An Bord der U.S.-Navy-Flugkörper-Fregatte mussten Scott Thompson und seine Mannschaft von der Free Enterprise immer noch zum Reden gebracht werden. Obwohl sie vom Kommandanten des Kriegsschiffs seit ihrer Kapitulation intensiv verhört wurden, waren noch viele Fragen offen.
Auf der Kommandobrücke wartete Fregattenkapitän Timothy Gant auf das Eintreffen des Helikopters vom Festland. Der Himmel war pechschwarz, eine steife Brise peitschte das Wasser und zauberte Schaumkronen auf die Wellen. Ein Lichtpunkt auf dem Radarschirm verriet, dass sich der Helikopter zügig näherte.
»Er befindet sich im Anflug, Sir«, meldete der Steuermann. »Windgeschwindigkeit zwanzig bis dreißig Knoten von Nord und Nordwest.«
Gant griff nach seinem Mikrofon. »Sichert ihn an Deck, sobald er aufsetzt«, wies er den Chef der zuständigen Mannschaft an.
»Verstanden, Sir«, antwortete der Mann.
Der Hubschrauber tauchte mit eingeschaltetem Landescheinwerfer aus dem Dunst auf. Er kam direkt auf das Schiff zu und wurde kaum langsamer, als er sich näherte.
»Achtung, ich komme«, kündigte der Pilot per Funk an. Hundert Meter, achtzig, sechzig, vierzig, zwanzig, ehe der Pilot abbremste. Sobald er über dem Schiff schwebte und ein Drittel des Sinkflugs absolviert hatte, erkannte er die Männer mit den Handscheinwerfern. Dann sah er auch schon den freien Platz auf dem Landedeck und setzte mit dem Helikopter auf. Kaum hatten dessen Kufen das Landefeld berührt, kamen vier Matrosen geduckt herbeigerannt und sicherten sie mit Ketten. Der Rotor war noch nicht zum Stillstand gekommen, als ein Mann mit einer Reisetasche aus der Maschine stieg und zur Tür gebracht wurde, die ins Schiffsinnere führte. Gant war von der Kommandobrücke heruntergekommen und öffnete die Tür.
»Kommen Sie rein. Bei dem Wetter jagt man doch nicht mal einen Hund nach draußen«, sagte Gant, während der Mann eintrat. »Ich bin Fregattenkapitän Timothy Gant.«
Der Mann war hoch gewachsen und hager. Sein pockennarbiges Gesicht wurde von einer Hakennase beherrscht.
»Dr. Jack Berg«, stellte er sich vor, »Central Intelligence Agency.«
»Die Gefangenen hüllen sich nach wie vor in Schweigen«, sagte Gant und geleitete seinen Besucher durch den Treppengang zum Schiffsgefängnis.
»Keine Sorge«, bemerkte Berg ruhig, »das wird sich bald ändern.«
Einen Techniker zu finden, der die Säge auch an einem Feiertag reparieren würde, war nicht so einfach gewesen. Schließlich war Dwyer in einen Schutzanzug geschlüpft, hatte die Isolationskammer betreten und die Reparatur selbst durchgeführt. Glücklicherweise hatte sich das Problem als geringfügig erwiesen — ein Riemen, der das Sägeblatt antrieb, war abgerutscht, und Dwyer hatte lediglich die entsprechende Rolle mit einem Schraubenschlüssel fixieren müssen. Nachdem er den Erfolg seiner Reparatur bereits in der Isolationskammer überprüft und festgestellt hatte, dass die Säge wieder einwandfrei funktionierte, hatte er die Kammer durch die Isolationsschleuse verlassen, seinen Schutzanzug unter der chemischen Dusche gesäubert, ausgezogen und zum Trocknen auf einen Bügel gehängt. Dann war er in den Kontrollraum zurückgekehrt.
Der Techniker, der die Anzeigeinstrumente überwachte, nickte zufrieden.
»Keine Lecks«, sagte er. »Außerdem sieht es so aus, als hätten Sie die Säge wieder hinbekommen.«
Dwyer nickte und betätigte einen Schalter, um die Säge erneut in Gang zu setzen. Sobald das Sägeblatt rotierte, setzte er sich hinter den Joystick zu Steuerung der Säge und ließ sie zu der Gesteinsprobe herabsinken, die er aus dem Meteoritenkrater in Arizona mitgenommen hatte. Das Sägeblatt fraß sich in den apfelsinengroßen Metallklumpen, und Funken sprühten herum — wie bei einer Wunderkerze.
Dwyer hatte den Klumpen zur Hälfte durchgesägt, als der Alarm erklang.
»Negativer Druck«, rief der Techniker »Lassen Sie Luft rein«, befahl Dwyer.
Der Techniker drehte an einem Einstellrad und beobachtete die Anzeigeinstrumente an der Wand. »Immer noch sinkender Druck«, brüllte er.
Innerhalb der Isolationskammer bildeten sich Wirbel wie bei einem Tornado. Mehrere Gesteinsproben stiegen auf und wirbelten herum, als wären sie schwerelos, während der Schraubenschlüssel, den Dwyer in der Kammer zurückgelassen hatte, von der Werkbank gesogen wurde und neben der Säge in der Luft tanzte. Es war, als wäre ein überdimensionaler Abfluss geöffnet worden, durch den die gesamte Luft in der Kammer ins Nichts gesogen wurde.
»Vollen Druck«, rief Dwyer.
Der Techniker drehte das Luftventil ganz auf. Der Druck fiel jedoch weiter ab.
Die innere Schicht des dicken Glasfensters verwandelte sich in ein Spinnennetz. Sollte sie sich völlig auflösen, befände sich nur noch eine einzige Glasschicht zwischen Dwyer, dem Techniker und dem sicheren Tod. Die Kevlarhandschuhe, die durch die Wand in die Kammer ragten, wurden durch den Unterdruck grotesk zusammengequetscht. Dwyer verschloss die Armlöcher blitzschnell mit Metallplatten und legte Hebel um, die sie an Ort und Stelle fixierten. Die Werkbank in der Kammer war mit fast drei Zentimeter dicken Bolzen am Fußboden befestigt. Einer dieser Bolzen wurde losgerissen und schoss auf die Mitte der Werkbank zu. Diese begann zu schwanken, als weitere Bolzen sich lockerten.
