WO ICH EINWÄNDE MACHE

Damit ist nicht gesagt, daß ich diese Musik für gesund halte, am wenigsten gerade da, wo sie von Wagner redet. Meine Einwände gegen die Musik Wagners sind physiologische Einwände: wozu dieselben erst noch unter ästhetische Formeln verkleiden? Ästhetik ist ja nichts als eine angewandte Physiologie. — Meine «Tatsache», mein «petit fait vrai» ist, daß ich nicht mehr leicht atme, wenn diese Musik erst auf mich wirkt; daß alsbald mein Fuß gegen sie böse wird und revoltiert: er hat das Bedürfnis nach Takt, Tanz, Marsch — nach Wagners Kaisermarsch kann nicht einmal der junge deutsche Kaiser marschieren — , er verlangt von der Musik vorerst die Entzückungen, welche in gutem Gehn, Schreiten, Tanzen liegen. Protestiert aber nicht auch mein Magen? mein Herz? mein Blutlauf? betrübt sich nicht mein Eingeweide? Werde ich nicht unversehens heiser dabei… Um Wagner zu hören, brauche ich pastilles Gérandel… Und so frage ich mich: was will eigentlich mein ganzer Leib von der Musik überhaupt? Denn es gibt keine Seele… Ich glaube, seine Erleichterung: wie als ob alle animalischen Funktionen durch leichte, kühne, ausgelaßne, selbstgewisse Rhythmen beschleunigt werden sollten; wie als ob das eherne, das bleierne Leben durch goldne zärtliche ölgleiche Melodien seine Schwere verlieren sollte. Meine Schwermut will in den Verstecken und Abgründen der Vollkommenheit ausruhn: dazu brauche ich Musik. Aber Wagner macht krank. — Was geht mich das Theater an? Was die Krämpfe seiner «sittlichen» Ekstasen, an denen das Volk — und wer ist nicht «Volk»! — seine Genugtuung hat! Was der ganze Gebärden-Hokuspokus des Schauspielers! — Man sieht, ich bin wesentlich antitheatralisch geartet, ich habe gegen das Theater, diese Massen-Kunst par excellence, den tiefen Hohn auf dem Grunde meiner Seele, den jeder Artist heute hat. Erfolg auf dem Theater — damit sinkt man in meiner Achtung bis auf Nimmer-wiedersehn; Mißerfolg — da spitze ich die Ohren und fange an zu achten… Aber Wagner war umgekehrt, neben dem Wagner, der die einsamste Musik gemacht hat, die es gibt, wesentlich noch Theatermensch und Schauspieler, der begeistertste Mimomane, den es vielleicht gegeben hat, auch noch als Musiker… Und, beiläufig gesagt, wenn es Wagners Theorie gewesen ist «das Drama ist der Zweck, die Musik ist immer nur das Mittel» — , seine Praxis dagegen war, von Anfang bis zu Ende, «die Attitüde ist der Zweck; das Drama, auch die Musik, ist immer nur ihr Mittel». Die Musik als Mittel zur Verdeutlichung, Verstärkung, Verinnerlichung der dramatischen Gebärde und Schauspieler-Sinnenfälligkeit; und das Wagnerische Dran nur eine Gelegenheit zu vielen interessanten Attitüden! — Er hatte, neben allen andren Instinkten, die kommandierenden Instinkte eines großen Schauspielers in allem und jedem: und, wie gesagt, auch als Musiker. — Dies machte ich einmal, nicht ohne Mühe, einem Wagnerianer pur sang klar, — Klarheit und Wagnerianer! ich sage kein Wort mehr. Es gab Gründe, noch hinzuzufügen «seien Sie doch ein wenig ehrlicher gegen sich selbst! wir sind ja nicht in Bayreuth. In Bayreuth ist man nur als Masse ehrlich, als einzelner lügt man, belügt man sich. Man läßt sich selbst zu Hause, wenn man nach Bayreuth geht, man verzichtet auf das Recht der eignen Zunge und Wahl, auf seinen Geschmack, selbst auf seine Tapferkeit, wie man sie zwischen den eignen vier Wänden gegen Gott und Welt hat und übt. In das Theater bringt niemand die feinsten Sinne seiner Kunst mit, am wenigsten der Künstler, der für das Theater arbeitet, — es fehlt die Einsamkeit, alles Vollkommne verträgt keine Zeugen… Im Theater wird man Volk, Herde, Weib, Pharisäer, Stimmvieh, Patronatsherr, Idiot — Wagnerianer: da unterliegt auch noch das persönlichste Gewissen dem nivellierenden Zauber der großen Zahl, da regiert der Nachbar, da wird man Nachbar…»

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