschheit, solange ihr seine wahnsinnige Tyrannei unterstützt.«

Nero flüsterte mit den Konsuln, und diese erklärten die Versammlung sofort für geheim, damit Rom nichts von der Schande erfuhr, daß ein Mitglied des Senats sich aus Haß gegen die ganze Menschheit zum Fürsprecher eines abscheulichen Aberglaubens gemacht hatte. Ohne eine Abstimmung für nötig zu halten, erklärten die Konsuln, der Senat habe beschlossen, Marcus Mecentius Manilianus den breiten Purpurstreifen und die roten Schnürstiefel abzuerkennen.

Vor dem versammelten Senat nahmen zwei von den Konsuln bestimmte Senatoren meinem Vater die Toga und das Untergewand ab. Dann zog man ihm die roten Stiefel von den Füßen und zerschlug seinen Elfenbeinschemel. Als dies unter düsterem Schweigen geschehen war, stand plötzlich der Senator Pudens Publicola auf und verkündete mit zitternder Stimme, auch er sei Christ.

Seine betagten Freunde packten ihn jedoch, zogen ihn mit Gewalt auf seinen Sitz nieder, hielten ihm den Mund zu und lachten und unterhielten sich laut miteinander, um seine Worte zu übertönen. Nero sagte, es sei bereits genug Schande über den Senat gekommen, die Sitzung sei beendet, und auf das Gefasel eines altersschwachen Greises brauche man nicht mehr zu hören. Pudens war eben ein Valerius und ein Publicola, mein Vater nur ein Manilianus durch Adoption.

Tigellinus rief den Zenturio, der in der Arkade der Kurie auf Wache stand, und befahl ihm, zehn Prätorianer zu nehmen und meinen Vater so unauffällig wie möglich zur nächsten Richtstätte vor den Mauern zu führen.

Von Rechts wegen hätte er in den Zirkus gebracht werden müssen, um dort auf dieselbe Weise hingerichtet zu werden wie die anderen Christen. Um einen Skandal zu vermeiden, war es jedoch besser, man führte ihn heimlich vor die Stadt, wo er mit dem Schwert enthauptet werden sollte.

Der Zenturio und seine Männer gerieten in Wut, weil sie fürchteten, zur Vorstellung im Zirkus zu spät zu kommen. Da mein Vater nackt war, nahmen sie einem Sklaven, der vor der Kurie stand und gaffte, den Umhang weg und bedeckten ihn damit. Der Sklave lief jammernd hinter meinem Vater her, um sein einziges Kleidungsstück zurückzubekommen.

Die Gattinnen der Senatoren saßen wartend in ihren Sänften. Da der Weg weit war, hatte man beschlossen, daß der Festzug, in dem die Senatoren und Matronen für sich getrennt zu Fuß zu gehen hatten, erst vor dem Zirkus aufgestellt werden sollte, wohin die Götterbilder Roms im voraus gebracht wurden. Tullia wurde ungeduldig, als von meinem Vater nichts zu sehen war, und stieg aus ihrer Sänfte, um ihn zu suchen. Er hatte sich am Abend zuvor sehr eigentümlich betragen, und sie war in großer Unruhe.

Als sie nach ihrem Gatten fragte, wagte keiner der Senatoren, ihr zu antworten, da dieser Teil der Sitzung für geheim erklärt worden war und sie einen Eid abgelegt hatten. Inmitten der allgemeinen Verwirrung bat der Senator Pudens mit lauter Stimme, man möge ihn nach Hause tragen, denn er wolle die schändliche Zirkusvorstellung nicht mit ansehen.

Einige andere Senatoren, die insgeheim Mitleid mit den Christen empfanden, Nero haßten und meinen Vater um seines männlichen Auftretens willen achteten, obwohl er in ihren Augen nicht ganz richtig im Kopfe war, folgten seinem Beispiel.

Als Tullia wie ein aufgescheuchtes Huhn vor der Kurie hin und her rannte und meinen Vater wegen seiner Zerstreutheit und Saumseligkeit mit lauten Worten tadelte, bemerkte sie plötzlich einen jammernden Sklaven und einen alten Mann, der einen Sklavenmantel um die Schultern trug und von einigen Prätorianern weggeführt wurde. Sie lief näher, erkannte meinen Vater, erschrak, vertrat den Prätorianern mit ausgebreiteten Armen den Weg und fragte: »Was um alles in der Welt hast du dir nun wieder einfallen lassen, Marcus? Was bedeutet dieser Aufzug? Ich zwinge dich ja nicht, in den Zirkus zu gehen, wenn es dir so widerstrebt. Es gibt hier noch andere, die ebenso denken wie du. Komm, gehen wir in aller Ruhe heim, wenn dir das lieber ist. Ich werde dir auch keine Vorwürfe machen.«

Der Zenturio versetzte ihr einen Hieb mit seinem Befehlsstab und schrie: »Pack dich, Alte!« Tullia glaubte zuerst, sich verhört zu haben, dann aber fuhr sie rasend vor Zorn auf ihn los, um ihm die Augen aus seinem blöden Schädel zu kratzen. Zugleich schrie sie, man müsse ihn sofort in Ketten schließen, weil er es gewagt habe, Hand an die Gattin eines Senators zu legen.

Der Skandal war nun nicht mehr zu vermeiden. Mehrere Frauen stiegen aus ihren Sänften, ohne sich um die Einwände ihrer Männer zu kümmern, um Tullia zu Hilfe zu eilen. Als die festlich gekleidete Frauenschar die Prätorianer umringte und schnatternd und gackernd fragte, was denn vor sich gehe, wurde mein Vater von so viel Aufmerksamkeit ganz verlegen und bat Tullia, sich zu beruhigen, indem er ihr erklärte: »Ich bin nicht mehr Senator. Ich folge dem Zenturio aus freiem Willen. Besinne dich auf deinen Rang und schrei nicht wie ein Marktweib. Meinetwegen kannst du allein in den Zirkus gehen. Ich glaube, es wird dich niemand daran hindern.«

Tullia brach in Tränen aus und klagte laut: »Noch nie hat mich jemand ein Marktweib genannt. Wenn dich gestern abend meine Worte über dich und deine Christen so gekränkt haben, dann hättest du es mir geradeheraus sagen sollen, anstatt die ganze Nacht zu bocken. Es gibt nichts Schlimmeres als einen Mann, der nicht zu reden wagt, wie ihm ums Herz ist, sondern einen tagelang nur stumm wie ein Fisch anglotzt.«

Einige würdige Senatorengattinen pflichteten ihr lachend bei und versuchten, die beiden miteinander zu versöhnen: »Recht hat sie, Manilianus. Wegen eines kleinen Streits verzichtet man nicht gleich auf den Purpurstreifen. Hör auf, Komödie zu spielen, und vergib Tullia, wenn sie dich gekränkt hat. Ihr seid Mann und Frau und zusammen in Ehren grau geworden.«

Tullia war tief beleidigt. Sie riß sich den Festtagsschleier vom Kopf und schrie: »Seht selbst nach, ihr Klatschmäuler, ob ich auch nur ein einziges graues Haar habe! Und ich lasse mir das Haar nicht färben, obwohl ich natürlich arabische Waschungen mache, die den natürlichen Ton zur Wirkung bringen. Wenn jemand sagt, mein Haar sei gefärbt, so ist das nichts als Bosheit und Verleumdung!«

Mein Vater wandte sich an den Zenturio: »Dies ist ein ernster Augenblick in meinem Leben, vielleicht er ernsteste. Ich halte dieses Weibergezänk nicht mehr aus. Führ mich fort, wie man es dir befohlen hat.«

Die Frauen wichen jedoch nicht zur Seite, und der Zenturio wagte nach dem Zusammenstoß mit Tullia nicht, seinen Männern zu befehlen, den Weg mit Gewalt freizumachen. Zudem wußte er selbst nicht mehr, woran er war.

Als Tigellinus sah, daß immer mehr Volk zusammenströmte und der Tumult immer größer wurde, drängte er sich mit zornbleichem Gesicht zu meinem Vater vor, schlug Tullia mit der Faust vor die Brust und sagte: »Fahr in den Orkus nieder, du verfluchte Hündin. Du bist nicht mehr die Gattin eines Senators und kannst dich auf keinen Rang berufen. Wenn du nicht sofort dein Maul hältst, lasse ich dich wegen Ruhestörung festnehmen.«

Tullia wurde totenbleich, als sie merkte, daß es ihm ernst war, aber der plötzliche Schrecken ließ sie nicht ihren Stolz vergessen. »Du Satansdiener!« fluchte sie, unbewußt einen Ausdruck gebrauchend, den sie von den Freunden meines Vaters gehört hatte. »Schachere du mit deinen Rössern und treibe Unzucht mit deinen Lustknaben. Wie kannst du es wagen, eine Römerin vor der Kurie zu schlagen! Und festnehmen lassen kann mich nur der Stadtpräfekt. Dein rüpelhaftes Benehmen erregt hier mehr Ärgernis als meine bescheidene Frage, was vorgefallen ist und wohin mein Gatte mit seiner Ehrenwache geht. Ich werde mich an den Kaiser selbst wenden.«

Tigellinus war ohnehin verärgert, weil Nero ihm zornig vorgeworfen hatte, er habe sich bei der Verhaftung der Christen ungeschickt angestellt. Nun zeigte er spöttisch mit dem Finger und erwiderte: »Dort steht Nero noch. Geh nur rasch und frag ihn. Er kann dir am besten sagen, was vorgefallen ist.« Mein Vater warnte Tullia: »Stürze dich nicht meinetwegen ins Verderben, liebe Tullia, und stör mir nicht die letzten Augenblicke meines Lebens. Verzeih mir, wenn ich dich gekränkt habe, und verzeih mir, daß ich dir nicht der Gatte war, den du dir wünschtest. Du bist mir immer eine gute Frau gewesen, wenngleich wir uns selten einig waren.«

Da vergaß Tullia vor Freude den Prätorianerpräfekten. Sie umarmte meinen Vater und rief: »Sagtest du wirklich liebe Tullia? Warte eine kleine Weile, ich bin gleich wieder bei dir.«

Unter Tränen lächelnd trat sie auf Nero zu, der ihr verlegen entgegenblickte, grüßte ihn achtungsvoll und bat: »Sei so gnädig und erkläre mir, was für ein leidiges Mißverständnis hier vorliegt. Mit ein wenig gutem Willen läßt sich alles wieder einrenken.«

»Dein Gatte hat mich beleidigt, aber das würde ich ihm gern verzeihen«, erwiderte Nero. »Er hat aber auch vor dem Senat gestanden, daß er Christ ist. Der Senat hat ihm Rang und Amt aberkannt und ihn als Feind der Menschheit zum Tode durch das Schwert verurteilt. Schweig still, denn wir wollen einen Skandal vermeiden. Gegen dich habe ich nichts. Du darfst sogar dein Eigentum behalten, aber das Eigentum deines Gatten fällt zur Strafe für sein Verbrechen an den Staat.«

»Was soll das heißen?!« rief Tullia verwundert. »Soll er wirklich nur deshalb verurteilt werden, weil er in seiner Blödigkeit Christ geworden ist?«

»Er erleidet die Strafe aller Christen«, erwiderte Nero ungeduldig. »Geh nun deines Wegs und halte mich nicht länger auf. Du siehst, daß ich es eilig habe. Ich muß mich als erster Bürger an der Spitze des Zuges zum Zirkus begeben.«

Da warf Tullia stolz den Kopf zurück, ohne an die schlaffe Haut ihres Halses zu denken, und rief: »Ich habe ein wechselvolles Leben hinter mir und habe mich nicht immer so wohlanständig betragen, wie man es von einer Frau in meiner Stellung erwarten möchte. Aber ich bin eine Römerin und folge meinem Gatten, wohin er immer gehen mag. Wo du, Gajus, bist, bin ich, Gaja. Auch ich bin Christin und bekenne es nun öffentlich.«

Das war nicht wahr. Im Gegenteil, sie hatte meinem Vater mit ihrem ständigen Gekeife das Leben vergiftet und seine christlichen Freunde verachtet. Nun aber wandte sie sich an den Volkshaufen und rief laut: »Hört es alle, Senat und Volk von Rom! Ich, Tullia Manilia, ehedem Valeria, ehedem Sulia, bin Christin! Es lebe Christus von Nazareth und sein Reich!« Und um recht überzeugend zu wirken, ließ sie noch ein »Halleluja!« folgen, da sie dieses Wort oft von den Juden gehört hatte, wenn sie sich im Hause meines Vaters mit anderen Christen über den rechten Weg stritten.

Zum Glück trug ihre Stimme nicht sehr weit. Tigellinus hielt ihr rasch mit der Hand den Mund zu. Als die Senatorengattinnen Neros Zorn bemerkten, eilten sie, vor Neugier schier zerspringend, zu ihren Sänften zurück, um die Wahrheit über die Vorfälle im Senat aus ihren Ehemännern herauszupressen. Nero bewahrte mit knapper Not seine Würde, als er sein Urteil fällte: »Du sollst haben, wonach du verlangst, verrücktes Weib, wenn du nur den Mund hältst. Ich sollte dich in den Zirkus schicken und mit den anderen zusammen hinrichten lassen, doch du bist zu häßlich und zu runzelig, um die Dirke zu spielen. Deshalb sollst du mit deinem Mann zusammen das Schwert schmecken, aber diese Gnade verdankst du nur dem Ansehen deiner Väter, nicht mir.«

Durch Tullia war der Skandal so weit an die Öffentlichkeit geraten, daß Nero es nicht mehr wagte, die Gattin eines abgesetzten Senators vor allem Volk den wilden Tieren vorzuwerfen. Während die Prätorianer Tullia durch die Menge zu meinem Vater zurückführten, goß Nero seinen Zorn über Tigellinus aus und befahl ihm, alle Hausgenossen meines Vaters verhaften und jeden, der sich als Christ bekannte, unverzüglich in den Zirkus bringen zu lassen. Zugleich sollte das Haus versiegelt und alles beschlagnahmt werden, was sich an Urkunden und Verzeichnissen vorfand, die sich auf das Vermögen Tullias und meines Vaters bezogen.

»Und rühre du nichts davon an«, warnte Nero Tigellinus. »Ich betrachte mich als ihr Erbe, da du mich zwingst, zu tun, was eigentlich deine Pflicht gewesen wäre.« Der Gedanke an den unermeßlichen Reichtum Tullias und meines Vaters tröstete ihn gewiß in seinem Ärger.

Vor der Kurie standen noch einige bekümmerte Christen, die bis zuletzt gehofft hatten, ein Machtwort des Senats werde die Verurteilten vor den Schrecken des Zirkus retten. Unter ihnen befand sich ein junger Mann, der den schmalen roten Streifen trug und nicht in den Zirkus geeilt war, um sich auf den um diese Zeit schon gedrängt vollen Bänken der Ritter einen Platz zu sichern.

Als sich die Prätorianer mit dem Zenturio an der Spitze auf den Weg machten, um meinen Vater und Tullia zur nächsten Richtstätte zu führen, folgte er ihnen zusammen mit anderen heimlichen Christen. Die Prätorianer ratschlagten, wie sie ihren Auftrag am schnellsten ausführen und noch zur Vorstellung im Zirkus zurecht kommen könnten, und beschlossen, die Hinrichtung bei dem Grabmal am Ostianischen Tor zu vollziehen. Dieser Ort war zwar keine Richtstätte, aber er lag immerhin außerhalb der Mauern. »Wenn er bisher keine Richtstätte war, so machen wir ihn nun eben dazu«, meinten die Männer gemütlich scherzend. »Da braucht die Frau in ihren dünnen Goldsandalen auch nicht so weit zu gehen.«

Tullia erwiderte zornig, sie sei imstande, ebensoweit zu gehen wie ihr Gatte, und niemand könne sie daran hindern. Um zu beweisen, wie stark sie war, stützte sie meinen Vater, der, alt wie er war, der körperlichen Bewegung ungewohnt und müde von einer beim Wein verbrachten Nacht, zu schwanken begann. Er war jedoch weder betrunken noch wirr im Kopf gewesen, als er im Senat aufstand und sprach, sondern hatte alles im voraus überlegt.

Das zeigte sich bei der Hausdurchsuchung. Er hatte offenbar während der letzten Wochen alle seine Geldangelegenheiten neu geregelt und in der letzten Nacht die gesamte Buchführung sowie die Listen seiner Freigelassenen und den Briefwechsel mit diesen verbrannt. Er hatte über seine Geschäfte nie viel gesprochen und überhaupt das Eigentum seiner Freigelassenen nie als das seine betrachtet, wenngleich er natürlich, um sie nicht zu kränken, die Geschenke annahm, die sie ihm aus den verschiedensten Ländern schickten.

Ich erfuhr erst viel später, daß er zuverlässigen Freigelassenen außerordentlich hohe Bargeldbeträge »zur Aufbewahrung« übersandt hatte. Die Ädilen hatten große Mühe, die Hinterlassenschaft zu ermitteln, und letzten Endes erbte Nero lediglich Tullias große Ländereien in Italien, deren Besitz des Senatorenamtes wegen hatte nachgewiesen werden müssen, und selbstverständlich das Haus auf dem Virinal, in dem sich allerdings genug an wertvollen Kunstgegenständen, Gold, Silber und Glas befand.

Den größten Ärger verursachte den Ädilen Neros übereilter Befehl, alle Bewohner des Hauses festzunehmen, die sich, allein schon meinem Vater zuliebe, als Christen bekannten. Zu diesen gehörten nämlich sowohl der Verwalter als auch beide Schreiber, und Nero bereute ihren Tod bitter. Alles in allem wurden etwa dreißig Personen aus dem Haus meines Vaters in den Zirkus gebracht.

Zu meinem großen Kummer befanden sich auch mein Sohn Jucundus und der alte Barbus unter den Gefangenen. Jucundus war nach seinen Brandverletzungen so übel daran, daß er sich nur mühsam auf Krücken fortzubewegen vermochte. Er wurde daher in einer Sänfte in den Zirkus getragen, und zwar zusammen mit Tullias altersschwacher Amme, die ein abscheuliches Lästermaul und ganz gewiß kein guter Mensch war, aber dennoch bereitwillig vorgab, Christin zu sein, als sie hörte, daß Tullia dasselbe getan hatte.

Keiner von ihnen begriff so recht, warum er in den Zirkus sollte, und welches Schicksal ihrer harrte, erkannten sie erst, als man sie in die Ställe sperrte. Noch auf dem Wege dorthin glaubten sie, Nero wolle nur, daß die Christen mit ansähen, wie die Brandstifter bestraft wurden, und die Prätorianer hielten es nicht für notwendig, sie aufzuklären. Sie hatten es ohnedies eilig genug.


Beim Ostianischen Tor, wo es viele Andenkenläden, Sänftenverleihe und Herbergen mit Ställen gab, die alle vom Brand verschont worden waren, blieb mein Vater plötzlich entschlossen stehen und sagte, er leide grausamen Durst und müsse sich seiner Schwäche wegen vor der Hinrichtung mit einem Schluck Wein erfrischen. Er versprach, auch die Prätorianer zum Wein einzuladen, da sie sich an diesem Festtag so viele zusätzliche Mühe mit ihm und seiner Gattin machen mußten. Tullia trug eine Menge Silbermünzen bei sich, die sie unter das Volk hatte werfen wollen, wie sie es ihrem Stande schuldig war.

Sie traten in eine Schenke, und der Wirt holte die besten Krüge aus seinem Keller. Der Wein schmeckte allen, denn auch die Prätorianer mußten sich bei dem heißen Herbstwetter den Schweiß von der Stirn trocknen. Da mein Vater auf keinen Rang mehr bedacht zu sein brauchte, konnte er mit gutem Gewissen auch die heimlichen Christen einladen, die ihm gefolgt waren, und dazu einige Landleute, die von dem Festtag nichts gewußt hatten und vergeblich in die Stadt gekommen waren, um Obst zu verkaufen.

Nach einigen Bechern Wein sah sich Tullia verdrossen um und fragte meinen Vater auf ihre übliche nörgelnde Art, ob es denn wirklich nötig sei, daß er sich noch einmal betrinke, noch dazu in schlechter Gesellschaft. Er antwortete ihr sanft: »Liebe Tullia, so bedenke doch, daß ich keinen Rang mehr habe. Ganz im Gegenteil, als zu einem schmählichen Tode Verurteilte sind wir beide niedriger und elender als diese freundlichen Menschen, die bereitwillig mit uns trinken. Mein Fleisch ist schwach. Ich habe mich nie damit gebrüstet, mutig zu sein. Der Wein vertreibt den unangenehmen Schauder, den ich im Genick verspüre, und am meisten freut es mich, daß ich diesmal nicht an die unausbleiblichen Magenschmerzen und den gräßlichen Katzenjammer zu denken brauche, den du mit beißenden Worten zu lindern pflegtest. Doch daran wollen wir nun nicht mehr denken, geliebte Tullia.«

Er starrte eine Weile sinnend vor sich hin und fuhr dann eifrig fort: »Wir wollen lieber an diese ehrenwerten Soldaten hier denken, die unseretwegen das fesselnde Schauspiel versäumen, wie die Christen in Neros Zirkus durch Löwenrachen, Flammen, Kreuze und auf so manch andere Art und Weise, die der künstlerisch so hochbegabte Nero sich ausgedacht hat, ins Reich eingehen. Wein, Weib und Gesang sind des Soldaten einzige Freude. Singt nur, wenn euch danach zumute ist, Soldaten. Über Weiber müßt ihr euch ein andermal unterhalten, da meine keusche Gattin anwesend ist. Für mich ist dies ein Freudentag, denn nun geht endlich eine gute Weissagung in Erfüllung, über die ich mir an die fünfunddreißig Jahre den Kopf zerbrochen habe. Laßt uns also in Christi Namen trinken, liebe Brüder, und auch du, mein gutes Weib. Ich glaube, er wird es in Anbetracht der Umstände nicht übel aufnehmen, und was mich betrifft, so habe ich um weit schlimmerer Dinge willen seinen Zorn zu fürchten, weshalb dies kleine Trinkgelage meine Menschenschuld nicht sonderlich vergrößern wird. Ich bin immer ein schwacher, selbstsüchtiger Mensch gewesen und kann zu meiner Rechtfertigung nichts anderes anführen, als daß er selbst als Mensch zur Welt gekommen ist, um auch die widerspenstigen Schafe, die wenig Wolle geben, zu suchen. Ja, ich erinnere mich dunkel, daß er einmal mitten in der Nacht fortging, um ein verlorenes Schaf zu suchen, das ihn wertvoller dünkte als die ganze übrige Herde.« Die Prätorianer lauschten aufmerksam und pflichteten ihm bei: »Es ist viel Wahres an deinen Worten, edler Manilianus. auch in der Legion bestimmt der schwächste und langsamste das Marschtempo, und einen verwundeten oder umzingelten Kameraden kann man nicht im Stich lassen, selbst wenn man eine ganze Manipel aufs Spiel setzen müßte, um ihn herauszuhauen. Freilich, wenn man in einen Hinterhalt geraten ist, muß jeder selber sehen, wo er bleibt.«

Sie begannen ihre Narben vorzuweisen und von ihren Taten in Britannien, Germanien, den Donauländern und Armenien zu erzählen, aufgrund derer sie schließlich zu den Prätorianern in der Hauptstadt versetzt worden waren. Mein Vater nutzte die Gelegenheit, wandte sich an Tullia und fragte: »Weshalb hast du ohne Not gesagt, du seist Christin, obgleich du doch nicht ernstlich glaubst, daß Jesus von Nazareth Gottes Sohn und der Welt Erlöser ist? Du bist nicht einmal getauft. An den heiligen Abendmählern hast du nur widerstrebend und nur um deiner Hausfrauenpflicht zu genügen teilgenommen, aber du hast nie von dem Brot und dem Wein gekostet, die in Christi Namen gesegnet worden waren. Es schmerzt mich, daß ich dich um nichts und wieder nichts in mein Verderben mitreiße. Ich habe allen Ernstes gedacht, du würdest als Witwe endlich so leben können, wie du es dir immer wünschtest, und einen neuen Gatten hättest du gewiß auch noch gefunden, denn du bist in meinen Augen noch immer schön, gut erhalten für deine Jahre und reich dazu. Ja, ich hatte mir vorgestellt, daß nach Ablauf der Trauerzeit die Freier förmlich um die Wette laufen würden, und dieser Gedanke machte mich nicht einmal eifersüchtig, weil mir dein Glück wichtiger ist als meines. Über Christus und sein Reich sind wir uns nie einig gewesen.«

»Ich bin Christin, und nicht geringer als du, mein selbstgefälliger Marcus, da ich nun mit dir zusammen um Christi willen sterbe«, erwiderte Tullia bissig. »Ich habe dir zuliebe, und weil ich dein ewiges Brummen nicht mehr aushielt, Geld an die Armen ausgeteilt. Hast du noch nicht bemerkt, daß ich dich mit keinem Wort tadle, obwohl du mit deiner entsetzlichen Dickschädeligkeit vor dem ganzen Senat Schande über unseren Namen gebracht hast? Ich habe über dein einfältiges Betragen meine eigene Meinung, aber in dieser Stunde will ich sie für mich behalten, um dich nicht noch einmal zu kränken.« Plötzlich schlang sie meinem Vater die Arme um den Hals, küßte ihn, benetzte seine Wangen mit ihren Tränen und sagte: »Ich fürchte den Tod nicht, weil ich mit dir zusammen sterben darf, Marcus. Ich könnte ohne dich nicht weiterleben. Du bist der einzige Mann, den ich wirklich geliebt habe, obwohl ich zweimal geschieden war und einen dritten Gatten zu Grabe getragen hatte, ehe ich dich wieder traf. Du hast mich einmal grausam verlassen, ohne danach zu fragen, was ich wohl empfinden mochte. Bis nach Ägypten bin ich dir nachgereist. Zugegeben, ich hatte auch andere Gründe für diese Reise, aber du hast dich ja auch mit einem Judenmädchen in Galiläa herumgetrieben, und dann hattest du diese gräßliche Griechin, Myrina, von deren gutem Ruf du mich nie wirst überzeugen können, und wenn du hundert Statuen von ihr in Myrina und auf sämtlichen Märkten in ganz Asia aufstellst. Ich hatte freilich auch meine Schwächen, aber die Hauptsache ist nun, daß du mich liebst und sagst, ich sei noch schön, obwohl mein Haar gefärbt ist, mein Hals welk und mein Mund vor lauter Elfenbeinzähnen häßlich.«

Während sie so miteinander redeten, fragte der junge Christ, der den schmalen roten Streifen auf seiner Tunika trug, vom Wein mutig geworden, den Zenturio, ob er Befehl habe, auch andere Christen festzunehmen, die er unterwegs traf. Der Zenturio verneinte das entschieden und erwiderte, er habe nur den Befehl, meinen Vater und Tullia in größtmöglicher Heimlichkeit mit dem Schwert zu richten.

Da bekannte der junge Ritter sich als Christ und schlug meinem Vater vor, das heilige Mahl der Christen zusammen einzunehmen, obgleich sie es nicht hinter verschlossenen Türen tun konnten und es nicht Abend war, was aber, wie er meinte, im Hinblick auf die Umstände gewiß kein Hindernis sei.

Der Zenturio sagte, er habe nichts dagegen einzuwenden und vor Zauberei sei ihm nicht bange. Im Gegenteil, er sei eher neugierig, da er schon so viel von den Christen habe reden hören. Mein Vater stimmte bereitwillig zu, bat aber den jungen Ritter, Brot und Wein zu segnen, und erklärte: »Ich selber kann es nicht tun. Vielleicht weigere ich mich nur aus Starrsinn und verletzter Eitelkeit, aber es verhält sich so, daß einst in Jerusalem der Geist über Christi Jünger kam und sie eine Menge Volks tauften, so daß alle des Geistes teilhaftig wurden. Damals wünschte ich sehnlich, mit den anderen getauft zu werden, aber sie schlugen es mir ab, weil ich nicht beschnitten war, und trugen mir auf, von Dingen zu schweigen, die ich nicht verstand. An diesen Befehl habe ich mich mein Leben lang gehalten und habe nie andere belehrt, obwohl ich mich manchmal vergaß und berichtete, was ich selbst gesehen oder als wahr erkannt hatte, um gewisse Mißverständnisse zu berichtigen. Getauft wurde ich erst hier in Rom, als Kephas mich in seiner Gutherzigkeit bat, ihm zu verzeihen, daß er mich einst abgewiesen hatte. Er war mir stets dankbar, weil ich ihm einmal auf jenem Berg in Galiläa meinen Esel lieh, so daß er, als er selbst nach Jerusalem mußte, seine Schwiegermutter, die einen kranken Fuß hatte, nach Kapernaum schicken konnte. Doch verzeiht mir meine Schwatzhaftigkeit. Ich sehe, daß die Soldaten zum Himmel hinaufblicken. Greise reden gern von alten Zeiten, und mir löst der Wein die Zunge.«

Sie beugten die Knie, und Tullia tat es ihnen nach. Der junge Ritter segnete mit einigen Worten Brot und Wein als Christi Fleisch und Blut. Dann genossen sie die Gnade mit Tränen in den Augen und küßten einander zärtlich. Tullia versicherte, sie fühle in ihrem Innersten schon ein wonniges Zittern, einen Vorgeschmack des Paradieses, und ins Paradies, oder wohin auch immer sein Weg ihn führte, wollte sie mit meinem Vater Hand in Hand gehen.

Die Prätorianer gaben zu, daß sie in dieser Art von Zauberei nichts Böses sehen konnten. Dann hüstelte der Zenturio bedeutsam, nachdem er noch einmal zum Himmel hinaufgeblickt hatte. Mein Vater beglich eilig seine Schuld, legte ein reichliches Trinkgeld dazu und ließ den Rest des Geldes unter dem Zenturio und den Prätorianern aufteilen, indem er sie noch einmal bat, die Mühe zu verzeihen, die er ihnen bereitete, und sie in Christi Namen segnete. Der Zenturio bat rücksichtsvoll, man möge sich nun hinter das Grabmal begeben, da er Befehl habe, seinen Auftrag so unbemerkt wie möglich auszuführen.

Da begann der junge Ritter zu weinen und sagte, es sei ihm, als er Brot und Wein segnete, plötzlich eine so frohe Gewißheit zuteil geworden, daß er nicht warten wolle, bis sein eitles Leben von selbst erlösche. Der Gedanke bedrückte ihn, daß so viele niedrig geborene Christen im Zirkus für Christus leiden durften und daß er selbst vielleicht nicht imstande sein werde, künftiger Bedrängnis tapfer standzuhalten. Daher bat er den Zenturio mit aufrichtigem Eifer, er möge ihn gleich hier und jetzt enthaupten und des Menschen herrlichste Reise antreten lassen. Er sei ebenso schuldig wie die anderen Christen und müsse ihre Strafe teilen.

Der Zenturio wunderte sich, meinte aber nach kurzem Nachdenken, er verstoße wohl nicht gegen seine Pflicht, wenn er ihn zusammen mit meinem Vater und Tullia sterben lasse. Das hatte zur Folge, daß einige, die abseits gesessen waren und zugehört hatten, nun eifrig um dieselbe Gnade baten. Um die Wahrheit zu sagen: man hat mir hinterbracht, daß sie auf meines Vaters Kosten allzu reichlich getrunken hatten.

Der Zenturio weigerte sich jedoch entschieden und sagte, seine Gunst habe ihre Grenzen. Einen mehr könne er zur Not mit hinrichten und beiläufig in seinem Bericht erwähnen, wenn er aber gleich mehrere vom Leben zum Tode beförderte, so würde das Aufmerksamkeit erregen und viel Schreiberei mit sich bringen, und mit seinen Schreibkünsten sei es nicht weit her.

Zuletzt bekannte er, daß alles, was er gesehen, einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht habe, daß er bei späterer Gelegenheit noch mehr über diese Dinge zu erfahren wünsche. Christus müsse ein mächtiger Gott sein, daß solche, die sich zu ihm bekannten, freudig in den Tod gingen. Er habe jedenfalls nie gehört, daß einer freiwillig und gern beispielsweise für Jupiter oder auch Bacchus gestorben wäre. Mit Venus verhalte es sich möglicherweise anders.

Die Prätorianer führten meinen Vater, Tullia und den Ritter, dessen Namen der Zenturio, da er nicht minder berauscht war als die anderen, erst im letzten Augenblick auf seine Wachstafel kritzelte, hinter das Grabmal und wählten unter sich die drei besten Schwertfechter aus, die imstande waren, den Kopf mit einem einzigen Hieb vom Rumpf zu trennen. Mein Vater und Tullia starben auf den Knien und Hand in Hand. Einer der heimlichen Christen, der dabei war und von dem ich dies alles weiß, behauptete, die Erde habe gebebt und am Himmel seien Flammen erschienen, die die Bauern blendeten, aber das sagte er wohl nur, um mir zu gefallen, oder vielleicht hatte er auch geträumt.

Die Prätorianer losten, wer zurückbleiben und die Leichen bewachen sollte, wie das Gesetz es vorschreibt, bis die Angehörigen sie holen kamen. Als die Zuschauer dies sahen, machten sie sich erbötig, die Wache zu übernehmen, da alle Christen Brüder seien und dadurch gleichsam miteinander verwandt. Der Zenturio meinte zwar, diese Behauptung sei juristisch gesehen zweifelhaft. aber er nahm das Angebot gern an, weil er keinen seiner Männer um das Vergnügen der Zirkusvorstellung bringen wollte. Es war Mittag, als sie sich im Eilschritt in die Stadt zurück und zum Zirkus jenseits des Flusses begaben, um noch Stehplätze unter den anderen Prätorianern zu bekommen.

Die heimlichen Christen nahmen sich der Leichname meines Vaters, Tullias und des jungen Ritters an, dessen Namen ich mit Rücksicht auf das alte Geschlecht, dem er angehörte, verschweigen will. Er war der einzige Sohn seiner betagten Eltern und bereitete ihnen durch seine Wahnsinnstat großen Kummer. Sie hatten ihn verwöhnt und seinen Umgang mit den Christen stillschweigend geduldet, weil sie hofften, er werde zur Besinnung kommen, sobald er einmal ein Amt hatte, da es doch allgemein so zu sein pflegt, daß junge Männer spätestens nach ihrer Verehelichung ihre unfruchtbaren philosophischen Grübeleien fahrenlassen.

Die Leichname wurden mit großer Achtung behandelt und unverbrannt in der Erde bestattet. Auf diese Weise ging mein Vater der Grabstätte verlustig, die er bei Caere in der Nähe der etruskischen Königsgräber erworben hatte, aber das dürfte ihm nicht viel ausgemacht haben. Die Christen begannen zu jener Zeit, in weicheren Felsarten unterirdische Gänge und Kammern zu graben und ihre Toten dort zu bestatten. Es wird behauptet, sie halten an diesen Orten sogar Versammlungen ab, und das beweist, wie verderbt ihr Glaube ist, denn nicht einmal die Ruhe der Toten ist ihnen heilig. Deshalb sollst Du doch die Katakomben achten, mein Sohn Julius, denn in einer von ihnen ruht Dein Großvater und wartet auf den Morgen der Auferstehung.


Um die Mittagszeit begann man im Zirkus die Körbe mit den Speisen auszuteilen. Nero kleidete sich als Wagenlenker und ließ sein schneeweißes Viergespann einige Runden um die Arena traben, während er auf seinem mit Gold verzierten Wagen stehend das jubelnde Volk grüßte und allen einen guten Appetit wünschte. Es wurden auch wieder Lostäfelchen unter die Zuschauer geworfen, jedoch nicht mehr so verschwenderisch wie früher, denn Nero brauchte das Geld begreiflicherweise für seine gewaltigen Bauvorhaben. Er meinte, daß die einmalige Vorstellung, die er bot, die Zuschauer reichlich für ihre Mühen entschädigte, und darin hatte er“ natürlich recht. Ich hatte mich mittlerweile beruhigt und war recht zufrieden, obwohl ich für den Hauptteil der Vorstellung nach der Mittagsruhe verantwortlich war. Die Theatervorführungen, die Nero sich ausgedacht hatte, waren vom Standpunkt der Zuschauer aus offen, gesagt eher ein Mißerfolg, und ich glaube, der Fehler lag bei den Theaterleuten, denen die christliche Denkart völlig fremd war.

Ich bin vielleicht ein wenig befangen, aber ich möchte behaupten, daß das Publikum mit den Vorführungen am Vormittag sehr unzufrieden gewesen wäre, wenn meine Wildhunde sich nicht gleich zu Beginn, nach dem Einzug der Götter und des Senats und der öffentlichen Lesung einer gekürzten Fassung der Rede Neros, ausgezeichnet hätten. Man trieb als erstes einige Dutzend in Tierfelle eingenähte Christen in die Arena und hetzte etwa zwanzig Hunde auf sie.

Sie leisteten ganze Arbeit. Sobald sie einmal Blut geleckt hatten, scheuten sie nicht mehr davor zurück, Menschen zu zerreißen. Sie verfolgten die fliehenden Christen quer durch die Arena, brachten sie geschickt zu Fall, indem sie nach einem Bein schnappten, und fuhren ihnen gleich an die Kehle, ohne erst durch unnötiges Zerren und Beißen Zeit zu verlieren. Man hatte sie hungern lassen und am Morgen nicht gefüttert, aber sie machten sich nicht daran, ihre Opfer aufzufressen, sondern leckten höchstens ein wenig Blut, um den Durst zu stillen, und nahmen die Jagd sogleich wieder auf.

Die Hochzeit der Danaiden verlief dagegen nicht nach Neros Wunsch. Die festlich gekleideten Mädchen und Jünglinge wollten keine Hochzeitstänze aufführen, sondern standen dicht aneinander gedrängt in der Arena und rührten sich nicht, so daß einige Berufsschauspieler einspringen mußten. Nach der Trauung sollten die Bräute ihre Bräutigame auf dem Hochzeitslager töten, wie es die Töchter der Danae getan hatten, aber die jungen Christinnen weigerten sich, Blut zu vergießen, obwohl die Jünglinge auf diese Weise einen leichten Tod gehabt hätten.

Ein Teil mußte erschlagen werden, die übrigen wurden zwischen Reisigbündeln an denselben Pfählen angebunden, an denen die anderen Verbrecher schon darauf warteten, daß der Scheiterhaufen angezündet wurde. Ich muß zugeben, daß das Publikum wenigstens etwas zu lachen hatte, als die Danaiden mit ihren Sieben zu den Wasserbottichen rannten und den Scheiterhaufen löschen wollten. Die Schmerzensschreie der verbrennenden Christen waren so durchdringend, daß das Dröhnen der Wasserorgel und der Lärm der anderen Instrumente sie nicht zu übertönen vermochten, und die Mädchen rannten immer schneller hin und her.

Zuletzt wurde ein schön geschmücktes und mit Fenstern und Türen versehenes Holzhaus angezündet, das mit angeketteten Greisen und Greisinnen voll besetzt war, die, als die Flammen nach ihren Gliedern leckten, die Schrecken des großen Brandes sehr glaubwürdig darstellten. Viele der Danaiden fanden den Tod, als sie ihre unnützen Siebe fortwarfen und sich in die Flammen stürzten, um ihre Eltern oder Geschwister zu retten.

Der ganze Zirkus, besonders aber die obersten Bankreihen, wo das einfachste Volk saß, hallte vom Gelächter wider. Mehrere Senatoren wandten jedoch das Gesicht ab, und unter den Rittern wurde die unnötige Grausamkeit der Vorstellung beanstandet, obwohl man zugab, daß es die beste Strafe für Brandstifter sei, bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden.

Während dies alles geschah, kam das Häuflein derer, die man im Hause meines Vaters auf dem Virinal festgenommen hatte, im Zirkus an. Als Barbus und Jucundus erkannten, was ihnen bevorstand, versuchten sie vergebens, mich zu sprechen. Die Wachtposten stellten sich taub, was nicht verwunderlich war, denn auch viele andere Gefangene kamen mit allerlei Ausflüchten zu ihnen, als man das Geschrei bis in die Ställe und Keller hörte.

Die Gefangenen waren bereits auf die verschiedenen Vorstellungen aufgeteilt worden, und der Ordnung halber hatte man die einzelnen Gruppen voneinander getrennt. Ich hatte mit ihnen nichts mehr zu tun, verließ mich ganz auf meine erfahrenen Untergebenen und blieb auf meinem Ehrenplatz als Veranstalter der Tiervorführungen, um den Beifall entgegenzunehmen. Ich würde nicht einmal Zeit gehabt haben, hinunterzugehen, wenn mir jemand die Nachricht gebracht hätte, daß man mich zu sprechen wünschte.

Jucundus war außerdem halb und halb überzeugt, daß ein im Grunde freilich ganz harmloser Bund, den er zusammen mit einigen aus dem Osten stammenden Knaben in der Palatiumschule gegründet hatte, entdeckt worden sei und daß er nur seiner gerechten Strafe entgegengehe. Diese Knaben hatten in ihrer kindischen Unvernunft große Träume gehegt. Sie wollten die Parther unterwerfen und die Hauptstadt des Reiches in den Osten verlegen … Gedanken, mit denen sich auch Nero bisweilen beschäftigte, wenn er den Senat satt hatte. Einen Unterschied gab es allerdings: so wie Jucundus und seine Kameraden sich die Sache vorstellten, sollten die Römer nach einem erfolgreichen Krieg gegen die Parther beiseite gedrängt werden, und alle Macht sollte auf die alten Königsgeschlechter des Ostens übergehen.

Diese Knabenträume hätte, wären sie bekannt geworden, niemand ernst genommen. Jucundus aber, der eben erst fünfzehn geworden war und die Toga angelegt hatte, glaubte in seinem Dünkel, er werde einer politischen Verschwörung wegen bestraft.

Als er einsah, daß er sterben mußte, vertraute er sich Barbus an, und die beiden beschlossen, da sie mich nicht erreichen konnten, gemeinsam tapfer in den Tod zu gehen. Ich weiß auch nicht, ob es mir möglich gewesen wäre, ihnen zu helfen, wenn ich von ihrem Schicksal gewußt hätte, denn Nero, der von meinem Vater vor dem versammelten Senat beleidigt worden war, hätte sich gewiß nicht erweichen lassen.

Ich hatte es so eingerichtet, daß sich während der zweiten Hälfte des Programms ständig wilde Tiere in der Arena befanden, und der Abwechslung wegen beschlossen, Christen, die mit den Tieren kämpfen wollten, zu bewaffnen. Gleichwohl konnte ich nur Schwerter, Dolche und Morgensterne verteilen lassen, die den Freiwilligen an den Eingängen zur Arena ausgehändigt wurden.

Jucundus und Barbus wählten die Löwen und das Schwert, und man kam ihrem Wunsch gern nach, da die Christen im allgemeinen leider nicht gewillt waren, aufzutreten, und nur sehr wenige sich meldeten. Die meisten wollten dem Bösen keinen Widerstand leisten und nur so rasch und so leicht wie möglich ins Paradies eingehen.

Nach der Pause schickte ich, um das Publikum aufzumuntern, wieder eine Gruppe Christen in Fellen in die Arena und ließ sie von Hunden hetzen. Diesmal gehorchten einige Hunde der Pfeife nicht, sondern blieben, nachdem sie ihr Werk verrichtet hatten, und rannten heulend im Sand umher. Ich hatte nichts dagegen, obwohl diese Jagdhunde sehr kostbar waren und nicht ohne Not getötet werden durften.

Als nächstes kamen drei ungezähmte Löwen an die Reihe, stattliche Tiere, auf die ich mit Recht stolz war. Auf den Rat meiner erfahrenen Untergebenen hin hatte ich für diese Löwen einige altersschwache Männer und Weiber sowie verkrüppelte und halbwüchsige Knaben bestimmt, denn wie man mir versicherte, fand das Publikum nichts spaßiger, als wenn Zwerge und Krüppel vor den wilden Tieren davonsprangen. Aus ebendiesem Grunde paßte auch Jucundus mit seinen Krücken gut für die Löwen.

Zuerst versammelte sich die Gruppe hinkend und hopsend mitten in der Arena, und die Hundewärter standen mit ihren Peitschen bereit, um sie notfalls zu beschützen. Die Hunde beachteten sie jedoch nicht, da sie nicht in Fellen staken, die nach wilden Tieren rochen. Dann betraten an der Spitze von etwa zehn bewaffneten Christen Jucundus und Barbus die Arena.

Die Zuschauer brachen in lautes Gelächter aus, als sie den auf Krücken humpelnden Jüngling und den zahnlosen Greis erblickten, die vor der Kaiserloge das Schwert zum Gruße hoben. Ich war peinlich berührt und warf einen Blick zu Nero hinüber, da ich annahm, er werde sich über das Lachen der Zuschauer und meinen schlechten Geschmack ärgern, obwohl ich an dem Auftreten der beiden unschuldig war, aber er machte gute Miene und lachte mit.

Ich muß gestehen, daß Jucundus und Barbus auch mich zum Lachen reizten, solange ich sie noch nicht erkannt hatte. Aber selbst als sie in die Mitte der Arena gingen und die anderen bewaffneten Christen im Kreis um die Alten und die Kinder aufstellten, wußte ich noch nicht, wen ich vor mir hatte.

Wie hätte ich auch auf den Gedanken kommen sollen, daß da mein eigener Sohn und mein treuester Diener gegen die wilden Tiere antraten. Ich fragte mich nur, wer wohl den großartigen Einfall gehabt haben mochte, ausgerechnet diese beiden komischen Gestalten an die Spitze derer zu stellen, die gegen die Löwen kämpfen sollten.

Ich glaube, das Gelächter der Zuschauer kränkte Jucundus und Barbus tief. Sie hatten die Löwen gewählt, weil Barbus Jucundus erzählt hatte, ich hätte in meiner Jugend nahe Antiochia einen Löwen mit bloßen Händen gefangen. Bei dieser Gelegenheit habe auch er, Barbus, selbst große Kühnheit bewiesen, und daher sei der Löwe von allen wilden Tieren dasjenige, mit dem er am geschicktesten umzugehen verstehe.

Der Sicherheit halber bat er Jucundus, die Krücken wegzulegen und mit seinem Schwert hinter ihm niederzuknien, damit er nicht sofort umgeworfen würde, wenn die Löwen sie ansprangen. Er wollte zunächst versuchen, Jucundus mit seinem Körper zu schützen, damit er Gelegenheit erhielt, seine Tapferkeit unter Beweis zu stellen. Ich glaube, Barbus hat ihm, um sein Vertrauen zu erwidern, sogar erzählt, daß ich sein Vater war.

Das wußte außer meinem Vater und Barbus niemand, denn nicht einmal Claudia hatte ich die Folgen meines jugendlichen Fehltritts zu gestehen gewagt, obwohl ich damals, als ich eben aus Britannien zurückgekehrt war, mit Lugunda vor ihr geprahlt hatte.

Als das Löwentor geöffnet wurde, versuchte Jucundus meine Aufmerksamkeit zu erregen. Er rief mich und schwang sein Schwert, um zu zeigen, daß er keine Angst hatte. Erst in diesem Augenblick fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und ich erkannte ihn und Barbus. Ich erschrak zutiefst und rief in meiner Verzweiflung, die Vorstellung müsse sofort abgebrochen werden.

Zum Glück ging mein Befehl in dem allgemeinen Gelärme unter, denn als die stattlichen Löwen in die Arena stürzten, begann das Publikum vor Begeisterung laut zu jubeln, und viele standen auf, um besser zu sehen. Wenn ich die Vorstellung in diesem Augenblick der höchsten Spannung abgebrochen hätte, um Jucundus zu retten, würde Nero in seinem Zorn vermutlich mich selbst in die Arena geschickt haben, und wem wäre dadurch geholfen gewesen? Sobald ich ein wenig nachgedacht hatte, faßte ich mich wieder und war froh, daß niemand meinen verzweifelten Ruf gehört hatte.

Sabina, die die Löwen als ihr Eigentum betrachtete, hatte alle Mittel angewandt, die sie und Epaphroditus kannten, um sie zu reizen und ihren Blutdurst zu wecken. Die drei herrlichen Tiere rannten so wild in die Arena hinaus, daß der größte Löwe, durch den plötzlichen Wechsel von der Dunkelheit zum Licht verwirrt, zwischen einige schwelende Balken stürzte und sich die Mähne verengte, was soweit kein Schaden war, denn er wurde dadurch nur noch wilder. Die Löwen waren durch das helle Tageslicht geblendet. Sie liefen eine Weile brüllend umher, ehe sie den Haufen der Christen in der Mitte der Arena bemerkten, und rissen mit den Pranken einige der an den Schutzplanken Gekreuzigten herunter.

Unterdessen hatte sich Barbus ein glühendes Scheit geholt und die anderen bewaffneten Christen aufgefordert, ein gleiches zu tun. Nun schwang er das Scheit hin und her und blies kräftig darauf, bis eine Flamme aufsprang, so daß er neben dem Schwert in der rechten auch eine Fackel in der linken Hand hielt. Tatsächlich gelang es noch einigen anderen, sich mit Scheiten zu versehen, ehe die Löwen die Laufenden bemerkten und einen von hinten niederrissen, ohne daß er dazu kam, sein Schwert zu gebrauchen. Die Zuschauer schmähten ihn, weil sie glaubten, er habe dem Löwen aus Furcht den Rücken gewandt, während er doch nur zu den unbewaffneten Christen zurückgeeilt war, um sie mit dem Feuerbrand zu schützen.

Die Hunde, die in der Arena umhergestreunt waren, schlossen sich plötzlich unerwartet zu einem Rudel zusammen und fielen furchtlos die Löwen an, die sie in die Hinterbeine bissen. So war es den Christen anfangs ein leichtes, sich zu verteidigen, denn die Löwen drehten sich immer wieder zornbrüllend um sich selbst und versuchten die Hunde abzuschütteln. Mit ein wenig Glück gelang es Barbus, ehe er stürzte, einem der Löwen ein Auge auszustechen, und Jucundus stieß dem Tier sein Schwert in den Bauch und verwundete es schwer.

Während der Löwe sich auf dem Boden wälzte und sich die Gedärme herausfetzte, schleppte sich Jucundus näher und gab ihm den Fangstoß, obwohl ihm der Löwe noch in seinen Todeszuckungen mit der Pranke die Kopfhaut herunterriß, so daß er vor Blut nichts mehr sah. Das Publikum klatschte ihm lebhaft Beifall.

Jucundus tastete sich zu Barbus zurück, stellte fest, daß dieser tot war, nahm das brennende Scheit in die Linke und schlug damit blind um sich, während er sich gleichzeitig mit der Schwerthand das Blut aus den Augen zu wischen versuchte. Einer der anderen Löwen verbrannte sich an der Flamme die Schnauze und wich erschrocken zurück, vermutlich weil er glaubte, er sei vor die glühende Eisenstange eines Tierbändigers geraten. Er wandte sich einer leichteren Beute zu. Ich fürchtete schon, daß die Vorstellung mißglücken werde und daß ich mich zu sehr auf die mangelnde Waffentüchtigkeit der Christen verlassen hatte.

Doch es waren nicht mehr viele Hunde in der Arena. Sie ermüdeten bald, so daß die beiden übriggebliebenen Löwen doch noch mit ihnen fertigwurden, ehe sie sich ernstlich auf die Christen stürzten. Die Hunde waren so furchtlos, daß nicht ein einziger den Schwanz zwischen die Beine klemmte und floh. Dem letzten brach der eine Löwe mit einem Prankenhieb das Rückgrat, so daß er jaulend liegen blieb. Einige Hundeliebhaber auf den Zuschauerbänken erhoben sich und riefen, dies sei ein allzu grausames Spiel. Man dürfe Hunde nicht so quälen. Einer der Christen machte den Leiden des armen Tieres barmherzig mit dem Schwert ein Ende.

Jucundus gab sich noch nicht geschlagen. Ein Christ mit einem Morgenstern, der in ihm den geschicktesten Schwertfechter aus der ganzen Schar erkannte, trat hinter ihn, um ihn im Rücken zu decken. Gemeinsam gelang es ihnen, den einen Löwen schwer zu verwunden. Das Publikum war so begeistert, daß der eine oder andere schon den Daumen nach oben streckte, doch das war ebenso voreilig wie vergeblich.

Jucundus starb im Sand.

Der Rest war ein Gemetzel. Die beiden Löwen stürzten sich auf den wehrlosen Haufen der Christen, die nicht einmal davonliefen, was die Zuschauer noch belustigt hätte, sondern sich nur dicht aneinanderdrängten, so daß die Löwen sie einzeln losreißen mußten. Ich gab rasch den Befehl, zwei aufgehetzte Bären in die Arena zu lassen, die den Löwen halfen. Zuletzt, als die Christen alle zerfleischt waren, lieferten die Löwen einen herrlichen Kampf gegen die Bären, und besonders der verwundete Löwe erhielt großen Beifall für seine blinde Tapferkeit.

Jucundus’ Tod erschütterte mich, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt schon von gewissen Geschehnissen Kenntnis hatte, die sich während des großen Brandes im Garten des Tigellinus zugetragen hatten. Jucundus hatte sein Urteil verdient, doch darauf komme ich später noch zu sprechen. Ich war für die Vorstellung verantwortlich, und sie mußte weitergehen. Plötzlich drängte sich einer der Sklaven von meinem Gut bei Caere zu mir vor und meldete mir freudestrahlend, daß Claudia mir an diesem Morgen einen gesunden Knaben geboren hatte. Mutter und Kind waren wohlauf, und Claudia bat mich, den Knaben Clemens nennen zu dürfen.

Ich konnte es nur als das günstigste Vorzeichen auffassen, daß ich gerade in dem Augenblick, da mein Sohn Jucundus in tapferem Kampf gegen die Löwen umgekommen war, die Nachricht von der Geburt meines zweiten Sohnes erhielt. Der Name Clemens, der Milde, dünkte mich freilich unter diesen Umständen fehl am Platze, aber in meiner Freude war ich gern bereit, Claudia ihren Willen zu lassen, zumal ich mir sagte, daß ich ihr ohnehin noch sehr viel zu erklären hatte. Und in meinem Herzen habe ich Dich, mein Sohn, nun schon bald zehn Jahre lang immer nur Julius genannt.

Das Programm ging sehr abwechslungsreich den ganzen Nachmittag weiter, und es gab viele Überraschungen, was sich, wenn man mit wilden Tieren arbeitet, nie ganz vermeiden läßt. Sie liefen zumeist glimpflich ab und wurden, da man sie für absichtliche Programmeinlagen hielt, mir zur Ehre angerechnet. Auf den Zuschauerbänken wurden zahllose Wetten abgeschlossen, und es kam zu den üblichen Schlägereien.

Die Sonne ging schon unter, als die Vorstellung mit dem Auftritt der Dirken und der hyrkanischen Stiere ihren Höhepunkt erreichte. Die Begeisterung des Publikums kannte keine Grenzen, als alle Tore gleichzeitig aufgestoßen wurden und an die dreißig wilde Stiere, deren jeder ein leicht bekleidetes Mädchen auf den Hörnern trug, in die Arena rasten. Aus reinem Neid hatten die Theaterleute die Ehre dieser Nummer für sich in Anspruch nehmen wollen, und ich hatte es nach langem Hin und Her tatsächlich diesen unerfahrenen Menschen überlassen, die Mädchen auf den Hörnern der Stiere festzubinden. Ich brauche nicht eigens zu sagen, daß sie und ihre Helfer schlechte Arbeit geleistet hatten.

Die Felsblöcke, die ich in die Arena hatte schleppen lassen, waren zu nichts nütze. Während die Theaterleute in ihre Sprachrohre brüllend dem Publikum die Dirkesage erzählten, schüttelten die Stiere die Mädchen mühelos von ihren Hörnern, warfen sie hoch in die Luft und spießten sie auf. Nur wenige stießen ihre Dirke gegen die Steine, wie es beabsichtigt war und wie es die Sage berichtet. Es war nicht meine Schuld, daß diese Nummer mißglückte.

Nun wurden die restlichen Christen gegen die Stiere getrieben. Zu meiner Freude überwanden sie ihre Gleichgültigkeit und führten sich unglaublich mutig auf. Es war, als hätte sie plötzlich ein rasendes Todesverlangen gepackt, denn sie rannten förmlich um die Wette, als gälte es einen Siegerkranz zu gewinnen, und warfen sich den Stieren auf die Hörner. Das Publikum rief Beifall und begann sogar ein wenig Sympathie für sie zu empfinden.

Als dieses Wild erledigt war, wandten sich die Stiere gegen die Gekreuzigten, warfen die Kreuze um und rannten mit solcher Wucht gegen die Schutzplanken an, daß die zunächst Sitzenden fürchteten, sie könnten nachgeben. Doch nun war das Spiel auch schon vorüber.

Nach einem Blick auf den Himmel konnte ich erleichtert aufatmen und den Bogenschützen befehlen, die Stiere zu erlegen. Sie besorgten das so geschickt und mutig, daß die Zuschauer ihnen dankbar Beifall spendeten, so daß meine Befürchtung, diese notwendige Schlußnummer könnte das Volk langweilen, unbegründet gewesen war.

Tigellinus wollte zuletzt noch die Schutzplanken mit den daran gekreuzigten Christen verbrennen, aber Nero verweigerte seine Zustimmung, weil er fürchtete, das Feuer werde sich ausbreiten und seinen ganzen Zirkus zerstören. Während die Zuschauer durch alle Tore hinausströmten, gingen einige Prätorianer in der Arena umher und gaben den Gekreuzigten mit ihren Lanzen den Gnadenstoß, denn Nero wollte um der Gerechtigkeit willen, daß diese Christen nicht länger leiden sollten als die anderen, durch den Scheiterhaufen und die wilden Tiere hingerichteten.

Sollte sich jemand darüber wundern, daß ich meine wertvollen Tiere nicht schonte, so antworte ich ihm, daß es schlecht ausgesehen und den Wert der ganzen Vorstellung gemindert haben würde, wenn ein Teil des Publikums dazu verleitet worden wäre, am Abend noch im Zirkus zu bleiben und bei der langwierigen Arbeit des Einfangens zuzusehen. Die Stiere waren außerdem so wild, daß wahrscheinlich einige der Tierwärter dabei ums Leben gekommen wären, und im übrigen gedachte ich Nero eine so gesalzene Rechnung vorzulegen, daß mich der Verlust meiner hyrkanischen Stiere nicht schmerzte.

Tigellinus, der anderen in allem voraus sein wollte, bildete sich ein, die größte Überraschung des Tages für das Volk bereitzuhalten, das nun zu dem Festmahl eilte, das ihm Nero in den Gärten der Agrippina zugesagt hatte. Er hatte sich den Umstand zunutze gemacht, daß er außerhalb der Mauern richterliche Gewalt besaß, und befohlen, den Park mit den zweitausend Christen zu beleuchten, die am frühen Morgen aufs Geratewohl aus den anderen ausgewählt und unter Bewachung in die Gärten gebracht worden waren, da man unmöglich fünftausend Menschen im Laufe einer einzigen Vorstellung in der Arena auftreten lassen kann.

Während der Vorstellung hatte man unter großen Mühen Pfähle entlang der Parkwege und um die Teiche herum aufgestellt und die Christen darangekettet. Da nicht genug Eisenketten für alle dagewesen waren, hatte man auch Stricke genommen und die letzten in der Eile einfach an den Händen festgenagelt.

Dann hatte man die Christen mit Pech und Wachs bestrichen, wovon Tigellinus’ Verwalter gerade noch rechtzeitig einige Fuhren hatte beschaffen können. Da das aber für eine richtige Beleuchtung nicht ausreichte, mußte man noch zu Öl und anderem Brennbarem greifen. Dazu kam, daß die Prätorianer, die man für diese Arbeiten ausgelost hatte, unwillig und mißvergnügt zu Werke gingen, weil sie die Vorstellung im Zirkus versäumten und statt dessen im Glast der Herbstsonne Löcher graben und Pfähle einrammen mußten.

Als nun das Volk bei Einbruch der Dunkelheit aus dem Zirkus drängte, um sich zum Festmahl zu begeben, liefen die Prätorianer voraus und zündeten die lebenden Fackeln entlang des Weges an. Die Leute verwunderten sich und wußten diesen unfaßbaren Anblick nicht zu schätzen, ja den Gebildeten verging von dem widerlichen Geruch von verbranntem Menschenfleisch der Appetit, und sie machten sich auf den Heimweg. Andere fürchteten, das Feuer könne auf die Gärten und Lusthäuser übergreifen, da die Christen an ihren Pfählen sich wanden und strampelten und Tropfen von brennendem Pech und Wachs rings umher ins dürre Gras fielen. Viele verbrannten sich die Füße bei dem Versuch, die Glut in der Umgebung der Pfähle auszutreten.

Als Nero, noch immer volkstümlich in die Tracht eines Wagenlenkers gekleidet, mit seinem Gespann die von menschlichen Fackeln gesäumten Wege entlangfuhr, wurde er nicht mit dem Beifall begrüßt, den er, erwartet hatte. Im Gegenteil, er stieß überall auf verdrossenes Schweigen und sah zu seinem Kummer mehrere Senatoren zur Stadt zurückkehren.

Er stieg vom Wagen, um mit dem Volk zu sprechen und einigen die Hand zu drücken, aber niemand mochte über seine Scherze lachen. Als er Petronius zurückzuhalten versuchte, gab ihm dieser zur Antwort, er habe um der Freundschaft willen eine langweilige Vorstellung durchgestanden, aber was sein Magen zu vertragen imstande sei, habe seine Grenzen. Er verspüre kein Verlangen, den besten Braten der Welt zu kosten, wenn dieser mit dem süßlichen Geruch von Menschenfleisch gewürzt sei.

Nero biß sich auf die Lippen. In seiner Wagenlenkertracht glich er einem grobschlächtigen, verschwitzten Ringkämpfer. Er sah ein, daß er sich etwas einfallen lassen mußte, um das Volk zu erheitern und die Geschmacklosigkeit, die Tigellinus begangen hatte, vergessen zu machen. Zu allem Überfluß begannen nun halb verbrannte Menschen von den Pfählen zu stürzen, da die Stricke durchgebrannt waren. Andere rissen in ihrem Schmerz ihre festgenagelten Hände los und rannten brennend mitten unter die Menschen.

Diese vor Schmerzen brüllenden, kriechenden und sich auf dem Boden wälzenden Gestalten, die kaum noch Menschliches an sich hatten, erregten nur Entsetzen und Abscheu. Nero befahl wutentbrannt, sie und die anderen, die an ihren Pfählen schrien und das kunstvolle Spiel seines Orchesters störten, unverzüglich zu töten.

Dann ließ er allen Weihrauch verbrennen, dessen man habhaft werden konnte, und im ganzen Park die Duftwässer ausspritzen, die ursprünglich für seine Festgäste bestimmt gewesen waren. Was diese Verschwendung kostete, mag sich jeder selbst ausmalen, und ich schweige von den vielen unbrauchbar gewordenen Eisenketten.

Mich hielten um diese Zeit meine Pflichten noch im Zirkus zurück. Ich nahm in aller Eile die Glückwünsche der angeseheneren Zuschauer zu der gelungenen Vorstellung entgegen und stieg dann in die Arena nieder, um mich zu vergewissern, daß die Scharfrichter mit ihren Keulen ihr Werk ordentlich verrichteten, vor allem aber, um zu holen, was von Jucundus und Barbus noch übrig war.

Ich fand sie leicht, aber zu meiner Verwunderung setzte sich plötzlich mitten unter den zerfleischten Leichen ein junger Christ auf. Er hielt sich den Kopf mit den Händen, war aber völlig unversehrt. Als er das Blut abwischte, das über ihn hin geronnen war, zeigte es sich, daß er weder einen Biß noch einen Prankenhieb noch einen Huftritt abbekommen hatte. Er starrte betäubt zum Abendstern empor und fragte, ob er im Paradiese sei. Dann erklärte er mir, er habe sich in den Sand geworfen, um die Tiere nicht durch ohnehin vergeblichen Widerstand zu reizen. Ich wunderte mich nicht, daß er mit dem Leben davongekommen war, denn im allgemeinen rühren weder Löwen noch wilde Stiere einen Menschen an, der sich totstellt, und so mancher Tierfänger hat auf diese Art schon sein Leben gerettet.