»Sir«, rief der Techniker, »die Kammer gibt den Geist auf! Ich habe vollen Druck, und das Vakuum nimmt ständig zu!«
Dwyer starrte in die Kammer. Er war nur Sekunden von einer Katastrophe entfernt. Dann traf es ihn wie ein Faustschlag. Er machte einen Schritt zur Bedienungskonsole und schaltete den Laser ein. Der Laser wurde aktiv, und die Schneidlanze begann, wild zu rotieren. Qualm erfüllte die Kammer, während die Apparatur sich drehte und dann auf die Gesteinsprobe zielte. Dort wo der Laser auftraf, loderten Flammen hoch.
»Der Druck sinkt«, meldete der Techniker eine Sekunde später.
»Schließen Sie die Luftzufuhr«, befahl Dwyer.
Die Gegenstände in der Kammer kamen zur Ruhe, während der normale Druck wiederhergestellt wurde. Nach wenigen Minuten herrschten wieder die vertrauten Verhältnisse. Dwyer schaltete den Laser aus und blickte in die Kammer.
»Sir«, fragte der Techniker schließlich, »können Sie mir vielleicht verraten, was gerade passiert ist?«
»Ich glaube«, erwiderte Dwyer, »dass in diesen Proben irgendetwas enthalten ist, das scharf auf unsere Atmosphäre ist.«
»Liebe Güte«, murmelte der Techniker.
»Zu unserem Glück«, meinte Dwyer, »haben wir soeben sowohl die Krankheit als auch die richtige Therapie gefunden.«
»Gibt es denn noch mehr davon?«, fragte der Techniker.
»Ja, an die hundert Pfund.«
Nicht mehr lange, und die Pilger würden in Charterflugzeugen, Reisebussen aus Jordanien und Schiffen aus Afrika, die übers Rote Meer kamen, nach Saudi-Arabien strömen. Saud Al-Sheik musste sich um Tausende von Details kümmern. Das Wichtigste war die Lieferung der Gebetsteppiche. Sie war ihm vom neuen Inhaber der Spinnerei für den nächsten Tag zugesagt worden. Daher rief er bei der Saudi National Airline an und reservierte den entsprechenden Laderaum in einer 747 Frachtmaschine, die in zwei Tagen zur Verfügung stehen sollte.
Wenn die Gebetsteppiche nicht rechtzeitig einträfen, könnten ihn noch nicht einmal die vielfältigen Beziehungen seiner Familie vor dem Zorn bewahren, der sich auf seinem Haupt entladen würde. Er schaute sich in der Lagerhalle in Mekka um. Paletten mit Lebensmitteln und Mineralwasserflaschen türmten sich bis zur Decke. Ein Gabelstapler kam hereingefahren und hievte den ersten Container mit Zelten vom Fußboden hoch, um ihn auf den Lastwagen zu laden, der die Fracht ins Stadion bringen sollte.
Schon morgen sollten die ersten Zelte aufgebaut werden.
Von da an würde alles sehr schnell gehen.
Während er auf einem Schreibbrett notierte, dass er sich später noch persönlich vergewissern wollte, ob auch die Zeltstangen, die Erdnägel und die nötigen Schnüre mitgenommen wurden, verließ Al-Sheik die Lagerhalle, um draußen das Beladen des Lkw zu überwachen.
Jeff Porte sammelte die Gegenstände ein, die er aus Hickmans Büro mitzunehmen gedachte, und sah den Sicherheitschef an. »Unser Durchsuchungsbeschluss gestattet uns den Zugriff auf alles, was wir für mitnehmenswert erachten.«
Der großformatige Ordner in Portes Händen enthielt Dokumente, die Erkennungsmarken und ein paar Haare, die er auf dem Schreibtisch gefunden hatte.
»Ich verstehe, Jeff«, sagte der Sicherheitschef.
»Zwei meiner Männer bleiben hier«, fuhr Porte fort, »falls wir noch etwas brauchen sollten.«
Der Sicherheitschef nickte.
Porte ging zur Tür und begab sich durch den Flur zum Wohnzimmer, wo seine beiden Detectives warteten.
»Keiner darf ohne meine ausdrückliche Erlaubnis rein oder raus«, erklärte Porte.
Nachdem er das Penthouse verlassen hatte, fuhr Porte mit dem Lift nach unten, durchquerte die Lobby und stieg draußen in seinen Dienstwagen. Sobald er sein Büro im Las Vegas Police Department betreten hatte, kopierte er die Erkennungsmarken und die anderen Dokumente und schickte sie per Fax an die CIA.
Sobald Overholt sie erhalten hatte, leitete er sie zur Oregon weiter.
Max Hanley blätterte in dem Stapel Papiere, als Michael Halpert den Kontrollraum betrat.
»Max«, sagte er, »ich habe hier meinen Bericht.«
Hanley nickte und reichte ihm die Papiere, die Overholt geschickt hatte. Halpert überflog sie und gab sie dann zurück.
»Das bestätigt nur, was ich herausgefunden habe«, stellte Halpert zufrieden fest. »Ich habe Hunts Geburtsurkunde entdeckt. Seine Mutter, Michelle, hat keine Angaben über den Vater gemacht, aber ich konnte mir Zugang zum Krankenhausarchiv verschaffen und habe auf diesem Weg erfahren, dass die Rechnungen von einer von Hickmans Firmen bezahlt wurden. Kein Zweifel, dass Hunt Hickmans Sohn war.«
»Und was hat das mit dem Meteoriten zu tun?«, fragte Hanley.
»Sieh dir das mal an«, sagte Halpert und reichte Hanley einen Schnellhefter.
»Hunt wurde in Afghanistan von den Taliban getötet«, bemerkte Hanley, nachdem er die Lektüre beendet hatte.
»Und kurz darauf konnte man bei Hickman ein immer seltsameres Verhalten beobachten«, sagte Halpert nach einem kurzen Blick in seine Notizen.
»Demnach macht er die arabische Welt für den Tod seines einzigen Sohnes verantwortlich«, sagte Hanley.
»Und wie kam er dazu, die Expedition nach Grönland zu finanzieren?«, wollte Eric Stone wissen.
