Noch ein Zufall

Fragte man die Leser von Alexandre Dumas, in welcher seiner Figuren sie gern wiedergeboren würden, die meisten würden sich wohl für D'Artagnan oder Edmond Dantes entscheiden, und keiner käme auf die Idee, Noirtier de Villefort zu nennen, die ziemlich sinistre Figur aus Der Graf von Monte Christo. Als Leiche mit lebhaftem Blick, als ein schon zu drei Vierteln dem Grab Geweihter, wie ihn Dumas beschrieben hat, bringt einen dieser vollständig Behinderte nicht zum Träumen, sondern zum Erschauern. Ohnmächtiger und stummer Mitwisser der furchtbarsten Geheimnisse, verbringt er sein Leben entkräftet in einem Stuhl mit Rollen sitzend und kommuniziert nur, indem er mit den Augen blinzelt: ein Blinzeln bedeutet ja, zwei nein. Tatsächlich ist Opapa Noirtier, wie ihn seine Enkelin zärtlich nennt, der erste Fall von Locked-in-Syndrom, und bis heute der einzige, den es in der Literatur gegeben hat.

Seit mein Geist aus dem dichten Nebel aufgetaucht ist, in den mein Hirnschlag ihn versenkt hatte, habe ich viel an Opapa Noirtier gedacht. Ich hatte den Grafen von Monte Christo gerade wiedergelesen, und nun fand ich mich selbst mitten in diesem Buch, in der allermißlichsten Lage. Diese Lektüre kam nicht von ungefähr. Ich hatte den zweifellos ikonoklastischen Plan, eine moderne Version dieses Romans zu schreiben: Die Rache blieb natürlich das Movens der Handlung, aber sie spielte in unserer Zeit, und Monte Christo war eine Frau.

Ich habe nun also keine Zeit gehabt, diese verbrecherische Majestätsbeleidigung zu begehen. Als Strafe wäre ich lieber in andere Figuren aus dem Roman, in Baron Danglars, in Frantz d'Epinay, in Abbé Faria, verwandelt worden oder hätte alles in allem lieber zehntausendmal schreiben müssen: Man tändelt nicht mit Meisterwerken. Die Götter der Literatur und der Neurologie haben anders darüber entschieden.

An manchen Abenden habe ich das Gefühl, daß Opapa Noirtier mit seinem langen weißen Haar und seinem hundert Jahre alten Rollstuhl, der einen Tropfen Öl brauchte, in unseren Fluren patrouilliert. Um die Beschlüsse des Schicksals umzukehren, habe ich jetzt eine große Saga im Kopf, in der der entscheidende Zeuge eher ein Läufer als ein Gelähmter ist.

Man weiß ja nie. Vielleicht klappt es.

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