Ich betrachtete die Rettung dieses jungen Mannes als ein Zeichen und legte ihm meinen Mantel um die Schultern, um ihn vor dem Keulenhieb der fluchenden Scharfrichter zu bewahren. Und ich erhielt meinen Lohn dafür, denn er konnte mir genau berichten, was Jucundus und Barbus getan und worüber sie unter den anderen Gefangenen leise gesprochen hatten. Man hatte die Christen so eng zusammengepfercht, daß keiner sitzen konnte, und der junge Mann war zufällig unmittelbar neben Jucundus gestanden. Zudem war Barbus auf seine alten Tage ein wenig taub geworden und hatte deshalb Jucundus bitten müssen, lauter zu sprechen, als dieser flüsternd von der dummen Verschwörung der Knaben zu berichten begann.

Der junge Christ, der gehofft hatte, sich schon an diesem Abend mit seinen Glaubensbrüdern im Paradiese zu befinden, betrachtete seine Rettung als ein Wunder und war überzeugt, daß Christus ihn für eine andere Aufgabe ausersehen hatte. Ich gab ihm neue Kleider und sorgte dafür, daß man ihn unangetastet durch ein Seitentor entweichen ließ.

Er hoffte, Christus werde mich für meine Barmherzigkeit und meine gute Tat segnen, und glaubte, auch ich würde eines Tages den rechten Weg finden. Ich schwieg dazu, um seine Gefühle zu schonen, und fragte ihn nur nebenher nach seinem Namen. Er erzählte mir offenherzig, daß er zu den Jüngern des Paulus gehört und bei der Taufe den Namen Clemens erhalten habe. Dieses erstaunliche Zusammentreffen machte es mir leichter, Claudias Laune nachzugeben und meinen Sohn wenigstens fürs erste Clemens zu nennen.

Der junge Christ mißdeutete meine Verwunderung und gestand, er verdiene diesen Namen eigentlich nicht, denn er sei nicht milde, sondern müsse sich unaufhörlich in der Demut üben, um seinen Zorn zu bemeistern. Eben deshalb habe er sich in den Sand geworfen und Böses nicht mit Bösem erwidern wollen. Dann segnete er mich noch einmal für meine Güte und begab sich auf dem von menschlichen Fackeln erhellten Weg zurück nach Rom. Die Gewißheit, daß Christus ihn noch brauchte, tröstete ihn darüber hinweg, daß er nicht den anderen Christen ins Paradies hatte folgen dürfen.

Vor etwa drei Jahren traf ich wieder mit ihm zusammen, als ich von Amts wegen gezwungen war, einen Streit unter den Christen zu schlichten, wobei ich es für richtig hielt, zu Cletus’ Gunsten zu entscheiden. Es ging darum, wer nach Linus den Hirtenstab übernehmen sollte. Ich fand, daß Clemens noch zu jung war, und wenn er sich weiter fleißig in der Demut geübt hat, wird er das wohl auch eingesehen haben.

Eines Tages wird auch er an die Reihe kommen, aber darum brauchst Du Dich nicht zu kümmern, Julius. Die Christen sind politisch bedeutungslos, und es ist noch die Frage, ob ihr Glaube in dem harten Wettstreit mit den anderen aus dem Osten zu uns gekommenen Glaubenslehren wird bestehen können. Verfolge sie aber nie, so sehr Du Dich auch manchmal über sie ärgern magst, sondern lasse sie um Deiner Großmutter Myrina willen in Frieden.

Die Leichen von Jucundus und Barbus ließ ich in Tücher wickeln, und ich war einigen verängstigten Menschen dabei behilflich, ihre Toten zu bergen, sofern sie sie finden konnten. Ich tat es aus Gefälligkeit und nahm die Geschenke, die mir dafür angeboten wurden, nicht an. Die meisten Leichen mußten in ein Massengrab bei der Richtstätte für das gemeine Volk geschafft werden, die zum Glück ganz in der Nähe lag.

Ich konnte also mit gutem Gewissen zu Neros Festmahl eilen und meiner Entrüstung über die Geschmacklosigkeit und Eigenmächtigkeit des Tigellinus Ausdruck verleihen. Da ich voraussah, daß es schwerhalten würde, die gewaltige Zuschauermenge zu speisen, hatte ich meine wilden Stiere in aller Eile abhäuten und ausschlachten lassen, um einen Teil der Gäste auf meine Rechnung mit dem guten Fleisch zu bewirten.

Das Mahl wurde mir jedoch verleidet, denn gleich als erstes bemerkte ich einige Senatoren, die mich eigentümlich musterten oder mir sogar den Rücken wandten, ohne meinen Gruß zu erwidern, und dann dankte mir Nero allzu lustlos und verdrossen für meinen Anteil an der Vorstellung. Erst jetzt erfuhr ich aus seinem Munde von der Verurteilung meines Vaters und Tullias, denn das Auftreten meines Sohnes und meines alten Dieners in der Arena war mir bis dahin trotz der Erzählung des jungen Christen ein Rätsel geblieben. Ich hatte die Absicht gehabt, Nero, wenn er bei passender Laune war, in scharfem Tone zu fragen, wie es möglich war, daß der Adoptivsohn eines Senators mit den Christen zusammen den wilden Tieren ausgesetzt werden konnte.

Nun schilderte mir Nero, wie mein Vater bei der Senatssitzung am frühen Morgen plötzlich irrezureden begann. »Er beleidigte mich vor dem versammelten Senat«, sagte er. »Aber nicht ich habe ihn verurteilt. Seine eigenen Amtsbrüder verurteilten ihn so einhellig, daß nicht einmal eine Abstimmung vonnöten war. Einen Senator kann ja, wie du weißt, nicht einmal der Kaiser verurteilen, ohne zuvor die anderen Senatoren zu hören. Und dann brachte deine Stiefmutter Tullia durch ihr unbeherrschtes Auftreten die ganze leidige Sache, die ich, nicht zuletzt aus Rücksicht auf deinen Ruf, geheimhalten wollte, an die Öffentlichkeit. Der junge Brite, den dein Vater adoptiert hatte, glaubte es ihm schuldig zu sein, sich als Christ zu bekennen. Er wäre sonst nicht in den Zirkus gebracht worden. Aber er war ohnehin lahm und wäre nie ein tauglicher Ritter geworden. Es steht nicht dafür, daß du um ihn trauerst. Außerdem hatte dein Vater, vermutlich in seiner Sinnesverwirrung, die Absicht, dich zu enterben. Du verlierst also nichts, obwohl ich gezwungen bin, sein Vermögen zu beschlagnahmen. Du weißt ja, daß ich Geld brauche, um eines Tages endlich einmal menschenwürdig wohnen zu können.«

Ich hielt es für das sicherste, Nero zu erklären, daß mein Vater mir schon vor siebzehn Jahren einen Vorschuß auf mein Erbteil gegeben hatte, damit ich das für einen Ritter erforderliche Vermögen nachweisen konnte. Ich hatte allerdings die Grundstücke auf dem Aventin verkauft, bevor die Häuser vom Brand zerstört wurden. Außerdem hatte ich anfangs große Summen für den Tiergarten von meinem Vater bekommen, aber davon hatte Nero selbst, durch die Vorstellungen im Amphitheater, den größten Nutzen gehabt.

Er antwortete mir edelmütig, er denke nicht daran, Summen zurückzufordern, die ich vor langer Zeit einmal bekommen hatte. Seiner Meinung nach war die Hinterlassenschaft meines Vaters groß genug, daß sowohl für die Staatskasse als auch für seine Bauvorhaben etwas abfiel. Er erlaubte mir sogar, mir aus dem Haus meines Vaters einige Andenken auszuwählen, sobald die Ädilen alles verzeichnet hatten.

Um allen nachträglichen Verdächtigungen zuvorzukommen, bekannte ich, daß mein Vater mir unter anderem einen Becher geschenkt hatte, der mir persönlich sehr teuer war. Nero fragte neugierig nach Einzelheiten, verlor aber alles Interesse, als er erfuhr, daß es sich nur um einen Holzbecher handelte.

Nun wurde mir endlich klar, in welche Gefahr ich durch meinen Vater geraten war, und ich beeilte mich zu erklären, daß ich Nero nicht einen einzigen Sesterz für meine Tiere und die anderen Auslagen in Rechnung stellen wollte. Ich schenkte ihm sogar das Fleisch der wilden Stiere für seine Gäste und schlug ihm vor, er solle den großen Vorrat an Kleidern, der nun im Zirkus lag, sowie die Schmuckstücke und Spangen, die man den Gefangenen abgenommen hatte, auf seine Rechnung verkaufen lassen. Vielleicht konnte er damit einige Säulen der Arkaden bezahlen, die die Gebäude auf dem Palatin und dem Caelius mit dem Goldenen Haus auf dem Esquilin verbinden sollten.

Nero war entzückt und versprach mir, er werde sich meiner Freigebigkeit stets erinnern. Er war erleichtert, weil ich ihm wegen des Todes meines Vaters und meines Stiefbruders – so nannte er Jucundus – keine Vorwürfe machte, und dankte mir nun aus ganzem Herzen für meinen Beitrag zu der Vorstellung. Er gab zu, daß seine Theaterleute kläglich versagt hatten und daß ihm Tigellinus nur Ärger bereitet hatte. Das einzige, was seiner Ansicht nach außer den Tiernummern wirklich gelungen war, war die gewaltige Musik der Wasserorgel und des Orchesters, dem er selbst genaue Anweisungen gegeben hatte.

Ich war der Meinung, daß die lärmende Musik nur die Tiere beunruhigt und das Interesse der Zuschauer von gewissen Höhepunkten der Vorstellung abgelenkt hatte, aber das sagte ich ihm nicht. Da mir selbst alles so gut geglückt war, konnte ich großzügig sein und über die dürftigen Ergebnisse seiner Anstrengungen stillschweigend hinweggehen.

Trotzdem war ich niedergeschlagen, und das Essen schmeckte mir nicht. Sobald ich mich nicht mehr von eifersüchtigen Blicken beobachtet wußte, verrichtete ich ein Trankopfer für meinen Vater und trank einige Becher Wein. Ich sandte meinen Läufer aus mit dem Auftrag, zu erkunden, wo mein Vater hingerichtet worden war, und seinen sowie Tullias Leichnam zu suchen. Sie waren jedoch aus Gründen, die ich schon berichtete, nicht mehr zu finden.

Ich mußte mich damit begnügen, gegen Morgen die Überreste von Jucundus und Barbus auf einem hastig aufgeschichteten Scheiterhaufen zu verbrennen. Barbus hatte es durch seinen langen Dienst und seine Treue verdient, mit meinem Sohn Jucundus den Scheiterhaufen zu teilen. Als ich die letzte Glut mit Wein hatte löschen lassen, sammelte ich eigenhändig ihre Asche in eine Urne.

Die Urne setzte ich später in Caere bei, auf einem Hügel, den ich über der Grabstätte errichten ließ, die mein Vater einst gekauft hatte. Jucundus stammte ja durch meinen Vater von den Etruskern ab, und seine Mutter Lugunda war eine Britin aus vornehmem Geschlecht gewesen. Barbus aber hatte durch seine Treue bis in den Tod inneren Adel bewiesen. Auf dem Deckel ihrer Urne steht ein etruskischer Bronzehahn und kräht ihnen ewiges Leben. Du wirst es eines Tages selbst sehen, Julius, wenn Du mit dem Staub Deines so habgierigen, unwürdigen und verständnislosen Vaters nach Caere kommst.


Ich durfte Nero nicht kränken und mußte bleiben, bis das Fest zu Ende ging, und ich will gern zugeben, daß die kleinen Vorstellungen außerordentlich gelungen waren, die er an verschiedenen beleuchteten Stellen im Park geben ließ: schöne Tänze, Satyrn, die zwischen den Büschen Nymphen jagten, eine Szene mit Apoll und Daphne und anderes mehr, was das Volk belustigte und auch einem wählerischen Publikum leichtfertige Gedanken einzuflößen imstande war. Zu essen gab es reichlich, aber das Fleisch meiner Stiere war dennoch willkommen. Die Springbrunnen füllten die Becken mit Wein, der zuletzt unvermischt war.

Da nun die Brandstifter ihre wohlverdiente Strafe erhalten hatten und alles gesühnt war, hielten die vornehmsten Damen Roms und alle Priesterkollegien gemeinsam ein göttliches Versöhnungsmahl ab, das den Höhepunkt des Gartenfestes bildete. Zu diesem Zweck waren die beiden heiligsten weißen Steinkegel in aller Heimlichkeit aus ihrem Tempel geholt worden.

Sie wurden unter den üblichen Zeremonien in einem beleuchteten Zelt auf ihren heiligen Kissen aufgestellt und von Frauen bekränzt, und dann setzte man ihnen das heilige Mahl vor. Dieses Mysterium ist so uralt und wird so selten begangen, daß nur wenige von den anwesenden Greisen es je mit angesehen hatten. Ich verfolgte es voll Neugier, erinnerte mich, daß die Römer dieses Mysterium von den Etruskern übernommen hatten, und stimmte mit den Senatoren und Rittern fromm in das heilige Lachen ein. Das Volk durfte nicht lachen. Dann wurde der Zeltvorhang vor die Öffnung gezogen, und kurz darauf erlosch plötzlich das Licht, das durch die Zeltleinwand schimmerte, ohne daß jemand daran gerührt hätte. Wir seufzten erleichtert auf, weil die Zeremonie ganz so verlaufen war, wie es die Überlieferung forderte.

Während die Steinkegel oder vielmehr die Götter, deren Sinnbild sie waren, nach dem heiligen Mahl in dem dunklen Zelt zurückblieben, um sich zum Wohle Roms auf ihren heiligen Kissen zu umarmen, veranstaltete Nero nach altem Brauch ein Satyrspiel, damit die Gäste sich von so viel furchtgebietender Heiligkeit erholen konnten, und man kann ihm nur den einen Vorwurf machen, daß er unbedingt selbst mitspielen wollte, weil er glaubte, dadurch die Gunst des Volkes zu gewinnen.

Er ließ sich daher auf offener Szene zu den Klängen einer lästerlichen Musik als Braut kleiden und sein Gesicht mit dem feuerroten Schleier verhüllen. Dann sang er, geschickt eine Frauenstimme nachahmend, die übliche Brautklage. Zum Hochzeitslager wurde er von Pythagoras, einem stattlichen Sklaven im Gewand des Bräutigams, geführt. Eine Göttin kam, um die verängstigte Braut zu trösten und zu beraten. Jammernd ließ Nero den Bräutigam die beiden Knoten des Gürtels lösen, und zuletzt sanken die beiden einander, fast völlig entkleidet, auf dem Bett in die Arme.

Nero ahmte das Wimmern und Klagen einer verschreckten Jungfrau so vollendet nach, daß die Zuschauer vor Lachen brüllten, worauf er plötzlich so wollüstig zu stöhnen begann, daß viele vornehme Damen erröteten und sich die Hände vor die Augen hielten. Die beiden spielten ihre Rolle so geschickt und gut, als hätten sie die Vorstellung im voraus geprobt.

Poppaea allerdings ärgerte sich über diese kunstvolle Vorführung so sehr, daß sie kurz darauf das Fest verließ. Sie war zudem im dritten Monat schwanger und mußte auf ihre Gesundheit achten, und die lange Vorstellung im Zirkus hatte sie ermüdet.

Nero hatte nichts dagegen, daß sie sich entfernte. Im Gegenteil, er nutzte die Gelegenheit, um in den dunklen Winkeln des Parks allerlei lüsterne Spiele zu veranstalten. Auf das Vergnügen des Volkes bedacht, hatte er alle Weiber aus den Hurenhäusern, die der Brand verschont hatte, eingeladen und sie aus seiner eigenen Kasse bezahlt, aber es gab viele vornehme Damen und leichtsinnige Ehemänner und Frauen, die sich im Schutz der Dunkelheit an diesen Spielen beteiligten. Zuletzt raschelte und knackte es in allen Büschen, und man hörte ringsumher die brünstigen Rufe der Betrunkenen und das Kreischen der Weiber.

Ich ging, um den Scheiterhaufen anzuzünden. Während ich Jucundus’ und Barbus’ Asche mit Wein begoß, dachte ich an Lugunda und meine Jugendjahre in Britannien, in denen ich noch so empfindsam, so auf das Gute bedacht und unschuldig gewesen war, daß ich mich erbrechen mußte, als ich meinen ersten Briten erschlagen hatte. Um dieselbe Zeit am frühen Morgen, was ich allerdings erst später erfuhr, kehrte Nero, mit Erde beschmutzt und den weinfeuchten Lorbeerkranz schief auf dem Kopf, auf den Esquilin zurück, um sich schlafen zu legen.

Poppaea, die sich, wie alle Schwangeren, leicht erregte, war wach gelegen und hatte auf ihn gewartet. Sie empfing ihn mit bösen Worten. Nero geriet in seinem benommenem Zustand so in Zorn, daß er sie in den Leib trat, bevor er sich auf sein Bett warf und in den tiefen Schlaf der Trunkenheit versank. Tags darauf erinnerte er sich an nichts mehr, bis er erfuhr, daß Poppaea eine Fehlgeburt gehabt hatte. Es stand sehr schlecht um sie, und die besten Ärzte Roms vermochten ihr nicht zu helfen – von ihren jüdischen Weibern mit ihren Sprüchen und Zauberbinden ganz zu schweigen.

Zu Poppaeas Ehre muß ich sagen, daß sie Nero keine Vorwürfe machte, als sie erkannte, daß ihr Zustand hoffnungslos war. Sie versuchte sogar noch in der Todesstunde ihn zu trösten und seine Gewissensqualen zu lindern, indem sie ihn daran erinnerte, daß sie sich immer gewünscht hatte, zu sterben, ehe ihre Schönheit dahinschwand. So wie sie nun aussah, schön wie eh und je, von Nero geliebt trotz dem unglückseligen Fußtritt – aber dergleichen kann unter Eheleuten vorkommen –, so hoffte sie in Neros Erinnerung bis zu seinem Tode weiterzuleben. Sie sah ein, daß Nero aus politischen Gründen eine neue Ehe eingehen mußte, und sie wünschte nur, daß er nichts überstürze und daß man ihren Leichnam nicht verbrenne. Poppaea wollte nach jüdischem Brauch unverbrannt bestattet werden.

Aus politischen Gründen konnte Nero sie nicht nach jüdischem Ritus bestatten lassen, obwohl er den Jüdinnen erlaubte, sich zur üblichen Totenklage um ihren Leichnam zu versammeln. Er Heß Poppaea jedoch nach orientalischer Sitte einbalsamieren und erlegte, ohne zu feilschen, die Summen, die sie dem Tempel zu Jerusalem und den Synagogen in Rom vermacht hatte.

Dann hielt er auf dem Forum vor dem Senat und dem Volk eine Gedächtnisrede auf Poppaea und weinte selbst vor Rührung, als er sich ihrer Schönheit in allen Einzelheiten erinnerte, von den goldenen Locken bis zu den rosigen Zehennägeln. Ein langer Trauerzug geleitete ihren einbalsamierten Leichnam, der in einem gläsernen Sarg lag, zum Mausoleum des Gottes Augustus. Daran nahmen viele Anstoß, denn Nero hatte nicht einmal seiner Mutter einen Platz im Mausoleum gegönnt, von seiner Gemahlin Octavia ganz zu schweigen. Von den Juden abgesehen, trauerte das Volk nicht um Poppaea. Sie hatte sich zuletzt schon nicht mehr damit begnügt, ihre Pferde mit Silber beschlagen zu lassen. Ihre Maulesel mußten gar goldene Hufbeschläge haben, und sie hatte zudem die Leute mit ihren ewigen Bädern in Eselsmilch gegen sich aufgebracht.

Mich schmerzte es, daß die bezaubernde Poppaea so jung gestorben war. Sie war immer sehr freundlich zu mir gewesen und würde ihre Freundschaft gewiß in meinen Armen bekräftigt haben, wenn ich genug Verstand gehabt hätte, sie kühn darum zu bitten. So über die Maßen keusch, wie ich in meiner ersten, blinden Verliebtheit geglaubt hatte, wird sie nicht gewesen sein, aber darauf war ich erst gekommen, als sie schon Othos Gattin geworden war.

Nachdem ich nun dies alles geschildert habe, muß ich von Deiner Mutter Claudia und ihrem unfreundlichen Betragen mir gegenüber sprechen. Zugleich muß ich von meiner Teilnahme an der Pisonischen Verschwörung und deren Aufdeckung berichten, und das kommt mich vielleicht noch schwerer an.

Ich will jedoch mein Bestes tun, so wie ich ja auch bisher alles ziemlich aufrichtig und ohne mich selbst zu schonen geschildert habe. Du wirst vielleicht einiges über die Schwachheit des Menschen lernen, wenn Du dies liest, mein Sohn Julius. Verachte mich nur, wenn Du willst. Ich werde nie den harten, klaren Blick vergessen, mit dem Du, ein vierzehnjähriger Knabe, mich unlängst mustertest, als Deine Mutter Dich zwang, Deinen verabscheuungswürdig reichen und nicht minder verabscheuungswürdig einfältigen Vater hier in diesem abgelegenen Kurort zu besuchen, wo er Heilung seiner Leiden sucht. Es war ein Blick, der mich frösteln machte, kälter als die eisigsten Winde des Winters. Aber Du bist ja ein Julier, aus göttlichem Geblüt, und ich bin nur ein Minutus Manilianus.

XI ANTONIA


Ich sehnte mich danach, Dich auf meine Knie zu setzen, um Dich öffentlich als meinen Sohn anzuerkennen und Dir den Namen zu geben, um den Claudia gebeten hatte, aber ich hielt es für vernünftiger, zunächst ein wenig Zeit verstreichen zu lassen, damit Deine Mutter sich beruhigen konnte.

Ich hatte es nicht verhindern können, daß sie in Caere alles erfuhr, was in Rom geschehen war, auch daß ich auf Neros Befehl und gegen meinen Willen an der Hinrichtung der Christen mitgewirkt hatte. Zwar hatte ich einige Christen auf meinen Landgütern in Sicherheit gebracht, andere gewarnt und vielleicht sogar Kephas das Leben gerettet, indem ich ihn dem Tigellinus als einen fürchtenswerten Zauberer darstellte, aber ich kannte das heftige Gemüt Claudias und wußte, wie falsch Frauen im allgemeinen die Handlungen ihrer Männer beurteilen, nämlich immer nach ihren weiblichen Vorstellungen und Launen und ohne Rücksicht auf politische und andere Umstände, die nur Männer zu begreifen vermögen. Daher hielt ich es für das beste, Claudia eine Weile über das, was sie gehört hatte, nachdenken zu lassen und ihr Zeit zu geben, sich zu besinnen.

Außerdem hatte ich in Rom so viel zu tun, daß ich nicht sofort nach Caere reisen konnte. Ich mußte den Tierbestand erneuern und die vielen anderen Verluste einbringen, und das nahm alle meine Kräfte in Anspruch. Gleichwohl will ich gestehen, daß ich einen gewissen Abscheu vor dem ganzen Tiergarten zu empfinden begann.

Ein weiterer Umstand, der mich an der Abreise hinderte, war Tante Laelias unerwarteter Selbstmord. Ich versuchte ihn nach bestem Vermögen zu vertuschen, aber er hatte letzten Endes doch zur Folge, daß noch mehr über mich geklatscht wurde als je zuvor. Was für einen Grund Tante Laelia gehabt haben mochte, sich das Leben zu nehmen – sofern sie es nicht im Wahnsinn tat –, ist mir noch heute ein Rätsel. Wahrscheinlich empfand sie in ihrer geistigen Umnachtung die Absetzung und Hinrichtung meines Vaters als eine solche Schmach, daß sie sich verpflichtet fühlte, Selbstmord zu begehen, und wer weiß: vielleicht meinte sie, dies sei auch meine Pflicht, und wollte mir als echte Römerin mit gutem Beispiel vorangehen.

Wie dem auch sei, sie überredete ihre ebenso wirrköpfige Dienerin, ihr die Pulsadern zu öffnen. Da ihr altes Blut nicht einmal in dem heißen Bad rinnen wollte, erstickte sie sich zuletzt mit dem Kohlendunst aus dem Glutbecken, das sie immer in ihrem Zimmer haben mußte, weil sie wie alle alten Menschen ständig fror, und sie hatte immerhin noch so viel Verstand übrigbehalten, daß sie der Dienerin befahl, alle Tür- und Fensterritzen von außen zu verstopfen.

Ich vermißte sie zunächst gar nicht. Erst tags darauf kam die Dienerin und fragte mich, ob man den Raum nicht lüften solle. Ich brachte es nicht über mich, dieses treuergebene alte Weib zu tadeln, das mir da mit zahnlosem Munde vorjammerte, es habe den Befehlen seiner Herrin wohl oder übel gehorchen müssen. Zu sehr erschütterte mich die neue Schande, die über meinen Ruf und Namen gekommen war.

Ich ließ Tante Laelias Leichnam unter allen ihr zukommenden Ehren verbrennen und hielt in kleinem Kreise eine Gedächtnisrede, obwohl ich vor Ärger kaum dazu imstande war. Es war auch nicht leicht, etwas über Tante Laelias Leben und ihre guten Seiten zu sagen. Claudia, die eben erst vom Kindbett aufgestanden war, lud ich nicht zur Gedächtnisfeier, aber ich schrieb ihr, berichtete von dem traurigen Geschehnis und erklärte, warum ich noch in der Stadt bleiben mußte.

Ich hatte damals, offen gestanden, viel zu leiden. Das mutige Auftreten der Christen im Zirkus und ihre unmenschliche Bestrafung, die bei unserer durch griechische Bildung verweichlichten Jugend Abscheu erweckte, hatten zur Folge, daß man in gewissen Kreisen, die Neros Beschuldigungen nicht glaubten, heimlich mit den Christen zu fühlen begann. Ich verlor so manchen Freund, den ich für treu gehalten hatte.

Als ein Beispiel dafür, welcher Bosheit und Dummheit der Mensch fähig ist, will ich nur erwähnen, daß man damals allen Ernstes behauptete, ich hätte meinen Stiefbruder Jucundus als Christen angezeigt, weil ich fürchtete, das Erbe nach meinem Vater mit ihm teilen zu müssen. Mein Vater habe sich außerdem meines schlechten Rufes wegen von mir losgesagt und absichtlich alles so eingerichtet, daß sein Vermögen an den Staat fiel, damit ich nur ja nichts davon bekäme. Was würden die Leute wohl noch alles erfunden haben, wenn sie gewußt hätten, daß Jucundus mein leiblicher Sohn war, nicht mein Stiefbruder! So falsch und feindselig sprach man über mich in der guten Gesellschaft. Wie müssen da erst die Christen über mich geredet haben! Ihnen ging ich nach Möglichkeit aus dem Wege, um mich nicht dem Verdacht auszusetzen, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen.

Die Allgemeinheit war so gegen mich aufgehetzt, daß ich mich nur mit einem größeren Gefolge auf der Straße zeigen durfte. Nero fühlte sich, nun da er bewiesen hatte; daß er notfalls auch streng sein konnte, sogar bemüßigt, im ganzen Reich die Todesstrafe abzuschaffen. Hinfort durfte auch in den Provinzen niemand mehr zum Tode verurteilt werden, und hatte er das schlimmste Verbrechen begangen. An die Stelle der Todesstrafe trat die Zwangsarbeit, und die Verurteilten mußten Rom wiederaufbauen, vor allem Neros neuen Palast – das Goldene Haus, wie er selbst ihn nun öffentlich nannte – und den großen Zirkus.

Die Beweggründe für dieses neue Gesetz waren freilich nicht Güte und Menschlichkeit. Nero war in ernste Geldnöte geraten und brauchte kostenlose Arbeitskräfte für die gröbsten Arbeiten. Der Senat bestätigte das Gesetz, obwohl viele der Väter vor den Folgen der Abschaffung der Todesstrafe warnten und die Befürchtung äußerten, daß die Verbrechen und die allgemeine Gottlosigkeit zunehmen würden.

An der Erbitterung und Unzufriedenheit, die in ganz Rom herrschten, war jedoch nicht nur die Bestrafung der Christen schuld, die vielen nur ein willkommener Anlaß war, ihrem Haß gegen Nero und die Herrschermacht als solche Luft zu machen. Die wahre Ursache war die, daß jetzt erst alle Schichten der Bevölkerung das volle Gewicht der Steuern zu spüren bekamen, die der Wiederaufbau der Stadt und Neros eigene Bauvorhaben mit sich brachten. Auch die Getreidepreise mußten nach den ersten Hilfsmaßnahmen erhöht werden, und sogar die Sklaven mußten feststellen, daß sie immer weniger Brot, Knoblauch und Öl bekamen.

Einem ganzen Weltreich gelang es natürlich, das Goldene Haus zu bauen, und Nero selbst teilte die Arbeit sehr vernünftig auf mehrere Jahre auf, obwohl ihm die Bauarbeiten nicht schnell genug voranschreiten konnten. Er erklärte, fürs erste genügten ihm ein Speisesaal, einige Schlafräume und ein Arkadengang für Repräsentationszwecke. Er konnte jedoch nicht rechnen und war nach Art der Künstler nicht fähig, die Erklärungen der Sachverständigen geduldig genug anzuhören. Er nahm das Geld, wo er es gerade bekam, und dachte nicht an die Folgen.

Dafür trat er bei mehreren öffentlichen Theatervorstellungen als Sänger und Schauspieler auf und meinte in seiner Eitelkeit, seine glänzende Stimme und das Vergnügen, ihn in verschiedenen Rollen auftreten zu sehen, würden die Menschen ihre eigenen geringfügigen Opfer und Nöte vergessen machen, die doch, verglichen mit der großen Kunst, ein reines Nichts waren. Darin irrte er gründlich.

Viele unmusikalische Senatoren und Ritter begannen diese Vorstellungen als eine unerträgliche Plage zu betrachten, der man noch dazu nicht so leicht entrinnen konnte, weil Nero auf Wunsch gern bereit war, bis in die späte Nacht hinein zu singen und zu spielen.

Unter Vorspiegelung aller erdenklichen Gründe, und selbstverständlich auch, weil ich auf Dein Wohl bedacht war, bewog ich Claudia dazu, beinahe drei Monate in dem so gesunden Caere zuzubringen. Ihre bitteren Briefe las ich nur flüchtig, um mich nicht ärgern zu müssen, und ich antwortete ihr immer wieder, daß ich sie und Dich nach Rom zurückholen wolle, sobald es mir meine vielen Pflichten gestatteten und ich es im Hinblick auf eure Sicherheit glaubte verantworten zu können.

Die Christen wurden allerdings nach der Vorstellung im Zirkus kaum noch oder gar nicht mehr verfolgt, sofern sie sich nicht durch ihr Benehmen einen Platz in einem der Steinbrüche einhandelten. Im großen ganzen waren sie jedoch durch die Massenhinrichtung so eingeschüchtert, daß sie sich still verhielten.

Sobald sie an ihren unterirdischen Versammlungsorten zusammentrafen, gab es Streit und bittere Vorwürfe. Sie fragten sich gegenseitig, warum so viele angezeigt worden seien und warum die Anhänger des Paulus die des Kephas verraten hätten und umgekehrt. Auf diese Weise nahm die Zwietracht unter ihnen zu, und sie bildeten immer mehr geheime Gesellschaften. Die Stilleren verzweifelten darüber, daß sie nicht mehr wußten, wie sie Christus am besten folgen sollten. Sie trennten sich von den Eiferern und schlossen sich in ihrer Einsamkeit ein.

Claudia kehrte schließlich aus eigenem Antrieb nach Rom zurück und brachte alle ihre christlichen Diener mit, dazu die Flüchtlinge, denen ich, unter der Bedingung, daß sie ein wenig arbeiteten, auf den Gütern eine Freistatt gewährt hatte. Ich eilte ihr mit einem Freudenruf entgegen. Sie aber wollte mir anfangs nicht einmal meinen Sohn zeigen, sondern befahl der Amme, Dich ins Haus zu tragen und vor meinen bösen Blicken zu verbergen.

Dann bat sie ihre Begleiter, das Haus zu umstellen, so daß ich nicht entkommen konnte. Ich mußte gestehen, daß ich mich an meinen Schutzgenius wandte und einen Augenblick für mein Leben fürchtete, denn ich erinnerte mich, daß Deine Mutter eine leibliche Tochter des Claudius ist und dessen Grausamkeit und Launenhaftigkeit geerbt hat.

Nachdem sie sich jedoch im Haus umgesehen hatte, benahm sich Claudia recht vernünftig und sagte, sie habe ein ernstes Wort mit mir zu reden. Ich versicherte ihr, daß ich selbst nichts Besseres wünschte, sofern nur erst alle Gefäße und frei umherliegenden Dolche – lauter Andenken, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten – aus dem Zimmer geschafft worden wären.

Claudia hieß mich einen Verbrecher, einen gemeinen Mörder mit blutigen Händen, und behauptete, das Blut meines Adoptivbruders schreie zum Himmel und klage mich an vor Gott. Zuletzt sagte sie, ich hätte mir durch meine Mordlust den Zorn ihres Jesus von Nazareth zugezogen.

Ich war im Grunde erleichtert, weil sie offenbar nicht wußte, daß Jucundus mein Sohn war. In derlei Dingen sind Frauen sonst so scharfsichtig. Was mich kränkte, war, daß sie mir vorwarf, Tante Laelia habe meinetwegen Selbstmord begangen. Ich erwiderte ihr jedoch, daß ich bereit sei, ihr ihre bösen Worte zu verzeihen, und bat sie, doch einmal Kephas zu fragen, was alles ich getan hatte, um den Christen zu helfen und ihn selbst aus den Klauen des Tigellinus zu retten.

»Glaube nicht nur Prisca und Aquila und einigen anderen, die ich nicht nennen will«, bat ich. »Ich weiß, daß sie der Partei des Paulus angehören, dem ich übrigens auch geholfen habe, als er vor Gericht stand, und wenn man zur Zeit nicht einmal in Iberien nach ihm forscht, weil Nero nichts mehr von den Christen hören will, so ist das zum Teil gleichfalls mir zu verdanken.«

»Ich glaube, wem ich will«, gab Claudia zornig zur Antwort. »Du willst dich nur herausreden. Ich weiß nicht, wie ich mit einem Mann wie dir zusammenleben soll, dessen Hände rot sind vom Blut der Glaubenszeugen. Nichts bereue ich mehr, als daß du der Vater meines Sohnes bist.« Ich hielt es für das beste, sie nicht daran zu erinnern, daß sie selbst aus freiem Willen zu mir ins Bett gekrochen war und daß ich sie auf ihre eigenen inständigen Bitten hin zu einer ehrlichen Frau gemacht hatte, indem ich heimlich mit ihr die Ehe einging. Zum Glück waren die geheimen Urkunden, die wir bei den Vestalinnen hinterlegt hatten, durch den Brand zerstört worden, und auch das Staatsarchiv war niedergebrannt, so daß ich die Entdeckung meiner Ehe nicht ernst zu fürchten brauchte. Ich war daher vernünftig und schwieg, da ich den Worten Deiner Mutter entnehmen konnte, daß sie zu verhandeln bereit war.

Nun stellte mir Claudia ihre Bedingungen. Ich mußte mich, soweit dies einem gottlosen Menschen wie mir möglich war, bessern, ich mußte Christus für meine bösen Taten um Vergebung bitten und vor allem den Tiergarten und mein Vorsteheramt aufgeben.

»Wenn du schon nicht an deinen und meinen Ruf denkst, so denke an deinen Sohn und seine Zukunft«, bat Claudia. »Dein Sohn ist einer der letzten in Rom, die sowohl von den Juliern als auch von den Claudiern abstammen. Um seinetwillen mußt du dir eine standesgemäße Stellung verschaffen, so daß er später nichts von deiner schändlichen Vergangenheit zu wissen braucht.«

Claudia nahm an, ich würde mich dieser Forderung mit allen Kräften widersetzen, da ich so große Summen in den Tiergarten und meine Tiere gesteckt und im Amphitheater für meine Vorführungen Beifall eingeheimst hatte. Insgeheim hatte ich jedoch selbst schon beschlossen, den Tiergarten aufzugeben. Ich will nicht behaupten, daß daran die Niedermetzelung der Christen im Zirkus schuld gewesen sei. Ich hatte dagegen Einspruch erhoben, dann aber, dem Zwang gehorchend, meine Aufgabe trotz der Eile und den zahllosen Schwierigkeiten so sauber und zweckdienlich wie möglich durchgeführt. Ich glaube, dessen brauche ich mich nicht zu schämen.

Der eigentliche Grund war der, daß ich mit meiner ehemaligen Gattin Flavia Sabina zu einer finanziellen Regelung kommen mußte. Ich hatte ihr damals, als mir Epaphroditus die Kehle zudrückte, mein halbes Vermögen versprochen, aber je mehr Zeit verging, desto mehr widerstrebte mir der Gedanke.

Nun da ich einen Sohn hatte, der unzweifelhaft mein eigener war, fand ich es auch ungerecht, daß der kleine, damals fünfjährige Lausus eines Tages ebensoviel erben sollte wie er. Ich hatte nichts gegen Lausus, aber seine Haut wurde immer dunkler und sein Haar immer krauser, so daß ich mich manchmal schämte, weil er meinen Namen trug.

Andrerseits wußte ich nur zu gut, daß Sabina den starken Epaphroditus am Gängelband führte und daß sie nicht davor zurückschrecken würde, mich ermorden zu lassen, wenn ich sie bei der Abrechnung zu übervorteilen versuchte. Ich hatte mir daher eine, wie ich glaubte, ganz vortreffliche Lösung ausgedacht und auch schon mit Sabina über meinen Plan gesprochen.

Epaphroditus hatte, lange bevor ich etwas von seinem Verhältnis mit Sabina ahnte, von Nero selbst den Freilassungsstab und das Bürgerrecht erhalten. Im übrigen hatte sich Sabina ab und zu auch mit anderen Tierwärtern abgegeben, aber seit unserer Scheidung hielt Epaphroditus sie sehr kurz und verabreichte ihr gelegentlich eine gehörige Tracht Prügel, was ihr sehr lieb war.

Ich wollte ihr nun den Tiergarten samt Sklaven, Tieren, Geschäftsverträgen und so fort schenken und Nero vorschlagen, Epaphroditus an meiner Statt zum Vorsteher zu ernennen. Epaphroditus war zwar römischer Bürger, aber um meines Ansehens willen war es erforderlich, daß mein Nachfolger darüber hinaus dem Ritterstand angehörte.

Wenn ich Nero so weit brachte, daß er zum erstenmal in der Geschichte Roms einen Afrikaner in die Ritterrolle einschreiben ließ, konnte Sabina mit Epaphroditus eine rechtsgültige Ehe eingehen, und dies um so leichter, da ihr Vater sie verstoßen hatte, so daß der Familienstolz der Flavier sie nicht mehr daran hinderte. Als Gegenleistung mußte mir Sabina versprechen, daß sie Lausus adoptieren und auf seine Erbansprüche mir gegenüber verzichten würden. Sie wagte jedoch nicht zu glauben, daß Nero bereit wäre, einen Mann zum Ritter zu machen, der mindestens zur Hälfte Neger war.

Ich kannte jedoch Nero und hatte ihn oft genug prahlen hören, ihm sei nichts unmöglich. Als Künstler und Menschenfreund sah er in einer farbigen oder auch jüdischen Haut kein Hindernis für ein Amt im Dienst des Staates. In den afrikanischen Provinzen hatte sich schon so mancher dunkelhäutige Mann in seiner Heimatstadt durch sein Vermögen und seine militärischen Verdienste den Ritterrang verschafft.

Als ich nun, scheinbar widerstrebend und mich laut über meine Verluste beklagend, auf Claudias Vorschlag einging, verlor ich daher in Wirklichkeit gar nichts. Im Gegenteil, ich ersparte mir große finanzielle Opfer und schaffte mir sowohl Sabinas Forderungen als auch den Bankert Lausus vom Hals. Das war einige Anstrengungen wert, obwohl ich Claudia natürlich, um den Schein zu wahren, düster prophezeite, Nero werde zutiefst gekränkt sein, weil ich ein Amt niederlegen wollte, das er mir verliehen hatte. Ich würde, sagte ich, nur in Ungnade fallen und vielleicht sogar mein Leben aufs Spiel setzen.

Claudia antwortete schadenfroh grinsend, um Neros Gunst brauchte ich mich ohnehin nicht mehr zu bemühen und mein Leben sei allein dadurch schon in Gefahr, daß ich einen Sohn in die Welt gesetzt hatte, in dessen Adern das Blut der Claudier floß. Mir lief es bei diesen Worten kalt über den Rücken, aber Claudia erklärte sich nun endlich gnädig bereit, mir meinen Sohn zu zeigen.

Du warst ein schönes, makelloses Kind, sahst aus dunklen Augen an mir vorbei und packtest mit Deinen kleinen Fingern meinen Daumen, als wolltest Du mir gleich den goldenen Ring abnehmen. Mein Herz hast Du jedenfalls gleich genommen, und das war mir noch nie zuvor geschehen. Du bist mein Sohn, Du magst es wollen oder nicht.

Ich nahm also meinen ganzen Mut zusammen, bat Epaphroditus, Sabina und Lausus, mich zu begleiten, und hielt an einem Nachmittag, an dem ich annehmen konnte, daß Nero nach dem Mahl und einem erfrischenden Bad bis in die Nacht hinein weitertrinken und sich vergnügen werde, im fertigen Teil des Goldenen Hauses um Audienz an. Die Künstler waren eben dabei, die Wandmalereien in den Gängen zu beenden. Der runde Speisesaal, der von Gold und Elfenbein glänzte, war erst halb fertig.

Nero beschäftigte sich gerade mit den Plänen zu einer Riesenstatue seiner selbst, die vor dem Durchgangsgebäude aufgestellt werden sollte. Er zeigte mir die Zeichnungen und erwies den Bildhauern so viel schmeichelnde Aufmerksamkeit, daß er mir die Namen dieser Handwerker nannte, als wären wir von gleichem Rang. Ich nahm jedoch nicht Anstoß daran, sondern freute mich, daß Nero bei bester Laune war.

Er schickte die Handwerker fort, als ich ihn bat, unter vier Augen mit ihm sprechen zu dürfen, sah mich schuldbewußt an, rieb sich verlegen das Kinn und gestand, daß auch er mit mir zu reden habe. Es falle ihm nicht leicht und er habe es immer wieder aufgeschoben, weil er fürchtete, ich könnte ihm übelnehmen, was er mir sagen müsse.

Ich legte ihm mit vielen Worten dar, wie treu und unter welchen Opfern ich durch so viele Jahre den großen Tiergarten Roms geführt hatte. Dieses Amt werde mir nun, so sagte ich, eine allzu schwere Bürde, zumal ein neuer, zum Goldenen Haus gehöriger Tiergarten angelegt werden müsse und ich mich dieser Aufgabe, die großen künstlerischen Geschmack erfordere, nicht gewachsen fühle. Ich sei daher gekommen, um ihn zu bitten, mich von meinem Amt zu befreien.

Als Nero zu begreifen begann, wo ich mit meiner langen Rede hinauswollte, erhellte sich seine Miene. Er lachte und schlug mir zum Zeichen seiner Gunst freundschaftlich auf die Schulter.

»Sei ohne Sorge, Minutus«, sagte er. »Deinen Wunsch will ich dir gern erfüllen. Ich will ihn dir um so lieber erfüllen, als ich ohnehin schon seit geraumer Zeit nach einem passenden Vorwand suche, dich deines Amtes zu entheben. Gewisse einflußreiche Personen machen mir seit dem Herbst immer wieder Vorwürfe wegen der unnötig grausamen Vorführungen, die du veranstaltet hast, und verlangen, daß ich dich zur Strafe für deinen schlechten Geschmack absetze. Ich muß selbst sagen, daß gewisse Einzelheiten der Vorstellung mir den Magen umgedreht haben, obwohl die Brandstifter natürlich ihre Strafe verdienten. Es freut mich, daß du selbst eingesehen hast, wie unhaltbar deine Stellung geworden ist. Ich konnte ja nicht ahnen, daß du mein Vertrauen mißbrauchen und eines Erbstreits wegen deinen eigenen Halbbruder gegen die Löwen schicken würdest.«

Ich öffnete den Mund, um diese wahnsinnige Beschuldigung zurückzuweisen, aber Nero fuhr mit finsterer Miene fort: »Die Hinterlassenschaft deines Vaters und seine Geschäfte sind so undurchsichtig und verworren, daß ich noch nicht einmal meine Auslagen wieder hereinbrachte, als ich die Forderungen eintrieb. Man munkelt, du habest im vollen Einverständnis mit deinem Vater den größten Teil des Vermögens auf die Seite geschafft, um den Staat und mich zu betrügen. Das mag ich von dir nicht glauben, denn ich weiß, daß du mit deinem Vater verfeindet warst. Ich müßte dich sonst aus Rom verbannen. Ich habe vielmehr deine Tante Laelia im Verdacht, die es für gut befand, sich das Leben zu nehmen, um der Strafe zu entgehen. Aber ich hoffe, du hast nichts dagegen, daß ich die Ädilen bitte, einmal einen Blick in deine Bücher zu werfen. Ich würde es nicht tun, wenn ich nicht dank der rücksichtslosen Habgier gewisser Leute ständig in Geldnöten wäre. Sie klemmen ihre Geldbeutel zu und weigern sich, ihrem Kaiser zu helfen, sich endlich eine menschenwürdige Wohnstätte zu schaffen. Und ob du es glaubst oder nicht: Seneca hat sich damit begnügt, mir lächerliche zehn Millionen Sesterze zu schicken, er, der immer behauptete, er sei bereit, mir alles zu geben, was er besaß, weil er nur zu gut wußte, daß ich es aus politischen Gründen nicht annehmen konnte. Pallas liegt auf seinem Geld wie ein feister Köter, und von dir habe ich sagen hören, daß du einige Monate vor dem Brand alle deine Mietshäuser und Baugründe in den Stadtteilen verkauft hast, die später am schlimmsten verheert wurden. Statt dessen hast du billigen Boden in Ostia gekauft, der seither beträchtlich im Wert gestiegen ist. Eine solche Umsicht sieht sehr verdächtig aus. Wenn ich dich nicht kannte, würde ich dich der Teilnahme an der Verschwörung der Christen anklagen.«

Er lachte laut auf, und ich benutzte die Gelegenheit, um ihn rasch zu versichern, mein Vermögen stehe ihm selbstverständlich zur Verfügung, wenngleich ich nicht so reich sei, wie allgemein angenommen werde. In dieser Hinsicht könne ich mit Seneca oder Pallas nicht in einem Atem genannt werden. Nero klopfte mir begütigend auf die Schulter und sagte: »Nimm mir den kleinen Scherz nicht übel, Minutus. Es ist für dich selbst das beste, du weißt, was alles über dich geredet wird. Ein Herrscher hat es schwer. Er muß alle anhören und weiß nie, wessen Absichten wirklich lauter sind. Immerhin sagt mir aber meine Menschenkenntnis, daß du eher einfältig als umsichtig bist. Ich will daher nicht aufgrund von Gerüchten und wegen der Verbrechen deines Vaters dein Vermögen beschlagnahmen. Daß ich dich wegen Untauglichkeit deines Amtes enthebe, sei Strafe genug. Ich weiß nur nicht, wen ich an deiner Stelle ernennen soll. Es finden sich für dieses Amt, das keinerlei politische Bedeutung hat, keine Bewerber.«

Ich hätte ihm über die politische Bedeutung dieses Amtes das eine oder andere sagen können, aber ich schlug ihm statt dessen lieber vor, den Tiergarten Sabina und Epaphroditus zu überlassen. In diesem Falle würde ich keine Entschädigung fordern und die Ädilen brauchten sich nicht die Mühe zu machen, meine Bücher zu überprüfen. Dies sei mein Angebot als ehrlicher Mann. Zuerst aber müsse Epaphroditus in den Ritterstand erhoben werden.

»Über die Hautfarbe eines römischen Ritters steht in keinem Gesetz, in keiner Verordnung ein Wort zu lesen«, sagte ich. »Die einzige Bedingung ist ein gewisses Vermögen und jährliches Einkommen, obgleich es natürlich zuletzt ganz von deiner Gnade abhängt, wen du zum Ritter machen willst. Und ich weiß, daß Nero nichts unmöglich ist. Wenn du meinen Vorschlag günstig aufnimmst, so erlaube mir, Epaphroditus und Sabina hereinzurufen.«

Nero kannte Epaphroditus vom Sehen, und er hatte gewiß vor meiner Scheidung mit meinen anderen Freunden heimlich über meine Leichtgläubigkeit gelacht. Nun erheiterte es ihn, daß ausgerechnet ich ein Wort für ihn einlegte, und er lachte offen heraus, als Sabina Lausus hereinführte und er die Hautfarbe des Knaben mit der des Epaphroditus verglich.

Ich glaube, all dies bestärkte Nero in seiner Meinung, daß ich ein leichtgläubiger Tropf sei, doch das konnte mir nur recht sein. Ich durfte auf keinen Fall zulassen, daß die Ädilen die Buchführung des Tiergartens überprüften. Wenn Nero glaubte, Epaphroditus habe sich auf meine Kosten so bereichert, daß er nun imstande war, das für einen Ritter erforderliche Vermögen nachzuweisen, so war das seine Sache.

Im Grunde gefiel Nero der Gedanke, der Ritterschaft dadurch, daß er Epaphroditus in die Rolle im Tempel des Castor und des Pollux einschreiben ließ, seine Macht zu beweisen. Außerdem war er klug genug, um sofort zu begreifen, was eine solche Geste ihm in den afrikanischen Provinzen einbrachte, bezeugte er doch damit, daß unter seiner Regierung alle römischen Bürger ohne Rücksicht auf Hautfarbe und Geburt gleichberechtigt waren und daß er keine Vorurteile kannte.

Es ging daher alles nach meinen Wünschen. Es gefiel Nero auch, daß Sabina und Epaphroditus heiraten und den Knaben, der bisher als mein Sohn eingeschrieben gewesen war, adoptieren wollten. »Ich erlaube jedoch, daß er zum Andenken an dich, edler Manilianus, weiter den Namen Lausus trägt«, sagte er boshaft. »Es ist schön von dir, daß du ihn ganz seiner Mutter und seinem Stiefvater überläßt. Das beweist, daß du die Mutterliebe achtest und an dich selbst zuletzt denkst, obwohl der Kleine dir ähnelt wie ein Ei dem andern.« Wenn ich geglaubt hatte, Sabina einen Streich zu spielen, indem ich die Last des Tiergartens auf ihre Schultern ablud, so hatte ich mich geirrt. Nero faßte eine gewisse Neigung zu Epaphroditus und bezahlte ohne Murren die unverschämtesten Rechnungen. Die Tiere in dem neuen Tiergarten des Goldenen Hauses tranken aus Marmortrögen, und die Pantherkäfige bekamen silberne Gitter. Nero kam für alles auf, und ich hatte sogar die ungeheuren Wasserrechnungen aus eigener Tasche bezahlen müssen, als die Wasserverteilung nach dem Brand neu geregelt worden war!

Epaphroditus dachte sich gewisse einfache Vorführungen aus, die Nero sehr gefielen und über die ich aus Gründen der Schicklichkeit keine Einzelheiten berichten will. Er wurde binnen kurzem steinreich und dank dem Tiergarten einer der Günstlinge Neros.

Nach meiner Verabschiedung hörte man auf, mir auf der Straße Steine nachzuwerfen. Statt dessen lachte man mir offen ins Gesicht, und ich gewann einen Teil meiner Freunde zurück, lauter edelmütige Menschen, die glaubten, mich bemitleiden zu müssen, seit ich in Ungnade gefallen und zum Gespött der Leute geworden war. Mochten sie denken, was sie wollten. Ich beklagte mich nicht, denn es ist besser, verlacht als von allen gehaßt zu werden. Claudia brachte natürlich nach Weiberart kein Verständnis für meine vernünftige Einstellung auf, sondern flehte mich weinend an, um meines Sohnes willen auf einen besseren Ruf bedacht zu sein. Ich übte mich in Geduld.

Und Geduld war in der Tat vonnöten. In ihrem wahnwitzigen Mutterstolz wollte Claudia sowohl Antonia als auch Rubria, die Älteste der Vestalinnen, zu Deinem Namensfest einladen, damit ich Dich in ihrem Beisein auf meine Knie setzte. Die alte Paulina war bei dem Brand umgekommen und konnte nicht mehr als Zeugin dienen. Claudia aber hatte mittlerweile erkannt, was es bedeutete, daß das Archiv der Vesta zerstört worden war.

Sie versicherte mir, es werde alles so heimlich wie möglich vor sich gehen, forderte aber die Anwesenheit einiger zuverlässiger Christen und beteuerte immer wieder, die Christen hätten besser als alle anderen zu schweigen gelernt. Ich für mein Teil war der Meinung, daß es keine übleren Streithammel und Verräter gab. Und Antonia und Rubria waren Frauen. Sie einweihen, das war in meinen Augen dasselbe wie auf das Dach unseres Hauses steigen und die Geburt meines Sohnes über die ganze Stadt hinausrufen.

Claudia bestand jedoch trotz meinen bösen Ahnungen auf ihren Forderungen, und zuletzt geschah alles nach ihrem Willen. An sich war es freilich eine große Ehre, daß Antonia, die gesetzliche Tochter des Claudius, Claudia als ihre Halbschwester anerkannte und sogar Dich auf ihre Knie setzte und Dir zur Erinnerung an sich selbst und Deinen großen Ahnen Marcus Antonius den Namen Antonianus gab. Der Schrecken fuhr mir jedoch in alle Glieder, als sie Dich in ihrem Testament zu bedenken versprach.

»Sprich nicht von deinem Testament!« rief ich, um sie abzulenken. »Du bist viele Jahre jünger als Claudia und eine Frau in ihrer schönsten Blüte. Wir beide sind ja etwa gleichaltrig, aber Claudia ist fünf Jahre älter als ich und schon vierzig. Ich für mein Teil mag noch lange nicht an mein Testament denken.«

Diese Bemerkung war nicht nach Claudias Geschmack, aber Antonia richtete ihre schlanke Gestalt auf, warf mir einen Blick aus verschleierten Augen zu und sagte: »Ich glaube, ich sehe für mein Alter noch sehr gut aus. Deine Claudia dagegen wirkt – wie soll ich sagen? – ein wenig verbraucht. Manchmal sehne ich mich nach der Gesellschaft eines lebensfrohen Mannes. Ich fühle mich einsam nach meinen Ehen, die beide durch Mord beendet wurden, denn die Leute fürchten Nero und gehen mir aus dem Wege. Wenn sie nur wüßten!«

Ich merkte ihr deutlich an, daß sie darauf brannte, etwas zu erzählen. Auch Claudia wurde neugierig. Nur die alte Rubria lächelte ihr allwissendes Vestalinnenlächeln. Wir brauchten Antonia nicht lang zu bitten, und schon gestand sie uns mit erheuchelter Bescheidenheit, Nero habe sie mehrere Male mit großer Eindringlichkeit gebeten, seine Gemahlin zu werden.

»Dazu konnte ich mich natürlich nicht bereit erklären«, sagte sie. »Ich antwortete ihm offen, daß ich mich noch zu gut meines Halbbruders Britannicus und meiner Halbschwester Octavia erinnerte. Von seiner Mutter Agrippina schwieg ich aus Feingefühl, obwohl sie als Nichte meines Vaters meine leibliche Base war, und natürlich auch deine, liebe Claudia.«

Bei der Erinnerung an Agrippinas Tod bekam ich einen solchen Hustenanfall, daß Claudia mir auf den Rücken klopfen und mich ermahnen mußte, meinen Becher nicht so hastig zu leeren. Immer noch hustend, fragte ich Antonia, was Nero als Grund für seine Werbung angeführt habe. Sie schlug ihre blaugefärbten Wimpern nieder und erwiderte: »Nero versicherte und schwor mir, daß er mich schon seit langem heimlich liebt. Nur deshalb hat er solchen Groll gegen meinen verstorbenen Gatten Faustus Sulla gehegt. Seiner Ansicht nach war Sulla ein viel zu träger und zu wenig unternehmungsfreudiger Mann für eine Frau wie mich. Das läßt sein Verhalten Sulla gegenüber verzeihlich erscheinen, obwohl er in der Öffentlichkeit nur politische Gründe dafür anführte, daß er den Ärmsten in unserem bescheidenen Heim in Massilia ermorden ließ. Unter uns kann ich übrigens ruhig zugeben, daß mein Gatte wirklich heimliche Beziehungen zu den Befehlshabern der Legionen in Germanien unterhielt.«

Nachdem sie mit diesen Worten bewiesen hatte, daß sie uns, ihren Verwandten, volles Vertrauen schenkte, fuhr sie fort: »Ich bin Frau genug, um von Neros offenherzigem Geständnis gerührt zu sein. Schade, daß er so unzuverlässig ist und daß ich ihn so bitter hasse. Er kann sehr liebenswert sein, wenn er will. Ich blieb jedoch standhaft und wies ihn auf den Altersunterschied zwischen uns hin, der freilich kaum größer ist als der zwischen Claudia und dir. Ich habe aber von Kind auf in Nero nie etwas anderes gesehen als einen boshaften Schlingel, und natürlich ist die Erinnerung an Britannicus ein unüberwindliches Hindernis. Was er Octavia antat, kann ich ihm eher verzeihen. Octavia war selbst schuld. Sie hätte ihn nicht mit diesem Anicetus betrügen dürfen.«

Ich sagte ihr nicht, was für ein geschickter Schauspieler Nero sein konnte, wenn es seinem Vorteil galt. Es hätte seine Stellung dem Senat und dem Volk gegenüber zweifellos gefestigt, wenn er durch Antonia ein drittes Mal in ein verwandtschaftliches Verhältnis zu den Claudiern getreten wäre.

Der Gedanke daran bedrückte mich. Durch den Wein zärtlich gestimmt, dachte ich an Dich und Deine Zukunft und wünschte mir in meinem Herzen, Du mögest Dich nie vor anderen wegen der Herkunft Deines Vaters schämen müssen. Auf heimlichen Wegen waren nämlich, zusammen mit anderen notwendigen Dokumenten, auch die Briefe in meine Hände gelangt, die mein Vater einst, vor meiner Geburt, in Jerusalem und Galiläa an Tullia geschrieben, aber nie abgeschickt hatte.

Aus ihnen ging hervor, daß er sich, durch seine unglückliche Liebe, eine Testamentsfälschung und Tullias Treulosigkeit um die klare Vernunft gebracht, so weit erniedrigt hatte, alles zu glauben, was die Juden ihm einredeten. Am härtesten aber traf es mich, daß die Briefe die Vergangenheit meiner Mutter Myrina enthüllten. Sie war nichts anderes gewesen als eine ganz gewöhnliche Tänzerin und Akrobatin, die mein Vater freigekauft hatte. Über ihre Herkunft war nur bekannt, daß sie von Inselgriechen abstammte.

Daher waren ihre Statue vor dem Rathaus in Myrina in Asia und alle Urkunden, die mein Vater über ihre Geburt in Antiochia beschafft hatte, nichts als Schwindel, dazu bestimmt, mir meine Zukunft zu sichern. Die Briefe ließen mich sogar daran zweifeln, daß ich in rechtsgültiger Ehe geboren worden war. Hatte sich mein Vater nicht vielleicht auch diese Urkunden erst später, nach dem Tod meiner Mutter, beschafft, indem er die Behörden in Damaskus bestach? Dank Jucundus wußte ich selbst nur zu gut, wie leicht sich dergleichen einrichten läßt, wenn man Geld und Einfluß hat.

Claudia gegenüber hatte ich über die Briefe meines Vaters und die anderen Dokumente nicht ein Wort erwähnt. Es befanden sich darunter, neben in finanzieller Hinsicht sehr wertvollen Unterlagen, einige aramäische Aufzeichnungen von der Hand eines jüdischen Zöllners, der zu den Bekannten meines Vaters gehört hatte. Sie betrafen das Leben jenes Jesus von Nazareth, und ich hielt mich nicht für befugt, sie zu vernichten, sondern mauerte sie eigenhändig zusammen mit den Briefen in meinem heimlichsten Versteck ein, in dem ich gewisse Schriften verwahre, die das Licht des Tages scheuen.

Ich versuchte meine Niedergeschlagenheit zu überwinden und hob meinen Becher zu Ehren Antonias, die Neros Annäherung mit soviel Feingefühl zurückgewiesen hatte. Sie gestand uns zuletzt, daß sie ihn ein- oder zweimal geküßt hatte, ganz schwesterlich nur und um ihn zu besänftigen.

Davon, daß sie Dich in ihrem Testament bedenken wollen, sagte Antonia zum Glück nichts mehr, und wir setzten Dich der Reihe nach aufs Knie, obwohl Du zappeltest und schriest. Dann erhieltst Du die Namen Clemens Claudius Antonianus Manilianus, und das war genug erbliche Belastung für ein so kleines Kind. Ich nahm daher Abstand davon, Dich auch noch nach meinem Vater Marcus zu nennen, was meine Absicht gewesen war, ehe Antonia mit ihrem Vorschlag kam.

Als Antonia sich zu später Stunde in ihrer Sänfte nach Hause begab, verabschiedete sie sich von mir mit einem schwesterlichen Kuß, denn wir waren ja zwar heimlich, aber doch vor dem Gesetz miteinander verwandt. Sie bat mich auch, sie in Zukunft, wenn wir unter vier Augen zusammentrafen, Schwägerin zu nennen. Ich erwiderte ihren Kuß und tat es gern. Ich war ein wenig berauscht.

Sie beklagte sich noch einmal über ihre Einsamkeit und sagte, sie hoffe, ich würde sie nun, da wir miteinander verwandt seien, einmal besuchen. Claudia brauchte ich nicht unbedingt mitzubringen. Sie habe mit dem Kind und dem großen Haus genug zu tun und fühle gewiß schon die Last der Jahre. Ich kann nicht leugnen, daß Antonias Aufmerksamkeit mir schmeichelte, war sie doch der Abstammung nach die vornehmste Dame Roms.

Bevor ich jedoch schildere, welchen Verlauf unsere Freundschaft nahm, muß ich auf die Angelegenheiten Roms zurückkommen.

In seiner Geldnot wurde Nero des Jammerns der Provinzen und der bitteren Klagen der Handelsleute über die Umsatzsteuern bald überdrüssig. Er beschloß daher, seine Schwierigkeiten so zu lösen wie Alexander einst den Gordischen Knoten. Ich weiß nicht, wer ihm den Plan vorlegte, denn in die Geheimnisse des Tempels der Juno Moneta bin ich nicht eingeweiht, aber wer es auch gewesen sein mag: der Mann hätte es mehr als die Christen verdient, als ein Feind der Menschheit und des Reiches den wilden Tieren vorgeworfen zu werden.

Nero borgte in aller Stille von den Göttern Roms alle Weihgeschenke aus Gold und Silber, das heißt, er setzte Jupiter Capitolinus in aller Form als Darlehensnehmer ein und borgte seinerseits von Jupiter. Dagegen war juristisch nichts einzuwenden, obwohl es die Götter gewiß nicht billigten. Nero hatte nach dem Brand alles geschmolzene Metall für sich sammeln lassen, das nun natürlich nicht mehr aus vollgewichtigem Gold oder Silber bestand, sondern in unterschiedlichem Grade mit Bronze vermischt war. Nun ließ er alles zusammenschmelzen und im Tempel der Juno Moneta Tag und Nacht neue Gold- und Silbermünzen schlagen, die um ein Fünftel weniger Gold oder Silber enthielten als vorher. Diese Münzen waren sowohl leichter als auch, durch die Kupferbeimischung, dunkler als die früheren. AU das ging, unter dem Vorwand, daß die Angelegenheiten der Juno Moneta nie öffentlich gewesen seien, in der größten Heimlichkeit und unter strenger Bewachung vor sich, aber den Bankiers kamen doch zumindest Gerüchte zu Ohren. Ich selbst wurde aufmerksam, als die Münzen plötzlich knapp wurden und man mir ständig Zahlungsanweisungen aufnötigte oder bei größeren Käufen um einen Monat Zahlungsaufschub bat.

Dennoch glaubte ich zunächst den Gerüchten nicht, da ich mich als Freund Neros betrachtete und nicht fassen konnte, daß er – sowenig ein Künstler auch von den Geschäften versteht – sich des entsetzlichen Verbrechens der Münzfälschung schuldig machen sollte, eines Verbrechens, für das schon so mancher einfache Mann, der sich die eine oder andere Münze für den eigenen Gebrauch hergestellt hatte, ans Kreuz geschlagen worden war. Ich folgte jedoch dem Beispiel der anderen und hielt mein Bargeld zurück.