»Offenbar hat Hickman seit dem Tod seines Sohnes zahlreiche archäologische Institute im ganzen Land unterstützt. Ackermans Expedition für die UNLV war nur eine von mehreren, die für dieses Jahr geplant waren. Die bedeutendste war die Forschungsreise eines Wissenschaftlers nach Saudi-Arabien, und zwar mit dem Ziel, die Geschichte von Mohammed als einen reinen Mythos zu entlarven. Ackermans Projekt lag auf einem ganz anderen Gebiet, trotzdem erhielt er bedeutende finanzielle Zuwendungen. Ich vermute, dass die Entdeckung und Bergung des Meteoriten nicht mehr als ein glücklicher Zufall war.«
»Demnach hatte Hickman ursprünglich die Absicht, der arabischen Welt mit Hilfe bestimmter historischer Erkenntnisse Schaden zuzufügen«, sagte Hanley nachdenklich, »und dann, als sei es ein Geschenk der Götter persönlich, fällt ihm der Meteorit in den Schoß.«
»Aber das hat nicht das Geringste mit dem Islam oder mit Mohammed zu tun«, stellte Eric Stone fest.
Halpert nickte. »Ich glaube, dass Hickman an diesem Punkt zu der Überzeugung gelangte, dass eher eine unmittelbare Vergeltungsmaßnahme vonnöten war. Ich habe Daten in seinem Computer gefunden, die er sich kurz nach Ackermans Entdeckung beschafft hat. Sie beziehen sich auf die radioaktive Strahlung von Iridium und die damit verbundenen Gefahren.«
»Er beschließt also, sich den Meteoriten zu beschaffen, und was dann?« Hanley runzelte die Stirn. »Ihn mit einem bereits vorhandenen Sprengkopf zusammenzubringen und damit irgendein arabisches Land zu bombardieren?«
»Genau das hat mich viel zu lange beschäftigt«, gab Halpert zu. »Zuerst habe ich den gleichen Gedanken verfolgt — nämlich dass der Meteorit als eine Art nukleare Waffe eingesetzt werden soll. Aber das war eine Sackgasse — es gibt nicht den geringsten Hinweis, dass zwischen ihm und der ukrainischen Atombombe irgendeine Verbindung besteht –, daher habe ich meine Fantasie spielen lassen.«
»Radioaktiver Staub?«, fragte Hanley.
»Das erscheint mir als die einzige logische Einsatzmöglichkeit«, sagte Halpert.
»Was hast du sonst noch in Erfahrung gebracht?«
»Ich habe eindeutige Hinweise gefunden, dass Hickman soeben eine Spinnerei in England, und zwar in der Nähe von Maidenhead, gekauft hat.«
»Also genau dort, wo sich nach den Angaben unserer Peilsender im Augenblick der Meteorit befindet«, sagte Stone.
»Meinst du, er will irgendwelche Kleider damit kontaminieren und sie in den Mittleren Osten schicken?«, fragte Hanley.
»Das glaube ich nicht, Max«, erwiderte Halpert langsam. »Die Fabrik hat von Saudi-Arabien eine Bestellung für eine Ladung Gebetsteppiche erhalten, die demnächst ausgeliefert werden sollen.«
»Also will er den Staub auf die Gebetsteppiche streuen und die Muslime während ihrer Gebete verseuchen«, sagte Hanley. »Das ist ja geradezu teuflisch.«
»Er ist heute Morgen mit seinem Jet in London gelandet«, sagte Halpert. »Ich glaube …«
In diesem Augenblick klingelte Hanleys Telefon, und er gab Halpert ein Zeichen, sich einen Moment zu gedulden, während er das Gespräch annahm. Overholt war am anderen Ende und kam sofort zur Sache.
»Wir haben ein Problem«, sagte er.
»Nein«, sagte der Sicherheitschef von Dreamworld, »ich rufe von meinem privaten Telefon aus an. Ich glaube nicht, dass es abgehört wird.«
Er fuhr fort, indem er von dem Durchsuchungsbeschluss berichtete und die Dinge aufzählte, die die Detectives mitgenommen hatten.
Hickman hörte aufmerksam zu. »Wo sind Sie im Augenblick, Sir?«, fragte der Sicherheitschef. »Sie würden sich nur zu gerne mit Ihnen unterhalten.«
»Es ist besser, dass Sie das nicht wissen«, antwortete Hickman.
»Wollen Sie, dass wir irgendetwas tun?«
»Zurzeit«, erwiderte Hickman, »kann niemand außer mir etwas tun.«
Damit legte Hickman auf und lehnte sich im Schreibtischsessel des Büros bei Maidenhead Mills zurück.
Irgendjemand in der Regierung war ihm dicht auf den Fersen. Es würde nicht allzu lange dauern, bis sie seinen augenblicklichen Aufenthaltsort aufgespürt hätten. Er nahm den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer.
Die Mannschaftsmitglieder der Free Enterprise, die in Calais geblieben waren, während das Schiff nach Norden dampfte, waren an diesem Morgen in London eingetroffen. Es waren vier Mann, eine ziemlich magere Mannschaft, aber sie waren alles, was Hickman noch geblieben war. Per Telefon gab er ihnen seine Anweisungen durch.
»Ihr werdet drei Lastwagen stehlen müssen«, sagte Hickman. »Sie zu mieten, dürfte wegen des Feiertags unmöglich sein.«
»Welcher Typ?«, fragte der Anführer.
»Die Fracht besteht aus den üblichen Schiffscontainern, die auf entsprechende Sattelschlepper passen«, erklärte Hickman. »Ich habe meinen Kontaktmann bei Global Air Cargo angerufen, er empfahl mir verschiedene Wagentypen.«
Hickman las dem Mann am anderen Ende die Liste vor.
»Und wenn wir sie haben, wohin sollen wir dann kommen?«
»Schauen Sie auf Ihre Landkarte«, befahl Hickman.
»Nördlich von Windsor liegt eine Stadt namens Maidenhead.«
»Schon gefunden«, sagte der Mann.
»In Maidenhead fahren Sie zu folgender Adresse«, fuhr Hickman fort und gab dem Mann eine Wegbeschreibung durch.
»Wie schnell sollen wir dort sein?«, fragte der Mann.
»So schnell wie möglich«, antwortete Hickman. »Ich habe veranlasst, dass in Heathrow eine 747 der Global Air Cargo bereitsteht, um die Fracht zu übernehmen.«
»Wie haben Sie das zu Silvester geschafft?«, platzte der Mann staunend heraus.