Das Geschäftsleben geriet nach und nach völlig durcheinander, und die Preise stiegen von Tag zu Tag, bevor noch Nero seine gefälschten Münzen in Umlauf brachte und eine Verordnung erließ, derzufolge innerhalb einer bestimmten Frist alle alten Münzen gegen die neuen eingetauscht werden mußten. Danach sollte jeder, bei dem man noch alte, gute Münzen fand, als Staatsfeind behandelt werden. Nur Zölle und Steuern durften noch mit den alten Münzen erlegt werden.

Zu Roms Schande muß ich gestehen, daß der Senat diese Verordnung mit einer beträchtlichen Stimmenmehrheit guthieß. Sie wurde also rechtskräftig, und man kann daher für dieses Verbrechen, das aller Anständigkeit und allem guten Handelsbrauch Hohn spricht, nicht Neros Willkür und Kurzsichtigkeit allein verantwortlich machen.

Die Senatoren, die für Nero stimmten, rechtfertigten sich scheinheilig damit, daß der Wiederaufbau Roms einschneidende Maßnahmen erfordere. Außerdem wurde behauptet, daß durch den Geldumtausch die Reichen größere Nachteile erlitten als die Armen, weil die Reichen mehr Bargeld besäßen und Nero es nicht der Mühe wert fand, Kupferscherflein zu fälschen. Das war dummes Geschwätz. Das Vermögen eines Senators besteht, wie es das Gesetz vorschreibt, größtenteils aus Grundbesitz, wenngleich der eine oder andere durch seine Freigelassenen Handel treibt, und selbstverständlich hatte jeder der abstimmenden Senatoren seine guten Gold- und Silbermünzen, sofern er welche besaß, vorsorglich in Sicherheit gebracht.

Der einfachste Landmann war schlau genug, seine Ersparnisse in einen Tonkrug zu stecken und in die Erde zu vergraben. Alles in allem wurde höchstens ein Viertel aller in Umlauf befindlichen Münzen gegen die neuen ausgetauscht, und zweifellos machte es sich nun auch bemerkbar, daß so viele der zuverlässigen römischen Münzen in die Länder der Barbaren und sogar bis nach Indien und China geflossen waren.

Neros unerhörtes Verbrechen brachte so manchen zur Besinnung, der ihm aus politischen Gründen sogar den Muttermord verziehen hatte. Angehörige des Ritterstandes, die irgendwelche Geschäfte betrieben, und die wohlhabenden Freigelassenen, die den Handel beherrschten, hatten nun Anlaß genug, ihre politische Einstellung zu überprüfen, denn das neue Geld brachte das gesamte Wirtschaftsleben in Verwirrung. Sogar erfahrene Geschäftsleute erlitten durch die Terminkäufe empfindliche Verluste.

Nur diejenigen, die leichtsinnig in den Tag hinein lebten, die bis über die Ohren verschuldet waren, freuten sich über den Einfall und bewunderten Nero mehr denn je, da sie nun ihre Schulden mit Geld zurückzahlen konnten, das um ein Fünftel weniger wert war. Das Zithergeklimper und die Spottverse der Langhaarigen vor den Häusern der Reichen und den Wechseltischen auf dem Forum wurden sogar mir zu viel. Alle Schöngeister waren nach diesem Streich fester denn je davon überzeugt, daß Nero nichts unmöglich war. Sie bildeten sich ein, er begünstige die Armen auf Kosten der Reichen und mache mit dem Senat, was er wolle. Und unter diesen haltlosen Jünglingen befanden sich sogar Senatorensöhne!

Es war in dem Maße allgemein üblich, die alten Münzen zu verstecken, daß niemand darin ein Verbrechen sah, und es half auch nichts, daß man ein paar arme Markthändler und Bauersleute festnahm und zur Zwangsarbeit verurteilte. Nero mußte seine milden Gesetze widerrufen und den Übeltätern wieder die Todesstrafe androhen. Dennoch wurde niemand hingerichtet, denn im Grunde sah Nero sehr wohl ein, daß er selbst der Verbrecher war und nicht der Arme, der seine wenigen vollgewichtigen Silbermünzen, die Ersparnis vieler Jahre, für sich behalten wollte.

Ich selbst fand mich rasch in die neuen Verhältnisse und ließ einen meiner Freigelassenen eine Bank gründen und einen Wechseltisch auf dem Forum aufstellen. Der Geldumtausch nahm ja trotz allem solche Ausmaße an, daß sich der Staat genötigt sah, sich an die Bankiers zu wenden, um ihn abzuwickeln, und die Bankiers erhielten ein Entgelt für ihre Mühe, wenn sie die alten Münzen der Staatskasse ablieferten.

Niemand wunderte sich daher, als ein Freigelassener, um es mit den altangesehenen Bankiers aufnehmen zu können, die in der ersten Verwirrung nicht gleich wußten, woran sie waren, beim Wechsel alter Münzen gegen neue eine Vergütung von bis zu fünf vom Hundert gewährte. Seinen Kunden erklärte er, er tue dies, um seinem Unternehmen Ansehen zu verschaffen und den Unbemittelten zu helfen.

Schuhmacher, Kupferschmiede und Steinmetzen stellten sich daher vor seinem Tisch an, während ihm die alten Bankiers von ihren unbesuchten Plätzen aus finster zusahen. Dank meinem Freigelassenen brachte ich innerhalb einiger Wochen meine eigenen Wechselverluste wieder herein, obwohl er gezwungen war, dem Priesterkollegium der Juno Moneta einen gewissen Betrag zu erlegen, weil man ihn verdächtigte, er habe nicht alle vollwertigen Münzen abgeliefert, die er eingenommen hatte.

In jenen Tagen ging ich oft heimlich in mein Zimmer, versperrte die Tür hinter mir und trank aus Fortunas Becher, weil ich wohl wußte, daß ich nun die Gunst der Göttin brauchte. Gerührt verzieh ich meiner Mutter in meinem Herzen ihre niedrige Geburt, hatte ich doch durch sie immerhin zur Hälfte griechisches Blut in meinen Adern, das mir Glück und Erfolg in geschäftlichen Dingen brachte. Man behauptet ja, ein Grieche könne sogar einen Juden übers Ohr hauen, was ich allerdings noch bezweifeln möchte.

Durch meinen Vater bin ich jedoch echter Römer und stamme von etruskischen Königen ab, was in Caere nachgewiesen werden kann. Deshalb bin ich für unbedingte Ehrlichkeit in den Geschäften. Die Wechslertätigkeit meines Freigelassenen und meine frühere zweifache Buchführung im Tiergarten schadeten nur der Staatskasse und waren daher nichts anderes als die Selbstverteidigung eines ehrlichen Mannes gegen tyrannische Steuern. Ohne solche kleine Kniffe wäre ja ein gesundes Wirtschaftsleben überhaupt nicht denkbar.

Ich habe dagegen meinen Freigelassenen nie erlaubt, etwa Kreide unter das Weizenmehl oder gewisse Erdöle unter das Speiseöl zu mischen – Betrügereien, durch die sich schon so mancher unverschämte Emporkömmling ein Vermögen gemacht hat. Man kann für so etwas übrigens gekreuzigt werden! Ich sprach einmal mit Fenius Rufus darüber, als er noch Aufseher über die staatlichen Getreidelager und Mühlen war, selbstverständlich ohne Namen zu nennen. Er warnte mich und sagte mir, daß niemand in seiner Stellung im Falle einer Mehlverfälschung Nachsicht üben dürfe, wer auch immer der Schuldige sei. Man dürfe bestenfalls einmal eine auf See beschädigte Ladung aus den staatlichen Vorräten ersetzen, um einem Freund in der Not zu helfen, aber das sei auch schon alles. Zuletzt gestand er mir seufzend, daß er trotz seinem hohen Amte im Grunde eher arm bleiben mußte.

Von Fenius Rufus gehen meine Gedanken zu Tigellinus. Man hatte vor Nero schlecht über Tigellinus zu sprechen begonnen und flüsterte dem Kaiser warnend ins Ohr, er setzte, indem er mit ihm Umgang pflegte, seinen Ruf aufs Spiel. Allzu rasch sei Tigellinus nach seiner Ernennung zum Präfekten reich geworden, und die vielen unüberlegten Geschenke Neros genügten nicht als Erklärung, obgleich dieser die Gewohnheit hatte, seine Freunde so reich zu machen, daß sie in den Ämtern, in die er sie einsetzte, nicht der Versuchung erlagen, Bestechungsgelder anzunehmen. Wie weit es mit der Freundschaft wirklich her war, weiß man trotz allem nicht. Ich möchte behaupten, daß ein Gewaltherrscher gar keine echten Freunde haben kann.

Die schlimmste Anklage gegen Tigellinus war in Neros Augen die, daß er in jungen Jahren Agrippinas heimlicher Liebhaber gewesen und deshalb aus Rom verbannt und zu einem armseligen und gefährlichen Dasein verurteilt worden sei. Als Agrippina die Gemahlin des Claudius wurde, richtete sie es so ein, daß Tigellinus zurückkehren konnte und zugleich mit ihm auch Seneca, der seinerseits ein zweifelhaftes Verhältnis mit Agrippinas Schwester gehabt hatte. Ich glaube zwar nicht, daß Tigellinus und Agrippina ihre frühere Beziehung wieder aufnahmen – jedenfalls nicht, solange Claudius lebte –, aber eine gewisse Schwäche hatte er immer für sie gehabt, obwohl er dann ihre Ermordung aus politischen Gründen nicht verhindern konnte.

Wie dem auch sei: Nero hatte Ursache genug, den erfahrenen Fenius Rufus wieder neben Tigellinus zum zweiten Prätorianerpräfekten zu ernennen. Er behandelte die ausländischen Prozesse, und Tigellinus kümmerte sich um die militärischen Angelegenheiten. Tigellinus war begreiflicherweise erbittert, denn nun versiegten seine besten Einnahmequellen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ein Mensch noch so reich sein kann: er wird darum immer noch darauf bedacht sein, sein Vermögen zu vermehren. Das ist nicht tadelnswerte Habgier, sondern ein Streben, das gleichsam in der Natur des Reichtums begründet und stärker als der Mensch ist.

Aufgrund der verworrenen wirtschaftlichen Lage stiegen die Preise unaufhaltsam weiter, und schließlich machte die, Steigerung mehr aus als das Fünftel, um das Nero den Münzwert gesenkt hatte. Nero erließ zahllose Verordnungen, um die Preise zu halten und die Wucherer zu bestrafen, aber die Folge davon war nur, daß die Waren verschwanden. In den Hallen und auf dem Markt konnten die Leute bald weder Fleisch noch Linsen oder Grün und Wurzelgemüse kaufen, sondern mußten weite Wege aufs Land hinaus wandern oder sich an die Händler halten, die in der Morgendämmerung mit ihren Körben von, Haus zu Haus schlichen und den Ädilen trotzten, indem sie zu Oberpreisen verkauften.

Ein wirklicher Mangel herrschte bei alledem nicht. Es verhielt sich eben nur so, daß niemand seine Ware zu einem unnatürlichen Zwangspreis hergeben wollte, sondern lieber faulenzte oder seine Vorräte einschloß. Wenn man beispielsweise neue Festsandalen, eine gute Tunika oder auch nur eine Spange brauchte, mußte man zunächst einmal bitten und betteln, bis der Händler endlich die begehrte Ware unter dem Ladentisch hervorholte, und dann auch noch gegen das Gesetz verstoßen, indem man den richtigen Preis dafür zahlte.

Aus all diesen Gründen breitete sich die Verschwörung des Piso aus wie ein Lauffeuer, als bekannt wurde, daß einige entschlossene Männer, zumeist Angehörige des Ritterstandes, bereit waren, die Macht zu ergreifen und Nero zu stürzen, sobald sie sich einig waren, wie die Macht aufzuteilen sei und wer an die Stelle des Kaisers treten solle. Die Wirtschaftskrise bewirkte, daß man in der Verschwörung Roms einzige Rettung erblickte und um jeden Preis daran teilnehmen wollte. Sogar Neros engste Freunde hielten es für vorteilhaft, sie zu unterstützen. Man nahm selbstverständlich an, daß die Verschwörung glücken werde, denn nicht nur in Rom, sondern auch in den Provinzen herrschte allgemeine Unzufriedenheit, und es fehlte wahrhaftig nicht an Geld, um sich die Mitwirkung der Prätorianer zu sichern, wenn es einmal so weit war.

Fenius Rufus, der neben seinem Präfektenamt noch immer die Getreidevorräte verwaltete, weil man bis dahin keinen ehrlichen Mann gefunden hatte, schloß sich ohne Zögern der Verschwörung an. Er erlitt aufgrund der gewaltsam niedergehaltenen Getreidepreise ungeheure Verluste und war binnen kurzer Zeit verschuldet. Nero wollte nicht begreifen, daß die Staatskasse den Unterschied zwischen dem wirklichen Preis und dem Zwangspreis hätte ausgleichen müssen. Die Großgrundbesitzer in Ägypten und Afrika waren jedenfalls nicht bereit, ihr Getreide zum Zwangspreis zu verkaufen, sondern lagerten es lieber und ließen schlimmstenfalls die Felder brachliegen.

Außer Rufus schlossen sich von den Prätorianern sowohl Kriegstribunen als auch Zenturionen ganz offen der Verschwörung an. Die Prätorianer selbst waren verbittert, weil man ihnen ihren Sold mit den neuen Münzen und ohne eine entsprechende Erhöhung auszahlte. Die Verschwörer fühlten sich ihrer Sache so sicher, daß sie ihr Unternehmen, von einigen strategisch wichtigen italischen Städten abgesehen, ganz auf Rom beschränken wollten und jede Hilfe aus den Provinzen zurückwiesen, wodurch sie mächtige und einflußreiche Persönlichkeiten vor den Kopf stießen.

Meiner Ansicht nach war ihr größter Fehler der, daß sie glaubten, ohne Hilfe der Legionen auszukommen, obwohl zumindest die am Rhein und in Britannien stehenden ihnen sofort beigesprungen wären. Corbulo im Osten würde sich vermutlich nicht beteiligt haben, denn er war nur Feldherr und wollte dem gesetzlichen Herrscher des Reiches gehorchen. Er hatte nichts als seinen parthischen Krieg im Kopf, und im übrigen mangelte es ihm an politischem Ehrgeiz. Ich glaube, er war einer der wenigen, die nicht einmal gerüchtweise von dem Plan hörten.

Seit ich meine eigenen Angelegenheiten geordnet hatte, dachte ich wohl kaum noch an die Not des Volkes. Ich war nun fünfunddreißig Jahre alt. In diesem Alter ist ein Mann reif für eine wirkliche Leidenschaft und sehnt sich nach einer ebenbürtigen, erfahrenen Frau. Man hat genug mit unreifen Mädchen gespielt und kann in ihnen bestenfalls noch einen gelegentlichen Zeitvertreib sehen.

Es fällt mir noch immer schwer, offen über das zu sprechen. was nun folgte. Ich begann Antonia zu besuchen, in aller Heimlichkeit, wie man sich denken kann, und ging immer öfter zu ihr. Wir hatten einander so erstaunlich viel zu sagen, daß ich bisweilen ihr schönes Lusthaus auf dem Palatin erst in der Morgendämmerung verlassen konnte. Sie war eine Tochter des Claudius und hatte somit ihren Anteil an des Marcus Antonius verderbtem Blut. Zudem war sie mütterlicherseits eine Aelierin. Ihre Mutter war eine Adoptivschwester des Sejanus. Das dürfte dem Wissenden als Erklärung genügen.

Wenn Du, Julius, mich nun daran erinnern willst, daß auch Deine Mutter Claudia eine Tochter des Claudius ist, so muß ich dazu sagen, daß sie sich nach Deiner Geburt und auch schon nach ihrem früheren mühevollen Leben merklich beruhigt hatte und einem Manne keine rechte Gefährtin mehr war. Ich litt in diesen Dingen einen Mangel, der mich krank machte, bis die heiße Freundschaft mit Antonia mich heilte.

An einem Frühlingsmorgen hörte ich aus Antonias Mund zum erstenmal von der Verschwörung des Piso. Es dämmerte, die Vögel hatten eben zu singen begonnen, die Blumen dufteten in Antonias Garten, in dem man neue Büsche und Bäume gepflanzt hatte, um die Spuren des großen Brandes auszutilgen. Müde von all der Freude und Freundschaft stand ich mit Antonia Hand in Hand gegen eine der schlanken korinthischen Säulen ihres Lusthauses gelehnt, ohne mich von ihr trennen zu können, obwohl wir schon vor Stunden begonnen hatten Abschied zu nehmen.

»Minutus, Liebster …«, sagte sie. Ich handle vielleicht nicht recht, indem ich ihr Geständnis wortgetreu wiedergebe, doch ich habe, als ich von Sabina sprach, mit aller Aufrichtigkeit Dinge beschrieben, die einen Unwissenden dazu verleiten könnten, an meiner Mannheit zu zweifeln. »Ach Liebster«, sagte sie also. »Noch kein Mann ist so gut und zärtlich zu mir gewesen und hat mich so liebevoll in seine Arme genommen wie du. Deshalb weiß ich nun, daß ich dich liebe, ewiglich und für alle Zeiten. Ich möchte, daß wir uns noch nach dem Tode als Schatten in den elysischen Gefilden treffen.«

»Warum sprichst du von Elysium?« fragte ich und dehnte die Brust. »Wir sind glücklich, jetzt und hier. Auch ich bin glücklicher als je zuvor. Denken wir nicht an Charon. Wenn ich einmal sterbe, will ich gern ein Goldstück in den Mund nehmen, um ihm ein Fährgeld zu zahlen, das deiner würdig ist.« Sie streichelte mit ihren schmalen Fingern meine Hand und sagte: »Minutus, es gibt etwas, was ich dir nicht mehr verbergen kann und nicht verbergen will. Ich weiß nicht, wer dem Tode nähersteht, du oder ich. Neros Zeit läuft ab. Ich möchte nicht, daß du mit ihm zugrunde gehst.«

Ich blickte sie in stummer Verwunderung an, und sie berichtete mir flüsternd alles, was sie über die Verschwörung und deren Führer wußte. Sie gestand mir, daß sie versprochen hatte, sie werde, wenn die Stunde gekommen und Nero tot sei, dem neuen Herrscher ins Lager der Prätorianer folgen und dort für ihn sprechen, obgleich freilich ein Geldgeschenk besser imstande sei, die Veteranen zu überzeugen.

»Im Grunde fürchte ich nicht für mein Leben, sondern für das deine, mein Geliebter«, versicherte Antonia. »Du bist als Freund Neros bekannt und hast es auch sonst nicht verstanden, dir die richtigen Verbindungen zu schaffen. Das Volk wird Blut fordern, sobald Nero tot ist, und auch die allgemeine Sicherheit verlangt, daß Blut vergossen wird, um Gesetz und Ordnung zu bekräftigen. Ich möchte nicht, daß du den Kopf verlierst oder daß dich, den heimlichen Anweisungen gehorchend, die wir ausgeben müssen, bevor wir uns ins Lager der Prätorianer begeben, ein Volkshaufe auf dem Forum zu Tode trampelt.«

Mir schwindelte, und ich fühlte meine Knie schwach werden. Als ich sie noch immer stumm anstarrte, wurde Antonia ungeduldig, stampfte mit ihrem schönen Fuß auf den Boden und sagte: »Begreifst du denn nicht, wie die Dinge stehen? Die Verschwörung hat so weite Kreise gezogen und die allgemeine Unzufriedenheit ist so groß, daß der Plan nun jeden Tag ins Werk gesetzt werden kann. Wer noch einen Rest Vernunft besitzt, schließt sich uns an, um seine Haut zu retten. Man tut nicht nur so, als überlegte man, wo und wann man Nero am besten ermorden könnte. Es kann nun jeden Tag wirklich geschehen. Einige seiner engsten Freunde haben sich zu uns geschlagen und den Eid geschworen, und von deinen eigenen Freunden will ich nur Senecio, Petronius und Lucanus nennen. Die Flotte in Misenum ist auf unserer Seite. Epicharis, die du zumindest dem Namen nach kennst, hat Volucius Proculus verführt, wie einst Octavia Anicetus zu verführen versuchte.«

»Ich kenne Proculus«, sagte ich kurz.

»Ja, gewiß«, sagte Antonia mit plötzlicher Einsicht. »Er gehörte zu den Mördern meiner Stiefmutter, aber sei ohne Sorge, mein Lieber. Ich habe Agrippina nicht geliebt und nur aus Gründen der Schicklichkeit nicht an den Dankopfern nach ihrem Tode teilgenommen. Denk nicht mehr an diese alte Geschichte. Schließe dich so rasch wie möglich unserer Verschwörung an und rette dein Leben. Wenn du noch lange zauderst, kann dir auch meine Fürsprache nicht mehr helfen.«

Mein erster vernünftiger Gedanke war, offen gestanden, unverzüglich zu Nero zu laufen und ihm alles zu berichten. Ich wäre zeit meines Lebens seiner Gunst sicher gewesen. Antonia war erfahren genug, um mir vom Gesicht abzulesen, was ich dachte. Sie strich mir mit den Fingern über die Lippen, ließ ihr Gewand über ihren schönen Busen niedergleiten und fragte mich mit zur Seite geneigtem Kopf: »Du wirst mich doch nicht enttäuschen, Minutus? Nein, das ist unmöglich. Wir lieben uns und sind füreinander geboren. Du hast es selbst im Rausch des Augenblicks so oft gesagt.«

»Nein, nein, gewiß nicht. Wie kannst du so etwas denken?« sagte ich rasch. Sie lachte und zuckte ihre nackten Schultern.

»Glaube nicht, daß ich die Sache nicht gründlich durchdacht hätte«, fuhr sie fort. »Das Wichtigste für mich wie für die anderen Verschwörer ist an und für sich nicht Neros Tod, sondern die Frage, wer nach ihm die Macht übernehmen soll. Darüber verhandeln die Verschwörer Nacht für Nacht, und jeder hat seine eigenen Ansichten.«

»Gajus Piso«, sagte ich mißbilligend. »Ich verstehe nicht recht, warum gerade er der große Name sein soll. Er ist zwar Senator und ein Calpurnius und sieht gut aus, aber deshalb weiß ich noch immer nicht, liebe Antonia, was du so Großes in ihm siehst, daß du das Leben für ihn wagen und ihm ins Lager der Prätorianer folgen willst.«

Um ehrlich zu sein: mich quälte die Eifersucht. Ich kannte Antonia und wußte, daß sie nicht so unnahbar war, wie man aufgrund ihrer Haltung und ihres hochfahrenden Wesens hätte meinen mögen. Erfahrener als ich war sie ohne Zweifel, obwohl ich mir eingebildet hatte, einiges gelernt zu haben. Ich beobachtete daher ängstlich ihr Mienenspiel. Es schien ihr zu gefallen, daß ich eifersüchtig war. Sie lachte auf, gab mir einen leichten Backenstreich und sagte: »Pfui, Minutus! Was unterstehst du dich, von mir zu denken! Ich würde nie im Leben um meines Volkes willen zu einem Kerl wie Piso ins Bett kriechen. So weit solltest du mich kennen! Ich wähle selbst, wen ich lieben will, und habe es nie anders gehalten. Außerdem setzte ich nicht auf Piso. Er ist nichts weiter als eine Art Strohmann und ahnt in seiner Einfalt nicht, daß die anderen bereits hinter seinem Rücken intrigieren. Tatsächlich fragt man sich, was es dem Reiche nützen sollte, einen Zitherspieler gegen einen Komödianten auszutauschen. Piso ist öffentlich im Theater aufgetreten und hat damit wie Nero seinem Ansehen geschadet. Es gibt Männer, die die Republik wiedereinführen und alle Macht dem Senat geben wollen. Ich sage das nur, um dir zu zeigen, daß die Verschwörer die verschiedensten Ziele verfolgen und daß daher die Ermordung Neros noch aufgeschoben werden muß. Ich habe es abgelehnt, zugunsten des Senats zu den Prätorianern zu gehen. Das würde mir als Kaisertochter schlecht anstehen.«

Sie betrachtete mich nachdenklich, las meine Gedanken und sagte: »Ich weiß, was dir durch den Sinn geht, aber glaube mir, es wäre zu früh, an deinen Sohn Claudius Antonianus zu denken. Er ist noch ein Wickelkind, und Claudias Ruf ist so zweifelhaft, daß man von ihm erst sprechen darf, wenn er die Toga trägt und Claudia tot ist. Es wird dann auch leichter für mich sein, ihn als meinen Neffen anzuerkennen. Wenn du es aber verstehst, dir einen Platz in der Verschwörung des Piso zu verschaffen, nützest du nicht nur dir selbst, sondern kannst auch Claudius Antonianus den Weg bereiten. Wie du siehst, habe ich nur an dich gedacht. Vorerst aber tun wir gut daran, Claudia leben und den Knaben erziehen zu lassen. Es wäre gar zu auffällig, wenn ich ihn gleich nach Neros Tod adoptierte oder auf sonst eine Weise zu meinem Sohne machte.«

Zum erstenmal deutete Antonia offen an, daß sie trotz meinem schlechten Ruf und meiner niedrigen Geburt bereit war, sich mit mir zu vermählen. An eine solche Ehre hatte ich selbst in den Augenblicken der größten Vertrautheit nicht zu denken gewagt. Ich fühlte, wie ich errötete, und wußte darauf noch weniger zu sagen als auf ihren Bericht von der Verschwörung des Piso. Antonia lächelte mich an, erhob sich auf Zehenspitzen und küßte mich leichtfertig auf den Mund, wobei sich ihr seidenweiches Haar an meinen Hals schmiegte.

»Ich habe dir gesagt, daß ich dich liebe, Minutus«, flüsterte sie mir heiß ins Ohr. »Und am meisten liebe ich dich darum, daß du so bescheiden bist und deinen eigenen Wert nicht begreifst. Du bist ein Mann, ein herrlicher Mann, und vor allem ein Mann, den eine kluge Frau auf ein hohes Ziel lenken kann.«

Das erschien mir recht zweideutig und nicht ganz so schmeichelhaft für mich, wie Antonia vielleicht glaubte. Aber recht hatte sie. Sowohl Sabina als auch Claudia hatten mich so behandelt, daß ich mich um des Friedens willen in mein Schicksal fügte und tat, was sie von mir verlangten. Und doch war Antonia ganz anders zu mir. Ich weiß nicht, wie es kam, aber plötzlich gingen wir ins Haus zurück, um noch einmal Abschied voneinander zu nehmen.

Es war ein hellichter Tag, und im Garten arbeiteten schon die Sklaven, als ich endlich mit unsicheren Schritten und wirr im Kopf zu meiner Sänfte ging, die ich benutzte, um nicht unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Heiße Schauer durchrieselten mich noch immer, und ich fragte mich, wie ich bei so viel Liebe die fünfzehn Jahre aushalten sollte, bis Du endlich die Toga anlegen würdest.

Jedenfalls stak ich nun bis über beide Ohren in der Verschwörung des Piso und hatte unter tausend Küssen geschworen, mir eine Stellung zu verschaffen, in der ich nach Antonias Bestem sehen konnte. Ich glaube, ich hatte sogar geschworen, mit meinen eigenen Händen Nero zu ermorden, wenn es sein müßte. Antonia meinte jedoch, es sei nicht nötig, daß ich mich um ihretwillen einer solchen Gefahr aussetzte. Sie belehrte mich außerdem, daß es sich für den Vater eines künftigen Kaisers nicht schickte, selbst einen Kaisermord zu begehen. Das könnte sich eines Tages für Dich, mein Sohn, unheilvoll auswirken.

Ich war gewiß in meinem ganzen Lehen noch nie so glücklich gewesen wie in diesen heißen Frühlingstagen. Ich war gesund, kräftig und für römische Begriffe ziemlich unverdorben. In vollen Zügen, in reichstem Maße konnte ich meine Leidenschaft genießen. Es war, als wollte mir alles, was ich mir vornahm, glücken und hundertfach Früchte tragen, wie es einem nur einmal im Leben geschieht. Ich lebte wie im Traum, wie in einem Rausch, und das einzige, was mich störte, waren Claudias Nörgelei und ihre ständigen neugierigen Fragen, wohin ich ginge und woher ich käme. Es gefiel mir nicht, daß ich sie belügen mußte, vor allem weil Frauen in diesen Dingen hellsichtig sind und einen früher oder später durchschauen. Ich setzte mich zunächst mit Fenius Rufus in Verbindung, dessen guter Freund ich dank meinen Getreidegeschäften geworden war. Er bekannte mir ohne Zögern, daß er der Verschwörung des Piso angehörte und zählte mir die Namen der Prätorianer, Kriegstribunen und Zenturionen auf, die sich durch Eid verpflichtet hatten, ihm, und nur ihm, zu gehorchen, sobald Nero aus dem Wege geräumt war.

Rufus war offensichtlich erleichtert, als er bemerkte, daß ich mir selbst von der Verschwörung Kenntnis verschafft hatte. Er entschuldigte sich viele Male und beteuerte, nur sein Eid habe ihn daran gehindert, mich schon früher einzuweihen. Nun versprach er mir bereitwillig, bei Piso und den anderen Anführern der Verschwörung ein Wort für mich einzulegen. Es war nicht Rufus’ Schuld, daß der hochmütige Piso und andere Calpurnier mich von oben herab behandelten, was ich ihnen sehr übelgenommen hätte, wenn ich empfindlicher gewesen wäre.

Sie ließen sich nicht einmal durch die Geldmittel beeindrucken, die ich ihnen und ihrer Sache zur Verfügung stellen wollte, sondern sagten, sie hätten bereits genug. Daß ich sie anzeigen könnte, fürchteten sie nicht. Dazu waren sie ihres Sieges zu gewiß. Im Gegenteil, Piso selbst gab mir auf seine unverschämte Art zu verstehen, er kenne mich und meinen Ruf gut genug, um zu wissen, daß ich den Mund halten würde, um meine eigene Haut zu retten. Meine Freundschaft mit Petronius und dem jungen Lucanus half mir jedoch immerhin so viel, daß ich den Eid ablegen und mit Epicharis zusammentreffen durfte, dieser geheimnisvollen Römerin, deren Einfluß und Anteil an der Verschwörung ich nicht ganz verstand.

Als ich so weit gekommen war, begann zu meiner Verwunderung Claudia eines Tages von der Verschwörung zu sprechen. Mit vorsichtigen Andeutungen und Umschreibung horchte sie mich unter vier Augen so lange aus, bis sie die Gewißheit hatte, daß ich zumindest nicht vom Fleck weg zu Nero laufen würde, um ihm zu erzählen, was sie mir zu sagen hatte, und sie war sowohl erleichtert als auch erstaunt, als ich ihr mitleidig lächelnd sagte, daß ich längst einen Eid abgelegt hatte, um der Freiheit des Vaterlandes willen den Tyrannen zu stürzen.

»Ich begreife nicht, wie sie einen Kerl wie dich nehmen konnten«, fauchte sie höhnisch. »Nun müssen sie so rasch wie möglich handeln, sonst ist der Plan in aller Leute Mund. Das ist die größte Niedertracht, von der ich je gehört habe! Bringst du es wirklich mir nichts, dir nichts fertig, Nero zu verraten, der dir so viel Gutes getan hat und den du als deinen Freund betrachtest?«

Ich bewahrte meine Würde und entgegnete ruhig, Nero habe mich durch sein eigenes Verhalten dazu getrieben, mehr an das Wohl des Staates zu denken als an eine Freundschaft, gegen die er mehr als einmal verstoßen hatte. Ich selbst hätte zwar, dank meiner Wachsamkeit, durch die Münzverschlechterung nicht allzuviel verloren, doch das Weinen der Witwen und Waisen klinge mir schmerzlich in den Ohren, ich dächte an die Not der Bauern und der kleinen Handwerker und sei daher bereit, meine Ehre zum Wohle des ganzen römischen Volkes auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern.

Ich hätte meine Absichten vor Claudia geheimgehalten, sagte ich, weil ich fürchtete, sie könnte mich daran hindern wollen, mein Leben für die Freiheit einzusetzen. Nun hoffte ich, sie werde verstehen, daß ich über mein Tun und Treiben geschwiegen hatte, um sie nicht in Gefahr zu bringen, indem ich sie zur Mitwisserin machte.

Claudia war jedoch nach wie vor mißtrauisch, denn sie kannte mich gut. Gleichwohl mußte sie zugeben, daß ich recht handelte. Sie hatte nach langem Zögern selbst schon daran gedacht, mir zuzureden und, wenn es sein mußte, mich zu zwingen, mich der Verschwörung anzuschließen, da dies um meiner und um Deiner Zukunft willen nötig war.

»Du wirst bemerkt haben, daß ich dich schon lange nicht mehr mit den Christen belästigt habe«, sagte Claudia. »Es besteht kein Anlaß mehr, ihnen zu erlauben, sich heimlich bei uns zu versammeln. Sie haben nun ihre eigenen sicheren Zufluchtsorte. Ich mag meinen Sohn Clemens nicht dieser Gefahr aussetzen, obgleich ich selbst mich furchtlos als Christin bekenne. Zudem haben sich die Christen als schwach und unzuverlässig erwiesen. Neros Tod würde ihnen nur zum Vorteil gereichen und wäre zugleich eine Art Rache für seine bösen Taten, aber denk nur, sie wollen nichts mit der Verschwörung zu schaffen haben, obwohl sie nicht mißlingen kann. Ich verstehe sie nicht mehr. Sie sagen nur, man dürfe nicht töten und die Rache stehe ihnen nicht zu.«

Ich war entsetzt und sagte: »Du mußt den Verstand verloren haben. Wie kannst du die Christen in diese Sache hineinziehen, bei der ohnehin schon viel zu viele die Hände mit im Spiel haben! Es wird sie außerdem niemand haben wollen, das darfst du mir glauben. Der künftige Herrscher wäre gezwungen, ihnen von vornherein Sonderrechte zu geloben, und es ist schon genug, ja mehr als genug, daß die Juden ihre Privilegien haben.«

Claudia sah ihre Dummheit wohl ein, erwiderte aber zornig: »Man kann immerhin fragen, das schadet niemandem. Sie sagen, sie hätten sich bisher nicht in die Politik eingemischt und gedächten auch in Zukunft der Obrigkeit zu gehorchen, wie immer diese Obrigkeit beschaffen sein möge. Sie hätten ihr eigenes Reich, das kommen werde, sagen sie, aber ich bin es nun müde, darauf zu warten. Als Tochter des Claudius und Mutter meines Sohnes muß ich wohl auch ein wenig an die weltliche Macht denken. Kephas, der immerzu nur von Gehorsam schwatzt, ist in meinen Augen ein Feigling. Das unsichtbare Reich mag eine schöne Sache sein, aber seit ich Mutter bin, rückt es mir immer ferner, und ich fühle mich mehr als Römerin denn als Christin. Die verworrene Lage bietet uns die beste Möglichkeit, die Welt zu verändern, nun da alle Menschen um jeden Preis Frieden und Ordnung wünschen.«

»Die Welt verändern … Was soll das heißen?« fragte ich mißtrauisch. »Bist du bereit, vorsätzlich Tausende, vielleicht Millionen Menschen in Hunger und Not zu stürzen, ja in den Tod zu treiben, um für deinen Sohn, bis er die Toga anlegt, ein günstiges politisches Klima zu schaffen?«

»Die Republik und die Freiheit sind Dinge, für die schon so mancher tapfere Mann bereit war, sein Leben dranzugehen«, sagte Claudia gereizt. »Mein Vater Claudius sprach oft mit großer Achtung von der Republik, und er hätte sie gern wiedereingeführt, wenn es möglich gewesen wäre. Er sagte es oft genug in seinen weitschweifigen Reden in der Kurie, wenn er sich über die Last der Alleinherrschaft beklagte.«

»Du hast selbst oft genug behauptet, dein Vater sei ein wahnsinniger, ungerechter und grausamer Lüstling gewesen«, erwiderte ich. »Erinnere dich, daß du seine Statue in der Bibliothek bespucktest, als wir uns zum erstenmal begegneten. Es ist unmöglich, die Republik wiedereinzuführen. Dieser Plan findet nicht genug Unterstützung. Die Frage ist nur, wen wir zum Kaiser machen sollen. Piso halte ich für zu unbedeutend, und ich weiß, daß du mir recht gibst. An wen hast du gedacht?« Claudia sah mich nachdenklich an und sagte plötzlich mit gespielter Unschuld: »Was meinst du zu Seneca?«

Im ersten Augenblick entsetzte mich dieser Gedanke. »Was nützt es, einen Zitherspieler gegen einen Philosophen auszutauschen?« fragte ich. Je mehr ich jedoch darüber nachdachte, desto schlauer fand ich Claudias Vorschlag. Sowohl das Volk als auch die Provinzen waren der Meinung, daß die ersten fünf Jahre Neros, in denen Seneca regierte, die glücklichste Zeit gewesen waren, die Rom je erlebt hatte. Noch heute – da wir sogar für die Benutzung der öffentlichen Abtritte Steuern zahlen müssen – spricht man davon als von einer goldenen Zeit.

Seneca war ungeheuer reich. Man schätzte sein Vermögen auf dreihundert Millionen Sesterze, aber ich wußte, daß das zu knapp geschätzt war. Das beste aber war, daß Seneca schon sechzig Jahre zählte. Dank seinen stoischen Lebensgewohnheiten konnte er noch gut fünfzehn Jahre leben. Daß er in ländlicher Abgeschiedenheit wohnte, dem Senat fernblieb und nur selten die Stadt besuchte, war nichts als Schein, um Nero zu beruhigen.

Die Diät, die er seines Magenleidens wegen einhielt, hatte ihm gutgetan. Er war schlank geworden und keuchte beim Gehen nicht mehr. Auch die feisten Wangen, die einem Philosophen so schlecht anstehen, hatte er verloren. Man konnte sich vorstellen, daß er gut regieren, niemanden verfolgen und als erfahrener Geschäftsmann das Wirtschaftsleben fördern und mit den Staatsgeldern gut haushalten würde. Und wenn sein Ende nahte, würde er vielleicht freiwillig bereit sein, die Macht einem jungen Manne zu übergeben, der in seinem Geiste erzogen worden war.

Senecas sanfte Gemütsart und Menschenliebe entsprachen in hohem Maße der Lehre der Christen. In einem naturwissenschaftlichen Werk, das er unlängst geschrieben hatte, deutete er an, daß es, in der Natur und im All verborgen, geheime Mächte gebe, die menschliche Vernunft überstiegen, so daß das Seiende und Sichtbare nicht mehr sei als ein dünner Schleier, der etwas Unsichtbares verdeckt. Er hatte mit Paulus Briefe gewechselt, und ich könnte nicht mit Gewißheit sagen, wer von den beiden in seinen Schriften die Gedanken des andern entlehnte. Paulus schrieb ebenso fleißig Briefe, wie Seneca seine philosophischen Gedanken in Briefform ausdrückte.

Als ich all dies bedacht hatte, schlug ich vor Verwunderung die Hände zusammen und rief: »Claudia, du bist ein politisches Genie, und ich bitte dich, mir meine bösen Worte zu verzeihen!«

Selbstverständlich sagte ich ihr nicht, daß ich mir, indem ich Seneca vorschlug und sodann unterstützte, die Schlüsselstellung in der Verschwörung verschaffen konnte, die ich anstrebte. Auch wäre mir Senecas’ Dankbarkeit gewiß gewesen. Zudem war ich sozusagen einer seiner Schüler, und in Korinth hatte ich unter seinem Bruder als Kriegstribun gedient und dessen Vertrauen in geheimen Staatsgeschäften genossen. Und Senecas Vetter, der junge Lucanus, gehörte zu meinen besten Freunden, da ich nie genug des Lobes für seine Verse fand. Ich war ja selbst kein Dichter.

Wir plauderten noch lange im besten Einvernehmen, Claudia und ich, und gewannen, während wir eifrig dem Wein zusprachen, unserer Sache immer mehr gute Seiten ab. Zuletzt gingen wir zu Bett, und ich kam seit langem zum erstenmal wieder meinen ehelichen Pflichten nach, um jedes Mißtrauen, das sie etwa noch gegen mich hegte, zu zerstreuen.

Als ich dann neben ihr erwachte, vom Wein und von meiner Begeisterung erhitzt, dachte ich mit Kummer im Herzen daran, daß ich mich eines Tages um Deinetwillen von Deiner Mutter befreien mußte. Antonia konnte sich mit einer gewöhnlichen Scheidung nicht zufriedengeben. Claudia mußte sterben, doch erst in zehn oder fünfzehn Jahren, und bis dahin konnte viel geschehen. Noch oft werden bis dahin die Schmelzfluten des Frühjahrs unter den Tiberbrücken dahinströmen, sagte ich mir. Und dann gab es Seuchen und Krankheiten, unerwartete Unglücksfälle aller Art und über allem die Parzen, die die Geschicke der Menschen lenken. Ich brauchte mich nicht im voraus zu sorgen, wie das Unausweichliche einst geschehen sollte.

Claudias Plan erschien mir so ungewöhnlich, aber auch so selbstverständlich, daß ich es nicht für nötig hielt, mit Antonia darüber zu sprechen. Wir durften uns nur selten und heimlich treffen, damit kein böses Gerede entstand und Nero, der Antonia aus politischen Gründen beobachten ließ, nicht Verdacht schöpfte.

Ich reiste unverzüglich selbst zu Seneca, indem ich vorgab, ich hätte in Praeneste einige Geschäfte zu besorgen und wollte dem alten Philosophen nur einen Höflichkeitsbesuch abstatten. Sicherheitshalber richtete ich es so ein, daß ich tatsächlich in Praeneste zu tun hatte.

Seneca empfing mich freundlich, und ich überzeugte mich, daß er auf seinem Gut mit seiner um die Hälfte jüngeren Gattin bequem und im Überfluß lebte. Anfangs saß er mir zwar ächzend und mit krummem Rücken gegenüber und jammerte über seine Krämpfe, aber als er erkannte, daß ich ernsthaft mit ihm zu sprechen wünschte, führte mich der alte Fuchs zu einem abseits gelegenen Lusthaus, wo er fern der Welt ein asketisches Leben führte und einem Schreiber seine Werke diktierte.

Um mir zu beweisen, daß er wirklich einfach und bescheiden lebte, zeigte er mir einen Bach, aus dem er mit der hohlen Hand sein Trinkwasser schöpfte, und einige Obstbäume, von denen er selbst sich pflückte, wonach es ihn gelüstete. Er erzählte mir auch, daß seine Gattin Paulina gelernt hatte, Korn mit einer Handmühle zu mahlen und Brot zu backen. Ich kannte diese Zeichen und begriff, daß er in der ständigen Furcht lebte, vergiftet zu werden. In seiner Geldnot konnte Nero nur allzu leicht Lust auf das Vermögen seines alten Lehrers bekommen und es auch sonst aus politischen Gründen für nötig erachten, sich seiner zu entledigen. Seneca hatte noch immer allzu viele Freunde, die ihn als Philosophen und Staatsmann schätzten, obgleich er um seiner Sicherheit willen nur selten Gäste empfing.

Ich kam ohne Umschweife zur Sache und fragte Seneca geradeheraus, ob er bereit sei, nach Nero die Imperatorwürde anzunehmen und im Reiche Frieden und Ordnung wiederherzustellen. Mit der Ermordung Neros brauchte er sich nicht zu belasten. Er mußte sich nur an einem bestimmten Tag in der Stadt aufhalten, bereit, sich mit vollen Geldsäcken zu den Prätorianern zu begeben. Nach meinen Berechnungen brauchte man etwa dreißig Millionen Sesterze, damit jeder Mann zweitausend bekam und die Kriegstribunen und Zenturionen ihrem Rang entsprechend mehr.

Fenius Rufus verlangte nichts. Er setzte lediglich voraus, daß die Staatskasse ihn später für die Verluste entschädigte, die er durch Neros Willkür erlitten hatte. Es genügte dazu, daß seine Schulden innerhalb einer angemessenen Frist bezahlt wurden. Ich beeilte mich außerdem zu erklären, daß ich bereit war, einen Teil des erforderlichen Betrages zu erlegen, wenn Seneca aus Gründen der Sparsamkeit nicht für den ganzen allein aufkommen wollte.

Seneca richtete sich auf und betrachtete mich mit einem Blick, in dem von Menschenliebe nichts zu lesen war. »Dich kenne ich durch und durch, Minutus«, sagte er. »Deshalb ist mein erster Gedanke der, daß Nero dich geschickt hat, um auf listige Art meine Treue zu erproben. Dazu würdest unter allen seinen Freunden du dich am besten eignen. Offenbar weißt du aber zu viel über die Verschwörung, da du sogar Namen aufzählen kannst. Wärst du ein Verräter, so würden schon einige Köpfe gerollt sein. Ich frage dich nicht nach deinen Beweggründen. Ich frage dich nur, wer dich ermächtigt hat, dich an mich zu wenden.«

Ich gab verlegen zu, daß mich dazu niemand ermächtigt hatte, sondern daß ich selbst auf diesen Gedanken verfallen war, weil ich ihn als den besten und edelsten Mann ansah, der über Rom herrschen konnte, und weil ich mir zutraute, ihm die Unterstützung der Verschwörer zu sichern, wenn er mir nur seine Zustimmung gab. Seneca beruhigte sich und sagte: »Glaube nicht, daß du der erste bist, der sich in dieser Sache an mich wendet. Pinos engster Vertrauter, Antonius Natalis, den du kennst, war unlängst bei mir, um meinen schlechten Gesundheitszustand zu beklagen und mich zu fragen, warum ich mich so entschieden weigerte, Piso zu empfangen und offen mit ihm zu verhandeln. Ich habe jedoch keine Ursache, einen Mann wie Piso zu stützen. Deshalb antwortete ich ihm, daß Mittelmänner vom Übel seien und eine persönliche Begegnung nicht ratsam, daß aber von nun an mein eigenes Leben von Pisos Sicherheit abhänge. Und das ist wahr. Wenn die Verschwörung aufgedeckt wird, wovor der unerklärliche Gott uns alle schützen möge, so stürzt ein einziger unvorsichtiger Besuch mich ins Verderben … Nero ermorden, das ist leichter gesagt als getan«, fuhr er nachdenklich fort. »Piso hätte die beste Möglichkeit dazu in seiner Villa in Baiae. Nero besucht sie oft ohne Leibwache, um zu baden und sich zu zerstreuen. Piso aber erklärte scheinheilig, er könne das Gastrecht nicht verletzen. Als ob ein Mann vom Schlage Pisos an irgendwelche Götter glaubte! Ein Mord an Nero würde aber auch in vielerlei Hinsicht Anstoß erregen. Lucius Silanus, um nur einen zu nennen, hat sich klug genug geweigert, ein so entsetzliches Verbrechen wie den Kaisermord gutzuheißen. Den Konsul Atticus Vestinus hat Piso selbst übergangen, denn Vestinus ist ein rühriger Mann, der ernstlich versuchen könnte, die Republik wieder zu errichten. Als Konsul hätte er die Möglichkeit, nach einem Mord die Macht an sich zu reißen.«

Ich erkannte, daß Seneca mehr über die Verschwörung wußte als ich und daß er als erfahrener Staatsmann alle Lose in Fortunas Hand sorgfältig gegeneinander ausgewogen hatte. Ich bat ihn daher, mir zu verzeihen, daß ich in meiner Ahnungslosigkeit, wenngleich in bester Absicht, seine Ruhe gestört hatte, und beteuerte ihm, er dürfe wegen meines Besuches unbesorgt sein, da ich nachweisbar Geschäfte in Praeneste hätte und es nur natürlich sei, daß ein Schüler bei solcher Gelegenheit seinen ehemaligen Lehrer aufsuche, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.

Ich hatte den Eindruck, daß Seneca letztere Bemerkung mißbilligte und mich nicht als seinen Schüler betrachten mochte. Er sah mich jedoch mitleidig an und erwiderte: »Ich will dir nur dasselbe sagen, was ich Nero zu lehren versuchte. Durch Verstellung und Liebedienerei kann man seine wirklichen Eigenschaften eine Zeitlang verbergen. Zuletzt aber wird die Komödie durchschaut und das Schaffell fällt vom Wolfe. Nero hat Wolfsblut in den Adern, mag er auch ein Schauspieler sein, und auch du, Minutus, hast es, obgleich von einem feigeren Wolf.«

Ich wußte nicht, ob ich mich durch seine Worte geschmeichelt oder gekränkt fühlen sollte, und fragte so beiläufig wie möglich, ob er glaube, daß Antonia an der Verschwörung teilhabe, und wenn ja, ob sie Piso stützte. Seneca schüttelte bekümmert seinen struppigen Kopf und sagte warnend: »An deiner Stelle würde ich Aelia Antonia nicht trauen. Der bloße Name erschreckt mich. In ihr strömt das verderbte Blut zweier uralter, gefährlicher Geschlechter zusammen. Über ihre Jugend weiß ich Dinge, von denen ich nicht sprechen mag. Ich warne euch nur. Nehmt sie, bei allen Göttern, nicht in die Verschwörung auf. Sie ist noch machtlüsterner als Agrippina, die trotz allen Verbrechen noch ihre guten Seiten hatte.«

Senecas Warnung gab mir einen Stich in die Brust, aber ich war vor Hebe blind und dachte, aus ihm spreche nur der Neid. Ein Staatsmann, der vor der Zeit beiseite geschoben wird, ist bitter gegen alle, und auch als Philosoph war Seneca wohl vom Leben enttäuscht. In seiner Mannesblüte war er keineswegs so sittenstreng gewesen, wie er die Leute nun gern glauben machte, und von Verstellung zu sprechen, stand ihm wohl an, denn diese Kunst beherrschte er selbst am besten.

Als wir uns trennten, gab er aufrichtig zu, daß er für sich selbst im Falle eines Staatsstreichs keine großen Möglichkeiten sehe. Er sei jedoch bereit, sagte er, an einem gewissen Tag nach Rom zu kommen, nur um zugegen zu sein und notfalls auch Piso zu unterstützen, da dieser sich ohnehin durch seine Eitelkeit und Verschwendungssucht über kurz oder lang unmöglich machen werde. Danach könnte der Augenblick vielleicht für ihn, Seneca, günstig sein.

»In Lebensgefahr schwebe ich nun ohnedies«, sagte er mit einem bitteren Lächeln. »Ich begebe mich daher in keine besondere Gefahr, wenn ich mich in Rom zeige. Kommt Piso an die Macht, so habe ich damit bewiesen, daß ich auf seiner Seite stehe. Wird die Verschwörung aufgedeckt, was ich befürchte, da ihr zu lange säumt, bin ich in jedem Fall des Todes. Aber der Weise fürchtet den Tod nicht. Er ist eine Schuld, die der Mensch eines Tages bezahlen muß, und es ist einerlei, ob dies früher oder später geschieht.«

Mir aber war gerade das nicht einerlei. Daher setzte ich mutlos meinen Weg nach Praeneste fort und dachte über seine unheilverkündenden Worte nach. Es schien mir das beste zu sein, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, daß die Verschwörung aufgedeckt wurde. Der Weise legt nie alle seine Eier in denselben Korb.


Ich bin nach wie vor der Meinung, der Aufruhr hätte mit Hilfe der Legionen in den Provinzen eingeleitet werden müssen, und nicht in Rom. Das hätte freilich Blut gekostet, doch dafür bekommen die Soldaten schließlich ihren Sold. In Rom hätte sich dafür niemand der Gefahr auszusetzen brauchen. Aber Eitelkeit, Selbstsucht und Ehrgeiz sind allezeit stärker als die gesunde Vernunft.

Das Unheil nahm in Misenum seinen Anfang. Proculus fand, er sei seinerzeit für seine Verdienste um die Ermordung Agrippinas nicht hinreichend belohnt worden. Im Grunde war er ein ganz und gar untüchtiger Mensch, der nicht einmal zum Befehlshaber der Flotte taugte, wozu wahrhaftig nicht viel gehört. Anicetus war nur ein Barbier gewesen, aber er hatte sich wenigstens auf den Rat seiner erfahrenen Kapitäne verlassen.

Proculus dagegen wollte in seiner Überheblichkeit nur sein eigenes Urteil gelten lassen und schickte eines Tages die Flotte in See, obwohl man ihm davon abriet. An die zwanzig Kriegsschiffe zerschellten an den Klippen vor Misenum und gingen mit Mann und Maus unter. Die Mannschaften kann man ja jederzeit ersetzen, aber ein Kriegsschiff ist ein allzu kostbares Spielzeug!

Nero raste vor Zorn, obwohl Proculus darauf hinweisen konnte, daß er auf kaiserlichen Befehl auch bereit wäre, selbst ins Meer zu springen. Proculus gestand, einen solchen Befehl müsse er sich noch überlegen, da er nicht schwimmen könne. Darauf bemerkte Nero bitter, er tue gut daran, auch über andere Befehle nachzudenken, denn auf See gälten die Befehle der Elemente sogar mehr als die Neros. Einen neuen Flottenbefehlshaber könne er jederzeit einsetzen, aber zwanzig neue Kriegsschiffe bauen, das käme zu teuer. Er wolle die Sache aufschieben, bis das Goldene Haus fertig sei.

Proculus fühlte sich begreiflicherweise in seiner Ehre gekränkt und erlag daher um so leichter den Verlockungen der Epicharis. Epicharis war zudem eine schöne Frau und in der Kunst der Liebe sehr erfahren. Eine andere Kunst hatte sie, soviel man weiß, nicht ausgeübt, ehe sie sich der Verschwörung anschloß. Viele wunderten sich über ihren unerwarteten politischen Eifer, als sie die Verschwörer mit scharfen Worten ermahnte, rasch zu handeln.

Ich für meinen Teil glaube zu wissen, daß Epicharis Nero haßte, weil er einmal, nachdem er viel von ihr gehört hatte, selbst ihre Kunst erprobte und hernach in seiner Unbedachtheit einige abfällige Bemerkungen machte. Das konnte sie ihm nicht verzeihen, und von dieser Stunde an sann sie auf Rache.

Epicharis wurde schließlich des Zauderns der Verschwörer in Rom müde. Sie forderte Proculus auf, ans Werk zu gehen, seine Schiffe in Kampfbereitschaft zu versetzen und nach Ostia zu segeln. Doch Proculus besann sich anders. Als vorsichtige Frau hatte ihm Epicharis nicht verraten, wer an der Verschwörung teilnahm, und er wußte daher nicht, welches Ausmaß sie bereits angenommen hatte. Er wählte daher lieber den sicheren Weg, zumal er sich sagte, daß der den größten Lohn erhalten würde, der dem Kaiser als erster von der Verschwörung berichtete.

Er eilte zu Nero nach Rom und plauderte alles aus, was er wußte. In seiner Eitelkeit und weil er die Gunst des Volkes zu besitzen glaubte, schenkte Nero seinen Worten anfangs keinen rechten Glauben, vor allem weil seine Angaben viel zu unbestimmt waren. Er ließ jedoch Epicharis festnehmen und übergab sie Tigellinus zur peinlichen Befragung. Dies war eine Kunst, auf die sich Tigellinus am besten verstand, wenn er sie an einer schönen Frau erproben durfte, denn seit er sich mit Knaben abgab, haßte er die Frauen und genoß es, sie leiden zu sehen. Epicharis hielt jedoch tapfer stand. Sie leugnete alles und behauptete, Proculus schwatze Unsinn. Dagegen erzählte sie während der Folterung den Prätorianern so viel über des Tigellinus unnatürliche Neigungen, daß dieser keine Lust mehr verspürte, das Verhör fortzusetzen. Epicharis war da freilich schon so übel zugerichtet, daß sie nicht mehr gehen konnte.

Als sie von der Verhaftung der Epicharis erfuhren, begannen die Verschwörer sich endlich zu rühren. Die ganze Stadt wurde von Entsetzen ergriffen, denn so viele waren mit beteiligt und fürchteten für ihr Leben. Ein von Piso bestochener Zenturio versuchte Epicharis im Gefängnis zu ermorden, da die Verschwörer der Verschwiegenheit einer Frau nicht trauten. Die Gefangenenwärter hielten ihn jedoch zurück, denn Epicharis hatte sich durch ihre einzigartigen Schilderungen aus dem Leben des Tigellinus die Gunst der Prätorianer erworben.

Tags darauf sollte das Aprilfest der Ceres gefeiert werden, und in dem halbfertigen großen Zirkus sollten zu Ehren der Göttin des Erdsegens Wagenrennen stattfinden. Dies dünkte die Verschwörer die beste Gelegenheit, zur Tat zu schreiten, denn sonst zeigte sich Nero kaum noch in der Stadt, weil er im Goldenen Haus und in dessen riesigen Gärten genug Raum hatte, sich Bewegung zu verschaffen.

Man beschloß in aller Eile, daß die Verschwörer sich im Zirkus in Neros Nähe aufhalten sollten. Lateranus, ein hochgewachsener, furchtloser Mann, sollte sich bei passender Gelegenheit Nero zu Füßen werfen, als wollte er eine Gunst erbitten, und ihn zu Boden reißen. Sodann sollten die Kriegstribunen und Zenturionen und andere, die dazu den Mut aufbrachten, tun, als wollten sie Nero zu Hilfe eilen, und ihm mit ihren Dolchen den Garaus machen.

Flavius Scevinus bat darum, Nero den ersten Dolchstoß versetzen zu dürfen. Er war mit dem Stadtpräfekten, meinem ehemaligen Schwiegervater, verwandt und konnte daher ohne weiteres einen Platz in Neros unmittelbarer Nähe einnehmen. Er galt für einen durch sein liederliches Leben so verweichlichten Mann, daß nicht einmal Nero Ursache hatte, ihn zu fürchten. Zudem war er ein wenig wirr im Kopf und litt des öfteren an Trugbildern. Ich will damit nichts gegen die Flavier gesagt haben. Aber Flavius Scevinus bildete sich ein, ein Dolch, den er einmal in irgendeinem uralten Tempel gefunden hatte und stets bei sich trug, habe einst der Göttin Fortuna selbst gehört, und glaubte in seinem Wahn, dieser Dolch sei ein Zeichen dafür, daß er zu großen Taten ausersehen sei. Er zweifelte nicht einen Augenblick an seinem guten Glück, als er sich bereit erklärte, den ersten Stoß zu führen.

Piso sollte beim Cerestempel warten. Dort sollten ihn Fenius Rufus und andere Verschwörer abholen, um ihn zusammen mit Antonia ins Lager der Prätorianer zu begleiten. Von Seiten des Tigellinus erwartete man keinen Widerstand, sobald Nero einmal tot war, denn er war klug und berechnend. Die Verschwörer hatten zwar beschlossen, ihn danach, um dem Volk zu gefallen, hinzurichten, aber davon konnte Tigellinus nichts wissen.

Der Plan war geschickt entworfen und gut, von welcher Seite man ihn auch besah. Er hatte nur den einen Fehler, daß er gar nicht erst zur Ausführung kam.

XII DER VERRÄTER


Am Abend vor dem Ceresfest, nach einer letzten Unterredung mit Antonius Natalis und nachdem wir andern alle Pisos Haus schon längst verlassen hatten, begab sich Flavius Scevinus heim und begann in düsterer Stimmung sein Testament zu diktieren. Während er diktierte, zog er seinen berühmten Dolch aus der Scheide und bemerkte, daß er vor Alter grün und stumpf geworden war. Er übergab ihn seinem Freigelassenen Milichus zum Schleifen und gebot ihm mit erschreckend wirren Worten und fahrigen Gesten, Stillschweigen über die Sache zu bewahren. Dadurch wurde Milichus mißtrauisch.

Scevinus befahl weiter gegen seine Gewohnheit, ein Festmahl für alle Hausgenossen aufzutischen. Während des Mahles ließ er, bald schluchzend, bald mit gezwungener Heiterkeit, mehrere seiner Sklaven frei und teilte an die anderen Geldgeschenke aus. Dann brach er zusammen und bat Milichus unter Tränen, Wundverbände und blutstillende Arzneien herzurichten. Nun konnte Milichus nicht mehr daran zweifeln, daß sich schlimme Dinge vorbereiteten. Vielleicht hatte er auch von der Verschwörung munkeln hören.

Er beriet mit seiner Frau, was zu tun sei, und sie führte ihm mit dem gesunden Hausverstand der Frauen vor Augen, daß der zuerst mahlt, der zuerst zur Mühle kommt. Es ging um sein eigenes Leben. Mehrere andere Freigelassene und Sklaven hatten dasselbe gehört wie er. Es nutzte also nichts, zu schweigen. Im Gegenteil, Milichus mußte trachten, der erste zu sein, der Scevinus anzeigte. An sein Gewissen, an das Leben seines Hausvaters und seine Dankesschuld diesem gegenüber brauche er nun nicht zu denken, meinte seine Frau. Der reiche Lohn würde ihn dies alles nach und nach vergessen machen.

Milichus fand jedoch zunächst keine Gelegenheit, das Haus zu verlassen, denn 5cevinus konnte, obwohl er so viel getrunken hatte, nicht schlafen. Dazu kam, daß Atria Gallia, die Gattin des Scevinus, die um ihrer Schönheit, ihrer Scheidungen und ihres leichtfertigen Lebens willen berühmt war, durch das reichliche Mahl angeregt, gewisse Dienste von Milichus forderte, gegen die weder dessen Frau noch Scevinus – dieser aus nur ihm bekannten Gründen – etwas einwenden durfte. Ich glaube, dieser Umstand hatte einiges mit dem Rat zu tun, den die Frau des Milichus ihrem Manne gab, und erwähne ihn, um sie zu entschuldigen.

Erst in der Morgendämmerung erreichte Milichus mit Fortunas Dolch als Beweisstück unter dem Mantel die Gärten des Servilius. Aber die Türhüter ließen selbstverständlich nicht einmal diesen freigelassenen Sklaven ein und wollten um jeden Preis verhindern, daß er Nero am Morgen des heiligen Ceresfestes störte. In diesem Augenblick traf Epaphroditus mit einem Paar schöner junger Geparde ein, die er am frühen Morgen Nero bringen sollte. Nero wollte sie der Gemahlin des Konsuls Vestinus, Statilia Messalina, der er zur Zeit den Hof machte, schenken, damit sie während der Wagenrennen mit den schönen Tieren in der Konsulenloge Aufsehen erregen konnte. Epaphroditus wurde auf den Streit vor, der Pforte aufmerksam und eilte hinzu, um die Wächter zu beruhigen, die mit den Lanzenschäften auf Milichus einschlugen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Milichus hatte nämlich in seiner Not mit lauter Stimme nach Nero zu rufen begonnen.

Ich frage mich, ob Fortuna mir davor oder danach je so deutlich ihr Antlitz gezeigt hat. Jedenfalls erfuhr ich an diesem Tage, daß Güte und Edelmut schon in diesem Leben belohnt werden können. Epaphroditus erkannte in Milichus den Freigelassenen des Flavius Scevinus wieder, der ja mit seiner Gattin Sabina verwandt war, und half ihm deshalb. Als Milichus ihm sagte, in welcher Angelegenheit er gekommen war, erfaßte Epaphroditus sofort deren Bedeutung. Er erinnerte sich seiner Dankesschuld mir gegenüber und schickte mir seinen Sklaven, der die Geparde geführt hatte, um mich von dem Vorgefallenen zu unterrichten. Erst dann ließ er Nero wecken und führte die Geparde und Milichus an dessen Bett.

Der Sklave des Epaphroditus weckte mich aus dem tiefsten Schlaf, und seine Botschaft brachte mich augenblicklich auf die Beine. Ich warf mir nur einen Mantel um und lief, bärtig und ohne einen Bissen zu mir genommen zu haben, geradewegs zum Garten des Servilius.

Der Lauf brachte mich so außer Atem, daß ich beschloß, meine Leibesübungen im Stadion wiederaufzunehmen und wieder zu reiten, falls ich durch eine Laune des Schicksals noch einmal mit dem Leben davonkommen sollte, und während ich aus Leibeskräften rannte, versuchte ich die Lage zu überdenken und mir schlüssig zu werden, welche Personen ich am besten gleich als erste anzeigen sollte, um mich in ein möglichst vorteilhaftes Licht zu setzen.

Als ich im Palast eintraf, war Nero noch immer in der übelsten Laune, weil man ihn so plötzlich geweckt hatte, obwohl er wegen des Ceresfestes schon längst hätte auf sein müssen. Er spielte gähnend in seinem riesigen Seidenbett mit den Geparden und wollte in seiner Eitelkeit den verzweifelten Erklärungen des Freigelassenen keinen Glauben schenken. Immerhin hatte er wenigstens nach Tigellinus geschickt und noch einmal mit Epicharis zu sprechen verlangt. Die Prätorianer waren bereits unterwegs, um Flavius Scevinus festzunehmen und vor Nero zu bringen, damit er seine verdächtige Handlungsweise erklärte. Nachdem er des langen und breiten von den Wundverbänden und dem Testament geschwatzt hatte, erinnerte sich Milichus, daß seine Frau ihm aufgetragen hatte, auch die lange Unterredung zu erwähnen, die ihr Hausvater mit Natalis, dem Vertrauten des Piso, gehabt hatte. Nero winkte ungeduldig ab und befahl: »Natalis soll ebenfalls kommen und selbst für sich sprechen. Aber nun muß ich mich zum Ceresfest ankleiden!«

Trotz seiner scheinbaren Gleichgültigkeit prüfte er doch mit dem Daumen die dünn geschliffene Spitze des von Grünspan verfärbten Bronzedolchs und stellte sich mit seiner lebhaften Einbildungskraft gewiß vor, was für ein Gefühl es wohl sein mochte, wenn einem diese Spitze in die Brust fuhr. Daher war er schon gnädiger gestimmt, als ich keuchend und mir den Schweiß von der Stirne trocknend erklärte, ich hätte ihm etwas zu berichten, was von größter Wichtigkeit sei und keinen Aufschub dulde.

In aller Eile entdeckte ich ihm den Mordplan der Verschwörer und nannte ohne Zögern Piso und Lateranus als deren Anführer. Die beiden konnten ohnehin nichts mehr retten. Ich stand wie auf glühenden Kohlen bei dem Gedanken, was Epicharis, nun da die Verschwörung aufgedeckt war, berichten werde, um sich neue Foltern zu ersparen.

Die jungen Geparde brachten mich auf den glücklichen Einfall, auch den Konsul Vestinus als einen der Verschwörer zu nennen, da ich wußte, daß Nero dessen schöner Gemahlin nachstellte. In Wirklichkeit hatten wir uns gar nicht erst bemüht, Vestinus für unsere Sache zu gewinnen, weil wir ihn als Anhänger der Republik kannten. Doch nun wurde Nero aufmerksam. Daß ein amtierender Konsul an einer Verschwörung teilhatte, war ein ernster Fall. Er biß sich auf die Lippen, und sein Kinn begann zu zittern, wie wenn er weinen wollte. So fest hatte er geglaubt, beim Volk beliebt zu sein!

Ich gab überhaupt am liebsten Mitglieder des Senats an, denn die Sohnespflicht gebot mir, meinen Vater zu rächen. Einhellig und ohne auch nur abzustimmen, hatte der Senat meinen Vater zum Tode verurteilt, worauf auch mein eigener Sohn Jucundus vor den wilden Tieren hatte sterben müssen. Ich war daher der Meinung, daß ich den Senatoren nichts schuldete, und im Hinblick auf meine eigenen Pläne konnte es mir nur recht sein, wenn im Senat einige Plätze frei wurden.

Nachdem ich einige Namen aufgezählt hatte, faßte ich einen raschen Entschluß und gab mit fester Stimme auch Seneca an. Er hatte selbst zugegeben, daß sein Leben von der Sicherheit des Piso abhing, so daß auch ihn nichts mehr zu retten imstande war. Mir dagegen wurde es als Verdienst angerechnet, daß ich es als erster wagte, einen so mächtigen Mann anzuzeigen. Von meinem Besuch bei ihm sagte ich natürlich nichts.

Nero schien mir zuerst nicht glauben zu wollen, und sein Erschrecken über die Falschheit seines alten Lehrers, der ihm allein alle seine Erfolge und sein ungeheures Vermögen verdankte, war mehr gespielt als wahrhaftig empfunden. Seneca war doch aus freiem Willen von seinem Amt in der Verwaltung des Reiches zurückgetreten und hatte daher keinen Grund, ihm, Nero, zu grollen! Nero vergoß sogar ein paar Tränen. Er warf die Geparde auf den Boden und fragte, warum man ihn so hasse, obgleich er doch für den Senat und das Volk von Rom sein Bestes tue und auf seine eigene Bequemlichkeit verzichte, um die schwere Last der Imperatorwürde rechtschaffen zu tragen.

»Warum haben sie mir nichts gesagt!« klagte er. »Ich habe unzählige Male erklärt, daß ich die Macht am liebsten aus den Händen geben möchte, um irgendwo in der Welt als Künstler zu leben. Warum nur hassen sie mich so?«

Es wäre nutzlos und gefährlich gewesen, ihm das erklären zu wollen. Zum Glück trafen auch schon Tigellinus und Flavius Scevinus ein, und man meldete, daß Epicharis im Hof in ihrer Sänfte wartete.

Nero hielt es für das klügste, anfangs nicht zu erkennen zu geben, daß er das Ausmaß der Verschwörung sehr wohl kannte. Er wollte Flavius Scevinus und Milichus nebeneinander verhören. Mich bat er zu gehen, und ich ging gern, da ich auf diese Weise Gelegenheit erhielt, mit Epicharis zu sprechen, sie zu warnen und mit ihr auszumachen, wer noch angezeigt werden sollte. Ich hörte noch, wie Nero nach seiner germanischen Leibwache rief, und bemerkte, daß er Tigellinus mißtrauisch aus den Augenwinkeln musterte.

Die Erinnerung an die Verschwörung des Sejanus gegen Tiberius’ ist noch nicht erloschen, und seit damals verläßt sich kein Kaiser mehr blind auf den Präfekten der Prätorianer. Aus diesem Grunde gibt es auch meistens zwei, so daß der eine den andern im Auge behalten kann. Nero hatte diese Vorsichtsmaßnahme wiedereingeführt und dem Tigellinus Fenius Rufus zur Seite gestellt. Er hatte dabei lediglich den Falschen erwischt. Ich dachte nicht daran, Fenius Rufus, der mein Freund war, anzuzeigen und war, im Gegenteil, fest entschlossen, alles zu tun, damit niemand versehentlich seinen Namen mit erwähnte. Auch deshalb wollte ich mit Epicharis sprechen.

Ihre Sänfte stand auf dem Boden. Die Vorhänge waren geschlossen, die Sklaven lagen im Gras und die beiden Wachtposten verboten mir fluchend, die Gefangene zu stören. Doch auch Neros neue Münzen erfüllten ihre Aufgabe. Die Posten zogen sich ein Stück zurück, ich schob den Vorhang zur Seite und flüsterte: »Epicharis, ich bin dein Freund. Ich habe Wichtiges mit dir zu reden.«

Epicharis antwortete nicht. Da erst bemerkte ich, daß sie tot war. Sie hatte sich die Binde, die die freundlichen Gefängniswärter ihr gegeben hatten, von ihrer blutenden Brust gerissen, eine Schlinge geknüpft und sich um den Hals gelegt und das andere Ende der Binde an einer Querstange im Innern der Sänfte festgebunden. So hatte sie sich erdrosselt, zweifellos, weil sie fürchtete, einem neuen Verhör nicht mehr gewachsen zu sein. Als ich mich vergewissert hatte daß sie auch wirklich tot war, stieß ich einen überraschten Ruf aus, winkte die Wachtposten herbei und zeigte ihnen, was geschehen war. Innerlich pries ich den Edelmut, den diese ansonsten alles andere denn anständige Frau in ihrer letzten Stunde bewiesen hatte. Dieser Selbstmord rettete sie davor, ihre Mitverschwörer verraten zu müssen, und gab mir freie Hand.

Die Wachen fürchteten natürlich, sie könnten für ihre Unachtsamkeit bestraft werden. Doch dazu war jetzt keine Zeit. Nero hatte zu handeln begonnen und mochte nicht mit Nebensächlichkeiten behelligt werden. Der Selbstmord der Epicharis überzeugte ihn vollends davon, daß eine Verschwörung bestand und daß die Flotte daran beteiligt war. Ich muß gestehen, daß mir beim Anblick des zerfleischten Körpers der Epicharis so übel wurde, daß ich mich neben der Sänfte ins Gras erbrach, obwohl ich an diesem Morgen noch nichts zu mir genommen hatte.

Daran waren zum Teil wohl auch mein Erschrecken und meine plötzliche Erleichterung schuld. Durch ihren tapferen Tod verschaffte mir diese Frau eine Schlüsselstellung bei der Aufdeckung der Verschwörung. Ich ließ sie aus Dankbarkeit auf meine Kosten bestatten, da ihre früheren Freunde es aus begreiflichen Gründen nicht tun konnten, sondern vielmehr selbst bald jemanden brauchten, der für ihre Bestattung sorgte.

Als Nero Scevinus listig verhörte, gewann dieser im Augenblick der Gefahr die Beherrschung zurück, blickte Nero mannhaft in die Augen und beteuerte seine Unschuld.

»Der Dolch«, sagte er verächtlich, »ist seit alters her ein heiliges Erbstück in meiner Familie, und er liegt offen sichtbar in meinem Schlafzimmer, so weit ich zurückdenken kann. Dieser betrügerische Sklave, der in mein Ehebett spuckt und darum seine Strafe fürchtet, hat ihn heimlich an sich genommen. Mein Testament habe ich schon viele Male neu abgefaßt, wie es jeder vernünftige Mensch tut, wenn sich die Verhältnisse ändern. Es ist auch nicht das erste Mal geschehen, daß ich Geldgeschenke austeile oder Sklaven freilasse, wofür Milichus selbst ein Beweis ist. Ich war gestern freigebiger als sonst, weil ich viel getrunken hatte und mir wegen meiner vielen Schulden sagte, daß die Gläubiger sich nicht mit allen Bestimmungen meines Testaments einverstanden erklären würden. Deshalb wollte ich ihnen zuvorkommen. Das Geschwätz von den Wundbinden ist eine Erfindung des Milichus. Ich müßte ihn anklagen, nicht er mich. Du brauchst nur meine Gattin ein wenig ins Verhör zu nehmen, um rasch zu erfahren, warum dieser verfluchte Sklave mich fürchtet. Ich habe bisher um meines guten Rufes willen nicht darüber gesprochen, aber wenn man mich, einen unschuldigen, rechtschaffenen Mann, nun anklagt, ich hätte Mordpläne geschmiedet, so ist es an der Zeit, daß ich die Wahrheit bekenne.«

Er beging den einen Fehler, daß er seine Schulden erwähnte. Nero zog den völlig richtigen Schluß, das Scevinus, wenn er am Rande des Bankrotts stand, durch die Verschwörung alles zu gewinnen und nichts zu verlieren hatte. Er nahm sich daher Scevinus und Natalis einzeln vor und fragte sie, worüber sie am Abend zuvor so lange geredet hätten. Natürlich sagte ein jeder etwas anderes, da sie nicht daran gedacht hatten, sich auf ein Verhör vorzubereiten.

Tigellinus ließ ihnen den eisernen Kragen, die Stahlklauen und andere Folterwerkzeuge zeigen, und das genügte. Als erster brach Natalis zusammen, der die Verschwörung am besten kannte und durch ein freimütiges Geständnis etwas für sich zu gewinnen hoffte. Er verriet seinen geliebten Piso und einige andere und bekannte auch, daß er mit Seneca in Verbindung getreten war. Ich konnte von Glück sagen, daß ich Seneca schon vor ihm angezeigt hatte.

Als Scevinus hörte, daß Natalis gestanden hatte, ließ er seine eitlen Hoffnungen fahren. Er gab zu, daß er den Verschwörern angehört hatte und nannte außerdem Senecio, Lucanus, Petronius und andere – und leider auch mich. Zu diesem Zeitpunkt war es mir jedoch ein leichtes, zu behaupten, ich hätte tags zuvor nur an der Versammlung teilgenommen, um mir genaue Kenntnis von der Verschwörung zu verschaffen und das Leben meines Herrschers retten zu können.

Ich hatte mich vorsichtig zurückgehalten, als es darum ging, die Gelder für die Prätorianer einzusammeln. Daher konnte ich nun in aller Ruhe angeben, wer die Männer waren, die für die dreißig Millionen aufkommen wollten. Nero war zufrieden, weil er auf diese Weise ohne Mühe einen bedeutenden Betrag in seine stets magere Kasse erhielt, obgleich er zuletzt durch die Beschlagnahme des Eigentums der Schuldigen hundertfach erntete. Seneca und Pallas allein brachten ihm, soviel ich weiß, mindestens eine Milliarde Sesterze ein.

Um seines Ansehens willen wollte Nero jedoch nicht, daß das Volk erfuhr, welch weite Kreise die Verschwörung wirklich gezogen hatte und wie bitter der Adel ihn haßte. Man hätte sich zweifellos gefragt, was für verborgene Ursachen dieser Haß wohl haben mochte, und Neros Lebenswandel vertrug keine gründlichere Erforschung.

Um die Gerüchte zu zerstreuen, hielt er es später für das klügste, eine Ehe mit Statilia Messalina einzugehen, die Julierin war und somit weit vornehmer als Poppaea. Sowohl sie selbst als auch Nero war mir dankbar, daß ich durch meine fälschliche Anzeige einen Grund geliefert hatte, den Konsul Vestinus aus dem Wege zu räumen. Nero hatte ihr schon lange seine Neigung zu erkennen gegeben, aber Statilia Messalina hatte sich gesagt, daß sie es nicht mit Antonia aufnehmen konnte. Die ganze Stadt wußte, daß Nero um Antonia warb, und alle vernünftigen Menschen nahmen an, Antonia werde früher oder später nachgeben, obwohl sie Nero zunächst aus Schicksalsgründen abweisen mußte.

Als Nero nun das ganze Ausmaß der Verschwörung erkannte, wollte er davon Abstand nehmen, das Ceresfest zu begehen, aber Tigellinus und ich überzeugten ihn, daß das sehr unklug gewesen wäre. Es war viel leichter, die Stadt und, der Flotte wegen, auch Ostia zu besetzen, während sich das Volk im Zirkus befand, und dort konnte man auch ohne großes Aufsehen die schuldigen Senatoren und Ritter festnehmen, bevor es ihnen gelang, aus der Stadt zu entfliehen und bei den Legionen Schutz zu suchen.

Piso mußte unverzüglich verhaftet werden. Von seinem Ehrgeiz geblendet, hatte er sich schon vor der vereinbarten Stunde mit seinem Gefolge vor dem Cerestempel eingefunden. Dort erfuhr er von der Anzeige des Milichus und der Ergreifung des Scevinus und des Natalis. Er eilte nach Hause, obgleich die Mutigsten aus seinem Gefolge ihn aufforderten, sich mit dem Geld ins Lager der Prätorianer zu begeben oder zumindest die Rednertribüne auf dem Forum zu besteigen und das Volk zum Beistand aufzurufen.

Wer weiß, vielleicht würde Fortunas Waage doch noch zu seinen Gunsten ausgeschlagen haben, wenn er beherzt gehandelt hätte. Fenius Rufus befand sich im Lager, Tigellinus war abwesend, und mehrere Kriegstribunen und Zenturionen gehörten der Verschwörung an. Selbst wenn ihn das Volk und die Soldaten im Stich gelassen hätten: er wäre bei dem kühnen Versuch in Ehren gestorben, er hätte sich seiner Väter würdig erwiesen, und sein Name wäre der Nachwelt als der eines Freiheitskämpfers überliefert worden.

Doch ich sagte schon, daß Piso der Aufgabe nicht gewachsen war, für die man ihn ausersehen hatte. Er zauderte einen Augenblick und ging dann einfach nach Hause. Daraufhin gingen auch seine Freunde ihre eigenen Wege, um zu retten, was noch zu retten war.

Lateranus war der einzige, der Widerstand leistete. Er wurde dafür, ungeachtet seines Konsulranges, zur Richtstätte der Sklaven geschleppt, und der Kriegstribun Statius schlug ihm mit solcher Eile den Kopf ab, daß er sich selbst die Hand verletzte. Lateranus war der einzige, der schwieg und nicht einmal verriet, daß auch Statius an der Verschwörung teilgenommen hatte. Daher dessen Eile.

Alle anderen redeten bereitwillig und zeigten einander an, bevor sie starben – der Dichter Lucanus sogar seine eigene Mutter, und Junius Gallio, mein ehemaliger Vorgesetzter in Korinth, seinen Bruder Seneca. Bei der nächsten Sitzung des Senats wurde Gallio offen des Brudermordes angeklagt, und man behauptete, er sei in weit höherem Maße schuldig als Seneca, doch Nero tat, als hörte er nichts. Auch die Mutter des Lucanus verfolgte er nicht, obwohl sie, um den Dichterruhm ihres Sohnes zu fördern, immer abfällig von Nero gesprochen und ihn einen schamlosen Zitherspieler genannt hatte.

Es würde zu weit führen, wollte ich alle die berühmten Persönlichkeiten aufzählen, die hingerichtet wurden oder Selbstmord begingen, obwohl Nero viele schonte. Aber er war auch nur ein Mensch, und man konnte nicht gut von ihm erwarten, daß er sich bei der Auswahl der Angeklagten nicht von persönlichen Neigungen oder Abneigungen und seinen finanziellen Bedürfnissen leiten ließ.

Die Stadt war voller Leichen. Von den mutigen Männern will ich nur den Kriegstribunen Subrius Flavus nennen. Als Nero ihn fragte, wie er seinen Eid habe vergessen können, antwortete er offen: »Du hattest keinen treueren Soldaten als mich, solange du wert warst, geliebt zu werden. Ich begann dich erst zu hassen, als du deine Mutter und deine Gattin ermordetest und als Wagenlenker, Gaukler und Mordbrenner auftratest.«

Durch so viel Offenherzigkeit begreiflicherweise erzürnt, befahl Nero einem Neger, den er zum Zenturio befördert hatte, Subrius zum nächsten Anger zu führen und zu tun, was zu tun war. Der Neger gehorchte dem Befehl und ließ in aller Eile ein Grab ausheben. Als Subrius sah, daß das Grab zu flach ausfiel, sagte er spöttisch zu den Legionären: »Diese Schwarzhaut kann nicht einmal ein Grab nach der Dienstvorschrift machen.« Der Negerzenturio war durch die vornehme Abstammung des Subrius so beeindruckt, daß seine Hände zitterten, als dieser ihm furchtlos den Hals hinstreckte, und erst beim zweiten Hieb gelang es ihm, den Kopf vom Rumpf zu trennen.

Fenius Rufus blieb lange verschont, aber zuletzt ärgerte es die Angeklagten, daß er, wie es sein Amt erforderte, als ihr Richter auftrat. Er wurde von so vielen angezeigt, daß Nero an seine Mitschuld glauben mußte, obwohl Rufus sich als Ankläger sehr streng gab, um jeden Verdacht von sich selbst abzulenken. Auf Neros Befehl wurde er während eines Verhörs von einem Soldaten niedergeschlagen und gefesselt. Er verlor sein Leben wie die anderen – zu meinem großen Kummer, denn wir waren gute Freunde gewesen, und nach ihm wurde ein sehr selbstsüchtiger Mann Aufseher über die staatlichen Getreidelager.

Doch letzten Endes war er selbst an seinem Schicksal schuld. Er hätte eine außergewöhnliche Gelegenheit gehabt, in den Gang der Ereignisse einzugreifen. Seneca war wirklich zum Ceresfest nach Rom gekommen. Er hielt sich in einem Haus am Stadtrand, beim vierten Meilenstein, auf, als er hörte, was geschah. Nero schickte den Tribunen Gavius Silvanus aus seiner Leibwache zu ihm und ließ ihn fragen, was er nach dem Geständnis des Natalis zu seiner Verteidigung vorzubringen habe. Silvanus ließ das Haus in der Abenddämmerung umstellen und trat selbst ein, als Seneca eben mit seiner Gattin Paulina und einigen Freunden in gedrückter Stimmung zu Tisch gegangen war.

Seneca ließ sich nicht beim Mahle stören. Er antwortete gleichsam ganz beiläufig, Natalis habe ihn als Bote Pisos besucht, um sich darüber zu beklagen, daß er die Einladung Pisos nicht angenommen hatte. Darauf habe Seneca höflich auf seine schlechte Gesundheit hingewiesen. Er habe keinen Anlaß, irgend jemanden zu unterstützen. Mit dieser Antwort mußte sich Silvanus zufriedengeben.

Als Nero fragte, ob Seneca Anstalten treffe, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, mußte Silvanus ihm erklären, daß er keine Anzeichen von Furcht an ihm entdeckt habe. Daraufhin schickte Nero Silvanus noch einmal zu Seneca, um ihm zu sagen, daß er sterben müsse. Dieser Befehl widerstrebte Nero. Er würde es um seines eigenen Ansehens willen lieber gesehen haben, wenn sein alter Lehrer von sich aus beschlossen hätte, sich in aller Stille das Leben zu nehmen.

Daß aber in diesem Augenblick Neros Schicksal noch immer auf des Messers Schneide stand, mag man daraus ersehen, daß Silvanus nicht geraden Wegs zu Seneca zurückkehrte, sondern Fenius Rufus im Prätorianerlager aufsuchte, ihm von dem Befehl berichtete und fragte, ob er ausgeführt werden solle. Silvanus war nämlich selbst einer der Verschwörer gewesen. Nun hatte Rufus noch immer die Möglichkeit, Seneca zum Imperator ausrufen zu lassen, die Prätorianer zu bestechen und einen bewaffneten Aufruhr anzustiften, wenn er schon glaubte, Nero aufgrund seiner Stellung nicht selbst ermorden zu dürfen.

Ich überlegte mir später, was für Möglichkeiten ihm eigentlich zur Wahl standen. Die Prätorianer wären gewiß nicht sehr darauf erpicht gewesen, an Stelle eines Zitherspielers einen Philosophen auf den Thron zu setzen, aber sie verabscheuten Tigellinus wegen seiner Härte und wären gern bereit gewesen, ihn aus dem Wege zu räumen. Außerdem kannten sie Senecas Reichtum und hätten große Geldgeschenke erpressen können.

Rufus hätte aber noch einen besonderen Grund gehabt, Seneca zu stützen. Er war jüdischer Abstammung und ursprünglich in Jerusalem daheim. Seines hohen Amtes wegen hielt er jedoch seine Herkunft geheim. Sein Vater war ein Freigelassener gewesen, ein Getreidehändler in Kyrene. Als der Sohn nach Rom ging, zahlte er den Feniern große Summen, damit sie ihn adoptierten. Rufus hatte sodann eine gründliche juristische Ausbildung erhalten und dank seiner Begabung und seinem Geschäftssinn Erfolg gehabt.

Ich weiß nicht, warum sein Vater Simon gewollt hatte, daß Rufus Römer wurde, aber ich weiß, daß dieser Sympathien für die Christen hegte. Mein Vater hatte mir einmal davon erzählt, daß Simon für Jesus von Nazareth das Kreuz zur Richtstätte in Jerusalem getragen haben soll, aber genau erinnere ich mich nicht mehr. Später stieß ich dann noch einmal auf den Namen Simon von Kyrene in den verworrenen Briefen, die mein Vater aus Jerusalem geschrieben hatte, und ich vermute, mein Vater half Rufus, seine Abstammung zu verbergen, und legte bei den Feniern ein Wort für ihn ein. Vielleicht hatte ich deshalb so leicht die Freundschaft des Rufus gewinnen können, als ich mich auf den Getreidehandel verlegte und seine Hilfe nötig hatte.

Seneca auf dem Kaiserthron wäre ein so großer politischer Vorteil für die Christen gewesen, daß es sich gelohnt hätte, einige Grundsätze zu opfern. Gewiß aber hatte Fenius Rufus eine schwere Wahl. Doch er war in erster Linie Jurist und Kaufmann, nicht Soldat. Deshalb konnte er sich nicht zu dem großen Entschluß durchringen und verließ sich offensichtlich darauf, selbst nicht entdeckt zu werden. Er bat also Silvanus, Nero zu gehorchen, Silvanus, das muß zu seiner Ehre gesagt werden, schämte sich, selbst zu Seneca zu gehen. Er schickte ihm einen Zenturio. Über Senecas Gleichmut im Angesicht des Todes ist so viel Erbauliches geschrieben worden, daß ich nicht mehr viel darüber zu sagen brauche. Ich meine allerdings, es war nicht sehr edel von ihm, seine junge Gattin, die noch das Leben vor sich hatte, überreden zu wollen, mit ihm zu sterben.

Seine Freunde berichteten, daß er sie zuerst tröstete und sie beschwor, nicht in ewigen Kummer zu versinken, sondern ihren Verlust zu verschmerzen und sich vor Augen zu führen, wie doch sein ganzes Leben der Ausübung der Tugend gewidmet gewesen sei. Als er sie auf diese Art weich gestimmt hatte, schilderte er im gleichen Atemzug, wie sehr ihn die Vorstellung erschrecke, was für Mißhandlungen seine geliebte Gattin in den Händen des blutdürstigen Nero ausgesetzt sein werde. Das trieb er so lange, bis Paulina erklärte, sie wolle lieber mit ihrem Gatten sterben. Seneca hob die Hände und sagte: »Ich habe dir gezeigt, wie du dir dein Leben erleichtern kannst. Du ziehst jedoch selbst einen ehrenvollen Tod vor, und ich glaube nicht, daß du schlecht gewählt hast. So wollen wir beide in der Stunde der Trennung die gleiche Festigkeit beweisen.« Dann – um Paulina keine Zeit zu lassen, sich anders zu besinnen – bat er den Zenturio rasch, ihm und seiner Gattin die Pulsadern aufzuschneiden.

Nero hatte jedoch nichts gegen Paulina. Er hatte ausdrücklich befohlen, sie zu schonen, wie er überhaupt, um seines Ansehens willen, darauf bedacht war, in seinen Urteilen alle unnötige Grausamkeit zu vermeiden. Der Zenturio mußte nun zwar Seneca gehorchen, aber er hütete sich, die Sehnen oder die Pulsader zu verletzten, als er Paulina in den Arm schnitt.

Senecas Körper war vom Alter und von der Diät so schwach, daß das Blut nur träge floß. Er stieg jedoch nicht in ein heißes Bad, wie es ein anderer an seiner Stelle getan hätte, sondern begann seinem Schreiber einige Berichtigungen zu seinen gesammelten Schriften zu diktieren. Da Paulina ihn durch ihr Weinen störte, bat er sie ungeduldig, in den Nebenraum zu gehen, und rechtfertigte sich damit, daß er sagte, ihre Standhaftigkeit solle nicht dadurch erschüttert werden, daß sie mit ansehen mußte, wie er litt.

Sobald sie den Raum verlassen hatte, nahmen sich auf Befehl der Soldaten Senecas Sklaven ihrer an, stillten die Blutung und legten einen Verband an. Paulina ließ sie gewähren. Auf diese Weise rettete ihr Senecas grenzenlose Eitelkeit das Leben.

Wie viele Stoiker fürchtete Seneca körperliche Schmerzen. Daher bat er seinen Leibarzt um ein betäubendes Gift, um das gleiche Gift, das die Athener Sokrates gegeben hatten. Vielleicht bildete er sich ein, die Nachwelt werde ihn darum mit Sokrates auf eine Stufe stellen. Als er zu Ende diktiert hatte und der Zenturio schon ungeduldig wurde, nahm er endlich ein heißes Bad und ging danach in die Dampfkammer des Hauses, wo er in den Dämpfen erstickte. Sein Leichnam wurde in aller Stille und ohne Zeremonien verbrannt, so wie er es im voraus bestimmt hatte, indem er aus der Not eine Tugend machte, denn Nero würde aus Angst vor politischen Kundgebungen eine öffentliche Bestattung ohnehin nicht zugelassen haben.

Paulina lebte dank dem Zenturio noch viele Jahre. Sie war allerdings bleich wie ein Gespenst, und es hieß, sie habe sich heimlich den Christen angeschlossen. Ich berichte, was man mir erzählt hat. Selbst verspürte ich kein Verlangen danach, mit der trauernden Witwe in Verbindung zu treten, und das wird jeder vernünftige Mensch verstehen. Erst nach ihrem Tode gestattete ich meinem Freigelassenen, der einen Verlag gegründet hatte, sich der gesammelten Schriften Senecas anzunehmen.

Mein Freund Petronius Arbiter, der Schriftsteller, starb, wie er es seinem Rufe schuldig war. Er lud seine Freunde zu einem üppigen Mahl, in dessen Verlauf er all die kostbaren Kunstschätze, die er gesammelt hatte, vernichtete, damit Nero sie nicht erbte. Am meisten trauerte Nero zwei unvergleichlichen Kristallbechern nach, um die er Petronius seit jeher beneidet hatte.

Seine Schriftstellereitelkeit stellte Petronius dadurch zufrieden, daß er in sein Testament ein vollständiges Verzeichnis aller Laster Neros aufnahm und alle Personen anführte, die ihm behilflich gewesen waren, sie zu befriedigen, wobei er es sich angelegen sein ließ, auch Zeit und Ort genau zu nennen, damit niemand meinte, er mißbrauche seine Phantasie. Er wird wohl dennoch ein wenig übertrieben haben, aber dafür erweckte er um so mehr Heiterkeit, als er seinen Freunden, während er langsam verblutete, das Testament vorlas. Er ließ sich übrigens mehrmals verbinden, um, wie er sagte, auch dem Tod möglichst großen Genuß abzugewinnen.

Das Testament ließ er Nero schicken, und es ist nur schade, daß er niemandem erlaubte, es vorher abzuschreiben. Das wäre ihm als ein Verstoß gegen die Freundschaft erschienen, die ihn einst mit Nero verbunden hatte. Petronius war ein vornehmer Mann, ich glaube, der vornehmste, dem ich je begegnet bin – trotz den pöbelhaften Geschichten, die er veröffentlichte.

Mich konnte er nicht zu seinem Abschiedsmahle laden, doch das nahm ich ihm nicht übel. Er ließ mich wissen, daß er für mein Verhalten volles Verständnis hatte und wahrscheinlich ebenso gehandelt hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Er selbst würde mich gern eingeladen haben, aber er fürchtete, ich könnte mich in Gegenwart einiger seiner Freunde nicht wohl fühlen. Ich habe mir seinen feinfühligen Brief aufgehoben und denke an Petronius noch heute wie an einen guten Freund.

Doch wozu von Tod und Verbannung so vieler guter Bekannter, edler Freunde und hochgeachteter Männer berichten! Angenehmer ist es, zu erzählen, welche Belohnungen Nero an diejenigen austeilte, die sich um die Aufdeckung und Unterdrückung der Verschwörung verdient gemacht hatten. Den Prätorianern gab er denselben Betrag, den die Verschwörer ihnen versprochen hatten: zweitausend Sesterze für jeden Mann. Außerdem erhöhte er ihren Sold, indem er bestimmte, daß sie fortan ihr Korn, das sie bis dahin zum geltenden Preis hatten kaufen müssen, umsonst erhalten sollten. Tigellinus und einige andere erhielten das Triumphrecht, und ihre Triumphstatuen wurden auf dem Palatin aufgestellt.

Ich selbst erinnerte Nero daran, daß es leer geworden war in der Kurie und daß auch der Platz meines Vaters noch nicht wieder ausgefüllt war. Im Ausschuß für orientalische Angelegenheiten brauchte man dringend einen Mann, der wie mein Vater mit den Juden zu verhandeln verstand und, im Hinblick auf ihre Sonderstellung, zwischen ihnen und dem Staat als Mittler dienen konnte. Von Neros Standpunkt aus betrachtet, wäre es politisch klug gehandelt, wenn er Senatoren einsetzte, die ihre Treue durch die Tat bewiesen hatten, da der Senat als solcher unzuverlässig war und mit der Republik liebäugelte.

Nero war verblüfft und meinte, er könne nicht einen Mann wie mich zum Senator ernennen. Ich möge doch an meinen Ruf denken. Die Zensoren würden es zu verhindern wissen. Außerdem habe er nach dieser Verschwörung zu seinem Kummer den Glauben an die Menschheit verloren und traue niemandem mehr, auch mir nicht.

Ich vertrat jedoch meine Sache mit Nachdruck und wies darauf hin, daß ich bei Caere und an anderen Orten in Italien die Ländereien besaß, die Voraussetzung für den Senatorenrang waren. Zu jener Zeit war außerdem der Prozeß, den mein Vajer in Britannien um das Erbe des Jucundus eingeleitet hatte, zu einem guten Ende gekommen. Die Briten erben auch in der weiblichen Linie. Lugunda war von vornehmer Geburt und obendrein Hasenpriesterin gewesen. Sie war bei dem Aufruhr zusammen mit ihren Eltern und Brüdern umgekommen. Jucundus war somit Alleinerbe und zudem als Adoptivsohn eines Senators eindeutig Römer. Der neue König der Icener hatte seine Forderung anerkannt. Als Kriegsschadenersatz erhielt er neben großen Ländereien auch einen Teil Weideland im angrenzenden Reich der Catavelauner, die ebenfalls an dem Aufruhr beteiligt gewesen waren, und dieser Schadenersatz kostete den König der Icener nichts.

Er schrieb mir einen Brief und bat mich, als Gegenleistung zu versuchen, Seneca dazu zu überreden, daß er seine Wucherzinsen, die das neu erwachte Wirtschaftsleben Britanniens lahmzulegen drohten, wenigstens zum Teil senke. Ich war ja Jucundus’ gesetzlicher Erbe, da mein Vater ihn adoptiert hatte.

Ich benutzte also nun die Gelegenheit, mir dieses Erbe von Nero bestätigen zu lassen. An sich hätte er das Recht gehabt, es wegen des Verbrechens meines Vaters zu beschlagnahmen, aber nun hatte er durch die Verschwörung endlich einmal so viel Geld in die Hand bekommen, daß er nicht kleinlich zu sein brauchte. Ich vergalt ihm seine Großzügigkeit damit, daß ich ihn über Senecas ungeheure Investitionen in Britannien aufklärte und ihm riet, die Zinsen auf ein erträgliches Maß herabzusetzen. Nero fand, Wucher stehe einem Kaiser nicht an, und beschloß die Zinsen ganz aufzuheben.

Dadurch stieg der Wert meines Erbes in Britannien beträchtlich, denn die Steuern sanken, und ich war zu meiner Freude der erste, der dem König der Icener davon Mitteilung machen konnte. Das brachte mir in Britannien hohes Ansehen ein, und dank dem Vertrauen, das die Briten in mich setzten, wurde ich später in den Senatsausschuß für britische Angelegenheiten gewählt, wo ich viel erreichte, was sowohl den Briten als auch mir selbst nützte.

Doch zunächst mußte ich mich um meinen Besitz in Britannien kümmern. Ich ließ zwei meiner tüchtigsten Freigelassenen aus Caere kommen und schickte sie nach Britannien, wo sie den Ackerbau auf römische Art betrieben und zu einem ertragreichen Geschäft machten und Schlachtvieh züchteten, das an die Legionen verkauft wurde. Sie vermählten sich später mit achtbaren britischen Frauen, hatten ungewöhnliche Erfolge und wurden zuletzt Stadttetrarchen in Lugundanum, der Stadt, die ich zur Erinnerung an meine britische Gattin hatte gründen lassen.

Der Ackerbau und die Viehzucht warfen mir große Gewinne ab, bis neidische Nachbarn die Methoden meiner Freigelassenen nachzuahmen begannen, aber selbst dann noch bezog ich aus Britannien hohe Einkünfte, obwohl der Gewinnanteil meiner Freigelassenen nicht unerheblich war. Ich glaube übrigens nicht, daß die beiden mich übermäßig betrogen. Ich hatte sie dazu erzogen, in geschäftlichen Dingen meinem Beispiel zu folgen. Ehrlichkeit innerhalb vernünftiger, zumutbarer Grenzen währt stets länger als der nur für den Augenblick einträgliche Betrug. Ich konnte nun also im Hinblick auf meine Ernennung zum Senator nicht nur Grundbesitz in Italien, sondern auch in Britannien nachweisen und wurde tatsächlich Senator, wie es Claudia gewünscht hatte. Man brachte zuletzt keinen anderen Einwand gegen mich vor als den, daß ich das erforderliche Alter noch nicht erreicht hätte, aber darüber lachte der Senat laut, denn es waren schon früher so viele Ausnahmen bewilligt worden, daß die betreffende Bestimmung längst jede Bedeutung verloren hatte. Außerdem wußten alle, was der Sprecher in Wirklichkeit meinte, aber nicht zu sagen wagte. Auf Neros Vorschlag wurde ich daher so gut wie einstimmig zu diesem hohen Amte gewählt. Ich nahm mir nicht die Mühe, mir diejenigen zu merken, die gegen mich stimmten, denn nach der Sitzung trat einer von ihnen lächelnd auf mich zu und erklärte mir, es sei dem Ansehen des Senates förderlich, wenn weniger wichtige Vorschläge Neros nicht einstimmig angenommen würden. Diese Lehre prägte ich mir dankbar ein.

Ich habe alles, was im Zusammenhang mit der Verschwörung des Piso geschah, so ausführlich berichtet, nicht um mich selbst zu rechtfertigen – dazu habe ich keinen Anlaß –, sondern um das Schmerzlichste so lange wie möglich aufzuschieben. Ja, ich spreche von Antonia. Noch heute, nach so vielen Jahren, kommen mir die Tränen, wenn ich an ihr Schicksal denke.


Gleich nach Pisos Selbstmord stellte Nero Antonias Haus auf dem Palatin unter Bewachung. Von allzu vielen Seiten hatte er zu hören bekommen, daß Antonia sich verpflichtet hatte, den Usurpator ins Lager der Prätorianer zu begleiten. Es ging sogar das wahnwitzige Gerücht um, Piso habe gelobt, er werde sich scheiden lassen und Antonia zur Gattin nehmen, sobald er Kaiser wäre. Ich selbst glaubte es besser zu wissen, sofern nicht Antonia aus Liebe zu mir und im Hinblick auf Deine Zukunft eine solche Ehe für notwendig gehalten hätte.

Eine einzige Nacht durfte ich noch mit Antonia verbringen, und diese Nacht kostete mich eine Million Sesterze. So sehr fürchteten die Wachtposten Nero und Tigellinus. Doch ich trennte mich gern von dieser großen Summe. Was bedeutet Geld einem Manne, der liebt! Mein ganzes Vermögen hätte ich hergegeben, wenn damit Antonias Leben gerettet worden wäre. Oder jedenfalls einen großen Teil meines Vermögens. Doch es half alles nichts.

Wir planten in jener Nacht allen Ernstes, alles aufzugeben und zusammen nach Indien zu fliehen, wo ich gewisse Geschäftsverbindungen hatte. Aber der Weg war zu weit. Wir sahen ein, daß wir früher oder später angehalten worden wären, denn Antonias Gesichtszüge waren, dank ihren vielen Statuen, allen Römern und sogar in den Provinzen bekannt, und keine Verkleidung hätte ihr vornehmes Wesen verbergen können.

Unter Tränen und Umarmungen gaben wir unsere eitlen Hoffnungen auf. Antonia sagte mir zärtlich, sie sterbe mutig und gern, da sie einmal in ihrem Leben wahre Liebe erfahren habe. Sie gestand mir auch offen, daß sie die Absicht gehabt hatte, mich zu ihrem Gemahl zu machen, sobald Claudia auf die eine oder andere Art gestorben wäre. Diese Versicherung ist die größte Ehre, die mir in meinem ganzen Leben zuteil wurde. Ich glaube nicht unrecht zu handeln, indem ich davon spreche, denn ich will mich ja nicht damit brüsten, sondern nur beweisen, daß sie mich wirklich liebte.

Sie sprach viel in unserer letzten Nacht und wie im Fieber und erzählte von ihrer Kindheit und ihrem Onkel Sejanus, der ihrer Meinung nach Claudius zum Kaiser gemacht haben würde, wenn es ihm gelungen wäre, Tiberius zu ermorden und die Unterstützung des Senates zu erlangen. Auf diese Weise wären Rom die Verbrechen des Gajus Caligula erspart geblieben. Doch das Schicksal wollte es anders, und Antonia gab auch zu, daß Claudius damals vielleicht noch nicht reif gewesen wäre zu regieren. Er würfelte, trank und trieb Antonias Mutter an den Rand des Bankrotts.

Wir saßen jedoch nicht die ganze Nacht Hand in Hand und plauderten. Der Tod stand auf der Schwelle und wartete. Dieses Bewußtsein gab unseren Küssen Blutgeschmack und trieb mir brennende Tränen der Leidenschaft in die Augen. Eine solche Nacht erlebt ein Mensch nur einmal im Leben, und er vergißt sie nie. Danach ist jede andere Neigung, jeder andere Genuß ein schwacher Abglanz, und ich habe nach Antonia keine andere Frau mehr wirklich geliebt.

Unwiederbringlich eilten die Stunden dahin, und allzu rasch graute der Morgen. Zuletzt machte mir Antonia einen seltsamen Vorschlag, der mich verstummen ließ, dessen Weisheit ich aber nach meinen ersten entsetzlichen Einwänden bald erkannte. Wir wußten beide, daß es uns nicht mehr möglich war, noch einmal zusammenzutreffen. Ihr Tod stand so unausweichlich bevor, daß Fortuna selbst sie nicht mehr retten konnte.

Daher wollte sie sich die qualvolle Wartezeit abkürzen und schlug mir vor, nach den anderen solle auch ich sie Nero anzeigen. Dies würde ihren Tod beschleunigen, mich von allem Verdacht reinwaschen, den Nero etwa noch gegen mich hegte, und Deine Zukunft sichern.

Der bloße Gedanke an einen solchen Verrat machte mich schaudern, aber Antonia überredete mich zuletzt doch. Es war ja, vernünftig besehen, wirklich das Klügste, auch aus dem Unausweichlichen noch Gewinn zu schlagen.

Noch auf der Schwelle ihres Schlafgemachs gab sie mir gute Ratschläge. Sie nannte mir alte Familien, mit denen ich um Deinetwillen freundschaftliche Beziehungen anknüpfen mußte, und andere, die ich aus Amt und Stellung drängen sollte. Mit Tränen in den Augen sagte sie mir, daß sie ihren Tod nur deshalb beklagte, weil sie gern noch mitgeholfen hätte, eine passende Braut für Dich auszusuchen. Es gab ja nicht mehr viele in Rom, die in Frage kamen. Antonia ermahnte mich, mit Bedacht zu wählen und Dich zu verloben, sobald das rechte Mädchen zwölf Jahre alt geworden war. Aber Du willst ja auf meine vernünftigen Vorschläge nicht hören.

Die Wachtposten wurden unruhig und trieben mich zum Aufbruch. Wir mußten Abschied nehmen. Solange ich lebe, werde ich Antonias tränennasses, lächelndes, vornehm schönes Antlitz nicht vergessen. Ich hatte jedoch einen Plan gefaßt, der mir die Trennung erleichterte, obwohl ich den schwersten Schritt meines Lebens vor mir hatte.

Ich mochte nicht nach Hause gehen, ich mochte Claudia nicht sehen, und nicht einmal Dich, mein Sohn. Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich in den Gärten auf dem Palatin umherwanderte. Eine Zeitlang stand ich an eine vom Feuer versengte uralte Pinie gelehnt, die mit unglaublicher Lebenskraft noch immer grünte. Ich blickte nach Ost und West, nach Nord und Süd. Selbst wenn dies alles eines Tages mein gewesen wäre, ich hätte das ganze Erdenrund gegeben für einen einzigen Kuß Antonias und alle Perlen Indiens für die Weiße ihrer Glieder. So wunderbar verblendet den Menschen die Liebe. Dabei war Antonia älter als ich und ihre üppige Blüte lang vorbei. Ihr schmales Gesicht trug die Furchen des Leids und der Erfahrung, und sie hätte da und dort ein wenig fülliger sein dürfen. In meinen Augen aber erhöhte diese Magerkeit nur ihren Zauber. Das Zittern ihrer Nasenflügel, die jähen Bewegungen ihres Kopfes … Schöneres habe ich in meinem Leben nicht gesehen.

Ich blickte in meiner Verzückung auf das Forum nieder, auf seine uralten Bauten, auf das neue Rom, das aus Asche und Ruinen entstand, auf Neros Arkaden und das Goldene Haus drüben auf dem Esquilin, das im Sonnenaufgang glänzte. An Grundstücksgeschäfte dachte ich in diesem Augenblick eigentlich nicht, aber es fiel mir doch ein, daß mein altes Haus auf dem Aventin zu eng geworden war und daß ich mir um Deinetwillen in naher Zukunft eine neue Wohnstatt schaffen mußte, so nah wie möglich beim Goldenen Haus.

Ich wandte mich ab und stieg den Palatin hinunter, um zum Goldenen Haus hinüberzugehen und bei Neros Morgenempfang um Vortritt zu bitten. Wenn ich Antonia schon anzeigen mußte, so durfte mir kein anderer zuvorkommen. Beim Gedanken an den Wahnwitz des Lebens lachte ich laut auf, so daß ich bald weinend, bald lachend dahinging, wie ein Mensch, dessen Sinne sich verwirrt haben. Und plötzlich rief ich: »Die Welt ist sinnlos!« als hätte ich eine neue, überraschende Wahrheit entdeckt. Die höchste Weisheit schien es mir jedenfalls in meiner Verfassung zu sein, obwohl ich mich später wieder beruhigte und auf andere Gedanken kam.

Ich erschrak, als ich die im Empfangssaal Wartenden begrüßte, denn sie schienen mir alle Tierköpfe auf den Schultern zu tragen. Es war ein so überraschender Anblick, daß ich mir mit der Hand über die Augen fahren mußte. In dem von Silber und Elfenbein schimmernden Saal, dessen Boden ein riesiges Mosaik zierte, das ein Festmahl der Götter darstellte, waren viele Menschen versammelt, um geduldig zu warten, bis sie – manche erst gegen Mittag – einen Schimmer von Nero erhaschen durften. Die ganze Tierwelt war unter ihnen vertreten, von Kamelen und Igeln bis zu Stieren und Schweinen. Tigellinus glich in meinen Augen so sehr einem mageren Tiger, daß ich mir, als ich ihn begrüßte, mit der flachen Hand vor den Mund schlagen mußte, um nicht laut zu lachen. Dieses seltsame Trugbild, gewiß eine Folge der durchwachten Nacht, der Erschöpfung von der Liebe und des Aufruhrs, der in mir herrschte, zerrann, als ich vor allen anderen in Neros Schlafgemach eingelassen wurde, weil ich meine Angelegenheit als äußerst wichtig dargestellt hatte. Nero hatte Acte als Bettgenossin. Das zeigte mir, daß er seiner Laster müde geworden war und zu natürlichen Gewohnheiten zurückkehren wollte, was ja bisweilen vorkommt.

Nero sah ich nicht als Tier. Er dünkte mich vielmehr ein leidender, vor grenzenlosem Mißtrauen verzweifelter Mensch oder besser noch als ein verwöhntes Kind, das nicht verstehen konnte, warum andere es böse nannten. Er wollte doch allen wohl und war zudem ein großer Sänger, vielleicht der beste seiner Zeit, wie er selbst aufrichtig glaubte. Ich kann es nicht beurteilen, denn ich bin eher unmusikalisch.

Wie dem auch sei: als ich eintrat, machte Nero wie jeden Morgen gerade seine Stimmübungen. Sein Gesang drang, von Gurgeln unterbrochen, durch das ganze Goldene Haus. Nero wagte nicht einmal Obst zu essen, weil ihm irgendein Arzt gesagt hatte, es sei nicht gut für die Stimme. Meiner Meinung nach sind aber Äpfel oder Weintrauben, am Morgen zu dem üblichen Honigbrot genossen, sehr erfrischend, und außerdem fördern sie die Verdauung, was für Menschen, die auch in fortgeschrittenem Alter noch eine reichgedeckte Tafel schätzen, wichtig ist.

Als ich nun mit zitternder Stimme Antonias Namen hervorstammelte, bekam Nero sein salziges Gurgelwasser in die falsche Kehle. Er hustete so, daß er schon zu ersticken glaubte. Acte mußte ihm auf den Rücken klopfen, und er wurde wütend und jagte sie hinaus.

»Was sagst du da über Antonia, verfluchter Verräter?« fragte Nero, als Acte gegangen war und er wieder sprechen konnte.

Ich gestand zitternd, daß ich ihm bisher Antonias Teilnahme an der Verschwörung verschwiegen hätte – aus Achtung vor ihrem Vater, dem Kaiser Claudius, der seinerzeit, als ich die Toga anlegte, bei mir Pate gestanden war und mir den Namen Lausus gegeben hatte. Nun lasse mir aber mein Gewissen keine Ruhe, und ich könne, um Neros Sicherheit willen, nicht mehr schweigen.

Ich warf mich auf die Knie nieder und erzählte, daß mich Antonia oft zur Nachtzeit habe rufen lassen und daß sie versucht habe, mich zur Teilnahme an der Verschwörung zu bewegen, indem sie mir reichen Lohn und hohe Ämter in Aussicht stellte. Sie sei der Meinung gewesen, daß ich als Freund Neros Gelegenheit hätte, einen Mord mit Gift oder Dolch zu planen.

Um Salz in die Wunde zu streuen, behauptete ich außerdem, Antonia habe versprochen, nach dem Staatsstreich die Gemahlin Pisos zu werden. Wie ich schon sagte, ging dieses unsinnige Gerücht wirklich in Rom um, und ich wußte, daß es mehr als alles andere danach angetan war, Neros Eitelkeit zu kränken. Antonia hatte ja Nero abgewiesen.

Er wollte mir jedoch noch immer nicht glauben. Es schien über seinen Verstand zu gehen, daß sich Antonia einer so unbedeutenden Person anvertraut hatte, wie ich es in seinen Augen war.

Er ließ mich unverzüglich festnehmen und unter Bewachung des diensthabenden Zenturios des Palastes in einen noch unvollendeten Saal sperren, in dem ein berühmter Handwerker an einem prachtvollen Gemälde arbeitete, das den Zweikampf Achills und Hektors vor den Mauern Trojas darstellte. Nero war ja aus julischem Geschlecht und wollte seine Gäste gern daran erinnern, daß seine Abstammung auf ein unziemliches Verhältnis zwischen dem Troer Aeneas und der Venus zurückging. Deshalb mißachtete er auch den Tempel des Vulcanus und äußerte sich stets nur geringschätzig über den Gott. Die einflußreiche Zunft der Schmiede nahm ihm das sehr übel.

Der Geruch der Farbe reizte mich ebenso sehr wie das selbstgefällige Benehmen des Malers. Ich durfte mich nicht einmal halblaut mit meinem Bewacher unterhalten, denn das hätte ihn bei seiner wichtigen Arbeit stören können. Im übrigen kränkte es mich, daß Nero mir nicht einen Kriegstribunen als Wache gegeben hatte, sondern daß ich mich mit der Gesellschaft eines Zenturios begnügen mußte. Er war aber wenigstens römischer Ritter, und ich hätte mich mit ihm, um mir die Zeit zu vertreiben und meine Unruhe zu lindern, über Pferde unterhalten können, wenn der Handwerker nicht so eingebildet gewesen wäre.

Ich wagte es jedoch nicht, ihn zu verunglimpfen, denn er stand hoch in Neros Gunst. Nero behandelte ihn mit herablassender Achtung und hatte ihm das Bürgerrecht verliehen. Deshalb malte er immer in der Toga, so lächerlich das auch aussah. Nero hatte sogar einmal die Absicht geäußert, ihn in den Ritterstand zu erheben, aber zum Glück hatte er diesen wahnwitzigen Gedanken wieder fallengelassen. Ein farbiger Tierbändiger wie Epaphroditus, das mochte noch angehen, aber ein Handwerker, der Bilder malt … Nein, es hat alles seine Grenzen. Das sah sogar Nero ein.

Ich mußte bis zum Nachmittag warten, aber Nero schickte mir Speisen von seiner eigenen Tafel, und ich machte mir daher keine allzu großen Sorgen. So leise wie möglich würfelte ich mit dem Zenturio, und wir tranken reichlich Wein, obgleich er es nicht wagte, sich einen Rausch anzutrinken, weil er im Dienst war. Ich benützte die Gelegenheit, um Claudia Nachricht zu senden, daß man mich als Verdächtigen festhielt.

Deine Mutter sah zwar ein, daß ich für Deine Zukunft sorgen mußte, meinte aber in ihrer echt weiblichen Unvernunft, es sei darum nicht nötig, daß ich die Rolle des Verräters spielte. Nun sollte sie ruhig ein wenig um mich bangen, obwohl ich selbst bei weitem nicht so in Sorge war, wie ich es ihr in meiner Mitteilung zu verstehen gab. Allerdings kannte ich Neros Launenhaftigkeit und verließ mich nicht auf seine Ratgeber, nicht einmal auf Tigellinus, der mir aus mehreren Gründen Dank schuldete.

Ich war reich, und das konnte Nero reizen, obgleich ich stets mein Bestes getan hatte, die wirkliche Größe meines Vermögens zu verbergen. Mit Unbehagen dachte ich an das Schicksal des Konsuls Vestinus, der nicht einmal an der Verschwörung teilgenommen hatte, und mein einziger Trost war, daß Statilia Messalina gerade wegen Vestinus auf meiner Seite stand.

Nero hatte sich noch nicht mit ihr vermählt, weil das Gesetz eine Wartezeit von neun Monaten vorschreibt, aber Statilia Messalina bereitete schon ein glänzendes Hochzeitsfest vor, und auf die Freuden des Bettes hatte Nero schon zu Lebzeiten des Vestinus reichlichen Vorschuß genommen. An Acte hielt er sich im Augenblick vermutlich deshalb, weil Statilia, um sich als ein besserer Mensch fühlen zu dürfen, der Mondgöttin opferte. Acte neigte heimlich zu der Lehre der Christen, das wußte ich aus sicherer Quelle, und sie versuchte mit Milde, Neros gute Eigenschaften zu fördern. Nero hatte gewiß auch solche, aber diese Aufgabe ging doch über das Vermögen einer Frau, wer sie auch sein mochte.

Statilia Messalina tat eher das Gegenteil. Sie führte als erste in Rom die ursprünglich germanische Mode ein, mit unverhüllter linker Brust zu gehen, und sie konnte es sich leisten, denn sie war mit Recht stolz auf ihre wohlgeformten Brüste. Die Frauen, die von der Natur weniger gut ausgestattet worden waren, nahmen Anstoß an der neuen Mode und erklärten sie für unsittlich. Als ob etwas Schlimmes daran wäre, eine schöne Brust zu zeigen! Es treten ja bei den öffentlichen Opfern auch die Priesterinnen und bei gewissen Gelegenheiten sogar die Vestalinnen mit nackten Brüsten auf, weshalb ich lieber von einem durch tausendjährige Überlieferung geheiligten Brauch sprechen möchte als von etwas Unsittlichem.

Bis zum Abend hatte Tigellinus von den Männern, die in Tullianum noch das Leben hatten behalten dürfen, genug Beweise für Antonias Teilnahme an der Verschwörung gesammelt. In der Hoffnung auf Belohnung hatten sich sogar ein paar feige Verräter gefunden, die ohne mit der Wimper zu zucken schworen, Antonia habe wirklich gelobt, sich mit Piso zu vermählen, sobald dieser seine Gattin losgeworden wäre. Die beiden hätten sogar schon Verlobungsgeschenke ausgetauscht, behaupteten sie. Man nahm bei Antonia eine Hausdurchsuchung vor und fand ein Halsband mit indischen Rubinen, das Piso heimlich bei einem syrischen Goldschmied gekauft hatte. Wie es in Antonias Haus kam, weiß ich nicht und will ich auch nicht wissen.

Alle diese Beweise überzeugten Nero endlich. Er spielte den tief Betrübten, obwohl er natürlich insgeheim froh war, einen Grund zu haben, Antonia zu beseitigen. Um mir eine Gunst zu erweisen, nahm er mich in seinen neuen Tiergarten mit, wo Epaphroditus eine kleine Vorstellung zu seiner Unterhaltung vorbereitet hatte. Ich staunte, als ich einen nackten Knaben und ein nacktes Mädchen erblickte, die an Pfählen in der Nähe der Löwenkäfige festgebunden waren. Epaphroditus war mit der glühenden Eisenstange eines Tierbändigers bewaffnet und trug ein Schwert an der Seite. Er machte mir aber heimlich ein Zeichen, mich nicht zu beunruhigen.

Dennoch erschrak ich, wie ich offen zugeben muß, als ich plötzlich ein dumpfes Brüllen vernahm und einen Löwen, der mit dem Schweif den Sand peitschte, auf die Pfähle zuspringen sah. Er richtete sich auf, um die nackten Opfer zu kratzen, und schnupperte auf eine widerliche Art an ihren Geschlechtsteilen. Zu meiner Verwunderung litten jedoch die Kinder, die sich vor Entsetzen wanden, keinen nennenswerten Schaden. Als der Löwe sich ein wenig beruhigt hatte, trat Epaphroditus auf ihn zu und rannte ihm das Schwert in den Bauch, daß das Blut weithin spritzte und der Löwe auf den Rücken fiel, mit den Pranken in der Luft herumschlug und schließlich so glaubwürdig, wie man es sich nur wünschen konnte, den Geist aufgab.

Als der Knabe und das Mädchen losgebunden und hinausgeführt worden waren, kroch aus der Löwenhaut Nero hervor und fragte stolz, ob er durch seine Schauspielkunst nicht sogar mich getäuscht habe, obwohl ich doch genug Erfahrung mit Raubtieren hatte. Selbstverständlich versicherte ich ihm, ich hätte den Löwen für echt gehalten.

Nero zeigte mir die in die Löwenhaut eingebauten Stahlfedern und anderen Mechanismen und die Blutblase, in die Epaphroditus mit dem Schwert ein Loch gestoßen hatte. Ich wunderte mich nachher noch lange über dieses wahnsinnige Spiel, das Nero große Befriedigung zu verschaffen schien und dessen er sich doch ein wenig schämte, denn nur wenige seiner Freunde durften es mit ansehen.

Nachdem er mir nun auf diese Weise sein Vertrauen bewiesen hatte, musterte er mich mit einem heimtückischen Blick und sagte mit erheuchelter Sanftmut: »Es gibt genug Beweise für Antonias Schuld, und ich muß ihnen glauben, sosehr es mich auch schmerzt, daß sie sterben muß. Sie ist ja meine Halbschwester. Du hast mir die Augen geöffnet. Deshalb sollst auch du die Ehre haben, zu ihr zu gehen und sie zu bitten, sich die Pulsadern zu öffnen. Tut sie das freiwillig und in aller Stille, so will ich die Sache nicht an die Öffentlichkeit bringen. Es geht ja auch um mein Ansehen. Ich werde ihr sogar ein Staatsbegräbnis bewilligen und ihre Urne im Mausoleum des Gottes Augustus aufstellen lassen. Darauf hat sie ein Recht durch ihre Geburt. Dem Senat und dem Volk sage ich, daß sie im Wahnsinn Selbstmord begangen hat oder weil sie sich die Schmerzen einer unheilvollen Krankheit ersparen wollte. Irgendeine Erklärung wird sich schon finden, wenn sie sich nur anständig benimmt und keine Umstände macht.«

Ich war so verblüfft, daß mir die Worte im Halse steckenblieben, denn Nero kam mir zuvor. Ich hatte ihn selbst um die Gunst bitten wollen, Antonia die Todesbotschaft überbringen zu dürfen, um in ihren letzten Stunden bei ihr zu sein und ihre Hand in der meinen halten zu können, während das Blut aus ihrem schönen Körper rann. Der Gedanke daran hatte mir geholfen, die qualvolle Spannung dieses langen Tages zu ertragen. Nero legte mein Schweigen falsch aus. Er lachte auf, schlug mir auf die Schulter und sagte im Tone der Verachtung: »Ich verstehe, daß es dir wenig behagt, dich Antonia als Verräter zu erkennen zu geben. Irgend etwas werdet ihr schon miteinander getrieben haben bei euern heimlichen Begegnungen. Ich kenne Antonia.« Ich glaube aber nicht, daß er ernstlich annahm, Antonia könnte sich zu einem Mann wie mir herabgelassen haben, da sie doch Nero abgewiesen hatte. So groß war seine männliche Eitelkeit.

Nero glaubte mich zu demütigen, indem er mich zu Antonia schickte, denn zuinnerst verachtete er alle Verräter. Es gibt da jedoch gewisse Unterschiede, das glaube ich durch meinen Bericht schon bewiesen zu haben. Meine Beweggründe waren eher edel als selbstsüchtig. Ich dachte nur an Dich, mein Sohn, und damit an die Zukunft des julischen Geschlechts. Mein eigenes Leben zu retten war mir nicht so wichtig. Wie dem auch sei: in dem Glauben, mich zu demütigen, gewährte mir Nero die größte Freude, die ich erhoffen durfte.

Das las ich in Antonias strahlendem Gesicht, als sie mich noch einmal wiedersah, nachdem sie schon geglaubt hatte, wir hätten für alle Zeiten voneinander Abschied genommen. Noch niemand hat so sein Todesurteil angehört: mit ausgestreckten Armen, lächelndem Gesicht und leuchtenden Augen. Sie zeigte mir ihre Freude so deutlich, daß ich den Kriegstribunen und seine Soldaten augenblicklich bat, sich zu entfernen. Es genügte, wenn sie das Haus von außen bewachten.

Ich wußte, daß Nero ungeduldig die Nachricht von Antonias Tod erwartete. Auch er hatte es nicht leicht. Aber ich nahm an, er werde verstehen, daß es seine Zeit brauchte, Antonia dazu zu überreden, ohne jedes Aufsehen Selbstmord zu begehen. Zwar bedurfte es dazu in Wirklichkeit nicht eines einzigen Wortes, aber das wußte Nero nicht.

Ich wollte keine unersetzliche Zeit verlieren, indem ich Antonia nach Pisos Halsband fragte, obwohl die Eifersucht an meiner Leber fraß. Wir sanken einander noch einmal in die Arme, und wenn ich mich schon nach der durchwachten Nacht und dem zermürbenden Warten dieses langen Tages als Liebhaber nicht sonderlich auszeichnete, so durften wir doch ganz nah beisammenliegen, so nahe, wie zwei Menschen einander nur kommen können. Ihre Sklavinnen bereiteten indessen ein warmes Bad in ihrem Porphyrbecken. Nackt schritt sie vor mir her in den Baderaum und bat mich mit Tränen in den Augen, alles auf das rascheste zu vollbringen. Ich schnitt ihr im warmen Wasser mit einem scharfen Messer so behutsam und geschickt wie möglich die Pulsadern in den Armbeugen auf. Sie versuchte, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen, um mir nicht weh zu tun, konnte aber doch ein leises Stöhnen nicht unterdrücken.

Als das Blut rasch hervorzuquellen begann und das balsamduftende Bad rötete, bat mich Antonia, ihr die Schwäche zu verzeihen. Sie hatte sich, reich und verwöhnt, nie an das geringste Unbehagen zu gewöhnen brauchen, erklärte sie mir zu ihrer Rechtfertigung. Die Sklavinnen, die ihr das schöne helle Haar bürsteten, mußten achtgeben, daß sie sie nicht zupften, sonst stach sie ihnen eine Nadel in die Brust.

Als ich nun über das Becken gebeugt Antonia hielt, den einen Arm um ihren Hals gelegt, den Mund auf den ihren gepreßt, ihre Hand in der meinen, dünkte mich mein eigenes Leben von so geringem Wert, daß ich aufrichtig darum bat, mit ihr sterben zu dürfen.

»Das ist das Liebste, was je ein Mann zu mir gesagt hat«, flüsterte sie mit matter Stimme und küßte mich aufs Ohr. »Du mußt aber um unseres Sohnes willen weiterleben. Vergiß die guten Ratschläge nicht, die ich dir für seine Zukunft gegeben habe. Und denk auch daran, mir eine deiner alten etruskischen Goldmünzen in den Mund zu legen, bevor man mir das Kinn aufbindet und mich für den Scheiterhaufen herrichtet. Das wird mir dein letztes und liebstes Geschenk sein, obwohl ich es werde hergeben müssen, um Charon zu entlohnen. Wenigstens wird er mich behandeln, wie es meinem Rang gebührt. Ich möchte auf seiner Fähre nicht vom Pöbel angerempelt werden.«

Eine Weile später öffneten sich ihre Lippen unter den meinen, und der Griff ihrer Hand lockerte sich. Ich hielt jedoch ihre schlanken Finger fest und küßte ihr geliebtes Antlitz, bis das Ende kam.

Als sie tot war und ich nicht den leisesten Atemhauch mehr spürte, trug ich ihren blutigen Leichnam in das Bett zurück und wusch mir rasch die Blutspuren ab. Zu meiner Freude konnte ich feststellen, daß Antonia die neueste ägyptische Seife meines Freigelassenen verwendet hatte. Sie war freilich nicht wirklich ägyptisch, sondern wie seine übrigen Seifen und allgemein beliebten Zahnpulver in Rom hergestellt, aber die Leute zahlten für die Seifen mehr, wenn er ihnen hübsche Namen gab.