»Mir gehört die Firma.«
»Wir brauchen mindestens eine Stunde«, sagte der Mann.
»Je schneller, desto besser.«
Die Schlinge zog sich allmählich zu, aber noch spürte Hickman sie nicht um seinen Hals.
Judy Michaels lenkte das Wasserflugzeug neben die Oregon, dann schaltete sie den Motor aus und ging zur Frachtraumtür. Während das Flugzeug langsam weitertrieb, wartete sie, bis sie jemanden auf dem Schiffsdeck sah, und warf dann ein Seil zu ihm hinauf. Der Matrose machte das Flugzeug fest, und Cliff Hornsby stieg die Leiter hinunter.
»’n Abend, Judy«, begrüßte er die Pilotin, während er das Material annahm, das zu ihm heruntergereicht wurde, »wie ist das Wetter da oben?«
»Schnee und Matsch«, antwortete Judy, während auch sie sich mehrere Kartons und Säcke reichen ließ.
Rick Barrett kletterte über die Reling. Er hatte eine Reisetasche in der Hand. Auf dem Deck wandte er sich an Judy.
»Darin findest du etwas zu essen und Kaffee«, sagte er. »Alles von mir selbst zubereitet.«
»Danke«, sagte Judy Michaels und verstaute das letzte Paket.
Michael Halpert und Tom Reyes kamen vom Schiff herunter.
»Ist von euch schon mal jemand geflogen?«, fragte Judy Michaels, ehe sie nach vorn zum Cockpit ging.
»Ich nehme zur Zeit Flugstunden«, meldete sich Barrett.
»Koch und Pilot.« Judy Michaels schüttelte den Kopf. »Eine seltsame Kombination. Komm nach vorn — du kannst das Funkgerät bedienen und bei der Navigation helfen.«
»Was sollen wir tun?«, fragte Halpert.
»Sobald der Matrose das Seil herunterwirft, müsst ihr uns mit diesem Bootshaken vom Schiff abstoßen. Dann schließt die Tür, verriegelt sie und sucht eure Plätze auf. Ich lasse den Motor an, sobald ihr meldet, dass wir freie Bahn haben.«
Sie schlängelte sich in den Pilotensitz, wartete, bis Barrett neben ihr Platz genommen hatte, dann drehte sie sich zum Frachtraum um. »Wir sind bereit«, meldete sie.
Hornsby fing das Seil auf, das heruntergeworfen wurde, Halpert schob sie von der Schiffswand weg, und Reyes schloss die Tür. »Du kannst starten«, sagte Halpert anschließend.
Judy Michaels drehte den Zündschlüssel, die Motoren sprangen brüllend an. Sie lenkte die Maschine von der Oregon weg, wartete, bis die Distanz ungefähr fünfzig Meter betrug, und gab dann Vollgas. Das Wasserflugzeug jagte über die Wellen und stieg auf.
Judy Michaels gewann an Höhe und flog eine scharfe Linkskurve.
Sie befand sich noch immer im Steigflug, als die Außenbezirke von London unter ihnen auftauchten.
Hanley verfolgte über die Außenkameras, wie sich das Wasserflugzeug vom Schiff entfernte, und wandte sich dann an Eric Stone.
»Wie läuft es bei dir?«, fragte er.
Halpert hatte seine Notizen im Kontrollraum zurückgelassen. Stone ging die verschiedenen Hinweise durch.
»Ich überprüfe gerade Hickmans Firmen«, sagte Stone.
»Und ich versuche mal rauszukriegen, ob Hickmans Pilot irgendwelche anderen Flugpläne abgegeben hat«, sagte Hanley.
Im Frachtbereich des Heathrow Airport saßen zwei Piloten im Aufenthaltsraum des riesigen Hangars der Global Air Cargo vor dem Fernseher und tranken Tee.
»Hast du schon den letzten Wetterbericht besorgt?«, fragte der Pilot seinen Kopiloten.
»Vor einer Viertelstunde«, antwortete der Kopilot. »Die Schlechtwetterfront über Frankreich löst sich auf. Der Himmel über dem Mittelmeer ist klar und bleibt so bis Riad.«
»Starterlaubnis und Zollpapiere sind in Ordnung?«, fragte der Pilot.
»Wir können sofort los.«
»Ich habe eine Strecke von dreitausendeinhundert Meilen ausgerechnet.«
»Das dürfte eine Flugzeit von gut fünfeinhalb Stunden ausmachen«, meinte der Kopilot.
»Wenn wir nur endlich unsere Fracht hätten.«
»Wenn der Eigentümer verlangt, dass wir warten sollen«, sagte der Kopilot, »dann warten wir.«
Der Pilot nickte. »Was sagt das Fernsehprogramm?«
»Eine Wiederholung des Elton-John-Konzerts im Hyde Park«, antwortete der Kopilot. »Müsste gleich anfangen.«
Der Pilot stand auf und ging zur Küche. »Ich mach uns Popcorn in der Mikrowelle.«
»Für mich bitte mit reichlich Butter.«
Judy Michaels schwebte über dem Fluss ein und landete. Nachdem sie die Maschine zum Ufer gesteuert hatte, banden die Männer das Flugzeug an ein paar Bäumen in der Nähe fest, dann entluden sie die Maschine und sahen sich um.
Der MI5 hatte sämtliche Agenten in London im Einsatz, daher war niemand gekommen, um sie zu begrüßen.
»Weiß jemand, wie man die Zündung eines Wagens kurzschließt?«, erkundigte sich Halpert.
»Ich kann das«, sagte Reyes.
»Cliff«, wandte sich Halpert an Hornsby, »schnapp dir Tom und macht euch auf die Suche nach etwas, das groß genug ist, um uns und die Ausrüstung zu transportieren.«
»Bin schon weg«, sagte Hornsby, kletterte mit Reyes die Uferböschung hinauf und machte sich auf den Weg zur Stadt.
Halpert vertrieb sich die Wartezeit, indem er die Landkarte studierte. Er hatte Judy Michaels gebeten, auf dem Weg hierher die Maidenhead Mills zu überfliegen — jetzt brauchte er auf der Karte nur noch die Straße zu finden. Sobald er sich orientiert hatte, wandte er sich an Judy, die immer noch auf einem Schwimmer ihrer Maschine stand.