Nachdem ich mich angekleidet hatte, rief ich den Zenturio und die Soldaten herein, damit sie bezeugten, daß Antonia freiwillig Selbstmord begangen hatte. Den Sklavinnen überließ ich ihren Leichnam erst, nachdem ich ihr eine der uralten Goldmünzen in den Mund gelegt hatte, die meine Freigelassenen in alten Gräbern in Caere gefunden hatten. Ich bat den Hofmeister, darauf zu achten, daß sie nicht gestohlen wurde, denn ich selbst mußte rasch zu Nero zurückkehren.

Nero hatte nach seinem Löwenspiel reichlich Wein getrunken, um sich zu beruhigen, und dankte mir überrascht dafür, daß ich meinen peinlichen Auftrag so schnell ausgeführt hatte. Er bestätigte mir noch einmal mit seinem kaiserlichen Wort, daß ich das Erbe nach Jucundus behalten durfte, und versprach, er werde in der Kurie ein Wort für mich einlegen, damit ich einen Senatorenschemel erhielt. Das habe ich schon berichtet. Ich fühle mich erleichtert, weil ich nun den traurigsten Teil meiner Geschichte niedergeschrieben habe.


Wenige Wochen später geriet ich selbst gerade Antonias wegen in Lebensgefahr, doch was bedeutete das schon, verglichen mit dem soeben Geschilderten. Zum Glück hatte ich Freunde, die mich rechtzeitig von den Nachforschungen unterrichteten, die Nero anstellen ließ, als Antonias Testament bekannt wurde. Auf diese Weise war es mir möglich, Claudia vorzubereiten, die allerdings meinen ganzen Plan widerwärtig fand.

Ich verstehe heute noch nicht, warum Antonia, eine erfahrene, in politischen Dingen bewanderte Frau, Dich unbedingt in ihrem Testament bedenken mußte, obwohl ich sie seinerzeit davor gewarnt hatte. Wir waren vor ihrem Tode nicht mehr auf das Testament zu sprechen gekommen, denn wir hatten anderes miteinander zu reden, und im übrigen hatte ich, offen gestanden, vergessen, was sie damals, als sie Dir den Namen Antonianus gab, versprochen hatte.

Nun mußte ich mich so rasch wie möglich Rubrias entledigen, denn sie war als die älteste der Vestalinnen die einzige, die über Deine wahre Abstammung rechtsgültig Zeugnis ablegen konnte. Meine Begegnung mit ihr mag ich nicht genauer schildern. Ich will nur soviel sagen, daß ich vorher eine kleine Reise unternehmen mußte, um die alte Locusta auf dem hübschen Landgut zu besuchen, das Nero ihr geschenkt hatte. Sie zog in den Gärten dort zusammen mit ihren Schülern mancherlei Arzneipflanzen, wobei sie bei Aussaat und Ernte die Stellung der Gestirne mit wissenschaftlicher Genauigkeit beobachtete.

Zu meiner Erleichterung erweckte Rubrias Tod bei den Ärzten nicht den geringsten Verdacht. Sie war nicht einmal dunkel im Gesicht geworden. Zu solcher Höhe hatte Locusta in ihren alten Tagen ihre Kunst entwickelt. Nero stellte ihr aber auch immer wieder Verbrecher, die nichts Besseres verdienten, zur Verfügung, an denen sie ihre Arzneien erproben konnte.

Mein Besuch bei Rubria gab zu keinen Fragen Anlaß, denn sie empfing viele Besucher im Artium der Vestalinnen. So konnte ich in mein geheimes Versteck das versiegelte Dokument einmauern, in dem sie Claudias Herkunft bezeugte, die Aussage der toten Paulina wiedergab und bestätigte, daß Antonia Deine Mutter Claudia als ihre Halbschwester betrachtet und Dir zum Zeugnis dessen den Namen Antonianus gegeben hatte.

An einigen äußerlichen Anzeichen glaubte ich zu bemerken, daß ich in Ungnade gefallen war, und ich war daher nicht überrascht, als Nero mich zu sich rufen ließ, damit ich ihm Rede und Antwort stünde, ja ich glaube sogar, mich gut vorbereitet zu haben. Nero biß sich auf die Lippen, und sein Kinn zitterte, als er mir befahl: »Laß mich etwas über deine Ehe hören, Manilianus, von der ich noch nichts weiß, und versuche mir eine glaubhafte Erklärung dafür zu geben, daß Antonia deinen Sohn in ihrem Testament bedacht und ihm sogar ihren eigenen Namen verliehen hat. Ich wußte nicht einmal, daß du außer dem Bankert des Epaphroditus noch einen Sohn hast!«

Ich wich seinem Blick aus und gab mir Mühe, vor Furcht zu zittern, wozu es allerdings, um ehrlich zu sein, keiner großen Anstrengung bedurfte. Nero argwöhnte, ich hätte etwas zu verbergen, und fuhr fort: »Ich würde nichts sagen, wenn Antonia sich damit begnügt hätte, dem Knaben den Siegelring ihres Onkels Sejanus zu vermachen, aber es ist unfaßbar, daß sie ihm einen großen Teil des Familienschmucks der Julier gab, den sie von der Mutter des Claudius, der alten Antonia, geerbt hatte, unter anderem eine Schulterspange, die der Gott Augustus im Feld und bei den staatlichen Opfern getragen haben soll. Noch merkwürdiger aber ist es, daß deine Ehe nirgends eingetragen ist und daß dein Sohn nicht einmal in die neue Einwohnerliste – von der Ritterrolle ganz zu schweigen – eingeschrieben wurde, obwohl die vorgeschriebene Frist längst abgelaufen ist. An der Sache ist etwas faul.«

Ich warf mich zu seinen Füßen nieder und rief mit erheuchelter Reue: »Schon lange plagt mich deshalb das Gewissen, aber ich schäme mich so, daß ich noch mit keinem meiner Freunde darüber zu sprechen wagte. Meine Gattin Claudia ist Jüdin.«

Nero brach vor Erleichterung in ein so gewaltiges Gelächter aus, daß es seinen gedrungenen Körper schüttelte und ihm die Tränen in die Augen traten. Er schickte nicht gern jemanden auf einen bloßen Verdacht hin in den Tod, am allerwenigsten seine wirklichen Freunde.

»Minutus, Minutus«, sagte er tadelnd, als er wieder zu sprechen imstande war. »Es ist keine Schande, Jude zu sein. Du weißt, wieviel jüdisches Blut im Laufe der Jahrhunderte in unsere vornehmsten Familien eingedrungen ist. Um meiner geliebten Poppaea willen kann ich die Juden nicht für schlechter halten als andere Menschen. Ich dulde sie sogar in den staatlichen Ämtern, innerhalb vernünftiger Grenzen, versteht sich. Wo ich herrsche, sind alle Menschen, als Menschen betrachtet, gleich, seien sie nun Römer oder Griechen, schwarz oder weiß. Daher habe ich auch nichts gegen die Juden.«

Ich stand auf und gab mir den Anschein tiefer Verlegenheit. »Wenn das alles wäre, würde ich nicht gezögert haben, meine Gattin dir und meinen anderen Freunden vorzustellen«, sagte ich bekümmert. »Zu alledem stammt sie aber auch noch von Sklaven ab. Ihre Eltern waren elende Freigelassene der Mutter des Claudius, also gewissermaßen deiner Großmutter. Deshalb heißt sie Claudia. Du wirst nun verstehen, weshalb ich mich ihrer schäme. Vielleicht wollte Antonia dem Knaben zur Erinnerung an ihre Großmutter ein paar billige Schmuckstücke hinterlassen. Daß er Antonianus heißen soll, war der Wunsch meiner Gattin Claudia.«

Nun spielte ich den Zornigen und sagte: »Im übrigen meine ich, es ist die reine Bosheit, daß Antonia meinen Sohn in ihrem Testament bedacht hat. Sie wollte, daß man mich verdächtigt, denn sie wußte, daß ich Scevinus, Piso und andere angezeigt hatte; daß ich, von meinem Gewissen getrieben, um deiner Sicherheit willen eines Tages sie selbst anzeigen würde, konnte sie damals freilich noch nicht ahnen. Wahrhaftig, ich bereue es jetzt nicht mehr.«

Nero runzelte die Stirn und dachte nach. Da ich bemerkte, daß sein Mißtrauen von neuem erwachte, fuhr ich rasch fort: »Es ist das beste, ich gestehe dir auch gleich, daß ich zum Glauben der Juden neige. Das ist kein Verbrechen, wenngleich unpassend für einen Mann in meiner Stellung. Aber meine Gattin ist sehr starrsinnig. Sie zwingt mich, die Julius-Caesar-Synagoge aufzusuchen. Das tun aber auch andere Römer. Die Mitglieder dieser Synagoge scheren sich den Bart, kleiden sich wie andere Menschen und gehen ins Theater.«

Nero starrte mich noch immer finster an. »Deine Erklärung klingt recht glaubwürdig«, sagte er, »nur hat Antonia leider diesen Zusatz zu ihrem Testament schon vor mehr als einem halben Jahr beurkunden lassen. Damals konnte sie noch nicht ahnen, daß du die Verschwörung des Piso verraten würdest.«

Ich sah ein, daß ich noch mehr gestehen mußte, und war dazu bereit, obgleich ich mich noch eine Weile wand, um Nero nicht durch eine allzu plötzliche Offenherzigkeit in seinem Mißtrauen zu bestärken. Er glaubte felsenfest, daß alle Menschen etwas vor ihm verbargen. Ich blickte daher zu Boden, scharrte mit dem einen Fuß auf einem Mosaik, das Mars und Venus zeigte, die einander umarmten und im Kupfernetz des Vulcanus gefangen waren, und ausgezeichnet zu meiner Lage paßte, knetete verlegen meine Hände und brachte kein Wort hervor, bis Nero plötzlich schrie: »Sag mir augenblicklich alles, sonst lasse ich dir deine nagelneuen roten Schnürstiefel abnehmen! Daß der Senat nichts dagegen einzuwenden hätte, weißt du selbst am besten!«

»Ich verlasse mich auf deinen Edelmut und dein Taktgefühl!« rief ich. »Behalte mein schändliches Geheimnis für dich, und sprich davon nicht zu meiner Gattin. Ihre Eifersucht ist unerträglich. Sie ist in dem gewissen Alter, und ich verstehe selbst nicht mehr, wie ich ihr ins Garn gehen konnte.«

Nero witterte eine anzügliche Geschichte. Er leckte sich die Lippen und sagte: »Es heißt, die Jüdinnen hätten im Bett ihre besonderen Vorzüge. Außerdem wirst du ihre jüdischen Verbindungen schon für deine Zwecke ausgenutzt haben. Mich führst du nicht hinters Licht. Ich verspreche dir gar nichts. Laß hören!«

Stammelnd gestand ich ihm: »In ihrem Ehrgeiz setzte meine Gattin es sich in den Kopf, wir müßten Antonia einladen, wenn ich meinem Sohn seinen Namen gab und ihn in Gegenwart von Zeugen auf meine Knie setzte und anerkannte.«

»So wie du seinerzeit Lausus anerkanntest«, bemerkte Nero spaßend. »Aber sprich weiter.«

»Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Antonia wirklich kommen würde, wenngleich der Kleine ein Enkel der Freigelassenen ihrer Großmutter ist«, sagte ich. »Damals hatte sie jedoch wenig Umgang und sehnte sich nach Abwechslung. Aus Gründen der Schicklichkeit brachte sie die Vestalin Rubria mit, die sich, nebenbei bemerkt, an diesem Abend einen Rausch antrank. Friede ihrem Andenken. Ich kann es mir nicht anders erklären, als daß Antonia irgend etwas Vorteilhaftes über mich gehört hatte und mich kennenlernen wollte. Sofern sie nicht schon damals darauf aus war, für spätere Zwecke Freunde und Anhänger zu werben! Als sie ein wenig Wein getrunken hatte, gab sie mir zu verstehen, ich sei in ihrem Haus auf dem Palatin jederzeit willkommen, am liebsten ohne meine von Sklaven herstammende Gattin.«

Nero errötete, seine Mundwinkel zuckten, und er beugte sich vor, um sich kein Wort entgehen zu lassen.

»Ich war so eitel, daß ich mich durch ihre Einladung geehrt fühlte«, fuhr ich fort. »Zugleich aber sagte ich mir, daß ich sie nur einer Weinlaune oder irgendeinem anderen, mir noch nicht bekannten Grunde verdankte. Dennoch suchte ich sie eines Abends auf, und sie empfing mich sehr freundlich … Nein, ich wage nicht weiterzuerzählen.«

»Du brauchst dich nicht zu schämen«, sagte Nero. »Ich weiß genug über deine Besuche bei ihr. Sie sollen bis zum Morgen gedauert haben. Ich habe sogar schon daran gedacht, daß Antonia deinen Sohn heimlich geboren haben könnte, aber wie ich höre, ist er ja schon sieben Monate alt. Außerdem wissen wir, daß Antonia unfruchtbar war wie eine alte Kuh.«

Mit rotem Kopf gestand ich nun also, daß Antonia mir auch im Bett große Gastfreundschaft erwiesen und an mir Gefallen gefunden hatte, so daß sie mich recht oft bei sich haben wollte. Ich aber war wegen meiner Gattin in Sorge, unser Verhältnis könnte entdeckt werden. Vielleicht, sagte ich, hatte ich Antonia in ihrer Einsamkeit so gut getröstet, daß sie deshalb meinen Sohn in ihrem Testament bedachte, da sie mir schon aus Gründen der Schicklichkeit nichts geben konnte.

Nero lachte und schlug sich auf die Knie. »Das alte Luder!« schrie er. »Hat sie sich also mit dir eingelassen! Aber du warst nicht der einzige. Ob du mir’s glaubst oder nicht: sie hat es auch mit mir einmal versucht, als ich ihr aus bloßer Freundlichkeit und um der Verwandtschaft willen ein wenig geschmeichelt hatte. Ich war natürlich betrunken. Sie hängte sich mir an den Hals, und schon hatte ich ihre spitze Nase und ihre dünnen Lippen im Gesicht. Danach streute sie das wahnsinnige Gerücht aus, ich hätte um sie geworben. Pisos Halsband zeigt ja deutlich genug, wie lasterhaft sie war. Gewiß hat sie’s auch mit Sklaven getrieben, wenn sie gerade nichts Besseres bei der Hand hatte. Da warst du ihr freilich gut genug!«

Ich ballte die Fäuste und zwang mich zu schweigen.

»Statilia Messalina hat übrigens viel Freude an Pisos Halsband«, sagte Nero. »Sie läßt sich sogar die Brustwarzen in der Farbe dieser Taubenblutrubine schminken.«

Nero war von seinen eigenen Einfällen so begeistert, daß ich mich der schlimmsten Gefahr entronnen wußte. Er war erleichtert und guter Laune, aber gerade weil er nun zum Scherzen aufgelegt war, wollte er mich für meine Geheimniskrämerei auf solche Weise strafen, daß ich in der ganzen Stadt zum Gespött wurde. Er dachte eine Weile nach und sagte dann: »Ich will natürlich deine Gattin sehen und mich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß sie Jüdin ist. Ebenso will ich die Zeugen verhören, die zugegen waren, als dein Sohn seine Namen erhielt. Ich nehme an, sie sind auch alle Juden. Ferner lasse ich in der Julius-Caesar-Synagoge nachfragen, ob du wirklich so ein treuer Besucher bist. Unterdessen kannst du mir den Gefallen tun, dich der Einfachheit halber beschneiden zu lassen. Deine Gattin wird sich nur darüber freuen, und außerdem finde ich es nicht mehr als recht und billig, daß du an dem Körperteil bestraft wirst, mit dem du meine Halbschwester Antonia entehrt hast. Danke deinem Glück, daß ich so gut aufgelegt bin und dich so leicht davonkommen lasse!«

Ich erschrak und bat ihn demütig, mich nicht so entsetzlich zu kränken. Aber ich hatte ja selbst den Hals in die Schlinge gesteckt. Als Nero mein Erschrecken sah, freute er sich erst recht über seinen Einfall. Er legte mir tröstend die Hand auf die Schulter und sagte: »Es ist nur gut, wenn ein Beschnittener im Senat sitzt und sich um die Angelegenheiten der Juden kümmert. Geh also und sieh zu, daß das rasch erledigt wird, und dann schaffe mir deine Gattin und die Zeugen her. Und komme selbst mit, wenn du noch gehen kannst. Ich will mich davon überzeugen, daß du meinem Befehl gehorcht hast.«

Ich mußte nach Hause gehen und Claudia und den beiden Zeugen, die voller Angst auf meine Rückkehr warteten, sagen, daß wir uns binnen kurzem im Empfangssaal des Goldenen Hauses einzufinden hatten. Darauf ging ich ins Lager der Prätorianer, um mit einem Feldscher zu sprechen. Der Mann versicherte mir mit vielen Worten, er könne diesen kleinen Eingriff ohne weiteres vornehmen und habe ihn während seiner Dienstzeit in Afrika an vielen Legionären und Zenturionen durchgeführt, denen die ständigen Entzündungen durch den Sand zu viel geworden waren. Er hatte sogar noch das Röhrchen, das man dazu braucht.

Ich wollte mich um meines Ansehens willen nicht bei den Juden behandeln lassen. Das war ein großer Fehler, denn sie hätten es unvergleichlich geschickter gemacht. Ich ertrug tapfer das schmutzige Röhrchen und das stumpfe Messer des Feldschers, aber die Wunde heilte schlecht und eiterte so, daß ich lange Zeit keine Lust verspürte, eine Frau auch nur anzusehen.

Eigentlich bin ich seither nicht mehr ganz der alte. Es hat zwar Frauen gegeben, die auf mein narbiges Glied recht neugierig waren, aber ich möchte sagen, daß ihr Vergnügen größer war als meines. Auf diese Weise bin ich dazu gekommen, ein recht tugendhaftes Leben zu führen.

Ich schäme mich nicht, davon zu sprechen. Es wissen ohnehin alle, was für einen Scherz sich Nero auf meine Kosten leistete, und ich bekam einen Spitznamen, den ich hier aus Schicklichkeitsgründen lieber nicht nennen will.

Deine Mutter ahnte nicht, was sie bei Nero erwartete, obwohl ich versucht hatte, sie auf ihre Rolle vorzubereiten. Als ich humpelnd und leichenblaß aus dem Prätorianerlager zurückkehrte, fragte Claudia mich nicht einmal, was mir fehle. Sie glaubte, ich hätte lediglich Angst vor Neros Zorn. Die beiden Judenchristen fürchteten sich wirklich, und es half auch nichts, daß ich ihnen Mut zusprach und sie an die Geschenke erinnerte, die ich ihnen in Aussicht gestellt hatte.

Nero warf einen einzigen Blick auf Claudia und rief auch schon: »Ein Judenweib! Das sieht man an den Brauen und den dicken Lippen, von der Nase ganz zu schweigen. Graue Haare hat sie auch. Die Juden werden früh grau. Das kommt von irgendeinem ägyptischen Fluch, habe ich mir sagen lassen. Merkwürdig, daß sie in diesem Alter noch ein Kind gebären konnte, aber dieses Volk vermehrt sich ganz unglaublich.«

Claudia zitterte vor Zorn, beherrschte sich jedoch um Deinetwillen. Danach schworen die beiden Juden beim Tempel zu Jerusalem, daß sie Claudias Herkunft kannten und daß sie Jüdin sei, aus so hoch angesehenem Geschlecht, daß ihre Eltern schon zu Pompejus’ Zeiten als Sklaven nach Rom gebracht worden seien. Die beiden bezeugten außerdem, daß Antonia bei der Namensgebung meines Sohnes zugegen gewesen war und gestattet hatte, daß er ihrer Großmutter zum Gedenken den Namen Antonianus erhielt.

Dieses Verhör schläferte Neros letztes Mißtrauen ein. Die beiden Judenchristen begingen zwar einen Meineid, aber ich hatte sie eigens ausgewählt, weil sie einer gewissen Gruppe von Christen angehörten, die aus irgendeinem Grunde behauptete, Jesus von Nazareth habe alle Arten von Eiden untersagt. Sie nahmen es mit ihrem Glauben sehr genau und waren sich bewußt, daß sie sündigten, indem sie einen Eid ablegten, weshalb sie meinten, es sei dann schon einerlei, ob der Eid nun wahr oder falsch war. Sie opferten sich auf und begingen diese Sünde um meines Sohnes willen, und sie hofften, Jesus von Nazareth werde ihnen verzeihen, weil sie in guter Absicht handelten.

Nero wäre aber nicht Nero gewesen, wenn er nicht mit einem pfiffigen Seitenblick auf mich so beiläufig wie möglich gesagt hätte: »Liebe Domina Claudia – eigentlich sollte ich wohl Serenissima sagen, da dein Gatte es trotz seiner niedrigen Herkunft verstanden hat, sich die Purpurstiefel zu verschaffen –, also liebe Domina Claudia, du wirst wohl wissen, daß dein Gatte sich die Gelegenheit zunutze machte und ein heimliches Verhältnis mit meiner unglücklichen Halbschwester Antonia anknüpfte. Ich habe Zeugen dafür, daß sie Nacht für Nacht in einem Lusthaus in Antonias Garten miteinander Unzucht trieben. Ich war gezwungen, sie überwachen zu lassen, damit sie nicht am Ende in ihrer Liederlichkeit einen öffentlichen Skandal heraufbeschwor.«

Claudia erbleichte bis in die Lippen, als sie das hörte. Meiner Miene konnte sie entnehmen, daß Nero die Wahrheit sprach. Außerdem hatte sie selbst mich mit ihrem Mißtrauen verfolgt, bis es mir gelungen war, ihr Sand in die Augen zu streuen, indem ich ihr erklärte, daß ich an der Verschwörung des Piso teilhatte und dergleichen Zusammenkünfte nachts stattzufinden pflegten.

Sie hob die Hand und schlug mich auf die Wange, daß es laut schallte. Demütig hielt ich ihr auch die andere Wange hin, wie es Jesus von Nazareth gelehrt hatte. Claudia hob die andere Hand und schlug so heftig zu, daß mir das Trommelfell platzte. Seither bin ich ein wenig taub. Dann stieß sie eine Flut von so gemeinen Schimpfwörtern hervor, daß ich nie geglaubt hätte, dergleichen einmal aus ihrem Mund zu hören. Ich möchte meinen, daß ich Christi Lehre besser befolgte als sie, denn ich schwieg still.

Claudia aber goß einen solchen Schwall von Grobheiten über mich und die tote Antonia aus, daß Nero ihr zuletzt Einhalt gebieten mußte. »Über die Toten nur Gutes«, mahnte er. Claudia vergaß anscheinend, daß Antonia seine Halbschwester war und daß er deshalb nicht dulden durfte, daß andere schlecht von ihr sprachen.

Um Claudia zu besänftigen und ihr Mitleid zu erregen, schlug ich meinen Mantel zur Seite, hob das Untergewand, zeigte ihr den blutigen Verband und versicherte ihr, daß ich für meinen Fehltritt genug gestraft sei. Nero zwang mich, die Binde abzuwickeln, so schmerzhaft das auch war, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, daß ich ihn nicht täuschte. Als das geschehen war, sagte er verwundert: »Du hast dich also in deiner Dummheit wirklich gleich beschneiden lassen! Ich habe doch nur gescherzt und meine Strenge bereut, sobald du gegangen warst. Ich will aber gern anerkennen, daß du meine Befehle treu befolgst, Minutus.«

Claudia hatte kein Erbarmen mit mir. Im Gegenteil, sie schlug entzückt die Hände zusammen und pries Nero darum, daß er eine Strafe gefunden hatte, auf die sie selbst im Traume nicht gekommen wäre. Mir schien es Strafe genug, mit Claudia verheiratet zu sein. Ich glaube, sie hat mir nie verziehen, daß ich sie ausgerechnet mit Antonia betrog. Eine vernünftige Frau sieht ihrem Mann einen gelegentlichen Seitensprung nach, aber sie machte mir noch jahrelang Vorwürfe.

Nero betrachtete nun die ganze Angelegenheit als erledigt und kam ohne das geringste Mitgefühl auf etwas anderes zu sprechen, sobald Claudia und die beiden Juden gegangen waren. »Wie du weißt, hat der Senat den Beschluß gefaßt, ein Dankopfer für die Aufdeckung der Verschwörung darzubringen«, begann er. »Ich selbst habe beschlossen, Ceres einen Tempel zu bauen, der ihrer würdig ist. Den früheren haben die verfluchten Christen niedergebrannt, und ich konnte noch keinen neuen errichten lassen, weil ich mit dem Wiederaufbau Roms alle Hände voll zu tun habe. Die Kultstätte der Ceres liegt seit unvordenklichen Zeiten auf dem Aventin, aber ich habe dort kein hinlänglich großes Grundstück finden können. Um unser gegenseitiges Vertrauen wiederherzustellen und unsere Freundschaft zu bekräftigen, bist du gewiß gern bereit, dein Haus und deinen Garten auf dem Aventin Ceres zu schenken. Es ist der geeignetste Platz. Wundere dich daher nicht, wenn du heimkommst. Die Sklaven haben nämlich schon begonnen, das Haus niederzureißen. Die Sache eilt, und deiner Zustimmung war ich gewiß.«

So nahm mir Nero das alte Haus der Manilier ab. Ich vermochte über diese Gunst keine überquellende Freude zu empfinden, wußte ich doch nur zu gut, daß er alle Ehre für sich in Anspruch nehmen und meinen Namen bei der Einweihung des Tempels nicht einmal erwähnen würde. Ich fragte ihn bitter, wohin er bei der Wohnungsnot mein Bett und meine übrige Habe gedenke schaffen zu lassen.

Neros Gesicht hellte sich auf: »Ja freilich, daran hatte ich nicht gedacht. Aber das Haus deines Vaters oder vielmehr Tullias steht noch immer leer. Ich konnte es noch nicht verkaufen, weil es darin nicht geheuer ist.«

Ich antwortete ihm, daß ich nicht gesonnen sei, gewaltige Summen für ein Spukhaus zu zahlen, das noch dazu für mich recht ungünstig lag, und ich erklärte ihm auch, wie verfallen und überhaupt von Anfang an schlecht geplant dieses prahlerisch große Haus war, für das man seit achtzehn Jahren nichts mehr getan hatte und dessen riesiger verwilderter Garten mich bei den neuen Wassersteuern viel zu teuer käme.

Nero lauschte diesen Erklärungen mit sichtlichem Genuß und sagte: »Um dir meine Freundschaft zu beweisen, wollte ich dir das Haus zu einem mäßigen Preis überlassen. Es widert mich an, daß du frech und würdelos zu feilschen beginnst, bevor ich noch einen Betrag genannt habe. Nun reut es mich nicht mehr, daß ich dir im Scherz befahl, dich beschneiden zu lassen. Um dir zu zeigen, wer Nero ist, schenke ich dir das Haus deines Vaters. Es ist unter meiner Würde, mit dir zu schachern.«

Ich dankte ihm aus ganzem Herzen, obwohl er mir das Haus genaugenommen ja nicht schenkte, sondern als Ersatz für mein altes auf dem Aventin gab. Allerdings gewann im bei dem Tausch.

Ich dachte zufrieden, daß Tullias Haus beinahe eine Beschneidung wert war, und dieser Gedanke tröstete mich noch, als ich am Wundfieber darniederlag. Ich hatte selbst mein Bestes getan, zu verhindern, daß das Haus verkauft wurde, indem ich das Gerücht in Umlauf setzte, es spuke darin, und ein paar Sklaven anstellte, die nachts in dem verlassenen Haus mit Topfdeckeln klappern und mit Möbelstücken poltern mußten. Wir Römer sind ein abergläubisches Volk und fürchten uns vor Gespenstern.

Nach alledem kann ich nun mit gutem Gewissen dazu übergehen, von Neros Siegeszug durch Griechenland, von dem traurigen Ende des Kephas und des Paulus und von meiner Teilnahme an der Belagerung Jerusalems zu berichten.

XIII NERO


Die völlige Unterdrückung der Pisonischen Verschwörung dauerte alles in allem an die zwei Jahre, und es wurden auch in den Provinzen alle vermögenden Männer zur Rechenschaft gezogen, die nachweisbar von dem Plan gewußt und ihn stillschweigend gebilligt hatten. Auf diese Weise gelang es Nero, obwohl er aus Barmherzigkeit die Todesstrafe in Verbannung verwandelte, wo immer es anging, die Staatsfinanzen trotz seinen ungeheuren Ausgaben in Ordnung zu bringen.

Im Grunde verschlangen allerdings den größten Teil der staatlichen Ausgaben die Kriegsvorbereitungen gegen Parthien. Neros eigene Lebensgewohnheiten waren für einen Kaiser eher maßvoll zu nennen, vor allem wenn man sie mit denen gewisser Reicher und Neureicher verglich. Dank dem Einfluß des verstorbenen Petronius war er noch immer bestrebt, die Prunksucht des Emporkömmlings durch guten Geschmack zu ersetzen, wenngleich er manchmal freilich danebengriff, da er Petronius nicht mehr um Rat fragen konnte.

Zu seiner Ehre muß gesagt werden, daß er beispielsweise, als er seine durch den Brand zerstörten Kunstschätze durch neue, unvergleichliche Skulpturen und anderes ersetzte, die Staatskasse nur mit den Transportkosten belastete. Er schickte einen Sachverständigenausschuß nach Achaia und Asia, der jede bedeutendere Stadt durchkämmte und die besten Skulpturen für das Goldene Haus auswählte.

Das machte viel böses Blut unter den Griechen. In Pergamon kam es sogar zu bewaffnetem Aufruhr. Im übrigen aber führte der Ausschuß seine Aufgabe so geschickt durch, daß er sogar noch in Athen, das seinerzeit bei der Eroberung gründlich ausgeplündert worden war, und in Korinth, wo man einst kaum einen Stein auf dem anderen gelassen hatte, kostbare Statuen und Malereien aus der großen Zeit Griechenlands fand. Die reichen Kaufleute und Schiffsreeder in dem neu erblühten Korinth hatten gute Arbeit geleistet, als sie im Laufe der Jahre ihre Kunstsammlungen vervollständigten, und dies kam Nero nun zugute. Sogar auf den Inseln im Meer, wo man bisher nicht nach Kunstschätzen für Rom gesucht hatte, entdeckte man nun alte Skulpturen, die einen Ehrenplatz in den Sälen und Gängen des Goldenen Hauses verdienten.

Das Haus war so groß, daß es immer noch leer wirkte, obwohl der Ausschuß eine Schiffsladung nach der andern schickte. Einen großen Teil der Skulpturen, denen er geringeren Wert beimaß, schenkte Nero seinen Freunden, da er selbst von der Kunst der Alten nur das Allerbeste haben wollte. Auf diese Weise kam ich zu meiner Marmor-Aphrodite, die von Phichas stammt und deren Farben wunderbar erhalten sind. Ich schätze sie trotz Deinen Grimassen noch immer sehr hoch. Versuche nur einmal. Dir auszurechnen, wieviel sie einbringen würde, wenn ich sie öffentlich versteigern müßte, um Deinen Rennstall zu erhalten.

Wegen des bevorstehenden Krieges gegen die Parther, und um sein eigenes Gewissen zu beruhigen, machte Nero die Geldabwertung rückgängig und ließ, da nun genug Gold und Silber in die Staatskasse flossen, im Tempel der Juno Moneta wieder vollgewichtige Münzen schlagen. Die Legionen, die in aller Heimlichkeit nach dem Osten verlegt wurden, um Corbulos Truppen zu verstärken, waren wegen der verringerten Kaufkraft ihres Soldes so unzufrieden, daß der ursprüngliche Geldwert allein schon aus militärischen Gründen wiederhergestellt werden mußte.

Den Sold um ein Fünftel zu erhöhen wäre unklug gewesen. Es wird jedem einleuchten, daß das untragbare Mehrausgaben bedeutet hätte und daß es auf die Dauer billiger kam, den Geldwert wiederherzustellen. Nero gewährte außerdem den Legionären gewisse Erleichterungen, ähnlich wie er schon früher den Prätorianern kostenlose Kornrationen zugebilligt hatte.

Im Grunde war das Ganze ein Zauberkunststück, über das sich so mancher kluge Mann vergeblich den Kopf zerbrach. Ich will nichts Nachteiliges über die Freigelassenen im Dienste der Staatskasse sagen, deren Amt beschwerlich ist und die den Plan austüftelten. Ich fand es nur unverschämt, daß Neros kupferhaltige Silbermünzen im Verhältnis zehn zu acht eingetauscht werden müßten, so daß man für fünf alte Münzen nur vier neue, vollgewichtige bekam.

Ich selbst erlitt dadurch zwar keine Verluste, aber bei den Minderbemittelten löste diese Verordnung ebensoviel Bitterkeit aus wie Neros ursprüngliche Münzreform. Sie war daher nicht, so wie er sich das vorstellte, seinem Ansehen förderlich. Nero verstand ja nichts von finanziellen Dingen, sondern befolgte nur die Empfehlungen listiger Ratgeber. Die Legionen gaben sich jedoch zufrieden, weil ihr kaum merklich verringerter Sold hiernach in reinem Silber ausbezahlt wurde.

Nero konnte über den Zustand der Staatskasse nur bekümmert den Kopf schütteln, da er doch seiner Meinung nach alles tat, um die Lage zu bessern, und auf Kosten seiner künstlerischen Betätigung viel von seiner Zeit opferte, um die Steuerlisten der Provinzen durchzugehen und vermögende Männer auszusuchen, deren Eigentum zur Strafe für die Teilnahme an der Pisonischen Verschwörung beschlagnahmt werden konnte.

Es fiel nicht schwer, Beweise herbeizuschaffen. Der eine hatte sich eine unvorsichtige Freudenäußerung zuschulden kommen lassen, ein anderer hatte Neros Geburtstag übersehen, wieder ein anderer – und das war das schlimmste Verbrechen – hatte eine geringschätzige Bemerkung über seine Stimme gemacht. Kein Reicher hat ein ganz und gar reines Gewissen. Man mußte sich sogar hüten, einzuschlafen oder auch nur zu gähnen, wenn Nero im Theater auftrat, und ebensowenig duldete er es, daß einer während der Vorstellung ging, und sei es einer ernsthaften Erkrankung wegen.

Um den bevorstehenden parthischen Krieg zu finanzieren, mußte er alle Luxusartikel mit unziemlich hohen Umsatzsteuern belegen, und die Folge davon war, daß solche Waren nur noch unter dem Ladentisch verkauft wurden. Daher wurden die Läden der Stadt immer wieder ohne Vorankündigung durchsucht, und die Kaufleute nahmen es sehr übel auf, daß ihre Vorräte beschlagnahmt und sie selbst zu Geldbußen verurteilt wurden.

Flavius Sabinus, mein ehemaliger Schwiegervater, schämte sich dieser Maßnahmen, für deren Durchführung er als Stadtpräfekt verantwortlich war, und fürchtete, sein Ansehen zu verlieren. Manchmal, das weiß ich aus ganz sicherer Quelle, ließ er die Kaufleute, zumindest die reicheren, im voraus warnen, und er brauchte seine Ehrlichkeit nicht zu bereuen. Seine finanziellen Verhältnisse besserten sich innerhalb erstaunlich kurzer Zeit.


Statilia Messalinas Eitelkeit kam jedoch Nero zu Hilfe. Statilia fand, Veilchenblau kleide sie am besten, und darin hatte sie gewiß recht. Um diese Farbe ganz für sich allein zu haben, überredete sie Nero dazu, den Verkauf veilchenblauer Farbstoffe zu verbieten. Die Folge davon war selbstverständlich, daß jede Römerin, die auf sich hielt, in Gesellschaft zuverlässiger Freunde in Veilchenblau aufzutreten oder zumindest irgendein Kleidungsstück in dieser Farbe zu besitzen wünschte.

Der Schleichhandel mit Veilchenblau nahm daraufhin solche Ausmaße an, und die Kaufleute verdienten so viel, daß sie gern ab und zu ihre Vorräte beschlagnahmen ließen und die Buße zahlten.


Nero war selbst nicht darauf erpicht, gegen die Parther Krieg zu führen, so notwendig ein solcher Krieg auch für Roms Zukunft sein mochte, da es galt, dem Handel einen Landweg in die Reiche des Ostens zu bahnen. Auch mich dünkte ein großer Krieg verhängnisvoll, aber ich dachte an Dich und freundete mich allmählich mit dem Plan an. Die Freigelassenen meines Vaters in Antiochia verdienten durch die Lieferungen an die Legionen ungeheure Summen und redeten mir in ihren Briefen eifrig zu, die Kriegspläne im Ausschuß für orientalische Angelegenheiten zu befürworten. An sich war der Zeitpunkt günstig. Parthien mußte um der Sicherheit Roms willen früher oder später unterworfen werden. Ich hatte mir nur gewünscht, es möge nicht zu meinen Lebzeiten geschehen, und es geschah auch nicht. Das Unausweichliche steht uns noch bevor.

Nero gab nach, als man ihm vor Augen führte, daß er den Krieg selbst getrost Corbulo überlassen und als oberster Feldherr den Triumph feiern konnte. Ich glaube aber, mehr als der in Aussicht gestellte Triumph verlockte ihn der Gedanke, eine Vorstellung in Ekbatana zu geben, um sich dort durch seine glänzende Stimme nach den Leiden des Krieges die Ergebenheit seiner neuen Untertanen zu sichern.

Keiner seiner Ratgeber hielt es für nötig, ihn darüber aufzuklären, daß die Parther die Musik nicht sonderlich lieben und den Gesang als keinen eines Herrschers würdigen Zeitvertreib betrachten. Weit höher schätzen sie die Kunst des Reitens und des Bogenschießens, wie der Triumvir Crassus seinerzeit am eigenen Leib erfahren mußte. Um sich seiner zu entledigen, schickte ihn Dein Ahn Julius Caesar gegen die Parther ins Feld, und die Parther töteten ihn, indem sie ihm geschmolzenes Gold in die Kehle gossen, damit er endlich einmal genug davon bekam. Laß Dir das eine Lehre sein, mein Sohn. Wenn wirklich einer nach Parthien muß, so geh nicht selbst, sondern schicke einen andern.

Über die Geschichte Parthiens und das Herrschergeschlecht der Arsakiden brauche ich nicht viel zu berichten. Es gibt da nichts als Brudermord, Staatsstreiche, orientalische Hinterlist und derlei Dinge mehr, die bei uns in Rom nicht vorkommen können. Von den römischen Kaisern ist ja im Grunde nur einer öffentlich ermordet worden, nämlich Dein Stammvater Julius Caesar, und der war selbst schuld, weil er in seiner Eitelkeit klugen Rat in den Wind schlug. Seine Mörder glaubten zudem aufrichtig, zum Besten des Vaterlandes zu handeln. Gajus Caligula ist ein Fall für sich, und es ist nie eindeutig nachgewiesen worden, ob Livia wirklich Augustus vergiftet und ob Caligula Tiberius erwürgt hat. Agrippina vergiftete Claudius, ohne öffentliches Aufsehen zu erregen. Man mag also über diese Geschehnisse denken, wie man will, eines muß man zugeben: es wurde alles auf denkbar anständige Weise, sozusagen innerhalb der Familie, erledigt.

Die Arsakiden dagegen betrachten sich als die rechtmäßigen Erben des früheren persischen Reiches und herrschen nun schon seit mehr als dreihundert Jahren. Sie brüsten sich mit ihren Morden und bilden sich auf ihre Heimtücke auch noch etwas ein. Ich will mich nicht damit aufhalten, alle diese undurchsichtigen Mordintrigen aufzuzählen. Es genügt zu sagen, daß es zuletzt Vologeses gelang, seine Macht zu festigen, und daß er ein sehr schlauer Widersacher Roms wurde. Er machte seinen Bruder Tiridates zum König in Armenien, um ihn in Bedrängnis zu bringen. Armenien war durch die Kriegszüge Corbulos dreimal verheert und zurückerobert worden. In dem armenischen Krieg erlitten zwei Legionen eine so schimpfliche Niederlage, daß Corbulo jeden zehnten Mann hinrichten ließ, um die Manneszucht wiederherzustellen. Es dauerte Jahre, bis aus den verweichlichten syrischen Legionen wieder ein kampftüchtiges Heer geworden war, aber nun begannen Corbulos Anstrengungen Früchte zu tragen.

Vologeses mußte klein beigeben und Armenien als Verbündeten Roms anerkennen, um seinen Bruder von Ekbatana fernzuhalten. In Gegenwart der Legionen und der Reiterei legte Tiridates sein Diadem zu Neros Füßen nieder. Man hatte zu diesem Zweck eine Statue Neros auf einen Senatorenschemel gestellt. Tiridates gelobte und schwor, er werde selbst nach Rom kommen, um die Bundesgenossenschaft zu bekräftigen und das Diadem aus Neros Hand zurückzuerhalten.

Er ließ sich jedoch nie in Rom blicken. Auf Fragen antwortete er mit Ausflüchten. Unter anderem behauptete er, sein Glaube verbiete ihm, sich den Gefahren einer Seereise auszusetzen. Als man ihn daraufhin bat, den Landweg zu benutzen, klagte er über seine Armut. Ohne Zweifel verschlang der Wiederaufbau Armeniens alle seine Mittel.

Nero versprach ihm, für die Kosten der Landreise bis auf römischen Boden aufzukommen, doch Tiridates zog es vor zu bleiben, wo er war. Sicheren Angaben zufolge bemühte er sich, unnötig enge Verbindungen mit den armenischen Edlen anzuknüpfen, von denen immer noch einige am Leben waren, obgleich sowohl Römer wie Parther alle hinrichteten, die ihnen in die Hände fielen.

Im Senatsausschuß für orientalische Angelegenheiten betrachteten wir die Ausflüchte des Tiridates als bedenklich. Wir wußten nur zu gut, daß die Parther insgeheim Aufwiegler zu den Verbündeten Roms im Osten und sogar in die Provinzen schickten, die die Unzufriedenheit schürten, um einen Krieg zu verhindern. Sie bestachen germanische Stämme und stifteten sie zu Unruhen an, damit die Legionen nicht aus Germanien abgezogen und in den Osten verlegt werden konnten, und versuchten durch allerlei Versprechungen sogar in Britannien feindlich gesinnte Stämme zum offenen Aufruhr aufzuhetzen. In Britannien standen damals noch immer vier Legionen, um den Frieden zu sichern. Als Boten verwendete Vologeses umherziehende jüdische Händler, die sprachkundig waren und sich neuen Verhältnissen gut anzupassen verstanden.

Zum Glück erfuhr ich rechtzeitig von diesen Umtrieben, und zwar durch den alten Petro in Lugundanum. Ich war es, des großen Erbes wegen, Lugunda schuldig, eine Stadt nach ihr zu benennen. Der Ort ist glücklich gewählt und zu einem Knotenpunkt im Land der Icener geworden. Petro wohnt dort und genießt eine wohlverdiente Alterspension, die ich ihm zum Lohn für seine Treue ausbezahle. Durch ihn stehe ich weiterhin mit den Druiden in Verbindung, und er berichtet mir, was die einzelnen Stämme treiben.

Die Druiden rieten von einem Aufruhr ab, weil gewisse Vorzeichen sie davon überzeugt hatten, daß die Macht Roms auf ihrer Insel ohnehin nicht bestehen werde. Ich bin, wenn es um mein Vermögen geht, nicht abergläubisch. Ich lasse mein Geld ruhig in Britannien weiterarbeiten und sich vermehren und lege sogar immer wieder welches dort an.

Wie dem auch sei: durch meine Verbindungen mit den Druiden erfuhr ich von den verdächtigen Reisen der jüdischen Kaufleute in Britannien. Auf meinen Rat ließ der Prokurator zwei von ihnen ans Kreuz schlagen, und zwei weitere opferten die Druiden von sich aus in Weidenkörben ihren Göttern, weil die Juden, ungeachtet ihres geheimen Auftrages, in Glaubensdingen allzu selbstbewußt auftraten. Wenigstens eine der in Britannien stehenden Legionen konnte in den Osten verlegt werden. Die anderen blieben meiner Ansicht nach besser, wo sie waren.

Allmählich gelang es, unter vielen Vorsichtsmaßnahmen zehn Legionen im Osten zusammenzuziehen. Ich zähle sie nicht auf, weil sie auf dem Marsch sowohl die Nummern als auch die Adler wechseln mußten, um die parteiischen Kundschafter irrezuführen. Trotzdem war Vologeses sehr gut über die Bewegungen und die Aufstellung unserer Truppen unterrichtet, und er wußte sogar, daß wir die Absicht hatten, dem Senat und dem Volk von Rom einen Streit um Weideland am Euphrat als Kriegsursache darzustellen. Corbulo, der noch gut bei Kräften war, hatten wir in einer geheimen Ausschußsitzung die Ehre bewilligt, als Kriegserklärung einen Speer über den Euphrat auf parthisches Gebiet zu werfen. Er versicherte in einem Brief, er sei dazu imstande, versprach aber, vorsichtshalber täglich zu üben, damit der Speer nicht ins Wasser fiel, sondern wirklich das umstrittene Weideland erreichte.

Neros schon seit langem geplante Reise nach Griechenland kam nun sehr gelegen und diente unseren militärischen Absichten als Tarnung^ Nicht einmal die Parther konnten daran zweifeln, daß es Nero wirklich darum zu tun war, bei den uralten Spielen der Griechen Sängerlorbeer zu gewinnen, und es konnte keinen Verdacht erwecken, daß er zu seinem Schutz die eine der beiden Prätorianerlegionen mitnahm und die andere zur Bewachung seines Thrones zurückließ.

Tigellinus versprach, Neros Gegner während seiner Abwesenheit im Zaum zu halten, so bitter er es auch beklagte, daß ihm nicht die Ehre vergönnt war, mit dem Kaiser zu reisen. Selbstverständlich wollte jeder, der jemand zu sein glaubte, den Kaiser begleiten, um Zeuge seiner Siege im Wettstreit der Sänger zu sein und sich in seiner Nähe aufzuhalten. Es war darunter so mancher, der von dem geplanten Krieg und den Möglichkeiten, sich auszuzeichnen, die er bot, nichts wußte und vermutlich Krankheit oder irgendeinen anderen Hinderungsgrund vorgeschützt haben würde, wenn er davon gewußt hätte.

Zwar waren Nachrichten von dem Aufruhr der Juden in Jerusalem und Galiläa, der selbstverständlich von den Parthern geschürt wurde, nach Rom gelangt, aber keiner von uns nahm sie wirklich ernst. In diesen Gegenden gab es immer Streit, ob nun Felix Prokurator war oder Festus. König Herodes Agrippa schien allerdings aufrichtig bekümmert zu sein.

Wir beschlossen im Ausschuß für orientalische Angelegenheiten, aus Sicherheitsgründen eine ganze Legion aus Syrien hinzuschicken, um diesen zur Unzeit auftretenden Unruhen mit harter Faust ein Ende zu machen. Die Legion konnte ein wenig Kampferfahrung sammeln, wenn schon keinen größeren Kriegsruhm gewinnen. Jedenfalls waren die mit Keulen und Steinschleudern bewaffneten Juden unserer Meinung nach nicht imstande, einer gut ausgebildeten Legion nennenswerten Widerstand zu leisten.


So kam nun die langersehnte Reise nach Griechenland, mit der Nero seine Künstlerlaufbahn zu krönen gedachte, endlich zustande. Er hatte befohlen, daß alle Wettspiele unmittelbar nacheinander abgehalten werden mußten, so daß er gleich nach seiner Ankunft an allen teilnehmen konnte.

Soviel ich weiß, war dies das einzige Mal, daß die Olympischen Spiele auf einen früheren Zeitpunkt vorverlegt wurden, und man kann sich ausmalen, was für Schwierigkeiten das mit sich brachte. Nicht zuletzt kam die griechische Zeitrechnung durcheinander, denn stolz auf ihre Vergangenheit rechnen die Griechen, mit den ersten Spielen in Olympia beginnend, noch immer in Olympiaden, obwohl sie sich damit begnügen könnten, die Jahre, bescheiden wie wir Römer, ganz einfach von der Gründung der Stadt an zu zählen. Damit hätten wir eine einheitliche Zeitrechnung, aber den Griechen ist nichts umständlich genug.

Im letzten Augenblick vor der Abreise weigerte sich Nero, Statilia Messalina mitzunehmen. Als Grund gab er an, er könne im Falle eines Kriegsausbruchs nicht für ihre Sicherheit bürgen. Der wahre Grund trat unterwegs ans Licht. Nero hatte endlich den Menschen gefunden, der in allen Zügen Poppaea ähnelte. Er hieß Sporus und war leider keine Frau, sondern ein ungewöhnlich schöner Jüngling.

Sporus versicherte jedoch, er fühle sich in seinem Herzen mehr als Mädchen denn als Knabe. Daher ließ Nero auf seinen eigenen Wunsch einen kleinen Eingriff an ihm vornehmen und gab ihm Arzneien, die ein alexandrinischer Arzt empfohlen hatte, um den Bartwuchs zu unterbinden, die Brust zu vergrößern und überhaupt die aphrodisischen Eigenschaften zu entwickeln.

Um nicht später noch einmal auf diese Geschichte, die viel böses Blut machte, zurückkommen zu müssen, will ich gleich berichten, daß Nero sich in Korinth unter den üblichen Zeremonien mit Sporus vermählte und diesen hinfort als seine Gattin behandelte. Nero selbst behauptete allerdings, die Trauung mit der Überreichung der Mitgift, den Schleiern, dem Umzug und was sonst noch dazugehört, sei eine reine Formsache, die eben von gewissen Mysterien gefordert werde, im übrigen aber nicht rechtlich bindend. Seiner Göttlichkeit wegen betrachtete er sich als zwiegeschlechtig wie alle männlichen Götter. Alexander der Große hatte viel zu dieser Anschauung beigetragen, als er sich in Ägypten zum Gott erhöhen ließ. Deshalb sah Nero in seinen Neigungen eine Art zusätzlichen Beweis für seine Göttlichkeit.

Er war von der Richtigkeit seiner Anschauung so überzeugt, daß er sich die gröbsten Scherze auf Sporus’ Kosten gefallen ließ. Eines Tages fragte er im Spaß einen als Stoiker bekannten Senator um seine Meinung über diese Ehe. Der Alte antwortete boshaft: »Es stünde besser um die Welt der Menschen, wenn auch dein Vater Domitius so eine Gattin gehabt hätte.« Nero nahm es ihm nicht übel, sondern lachte laut.

Über Neros Siege in den musikalischen Wettspielen ist genug geschrieben worden. Er brachte ja über tausend Siegeskränze heim. Nur bei den olympischen Wagenrennen erging es ihm übel, denn beim Rennen der Zehngespanne stürzte er am Wendepfahl vom Wagen und konnte gerade im letzten Augenblick noch die Zügel kappen, die er sich um den Leib geschlungen hatte. Er zog sich ein paar böse Schrammen zu, aber als Lohn für seine Kühnheit bewilligten ihm die unparteiischen Preisrichter einstimmig einen Kranz. Nero fand jedoch, er könne ihn nicht annehmen, da er das Rennen hatte aufgeben müssen. Er begnügte sich mit den Olivenkränzen, die er im Sängerwettstreit und beim Ringen gewann.

Auch in anderen Fällen versuchte Nero nach bestem Vermögen sich so ehrenhaft zu verhalten, wie es dem Geist der Spiele entsprach, und er hütete sich, seine Mitbewerber im Sängerwettstreit so grob zu verunglimpfen, wie er es in Rom gewohnt war. Seine Siege waren um so verdienstvoller, als er vom Mißgeschick verfolgt wurde. Eine ganze Woche lang litt er heftige Zahnschmerzen, so daß der kranke Zahn zuletzt gezogen werden mußte. Er zerbrach trotz der Geschicklichkeit des Arztes in der Zange, und die Wurzeln mußten Stück für Stück aus den Kiefer gestochert werden. Nero ertrug den Schmerz mannhaft.

Zum Glück hatte der Arzt ein Betäubungsmittel, und Nero trank sich vorher einen Rausch an, wie es der mutigste Mann gern tut, ehe er sich dem Zahnbrecher ausliefert. Wieweit der Zahnschmerz und die Schwellung seine Stimme beeinträchtigten und seine Angst vor dem Auftreten verstärkten, mögen Sachkundigere als ich beurteilen.

Als einen Beweis für Neros Ehrenhaftigkeit sehe ich es auch an, daß er, als man ihm anbot, ihn in die Eleusinischen Mysterien einzuweihen, diese Ehre bescheiden ablehnte, indem er darauf hinwies, daß er im Ruf eines Muttermörders stehe. Böse Zungen behaupteten später freilich, er habe die Strafe der Götter gefürchtet, falls er an diesem heiligsten aller Mysterien teilnähme. Das ist ein haltloses Geschwätz. Nero wußte, daß er selbst ein Gott war wie die anderen Götter des Landes auch, wenngleich er aus reiner Bescheidenheit diese öffentliche Ehrung ablehnte. Wir im Senat waren mit großer Mehrheit bereit, ihn schon zu Lebzeiten zum Gott zu erhöhen, sobald er nur wollte.

Nachdem ich mir die Sache überlegt hatte, kam ich zu dem Schluß, daß es auch für mich das beste war, nicht an den eleusinischen Zeremonien teilzunehmen. Den Priestern erklärte ich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, daß ich, ohne zu wissen, was ich tat, gezwungen gewesen war, meinen eigenen Sohn hinrichten zu lassen. So vermied ich es, die heilige Priesterschaft zu beleidigen, und konnte Nero sagen, ich schlösse mich aus Freundschaft zu ihm von den Mysterien aus. Er vertraute mir darum um so mehr, und das sollte mir binnen kurzem zustatten kommen.

In Wirklichkeit sagte ich mir, daß Claudia mir allzu viele Fragen gestellt haben würde, wenn ich mich hätte einweihen lassen. Ich verzichtete also um des Hausfriedens willen darauf, obwohl ich es danach bereute, als ich sah, wie die anderen Senatoren noch Tage nach der Einweihung offensichtlich glücklich waren, weil sie göttliche Geheimnisse erfahren hatten, die seit Menschengedenken noch kein Eingeweihter Außenstehenden entdeckt hat.

Und dann kam die unglaubliche, beschämende Eilbotschaft, daß jüdische Freischaren die syrische Legion, die aus Jerusalem geflohen war, zersprengt und bis auf den letzten Mann niedergemacht hatten. Den eroberten Legionsadler hatten die Juden als Opfergabe in ihrem Tempel aufgestellt.

Ich nenne weder die Nummer noch das Losungswort der Legion, denn sie wurde aus den Rollen getilgt. Noch heute verbieten die Zensoren, daß diese Legion in den Annalen Roms erwähnt wird. Die Geschichtsschreiber verschweigen am liebsten sogar den Aufstand der Juden, obwohl sich Vespasian und Titus ihres späteren Sieges nicht zu schämen brauchten, sondern sogar einen Triumph feierten. Zum Teil war es allerdings bloße Sparsamkeit, daß man die Legion einfach ausstrich, denn es kam nicht zum Krieg gegen die Parther.

Ich gestehe, daß ich meinen ganzen Mut zusammennehmen mußte, um Nero Aug in Aug gegenüberzutreten, als er vom Ausschuß für orientalische Angelegenheiten eine Erklärung zu dem Geschehenen forderte. Es war seiner Ansicht nach unfaßbar, daß wir nicht gewußt hatten, wie weit die jüdischen Aufrührer die Mauern Jerusalems verstärkt hatten und wie es ihnen gelungen war, sich heimlich Waffen zu verschaffen und Truppen auszubilden, was sie zweifellos getan hatten, denn anders hätten sie niemals eine ganze Legion aufreiben können.

Ich als der Jüngste wurde vorgeschoben, um meine Ansicht zu sagen, wie es beim Kriegsrat üblich ist. Vermutlich vertrauten meine Amtsbrüder auf die Freundschaft zwischen Nero und mir und wollten mir gar nichts Böses, und außerdem fällt es mir im allgemeinen nicht schwer zu sprechen.

Ich konnte auf die Verschlagenheit der Parther hinweisen und auf die ungeheuren Summen, die Vologeses ausgegeben hatte, um Roms Streitkräfte zu binden, wo immer es möglich war. Die Juden hatten die Waffen vermutlich von ihm gekauft oder vielleicht sogar geschenkt bekommen, und es war ihnen ein leichtes gewesen, sie unbemerkt von unseren Grenzwachen durch die Wüste nach Judäa zu schaffen. Man wußte außerdem, wie treu diese jüdischen Aufwiegler ihrer Sache anhingen, so daß es niemanden zu wundern brauchte, daß die Vorbereitungen nicht verraten worden waren.

Die fortwährenden Streitigkeiten, während Felix und Festus als Statthalter in Caesarea saßen, hatten alle, auch die Klügsten, in Sicherheit gewiegt. Viel Geschrei, wenig Wolle, sagt man. In Judäa wie anderswo glaubten wir zu herrschen, indem wir teilten. »Das größte Wunder ist es«, sagte ich, »daß die uneinigen jüdischen Parteien sich zum gemeinsamen Aufruhr zusammenschlossen.«

Vorsichtig wies ich auch auf die entsetzliche Macht des jüdischen Gottes hin, von der in den heiligen Schriften der Juden überzeugende Beispiele zu finden sind, obwohl dieser Gott weder Abbild noch Namen hat, sondern nur durch gewisse Umschreibungen genannt wird. Dann fuhr ich fort: »Vieles ließe sich noch erklären. Eines aber ist unbegreiflich: Wie konnte Corbulo, in dessen Hände der kommende Krieg gelegt war, trotz seinem Feldherrnruhm und seinen Erfolgen in Armenien dies alles geschehen lassen? Es ist seine Sache und nicht die des Prokonsuls in Syrien, in Judäa und Galiläa die Ordnung wiederherzustellen und somit Stützpunkte für die weitere Kriegführung zu schaffen. Offenbar hat Corbulo seine ganze Aufmerksamkeit nach Norden gerichtet und die Hyrkaner darauf vorbereitet, die parthischen Truppen an dem Meer dort oben zu binden. Indem er sich aber nur einer Einzelheit des großen Planes widmete, verlor er den Überblick über das Ganze, beurteilte die Lage falsch und bewies damit, daß er ungeachtet seines Ansehens nicht das Zeug zu einem wirklich großen Heerführer hat.«

Das war meiner Ansicht nach die Wahrheit, und im übrigen verband mich mit Corbulo keine Freundschaft. Ich kannte ihn nicht einmal näher. Außerdem muß die Freundschaft beiseite treten, wenn der Staat in Gefahr ist. Dieser Grundsatz wird jedem Senator eingeprägt. Manchmal wird er sogar befolgt. Es ging aber nicht nur um das Wohl des Staates, es ging um unser eigenes Leben, und wir hatten keine Ursache, Corbulo zu schonen.

Ich erkühnte mich sogar zu bemerken, daß der Krieg gegen die Parther unserer Meinung nach aufgeschoben werden mußte, bis der Aufruhr in Jerusalem niedergeworfen war. Dazu brauchte man zunächst drei Legionen. Zum Glück standen die Legionen schon in ihrem Aufmarschgebiet, und wir hatten genug Belagerungsmaschinen, um auch die stärksten Mauern zu brechen. Mit dem Aufstand der Juden in Jerusalem konnten wir im Handumdrehen fertig werden. Gefährlicher schien es mir, daß es jüdische Kolonien in fast allen Städten des Reiches gab, von den dreißigtausend Juden Roms ganz zu schweigen.

Nero ließ mich zu Ende sprechen. Seine Erregung schien sich allmählich zu legen. Ich beeilte mich daher zu versichern, daß die Juden der Julius-Caesar-Synagoge in Rom nichts mit dem Aufruhr zu tun hatten. Dafür konnte ich geradestehen, obwohl ihre Abgaben an den Tempel zu Jerusalem offenbar dazu mißbraucht worden waren, den Aufruhr zu finanzieren. »Aber auch Poppaea schickte, nichts Böses ahnend, Geschenke an den Tempel.«

Als ich schwieg, wagte kein anderer ums Wort zu bitten. Nero dachte lange nach. Er runzelte die Stirn und biß sich auf die Lippen. Dann verabschiedete er uns mit einer ungeduldigen Handbewegung. Er hatte an anderes zu denken. Wir sollten zur Strafe für unsere Versäumnisse eine Weile warten und im ungewissen bleiben.

Nero gedachte in seiner Eigenschaft als Imperator, ohne den Senat anzuhören, einen Befehlshaber zu ernennen, der seiner Ansicht nach fähig war, Jerusalem zu erobern, und ihm die dazu nötigen Truppen zur Verfügung zu stellen. Corbulo hatte er bereits rufen lassen, damit er ihm über Geschehenes und Ungeschehenes Rechenschaft ablege. Den parthischen Feldzug auf unbestimmte Zeit aufzuschieben war ein so ernster Entschluß, daß Nero zuerst die Vorzeichen erfragen und ein Opfer verrichten wollte.

Wir waren ein wenig erleichtert, als wir gingen, und ich lud meine Amtsbrüder zu einem guten Mahl in meiner Herberge, aber obwohl meine beiden berühmten Köche ihr Bestes getan hatten, wollte uns das Essen nicht recht schmecken. Wir sprachen über den Aufruhr und dachten nicht daran, Wasser in den Wein zu mischen. Meine Gäste äußerten so bittere und voreingenommene Ansichten über die Juden, daß ich mich gezwungen sah, ihnen zu widersprechen und die Juden geradezu in Schutz zu nehmen.

Sie haben gewiß auch ihre guten, achtenswerten Eigenschaften, und sie kämpften für die Freiheit ihres Volkes. Im übrigen war Judäa kaiserliche Provinz und nicht senatorische. Nero trug an dem Aufruhr selbst die Schuld, denn er hatte nach Felix einen rücksichtslosen Räuber wie Festus zum Prokurator ernannt.

Ich legte vielleicht ein wenig zu viel Eifer in meine Verteidigungsrede, denn die anderen Senatoren, denen der Wein schon zu Kopf gestiegen war, betrachteten mich mit verwunderten Blicken, und zuletzt sagte einer voll Verachtung: »Es scheint zu stimmen, was über dich gesagt wird. Du bist wirklich ein Narbenschwanz.«

Ich wollte diesen scheußlichen Spitznamen eigentlich verschweigen, aber dank dem Spottgedicht Deines bärtigen Freundes Juvenal ist er ohnehin wieder in aller Leute Mund. Nein, ich mache Dir keine Vorwürfe, mein Sohn, weil Du das Gedicht liegen ließest, als Du das letzte Mal hier warst, um Deinen Vater eine Freude zu machen. Es ist nur gut, daß ich erfahre, was man von mir denkt und was Du von Deinem Vater denkst. Außerdem gebrauchen die Dichter heutzutage noch viel unflätigere Ausdrücke. Soweit ich es verstehe, wollen sie die Wahrheit und den natürlichen Sprachgebrauch gegen die gekünstelte Schönrederei verteidigen, die uns Seneca hinterlassen hat. Vielleicht haben sie recht. Aber den Bart haben sie Titus abgeschaut, der diese Mode in Rom einführte, als er aus Jerusalem heimkehrte.

Corbulo vermochte nichts mehr zu retten. Nero wollte ihn nicht einmal sehen. Corbulo erhielt den Befehl, Selbstmord zu begehen, kaum daß er in Kenchreae an Land gegangen war. »Wenn ich das Glück gehabt hätte, unter einem anderen Kaiser zu leben, würde ich Rom die ganze Welt erobert haben«, sagte er. Dann stürzte er sich auf dem Kai in sein Schwert, nachdem er verfügte, daß es zerbrochen und ins Meer geworfen werden sollte, damit es nicht in unwürdige Hände geriet. Gleichwohl glaube ich nicht, daß er ein großer Feldherr war. Das beweist sein Fehlurteil, als sich ihm die größte Gelegenheit seines ganzen Lebens bot.