»Hast du einen Becher Kaffee für mich übrig?«, fragte er.
Judy Michaels kletterte in das Cockpit, schenkte einen Becher voll und reichte ihn Halpert ans Ufer. »Wie lautet der Plan?«
»Zuerst beobachten wir«, antwortete Halpert, »dann schlagen wir zu.«
In diesem Moment fuhr Reyes mit einem alten englischen Ford-Pritschenwagen vor. Mehrere Hühnerkörbe standen auf der Ladefläche hinter dem Führerhaus. Daneben lagen ein paar verrostete Werkzeuge und ein längeres Stück Kette.
»Tut mir Leid, dass ich nichts Besseres gefunden habe«, entschuldigte er sich, während er ausstieg, »aber in unserer Situation dürfen wir nicht wählerisch sein.«
»Los, laden wir ein«, sagte Halpert und reichte Reyes die Landkarte, auf der er ihr Ziel markiert hatte.
»Ich halte am Funkgerät Wache«, sagte Judy, während die Männer die Kisten und Taschen auf die Ladefläche hievten.
»Viel Glück.«
Halpert lächelte nur und sagte nichts. Sobald alle einen Platz gefunden hatten, schlug er mit der Faust auf die Ladefläche. »Auf geht’s.«
Von hochwirbelnden Schneeflocken begleitet, entfernte sich der Lastwagen vom Ufer und schlug die Richtung zur Spinnerei ein.
Es war kurz nach ein Uhr morgens am 1. Januar 2006, als Cabrillo die Oregon anrief, um Bericht zu erstatten.
»Wir haben die Waffe geborgen«, sagte Cabrillo.
»Was sagt der MI5?«, fragte Hanley.
»Er ist völlig aus dem Häuschen«, antwortete Cabrillo, »es heißt, dass sie mich zum Ritter des British Empire schlagen wollen.«
»Ihr habt das Ding tatsächlich in euren Besitz gebracht?«, fragte Hanley ungläubig.
»Ich erzähl dir alles ausführlich, wenn wir wieder auf dem Schiff sind. Was ist sonst passiert?«
»Während ihr euch um die Bombe gekümmert habt, hat Michael weitere Informationen ausgegraben, die den Meteoriten mit Halifax Hickman in Verbindung bringen. Wir gehen jetzt davon aus, dass er einen Schlag gegen den gesamten Islam plant, weil sein Sohn von den Taliban in Afghanistan getötet wurde. Er hat kürzlich eine Spinnerei im Londoner Westen erworben, die einen Auftrag für Gebetsteppiche, die während des Haddsch gebraucht werden, angenommen hatte«, sagte Hanley.
»Hilf mir mal auf die Sprünge«, bat Cabrillo, »der Haddsch ist doch die Pilgerreise nach Mekka — und für alle Moslems obligatorisch, nicht wahr?«
»Das ist richtig«, sagte Hanley, »dieses Jahr fällt der Termin auf den Zehnten.«
»Demnach haben wir noch reichlich Zeit, um ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen.«
»Das könnte durchaus sein«, sagte Hanley, »aber während ihr in London beschäftigt wart, ist viel passiert.«
Hanley berichtete, was ihm Overholt über die Tests mit den Meteoritenproben durchgegeben hatte. Anschließend rekapitulierte er, was Halperts Nachforschungen ergeben hatten.
»Wie ist der augenblickliche Stand der Dinge?«, fragte Cabrillo.
»Ich habe Michael und drei andere zu der Fabrik geschickt«, erklärte Hanley. »Sie steht in einer Ortschaft namens Maidenhead.«
»Und die Peilsender auf dem Meteoriten?«, hakte Cabrillo nach.
»… zeigen an, dass der Meteorit sich immer noch in dieser Gegend befindet.«
»Wenn Hickman also der Kugel zu Leibe rückt, könnte etwas noch Schlimmeres dabei herauskommen als bei der Bombe«, sagte Cabrillo.
»Eric hat einige seiner Quellen angezapft und in Erfahrung gebracht, dass es in einer gewöhnlichen Textilfabrik keine Maschinen gibt, die ausreichend leistungsfähig sind, um Iridium zu zertrümmern oder gar zu zermahlen«, sagte Hanley. »Wenn Hickmans Plan etwas Derartiges vorsieht, dann muss er über irgendwelche Möglichkeiten in oder wenigstens in der Nähe der Fabrik verfügen.«
Cabrillo schwieg einige Sekunden lang.
»Michael wird Hilfe brauchen«, sagte er dann. »Ich lasse Eddie und Bob hier zurück — sie haben mit dem MI5 eng zusammengearbeitet und können alles Nötige in die Wege leiten, um unsere Beteiligung an dieser Bomben-Operation zu verschleiern.«
Hanley machte sich einige Notizen auf einem Schreibblock. »Alles klar«, sagte er. »Und was ist mit unseren anderen Leuten?«
»Ruf George an und bitte ihn, in einer halben Stunde mit dem Robinson auf dem Heliport auf der anderen Seite des Flusses zu erscheinen«, sagte Cabrillo, »und gib Michael durch, dass wir zu ihm kommen.«
»Schon so gut wie erledigt«, versprach Hanley.
»Die Corporation hat die Bombe neutralisiert, Mr. President«, berichtete Overholt. »Sie befindet sich jetzt in den Händen des britischen Geheimdienstes.«
»Gut gemacht«, lobte der Präsident erleichtert, »übermitteln Sie ihnen meine herzlichsten Glückwünsche.«
»Das tue ich gerne, Sir«, sagte Overholt, »aber es gibt noch ein anderes Problem.«
»Und?«, fragte der Präsident.
Overholt berichtete von den Tests, die mit den Proben des Meteoritengesteins durchgeführt worden waren.
»Das klingt gar nicht gut«, stellte der Präsident fest. »Man könnte leicht behaupten, der Meteorit sei infolge einer Panne bei der CIA in die falschen Hände gelangt.«
»Bitte tun sie mir einen Gefallen«, sagte Overholt. »Wir müssen die Mutter von Hickmans Sohn unter äußerster Geheimhaltung in Gewahrsam nehmen — ohne Haftbefehl und ohne Anwälte.«
»Sie meinen, ihre Bürgerrechte auf der Grundlage des Patriot Act außer Kraft setzen?«, fragte der Präsident.