Nero hatte genug Vernunft, von seinem Lieblingsgedanken, eine Vorstellung in Ekbatana zu geben, abzulassen. Er war ein geschickter Schauspieler, und es fiel ihm nicht schwer, überzeugend zu stolpern, als er das Opfer darbrachte. Wir konnten also mit eigenen Augen sehen, daß die unsterblichen Götter die Unterwerfung der Parther noch nicht wünschten. Um ein verheerendes Unglück zu vermeiden, war es daher das klügste, den Feldzug aufzuschieben. Er hätte zu diesem Zweck auch gar nicht durchgeführt werden können, denn Vespasian verlangte, sobald er sich mit der Lage vertraut gemacht und genaue Erkundigungen über die Kriegsvorbereitungen der Juden eingezogen hatte, für die Belagerung Jerusalems vier Legionen.

Denn unbegreiflich sind die Wege der Vorsehung, wie Deine Mutter griesgrämig zu sagen pflegt, wenn mir wieder einmal ein Unternehmen geglückt ist. Ausgerechnet meinen früheren Vorgesetzten Flavius Vespasian beauftragte Nero in seiner Launenhaftigkeit mit der Belagerung Jerusalems. Vespasian wehrte sich bis zuletzt. Er erklärte, er sei des Kriegführens müde und habe in Britannien genug Ehre erworben, er sei ein alter Mann und es genüge ihm, Mitglied zweier Priesterkollegien zu sein.

Da er wirklich nicht mehr der Jüngste war und noch unmusikalischer als ich, widerfuhr ihm eines Tages das Mißgeschick, einzuschlafen, als Nero an einem Sängerwettstreit teilnahm. In seinem Zorn kommandierte ihn Nero zu einer beschwerlichen Strafexpedition ab, bei der keine Ehre zu gewinnen war. Er ließ sich zuletzt zwar durch seine Tränen erweichen, gab ihm aber dafür den endgültigen Befehl, Jerusalem zu belagern, und tröstete ihn, indem er sagte, nun habe er, Vespasian, eine einmalige Gelegenheit, sich an den Schätzen der Juden zu bereichern. So brauchte er nicht mehr Maulesel zu verkaufen, was ohnehin eine eines Senators unwürdige Beschäftigung war, und nicht mehr ständig über seine Armut zu jammern.

Die Ernennung Vespasians wurde allgemein als ein Beweis für Neros Wahnsinn angesehen. Vespasian war in dem Maße verachtet, daß Neros Lieblingssklaven ihn mit der größten Unhöflichkeit behandelten, wenn er sich bei seltenen Gelegenheiten einmal im Goldenen Haus blicken ließ. Eingeladen wurde er nur einmal im Jahr, an Neros Geburtstag, und selbst für diese Gunst mußte er sich erkenntlich zeigen, indem er Poppaea und später Statilia Messalina ein paar Maulesel schenkte.

Mit den Verhältnissen im Osten war Vespasian nicht vertraut. Es wäre niemandem eingefallen, ihn für einen Ausschuß oder irgendeinen Sonderauftrag vorzuschlagen. Dagegen hätte Ostorius, den Claudius seinerzeit gleichsam aus Versehen nach Britannien geschickt und der sich dort ausgezeichnet hatte, gern den Befehl über die Legionen übernommen, um den Aufstand der Juden niederzuwerfen. Er äußerte diesen Wunsch so oft, daß Nero schließlich mit gutem Grund mißtrauisch wurde und ihn enthaupten ließ. Vespasian hingegen vertraute er um so mehr, als dieser sich sträubte, den Auftrag zu übernehmen, und ihn als Strafe für seine Schläfrigkeit betrachtete, die er nicht genug verfluchen konnte.

Immerhin zweifelte Nero selbst so sehr an der Richtigkeit seiner Wahl, daß er Vespasian aufforderte, seinen Sohn Titus mitzunehmen, der sich gleichfalls in Britannien ausgezeichnet und als ganz junger Mann einmal seinen Vater durch einen kühnen Reiterangriff aus einem Hinterhalt der Briten herausgehauen hatte. Nero hoffte, Titus werde seinen Vater durch seinen jugendlichen Eifer anspornen und ihm helfen, Jerusalem in kürzester Zeit zu erobern.

Er ermahnte Vespasian jedoch, unnötige Verluste zu vermeiden, denn er hatte von den starken Mauern Jerusalems gehört. Die Lage der Stadt war in militärischer Hinsicht so vorteilhaft, daß es sogar Pompejus seinerzeit schwergefallen war, Jerusalem einzunehmen, und Vespasian war nach Neros eigener Ansicht mit Pompejus nicht zu vergleichen.

Ich fand in Korinth Gelegenheit, wieder Verbindungen mit meinem früheren Befehlshaber anzuknüpfen, und bot ihm freien Aufenthalt in dem neuen prächtigen Haus meines Freigelassenen Hierax. Vespasian war mir dafür sehr dankbar. Ich war überhaupt auf der ganzen Reise der einzige Mann von Rang, der den einfachen, kriegsmüden Vespasian anständig behandelte.

Ich bin, was meine Freundschaften anbelangt, weder voreingenommen noch sonderlich wählerisch. Das dürfte mein Lebenslauf bewiesen haben. In meinen Augen waren die unbeschwerten Jugendjahre, die ich unter seinem Befehl in Britannien verbracht hatte, ein hinreichender Grund, seine barsche Freundlichkeit durch eine Gastlichkeit zu vergelten, die mich nichts kostete.

Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht angebracht, noch einmal darauf hinzuweisen, dal? ich bei der Aufdeckung der Pisonischen Verschwörung alles tat, um die Flavier zu schonen, was wegen des Mordplans des Flavius Scevinus wahrhaftig nicht leicht war. Zum Glück gehörte er einer eher verachteten Seitenlinie dieses Geschlechtes an. Ich hatte ihn selbst angezeigt und hatte daher ein gewisses Recht, für die anderen Flavier ein gutes Wort einzulegen.

Auf Vespasian fiel nie der Schatten eines Verdachts, denn er war so arm, daß er seine Stellung als Senator nur mit knapper Not zu halten vermochte. Ich hatte eines meiner Landgüter auf seinen Namen überschreiben lassen, als die Zensoren bemerkten, daß er die Vermögensbedingungen nicht mehr erfüllte. Außerdem kannte man ihn allgemein als einen so rechtschaffenen Mann, daß es der schäbigste Verräter nicht der Mühe wert fand, seinen Namen auf eine Liste zu setzen.

Ich erwähne all dies, um zu zeigen, wie fest ich seit jeher mit den Flaviern verbunden war und welchen Wert Vespasian schon zu einer Zeit auf meine Freundschaft legte, da einer von Neros Sklaven ihm noch ungestraft vor die Füße spucken durfte, obwohl er Senator war und den Konsulsrang innehatte. Und meine Freundschaft war ganz uneigennützig. Den Traum, den ich damals gehabt hatte, als die Druiden mich in Schlaf versenkten, hatte ich längst vergessen, aber das wird mir natürlich niemand glauben, denn ich gelte als ein Mann, der immer und überall auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. So stellt mich ja auch das Spottgedicht Deines Freundes dar.

Im Haus des Hierax hatte ich Gelegenheit genug, festzustellen, daß »manche Menschen ungeschliffenen Edelsteinen gleichen, indem sie nämlich unter der rauhen Oberfläche glänzende Eigenschaften verbergen«, wie Dein bärtiger junger Freund Juvenal gerade unlängst erst schrieb, um dem Kaiser Vespasian zu schmeicheln. Ich kenne diesen Burschen durch und durch. Er hat allen Grund, nach der Gunst des Kaisers zu streben, denn seine ungebührliche Sprache und seine frechen Spottverse haben Anstoß erregt. Nicht bei mir, denn er ist ja Dein Freund. Nach der Art junger Menschen bewunderst Du den, der die loseste Zunge hat. Denk aber wenigstens daran, daß Du vier Jahre jünger bist als dieser ungewaschene Lümmel.

Wenn ich eines mit Sicherheit sagen kann, so ist es das, daß Juvenals unanständige Verse bald vergessen sein werden. Ich habe schon so manchen heller strahlenden Stern als den seinen aufflammen und wieder verlöschen sehen. Außerdem werden ihm seine alberne Trunksucht, seine Unverschämtheit, seine üble Gewohnheit, die Nacht zum Tag zu machen, und dieses ständige Geklimper mit ägyptischen Spielwerken bald noch den letzten Rest echter dichterischer Begabung austreiben, den er vielleicht noch besitzen mag.

Ich schreibe das nicht, weil Du ein Spottgedicht bei mir liegen ließest, das ein verachtungswürdiger junger Mann über mich geschrieben hat, weil ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, seine Versuche in meinem Verlag erscheinen zu lassen. Nein, so einfältig bin ich nicht. Ich mache mir nur ernste Sorgen um Dich, mein Sohn.

In Korinth gewann ich Vespasians Freundschaft in dem Maße, daß er mich, ehe er nach Ägypten reiste, um die beiden Legionen zu übernehmen, die dort in Garnison lagen, eindringlich bat, ihm meine Sachkenntnis und meine guten Beziehungen zu den Juden zur Verfügung zu stellen und ihn ins Feld zu begleiten. Ich mußte höflich ablehnen. Es handelte sich ja damals um, keinen wirklichen Krieg, sondern nur um eine Strafexpedition gegen aufrührerische Untertanen.

Als Vespasian abgereist war, ließ Nero, um seine Absichten zu tarnen, die Prätorianerlegion bei Korinth einen Kanal graben. Dieses Unternehmen war auf seinen Befehl schon früher in Angriff genommen worden, hatte aber wieder aufgegeben werden müssen, weil sich die unheimlichsten Dinge ereigneten. Die tagsüber ausgehobenen Gräben füllten sich während der Nacht mit Blut, und im Dunkeln konnte man entsetzliche Klagerufe hören, die bis in die Stadt hinüberhallten und den Korinthern Angst und Schrecken einjagten. Das ist die reine Wahrheit und kein dummes Geschwätz. Ich weiß es nämlich aus der sichersten Quelle, die es in diesem Falle gibt.

Hierax hatte im Zuge seiner glänzenden Geschäfte auch sehr einträgliche Anteile an der Gleitbahn erworben, auf der die Schiffe über die Landenge getreidelt wurden. Es versteht sich von selbst, daß die Besitzer dieser Bahn, die beträchtliche Gelder investiert hatten – nicht zuletzt in die kräftigen Sklaven, die zu dieser Arbeit erforderlich waren –, von einem Kanal nichts wissen wollten. Hierax hatte jederzeit frisches Blut in großen Mengen, denn er verkaufte in seinen wassergekühlten Fleischläden auch an Juden und mußte daher die Schlachttiere, so wie es die Juden verlangten, vollständig ausbluten lassen, bevor sie zerteilt wurden.

Aus diesem Blut, das in Blasen aufbewahrt wurde, ließ er gewöhnlich Blutwürste für die Sklaven in seiner Kupfergießerei braten. Auf den Rat seiner Geschäftsfreunde hin opferte er, ohne auf seinen eigenen Vorteil zu sehen, das während mehrerer Tage anfallende Blut und ließ es in den Nächten in die Gräben auf dem Bauplatz schaffen. Für das Seufzen und Jammern der Verstorbenen sorgten seine Geschäftsfreunde. Daß sich dergleichen leicht bewerkstelligen läßt, habe ich, glaube ich, schon berichtet, als ich erzählte, wie Tullias Haus mein gesetzliches Eigentum wurde.

Nero verriet ich selbstverständlich nichts von dem, was mir Hierax anvertraute, und ich hatte ja auch keinen Grund, den Kanalbau zu unterstützen. Als sich die Prätorianer weigerten weiterzuarbeiten, weil die unheimlichen Geschehnisse sie erschreckten und körperliche Arbeit ihnen außerdem zuwider war, setzte es sich Nero erst recht in den Kopf, seinen Plan auszuführen, und grub unter großen Festlichkeiten mit eigenen Händen die erste Grube in der zukünftigen Fahrrinne. Die Prätorianer und das Volk von Korinth sahen ihm zu.

Auf seine eigenen kaiserlichen Schultern hob er den ersten Korb Erde und trug ihn tapfer an das zukünftige Kanalufer. Diese Grube füllte sich nicht mit Blut, und das nächtliche Klagegeschrei hörte auf. Die Prätorianer faßten wieder Mut und gruben weiter, und die Zenturionen erleichterten ihnen die Arbeit mit Stockhieben, um selbst nicht zur Schaufel greifen zu müssen. Das trug dazu bei, daß die Prätorianer Nero noch bitterer zu hassen begannen als den strengen Tigellinus, der sie durch gewöhnliche Übungsmärsche bestrafte. Sie gaben eben ihre letzten Kräfte lieber draußen auf den Straßen her als am Spatenstiel.

Ich selbst hatte nach gründlicher Überlegung Hierax gebeten, kein Blut mehr in die Gräben schütten zu lassen. Meine wahren Gründe gab ich nicht preis. Ich riet ihm nur, um seiner eigenen Gesundheit willen den Verlust wie ein Mann zu tragen. Hierax befolgte meinen Rat um so lieber, als der mißtrauische Nero dazu übergegangen war, in der Nacht Wachen aufzustellen, die alle Unbefugten am Betreten des Kanalgeländes hinderten.

Hierax und seine jüdischen Verbindungen in Korinth brachten mir großen Nutzen. Ich hatte nämlich, gleich als die Nachricht vom Untergang der Legion in Judäa eintraf, allen Judenchristen eine, Warnung zugehen lassen und ihnen geraten, sich still zu verhalten, denn Nero sandte damals nach Italien und in alle Provinzen den Befehl, jeden jüdischen Aufwiegler beim geringsten Anzeichen von Unruhen sofort festzunehmen und hinzurichten.

Man konnte von einem römischen Beamten nicht gut verlangen, daß er zwischen dem himmlischen und dem irdischen Reich oder zwischen einem Christus und irgendeinem anderen Messias unterschied. Ein Aufwiegler war ein Aufwiegler. Für den Verstand eines Römers war das Wirken der Judenchristen nichts anderes als politische Hetze unter einem religiösen Deckmantel. Die Sache wurde dadurch nicht besser, daß Nero nach zahllosen Schnellverfahren und Hinrichtungen öffentlich als der Antichrist bezeichnet wurde, dessen Kommen Jesus von Nazareth prophezeit hatte. Nero nahm ihnen allerdings diesen Spitznamen nicht übel, sondern stellte lediglich fest, daß die Christen ihn offensichtlich als einen ihrem Christus ebenbürtigen Gott betrachteten, da sie ihn durch einen so großartigen Namen ehrten.

Im Grunde ist die Schwäche der Christen gerade darin zu sehen, daß sie die Politik verachten, sich jeder politischen Betätigung enthalten und ihre Hoffnung auf ein unsichtbares Reich richten, das nach allem, was ich davon verstehe, keine Gefahr für den Staat bedeutet. Deshalb haben sie, nun da ihre Führer tot sind, keine Zukunft auf dieser Welt. Ihr Glaube wird bald ganz verschwunden sein, nicht zuletzt, weil sie fortwährend Streit miteinander haben und der eine dies glaubt und der andere das und jeder seinen Glauben für den einzig richtigen hält. Das ist meine feste Überzeugung, was immer Deine Mutter behaupten mag. Eine Frau hat keinen Sinn für die politische Wirklichkeit.

Ich habe mich oft für die Christen, die beschnittenen wie die unbeschnittenen, heiser geredet, um zu beweisen, daß sie politisch harmlos sind. Doch man kann das einem Römer mit juristischer Bildung und Erfahrenheit im Amt nicht begreiflich machen. Er schüttelt nur den Kopf und verdächtigt die Christen nach wie vor aller möglichen politischen Umtriebe.

Es gelang mir zu meinem Kummer nicht, Paulus zu retten, denn seine Ruhelosigkeit zwang ihn, unaufhörlich von einem Land ins andere zu reisen. Die letzte Auskunft über ihn erhielt ich von einem meiner Ölaufkäufer in Emporiae, einer blühenden Stadt an der Nordostküste Iberiens, deren Hafen allerdings immer mehr versandet. Dort wurde Paulus von den rechtgläubigen Juden verjagt. Meinem Gewährsmann zufolge kam er jedoch einigermaßen mit heiler Haut davon.

In Iberien wie anderswo mußte er sich damit begnügen, seine Lehre in den Küstenstädten zu verkünden, die einst von Griechen gegründet wurden und in denen in der Hauptsache noch Griechisch gesprochen wird, wenngleich natürlich Gesetze und Erlässe in lateinischer Sprache in Kupfertafeln eingeritzt werden. Es gibt viele große Städte dieser Art an der iberischen Küste, so daß es Paulus an Reisezielen nie mangelte. Der Ölhändler meinte, er sei dann südwärts nach Malaca gesegelt, um von dort aus das westliche Iberien zu erreichen, denn er war noch so ruhelos wie eh und je.

Es ist daher seine eigene Schuld, daß meine Warnung ihn nicht erreichte. Man fing ihn schließlich in Troas im asiatischen Bitynien, und seine Verhaftung erfolgte so plötzlich, daß seine Schriften, seine Bücher und sein Reisemantel in seiner Herberge liegenblieben. Er hatte nach Asia reisen müssen, um die von ihm Bekehrten im Glauben zu stärken, denn sie wurden, zumindest seiner Ansicht nach, von miteinander wetteifernden Wanderpredigern zu allerlei Irrlehren verleitet. Jedenfalls nannte er so manchen einen Lügenpropheten, der wie er selbst um Christi willen Not und Entbehrungen litt und sein Leben aufs Spiel setzte, wenngleich diese Männer vielleicht nicht so tief in die göttlichen Geheimnisse Einblick hatten wie er.

Als in Rom die Nachricht eintraf, daß der Aufenthaltsort des Paulus verraten worden war, wurde augenblicklich auch das Versteck des Kephas verraten. Das glaubten die heißblütigen Anhänger des Paulus ihrem Lehrer schuldig zu sein. Kephas hatte meine Warnung rechtzeitig erhalten und sich auf den Weg nach Puteoli gemacht. Beim vierten Meilenstein auf der Via Appia war er jedoch wieder umgekehrt. Als Grund gab er an, Jesus von Nazareth habe sich ihm in seiner ganzen Herrlichkeit offenbart. Jesus hatte ihn gefragt: »Wohin gehst du, mein Fels?« Darauf hatte Kephas verlegen geantwortet, er fliehe aus Rom. Da hatte der Nazarener betrübt gesagt: »So will ich selbst nach Rom gehen, um zum zweiten Male gekreuzigt zu werden.«

Kephas schämte sich und kehrte demütig nach Rom zurück, gewiß auch glücklich darüber, daß er seinen Meister noch einmal hatte sehen dürfen. Kephas war in seiner Einfachheit der erste von allen Jüngern gewesen, der in Jesus von Nazareth Gottes Sohn erkannt hatte. Deshalb hatte ihn sein Lehrer so liebgewonnen und ihn den Ersten unter seinen Jüngern genannt – nicht seiner Körperkräfte und seines Feuergeistes wegen, wie viele noch immer glauben.

Ich berichte, was ich gehört habe, und die Geschichte wird auch anders erzählt. Das Wesentliche scheint mir jedoch zu sein, daß Kephas auf der Via Appia ein Gesicht oder eine Offenbarung irgendwelcher Art hatte. Das machte es ihm möglich, sich zuletzt doch noch mit Paulus auszusöhnen, ehe sie beide starben. Paulus hatte ja Jesus von Nazareth nie in Fleisch und Blut gesehen. Auf seine Offenbarung anspielend, hatte Kephas eines Tages, von Neid ergriffen, gesagt, er brauche nicht zu erfundenen Geschichten Zuflucht zu nehmen, denn er habe Jesus von Nazareth gekannt, als er noch auf Erden lebte. Diese Worte fielen, als die beiden einander noch voll Eifer zu überbieten trachteten. Nun aber, nachdem er selbst eine echte Offenbarung erlebt hatte, schämte sich Kephas seiner Anschuldigungen und bat Paulus um Verzeihung.

Es tat mir leid um diesen einfachen Fischer, der nach mehr als zehn Jahren in Rom weder die lateinische noch die griechische Sprache erlernt hatte, so daß er ohne Dolmetsch hilflos und verloren war. Es gab deshalb übrigens auch viele Mißverständnisse, und man behauptete sogar, er zitiere falsch oder zumindest sehr ungenau aus den heiligen Schriften der Juden, um zu beweisen, daß Jesus von Nazareth der wahre Messias oder Christus sei. Als wäre das für die, welche an ihn glaubten, so wichtig gewesen! Die Judenchristen haben jedoch die unausrottbare Gewohnheit, ständig mit ihrer Gelehrsamkeit zu prunken, um Wörter und ihre Bedeutung zu streiten und sich in allem auf die heiligen Schriften zu berufen.

Das wäre Grund genug, diese nach und nach ins Lateinische übersetzen zu lassen, damit sie eine endgültige, eindeutige Form erhalten. Dazu eignet sich nämlich unsere Sprache vorzüglich. Man brauchte sich dann endlich nicht mehr über den richtigen Inhalt der Worte zu streiten, wovon man nur Kopfschmerzen bekommt.


Doch ich will meinen Bericht fortsetzen. Von denen, die sozusagen den inneren Kreis der Anhänger Christi bildeten, gelang es mir nur, einen gewissen Johannes zu retten, der während der Judenverfolgungen nach Ephesus geflohen war. Ich bin selbst nie mit ihm zusammengetroffen, aber er soll ein milder, sanftmütiger Mann sein, der sich damit die Zeit vertreibt, seine Erinnerungen niederzuschreiben und die Christen miteinander zu versöhnen. Mein Vater mochte ihn gern. Auch er wurde in dieser Zeit des Hasses und des Verrats angezeigt, aber der Prokonsul in Asia war zufällig ein Freund von mir und begnügte sich damit, ihn auf eine Insel im Meer zu verbannen.

Ich wunderte mich sehr, als ich hörte, daß er dort einige merkwürdige, recht wilde Offenbarungen hatte und aufzeichnete, aber er soll sich wieder beruhigt haben, nachdem man ihm erlaubte, nach Ephesus zurückzukehren.

Uns Mitglieder des Ausschusses für orientalische Angelegenheiten strafte Nero nur dadurch, dal? er uns nach Rom zurückschickte, wo wir darauf zu achten hatten, daß es zu keinem bewaffneten Aufruhr von seiten der Juden kam. Er meinte spöttisch, dieser Aufgabe wären wir hoffentlich gewachsen, nachdem wir in allen anderen Dingen nur unsere völlige Unfähigkeit bewiesen hätten. Auflösen konnte er den Ausschuß nicht, denn das wäre Sache des Senats gewesen. Der Senat nahm ihm zuliebe jedoch einige Umbesetzungen vor, obwohl es schwer war, neue Männer zu finden, die gewillt waren, ihre Zeit für diese unangenehme Verpflichtung zu opfern.

Ich war schon wieder in Rom, als Nero Achaia zu einem freien Reich ausrief und Griechenland seine frühere Selbständigkeit zurückgab. An den politischen Verhältnissen änderte sich deshalb nichts, das wußte ich, seit ich in meiner Jugend in Korinth als Kriegstribun gedient hatte. Die Griechen durften fortan lediglich selbst einen Statthalter wählen, selbst für ihr Kriegsheer aufkommen und selbst ihren Kanal graben. Trotzdem jubelten diese kurzsichtigen Menschen über Neros großzügige Geste.

Ich bemerkte sehr wohl, daß Nero in seinem Erlaß den Senat mit keinem Wort erwähnte, sondern eindeutig zu erkennen gab, daß Nero und nur Nero eine solche Freiheitserklärung ausfertigen konnte. Wir waren gewarnt von dem Tage an, da wir mit unseren eigenen Ohren hatten hören müssen, wie Nero beim Beginn des Kanalbaus der Hoffnung Ausdruck gab, dieses große Vorhaben werde Achaia und dem Volk von Rom zum Vorteil gereichen. Dem Volk … Den Senat erwähnte er nicht, wie es sich bei einer öffentlichen Rede eigentlich gehört hätte. Der richtige Ausdruck lautet: »Senat und Volk von Rom.« Und dabei bleibt es, was immer auch geschehen mag.

Es war nach alledem nicht verwunderlich, daß ich das Gefühl hatte, Orcus lenke meine Schritte und Charon blase mir seinen kalten Atem ins Genick, als ich die Juden zu ihrem Sterben begleitete. Das gleiche unbehagliche Gefühl hatte so mancher andere Senator, obgleich wir freilich aus Gründen der Sicherheit nie darüber sprachen. Wer durfte sich denn noch auf einen anderen verlassen, sich einem andern anvertrauen! Es gab sogar einen, der vorsichtshalber immer eine Million Sesterze in Gold auf einem Karren mit sich führte, wenn er eine kleine Reise antrat.

Nero erlaubte uns nicht einmal, ihn in Neapolis abzuholen. Dort wollte er nämlich seinen Siegeszug nach Rom antreten, weil er im Theater in Neapolis zum erstenmal öffentlich gesungen hatte. Seine Rückkehr sollte jedoch kein Triumph im eigentlichen Sinne sein. Er hatte sich eine Art künstlerischen Triumphzug ausgedacht, um dem Volk sein Vergnügen und einige freie Tage zu bieten. In politischer Hinsicht war das an sich nicht unklug, da der Feldzug im Osten im Sande Verlaufen war, aber wir fanden es unerhört, daß wir auf seinen Befehl einen Teil der Stadtmauer niederreißen lassen mußten, um Platz für den Siegeszug zu schaffen. Eine solche Ehre war noch keinem Sieger erwiesen worden, nicht einmal Augustus. Wir waren allgemein der Ansicht, daß Nero allmählich wie ein orientalischer Gewaltherrscher aufzutreten begann. So etwas wird in Rom nicht geduldet, da mag ein gewisser ungewaschener Lümmel noch so viel unverschämtes Zeug über die Verderbtheit unserer Sitten zusammendichten.

Nicht nur wir, sondern auch das Volk, worunter ich alle rechtdenkenden Bürger verstehe, schüttelten den Kopf, als Nero auf dem heiligen Triumphwagen des Augustus durch die Mauerbresche und quer durch die Stadt fuhr, hinter ihm wagenweise Siegeskränze und an Stelle von Soldaten eine Ehrenwache von Schauspielern, Spielleuten, Sängern und Tänzern. Anstatt Schlachtenbilder zu zeigen, hatte er griechische Künstler große Tücher bemalen und Figurengruppen meißeln lassen, die seine Siege in den Sängerwettstreiten darstellten. Er selbst war in einen purpurnen Mantel mit goldenen Sternen gekleidet, und auf dem Haupt trug er einen doppelten olympischen Kranz aus Olivenblättern.

Gleichwohl muß zu seiner Ehre gesagt werden, daß er, wie alle Triumphatoren vor ihm, nach altem Brauch demütig auf den Knien die steile Treppe auf den Kapitolinischen Hügel hinaufkroch und daß er seine wertvollsten Siegeskränze nicht nur Jupiter Custos, sondern auch anderen wichtigen Göttern Roms weihte, Juno und Venus nicht ausgenommen. Die übrigen Kränze reichten noch immer, um alle Wände im Empfangssaal und im runden Speisesaal des Goldenen Hauses zu bedecken.

Dennoch verlief Neros Heimkehr nicht ganz so angenehm, wie ein Außenstehender sich das vorstellen mochte. Statilia Messalina war zwar eine verwöhnte, willensschwache Frau, aber immerhin eine Frau, und sie konnte es nicht stillschweigend hinnehmen, daß Nero Sporus die gleichen ehelichen Rechte einräumen wollte wie ihr, so daß er hernach ganz der Laune des Augenblicks folgend das Ehebett hätte wechseln können. Es kam deshalb zu einem Familienstreit, der durch die Dienerschaft weit über die Grenzen des Palastes hinaus bekannt wurde. Nero hielt sich das Schicksal Poppaeas vor Augen und wagte es nicht, seine Gattin zu treten. Das machte sich Statilia zunutze. Nach einiger Zeit verlangte Nero zornig seine Siegeskränze von Juno zurück. Viel mehr konnte er nicht tun, außer daß er zuletzt Statilia nach Antium verbannte. Gerade das aber war ihr Glück.

Statilia Messalina lebt noch heute und trauert um Nero. Wie es sich für eine Witwe geziemt, erinnert sie sich nur an seine guten Seiten. Oft schmückt sie das bescheidene Mausoleum der Domitier, das vom Pincius aus sehr gut zu sehen ist, mit Blumen. Es liegt unweit der Gärten des Lukull, wo ich in meiner Jugend mit Nero und Agrippina zusammen die Kirschbäume blühen sah.

Es heißt, im Grabgewölbe der Domitier ruhen die Gebeine Neros. In den östlichen Provinzen aber hat es wegen Nero viel Streit und Unruhe gegeben, denn dort wollen die Leute nicht glauben, daß er tot ist. Sie hoffen vielmehr, er werde zurückkehren, und gedenken seiner Regierung als einer glücklichen Zeit, was man ihnen in Anbetracht der Steuern, die wir heutzutage zahlen müssen, und der Habgier des Staates nicht verargen kann.

Ab und zu taucht im Osten irgendein entsprungener Sklave auf und gibt sich als Nero aus. Die Parther unterstützen solche Versuche, Unruhe zu stiften, gern. Wir haben bereits zwei falsche Neros kreuzigen lassen. Um das Volk zu beruhigen, gab man ihnen vorher Gelegenheit, ihre Echtheit zu beweisen, indem sie sangen, aber keiner konnte singen wie Nero. Wie dem auch sei, Statilia Messalina gedenkt seiner durch Blumen und schmückt sein Grab. Wenn es sein Grab ist.


Ich habe mich wieder einmal mit diesem und jenem aufgehalten, um nicht von der einen Sache sprechen zu müssen, an die ich nur voll Kummer zurückdenke. Dank Neros Triumph und seinen übrigen politischen Pflichten gelang es mir, die Hinrichtungen erstaunlich lange hinauszuschieben. Schließlich aber kam der Tag, da wir die längst gefällten Todesurteile Nero zur Bestätigung vorlegen mußten. Hätte ich noch weitere Ausflüchte gesucht, so wäre ich wohl, nicht zuletzt von meinen Amtsbrüdern, selbst als Judenfreund verdächtigt worden.

Um unseren Ruf reinzuwaschen, hatten wir im Ausschuß für orientalische Angelegenheiten gründliche Arbeit geleistet, um uns ein zuverlässiges Bild von den wirklichen Verhältnissen innerhalb der jüdischen Kolonie Roms zu verschaffen und zu beurteilen, wieweit sie nach dem Aufstand der Juden in Jerusalem eine Gefahr für den Staat darstellte. Es war für einige von uns eine sehr lohnende Tätigkeit, und zuletzt konnten wir dem Senat und Nero mit gutem Gewissen einen beruhigenden Bericht vorlegen.

Wir setzten es im Senat mit knapper Stimmenmehrheit durch, daß von einer Judenverfolgung im eigentlichen Sinne Abstand genommen wurde und man sich damit begnügte, verdächtige Elemente und Aufwiegler auszusondern. Unser Vorschlag gründete sich auf gesunde Vernunft und wurde trotz dem Judenhaß, den der Aufstand in Jerusalem erweckt hatte, angenommen. Ich muß allerdings gestehen, daß ich recht tief in die Tasche griff, um die Angelegenheit in diesem Sinne zu regeln, weil Claudia so viele Freunde unter den Judenchristen hatte. Der schiefnasige Aquila und die mutige Prisca, um nur zwei Beispiele zu nennen, hätten bei einer großen Säuberung bestimmt daran glauben müssen. Aber ich bin ja ein Unmensch, ein Geizkragen, der aus allem seinen Vorteil zu schlagen versteht und für den Dein bester Freund Juvenal nicht ein gutes Wort übrig hat. Ich kann mir denken, was meine Freunde ihm für die Abschriften von seinem Gedicht bezahlen. Schadenfreude ist die schönste Freude. Wir beide. Du und ich, wollen uns wenigstens darüber freuen, daß Dein bärtiger Freund dank mir seine Schulden loswird, ohne daß es mich ein einziges Kupferstück kostet.

Wenn ich so habgierig wäre, wie er behauptet, müßte ich ihm das verfluchte Spottgedicht abkaufen und meinen eigenen Verlag den Gewinn einstreichen lassen. Ich bin aber nicht wie Vespasian, der sogar das Wasser besteuert, das man abschlägt. Wir sprachen einmal über Begräbnisse mit ihm. Da fragte er uns, wieviel unserer Meinung nach sein Begräbnis einst die Staatskasse kosten werde. Wir rechneten aus, daß die Festlichkeiten mindestens zehn Millionen Sesterze verschlingen würden. Das war keine Schmeichelei, sondern wir konnten es ihm mit eindeutigen Zahlen beweisen. Vespasian seufzte schwer und bat bekümmert: »Gebt mir lieber gleich hunderttausend, dann dürft ihr meine Asche in den Tiber schütten.«

Natürlich blieb uns wieder einmal nichts anderes übrig, als in seinem altmodischen Strohhut hunderttausend Sesterze zu sammeln, wodurch uns dieses Mahl teuer zu stehen kam. Das Essen war noch dazu herzlich schlecht. Vespasian liebt einfache Sitten und seinen eigenen frischen Landwein. Dagegen wäre nichts zu sagen, aber ich habe um meiner Stellung willen mehr als einmal sein Amphitheater befürworten müssen. Das soll ja nun das achte Weltwunder werden, und Neros Goldenes Haus nimmt sich daneben wie die Spielerei eines verwöhnten Knaben aus.

Ich bin schon wieder abgeschweift, doch nun will ich zur Sache kommen. Es ist, wie wenn man sich einen Zahn ziehen läßt. Nur Mut, Minutus, und nicht lang gezaudert! Mich trifft übrigens keine Schuld. Ich habe für sie getan, was in meiner Macht stand. Mehr kann kein Mensch tun. Keine Macht der Welt konnte Kephas und Paulus das Leben retten. Kephas kehrte selbst nach Rom zurück, obwohl er sich während der schlimmsten Zeit hätte verstecken können.

Ich weiß, daß heute alle seinen lateinischen Namen anwenden und ihn Petrus nennen. Mir aber ist sein alter Name lieb, und für mich heißt er Kephas. Petrus ist eine Übersetzung von Kephas, was »Fels« bedeutet. Jesus von Nazareth gab ihm diesen Namen. Warum, weiß ich nicht. Kephas war seiner Gemütsart nach kein Fels. Er war heftig und aufbrausend und konnte manchmal sehr feige sein, ja er hat sogar einmal geleugnet, Jesus von Nazareth zu kennen, damals, in dessen letzter Nacht, und in Antiochia ist er alles andere denn mutig vor dem Boten Jacobs aufgetreten, der es als einen Verstoß gegen das jüdische Gesetz betrachtete, daß er mit Unbeschnittenen zusammen aß. Und doch, oder, wer weiß, vielleicht gerade deshalb, war Kephas ein Mensch, den man nicht vergessen kann.

Von Paulus sagt man heute, er habe sich nach Sergius Paulus, dem Statthalter auf Zypern, so genannt, weil dieser von allen, die er bekehrte, der vornehmste war. Das ist an den Haaren herbeigezogen. Paulus legte seinen ursprünglichen Namen Saulus ab, bevor er mit Sergius zusammentraf, und nannte sich nur deshalb Paulus, weil das, ebenso wie mein eigener Name Minutus, der Unbedeutende, Geringe, Wertlose bedeutet.

Mein Vater hatte, als er mir diesen verächtlichen Namen gab, nicht geahnt, daß er mich zum Namensvetter des Paulus machte. Aber Schande über den, dem ein Name schadet. Vielleicht ist ein wenig auch mein Name daran schuld, daß ich diese Erinnerungen niederzuschreiben begann, um zu beweisen, daß ich in Wirklichkeit nicht so unbedeutend bin, wie man meinen möchte. Der hauptsächliche Grund ist freilich der, daß ich hier in diesem Kurort, wo ich Mineralwasser trinke und die Ärzte meinen kranken Leib pflegen, anfangs meinen Betätigungsdrang nicht anders zu befriedigen wußte. Und dann dachte ich mir auch, daß es Dir vielleicht nützen könnte, ein wenig über Deinen Vater zu wissen, wenn Du einmal meine Asche in dem Grab in Caere eingemauert hast.

Ich sorgte dafür, daß es Kephas und Paulus während ihrer langen Gefangenschaft gutging, und verfügte, daß sie, wenn auch unter Bewachung, miteinander sprechen durften, sooft sie wollten. Als gefährliche Staatsfeinde mußten sie in Tullianum eingesperrt werden, und Tullianum ist kein sehr gesunder Aufenthaltsort, obgleich es eine jahrhundertealte ehrenvolle Tradition hat. Dort wurde Jugurtha erdrosselt, dort wurde dem Vercingetorix der Schädel eingeschlagen, Catilinas Freunde verloren dort ihr Leben, und die kleine Tochter des Sejanus wurde dort vor ihrer Hinrichtung geschändet, damit der Buchstabe des Gesetzes erfüllt wurde, denn wir Römer richten niemals eine Jungfrau hin. Paulus schien einen qualvollen Tod zu fürchten, aber Nero war in diesen Dingen nicht kleinlich und gehässig, obwohl er über den Aufstand der Juden erbittert war und allen jüdischen Aufwieglern die Schuld daran gab. Paulus war römischer Bürger und hatte ein Recht darauf, mit dem Schwert gerichtet zu werden. Dieses Recht hatten nicht einmal seine Richter in Frage gestellt. Kephas dagegen verurteilten wir nach dem Gesetz zur Kreuzigung, obwohl ich für mein Teil einem alten Mann und Freund meines Vaters diesen qualvollen Tod gern erspart hätte.

Ich verschaffte mir Gelegenheit, die beiden an dem frischen Sommermorgen, an dem sie zur Hinrichtung geführt wurden, auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Ich hatte angeordnet, daß keine anderen Juden zur selben Zeit gekreuzigt werden sollten, denn draußen auf der Richtstätte herrschte sonst der Juden wegen stets ein großes Gedränge, und ich wollte, daß Paulus und Kephas allein und mit Würde sterben konnten.

Wo der Weg nach Ostia abzweigt, mußte ich mich entscheiden, wem ich folgen wollte, denn es war bestimmt worden, daß Paulus zu demselben Tor gebracht werden sollte, wo man meinen Vater und Tullia enthauptet hatte. Kephas dagegen sollte als abschreckendes Beispiel durch das jüdische Viertel geführt und dann auf der Richtstätte der Sklaven in der Nähe von Neros Amphitheater gekreuzigt werden.

Paulus hatte seinen Freund, den Arzt Lucas, bei sich, und ich wußte, daß niemand ihn beleidigen würde, denn er war römischer Bürger. Kephas dagegen konnte meinen Schutz brauchen. Ich fürchtete auch für seine Begleiter, Marcus und Linus. Deshalb entschied ich mich für Kephas.

Meine Sorge war zum Glück unbegründet gewesen. Man warf ein paar Erdklumpen nach Kephas, ließ ihn aber sonst in Ruhe. Die Juden waren so weit Juden, daß sie sich trotz ihrem bitteren Haß gegen einen Abtrünnigen damit begnügten, schweigend zuzusehen, wie ein jüdischer Aufwiegler wegen des Aufstandes in Jerusalem zur Kreuzigung geführt wurde. Um den Hals trug Kephas das übliche Schild, auf dem in lateinischer und griechischer Sprache zu lesen stand: »Simon Petrus aus Kapernaum, Galiläer, Feind des Reiches und der Menschheit.«

Als wir die Stadt hinter uns gelassen hatten und zwischen den Gärten dahingingen, begann die Hitze drückend zu werden. Ich sah Schweißperlen über Kephas’ gefurchte Stirn rollen. Da befahl ich, ihm das Kreuz vom Rücken zu nehmen und einem Juden zu tragen zu geben, der uns entgegenkam, wozu die Soldaten das Recht hatten. Kephas selbst bat ich, zu mir in die Sänfte zu steigen, und ich dachte nicht an das Gerede, das mir meine Freundlichkeit einbringen mußte.

Kephas wäre aber nicht Kephas gewesen, wenn er nicht schroff geantwortet hätte, er sei durchaus imstande, das Kreuz auf seinen breiten Schultern zu tragen, und brauche keine Hilfe. Auch wollte er nicht neben mir. sitzen, sondern auf seinem letzten Gang noch einmal den Staub der Straße unter seinen Füßen und die heiße Sonne auf seinem Kopf spüren wie damals vor langer Zeit, als er Jesus von Nazareth über die Straßen Galiläas folgte. Er wollte nicht einmal, daß man den Strick losband, an dem er geführt wurde, sondern behauptete, Jesus von Nazareth habe ihm gerade dies vorausgesagt, und die Prophezeiung müsse erfüllt werden. Gleichwohl stützte er sich müde auf seinen abgenutzten Hirtenstab.

Als wir zur Richtstätte kamen, die in der Sonnenhitze stank, fragte ich Kephas, ob er wünsche, vorher gegeißelt zu werden. Es ist dies eine Barmherzigkeit, die man den Verurteilten vor der Kreuzigung angedeihen läßt, um Wundfieber hervorzurufen und den Tod zu beschleunigen, aber viele Barbaren verstehen es falsch und legen es uns als Grausamkeit aus. Kephas antwortete, er brauche die Geißelung nicht, sondern habe seine eigenen Pläne, aber gleich darauf bereute er seine Worte und sagte, er wolle demütig den Weg zu Ende gehen wie so viele andere Zeugen vor ihm, und auch Jesus von Nazareth sei gegeißelt worden.

Er schien es jedoch nicht eilig zu haben. Ich sah den Schimmer eines Lächelns in seinen Augen, als er sich an seine Begleiter Marcus und Linus wandte und sagte: »Hört mich an, ihr beiden. Hör mich an, Marcus, obgleich ich dir dies schon unzählige Male gesagt habe. Hör auch du mich an, Minutus, wenn du magst. Jesus sagte: ›Das Reich Gottes ist so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag. Und der Same geht auf und wächst, er aber weiß nicht, wie. Denn die Erde bringt von selbst zuerst das Gras, danach die Ähren, danach den vollen Weizen in den Ähren. Wenn aber die Saat reif ist, schickt er die Sichel, denn die Ernte ist da.‹«

Er schüttelte ungläubig den Kopf, Tränen der Freude tanzten ihm in den Augen, er lachte und rief: »Und ich einfältiger Mensch habe nichts begriffen, obgleich ich seine Worte immerzu wiederholt habe. Jetzt erst verstehe ich. Die Saat ist reif, und die Sichel ist da.«

Mit einem Blick auf mich segnete er sodann Linus, reichte ihm seinen abgenutzten Stab und sagte: »Hüte meine Schafe.« Es war, als hätte er gewollt, daß ich dies sähe und bezeugte. Dann erst wandte er sich demütig den Soldaten zu.

Die Soldaten banden ihn an einen Pfahl und begannen ihn zu geißeln. Trotz seinen Körperkräften vermochte er ein schweres Stöhnen nicht zu unterdrücken. Bei dem Klatschen der Geißelhiebe und dem Stöhnen erwachte einer der am vorangegangenen Tag gekreuzigten Juden aus seinen Todeszuckungen, schlug die fieberglänzenden Augen auf, daß die Fliegen aufschwärmten, und erkannte Kephas. Und noch am Kreuz konnte es dieser zählebige, echte Jude nicht unterlassen, über Jesus von Nazareth und seine Behauptung, er sei der Christus, zu spotten. Er forderte Kephas mit Zitaten aus den heiligen Schriften der Juden zu einem Streitgespräch heraus, aber danach verspürte Kephas kein Verlangen mehr.

Er sagte nach der Geißelung den Soldaten, man solle ihn mit dem Kopf nach unten ans Kreuz schlagen, denn er sei nicht würdig, mit dem Kopf gen Himmel gekreuzigt zu werden wie sein Herr Jesus Christus, Gottes Sohn. Ich mußte mein Lächeln in einem Zipfel meines Mantels verbergen.

Bis zu seiner letzten Stunde blieb Kephas der echte, alte Kephas, dessen gesunder Fischerverstand vonnöten war, um das Reich zu errichten. Ich verstand, warum Jesus von Nazareth ihn geliebt hatte, und liebte ihn in dieser Stunde selbst. Die gesunde Vernunft sagt einem ja, daß ein alter Mann unvergleichlich leichter stirbt, wenn er mit dem Kopf nach unten gekreuzigt wird, so daß sich das Blut im Kopfe staut und die Adern sprengt. Barmherzige Ohnmacht rettet ihn dann vor tagelangem Leiden.

Die Soldaten lachten und erfüllten ihm gerne seinen Wunsch, weil sie sofort begriffen, daß sie sich auf diese Weise das lange Wachestehen in der heißen Sonne ersparten. Als Kephas schon am Kreuz hing, tat er den Mund auf und schien etwas singen zu wollen, obgleich er dazu meiner Meinung nach wirklich keine Ursache haben konnte.

Ich fragte Marcus, was Kephas noch zu sagen versuche. Marcus erklärte mir, er singe einen Psalm, in dem Gott seine Getreuen zu grünen Auen und frischen Quellen führt. Zu meiner Freude brauchte Kephas nicht mehr lange auf seine grünen Auen zu warten. Als er das Bewußtsein verloren hatte, blieben wir noch eine Weile bei ihm stehen. Dann bat ich, von dem Gestank und den Fliegen ungeduldig geworden, den Zenturio, seine Pflicht zu tun. Er befahl einem Soldaten, Kephas mit einem scharfkantigen Brett die Schienbeine zu brechen, und stieß ihm selbst das Schwert in die Kehle, indem er scherzend sagte, dies sei eine Schlachtung nach jüdischem Brauch, da das Blut ablaufe, ehe das Leben entfliehe. Es rann viel Blut aus dem alten Mann. Marcus und Linus versprachen, dafür zu sorgen, daß sein Leichnam begraben wurde, und zwar auf einer Begräbnisstätte hinter dem Amphitheater, die heute nicht mehr in Gebrauch ist. Es war nicht weit dorthin. Linus weinte, aber Marcus hatte längst alle seine Tränen geweint und war ein gleichmütiger, zuverlässiger Mann. Er bewahrte seine Fassung, aber seine Augen blickten in eine andere Welt, von der ich nichts sah.

Du wirst dich fragen, warum ich lieber Kephas begleitete als Paulus, denn Paulus war doch römischer Bürger und Kephas nur ein alter jüdischer Fischer. Vielleicht beweist mein Verhalten, daß ich nicht immer nur auf meinen Gewinn sehe. Ich mochte Kephas am liebsten, weil er ein aufrichtiger, einfacher Mann war. Außerdem hätte Claudia nie geduldet, daß ich die beiden auf ihrem letzten Gang im Stich gelassen hätte, und was tue ich nicht um des Hausfriedens willen!

Später bekam ich Streit mit Lucas, denn er verlangte den aramäischen Bericht zu sehen, den ich von meinem Vater geerbt und den ein Zöllner geschrieben hatte. Ich schlug es ihm ab. Lucas hatte zwei Jahre Zeit gehabt, mit Augenzeugen zu sprechen, während Paulus unter dem Prokurator Felix in Caesarea gefangensaß. Ich war nicht der Meinung, daß ich ihm irgend etwas schuldete.

Zudem war Lucas ein recht ungeschickter Arzt, obwohl er in Alexandria studiert hatte. Mein Magenleiden hätte ich ihn nie behandeln lassen. Ich habe ihn im Verdacht, daß er dem Paulus nur wegen dessen Wunderheilungen so eifrig folgte, entweder um selbst diese Kunst zu erlernen, oder weil er seine eigene Unfähigkeit in aller Bescheidenheit einsah. Schreiben konnte er freilich, wenngleich nicht nach der Art gebildeter Griechen, sondern in einem Marktdialekt. Marcus ist mir immer lieb gewesen, aber noch lieber ist mir mit den Jahren Linus geworden, der jünger ist. Ich war ja trotz allem gezwungen, ein wenig Ordnung in die Angelegenheiten der Christen zu bringen, sowohl um ihrer selbst willen als auch um öffentlichen Streit zu verhindern. Kephas hatte seinerzeit eine Einteilung nach Stämmen eingeführt und versucht, die streitenden Parteien miteinander zu versöhnen, aber ein ungebildeter Mann wie er hatte natürlich keine wirklichen politischen Fähigkeiten.

Dem Cletus habe ich dafür, daß er im Prätorianerlager so mutig aufgetreten war, eine juristische Ausbildung bezahlt. Vielleicht gelingt es ihm eines Tages, eine wirkliche Ordnung unter den Christen zu errichten. In diesem Falle würdest Du in ihnen eine Stütze haben. Ich mache mir jedoch keine allzu großen Hoffnungen. Sie sind, was sie sind.


Ich bin wieder ein wenig zu Kräften gekommen, und die Ärzte geben mir neue Hoffnung. Bald werde ich aus diesem nach Schwefel riechenden Kurort, den ich schon nicht mehr sehen mag, nach Rom zurückkehren dürfen. Um meine wichtigsten Geschäfte habe ich mich auch hier gekümmert, ohne daß die Ärzte es wußten, aber nun will ich wieder einmal einen guten Wein schmecken, und nach all dem Fasten und Wassertrinken werde ich mehr Wert denn je zuvor auf die Kunst meiner beiden Köche legen. Deshalb will ich rasch fortfahren. Das Schlimmste habe ich zum Glück hinter mir.

Als ich von den heimlichen Unternehmungen des Julius Vindex, des Proprätors in Gallien, hörte, deutete ich, ohne zu zögern, die Zeichen der Zeit. Ich war schon früher der Ansicht gewesen, daß Piso Erfolg hätte haben können, wenn er nicht in seiner Eitelkeit geglaubt hätte, er brauche die Legionen nicht. Nach dem plötzlichen Tod des Corbulo und des Ostorius erwachten die Befehlshaber der Legionen endlich aus ihrem Schlaf und begriffen, daß weder Kriegsruhm noch bedingungslose Treue imstande waren, einen Mann vor den Launen Neros zu retten. Ich hatte es geahnt, als ich Korinth verließ.

Ich begann nun rasch, mein Eigentum durch meine Bankiers und Freigelassenen verkaufen zu lassen, und sammelte bare Goldmünzen. Selbstverständlich erregten meine großen Verkäufe, deren Ursache so mancher kluge Mann noch nicht erkannte, Aufsehen bei den Sachverständigen. Dagegen hatte ich nichts. Ich verließ mich fest darauf, daß Nero von Geschäften nichts verstand.

Mein Treiben erweckte also eine gewisse Unruhe in Rom. Die Grundstückpreise sanken beträchtlich. Ich verkaufte rücksichtslos sogar einige Landgüter, obwohl das Geld in Grund und Boden am sichersten angelegt ist und sogar Zinsen trägt, wenn das Land von zuverlässigen Freigelassenen bestellt wird. Ich kümmerte mich nicht um das Sinken der Preise. Ich verkaufte weiter und sammelte Bargeld. Ich wußte, daß ich eines Tages alles zurückgewinnen würde, wenn mein Plan gelang. Die Besorgnis, die meine Unternehmungen bei den Geldleuten erweckte, zwang sie, die politische Lage anders einzuschätzen, so daß ich auch auf diese Weise einer guten Sache zum Siege verhalf.

Claudia und Dich schickte ich auf mein Gut bei Caere, und ich beschwor Claudia, mir wenigstens dieses eine Mal Vertrauen zu schenken und dort in Sicherheit zu bleiben, bis ich ihr Botschaft schickte. Dein dritter Geburtstag war nahe, und Deine Mutter war vollauf mit Dir beschäftigt. Du warst kein artiges Kind. Ich war, um es offen zu sagen, Deines ständigen Tollens und Lärmens müde. Sobald ich den Rücken wandte, fielst Du in einen Teich oder schnittest Dich mit irgendeinem scharfen Gegenstand. Auch deshalb begab ich mich gern auf Reisen, um für Deine Zukunft zu sorgen. Claudia verzärtelte Dich so, daß es mir nicht möglich war. Deinen Charakter zu bilden. Ich mußte mich auf das Blutserbe verlassen. Wirkliche Selbstzucht erwächst einem von innen heraus. Sie läßt sich nicht aufzwingen.

Es fiel mir nicht schwer, vom Senat und von Nero die Genehmigung zu erhalten, die Stadt zu verlassen und zu Vespasian zu reisen, um ihm mit meinem Rat zur Seite zu stehen. Im Gegenteil, man lobte den Eifer, mit dem ich dem Besten des Staates zu dienen bereit war. Nero selbst war der Ansicht, es müsse ein zuverlässiger Mann ein Auge auf Vespasian haben und ihn zur Eile antreiben. Er hatte ihn im Verdacht, unnötig lange vor Jerusalems Mauern zu zaudern.

Als Senator hatte ich ein Kriegsschiff zu meiner Verfügung. Viele meiner Amtsbrüder wunderten sich sehr darüber, daß ein Mann, der wie ich die Bequemlichkeit liebte, des Nachts in einer Binsenmatte hängen mochte, von dem schlechten Essen, der Enge und dem Ungeziefer auf dem Schiff ganz zu schweigen.

Ich hatte jedoch meine Gründe, und ich fühlte mich, als meine zwanzig schweren Eisentruhen endlich an Bord waren, so erleichtert, daß ich die erste Nacht in meiner Binsenmatte wie ein Klotz schlief und erst am Morgen von dem Trampeln der Füße an Deck erwachte. Ich hatte drei treue Freigelassene bei mir, die außer der Soldatenwache abwechselnd meine Truhen bewachten.

In Caere hatte ich sogar meine Sklaven bewaffnet, denn ich hatte ihnen viel Gutes getan und durfte ihrer Ergebenheit gewiß sein. Sie enttäuschten mich auch nicht. Othos Soldaten plünderten zwar das Gut und zerschlugen meine Sammlung griechischer Vasen, von deren Wert sie keine Vorstellung hatten, aber sie taten weder Dir noch Claudia etwas zuleide, und das danke ich meinen Sklaven. Es gibt noch genug ungeöffnete Gräber aus alter Zeit in der Erde, und ich kann meine Sammlung noch immer erneuern.

Zum Glück hatten wir gutes Wetter, denn die Herbststürme hatten noch nicht eingesetzt. Ich beschleunigte die Reise so gut es ging, indem ich auf meine Kosten den Rudersklaven zu essen und zu trinken geben ließ, was den Seezenturio reiner Wahnsinn dünkte. Er verließ sich mehr auf die Peitsche und wußte, daß er die Sklaven, die er unterwegs verlor, leicht durch gefangene Juden ersetzen konnte. Ich war andrer Meinung. Ich glaube, man kann sich einen Menschen leichter im Guten gefügig machen als im Bösen. Aber ich bin immer viel zu weichherzig gewesen. Darin bin ich ganz meinem Vater nachgeraten. Erinnere Dich, daß ich Dich nicht ein einziges Mal geschlagen habe, mein widerspenstiger Sohn, obwohl es mich oft wahrhaftig in den Fingern juckte. Doch wie hätte ich einen zukünftigen Kaiser schlagen können!

Zum Zeitvertreib stellte ich während der Seereise viele Fragen über die Flotte. Unter anderem erklärte man mir, warum die Seesoldaten sowohl an Bord als auch an Land barfuß gehen müssen. Ich hatte es bis dahin nicht gewußt, sondern mich nur bisweilen gewundert. Ich dachte, es gehöre irgendwie zur Kunst des Seekriegs.

Jetzt erfuhr ich, daß Kaiser Claudius einst im Amphitheater in Zorn geraten war, als einige Seesoldaten aus Ostia, die einen Sonnenschutz über die Zuschauerbänke spannen mußten, mitten in der Vorstellung plötzlich von ihm forderten, er solle ihnen die Schuhe ersetzen, die sie auf dem Wege abgenutzt hatten. An diesem Tage verbot Claudius das Tragen von Schuhen in der gesamten Flotte, und sein Befehl wird seither treu befolgt. Wir Römer achten die Überlieferung. Ich sprach später mit Vespasian darüber, aber er meinte, es sei das beste, die Seeleute gingen auch weiterhin barfuß. Es habe ihnen bisher nicht geschadet, und nun hätten sie sich auch schon daran gewöhnt. »Die Flotte verschlingt ohnehin schon zuviel Geld«, sagte er. »Warum sollten wir zusätzliche Ausgaben schaffen?« So kommt es, daß die Seezenturionen es noch, immer als eine Ehre betrachten, barfuß zum Dienst an Bord der Schiffe zu gehen, obwohl sie gern weiche Paradestiefel tragen, wenn sie Landurlaub haben.

Ein schwerer Stein fiel mir vom Herzen, als ich meine kostbaren Truhen, nachdem sie so lange den Gefahren des Meeres ausgesetzt gewesen, einem bekannten Bankier in Caesarea in Verwahrung geben konnte. Die Bankiers müssen sich einer auf den anderen verlassen können, denn sonst wäre es nicht möglich, in großem Maßstab und über weite Strecken Handel zu treiben. Ich vertraute diesem Mann, obwohl ich ihn nicht persönlich, sondern nur aus Briefen kannte. Sein Vater war jedoch einst der Bankier meines Vaters in Alexandria gewesen. Auf diese Weise waren wir sozusagen alte Geschäftsfreunde.

Caesarea war zudem vor Unruhen sicher, denn die griechische Bevölkerung der Stadt hatte die Gelegenheit benutzt, alle Juden, Frauen und Wickelkinder mitgerechnet, zu erschlagen. Die Stadt bot ein durchaus friedliches Bild, wenn man von dem regen Schiffsverkehr und den bewachten Maultierkarawanen absah, die die Legionen vor Jerusalem mit Nachschub versorgten. Joppe und Caesarea waren Vespasians wichtigste Stützhäfen.

Auf dem Wege ins Kriegslager sah ich, wie hoffnungslos die Lage für die noch verbliebene jüdische Bevölkerung war. Auch die Samariter hatten sich eingemischt und reinen Tisch gemacht. Die Legionäre ihrerseits unterschieden nicht zwischen Galiläern und Samaritern oder Juden ganz allgemein gesprochen. Das fruchtbare Galiläa mit seiner Millionenbevölkerung war zum bleibenden Schaden für das Römische Reich verwüstet. Es gehörte allerdings genaugenommen nicht uns, sondern war um alter Freundschaft willen Herodes Agrippa überlassen worden.

Ich kam darauf zu sprechen, sobald ich bei Vespasian und Titus eintraf. Sie empfingen mich sehr herzlich, weil sie neugierig waren, zu hören, was in Gallien und Rom vorging. Vespasian erklärte mir, daß die Legionäre über den zähen Widerstand der Juden erbittert waren und schwere Verluste durch Aufständische erlitten hatten, die die Straßen von den Bergen herunter angriffen. Er war daher gezwungen gewesen, den Befehlshabern weitgehende Vollmachten zu gewähren und ihnen zu gestatten, auf ihre Weise den Frieden im Lande herzustellen. Soeben war eine Strafexpedition zu einem der bewaffneten Stützpunkte der Juden am Toten Meer unterwegs. Pfeile waren von dessen Turm abgeschossen worden, und sicheren Angaben zufolge hatten verwundete Aufständische dort Zuflucht gefunden.

Ich hielt ihnen einen kleinen Vortrag über den Glauben und die Sitten und Gebräuche der Juden und erklärte, daß es sich hier offensichtlich um eines der geschlossenen Häuser der Sekte der Essener handelte, wohin sie sich zur Ausübung ihres Glaubens zurückziehen, weil sie die Tempelsteuer nicht zahlen wollen. Die Essener fliehen die Welt und sind eher Feinde denn Freunde Jerusalems. Es bestand daher kein Grund, sie zu verfolgen.

Sie wurden von den Stillen im Lande unterstützt, die sich nicht mit Leib und Seele dem Glauben verschreiben konnten oder wollten, sondern es vorzogen, bei ihren Familien ihr bescheidenes Dasein zu fristen, ohne jemandem zu schaden. Nahm sich einer dieser Stillen im Lande eines verwundeten Aufständischen an, der bei ihm Schutz suchte, und gab er ihm Speise und Trank, so tat er es, um die Gebote seines Glaubens zu erfüllen, und nicht weil er auf der Seite der Aufrührer stand. Meine Reisebegleiter hatten mir erzählt, daß die Stillen im Lande sogar verwundete römische Legionäre aufgenommen und gepflegt hatten. Daher fand ich, man dürfe sie nicht ohne Ursache töten.

Vespasian brummte, in meinen jungen Jahren in Britannien hätte ich nicht so viel von wirklicher Kriegführung verstanden. Deshalb habe er mich lieber auf eine Vergnügungsreise kreuz und quer durchs ganze Land geschickt und mir mehr aus politischen Gründen, da nämlich mein Vater Senator geworden war, den Kriegstribunenrang verliehen als um meiner eigenen Verdienste willen. Es gelang mir jedoch, ihn davon zu überzeugen, daß es nicht dafürstand, die jüdische Landbevölkerung auszurotten, nur weil sie Verwundete pflegte.

Titus hielt zu mir, denn er war in Berenike, die Schwester des Herodes Agrippa verliebt und daher den Juden gewogen. Berenike lebte zwar, wie es bei den Herodiern Brauch war, in Blutschande mit ihrem Bruder, aber Titus meinte, man müsse eben versuchen, die jüdischen Sitten zu verstehen. Er schien zu hoffen, Berenikes närrische Liebe zu ihrem Bruder werde erkalten, und sie werde ihn in seinem bequemen Zelt besuchen, zumindest nachts, wenn niemand sie sah. In diese Sache mochte ich mich nicht einmischen.

Vespasians geringschätzige Worte über meine Reise in Britannien kränkten mich zutiefst. Deshalb sagte ich, wenn er nichts dagegen habe, wäre ich gern bereit, eine ähnliche Vergnügungsreise in die Stadt Jerusalem zu unternehmen, um mir die Verteidigungswerke der Stadt anzusehen und auszukundschaften, ob es nicht doch die eine oder andere schwache Stelle in der Verteidigungsbereitschaft der Juden gebe.

Es war wichtig zu wissen, wie viele verkleidete parthische Krieger sich in der Stadt befanden und die Schanzarbeiten leiteten. Die Parther hatten in Armenien genug Erfahrungen sammeln können, wie man eine Stadt belagert oder ihre Mauern verteidigt. Jedenfalls befanden sich in Jerusalem parthische Bogenschützen, denn es war nicht ratsam, sich den Mauern auf Schußweite zu nähern, und daß die ungeübten Juden plötzlich eine solche Treffsicherheit mit dem Bogen erlangt hätten, das konnte nicht einmal ich in meiner Unerfahrenheit in militärischen Dingen annehmen.

Mein Vorschlag machte Eindruck auf Vespasian. Er betrachtete mich blinzelnd, fuhr sich mit der Hand über den Mund, lachte laut auf und sagte, er als Oberbefehlshaber könne es nicht verantworten, daß ein römischer Senator sich einer so großen Gefahr aussetzte, sofern ich nicht ohnehin nur gescherzt hätte. Wenn man mich gefangennahm, konnten die Juden ihn erpressen. Kam ich auf schimpfliche Weise ums Leben, so war es eine Schande für ganz Rom und ihn dazu. Nero könnte zudem auf den Einfall kommen, daß er, Vespasian, absichtlich die persönlichen Freunde des Kaisers beseitigen wolle.

Er musterte mich mit einem schlauen Blick, aber ich kannte seine kleinen Finten nun schon zur Genüge und antwortete daher, dem Wohl des Staates müsse die Freundschaft weichen. Im übrigen habe er keinen Grund, mich zu beschimpfen, indem er mich einen Freund Neros nenne. In dieser Hinsicht brauchten wir einander nichts vorzumachen. Das Glück Roms und des Vaterlandes sei unser einziger Leitstern über diesem blutigen Schlachtfeld, wo die Leichen ihren Gestank verbreiteten, die Aasvögel sich mästeten und einige Legionäre wie an der Sonne getrocknete Ledersäcke von den Mauern Jerusalems niederhingen. Ich hob die Stimme in rhetorischer Steigerung, wie ich es von meinen Reden im Senat her gewohnt war. Vespasian schlug mir mit seiner großen Bauernhand freundlich auf die Schulter und versicherte, er zweifle nicht an meinen ehrenhaften Beweggründen und wisse, daß ich ein unerschütterlicher Freund des Vaterlandes sei. Er habe natürlich nicht gemeint, ich würde mich in den Schutz der Mauern Jerusalems schleichen, um den Juden seine militärischen Geheimnisse zu verraten. Nein, für so verrückt halte er mich nicht. Aber auf der Folterbank könne manchmal auch der Stärkste nicht schweigen. Die Juden hätten bewiesen, daß sie sehr geschickte Verhöre zu führen verstanden. Er betrachte es als seine vornehmste Pflicht, mein Leben zu beschützen, da ich mich nun einmal freiwillig unter seinen Schutz gestellt hätte.