»Genau das, Sir«, sagte Overholt.
Der Präsident dachte länger nach. So sehr er sich auch wünschte, dass die Angelegenheit geregelt wurde, er kam sich bei der Vorstellung, amerikanische Bürger ohne triftige Begründung aus ihren Häusern oder von ihren Arbeitsplätzen zu holen, wie ein Diktator klassischer Prägung vor. Ein Präsident hingegen setzte seine ganze Macht nur dann ein, wenn höchste Gefahr im Verzug war.
»Tun Sie, was Sie für richtig halten«, meinte er schließlich, »aber vermeiden Sie jegliches Aufsehen.«
»Sie können sich auf mich verlassen, Sir«, versprach Overholt, »niemand wird davon erfahren.«
Sechs Männer, die zum Directorate of Operations der CIA gehörten, umstellten später am selben Nachmittag Michelle Hunts Haus in Beverly Hills. Sobald sie nach der Arbeit aus ihrer Galerie nach Hause kam, griffen sie zu, während sie ihren Wagen in die Garage lenkte. Um sieben Uhr am gleichen Abend wurde sie zum Santa Monica Airport gebracht und in einen Regierungsjet gesetzt, der kurz darauf nach London startete. Die Maschine überflog gerade den Colorado River in Arizona, als einer der CIA-Agenten begann, ihr die Situation zu erläutern. Als er geendet hatte, ergriff sie das Wort.
»Also, was nun — bin ich der Köder?«, fragte sie mit einem freundlichen Lächeln.
»Dessen sind wir uns nicht ganz sicher«, gab der CIA-Agent zu.
Michelle Hunt nickte lächelnd. »Sie kennen den Vater meines Sohnes nicht«, sagte sie. »Für ihn sind Menschen nichts anderes als Vermögenswerte, die man benutzen oder abstoßen kann, sollte es sich als notwendig erweisen — mir zu drohen, wird Ihnen nicht viel nützen.«
»Haben Sie vielleicht eine bessere Idee?«, fragte der CIA-Vertreter.
Michelle Hunt ließ sich diese Frage durch den Kopf gehen.
Am Silvesterabend drei Lastwagen zu stehlen, hatte nur eine einfache Operation nötig gemacht. Das Gewerbegebiet außerhalb Londons war so gut wie verlassen gewesen. Ein einziger Frachthof, der die Lastwagen aufnahm, war geöffnet gewesen, und er wurde von einem einzigen Mann überwacht. Die restlichen Leute von der Free Enterprise waren einfach hineinmarschiert, hatten den Angestellten gefesselt und sich die Schlüssel geholt, die sie brauchten. Bis zum Morgen würde niemand nach dem Mann suchen.
Zu diesem Zeitpunkt wäre der Frachttransport abgeschlossen und die Lastwagen stünden irgendwo herrenlos in der Gegend herum.
Scott Thompson, der Anführer der Mannschaft von der Free Enterprise, hatte bisher eine eiserne Entschlossenheit an den Tag gelegt. Seine Haltung blieb herausfordernd und dreist, bis ihn der Sanitäter der Flugkörper-Fregatte auf einen Tisch schnallte und sich davon überzeugte, dass er seine Arme nicht mehr bewegen konnte.
»Ich will sofort wissen, was hier geschehen soll«, verlangte Thompson, während sich erste Schweißtropfen auf seiner Stirn bildeten.
Der Sanitäter lächelte nur. Dann öffnete sich die Tür, und Dr. Berg betrat das Lazarett. Er hatte eine Tasche unterm Arm, ging zum Waschbecken und wusch sich die Hände. Thompson verrenkte sich, um den Mann anzusehen, doch er war straff gefesselt und konnte kaum den Hals bewegen. Das Rauschen des laufenden Wassers kam Thompson wie eine anschwellende Flut vor, die ihn jeden Moment verschlingen würde.
Die drei Lastwagen bogen auf den Parkplatz von Maidenhead Mills ein und fuhren dann zur Rückseite der Gebäude, wo sich die Laderampen befanden. Nachdem sie rückwärts an die Rampen gefahren waren, drehten die Männer den Zündschlüssel um und stiegen aus.
Halpert und Hornsby sollten die Rückseite des Gebäudes überwachen, während Rick Barrett und Tom Reyes die Vorderseite im Auge behielten. Abgesehen von einem Rolls-Royce und einer Daimler Limousine auf dem Parkplatz in der Nähe des Eingangs schien die Fabrik verlassen. Halpert wartete, bis die Männer in der Fabrik verschwunden waren, dann griff er zu seinem Funkgerät.
»Wir gehen näher heran«, flüsterte er ins Mikrofon, »um die Lage zu peilen.«
»Wir kommen von vorn«, gab Reyes zurück.
In der Fabrik saß Roger Lassiter im Büro und sprach mit Hickman. »Natürlich konnte ich wegen des Feiertags nicht feststellen, ob der Kaufpreis überwiesen wurde.«
»Das wussten Sie, als Sie den Job übernahmen«, sagte Hickman. »Sie müssen mir schon vertrauen.«
Die Kiste, in der sich der Meteorit befand, stand auf dem Tisch zwischen den beiden Männern.
»Ich halte nicht viel von Vertrauen«, erwiderte Lassiter, »aber Sie offenbar schon.«
»Ich kann Ihnen versichern«, sagte Hickman, »dass Sie ordnungsgemäß bezahlt werden.«
»Wo soll der Meteorit hingebracht werden?«
Hickman überlegte kurz, ob er darauf antworten sollte.
»Zur Kaaba«, sagte er schnell.
»Sie sind wirklich ein Schuft«, stellte Lassiter fest und erhob sich, »aber irgendwie bin ich das ja auch.«
Lassiter verließ das Büro und trat kurz darauf aus dem Gebäude. Während er in den Daimler stieg, schoss Reyes eine Serie Fotos.
Als Hickman mit dem Meteoriten durch die Fabrikhalle ging, sah er zwei Fahrer von den Laderampen hereinkommen. Sie trafen sich in der Mitte der Halle.
»Haben Sie die Frachtcontainer gesehen?«, fragte Hickman.
»Meinen Sie die drei am Tor?«, wollte einer der Männer wissen.
»Ja.« Hickman ging weiter zu den Laderampen. Die Männer folgten ihm. »Nachdem ich sie präpariert habe, laden Sie die Kisten sofort auf und bringen sie nach Heathrow.«
Hickman hatte das Fabriktor fast erreicht.
»Hier ist die Beschichtung, die Sie bestellt haben«, sagte einer der Männer und hielt sie hoch.
»Perfekt«, sagte Hickman, als er neben der Zylinderwalke stand. »Geben Sie her.«
Einer der Männer hob einen Sack hoch, schüttelte ihn und reichte ihn weiter.
Cabrillo und sein Team warteten im geliehenen Range Rover gerade am Heliport in Battersea, als Fleming ihn per Mobiltelefon erreichte. George Adams kam über der Themse herunter und flog eine Kurve, um zu landen.
»Juan«, sagte Fleming, »wir haben soeben etwas erfahren, das für Sie höchst interessant sein dürfte — es bezieht sich auf Ihren Meteoriten. Nennen Sie es Revanche für Ihre Hilfe bei der Bomben-Geschichte.«
Das Geräusch des sich nähernden Helikopters wurde lauter. »Was ist es, John?«, rief Cabrillo.
»Die Information kommt von unserem leitenden Agenten in Saudi-Arabien«, sagte Fleming. »Der Ort in Mekka, an dem die Muslime fünfmal am Tag beten, ist die so genannte Kaaba. Es handelt sich dabei um einen speziellen Tempel, in dem sich ein ungewöhnlicher Artefakt befindet.«
»Und um was für einen handelt es sich?«, fragte Cabrillo.
»Um einen schwarzen Meteoriten, der angeblich von Abraham gefunden wurde. Der Ort ist sozusagen das Herz des islamischen Glaubens.«
Für einen Augenblick verschlug es Cabrillo die Sprache.
»Vielen Dank, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben«, sagte er schließlich. »Ich melde mich in Kürze bei Ihnen.«
»Ich dachte, dass Sie das wissen sollten«, sagte Fleming. »Haben Sie keine Hemmungen, den MI5 zu benachrichtigen, falls Sie Hilfe brauchen. Wir sind Ihnen etwas schuldig.«
Halpert griff in einen Rucksack, den er von der Oregon mitgenommen hatte, und befestigte Peilsender an allen drei Lastwagen. Dann brachte er dicht über dem Boden an der Wand neben der Tür ein Mikrofon an. Er gab Cliff Hornsby ein Zeichen, woraufhin sich die beiden Männer zwischen die Bäume zurückzogen.
Sobald sie ihr Versteck wieder erreicht hatten, nahm er sein Funkgerät zur Hand.
»Tom«, flüsterte er, »wie weit seid ihr?«
Reyes und Barrett hatten ein ähnliches Mikrofon in der Nähe des Vordereingangs platziert. Sie waren soeben hinter einer Mauer, die diesen Teil des Parkplatzes begrenzte, in Deckung gegangen.
»Wir sind an ihnen dran«, antwortete auch er im Flüsterton.
»Jetzt heißt es nur noch warten und lauschen«, sagte Halpert.
Hickmans Team arbeitete schweigend. Nachdem sie mit Hilfe der Sprühpistole und flüssiger Plastikmasse die Container mit einer luftdichten Beschichtung versehen hatten, bohrte einer der Männer zwei kleine Löcher in die stählernen Seitenwände der Container. Ein Loch befand sich am oberen Rand, etwa in Brusthöhe, das andere dicht über dem Boden des Containers.
Als Nächstes wurden Gewinde in die Löcher geschnitten und kleine Röhren installiert.
Danach sagte Hickman nur ein Wort: »Masken.«
Die fünf Männer holten aus den Taschen, die sie mitgebracht hatten, Gasmasken hervor und stülpten sie sich über Mund und Nase. Dann schloss der eine Mann eine Vakuumpumpe an die Röhre am Boden des Containers an und schaltete sie ein. Luft wurde aus dem Container herausgesogen. Nachdem er den gläsernen Giftbehälter an zwei Stellen markiert hatte, um ihn in drei Drittel aufzuteilen, träufelte Hickman ein Drittel der Flüssigkeit in einen winzigen stählernen Behälter, den er in die obere Bohrung schraubte. Indem er dann auf seine Armbanduhr sah, überwachte er das Einströmen des Virus in den Container, schraubte dann den Behälter wieder ab und verschloss ihn mit einer luftdichten Kappe.
Er ließ die Pumpe noch eine halbe Minute laufen, um weiterhin ein Vakuum zu erzeugen, entfernte sie danach und verschloss die Ansaugdüse ebenfalls mit einer Kappe. Während sich Hickman den nächsten Container vornahm, dichtete einer der Männer die beiden Löcher im ersten Container mit der Plastikmasse ab, so dass keine Luft mehr eindringen oder austreten konnte. Während Hickman die Container mit dem Gift präparierte, besprühte ein anderes Mitglied seines Teams den Meteoriten auf dem Fußboden der Fabrikhalle mit einer zweiten Deckschicht. Dabei drehte er den kugelförmigen Körper hin und her, um eine nahtlose Umhüllung zu erhalten. Anschließend hob er den Meteoriten hoch und legte ihn behutsam in die Kiste zurück.
Hickman hatte mittlerweile auch den dritten Container kontaminiert. Er entfernte sich mit dem Glasbehälter von den Containern und legte ihn auf eine freie Stelle auf dem Hallenboden. Nachdem er den Behälter mit Benzin übergossen hatte, zündete er ein Streichholz an und warf es auf den Boden. Flammen loderten auf.
Wieder bei den Container, holten die vier Helfer kleine Butangasbrenner hervor, wie sie von Installateuren dazu benutzt wurden, Rohre zusammenzulöten. Sie zündeten sie an, drehten die Flammen so hoch es ging und wedelten damit volle fünf Minuten durch die Luft.
»Okay«, sagte Hickman schließlich, »öffnet die Türen, aber behaltet die Masken auf.«
Einer der Männer trat zu den Kipptoren und ließ sie an allen drei Rampen hochfahren. Dann gingen die Fahrer hinaus, zogen die Seile der Winden hinter den Führerhäusern auf die Laderampen und begannen damit, die Container auf die Lastwagen zu laden. Sobald sie sicher verankert waren, schwang sich Hickman auf den Beifahrersitz des ersten Lastwagens und gab dem Fahrer ein Zeichen loszufahren.