Dann machte er mich in aller Freundlichkeit mit seinem Ratgeber Josephus bekannt, einem der Führer des jüdischen Aufstandes, der seine Kameraden verraten hatte, nachdem sie alle gemeinsam beschlossen hatten, Selbstmord zu begehen, um nicht den Römern in die Hände zu fallen. Josephus hatte seine Kameraden sterben lassen und sodann sich selbst ergeben und sein Leben gerettet, indem er Vespasian prophezeite, er werde eines Tages Kaiser sein. Zum Scherz hatte Vespasian ihm goldene Ketten anlegen lassen und versprochen, ihn freizugeben, sobald sich die Prophezeiung erfüllte. Er nahm übrigens später als Freigelassener frech den Namen Flavius Josephus an.

Ich empfand vom ersten Augenblick an nichts als Abscheu und Ekel vor diesem verachtungswürdigen Abtrünnigen und Verräter, und der literarische Ruhm, den er später erlangte, hat an meiner Meinung nichts geändert. Eher im Gegenteil. In seinem einfältigen, weitschweifigen Werk über den Aufstand der Juden überschätzt er meiner Ansicht nach die Bedeutung gewisser Ereignisse, und vor allem sind die endlosen Aufzählungen nebensächlicher Einzelheiten unerträglich langweilig.

Mein Urteil ist nicht im geringsten dadurch beeinflußt, daß er es nicht einmal für nötig hielt, meinen Namen in seinem Buch zu erwähnen, obwohl es nur mein Verdienst war, daß die Belagerung fortgesetzt wurde, nachdem ich mit eigenen Augen die Verhältnisse innerhalb der Mauern studiert hatte. Es wäre ja Wahnsinn gewesen, wenn Vespasian seine gut ausgebildeten Legionen mit vergeblichen Angriffen, auf die unerwartet starken Mauern aufgerieben hätte, da eine Belagerung und Aushungerung letzten Endes zu dem gleichen Ergebnis führten. Unnötige Verluste hätten die Legionäre nur gegen ihn aufgebracht, was für meine Zwecke nicht das Rechte gewesen wäre.

Ich habe jedoch nie nach Ruhm gestrebt, und es liegt mir nichts daran, in die Geschichte einzugehen. Deshalb macht es mir nichts aus, daß dieser verachtungswürdige Jude meine Leistungen verschwiegen hat. Ich hege niemals Groll gegen minderwertige Menschen und pflege mich nicht für Verunglimpfungen zu rächen, sofern mich nicht eine außergewöhnlich günstige Gelegenheit geradezu dazu herausfordert. Schließlich bin ich auch nur ein Mensch.

Durch Vermittlung eines meiner Freigelassenen machte ich mich sogar erbötig, die Bücher des Flavius Josephus zu verlegen, und zwar sowohl das Werk über den jüdischen Krieg als auch seine Schilderungen der Geschichte und der Sitten der Juden, so viele Unrichtigkeiten sie auch enthalten, aber Josephus ließ mir hochmütig antworten, er ziehe trotz der vorteilhaften Bedingungen, die ich ihm bot, einen jüdischen Verleger vor. Vom »Jüdischen Krieg« brachte ich dann später heimlich eine gekürzte Fassung heraus, da das Buch unerwartet gut ging. Mein Freigelassener hatte ja seine Familie und seine alte Mutter zu versorgen, weshalb ich seinen Vorschlag nicht zurückwies. Und wenn ich es nicht getan hätte, würde es eben ein anderer getan haben.

Ich erwähne diesen Josephus eigentlich nur, weil er in seiner Unterwürfigkeit zu Vespasian hielt und sich meinem Plan widersetzte. Er lachte höhnisch und behauptete, ich wüßte vermutlich nicht, in was für ein Wespennest ich meinen Kopf steckte. Wenn es mir wirklich gelänge, die Stadt zu betreten, so käme ich lebend nimmermehr heraus. Nach vielen Einwänden und Ausflüchten gab er mir aber doch einen Plan der Stadt, den ich genau auswendig lernte, während ich mir den Bart wachsen ließ.

An und für sich war ein Bart keine sichere Maskierung, da auch viele Legionäre sich nach dem Vorbild ihrer Gegner Barte wachsen ließen und Vespasian sie nicht dafür bestrafte. Er erlaubte den Legionären sogar, sich von der Prügelstrafe freizukaufen, und das war mit ein Grund für seine Beliebtheit. Außerdem konnte er gerade in diesem Punkt nicht auf strenge Einhaltung der römischen Dienstvorschriften pochen, denn sein eigener Sohn Titus hatte sich, um der schönen Berenike zu gefallen, einen seidenweichen Bart wachsen lassen. Mit der Begründung, daß ich die sicherste Stelle und einen toten Winkel suchen mußte, in dem ich die Stadt erreichen konnte, unternahm ich lange Streifzüge durch die Umgebung Jerusalems und hielt mich immer gerade noch innerhalb der Schußweite der feindlichen Bogen und Wurfmaschinen, obwohl ich natürlich Deinetwegen mein Leben nicht leichtsinnig aufs Spiel setzte. Ich trug einen dicken Harnisch und einen Helm, und diese Rüstung machte mich, da ich einiges Fett angesetzt hatte, keuchen und schwitzen. Ich magerte jedoch in diesen Tagen ab, so daß die Riemen zuletzt nicht mehr spannten. Das war nur gut für meine Gesundheit.

Auf meinen Wanderungen fand ich auch die jüdische Richtstätte, auf der man Jesus von Nazareth gekreuzigt hatte. Der Hügel hat wirklich, so wie man es mir berichtet hatte, die Form eines Totenschädels, und danach hat er auch seinen Namen. Ich suchte nach dem Felsengrab, aus dem Jesus von Nazareth am dritten Tag von den Toten auferstanden ist. Die Suche fiel mir nicht schwer, denn die Belagerer hatten die Bäume umgehauen und die Büsche ausgerissen, damit sich kein Späher aus der Stadt schleichen konnte, aber ich fand viele Felsengräber und wußte nicht, welches das rechte war. Die Schilderungen meines Vaters waren, was die Einzelheiten anbelangt, ziemlich unbestimmt gewesen.

Wenn ich mich so mit klirrender Rüstung und keuchendem Atem dahinschleppte, lachten mich die Legionäre aus und versicherten mir, ich würde nicht einen einzigen toten Winkel finden, in dem ich die Mauern Jerusalems erreichen könnte. Die Parther hätten die Befestigungen viel zu geschickt angelegt. Im übrigen verspürten die Legionäre keine Lust, mich mit einem Schilddach zu schützen, denn diese sogenannten Schildkröten wurden von den Mauern herab mit geschmolzenem Blei begossen. Sie fragten mich spöttisch, warum ich nicht den Roßschweif auf dem Helm trüge und sie durch den Anblick meines breiten roten Streifens auf dem Mantelsaum erfreute. So wahnsinnig war ich denn doch nicht, und ich hatte alle Achtung vor den parthischen Bogenschützen. Ich ließ sogar meine roten Stiefel in meinem Zelt, um nicht mit meinem Rang zu prahlen.

Solange ich lebe, werde ich den Anblick des Tempels nicht vergessen, der sich auf seinem Hügel strahlend über die Mauern der Stadt erhob, blau in der Morgendämmerung, blutrot bei Sonnenuntergang, wenn es im Tal schon dunkel geworden war. Der Tempel des Herodes war wirklich eines der Wunder der Welt. Nach jahrzehntelanger Arbeit wurde er endlich kurz vor seiner Zerstörung fertig. Kein Menschenauge wird ihn mehr erblicken. Doch die Juden sind selbst schuld daran, daß er verschwinden mußte. Ich mochte nicht dabeisein, als er zerstört wurde. Er war zu herrlich gewesen.

Daß ich mich in dieser Zeit viel mit Glaubensdingen beschäftigte, kam wohl daher, daß ich mich um Deiner Zukunft willen ständig großer Gefahr aussetzte und deshalb auf eine Weise weich und rührselig gestimmt war, die einem Manne meines Alters übel anstand. Als ich an Jesus von Nazareth und die Christen dachte, beschloß ich für mich selbst, ihnen nach bestem Vermögen zu helfen, sich von dem jüdischen Ballast zu befreien, den sie trotz all dem Glaubenseifer des Paulus und den vielen Änderungen, die Kephas eingeführt hatte, noch immer wie Ketten mit sich schleppten.

Nicht, daß ich den Christen ernstlich eine politische Zukunft gegeben hätte! Nein, dazu sind sie zu uneins und zu bitter miteinander verfeindet. Aber ich hege um meines Vaters willen eine gewisse Schwäche für Jesus von Nazareth und seine Lehre. Als mich mein Magenleiden am schlimmsten peinigte, ein Jahr ist es jetzt etwa her, da wäre ich sogar bereit gewesen, ihn als Gottes Sohn und Erlöser der Menschheit anzuerkennen, wenn er sich meiner erbarmt hätte.

An den Abenden trank ich fleißig aus dem Holzbecher meiner Mutter, denn ich brauchte Glück bei meinem gefährlichen Unternehmen. Vespasian hatte immer noch den zerbeulten Silberbecher seiner Großmutter. Er erinnerte sich noch gut an meinen einfachen Holzbecher, aus dem er damals in Britannien getrunken hatte, und gestand mir, er habe schon in jener Stunde eine väterliche Neigung zu mir gefaßt, weil ich das Andenken meiner Mutter ehrte und nicht Silberteller und Goldbecher mit ins Feld nahm, wie es so viele junge Ritter taten. Derlei Schätze führen den Feind nur in Versuchung, sagte er, und fallen zuletzt den Plünderern in die Hände. Zum Zeichen unserer Freundschaft tranken wir abwechselnd ein jeder aus dem heiligen Becher des andern, denn ich hatte guten Grund, Vespasian einen Schluck aus Fortunas Becher nehmen zu lassen. Er brauchte Glück, soviel ein Mensch nur haben kann.

Ich überlegte, ob ich es wagen sollte, jüdische Kleider anzuziehen, wenn ich in die Stadt floh, aber ich fand dann doch, das wäre ein wenig übertrieben gewesen. Man hatte allerdings zur Warnung schon viele jüdische Handelsleute im Lager gekreuzigt, die im Schutz der Dunkelheit zu den Mauern zu schleichen versucht hatten, um unsere Pläne und neuen Belagerungsmaschinen zu verraten.

Als ich endlich an der Stelle, die ich mir ausgesucht hatte, am hellichten Tage auf die Mauern zurannte, trug ich Helm, Brustharnisch, Kettenhemd und Beinschienen. Ich hoffte, daß die Rüstung mich auch gegen die Hiebe schützen werde, die ich gewiß zunächst einmal abbekam, wenn es mir gelang, die Stadt zu betreten. Unsere Wachtposten hatten Befehl erhalten, mir mit Pfeilen nachzuschießen und die Juden durch großen Lärm auf meinen Versuch aufmerksam zu machen.

Sie führten ihren Befehl so eifrig aus, daß ich einen Pfeil in die eine Ferse bekam und seitdem gar auf beiden Beinen hinke. Ich beschloß, mir diesen übereifrigen Bogenschützen vorzunehmen, wenn ich lebendig zurückkam, und dafür zu sorgen, daß er für seinen Verstoß gegen einen klaren Befehl so streng wie möglich bestraft wurde. Er hatte den Befehl gehabt, an mir vorbeizuschießen – wenn auch so knapp wie möglich. Als ich dann aber glücklich zurückgekehrt war, war ich so zufrieden, daß ich mir nicht die Mühe machen mochte, nach dem ungeschickten Schützen zu suchen. Meine Verwundung trug übrigens nur dazu bei, daß die Juden mir meine Geschichte glaubten. Außerdem rechnete man sie mir später, als mein innigster Wunsch in Erfüllung ging, als Verdienst an.

Nachdem sie mich eine Weile geschmäht hatten, wehrten die Juden mit Pfeilen und Wurfsteinen einen Trupp Legionäre ab, der mir nachgestürzt war und mich gefangenzunehmen versuchte. Zu meinem Kummer kamen bei diesem Auftrag zwei ehrliche Legionäre ums Leben, für deren Familien ich später sorgte. Sie gehörten der fünfzehnten Legion an, die aus Pannonien gekommen war, und durften nie den geliebten schlammigen Strand der Donau wiedersehen, sondern mußten meinetwegen ihr Leben im Lande der Juden lassen, das sie wohl schon tausendmal verflucht hatten.

Auf meine eifrigen Bitten hin ließen die Juden endlich einen Korb an der Mauer herunter und zogen mich hinauf. Als ich in dem schaukelnden Korb saß, war meine Angst am größten, so daß ich mir, vor Furcht ganz wirr, den Pfeil aus der Ferse riß, ohne daß es schmerzte. Die Widerhaken blieben stecken, und die Wunde begann zu eitern, weshalb ich mich nach meiner Rückkehr ins Lager dem Feldscher ausliefern mußte. Da schrie ich dann freilich aus vollem Hals vor Schmerzen. Ich hatte ja schon einmal mit einem Feldscher schlimme Erfahrungen gemacht, und das hätte mir eine Warnung sein müssen.

Dennoch war diese Wunde meine einzige Hoffnung. Nachdem sie ihrem Zorn über meine römische Kleidung Luft gemacht hatten, gaben die Juden mir endlich Gelegenheit, zu erklären, daß ich beschnitten war und zum jüdischen Glauben übergetreten sei. Sie untersuchten die Sache sogleich und behandelten mich danach ein wenig besser. Ich erinnere mich aber nur ungern an das peinliche Verhör, das der jüdisch gekleidete parthische Zenturio mit mir anstellte, bevor er mich den richtigen Juden überließ.

Ich will in diesem Zusammenhang nur erwähnen, daß ausgerissene Daumennägel ziemlich rasch wieder nachwachsen. Meine Daumennägel wurden mir allerdings später nicht als Verdienst angerechnet. In diesen Dingen sind die Kriegsgesetze sehr unzulänglich. Ich hatte von meinen Daumen viel mehr Beschwer als von meinen Streifzügen in Reichweite der Wurfmaschinen. So etwas wird einem aber angerechnet!

Dem Hohen Rat der Aufständischen konnte ich einen Brief und eine geheime Verhandlungsvollmacht von der Julius-Caesar-Synagoge vorweisen. Ich hatte diese wertvollen Schriftstücke in meinen Kleidern versteckt und nicht einmal Vespasian gezeigt, da man sie mir gegeben hatte, weil man mir voll und ganz vertraute. Die Parther konnten sie nicht lesen, denn sie waren in der heiligen Sprache der Juden geschrieben und mit dem Davidstern gesiegelt.

Der Rat der Synagoge, der immer noch der einflußreichste in ganz Rom ist, berichtete in dem Brief von den großen Verdiensten, die ich mir um die Juden Roms nach dem Aufstand in Jerusalem erworben hatte. Sie hatten sogar die Hinrichtung des Paulus und des Kephas als eines meiner Verdienste aufgezählt, da sie wußten, daß die Juden Jerusalems diese beiden Männer ebensosehr haßten wie sie. Im Hohen Rat war man neugierig auf genaue Berichte über die Geschehnisse in Rom, denn man hatte seit mehreren Monaten nur durch ägyptische Tauben spärliche Nachrichten erhalten. Titus versuchte diese Tauben durch seine gezähmten Habichte abzufangen, und anderen drehten die hungernden Bewohner Jerusalems den Kragen um, bevor sie mit ihrer Botschaft den Taubenschlag im Vorhof des Tempels erreichten.

Ich verriet nicht, daß ich Senator war, sondern gab mich für einen einflußreichen Ritter aus, denn ich wollte die Juden nicht allzusehr in Versuchung führen. Meine Vollmacht war entsprechend abgefaßt. Ich versicherte, daß ich als Neubekehrter – und als solchen wies mich meine Narbe aus – alles für Jerusalem und den heiligen Tempel tun wollte. Deshalb hatte ich mich den Truppen Vespasians als Kriegstribun angeschlossen und ihn glauben lassen, ich könnte ihm als Kundschafter wertvolle Nachrichten aus Jerusalem verschaffen. Ich gestand, daß der Pfeilschuß in die Ferse ein Versehen war und daß auch der Versuch, mich wieder einzufangen, nur dazu dienen sollte, die Juden hinters Licht zu führen.

Meine Aufrichtigkeit machte so tiefen Eindruck auf den Rat der Juden, daß man mir so weit vertraute, wie es im Kriege statthaft ist, jemandem zu vertrauen. Ich durfte mich ziemlich frei in der Stadt bewegen, immer in Begleitung einiger bärtiger Leibwächter mit brennenden Augen, die ich mehr fürchtete als die hungrigen Bewohner der Stadt. Auch den Tempel durfte ich betreten, da ich beschnitten war. Auf diese Weise bin ich einer der letzten, die den Tempel zu Jerusalem in seiner unglaublichen Pracht von innen gesehen haben.

Mit eigenen Augen konnte ich mich davon überzeugen, daß der siebenarmige goldene Leuchter, die goldenen Gefäße und das goldene Schaubrot – sie allein schon ein ungeheures Vermögen – sich noch an ihrem Platz befanden. Niemand schien daran zu denken, sie zu verstecken, so sehr verließen sich diese wahnsinnigen Eiferer auf die Heiligkeit des Tempels und ihren allmächtigen Gott. Und so unglaublich es auch für einen vernünftigen Menschen klingen mag: man hatte nicht mehr als einen unbedeutenden Bruchteil des ungeheuren Tempelschatzes für die Anschaffung von Waffen und den Ausbau der Befestigungen zu nehmen gewagt. Lieber plagten sich die Juden zu Tode und arbeiteten ohne Lohn, als daß sie den Tempelschatz anrührten. Der lag im Innern des Berges hinter Panzertüren verborgen. Der ganze Tempelberg gleicht einer Honigwabe mit seinen zahllosen Pilgerherbergen und Geheimgängen. Aber kein Mensch kann etwas so geschickt verbergen, daß es ein anderer Mensch nicht finden könnte, wenn er sich ernstlich Mühe gibt, vorausgesetzt, daß mehr als einer von dem Versteck weiß und auch der Ort ungefähr bekannt ist.

Davon konnte ich mich später selbst überzeugen, als ich nach dem Geheimarchiv des Tigellinus forschte. Ich hielt es für unerläßlich, daß es vernichtet wurde, denn es enthielt zuviel merkwürdige Einzelheiten über die politischen Absichten und Lebensgewohnheiten von zahlreichen Angehörigen unserer ältesten Familien. Das waren recht einfältige Männer gewesen, die das Volk dazu aufwiegelten, zu fordern, daß Tigellinus den Raubtieren vorgeworfen werde. Er war als Toter unvergleichlich gefährlicher denn als Lebender, falls sein Archiv in die Hände eines gewissenlosen Menschen geriet.

Den Schatz des Tigellinus überließ ich selbstverständlich Vespasian. Ich selbst behielt mir nur einige Andenken, und von den geheimen Dokumenten sagte ich nichts. Vespasian fragte auch nicht danach, denn er ist klüger und listiger, als man nach seinem groben Äußeren meinen möchte. Ich gab den Schatz schweren Herzens her, denn er enthielt auch die zwei Millionen Sesterze in vollgewichtigen Goldmünzen, die ich Tigellinus schenkte, als ich Rom verließ. Er war der einzige, der meine ehrlichen Absichten hätte bezweifeln und mich an der Reise hindern können.

Ich erinnere mich noch, wie er mich mißtrauisch fragte: »Warum schenkst du mir ungebeten eine solche Summe?«

»Um unsere Freundschaft zu bekräftigen«, erwiderte ich ehrlich. »Aber auch, weil ich weiß, daß du dieses Geld auf die rechte Art gebrauchen wirst, wenn einmal böse Zeiten kommen, wovor uns alle Götter Roms schützen mögen.«

Das Geld war noch da, denn er war ein Geizkragen gewesen. Im übrigen aber verhielt er sich sehr vernünftig, als die Stunde gekommen war. Er bewog die Prätorianer, Nero im Stich zu lassen, als er merkte, daß seine eigene Haut in Gefahr war. Und dann gab es eigentlich keinen, der ihm Böses wollte. Galba behandelte ihn gut. Erst Otho ließ ihn ermorden, weil er sich unsicher und der Gunst des Volkes allzu ungewiß fühlte. Ich habe seinen unnötigen Tod immer beklagt. Nach seinen schweren Jugenderlebnissen hätte er bessere Tage verdient. Während Neros letzter Jahre mußte er ständig unter schweren Gewissensqualen leben, so daß er des Nachts nicht mehr schlafen konnte und noch härter wurde, als er schon gewesen war.

Doch warum denke ich an ihn? Mein wichtigster Auftrag im belagerten Jerusalem war ausgeführt, sobald ich mich vergewissert hatte, daß der Tempelschatz wohlbehalten und zu finden war. Ich wußte, daß dank unserer Wachsamkeit nicht einmal eine Ratte mit einer Goldmünze in der Schnauze aus Jerusalem hätte fliehen können.

Du verstehst gewiß, daß ich um Deiner Zukunft willen nicht ohne handgreifliche Sicherheiten Vespasian den Inhalt meiner zwanzig eisernen Truhen als Darlehen anbieten konnte, um ihm zum Kaiserthrone zu verhelfen. Ich zweifelte zwar nicht an seiner Ehrlichkeit, aber Roms Finanzen sind verworren, und ein Bürgerkrieg steht vor der Tür. Ich mußte mich daher absichern. Nur darum wagte ich mein Leben und begab mich nach Jerusalem.

Selbstverständlich kümmerte ich mich auch um das andere, nämlich die Verteidigungsbereitschaft der Stadt, ihre Mauern, Wurfmaschinen, Lebensmittel- und Wasservorräte und so fort, da es auch mir zum Vorteil gereichte, wenn Vespasian darüber genaue Auskünfte erhielt. Wasser hatte die Stadt genug in unterirdischen Zisternen. Vespasian hatte gleich zu Beginn der Belagerung das Aquädukt niederreißen lassen, das vor vierzig Jahren unter dem Prokurator Pontius Pilatus erbaut worden war. Die Juden hatten sich damals dieser Wasserleitung widersetzt, weil sie nicht von einer Versorgung von außen her abhängen wollten. Allein das beweist, wie lange der Aufruhr schon vorbereitet worden war. Man hatte nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet.

Lebensmittelvorräte hatte die Stadt jedoch keine. Ich sah zu Schatten abgemagerte Mütter, die sich vergeblich mühten, einen letzten Tropfen Milch aus ihren Brüsten zu pressen, und Kinder, die nur noch Haut und Knochen waren. Auch die Alten taten mir leid, denn sie erhielten keine Lebensmittelzuteilung. Die Aufständischen, die mit der Waffe in der Hand kämpften und die Mauern verstärkten, brauchten alle Nahrung für sich.

Auf dem Fleischmarkt sah ich, daß Tauben und Ratten Kostbarkeiten waren, deren Gewicht mit Silber aufgewogen wurde. Im Tempelbezirk gab es ganze Herden von Mutterschafen, von denen täglich welche dem blutdürstigen Jahve geopfert wurden, aber das ausgehungerte Volk von Jerusalem rührte sie nicht an. Man brauchte sie kaum zu bewachen, weil sie heilige Tiere waren. Die Priester und die Angehörigen des Hohen Rates waren übrigens noch recht wohlgenährt.

Die Leiden des jüdischen Volkes bedrückten mich, da in der Waagschale des unerklärlichen Gottes die Tränen der Juden vermutlich wohl ebensoviel wiegen wie die eines Römers, und mehr als die Tränen eines Erwachsenen wiegen eines Kindes Tränen; gleich, welche Sprache es spricht oder was für eine Farbe seine Haut hat. Dennoch mußte die Belagerung fortgesetzt werden. Die Juden waren durch ihre Unbeugsamkeit selbst an ihrem Schicksal schuld.

Jeder Jude, der – selbst während der Unterhandlungen mit den Römern – von Übergabe redete, wurde augenblicklich hingerichtet und landete, wenn ich einmal meine eigene, persönliche Meinung anführen darf, auf dem Fleischmarkt. Um Mitleid zu erregen, spricht der lügnerische Josephus von der einen oder anderen Mutter, die ihr Kind aufaß, aber in Wirklichkeit verhält es sich so, daß diese Dinge in Jerusalem so häufig vorkamen, daß sogar er sie erwähnen mußte, um sich wenigstens den Anstrich von Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit zu geben.

Ich bot diesem Josephus dann übrigens ein Honorar für die Auflage seines Jüdischen Krieges an, die unser Verlag verkaufte, obwohl ich das gar nicht nötig hatte. In seinem Hochmut lehnte Josephus das Geld ab und beklagte sich nur nach der Weise aller Schriftsteller über die Kürzungen, die ich hatte vornehmen lassen, um das Buch besser verkaufen zu können. Er wollte sich nicht davon überzeugen lassen, daß diese Kürzungen sein unerträglich langatmiges Buch nur verbesserten. So eitel sind Schriftsteller.

Sobald wir uns einig geworden waren, was für irreführende Auskünfte über die Verteidigung der Stadt ich Vespasian überbringen sollte und wie die Julius-Caesar-Synagoge in Rom ohne eigene Gefahr den Aufstand der Juden politisch unterstützen konnte, ließ mich der Hohe Rat aus der Stadt. Mit einer Binde vor den Augen wurde ich durch einen unterirdischen Gang geführt und in einen Steinbruch hinausgestoßen, in dem lauter verwesende Leichen umherlagen. Ich schlug mir auf meinem Gang durch den Steinbruch die Knie und die Ellenbogen auf und griff einmal, als ich stürzte, mit der Hand in eine aufgedunsene Leiche, denn die Juden hatten mir verboten, vor Ablauf einer gewissen Frist die Binde abzunehmen. Für den Fall, daß ich nicht gehorchte, drohten sie mir, mich mit Pfeilen zu durchbohren.

Während meines blinden Umhertastens gelang es den Juden, die Mündung des Geheimgangs so geschickt zu tarnen, daß wir später alle Mühe hatten, sie zu finden. Wir fanden sie zuletzt aber doch, denn ich mußte dafür sorgen, daß alle Schlupflöcher zugestopft wurden, und ließ nicht locker. Die Art, wie ich die Stadt verlassen hatte, brachte uns auf den Gedanken, an den unwahrscheinlichsten Orten nach geheimen Ausgängen zu suchen. Gleichwohl fanden wir im Laufe eines ganzen Jahres nur drei. Mir schlug nach meiner Rückkehr aus Jerusalem oft das Herz bis zum Halse, weil ich fürchtete, daß Deine Zukunft in Frage gestellt sei. Meine Sorge war jedoch unbegründet. Der Schatz war noch vorhanden, als Titus endlich die Stadt einnahm, und Vespasian konnte seine Schulden bezahlen.

Immerhin aber hatte ich mich ein ganzes Jahr lang im Osten aufhalten und Vespasian auf Schritt und Tritt folgen müssen, bis die Zeit endlich reif war.

XIV VESPASIAN


Ich nutzte die Wartezeit, um auf Umwegen meine Sache bei Vespasian vorzubereiten, der feine Andeutungen sehr wohl verstand, aber vorsichtig und bedachtsam war. Im darauffolgenden Frühling starb Nero, sofern er wirklich tot ist. Rom wurde innerhalb eines einzigen Jahres von drei verschiedenen Kaisern regiert: Galba, Otho und Vitellius. Genaugenommen von vieren, wenn man den unverschämten Staatsstreich Domitians auf seines eigenen Vaters Kosten mit dazurechnet, aber das nahm ja ein schnelles Ende.

Es erheiterte mich, daß nach Galba ausgerechnet Otho Kaiser wurde. Auf diese Weise wäre Poppaea in jedem Falle kaiserliche Gemahlin geworden, auch wenn sie sich nicht von Otho hätte scheiden lassen, so daß die Weissagung gleichsam doppelt in Erfüllung ging. Ich bin nicht abergläubisch, aber ich meine, ein vernünftiger Mensch sollte ab und zu doch etwas auf Vorzeichen und dergleichen geben.

Vitellius nahm, auf die rheinischen Legionen gestützt, die Zügel in die Hand, sobald er von der Ermordung Galbas erfuhr. Ich glaube, an Othos raschem Untergang war nur schuld, daß er sich erdreistete, das heilige Schwert Deines Stammvaters Julius Caesar aus dem Marstempel zu holen, wozu er weder juristisch noch moralisch gesehen das Recht hatte. Dieses Recht kommt nur Dir zu, Julius Antonianus Claudius, der Du in gerader absteigender Linie sowohl dem Geschlecht der Julier als auch dem der Antonier angehörst. Zum Glück bekam man das Schwert zurück und konnte es im Marstempel erneut weihen.

Othos Legionen wurden bei Dedriacum geschlagen, er selbst beging Selbstmord, um den Bürgerkrieg nicht zu verlängern, obwohl er frische Truppen in Bereitschaft hatte. Seinen letzten Brief schrieb er an Neros Witwe, Statilia Messalina. Er drückte ihr darin sein Bedauern aus, daß er sein Versprechen nicht halten und sich nicht mit ihr vermählen konnte. Seinen Leichnam und seinen Nachruf vertraute er in diesem für einen Feldherrn und Kaiser unziemlich gefühlvollen Brief Statilias Obhut an. Auf diese Weise bekam Statilia kurz nacheinander gleich zwei Kaisergräber, um die sie sich kümmern konnte.

Über Paulus Vitellius genügt es zu sagen, daß er seine frühe Jugend im Gefolge des Kaisers Tiberius auf Capri verbrachte. Die Verdienste seines berühmten Vaters will ich gern anerkennen, aber Paulus war so sittenlos, daß sein eigener Vater ihm nicht einmal das Amt eines Prokonsuls geben wollte. Es gelang ihm, sich in die Gunst dreier Kaiser einzuschmeicheln, eher um seiner Laster als um seiner Tugenden willen. Nero zählte ihn zu seinen Freunden, ich aber war nie mit ihm befreundet. Im Gegenteil, ich mied seine Gesellschaft, so gut es ging. Als Beweis für sein unanständiges Benehmen will ich nur anführen, daß er, als er das Schlachtfeld bei Badriacum aufsuchte, schnuppernd die Luft einsog und sagte: »Ein erschlagener Feind riecht gut, und ein erschlagener römischer Bürger riecht noch besser!«

Seine einzige ehrenhafte Handlung war, daß er dem Senat trotzte und in Gegenwart aller Priesterkollegien auf dem Marsfeld ein Totenopfer für Nero verrichtete, worauf er bei dem Mahl, das er dann gab, den vornehmsten Zitherspieler Roms nur Lieder zu singen bat; die Nero gedichtet und vertont hatte. Dazu klatschte er als erster so eifrig in die Hände, als lebte Nero noch. Auf diese Weise machte er gut, was der Proprätor Julius Vindex Nero in dem beleidigenden Brief angetan hatte, der der Anlaß zum Bürgerkrieg gewesen war. Vindex hatte Nero in diesem Brief einen kläglichen Zitherspieler genannt, weil er wußte, daß ihn dies mehr kränken würde als jede andere Anklage. Der für meinen Verstand unbegreifliche politische Mißgriff des Vitellius bestand darin, daß er durch einen Erlaß die Prätorianerkohorten auflöste und einhundertzwanzig Mann hinrichten ließ, darunter diejenigen Kriegstribunen und Zenturionen, die in erster Linie für die Ermordung Galbas verantwortlich waren. Von seinem Standpunkt aus hätten sie eher eine Belohnung denn Strafe verdient. Es war nicht verwunderlich, daß ein solcher Wankelmut die vernünftigen Legionsbefehlshaber mit gutem Grund an seiner Zuverlässigkeit als Kaiser zweifeln ließ.

Von den erbarmungslosen Morden, denen viele hochgeachtete Männer zum Opfer fielen, will ich nicht sprechen. Ich erwähne nur, daß er nicht einmal die Bankiers begnadigte, die ihm von Nutzen hätten sein können, sondern sie in der Hoffnung auf leichten Gewinn hinrichten und ihr Vermögen beschlagnahmen ließ, ohne zu überlegen, daß es klüger ist, eine Kuh zu melken, als sie zu schlachten.

Als Vitellius den achten Monat regierte, erhielt ich gewisse Nachrichten, die mich davon überzeugten, daß endlich die Zeit gekommen war, Vespasian zu überreden. Ich sagte ihm, daß ich bereit war, ihm mein ganzes Vermögen zu leihen, um seine Thronbesteigung zu finanzieren, und daß ich keine andere Sicherheit verlangte als einen Anteil an Jerusalems Tempelschatz und der übrigen Kriegsbeute. Ich spielte auf meine zwanzig eisernen Truhen an. Sie enthielten selbstverständlich nicht mein gesamtes Vermögen, aber ich wollte ihm vor Augen führen, wie sehr ich auf ihn und seine Möglichkeiten baute.

Der vorsichtige Vespasian wehrte sich so lange, daß Titus schließlich auf meinen Rat einen Brief fälschte, in welchem Galba Vespasian zu seinem Erben ernannte. Titus ist der geschickteste Fälscher, der mir je untergekommen ist, und kann jede Handschrift glaubhaft nachahmen. Was sich daraus im Hinblick auf seinen Charakter schließen läßt, soll ungesagt bleiben.

Ich weiß nicht, ob Vespasian an die Echtheit des Briefes von Galba glaubte. Er kennt ja seinen Sohn. Jedenfalls jammerte und klagte er eine ganze Nacht lang in seinem Zelt, so daß ich es zuletzt nicht mehr aushielt und Geld an die Legionäre austeilen ließ, ein paar Sesterze für einen jeden, damit sie ihn in der Morgendämmerung zum Kaiser ausriefen. Das taten sie gern und hätten es vermutlich auch umsonst getan, aber ich wollte Zeit gewinnen. Auf meinen Rat schickten sie Boten zu den übrigen Legionen und ließen überall erzählen, was für ein guter, verständnisvoller Mensch und begabter Feldherr er vom Standpunkt des einfachen Soldaten aus war.

Vespasian war auf diese Weise kaum vor den Mauern Jerusalems zum Kaiser ausgerufen worden, als auch schon die Eilbotschaft eintraf, daß ihm die Legionen in Mösien und Pannonien gleichfalls den Treueid geschworen hatten. Er ließ den Donaulegionen rasch den rückständigen Sold schicken, um den sie in ihrem Schreiben so inständig baten. Meine Geldtruhen in Caesarea kamen daher sehr gelegen, obwohl Vespasian zunächst einmal meinte, er könne auf seinen guten Namen hin gewiß Recht bei den reichen Handelsleuten in Syrien und Ägypten bekommen. Wir waren nämlich anfangs im Hinblick auf meinen rechtmäßigen Anteil am Tempelschatz nicht ganz derselben Meinung.

Ich erinnerte ihn daran, daß es Julius Caesar seinerzeit geglückt war, auf seinen bloßen Namen und seine Zukunftsaussichten hin so ungeheure Schulden zu machen, daß seine Gläubiger gezwungen waren, ihn politisch zu unterstützen, da zuletzt die gesamte Kriegsbeute aus dem reichen, fruchtbaren Gallien vonnöten war, sie zu bezahlen. Doch Caesar war damals noch jung und hatte sich sowohl durch politischen Weitblick als auch durch militärische Verdienste in unvergleichlich höherem Maße ausgezeichnet als Vespasian, der schon zu Jahren gekommen und für sein einfaches, schlichtes Wesen bekannt war. Nach langem, hartem Feilschen trafen wir dann doch ein für beide Seiten annehmbares Übereinkommen.

Solange Nero lebte, hätte Vespasian jedoch nie einen Soldateneid gebrochen und Neros Vertrauen enttäuscht. So unvernünftig war er in seiner Treue, und er dachte nicht an seinen eigenen Kopf und die Zukunft seiner Söhne.

Die Treue ist gewiß etwas Anerkennenswertes, aber die wechselnden politischen Verhältnisse nehmen keine Rücksicht auf die Ehrenhaftigkeit eines Mannes; da mag man noch so laut von Ehre und Vaterland schreien!

Vespasian erklärte sich also endlich bereit, die schweren Pflichten eines Kaisers auf seine Schultern zu nehmen, da er erkannte, daß der Staat zugrunde gehen und der Bürgerkrieg nie ein Ende haben würde, wenn er nicht eingriff, und er griff in den Gang der Ereignisse ein zum Vorteil der Stillen im Lande, die nichts anderes wünschen, als in Frieden zu arbeiten und das kleine Glück des Menschen im Kreise der Ihren zu genießen. Von dieser Art sind die meisten Menschen, und deshalb haben sie auch nichts mitzureden, wenn die Angelegenheiten der Welt geregelt werden.


Ich fühle das Bedürfnis, Dir auch alles zu berichten, was ich von Neros Tod weiß, obwohl ich selbst nicht zugegen war. Als Neros aufrichtiger Freund hielt ich es für meine Pflicht, in dieser, gelinde gesagt, dunklen Geschichte zu forschen, so gut dies später unter den veränderten Verhältnissen noch möglich war. Aber freilich trieb mich auch die menschliche Neugier dazu.

Statilia glaubt fest, daß Nero so starb, wie es allgemein erzählt wird und wie es auch die Geschichtsschreiber berichten. Nero hatte sie aber doch nach Antium verbannt. Sie kann also gar nichts gesehen haben. Wie es sich mit Acte verhält, weiß ich nicht recht. Sie besucht Neros Grab und schmückt es mit Blumen, aber ich möchte fast meinen, sie tut es, um etwas zu vertuschen. Sie gehört zu den wenigen, die wirklich dabei waren, als Nero seinen später berühmt gewordenen Selbstmord beging.

Als Nero erkannte, daß der gallische Aufruhr unter Vindex gefährliche Formen annahm, kehrte er aus Neapolis nach Rom zurück. Er hatte diese Sache zuerst gar nicht ernst nehmen wollen, obwohl er natürlich über den unverschämten Brief des Vindex erzürnt gewesen war. Wieder in Rom, ließ er den Senat und die einflußreichsten Angehörigen des Ritterstandes zu einer heimlichen Beratung ins Goldene Haus kommen, spürte aber mit der Empfindsamkeit des Künstlers sogleich die Kälte und Abneigung, die diese Männer ihm entgegenbrachten. Nach der Beratung begann er ernstlich für sein Leben zu fürchten. Als er hörte, daß Galba sich mit den Aufständischen in Iberien vereinigt hatte, fiel er in Ohnmacht, denn er erkannte, daß der Vertrauensmann, den er gesandt hatte, nicht mehr rechtzeitig bei Galba eingetroffen war, um ihm zu sagen, daß er zum Besten des Staates Selbstmord begehen müsse.

Als sich die Kunde von Galbas Verrat in Rom verbreitete, setzte eine so wahnwitzige, lügnerische Hetze gegen Nero ein, wie man sie seit den Tagen des Octavianus Augustus, als es darum ging, Marcus Antonius zu besiegen, nicht mehr erlebt hatte. Ich will nicht wiederholen, was alles über ihn geredet wurde und was für Schändlichkeiten man in seine Statuen ritzte. Die größte Frechheit war, daß der Senat die Schlüssel zum Kapitol versteckte, nachdem Nero befohlen hatte, beide Stände müßten ihren Treueid und ihre heiligen Gelübde erneuern. Zwar fanden sie sich rasch wieder, als er nach langem Warten einen Tobsuchtsanfall bekam und damit drohte, er werde trotz der Heiligkeit des Kapitols die führenden Männer des Senats auf der Stelle hinrichten lassen, aber die vielen ungeduldig wartenden Zuschauer deuteten das Verschwinden der Schlüssel als eines der bösesten Vorzeichen für Nero.

Zu dieser Zeit standen Nero noch alle Möglichkeiten offen. Tigellinus hatte eine armlange Proskriptionsliste aufgestellt, die ich später in seinem Versteck fand und auf der auch mein Name stand. Das will ich ihm aber um unserer Freundschaft willen gern verzeihen. Weit mehr wunderte ich mich darüber, wie klar er die Notwendigkeit erkannt hatte, gewisse Männer, die Schlüsselämter im Staatsdienst innehatten, hinzurichten, als in Gallien und Iberien der Aufruhr emporloderte.

Auf der Liste standen die beiden derzeitigen Konsuln und eine so große Anzahl Senatoren, daß mich das Entsetzen packte. Es tat mir leid, daß ich die Liste aus politischen Gründen vernichten mußte. Es wäre sehr unterhaltsam gewesen, später einmal einige Namen daraus gewissen Gästen vorzulesen, die ich meiner Stellung wegen öfter einladen muß, obwohl mir nichts an ihrer Gesellschaft liegt.

Nero begnügte sich jedoch damit, die beiden Konsuln zu verabschieden und selbst allein das Konsulsamt zu besetzen. Seine Empfindsamkeit und seine Menschenliebe hinderten ihn daran, die strengen Maßnahmen zu ergreifen, die allein noch imstande gewesen wären, seine Macht zu retten. Dank Tigellinus standen die Prätorianer auf seiner Seite, aber er hätte den Baum bis auf den letzten kleinen Zweig abästen müssen, und er war der Ansicht, eine so strenge Behandlung vertrage der kräftigste Stamm nicht.

Nach seinen Triumphen als Künstler in Griechenland war Nero seiner Herrscherpflichten müde geworden. Ich glaube, wenn der Senat zuverlässiger gewesen wäre, würde er ihm nach und nach einen großen Teil seiner Macht übertragen haben. Du weißt aber selbst, wieviel Uneinigkeit im Senat herrscht und wie einer gegen den andern intrigiert. Der aufgeklärteste Alleinherrscher kann sich auf den Senat nicht voll verlassen, nicht einmal Vespasian. Ich hoffe, Du wirst dessen stets eingedenk sein, und ich sage das, obgleich ich selbst Senator bin und nach bestem Vermögen für die Überlieferungen und die Autorität des Senats eintrete.

Denn der Senat ist immer noch besser dazu geeignet, den Staat zu lenken, als das verantwortungslose Volk. Es gehört immerhin einiges dazu, Senator zu werden, während das Volk blind dem Manne folgt, der ihm außer Getreide auch noch Öl verspricht, die besten Theatervorstellungen anordnet und unter dem Deckmantel neuer Feiertage die meisten arbeitsfreien Tage einführt. Das Volk ist gefährlich und unzuverlässig, und es kann die besten Absichten zuschanden machen. Deshalb muß das Volk in guter Zucht und bei guter Laune gehalten werden.

Nero wollte keinen Krieg und am allerwenigsten einen Bürgerkrieg, der für alle echten Julier der vielen bitteren Erinnerungen wegen das Schlimmste ist, was einem Herrscher widerfahren kann. Er tat jedoch eigentlich nichts, um den Aufruhr zu unterdrücken, weil er kein Blut vergießen wollte. Denen, die ihm Vorwürfe machten, antwortete er spöttisch, es wäre vielleicht das beste, wenn er den Legionen, die sich Rom im Triumphmarsch näherten, allein entgegenträte und versuchte, sie für sich zu gewinnen, indem er ihnen vorsang. Deutet das nicht darauf hin, daß er sehr wohl seine eigenen geheimen Pläne haben konnte? Es ist kein leeres Gerede, daß er in seiner Jugend lieber auf Rhodos studierte als sich in der Politik geübt haben würde. Seine Sehnsucht war immer nach Osten gegangen, obwohl er nie weiter als bis Achaia kam.

Über Parthien wußte Nero vielleicht mehr als die militärischen Kundschafter, die nur auf Straßen, Weiden, Quellen, Furten, Bergpässe und befestigte Stützpunkte achten. Er sprach gern über die eigenartige Kultur der Parther, obwohl wir ihn auslachten, denn die Parther sind und bleiben doch Barbaren, bis Rom sie eines Tages zivilisiert.

Nach Neros Tod habe ich oft denken müssen, daß er vielleicht nur scherzte, als er sagte, er wolle eines Tages in Ekbatana auftreten. Ich habe gehört, daß Zitherspiel und Gesang nun in Parthiens vornehmsten Kreisen große Mode sind. Hier in Rom müssen wir uns seit der Eroberung Jerusalems ständig das Geklapper und Geklirre orientalischer Musikinstrumente anhören. Sistren und Tamburine, oder wie sie nun heißen.

Von der neumodischen Musik der jungen Leute kann einem alternden Mann wie mir ganz übel werden, und manchmal denke ich geradezu sehnsüchtig an das Zithergeklimper zu Neros Zeiten zurück, aber ich bin ja, wie ich von Dir und Deiner Mutter ständig zu hören bekomme, völlig unmusikalisch.

Deshalb ist es mir aber doch unbegreiflich, daß Du, wenn Du liest und studierst, einen Sklaven in Deiner Nähe haben mußt, der ein Sistrum schwenkt oder zwei Kupferdeckel zusammenschlägt, während ein heiserer Sänger ägyptische Schlager grölt. Ich würde den Verstand verlieren, wenn ich mir das ununterbrochen anhören müßte. Du aber behauptest allen Ernstes, Du könntest Dich ohne das nicht in Deine Lektüre vertiefen, und Deine Mutter, die immer und in allen Dingen zu Dir hält, erklärt, ich verstünde eben nichts davon. Wenn einem Fünfzehnjährigen schon der Bart wüchse, würdest Du gewiß auch einen tragen.

Nero, um auf ihn zurückzukommen, unternahm also nichts. Die Lügen und die öffentlichen Beleidigungen, die er hatte einstecken müssen, hatten ihn tief gekränkt. Galbas Truppen zogen siegreich, und dank Nero ohne eine einzige Schlacht schlagen zu müssen, gegen Rom. Und dann kam der Tag vor dem Minervafest, da Tigellinus es, um seine eigene Haut zu retten, für gut befand, die Prätorianer dem Senat zur Verfügung zu stellen. Der Senat wurde im Morgengrauen in aller Heimlichkeit zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen. Es erging aber nicht an alle, die in Rom wohnten, die Aufforderung zu erscheinen, sondern nur an die zuverlässigen, und selbstverständlich nicht an Nero, der allerdings das Recht gehabt hätte, an der Versammlung teilzunehmen, denn er war Senator wie die anderen und sogar in höherem Grade als sie. Tigellinus sorgte dafür, daß die Prätorianerposten und die germanische Leibwache am Abend ohne Ablösung vom Goldenen Haus abgezogen wurden.

Die beiden von Nero abgesetzten Konsuln führten widerrechtlich das Wort, und der Senat beschloß einstimmig, Galba zum Kaiser zu machen, einen kahlköpfigen, liederlichen Greis, der sich die athletischsten Liebhaber hielt, die er nur finden konnte. Ebenso einstimmig erklärte der Senat Nero zum Staatsfeind und verurteilte ihn zum Tode, und zwar sollte er nach altem Brauch zu Tode gegeißelt werden. Alle nahmen an, Nero werde Selbstmord begehen, um einer so unmenschlichen Bestrafung zu entgehen. Bei alldem tat sich Tigellinus am eifrigsten hervor.

Nero erwachte mitten in der Nacht im Schlafgemach seines verlassenen Goldenen Hauses. An seiner Seite lag seine treue »Gattin« Sporus. Sonst waren im ganzen Hause nur noch einige wenige Sklaven und Freigelassene zu finden. Er schickte Boten zu seinen Freunden, aber keiner von den vielen sandte ihm auch nur eine Antwort. Um den Undank der Welt in vollem Maße zu erfahren, begab sich Nero zu Fuß und nur von einigen Getreuen begleitet in die Stadt und klopfte an die Türen einiger Häuser, die er einst Freunden geschenkt hatte. Die Türen blieben geschlossen, und von drinnen war kein Laut zu hören. Die Leute, die in diesen Häusern wohnten, hatten vorsichtshalber sogar den Hunden die Schnauzen zugebunden.

Als Nero ins Goldene Haus und in sein Schlafgemach zurückkehrte, sah er, daß man bereits die seidenen Bettücher und andere Kostbarkeiten gestohlen hatte. Er stieg zu Pferde und ritt davon, mit verhülltem Haupt und bloßen Füßen, nur mit dem Untergewand und einem Sklavenmantel bekleidet, und zwar ritt er zu einem Landgut, das einem seiner Freigelassenen gehörte, der Pfau hieß. Der Pfau hatte seinem eigenen Bericht zufolge Nero sein Haus als Versteck zur Verfügung gestellt. Es liegt an der Via Salaria, beim vierten Meilenstein. Du wirst Dich erinnern, daß Seneca den letzten Tag seines Lebens in seinem Haus beim vierten Meilenstein verbrachte und daß Kephas beim vierten Meilenstein der Via Appia umkehrte und nach Rom zurückging.

Nero wurde von vier Männern begleitet: Sporus, dem Pfau und – wundere Dich nicht – Epaphroditus. Den vierten ließ der Senat hinrichten, weil er auf dem Forum das Maul gar zu weit aufriß. Acte erwartete Nero in der Villa des Pfaus. Das Schauspiel war meiner Meinung nach sorgfältig vorbereitet und wurde gut ausgeführt. Nero war einer der hervorragendsten Schauspieler seiner Zeit und legte auch großen Wert auf eine gute Ausstattung, weshalb er auf der Bühne immer eine Bemerkung machte, wenn etwa eine Säule ungeschickt aufgestellt oder die Beleuchtung falsch war und irgendeine Nebenfigur hervorhob, während er selbst sang.

Während er noch auf dem Weg zur Villa des Pfaus war, bebte plötzlich die Erde, und ein Blitz schlug vor ihm in die Straße. Zugleich scheute sein Pferd vor dem Gestank einer Leiche zurück und bäumte sich. Nero hatte, wie ich schon sagte, sein Haupt verhüllt. Als aber das Pferd sich bäumte, fiel das Tuch herunter und gab sein Gesicht frei. Ein alter verabschiedeter Prätorianer erkannte ihn und grüßte ihn als Kaiser. Das trieb Nero zu noch größerer Eile an, denn er fürchtete, sein Plan könnte vorzeitig entdeckt werden. All dies haben der Pfau und Epaphroditus so berichtet. Sporus verschwand später so spurlos, daß es Otho nicht gelang, ihn zu finden, obwohl er gern seine Begabung im Bett erprobt hätte. Er warb ja sogar um Statilia, weil er sich auf Neros Erfahrung und Geschmack in diesen Dingen verließ.

Ich will nicht alles wiederholen, was diese beiden Männer über Neros Seelenqualen, Schrecken und Leiden berichteten: wie er mit der Hand Wasser aus einer Pfütze schöpfte, um zu trinken, und die Dornen aus seinem Sklavenmantel zog, nachdem er durch das Gestrüpp zur Villa gekrochen war. Sie erzählten, zur Freude des Senats und der Geschichtsschreiber, ohne zu zögern alles. Nero hatte alles so umsichtig vorbereitet, daß er sogar eine fertig geschriebene Rede hinterließ, in der er um Vergebung für die Verbrechen bat, die er aus politischen Gründen begangen hatte, und den Senat anflehte, sein Leben zu schonen und ihn zum Prokurator irgendeiner kleinen Provinz im Osten zu ernennen, da er doch dem Senat und dem Volk von Rom immerhin einige gute Dienste geleistet hätte. Auf diese Weise ließ Nero den Eindruck entstehen, als hätte er in drohender Lebensgefahr und von blindem Entsetzen ergriffen gehandelt. Darum konnten die beiden Augenzeugen aber doch keinen vernünftigen Zuhörer überzeugen. Nur die ließen sich überzeugen, die alles getan hatten, um Nero zum Selbstmord zu treiben, und daher gern glaubten, ihre Hoffnungen hätten sich erfüllt.

Nero dachte auch daran, der Nachwelt einen großartigen Ausspruch zu hinterlassen. »Welch einen Künstler verliert die Welt an mir!« rief er aus. Diese Worte unterschreibe ich gern, denn heute weiß ich, was für einen Lebenskünstler und Sänger, ja, was für einen wahren Menschenfreund Rom an Nero verlor, so schwer er auch manchmal seiner Launen und seiner Künstlereitelkeit wegen zu behandeln war. Man darf eben einem Siebzehnjährigen nicht unbegrenzte Macht in die Hände geben. Denk daran, mein Sohn, wenn Du Dich wieder einmal über das Zaudern Deines Vaters ärgerst.

Als das Grab fertig war und man die Marmorsteine darum herum aufgestapelt hatte, und als genug Holz beisammen war und man in Eimern Wasser herbeischleppte, um es über den zu Kalk gebrannten Marmor zu gießen, kam ein Eilbote aus Rom mit einem Brief an den Pfau. Darin bekam Nero zu lesen, daß Galba zum Kaiser ausgerufen worden war und daß er selbst zu Tode gegeißelt werden sollte. Dennoch sollte das Schauspiel fortgesetzt werden und Sporus Gelegenheit erhalten, an der Leiche Witwentränen zu vergießen. Da aber geschah etwas, was die Komödianten und Ränkeschmiede zur Eile antrieb.

Der treue Veteran, der Nero auf der Straße wiedererkannt hatte, beeilte sich nicht, seine Flucht zu melden, wie es jeder vernünftige Mensch getan haben würde, sondern rannte auf seinen altersschwachen Beinen geradewegs ins Lager der Prätorianer. Dort kannte man seine Narben und seinen guten Namen, und als Mitglied der Mithras-Bruderschaft genoß er sogar das Vertrauen der Zenturionen. Die Gelegenheit war denkbar günstig, denn Tigellinus hielt sich noch im Senat auf, wo geschwätzige Männer noch immer dabei waren, ihrem Zorn und ihrem vaterländischen Eifer Ausdruck zu verleihen, da sie endlich einmal reden durften, ohne unterbrochen zu werden.

Der Alte hielt eine Ansprache an seine Kameraden und bat sie, sich ihres Soldateneides und ihrer Dankesschuld gegenüber Nero sowie der Striemen von den Stockhieben des Tigellinus auf ihren Buckeln zu erinnern. Die beiden Prätorianerlegionen beschlossen so gut wie einhellig, zu Nero zu stehen. Seiner Freigebigkeit durften sie gewiß sein, während Galba dagegen als Geizhals verschrien war.

Sie beschlossen, es auf einen Kampf ankommen zu lassen, an dessen gutem Ausgang sie nicht zweifelten, denn sie waren überzeugt, daß viele Legionäre von Galba abfallen würden, wenn sie sahen, daß es Ernst wurde und daß ihnen die besten Truppen Roms gegenüberstanden. Sie sandten unverzüglich eine Reiterabteilung unter Führung eines Zenturio aus, die Nero suchen und sicher ins Prätorianerlager begleiten sollte. Die Männer verloren aber viel Zeit, weil sie Neros Versteck nicht gleich fanden und erst nach längerem vergeblichen Suchen an die abseits gelegene Villa des Pfaus dachten.

Doch Nero hatte genug von der Macht. Er schickte den Pfau hinaus, um die Reiter aufzuhalten, sobald er erfahren hatte, weshalb sie gekommen waren. Dann stieß ihm Epaphroditus, der in gewissen Spielen, an denen Nero Gefallen fand, wohlgeübt war, einen Dolch in die Kehle. Nero wählte für seinen Selbstmord einen Stich in die Kehle, um den Senat davon zu überzeugen, daß er sogar seine Stimmbänder opferte. Auf diese Weise konnte an seinem Tode kein Zweifel aufkommen. Wenn später irgendwo im Osten ein neuer großer Sänger von sich reden machte, würde niemand an Nero denken, da man wußte, daß er mit durchschnittener Kehle gestorben war.

Während nun das Blut aus der geschickt vorgetäuschten Halswunde quoll, empfing Nero unter Aufbietung seiner letzten Kräfte den Zenturio, dankte ihm mit gebrochener Stimme für seine Treue, verdrehte die Augen und gab den Geist so glaubwürdig röchelnd und zuckend auf, daß der alte erfahrene Soldat mit Tränen in den Augen seinen Zenturionenmantel über ihn deckte, damit er mit verhülltem Antlitz starb, wie es sich für einen Herrscher geziemt. Auch Julius Caesar verhüllte ja sein Haupt, um die Götter zu ehren, als ihn die Dolche der gedungenen Mörder durchbohrt hatten. Der Pfau und Epaphroditus erklärten nun dem Zenturio, daß es für ihn selbst und für alle treuen Prätorianer das klügste war, wenn er rasch ins Lager zurückkehrte und den Tod Neros meldete, damit niemand dumme Streiche machte. Darauf sollte er in die Kurie eilen und berichten, er habe in der Hoffnung auf Belohnung Nero aufgespürt, um ihn lebend zu fangen und dem Senat auszuliefern. Leider sei es aber Nero gelungen, seinem Leben noch rechtzeitig selbst ein Ende zu machen.

Der Mantel, den er über die Leiche geworfen hatte, so daß er nun voll Blut war, sei Beweis genug, sagten sie, aber selbstverständlich dürfe er Nero auch den Kopf abschneiden und in die Kurie mitnehmen, sofern er dies mit seiner Soldatenehre vereinbaren könne. Man werde ihn so oder so belohnen für die gute Nachricht, die er brachte. Nero selbst habe gewünscht, daß sein Leichnam unverstümmelt in aller Stille verbrannt werde.

Der Zenturio ließ seinen Mantel liegen, da zu erwarten war, daß der Senat augenblicklich einen Untersuchungsausschuß in die Villa des Pfaus sandte, um alle Einzelheiten über Neros Tod in Erfahrung zu bringen. Sobald die Reiter aufgebrochen waren, machten sich die treuen Verschworenen rasch ans Werk. Eine Leiche von Neros Größe und Wuchs war in diesen unruhigen Zeiten, da nach den Schlägereien vor Galbas Ankunft so mancher in den Gräben längs der Straßen liegenblieb, nicht schwer zu finden gewesen. Also rasch auf den Scheiterhaufen mit der Leiche, Feuer ans Holz gelegt und das Ganze mit Öl übergossen! Wohin, wie und in welcher Verkleidung Nero floh, weiß ich nicht zu sagen. Ich bin jedoch ziemlich gewiß, daß er in den Osten ging, vermutlich um bei den Parthern Schutz zu suchen. Die Arsakiden haben in über dreihundert Jahren so viele Geheimnisse gesammelt, daß sie es besser als wir Römer verstehen, sie zu hüten. Wir schwatzten sogar im Senat zuviel. Die Parther dagegen beherrschen die Kunst des Schweigens.

Ich gebe zu, daß sich meine Schlußfolgerungen eigentlich nur darauf stützen, daß plötzlich das Zitherspiel bei den Parthern Mode wurde. Ich weiß jedoch, daß der wirkliche Nero nicht mehr nach der Macht in Rom strebt. Alle, die dies versuchen oder tun, sind, auch wenn sie eine Dolchnarbe am Halse tragen, falsche Neros, und wir kreuzigen sie, sobald wir ihrer habhaft werden.

Als die vom Senat ausgesandten Männer eintrafen, war man schon dabei, Wasser auf die glühenden Marmorblöcke zu gießen, die zu Kalk zerfielen und die Leichenreste mit einer Kruste überzogen, die alle Einzelheiten verbarg. Nero hatte kein Gebrechen, an dem man seine Leiche hätte erkennen können. Den Zahn, den er sich in Griechenland hatte ziehen lassen, hatte man vorsichtshalber auch dem Leichnam des Unbekannten gezogen.

Die traurigen Reste wurden in einen weißen, goldbestickten Mantel gesammelt, den Nero im selben Winter beim Saturnalienfest getragen hatte. Mit Galbas Genehmigung gab man für die Bestattungsfeier einige hunderttausend Sesterze aus. So liegt nun im Mausoleum der Domitier in einem Porphyrsarkophag in einer Kalkkruste eine halbverbrannte Leiche. Wer will, kann hingehen und sich davon überzeugen, daß Nero wirklich tot ist. Statilia und Acte haben nichts dagegen, daß man sein Andenken ehrt.

Ich habe Dir von Neros Tod berichtet, damit Du bereit bist, falls irgend etwas Unerwartetes geschehen sollte. Nero war ja erst zweiunddreißig Jahre alt, als er seinen symbolischen Tod wählte, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, seine Verbrechen zu sühnen und ein neues Leben zu beginnen. Wo, das läßt er uns raten. Während ich dies schreibe, ist er gerade erst dreiundvierzig.

Mein Mißtrauen erwachte, als mir bewußt wurde, daß sich all dies am Vorabend des Tages zutrug, an dem einst Agrippina ermordet worden war, und daß Nero mit verhülltem Haupt und bloßen Füßen, den Göttern geweiht, aus der Stadt geflohen war. Auch das geheimnisvolle Verschwinden des Sporus ist eine Art Beweis. Nero konnte ohne ihn nicht mehr leben, denn er war dem Äußeren nach ein treues Abbild Poppaeas. Viele Senatoren, die ihren Kopf zu gebrauchen verstehen, sind hinsichtlich Neros Tod der gleichen Ansicht wie ich, aber wir sprechen selbstverständlich nie darüber.

Galba ließ den Leichnam Neros nur des Volkes wegen ordentlich bestatten, das seinen Tod aufrichtig und mit gutem Grund betrauerte. Er wollte die Welt davon überzeugen, daß Nero wirklich tot war. Daher kümmerte er sich nicht darum, daß der Senat ihn zum Staatsfeind erklärt hatte. Aus Mißtrauen dem Senat gegenüber beabsichtigte Galba, die Amtszeit der Senatoren auf zwei Jahre zu begrenzen. Das war ein wahnwitziger Einfall, denn unser Amt hat man von alters her auf Lebenszeit. Deshalb dulden wir auch die Altersschwachen unter uns, die uns manchmal die Zeit stehlen, indem sie ohne Ende von den vergangenen goldenen Zeiten reden. Das ist eine Krankheit, die uns alle einmal trifft. Wir achten daher das Alter und die Dienstjahre – im Gegensatz zu den jungen Leuten, die erst zur Einsicht kommen, wenn sie selbst die Senatorenstiefel anziehen.

Es war also nicht weiter verwunderlich, daß man Galbas Kopf bald um das Forum trug. Der Soldat, der dies tat, mußte die Daumen in seinen Mund stecken, um den Kopf richtig fassen zu können, so kahl war er. Als der Mann seine Belohnung von Otho erhalten hatte, reichte er den Kopf anderen Prätorianern, die ihn weiter um das Lager trugen, lachten und riefen: »Cupido, Galba, nütze deine Jugend!«

Er hatte den Prätorianern nicht einmal bei seiner Thronbesteigung ein passendes Geschenk gemacht, aber sie waren nicht deshalb verbittert. Galba hatte sich in einen Hünen von der germanischen Leibwache verliebt. Er hatte den Mann eine ganze Nacht bei sich behalten und auf alle erdenkliche Weise angestrengt, dann aber am Morgen entlassen, ohne ihm auch nur ein paar Sesterze für einen Schluck Wein zu geben. Statt dessen hatte er ihm gesagt, er müsse dafür dankbar sein, daß er die Freundschaft eines so jugendlichen alten Mannes hatte genießen dürfen. Das war mit ein Grund dafür, daß er gestürzt wurde. Zu des Tigellinus Zeiten hatten die Prätorianer von solchen Männern immer genug und übergenug bekommen.


Ich kehre zu Vespasian zurück. Es war eine Freude zu sehen, wie er sich verwunderte, als ihn die Legionen im Morgengrauen zum Kaiser ausriefen, wie er Einwände machte, die Hände rang und mehrere Male von dem Schild sprang, auf dem man ihn um die Mauern Jerusalems trug. Ein Schild ist allerdings eine unbequeme Sitzgelegenheit, besonders wenn die Soldaten einen, wie sie es mit Vespasian machten, vor Freude in die Luft prellen. Sie waren nämlich dank der Sesterze, die ich hatte austeilen lassen, recht betrunken. Einen Teil des Geldes bekam ich übrigens durch meinen neuen syrischen Freigelassenen wieder zurück. Es war mir gelungen, ihm das ausschließliche Recht zu verschaffen, im Lager Wein zu verkaufen, und er verdiente sehr gut daran, daß er das Schankrecht an die jüdischen Händler des Lagers weiterverkaufte.

Nachdem er den Legionen in Pannonien und Mösien den Sold geschickt und den Kohorten in Gallien wegen der Plünderungen und Gewalttaten an friedlichen Bewohnern einen sanften Verweis erteilt hatte, reiste Vespasian unverzüglich nach Ägypten. Zu diesem Zweck brauchte er die Truppen, die er Titus übergeben hatte, nicht von der Belagerung abzuziehen. Eine kleine Ehrenwache genügte ihm, denn er verließ sich auf die Treue der ägyptischen Garnisonstruppen. Der Treue Ägyptens mußte er sich hingegen persönlich versichern. Nicht, weil Ägypten die Kornkammer Roms ist, sondern weil es uns all das Papier liefert, das man für die ordentliche Verwaltung der Welt braucht, von den Steuereinnahmen ganz zu schweigen.

Die Kunst der Besteuerung hat Vespasian dann zu bisher ungeahnter Höhe entwickelt, so daß wir Wohlhabenden manchmal aus Nase und Ohren zu bluten vermeinen, wenn er uns zwackt … und aus dem Mastdarm könnte ich hinzufügen, denn deshalb bin ich hier in diesem Badeort. Die Ärzte waren wegen meines Zustandes und der Blutungen, die mich schwächten, so besorgt, daß sie mich, anstatt mir Arzneien zu geben, ermahnten, schleunigst mein Testament zu machen.

Ich wandte mich, da die Ärzte mich aufgegeben hatten, an Jesus von Nazareth. Auf der Schwelle des Todes wird ein von seinen Leiden geschwächter Mensch klein und demütig. Ein Gelübde legte ich jedoch nicht ab. Neben meinen zahllosen Verbrechen und meiner Härte wiegen meine wenigen guten Taten gewiß nicht viel, weshalb mir ein Gelübde zwecklos erschien.

Meine Ärzte trauten, ihren Augen nicht, als die Blutungen plötzlich von selbst aufhörten. Sie kamen zu dem Schluß, daß mein Leiden gar nicht lebensgefährlich gewesen war, sondern nur eine Folge meines Ärgers darüber, daß Vespasian gewisse steuertechnische Maßnahmen ablehnte, die der Erhaltung meiner Einkünfte und meines Vermögens dienlich gewesen wären.

Ich gebe zu, daß er uns nicht auspreßt, um sich selbst zu bereichern, sondern nur zum Nutzen des Staates, aber es hat alles seine Grenzen. Selbst Titus verabscheut die Kupfermünzen, die man nun in Rom für die Benutzung der öffentlichen Abtritte entrichten muß, obwohl jeden Tag ganze Körbe voll zusammenkommen. Die neuen Abtritte haben zwar fließendes Wasser und Marmorsitze und sind mit Statuen geschmückt, aber die uralte Bürgerfreiheit ist dahin. Man kann es den Armen nicht verdenken, daß sie aus reinem Trotz ihr Wasser an den Tempelmauern und vor den Türen der Reichen abschlagen.

Als wir vor Alexandria ankamen, zog Vespasian es vor, sich nicht in den Hafen rudern zu lassen, denn in den Becken trieben die stinkenden Leichen von Griechen und Juden. Er wollte den Bewohnern der Stadt Zeit geben, mit ihren Streitigkeiten fertig zu werden und sich in ihren verschiedenen Stadtteilen zu verschanzen, weil er kein unnützes Blutvergießen duldete. Alexandria ist eine viel zu große Stadt, als daß Zwistigkeiten zwischen Griechen und Juden auf eine ebenso einfache Weise hätten bereinigt werden können wie beispielsweise in Caesarea. Wir gingen außerhalb der Stadt an Land, und ich setzte zum erstenmal in meinem Leben den Fuß auf Ägyptens heilige Erde. Ich muß freilich hinzufügen, daß ich mir dabei nur meine feinen weichen Senatorenstiefel schmutzig machte.

Am nächsten Morgen erschien eine Abordnung aus der Stadt mit allem ägyptischen Prunk, Juden und Griechen in bestem Einvernehmen, und alle beklagten mit vielen Worten den Aufruhr, den einige unbedachte Heißsporne angezettelt hatten. Nun seien aber Ruhe und Ordnung wiederhergestellt, versicherten sie. In der Schar befanden sich Philosophen und Gelehrte sowie der Oberbibliothekar der Stadt mit seinen nächsten Untergebenen. Darauf legte Vespasian, der selbst ungebildet war, großen Wert.

Als er hörte, daß sich Apollonius von Tyana in der Stadt aufhielt, um die ägyptische Weisheit zu studieren und die Ägypter in der Nabelbeschau der indischen Gymnosophisten zu unterweisen, beklagte er, daß es der größte Philosoph unserer Zeit nicht der Mühe wert gefunden hatte, die anderen zu begleiten und seinen Kaiser willkommen zu heißen.

Das Verhalten des Apollonius war jedoch reine Berechnung. Er war, wie bekannt, sehr eitel und ebenso stolz auf seine Weisheit wie auf seinen bis zum Gürtel reichenden weißen Bart. Er bemühte sich nachher nach besten Kräften um die Gunst des Kaisers, hielt es jedoch für klug, Vespasian zunächst einmal zu beunruhigen und ihn vermuten zu lassen, er mißbillige vielleicht seinen Staatsstreich. In Rom hatte Apollonius sich Neros Gunst versichern wollen, aber Nero hatte ihn nicht einmal empfangen, weil er der Philosophie die Künste vorzog. Immerhin war es ihm aber gelungen, Tigellinus mit seinen übernatürlichen Kräften einzuschüchtern, so daß er die Erlaubnis erhielt, in Rom zu bleiben, obwohl Nero alle kritischen Philosophen aus der Stadt verwies.

Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, erschien Apollonius von Tyana unerwartet vor dem Tor des kaiserlichen Palastes in Alexandria und begehrte Einlaß. Die Wachen hielten ihn zurück und erklärten ihm, daß Vespasian längst aufgestanden war, um wichtige Briefe zu diktieren. Da sagte Apollonius fromm: »Dieser Mann wird ein wahrer Herrscher sein.« Er hoffte, daß man seine Prophezeiung Vespasian hinterbrachte, was selbstverständlich auch geschah.

Als es heller Tag war, zeigte er sich erneut vor dem Tor. Diesmal wurde er unverzüglich unter allen Ehrenbezeigungen, die man für den gelehrtesten Mann der Welt fand, vor Vespasian geführt. Viele betrachten ja Apollonius noch immer als den Göttern ebenbürtig.

Ich hatte den Eindruck, daß Apollonius sich über das graue Legionärsbrot und den sauren Wein wunderte, die Vespasian ihm anbot, da er sonst bessere Bewirtung gewohnt war und die Kochkunst nicht verachtete, obwohl er bisweilen fastete, um seinen Körper zu reinigen. Er spielte jedoch die Rolle weiter, die er einmal gewählt hatte, und pries Vespasian um seiner einfachen Gewohnheit willen, die, wie er versicherte, für sich allein schon bewiesen, daß er zu Recht und zum Vorteil des Staates über Nero gesiegt habe.

Vespasian antwortete kurz: »Ich hätte mich nie gegen den rechtmäßigen Herrscher erhoben.«

Apollonius, der geglaubt hatte, er könne Eindruck machen, indem er mit seinem Anteil an dem Aufstand des Vindex in Gallien prahlte, schwieg enttäuscht und bat dann, einige seiner berühmten Begleiter hereinrufen zu dürfen, die noch vor dem Tor warteten. Auch Vespasians Gefolge nahm ja an dem Morgenmahl teil. Vespasian war ein wenig ungeduldig, denn wir hatten die halbe Nacht gewacht und die dringendsten Erlässe und Verordnungen diktiert. Er beherrschte sich jedoch und sagte: »Weisen Männern steht meine Tür allzeit offen. Dir aber, unvergleichlicher Apollonius, öffne ich sogar mein Herz.«

Danach hielt Apollonius in Gegenwart seiner beiden Schüler einen eindrucksvollen Vortrag über die Demokratie und wies nach, wie notwendig es sei, eine wahre Herrschaft des Volkes anstelle der Alleinherrschaft wiedereinzuführen, die sich als so verderblich erwiesen hatte. Ich wurde unruhig, aber Vespasian kümmerte sich nicht um meine Ellbogenstöße und mein Zwinkern. Er hörte Apollonius geduldig bis zum Ende an und sagte dann: »Ich fürchte sehr, daß die Alleinherrschaft, die der Senat nach bestem Vermögen einzuschränken suchte, das Volk von Rom verdorben hat. Es ist daher vorerst kaum möglich; die Neuerungen einzuführen, die du vorschlägst. Das Volk muß erst reif werden, die Verantwortung zu tragen, die die Freiheit mit sich bringt. Sonst gibt es nur Uneinigkeit und Streit, und wir haben ständig den Bürgerkrieg vor der Tür.«

Apollonius antwortete so rasch, daß ich seine Geschmeidigkeit nur bewundern konnte: »Was kümmert mich letzten Endes der Aufbau des Staates! Ich lebe nur den Göttern. Aber ich möchte nicht, daß die große Mehrheit aller Menschen ins Verderben stürzt, weil es ihr an einem guten Hirten mangelt. Wenn ich es recht bedenke, ist die beste Form der Demokratie eine aufgeklärte Tyrannei, sorgsam überwacht von einem Senat, der sich von Tugend und Rechtschaffenheit leiten läßt und nur das Gemeinwohl im Auge hat.«

Danach begann er weitschweifig zu erklären, daß er sich die alte Weisheit Ägyptens zu eigen machen, die Pyramiden untersuchen und womöglich aus den Quellen des Nils trinken wolle. Leider fehle es ihm aber an dem nötigen Geld, um ein Flußboot samt Ruderern zu mieten. Vespasian ergriff rasch die Gelegenheit, zeigte auf mich und sagte: »Ich besitze nicht mehr, als was dem dringendsten Bedarf des Staates dient, das weißt du in deiner Weisheit gewiß selbst, lieber Apollonius. Aber mein Freund Minutus Manilianus ist als Senator ein ebenso eifriger Freund der Demokratie wie du. Er ist vermögend und schenkt dir sicherlich ein Schiff samt Ruderern, wenn du ihn darum bittest. Auch gibt er dir, was du sonst für deine Reise zu den Quellen des Nils benötigst. Vor Gefahren brauchst du dich nicht zu fürchten. Es befindet sich nämlich eine Expedition von Gelehrten, die Nero vor einigen Jahren ausschickte, auf dem Wege dorthin, und sie wird von Prätorianern begleitet. Schließe dich nur ihr an.«

Erfreut über dieses Versprechen, das Vespasian nicht eine schäbige Kupfermünze kostete, versank Apollonius in Verzückung und rief: »O kapitolinischer Jupiter, du Heiliger aller Staatswirren, erhalte diesen Mann zu deinem eigenen Besten. Er wird deinen Tempel, den gottlose Hände soeben im Flammenschein zerstörten, wiederaufbauen!«

Wir entsetzten uns über dieses Gesicht und diese Prophezeiung. Doch ich hielt seine Worte, offen gesagt, für Verstellung. Erst einige Wochen später erfuhren wir, wie Vitellius abgesetzt worden war und wie Flavius Sabinus und Domitian zuvor gezwungen worden waren, sich im Kapitol zu verschanzen.

Domitian floh feige während der Belagerung, nachdem er sich das Haar geschoren und sich als Isispriester verkleidet hatte. Er schloß sich einer Schar fremder Opferpriester an, als die Soldaten des Vitellius, nachdem sie den Tempel angezündet und seine Mauern mit Belagerungsmaschinen niedergebrochen hatten, die eingeschlossenen Priester hinausschleppten, um sie niederzumetzeln. Mein ehemaliger Schwiegervater Flavius Sabinus starb, so alt er war, tapfer mit dem Schwert in der Hand.

Domitian floh auf die andere Seite des Tibers hinüber und versteckte sich bei der jüdischen Mutter eines seiner früheren Schulkameraden. In die Palatiumschule gehen auch immer Angehörige der jüdischen Fürstengeschlechter. Einer von ihnen war sogar der Sohn des Königs von Chalkis, dessen Schicksal seinerzeit meinen Sohn Jucundus dazu trieb, sich der kindischen Verschwörung anzuschließen, die Rom zerstören und die Hauptstadt des Reiches in den Osten verlegen wollte. Ja, ich will nun auch davon sprechen, obwohl ich es eigentlich für mich zu behalten gedachte.

Tigellinus machte den Prinzen von Chalkis betrunken und mißbrauchte ihn für seine Gelüste. Darauf beging der Knabe in Gegenwart seiner Mitschüler Selbstmord, da seine religiösen Vorurteile ihm den Verkehr mit Männern verboten. Er hätte hernach nie nach seinem Vater erben und König von Chalkis werden können. Aus Rache dafür zündeten die Knaben die Gärten des Tigellinus an, so daß der große Brand von neuem ausbrach, als er schon im Verlöschen zu sein schien. Jucundus war mit dabei. Er starb also nicht ganz ohne Schuld. Ich muß allerdings hinzufügen, daß den neu auflodernden Flammen das Viertel Suburra zum Opfer fiel, das seit eh und je ein Schandfleck für Rom gewesen war.

Domitian sagte sich in seiner feigen Listigkeit, daß ihn niemand ausgerechnet im jüdischen Stadtteil suchen würde, denn die Juden haßten Vespasian und sein ganzes Geschlecht wegen der Belagerung Jerusalems und der ungeheuren Verluste, die die Aufständischen erlitten hatten, als sie in ihrem Übermut zuerst in offener Feldschlacht zu kämpfen wagten und von Vespasian in die Zange genommen und aufgerieben wurden.

Apollonius von Tyana versuchte übrigens noch vor seiner Abreise, sich zugunsten der Griechen in die inneren Machtkämpfe Alexandrias einzumischen. Als er sich von Vespasian verabschiedete, bevor er sich auf das Boot begab, das ich ihm gekauft hatte, sagte er: »Ich habe aufgehorcht, als ich hörte, daß du in einer Schlacht dreißigtausend und in einer anderen fünfzigtausend Juden vernichtet hast. Schon damals dachte ich: Wer ist dieser Mann? Er könnte zu Besserem taugen! Die Juden haben seit langem nicht nur Rom, sondern die ganze Menschheit verraten. Ein Volk, das sich von allen anderen absondert, das nicht mit anderen essen und trinken will und sich sogar weigert, die herkömmlichen Gebete und Weihrauchopfer zu verrichten, ein solches Volk steht uns ferner als Susa und Baktra. Es wäre besser, wenn nicht ein Jude am Leben bliebe.«

So unduldsam sprach der größte Weise aller Zeiten, weshalb ich ihn gerne auf die Reise schickte und im Innern wünschte, sein Boot möchte sinken oder die Wilden in Nubien möchten ihn auf ihre Bratspieße stecken. Am meisten beunruhigte mich allerdings sein Geschwätz über die Demokratie. Vespasian neigte allzusehr zu gerechtem Denken und hatte mehr das Beste des Volkes im Auge denn seinen eigenen Vorteil als Kaiser.

Apollonius von Tyana besaß ohne Zweifel übernatürliche Kräfte. Wir rechneten uns später aus, daß er wirklich in demselben Augenblick, als es geschah, das Kapitol hatte brennen sehen. Einige Tage danach kroch Domitian aus dem Keller der Jüdin hervor und rief sich frech selbst zum Kaiser aus. Daran war freilich zum Teil der Senat schuld, der von einem Achtzehnjährigen auf dem Kaiserthron größeren Nutzen zu haben glaubte als von Vespasian, der gewohnt war zu befehlen, wenn es not tat. An Vitellius rächte sich Domitian für den Schrecken und die Demütigung, die er hatte ausstehen müssen, indem er dem Volk die Erlaubnis gab, ihn mit dem Kopf nach unten an einer Säule des Forums aufzuhängen und langsam mit kleinen Dolchstichen zu töten. Danach wurde die Leiche an einem eisernen Haken zum Tiber geschleift. Auch aus solchen Gründen darfst Du Dich nie der Willkür des Volkes ausliefern. Liebe Dein Volk, soviel Du willst, mein Sohn, aber halte es in Zucht.

All dies wußten wir jedoch damals in Alexandria noch nicht. Vespasian war hinsichtlich der zu wählenden Regierungsform noch immer im Zweifel, obwohl er zum Kaiser ausgerufen worden war. Die Republik war ihm, wie allen älteren Senatoren, lieb. Wir sprechen oft und gern von ihr, machen aber deshalb keine Dummheiten. Die Verzückung des Apollonius überzeugte ihn nicht, da er bei der langsamen Postverbindung keine Möglichkeit hatte, die Wahrheit seines Gesichts zu überprüfen. Da hielt es die Priesterschaft Alexandrias für gut, ihm seine eigene Göttlichkeit zu bestätigen, so daß endlich die Prophezeiungen wahr wurden, die seit einem Jahrhundert von einem Kaiser gesprochen hatten, der aus dem Osten kommen werde.

Eines heißen Morgens, als Vespasian vor dem Serapistempel zu Gericht saß, wo er, um die Götter Ägyptens zu ehren, sein Richterpodium hatte aufstellen lassen, traten auf den Rat der Priester zwei Kranke vor ihn hin und baten um Heilung. Der eine war blind, der andere lahm. Vespasian mochte nichts unternehmen, denn vor dem Tempel war eine große Menge Volks zusammengeströmt, um den Kaiser zu begaffen, und er wollte nicht in aller Augen zum Gespött werden.

Ich aber hatte plötzlich das Gefühl, all dies schon einmal erlebt zu haben: die Säulen des Tempels, der Richterstuhl, die Volksmenge, ja ich glaubte sogar die beiden Männer zu kennen. Da entsann ich mich des Traums, den ich in meiner Jugend im Lande der Briganter gehabt hatte. Ich erinnerte Vespasian daran und ermahnte ihn, zu tun, was er in meinem Traum getan hatte. Widerstrebend stand er auf und spuckte dem Blinden auf die Augen, worauf er den Lahmen kräftig gegen sein Bein trat. Der Blinde erhielt sein Augenlicht zurück, und das verkürzte Bein des Lahmen genas so rasch, daß wir unseren Augen nicht trauten. Da glaubte Vespasian endlich, daß er zum Kaiser geboren war, obwohl er sich nach diesem Ereignis weder heiliger noch göttlicher fühlte als zuvor oder zumindest alle Gefühle dieser Art verbarg.

Ich weiß gewiß, daß er später nie wieder seine Kräfte an dergleichen Heilungen erprobte. Ich bat ihn einmal, seine göttliche Hand auf meine blutende Darmöffnung zu legen, als er mich, über meinen Zustand bekümmert, auf meinem Sterbebett besuchte. Er weigerte sich mit aller Bestimmtheit und sagte mir, das seltsame Geschehnis in Alexandria habe so an seinen inneren Kräften gezehrt, daß er in der darauffolgenden Nacht ernstlich fürchtete, den Verstand zu verlieren. »Wahnsinnige Kaiser hat Rom genug gehabt«, sagte er, und darin hatte er recht. Einer solchen Gefahr durfte ich Rom Deinetwegen nicht aussetzen, auch um den Preis meiner Gesundheit nicht.

Manch einer, der nur glaubt, was er selbst zu sehen, zu hören und zu riechen vermag – obgleich man den Sinnen des Menschen nicht immer trauen darf –, wird geneigt sein, an meinem Bericht zu zweifeln, da die Zauberkniffe der ägyptischen Priester berühmt sind. Ich kann aber bezeugen, daß die Serapispriester jeden Kranken genau untersuchen, bevor sie zulassen, daß man eine Wunderheilung an ihm versucht. Verstellung und Heilung einer eingebildeten Krankheit hieße nach ihrem Glauben die Götter beleidigen.

Ich weiß außerdem, daß auch Paulus nicht jedem seine Schweißtücher zur Heilung ernsthafter Krankheiten schicken ließ. Einen Mann, der Krankheit heuchelte, hätte er schonungslos aus der Gemeinschaft der Christen ausgestoßen. Ich möchte also aufgrund meiner eigenen Erfahrungen meinen, daß Vespasian wirklich die beiden Kranken heilte. Wie das möglich ist, kann ich freilich nicht erklären. Ich will auch zugeben, daß Vespasian gut daran tut, seine Macht nicht von neuem zu erproben. Diese Wunderheilungen zehren gewißlich entsetzlich an den Kräften.

Von Jesus von Nazareth wird berichtet, er habe es nicht zugelassen, daß einer heimlich auch nur seine Mantelquasten berührte. Er fühlte wohl sogleich, wie ihn die Kräfte verließen. Zwar hat er Kranke geheilt und Tote auferweckt, aber nur auf flehentliche Bitten hin oder aus Mitleid mit den Angehörigen. Im allgemeinen war er nicht darauf erpicht, Wunder zu tun. Er tadelte die, welche sahen und doch nicht glaubten, und pries jene selig, die nicht sahen und doch glaubten. So hat man mir berichtet. Mein eigener Glaube wiegt zwar nicht mehr, als ein Sandkorn wiegen mag, und ich fürchte sehr, ihm wird er nicht genügen, aber ich will zumindest versuchen, ehrlich zu sein und ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Weil ich gerade die Zauberkniffe der ägyptischen Priester erwähnte: Da fällt mir ein Grieche in Alexandria ein, der das Erbe seiner Väter und die Mitgift seiner Gattin an wahnwitzige Erfindungen verschwendete und so hartnäckig um Vortritt bei Vespasian bat, daß wir ihn zuletzt empfangen mußten. Er berichtete mit leuchtenden Augen von seinen Erfindungen und pries insbesondere die Kraft des Wasserdampfs, der seiner Meinung nach imstande wäre, die schweren Mühlsteine zu treiben. Vespasian fragte ihn: »Was fangen wir dann aber mit den Sklaven an, die sich damit ihr Brot verdienen, daß sie die Mühlsteine drehen? Versuche einmal auszurechnen, wie viele Arbeitslose da der Staat ernähren müßte.«

Der Mann rechnete rasch im Kopf und gab ehrlich zu, daß er an den Schaden nicht gedacht hatte, den seine Erfindung auf wirtschaftlichem Gebiet anrichten würde. Dann aber erklärte er hoffnungsvoll, daß die Kraft des kochenden Wassers an Bord der Schiffe ausgenutzt werden könne, um die Ruder zu treiben. Es fehle ihm nur am Geld für die nötigen Versuche. Die Schiffe würden nicht mehr so vom Wind abhängen.

Ich hielt es für richtig, mich einzumischen, und erklärte, wie entsetzlich die Feuersgefahr auf den kostbaren Getreideschiffen sein würde – von der Gefahr für die Reisenden ganz zu schweigen –, wenn man an Bord ständig ein Feuer unterhalten müßte, um das Wasser zu erhitzen. Sogar das Kochen ist auf den Schiffen so gefährlich, daß beim geringsten Anzeichen von Sturm die Feuer auf ihren Sandbetten gelöscht werden. Jeder Seemann begnügt sich lieber mit kalten Speisen, als daß er sich der Gefahr einer Feuersbrunst auf See aussetzte.

Vespasian bemerkte dazu, daß die griechischen Dreiruderer die sinnreichste Waffe des Seekriegs seien und für alle Zeiten bleiben würden. Von den Handelsschiffen seien dagegen die karthagischen die besten der Welt, und es bestehe kein Anlaß, irgend etwas an ihnen zu ändern.

Der Erfinder sah bedrückt drein, aber Vespasian ließ ihm eine bedeutende Summe ausbezahlen, damit er von weiteren wahnwitzigen Erfindungen Abstand nehme. Sicherheitshalber bestimmte er, daß das Geld der Gattin des Mannes auszuhändigen sei, so daß dieser nicht darüber verfügen und es für seine unnützen Versuche ausgeben konnte.

Ich für meinen Teil habe oft, wenn ich die sinnreichen Kriegsmaschinen betrachtete, ein wenig wehmütig daran gedacht, wie leicht ein geschickter Techniker Maschinen für beispielsweise den Ackerbau ersinnen könnte, die den Sklaven manch schwere Arbeit und unzählige Tropfen Schweißes ersparen würden. Auch für die Entwässerungskunst, die wir von den Etruskern lernten, wären solche Maschinen von großem Nutzen. Ich denke mir, man könnte auf dem Grunde der Abflußgräben anstelle der Reisigbündel auch Ziegelrohre und Steine verwenden, so wie wir es in den Kloaken tun, die allerdings weit größer sind. Andrerseits sehe ich ein, was für verheerende Wirkung auf wirtschaftlichem Gebiet solche Erfindungen haben würden. Wo sollten die Sklaven hinfort ihr Brot und Öl hernehmen? Die kostenlose Getreideausteilung kommt den Staat schon teuer genug zu stehen, und dann müssen Sklaven arbeiten, so schwer wie möglich arbeiten, sonst kommen sie nur auf dumme Gedanken. Wir haben unsere bitteren Erfahrungen!

Die Priester in Ägypten haben bereits alles erfunden, was man braucht. Sie haben beispielsweise eine Maschine, die Weihwasser versprüht, wenn man die richtige Münze hineinsteckt, und diese Maschine ist sogar imstande, vollgewichtige Münzen von abgefeilten zu unterscheiden, so unglaublich das auch klingen mag. Der verabscheuungswürdige Brauch, Späne von Gold- und Silbermünzen herunterzufeilen, ist nämlich in Alexandria aufgekommen. Macht man es mit Hunderten und Tausenden von Münzen, so lohnte es sich sehr wohl. Wer zuerst auf den Einfall kam, weiß ich nicht. Die Griechen beschuldigen die Juden, und die Juden die Griechen.

Ich erzähle das, um Dir zu zeigen, daß Vespasians Wunderheilung kein Taschenspielertrick war. Gerade aufgrund ihrer eigenen technischen Erfindungen sind die ägyptischen Priester besonders mißtrauisch.

Als Vespasian in jener schlaflosen Nacht erschüttert zu der Überzeugung gekommen war, daß die Götter ihn offenkundig dazu ausersehen hatten, Kaiser zu sein, atmete ich erleichtert auf. Es wäre verhängnisvoll gewesen, wenn er sich von längst veralteten demokratischen Ideen hätte dazu verleiten lassen, Änderungen am Aufbau des Staates vorzunehmen. Als ich meiner Sache ganz sicher war, wagte ich ihm in vertraulichem Gespräch mein Geheimnis zu enthüllen. Ich berichtete von Claudia und von Deiner Abstammung und wies ihm nach, daß Du der letzte männliche Nachkomme des julischen Geschlechts bist. Von dieser Stunde an nannte ich Dich in meinem Herzen Julius, obwohl Du diesen Namen erst erhieltst, als Du die Toga anlegtest und Vespasian mit eigner Hand die Spange des Augustus auf Deiner Schulter befestigte.

Vespasian glaubte mir sofort und war nicht einmal so erstaunt, wie ich erwartet hatte. Er kannte Deine Mutter Claudia schon aus der Zeit, da Kaiser Caligula sie seine Base nannte, um seinen Onkel Claudius zu ärgern. Um sich das Verwandtschaftsverhältnis klarzumachen, rechnete Vespasian an den Fingern und sagte: »Dein Sohn ist also ein Enkel des Claudius, nämlich der Sohn seiner Tochter. Claudius war seinerseits ein Neffe des Kaisers Tiberius, nämlich der Sohn von dessen Bruder. Der Bruder des Tiberius aber hatte Antonia zur Gattin, die jüngere Tochter Octavias – der Schwester des Gottes Augustus – und des Marcus Antonius. Octavia und der Gott Augustus waren Kinder der Nichte Julius Caesars. Im Grunde ist der Kaiserthron ständig in der weiblichen Linie weitervererbt worden. Neros Vater war der Sohn der älteren Tochter des Marcus Antonius. Sein Erbrecht war daher ebensogut wie das des Claudius, obwohl Claudius dann der Form halber Nero adoptierte, als er sich mit seiner Nichte vermählte. Das Erbrecht deines Sohnes ist ohne Zweifel ebenso gültig wie das dieser anderen. Was willst du also?«

Ich erwiderte: »Ich will, daß mein Sohn zu dem besten und edelsten Herrscher heranwächst, den Rom je erblickt hat. Ich zweifle nicht einen Augenblick daran, daß du, Vespasian, ihn in deiner Gerechtigkeit als den rechtmäßigen Erben anerkennen wirst, wenn die Stunde gekommen ist.«

Vespasian dachte lange mit gefurchter Stirn und halb geschlossenen Lidern nach. Er strich sich über die Wangen und fragte schließlich: »Wie alt ist dein Sohn?«

»Er wird im nächsten Herbst fünf«, antwortete ich stolz.

»Dann hast du es ja nicht so eilig«, sagte Vespasian erleichtert. »Nehmen wir an, die Götter geben mir noch zehn Jahre, um die Herrscherlast zu tragen und die Angelegenheiten des Staates ein wenig in Ordnung zu bringen. Dein Sohn legt dann gerade erst die Toga an. Titus hat seine schwachen Seiten, und seine Verbindung mit Berenike macht mir große Sorge, aber im allgemeinen wächst ein Mann an seiner Aufgabe. In zehn Jahren ist Titus über vierzig und ein reifer Mann. Meiner Meinung nach hat er ein gutes Recht auf den Kaiserthron, sofern er sich nicht mit Berenike vermählt. Das wäre verhängnisvoll. Eine Jüdin als kaiserliche Gemahlin ist undenkbar, und wäre sie auch aus des Herodes Geschlecht. Wenn Titus aber Vernunft annimmt, wirst du wohl in aller Freundschaft erlauben, daß er seine Zeit herrscht. Indessen wird dein Sohn zum reifen Mann und sammelt seine Erfahrungen im Amt. Mein zweiter Sohn Domitian taugt nicht zum Kaiser. Der bloße Gedanke erschreckt mich. Ich habe es, um die Wahrheit zu sagen, immer bereut, daß ich ihn aus Versehen, in angetrunkenem Zustand, zeugte, als ich zu Besuch in Rom Weilte. Seit der Geburt des Titus waren ja zehn Jahre vergangen, und ich hätte nicht geglaubt, daß meinem Ehebett noch einmal ein frischer Trieb entsprießen würde. Es würgt mich in der Kehle, wenn ich an Domitian denke. Ich mag nicht einmal einen Triumph feiern, weil ich ihn dazu mitnehmen müßte.«

»Du mußt einen Triumph feiern, wenn Titus Jerusalem erobert hat«, sagte ich beunruhigt. »Du würdest die Legionäre bitter kränken, wenn du ihnen nach den großen Verlusten, die sie im Judenkrieg erlitten haben, keinen Triumph gönntest.«

Vespasian seufzte schwer und sagte: »So weit voraus habe ich noch gar nicht gedacht. Ich bin zu alt, um die Treppe zum Kapitol hinaufzukriechen. Der Rheumatismus, den ich mir in Britannien geholt habe, schmerzt immer ärger in meinen Knien.«

»Ich könnte dich auf der einen Seite stützen, und Titus auf der andern«, sagte ich. »Es ist am Ende gar nicht so beschwerlich, wie es aussieht.«

Vespasian warf mir einen Blick zu und lächelte verschmitzt. »Was würde das Volk denken! Aber, beim Herkules, ich hätte lieber dich an meiner Seite als Domitian, diesen sittenlosen, krumm gewachsenen Lügenhals!«

Das sagte er, lange bevor er von dem Sieg bei Cremona, der Belagerung des Kapitols und dem feigen Verhalten Domitians erfuhr. Um das Andenken seiner Großmutter zu ehren, mußte Vespasian später Domitian dann doch im Triumphzug hinter Titus mitreiten lassen, aber er gab ihm ein Maultier zu reiten. Das Volk verstand die Anspielung.

Nachdem wir die Frage der Thronfolge als vernünftige Men- sehen in freundschaftlichem Einvernehmen von allen Seiten beleuchtet hatten, ging ich bereitwillig auf seinen Vorschlag ein, daß Titus nach ihm und vor Dir regieren solle, wenngleich ich von Titus eine weit geringere Meinung hatte als sein Vater. Seine Geschicklichkeit im Fälschen von Handschriften ließ mich an seinem Charakter zweifeln. Aber Väter sind blind.

Sobald Vespasian seine Macht in Rom gefestigt hatte, eroberte Titus auf seinen Befehl Jerusalem. Die Zerstörung der Stadt war wirklich so entsetzlich, wie sie Flavius Josephus beschreibt. Die Beute war aber auch danach, und ich wurde für meine Auslagen reichlich entschädigt. Titus hatte den Tempel eigentlich nicht zerstören wollen. Das hatte er Berenike im Bett geschworen. Während der Kämpfe war es jedoch unmöglich, die Ausbreitung des Brandes zu verhindern. Die ausgehungerten Juden zogen sich erbittert kämpfend von Haus zu Haus, von Keller zu Keller zurück, so daß die Legionäre, die geglaubt hatten, sie brauchten die Stadt nur zu besetzen, schwere Verluste erlitten.

Mich kann bald jeder, der will, zu Pferde auf den Reliefs des Triumphbogens abgebildet sehen, den wir auf dem Forum zu errichten beschlossen. Anfangs fiel es Vespasian allerdings nicht ein, daß auch ich mir das Triumphzeichen verdient hatte, an dem mir um Deinetwillen so viel lag. Ich mußte ihm immer wieder beweisen, daß ich während der Belagerung der Nächsthöchste nach ihm gewesen war und daß ich mich furchtlos den Pfeilen und Wurfsteinen der Juden ausgesetzt hatte und sogar am Fuß verwundet worden war.

Erst als Titus edelmütig ein Wort für mich einlegte, gestand mir Vespasian das Triumphzeichen zu. Er hatte mich nie als Krieger im eigentlichen Sinne des Wortes betrachtet, weil ich an der Belagerung und Eroberung Jerusalems so viel verdiente. Die Senatoren, die zur Zeit ein Triumphzeichen besitzen, kann man an den Fingern einer Hand aufzählen, und einige von uns haben ihr Zeichen ohne eigenes Verdienst erhalten, um es einmal zu sagen, wie es ist.

Nachdem er als Triumphator die Treppe zum Kapitol hinaufgekrochen war, füllte Vespasian einen Korb mit Schutt von der Tempelruine und trug ihn auf seinen Schultern in das Tal hinunter, das aufgefüllt werden sollte. Er tat dies, um dem Volk seine Frömmigkeit und Demut zu zeigen und ihm mit gutem Beispiel voranzugehen. Von uns erwartete er, daß wir uns finanziell am Wiederaufbau des Jupitertempels beteiligten.

Er hat auch aus allen Teilen der Welt Abschriften von alten Gesetzen, Verordnungen, Verträgen und Sonderrechten seit der Gründung der Stadt herbeischaffen lassen. An die dreitausend solche Bronzetafeln hat er bisher gesammelt, und er verwahrt sie als Ersatz für die bei dem großen Brand geschmolzenen im neuen Gebäude des Staatsarchivs.

Soviel ich weiß, hat er ihnen nichts von eigener Hand hinzugefügt, obwohl er Gelegenheit gehabt hätte, seine Abstammung von Vulcanus selbst herzuleiten, wenn ihm darum zu tun gewesen wäre. Er begnügt sich aber noch immer mit dem verbeulten Silberbecher seiner Großmutter. Während ich dies schreibe, hat er nun das zehnte Jahr als Kaiser geherrscht, und wir bereiten uns darauf vor, seinen siebzigsten Geburtstag festlich zu, begehen. Ich selbst bin in zwei Jahren fünfzig und fühle mich erstaunlich jugendlich dank der Pflege, dem Gesundheitswasser und einem weiteren Umstand, der daran schuld ist, daß ich mich nun gar nicht mehr beeile, von hier fortzukommen, sondern die Niederschrift meiner Erinnerungen in die Länge ziehe, wie Du vielleicht schon bemerkt haben wirst.

Die Ärzte haben mir schon vor einem Monat erlaubt, nach Rom zurückzukehren, aber ich danke Fortuna, daß ich diesen Frühling erleben durfte. Ich fühle mich so sehr verjüngt, daß ich mir unlängst mein Lieblingspferd bringen ließ, um wieder zu reiten, obwohl ich mich seit Jahren damit begnügte, bei den Umzügen mein Pferd am Zügel zu führen. Dank der Verordnung des Claudius ist das noch immer gestattet, und wir alternden Männer machen von der Erlaubnis gern Gebrauch, weil wir leider immer schwerer werden.

Weil ich gerade von Fortuna spreche: Deine Mutter ist immer merkwürdig eifersüchtig auf den einfachen Holzbecher gewesen, den ich von meiner Mutter erbte. Vielleicht erinnert er sie allzu deutlich daran, daß Du zu einem Viertel griechisches Blut in den Adern hast. Zum Glück weiß sie nicht, welch niederer Herkunft dieses Blut ist. Wie dem auch sei, ich schenkte diesen Becher vor einigen Jahren Linus, einmal weil ich des ewigen Gezänkes Deiner Mutter müde war, und zum andernmal weil ich in einer Stunde der Übersättigung meinte, ich hätte nun genug Erfolg gehabt. Die Christen können meiner Meinung nach Fortunas Gunst brauchen, und außerdem hat Jesus von Nazareth selbst nach seiner Auferstehung aus diesem Becher getrunken. Damit sich der Holzbecher nicht zu rasch abnützte, habe ich einen Prunkbecher aus Gold und Silber schmieden lassen, der ihn umschließt und auf der einen Seite das Bild des Kephas im Relief zeigt, auf der anderen Seite dagegen das des Paulus.

Diese Bilder sind sehr ähnlich geworden, denn der Handwerker, der sie machte, hat die beiden selbst oft gesehen und überdies die Zeichnungen anderer und ein Mosaik als Vorlage benutzt. Zwar waren die beiden Juden und duldeten als solche keine Menschenbilder, aber Paulus hat das jüdische Gesetz in manch anderer Hinsicht umgestoßen, weshalb ich nicht glaube, daß er es mir übelnimmt, wenn ich mit Hilfe des Linus sein Aussehen der Nachwelt überliefern will. Wozu, weiß ich freilich selbst nicht. Die Christuslehre hat neben anderen, aussichtsreicheren Religionen, von den Gymnosophisten bis zur Mithras-Bruderschaft, keine Zukunft.

Beide waren sie gute Menschen, und ich verstehe sie nun besser als früher, vor allem Paulus. So geht es einem ja oft: man vergißt gewisse Charakterzüge, die einen ärgerten, und ist endlich imstande, sich ein klares Bild von dem Menschen zu machen, wie er wirklich gewesen ist. Im übrigen besitzen die Christen sogar ein Bild ihres Jesus von Nazareth. Es blieb auf einem Stück Tuch haften, das eine Frau ihm reichte, damit er sich das Blut aus dem Antlitz trockne, als er mit dem Kreuz auf dem Rücken auf einer Straße Jerusalems stürzte. Dieses Bild wäre gewiß nicht auf dem Tuch zurückgeblieben, wenn er selbst es nicht gewollt hätte. Ich folgere daraus, daß er es, im Gegensatz zu den rechtgläubigen Juden, gestattete, daß man ein Bild vom Menschen macht.

Der Becher, den ich weggeschenkt habe, wird fleißig benützt, aber mir scheint, seine Kraft hat wegen des Goldes und des Silbers, das ihn nun umschließt, abgenommen. Jedenfalls streiten die Christen miteinander noch ebenso heftig und scharfsinnig wie eh und je. Linus hat alle Mühe, sie wenigstens so weit zu besänftigen, daß sie nicht mitten unter ihrem heiligen Abendmahl übereinander herfallen.

Was in den dunklen Gassen geschieht, wenn, die verschlossenen Türen geöffnet worden sind und die Teilnehmer am Mahle sich entfernen, mag ich nicht näher schildern. Die Unduldsamkeit und der Neid, die Paulus und Kephas ins Verderben stürzten, herrschen noch immer unter ihnen. Schon aus diesem Grunde kann aus ihnen nichts werden. Ich warte nur noch darauf, daß eines Tages ein Christ einen anderen Christen in Christi Namen erschlägt. Der Arzt Lucas schämt sich all dessen so, daß er nun kein drittes Buch zu dem Werk, das er plante, schreiben will, sondern die Arbeit aufgegeben hat.

Es hilft auch nichts, daß gelehrte und gebildete Menschen sich ihnen angeschlossen haben und sich ebenfalls zu Christus bekennen. Im Gegenteil, die Sache scheint davon nur noch schlimmer geworden zu sein. Kurz vor meiner Erkrankung lud ich zwei Sophisten zum Mahl, weil ich hoffte, ihre Bildung und Vernunft könnten Linus von Nutzen sein, aber die beiden begannen so erbittert miteinander zu streiten, daß sie mir beinahe meine kostbaren alexandrinischen Glasschalen zerschlugen.

Meine Einladung hatte einen rein praktischen Grund. Ich dachte mir, daß gebildete Männer wie sie einsehen würden, wie vorteilhaft es für die Christen wäre, wenn ihr Oberhaupt irgendein Zeichen seines Ranges trüge, etwa eine Kopfbedeckung wie die Mithras-Priester und zu dem einfachen Hirtenstab dazu den gewundenen Himmelsleiterstab der Auguren. Solche äußerlichen Zeichen ihres Bundes würden meiner Meinung nach gewöhnliche Bürger dazu ermuntern, sich ihnen anzuschließen.

Statt eines vernünftigen Gesprächs begannen aber die beiden Männer einen hitzigen Streit, und der eine sagte: »Ich glaube an ein unsichtbares Reich, an die Engel und daran, daß Christus Gottes Sohn ist, denn dies ist die einzige begreifliche Erklärung für die Unbegreiflichkeit und den wahnwitzigen Lauf der Welt. Ich glaube, um zu verstehen.«

Der andere wollte das nicht gelten lassen und entgegnete: »Verstehst du nicht, du kleiner Geist, daß menschliche Vernunft die Göttlichkeit Christi nicht fassen kann? Ich glaube nur, weil die Lehre über ihn absurd und vernunftlos ist. Ich glaube, weil sie sinnlos ist.«

Ich fiel ihnen rasch ins Wort, bevor sie handgemein wurden, und sagte begütigend: »Ich für mein Teil bin kein Gelehrter, obgleich ich die Philosophen und nicht wenige Dichter gelesen und selbst ein Buch über Britannien geschrieben habe, das man noch in den öffentlichen Bibliotheken finden kann. An Gelehrsamkeit und in der Kunst des Disputierens kann ich es nicht mit euch aufnehmen. Viel glaube ich nicht, und ich bete auch um nichts, denn in meinen Augen ist es reine Unvernunft, um etwas zu beten, was ein unerklärlicher Gott selbst am besten weiß. Er gibt mir gewiß, was mir not tut, wenn er so will. Eurer langatmigen Gebete bin ich müde. Wenn ich denn beten müßte, so möchte ich in meiner Sterbestunde flüstern: Jesus Christus, Gottes Sohn, erbarme dich meiner. Ich bilde mir nicht ein, daß meine wenigen guten Taten meine bösen Taten und Verbrechen aufzuwiegen vermögen. Ein Reicher kann nicht ohne Schuld sein. Hat er Schlimmeres nicht auf sich geladen, so sind die Tränen seiner Sklaven sein Verbrechen. Ich verstehe die Menschen, die ihre Habe den Armen schenken, um Christus zu folgen, aber ich selbst behalte und vermehre lieber, was ich besitze, für meinen Sohn und das Gemeinwohl. Es könnte sonst jemandem in die Hände fallen, der grausamer ist als ich, zum Schaden für die vielen, die mein Brot essen. Schont daher bei eurem Streit meine Glasschalen, die nicht nur kostbar sind, sondern auch mir selbst als Erinnerungsstücke teuer.«

Sie beherrschten sich aus Rücksicht auf meinen Rang und meine Stellung, wenngleich sie einander wahrscheinlich an die Kehle fuhren, sobald sie mein Haus und meinen guten Wein verlassen hatten. Glaube aber nicht, mein Sohn Julius, ich sei zu den Christen übergegangen, weil ich all dies erzähle. So viel weiß ich über Jesus von Nazareth und sein Reich, daß ich es nie wagen würde, mir einen so anspruchsvollen Namen zuzulegen und mich Christ zu nennen. Deshalb habe ich mich auch nie für würdig gehalten, die Taufe zu empfangen, sooft auch Deine Mutter mich dazu zu überreden versuchte.

Ich begnügte mich damit, zu sein, was ich bin, mit meinen Schwächen und meinen Fehlern, und ich will mich, wie Du aus diesen Erinnerungen ersiehst, nicht einmal rechtfertigen. Ich habe nur versucht, Dir begreiflich zu machen, mit welcher Unausweichlichkeit ich zu gewissen Taten gezwungen worden bin, die ich später bereute – Taten, die nur Dir zum Vorteil gereichten.

Was meine sittlichen Verirrungen anbelangt, will ich Dir nur sagen, daß kaum ein Mensch ohne Tadel ist, nicht einmal die Heiligen, die sich Gott geweiht haben. Nie aber, das kann ich Dir versichern, habe ich einen anderen Menschen nur zu meinem Genuß mißbraucht. Ich habe in meiner Bettgefährtin immer auch den Menschen gesehen, mochte sie nun Sklavin sein oder Freie.

Meiner Meinung nach geschehen aber die unsittlichsten Dinge nicht im Bett, wie viele glauben, sondern das Schlimmste ist die Verhärtung des Herzens. Hüte Dich davor, daß Du hart in Deinem Herzen wirst, mein Sohn, wer auch immer Du eines Tages sein und vor welch schweren Entscheidungen immer Du stehen wirst. Eine gewisse menschliche Eitelkeit ist, innerhalb vernünftiger Grenzen, wohl erlaubt, nur darfst Du in Deinem Herzen Deine Gelehrsamkeit und Deine Dichtergabe nicht zu hoch einschätzen. Glaube nicht, ich wüßte nicht, daß Du mit Juvenal in der Dichtkunst zu wetteifern trachtest!

Während ich dies schreibe, ist mir, als könnte ich die ganze Welt lieben, weil es mir vergönnt war, noch einen verspäteten Frühling zu erleben. Ich glaube, wenn ich nach Rom zurückkehre, werde ich die Schulden Deines Freundes Juvenal bezahlen, und er mag meinetwegen gerne seinen Bart behalten. Warum sollte ich Dir Kummer machen und Dich von mir entfernen, indem ich einen Menschen verachte, der Dir – wenngleich aus mir unbegreiflichen Gründen – lieb ist.

Mein Herz ist so voll, daß ich erzählen muß. Deshalb will ich Dir noch von dem Frühling berichten, den ich hier erleben durfte. Ich habe sonst niemanden, mit dem ich darüber sprechen könnte, und Du wirst diese Aufzeichnungen ohnehin erst lesen, wenn ich schon tot bin. Vielleicht wirst Du dann Deinen Vater besser verstehen, den Du jetzt nur für einen närrischen Alten hältst. Um wieviel leichter ist es doch, sich mit einem fremden Kind zu verstehen als mit dem eigenen Sohn! Doch das ist wohl eines jeden Vaters Fluch, selbst wenn er das Beste will.

Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Du weißt, daß es mich nie danach gelüstet hat, nach Britannien zurückzukehren, obwohl ich mich dort um meine Besitzungen kümmern könnte und gern auch sehen möchte, wie aus Lugundanum eine richtige Stadt wird. Ich fürchte nur, ich würde Britannien nicht mehr so sehen, wie ich es in meiner Jugend, mit ungetrübten Sinnen, sah, als ich es mit Lugunda durchwanderte. Vielleicht war ich nur von den Druiden verhext, so daß ich sogar Britannien schön fand, aber ich will diese Erinnerung nicht verlieren, indem ich nun mit meinen bald fünfzig Jahren und meinen grob gewordenen, abgestumpften Sinnen noch einmal hinfahre.

In diesem Frühling habe ich aber noch einmal so leben dürfen, als wäre ich noch jung. Freilich ist alles nur eine jener Verzauberungen gewesen, die selbst einem Mann wie mir den Blick mit Lachen und Weinen verdunkeln können. Du wirst nie mit ihr zusammentreffen, mein Sohn, denn ich halte es ihretwegen und meinetwegen für das beste, sie auch selbst nicht mehr aufzusuchen.

Sie ist von verhältnismäßig niederer Herkunft, aber ihre Eltern haben dank ihrer Armut die uralten Überlieferungen und Sitten der Landbewohner bewahrt. Sie wundert sich sogar darüber, daß mein Untergewand aus Seide ist. Ich habe ihr so manches aus meinem Leben erzählt, angefangen von den jungen Löwen, die meine Gattin Sabina seinerzeit in unserem Ehebett aufzog und die ich mit einem Horn füttern mußte. Sie hörte mir geduldig zu, und ich betrachtete den wechselnden Ausdruck ihrer seltsamen Augen.

Ich mußte ja an den Abenden ein wenig Ordnung in meine Erinnerungen bringen, um sie dann teils selbst niederzuschreiben, teils diktieren zu können. Ich hoffe, Du wirst einigen Nutzen von ihnen haben. Wenn Du nur nicht zu viel Gutes von den Menschen glaubst und dann enttäuscht wirst! Kein Herrscher darf sich ganz auf einen anderen Menschen verlassen. Das ist die schwerste Bürde der Alleinherrschaft. Allzu großes Vertrauen rächt sich immer. Denk daran, mein Sohn.

Ich sage Dir all das, weil ich Dich aus ganzem Herzen liebe und weil Du, auch wenn Du es nicht so empfindest, der eigentliche Sinn meines Lebens bist. Es ist, als hätte ich, als ich in ihr einer verspäteten, allzu süßen und zärtlichen Liebe begegnete, gelernt. Dich mehr zu lieben als je zuvor und auch Deine Mutter und ihre weniger guten Seiten besser zu verstehen. Ich verzeihe ihr nun gern die Worte, die sie oft im Zorn sagte. Andrerseits hoffe ich, sie wird mir verzeihen, daß ich nicht anders sein kann, als ich eben bin. Man soll nicht versuchen, einem alten Hund das Bellen abzugewöhnen und das Männchenmachen beizubringen.

Es ist in der ganzen Zeit, die ich mich hier in diesem Kurort aufhalte, in dessen Nähe das Gut ihrer Eltern liegt, nichts Schlimmes zwischen uns geschehen. Ein einziges Mal habe ich sie geküßt, und das eine oder andere Mal habe ich wohl auch mit meiner groben Hand die Haut ihrer Arme gestreichelt. Mehr wünschte ich nicht, denn ich will ihr nicht weh tun oder sie vor der Zeit in die Einsamkeit und die heiße Wüste der menschlichen Leidenschaft stürzen. Es ist genug, daß bei meinen Erzählungen ihre Wangen sich röteten und ihre Augen zu glänzen begannen. Ihren Namen sage ich Dir nicht. Du wirst ihn auch in meinem Testament nicht finden, weil ich auf anderen Wegen, die ich für vernünftiger hielt, dafür gesorgt habe, daß sie nie Not zu leiden braucht und daß sie eine große Mitgift hat, wenn sie eines Tages dem jungen Mann begegnet, der ihrer Liebe wert ist. Mag sein, daß ich sie für verständiger halte, als sie ist, nur weil sie so gern und geduldig dem Geschwätz eines alternden Mannes lauschte, aber ich glaube, ihr künftiger Gatte wird großen Nutzen von ihrem angeborenen Verständnis und Fassungsvermögen haben, wenn er sich eine Zukunft im Dienst des Staates aufbauen will.

Sie wird sicherlich einen Ritter wählen. Das weiß ich, weil sie so in Pferde vernarrt ist. Ihretwegen ließ ich mir meine Lieblingsstute bringen und begann wieder zu reiten. Ich glaube, ihre bloße Nähe und ihr warmes Mitgefühl haben mir zur Genesung verholfen, denn unsere Freundschaft entbehrt aller verzehrenden Leidenschaft.

Ich weiß. Du hast getrauert und sogar Deinen Vater gehaßt, als der schneeweiße Hengst, der von Kaiser Gajus Caligulas »Blitz« abstammt, plötzlich aus Deinem Stall verschwunden war. Es machte mir Spaß, mir diesen Hengst zu verschaffen, um mich selbst daran zu erinnern, was es im Grunde bedeutet, römischer Senator zu sein. Gajus hatte beschlossen, »Blitz« zum Senator zu ernennen. Deshalb wurde er so grausam ermordet. Ich kenne den Senat zur Genüge und sage Dir, er hat sich überschätzt. Er hätte sich einen triftigeren Grund ausdenken müssen.

Ich hörte jedenfalls, daß Du, nachdem Du die Toga angelegt hattest, beim Festumzug der Ritterschaft auf einem schneeweißen Hengst geritten bist. Das gehört sich nicht für einen Jüngling in Deinem Alter, glaube mir, Julius. Ich hielt es daher für richtig, Dir den Hengst wegzunehmen. Ich schenke ihn lieber einem klugen fünfzehnjährigen Mädchen zum Andenken, das in ländlicher Stille und Abgeschiedenheit lebt. Schließlich komme ich noch immer für den Unterhalt Deines Stalles auf, wenn Du ihn auch Deinen eigenen nennst.

Ich kann es nicht verhindern, daß der Klatsch Roms mich auf den verschiedensten Wegen erreicht. Versteh mich recht, wenn Du dies eines Tages liest. Ich hielt es nicht für nötig, irgendwelche Gründe anzugeben. Du magst mich meinetwegen hassen, weil plötzlich Dein schönstes Reitpferd verschwand. Und wenn Du nicht genug Verstand hast, zu begreifen, warum es notwendig war, dann hasse mich, solange du willst.

Diesen Hengst schenke ich ihr zum Abschied, denn sie hat nicht einmal eine goldene Kette angenommen, die ich ihr zum Andenken geben wollte. Das Pferd wird sie wohl annehmen können. Ihre Eltern können sich Nebeneinkünfte verschaffen, indem sie den Hengst für die Zucht verwenden. Auf diese Weise wird der Pferdestamm dieser Gegend verbessert, mit dem wirklich kein Staat zu machen ist. Sogar meine alte fromme Stute erweckt hier Neid.


Wenn ich an mein Leben denke, fällt mir oft ein Gleichnis ein, das Du aus dem Munde des Linus gehört haben wirst. Es war einmal ein Herr, der seinen Knechten einige Pfunde Silber zu verwahren gab, da er selbst fortreiste. Der eine Knecht vergrub sein Pfund in der Erde, während der andere das seine vermehrte und verdoppelte. Von mir kann kaum jemand behaupten, ich hätte mein Pfund vergraben. Im Gegenteil, ich habe mein Vätererbe vermehrt, hundertfach könnte ich sagen, wenn es nicht unbescheiden klänge. Du wirst es in meinem Testament sehen. Ich meine aber nicht nur irdische Pfunde, sondern auch gewisse andere Werte. Jedenfalls habe ich beinahe doppelt soviel Nilpapier von der feinsten Sorte für meine Erinnerungen verwendet als mein Vater seinerzeit für seine Briefe an Tullia, die Du eines Tages ebenfalls lesen wirst.

Der Herr sprach zu seinem Knecht: »Du guter und treuer Knecht, geh ein in die Freude deines Herrn.« Das finde ich schön gesagt, obwohl ich für mich selbst nichts dergleichen erhoffen darf. Aber Jesus von Nazareth hat eine eigentümliche Art, einen geschwind aufs Ohr zu schlagen, sowie man etwas zu wissen glaubt. Kaum eine Woche war vergangen, seit ich mich vor den beiden Sophisten damit gebrüstet hatte, ich würde nie um etwas beten, da flehte ich ihn in meinen Schmerzen auch schon inniglich an, er möge meine Blutung stillen, ehe ich verblutete. Die besten Ärzte Roms vermochten mir nicht zu helfen. Mein Leiden heilte jedoch von selbst. Hier in diesem Kurort, wo ich fleißig Wasser trinke, fühle ich mich gesünder und froher als je in den letzten zehn Jahren. Ich habe sogar die sonderbare Gewißheit, daß ich noch für irgendeinen Zweck gebraucht werde, obwohl ich nichts gelobt habe. Noch ein paar Worte über das helläugige Mädchen, das meine Gesellschaft war und mir so viel Freude schenkte, daß mir bei seinem bloßen Anblick das Herz schmolz. Ich begriff anfangs nicht, warum ich ihr schon begegnet zu sein glaubte. So wohlbekannt erschien mir alles an ihr, sogar ihre kleinsten Bewegungen. In meiner Einfalt gab ich ihr ein Stück von Antonias Seife und ein Fläschchen von dem Parfüm, das Antonia verwendet hatte. Ich fand, sie erinnerte mich auf unbestimmte Art ein wenig an Antonia, und hoffte, der bekannte Duft der Seife und des Parfüms würde der Ähnlichkeit nachhelfen.

Es geschah aber gerade das Gegenteil. Ich bemerkte, daß diese betäubenden Düfte nicht zu ihrem frühlingsfrischen Wesen paßten. Sie störten mich nur. Als ich sie dann aber küßte und ihre Augen dunkel werden sah, da erblickte ich in ihrem Gesicht das Gesicht Antonias, aber auch die Züge Lugundas und, was das Wunderlichste von allem war, das Gesicht Deiner Mutter Claudia, wie es in ihrer Jugend gewesen war. Und als ich so eine lange Weile ihren Mädchenleib in meinen Armen hielt, ohne ihr etwas antun zu wollen, da erkannte ich in ihr auf merkwürdige Weise alle die Frauen wieder, die ich in meinem Leben am meisten geliebt habe. Ich weiß, daß nach ihr keine Frau mehr mein Leben teilen wird. Ich habe Liebe genug und übergenug erfahren. Mehr soll der Mensch nicht begehren.

Als ich mit eigener Hand diese letzten Zeilen niedergeschrieben hatte, gebot das Schicksal selbst mir, meine Erinnerungen abzuschließen. Vom Senat kam ein Eilbote mit der Nachricht, daß Roms Kaiser Vespasian nahe Raete, der Heimat seines Geschlechts, gestorben ist. So konnte er seinen siebzigsten Geburtstag nicht mehr feiern, aber man sagt, er habe versucht, sich aufzurichten und stehend in den Armen derer, die ihn stützten, zu sterben.

Sein Tod wird noch zwei Tage geheimgehalten, bis Titus in Raete eingetroffen ist. Unsere erste Aufgabe im Senat wird es sein, Vespasian zum Gott auszurufen. Er hat es verdient, denn er war von allen Kaisern Roms der frömmste, selbstloseste, arbeitsamste und gerechteste. Daß er von Plebejern herstammte, ist nicht seine Schuld, und es ist ohne Belang, sobald er ein Gott ist. Als alter Freund will ich seinem Priesterkollegium beitreten, da ich bisher noch kein Priesteramt bekleidet habe. Ich denke an Deine Zukunft, mein lieber Sohn, und muß dieses Verdienst meinen bisherigen hinzufügen. In Eile mit eigner Hand, Dein Vater Minutus Lausus Manilianus.


Drei Monate später, bevor ich diese Aufzeichnungen in einem sicheren Versteck einmauere. Es ist, als ließe mich Fortuna nun im Stich. Der furchtbare Vesuvausbruch hat meine neuerbaute Prachtvilla in Herculanum zerstört, in der ich meine alten Tage unter einem milden Himmel und in guter Gesellschaft zu verbringen gedachte. Oder besteht mein Glück gerade darin, daß ich nicht dazugekommen war, hinzureisen, das Haus zu besichtigen und mit den Baumeistern wegen der Rechnungen zu streiten? Ich wäre vielleicht selbst unter dem Aschenregen begraben worden.

Aber ich fürchte, dieses entsetzliche Ereignis hat eine böse Vorbedeutung für die Regierung des Titus. Ich sage das, obgleich wir Freunde sind und er mir und Dir nur Gutes will. Zum Glück ist er noch in seinen besten Jahren, und man nennt ihn die Freude und das Entzücken der Menschheit. Weshalb, begreife ich nicht recht. Auch Nero wurde in seiner Jugend so genannt.

Gleichwohl glaube ich, daß Titus so gut herrschen und so lange leben wird, daß er alle Ränke des Domitian zunichte machen und Dich eines Tages zu seinem Nachfolger auf dem Thron ernennen kann. Hüte Dich vor Domitian. Was darf man wohl Gutes von einem Mann erhoffen, der sich die Zeit damit vertreibt, lebende Fliegen auf seinen Schreibstift zu spießen wie ein mutwilliger Knabe!

NACHWORT



Minutus Lausus Manilianus, Inhaber eines Triumphzeichens und des Konsulranges, Vorsteher des Priesterkollegiums des Vespasian und römischer Senator, starb unter Kaiser Domitian den qualvollen, aber süßen Tod eines Zeugen Christi im Amphitheater der Flavier, das seiner Säulen wegen Colosseum genannt wird. Mit ihm starben seine jüdische Gattin Claudia und sein Sohn Clemens sowie der Konsul Flavius Titus, ein Vetter Domitians und Sohn des ehemaligen Stadtpräfekten von Rom. Ihrer Herkunft und hohen Stellung wegen wurde ihnen die Ehre bewilligt, vor die Löwen geworfen zu werden.

Der Senator Minutus Manilianus erklärte sich erst in seiner letzten Nacht in den Kerkergewölben unter der Arena des Colosseums bereit, von einem Sklaven, der die Gnadengabe der Taufe besaß und bei derselben Vorstellung sterben sollte, die Taufe der Christen zu empfangen, und noch machte er allerlei Einwände und versicherte, er müsse eher aus politischen Gründen sterben, als um Christi Namen zu verherrlichen.

In letzter Stunde entstand aber unter den Christen ein heftiger Streit darum, wie die Taufe vorzunehmen sei. Es gab unter ihnen solche, die behaupteten, der Täufling müsse unter Wasser getaucht werden, und andere, die meinten, es genüge, Wasser über seinem Haupte auszugießen. Das Amphitheater der Flavier hat, wie wir wissen, vorzügliche Wasserleitungen, doch hauptsächlich für die wilden Tiere und die Gladiatoren. Für die Verurteilten, meint man, genügt ein wenig Trinkwasser, und da es ihrer damals so viele gab, stand jedem nur eine kleine Menge zu. Da bereitete Manilianus dem Streit ein Ende, indem er sagte, ihm genüge es, wenn der Sklave, der die Gnade besaß, ihm auf seinen kahlen Kopf spuckte. Diese Lästerung ließ alle verstummen. Dann aber hielt ihm seine fromme Gattin Claudia vor, daß er, wenn er den Löwen entgegentrat, Christi Barmherzigkeit wegen seines schlechten Lebenswandels, seiner Habgier und seiner Hartherzigkeit mehr als jeder andere nötig habe. Manilianus murmelte, er habe in seinem Leben auch Gutes getan, aber diese Behauptung glaubte ihm keiner, der ihn kannte.

Als er in die Arena hinaus und vor die Löwen trat, geschah ein unerklärliches Gotteswunder. Der älteste der Löwen erwählte ihn zu seinem Opfer, wohl weil er gut genährt war oder vielleicht auch seiner hohen Stellung wegen, obgleich er den breiten roten Streifen nicht mehr trug, sondern wie alle anderen Verurteilten nur in sein Untergewand gekleidet war. Nachdem der Löwe aber an ihm geschnuppert hatte, leckte er ihm ergeben die Hände und die Füße und verteidigte ihn gegen die wütenden Angriffe der anderen Löwen, so daß das Volk auf die Bänke stieg, vor Verwunderung laut zu rufen begann und verlangte, Manilianus solle begnadigt werden. Es rief allerdings nicht Manilianus, sondern gebrauchte einen Spitznamen, den zu wiederholen die Schicklichkeit verbietet.

Als aber der Senator Minutus Manilianus seine Gattin und seinen Sohn, von den Löwen zerrissen, sterben sah, ohne ihnen helfen zu können, trat er, von dem alten Löwen begleitet, vor die Loge des Kaisers, gebot dem Volk mit erhobener Hand zu schweigen und brachte so entsetzliche Anklagen gegen Domitian vor, daß dieser sowohl ihn als auch den für seine Aufgabe untauglichen Löwen augenblicklich durch Bogenschützen töten ließ. Unter anderem behauptete er, Domitian habe seinen Bruder Titus vergiftet und Kaiser Vespasian hätte nie zugelassen, daß er in Rom Kaiser werde.

Das Gotteswunder, das an Manilianus geschah, ermutigte die anderen Christen, tapfer zu sterben und noch im Tode Gott zu preisen, da dieses Wunder Christi unerklärliche Gnade bewies. Es hätte wohl niemand geahnt, daß der Senator Manilianus zu seinen Lebzeiten ein Gottesmann gewesen war, am wenigsten seine fromme Gattin. Sein Name wird jedoch in der Schar der Zeugen Christi bewahrt.

Der beste Freund seines Sohnes, der Dichter Decimus Junius Juvenal, konnte auf seinen Rat noch rechtzeitig nach Britannien fliehen. Manilianus hatte ihm zur Ritterwürde und zu einem Amt verholfen. Eine Zeitlang übte er in seiner Heimatstadt das Amt des Zensors aus, denn Manilianus meinte, ein Mann, der wegen seiner Sittenlosigkeit bekannt sei, könne aus eigener Erfahrung am besten die Laster und Schwächen anderer beurteilen. Er schickte ihn sogar auf seine Kosten mit seinem Sohn zusammen auf eine Studienreise nach Ägypten. Weshalb er das tat, verstand niemand.

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