Halpert und Hornsby beobachteten die Abfahrt der feindlichen Truppen von ihrem Versteck aus. Sie schossen mit ihren Infrarotkameras so viele Fotos wie möglich, aber viel mehr konnten sie nicht tun. Sie verfolgten noch, wie die Lastwagen nacheinander von den Laderampen wegfuhren und die Tore offen ließen.
Der Schnee hatte sich in Regen verwandelt, und die Reifen der Lastwagen rauschten durch die Pfützen auf dem Parkplatz, als sie zur Vorderseite des Fabrikgebäudes rollten und sich dann auf der Straße entfernten.
»Tom«, warnte Halpert eilig, »hütet euch bloß, das Gebäude zu betreten. Die Männer, die gerade abgezogen sind, haben Gasmasken getragen.«
»Verstanden«, meldete Reyes.
»Ich rufe die Oregon«, sagte Halpert, »und erkundige mich, was wir jetzt tun sollen.«
Sobald er nach seinem Gespräch mit Fleming aufgelegt hatte, rief Cabrillo Hanley an, um ihm mitzuteilen, was er erfahren hatte.
»Ich setze sofort Eric auf diese Geschichte an«, sagte Hanley.
»Vielleicht hat Hickman gar nicht die Absicht, den Meteoriten zu zerstören«, überlegte Cabrillo, »sondern er plant etwas völlig anderes.«
In diesem Augenblick meldete sich Halpert per Funk.
»Moment«, sagte Hanley zu Halpert, »ich gehe auf Konferenzschaltung mit Juan.«
Sobald sie einander hören konnten, berichtete Halpert, was geschehen war.
»Kannst du die Peilsignale von den Lastwagen empfangen?«, wollte Cabrillo von Hanley wissen.
Hanley blickte auf den Bildschirm, auf den Eric Stone gerade deutete. Dort waren drei Lichtpunkte zu erkennen, die sich bewegten. »Wir haben sie«, sagte er, »aber es gibt ein anderes Problem.«
»Und welches?«, fragte Cabrillo gespannt.
»Wir haben vor ein paar Minuten das Signal des Meteoriten verloren.«
»Verdammt«, stieß Cabrillo hervor.
Für einige Sekunden gab es in der Leitung lediglich ein Rauschen, während Cabrillo nachdachte. »Wir tun Folgendes«, sagte er schließlich. »Ich schicke Adams und Truitt mit dem Robinson zurück zum Schiff, um Schutzanzüge zu holen — Michael, du und die anderen, ihr wartet, bis sie zu euch kommen.«
»Okay, Juan«, sagte Halpert.
»Pete und ich bleiben hier im Range Rover«, fuhr Cabrillo fort. »Sobald wir eindeutig erkennen können, in welche Richtung die Lastwagen unterwegs sind, versuchen wir, sie aufzuhalten. Ist das andere Team bereits in Heathrow eingetroffen?«
»Sie haben vor fünf Minuten Tiny und Tracy in der Gulfstream getroffen«, sagte Hanley.
»Gut.« Cabrillo nickte reflexartig. »Erinnere Tiny daran, die Maschine bereitzuhalten — es ist möglich, dass sie umgehend starten müssen.«
»Verstanden«, sagte Hanley.
»Kevin soll die Schutzanzüge bereitlegen«, sagte Cabrillo. »Der Helikopter dürfte in zehn Minuten bei ihnen sein.«
»Wird gemacht.«
»Und jetzt halte die Verbindung aufrecht und gib mir laufend durch, welche Strecke die Lkws fahren«, bat Cabrillo.
»Okay«, sagte Hanley.
Im Range Rover legte Cabrillo die Hand auf sein Telefon.
»Dick«, sagte er zu Truitt, »du musst mit Adams zur Oregon fliegen und eine Kiste mit Schutzanzügen abholen. Wir glauben, dass Hickman irgendeine chemische Substanz in der Fabrik freigesetzt hat. Wenn ihr die Anzüge an Bord habt, fliegt sofort nach Maidenhead — Michael und die anderen drei erwarten euch schon.«
Truitt stellte keine Fragen. Er öffnete die Tür des Range Rovers und rannte zum Heliport hinüber, wo Adams im Robinson mit langsam rotierendem Rotor wartete. Nachdem er Adams den weiteren Plan kurz skizziert hatte, stieg der Robinson auf und nahm Kurs auf die Oregon.
»Sie sind auf die Schnellstraße, die M4, gefahren, die direkt nach London führt«, berichtete Hanley Cabrillo.
»Pete«, sagte Cabrillo, »kannst du die schnellste Strecke zur M4 rausfinden?«
»Da wegen der Neujahrsfeiern alles nach London strömt«, sagte Jones, »kann von schnell wohl kaum die Rede sein.«
Er ließ den Motor an, legte den Gang ein, setzte zurück und fuhr dann die Straße hinunter, die aus dem Battersea Park herausführte. Er hatte die Absicht, die Battersea Bridge zu überqueren und über die Old Crompton Road und die West Cromwell die A4 zu erreichen, die ihn zur M4 brachte. Aber auch um diese späte Uhrzeit würde er nur langsam vorankommen.
Hickman und seine drei Lastwagen hatten es leichter. Sie fuhren auf der Castle Hill Road, gleichzeitig die A4, durch Maidenhead und bogen auf die A308 ab, die zur M4 führte. Vierzehn Minuten nach Verlassen der Maidenhead Mills näherten sie sich der Ausfahrt Nr. 4 zum Heathrow Airport.
Zur gleichen Zeit, als die Lastwagen langsamer wurden, um die M4 zu verlassen, landeten Truitt und Adams auf dem Achterdeck der Oregon. Kevin Nixon wartete dort mit einer Holzkiste, die die Schutzanzüge enthielt. Er rannte zur Maschine, öffnete die hintere Tür und stellte die Kiste auf die Rückbank, während Adams den Rotor langsam weiterlaufen ließ. Nachdem er die hintere Tür wieder geschlossen hatte, öffnete Nixon die vordere Tür und reichte Truitt ein Blatt Papier, auf dem ausführlich beschrieben war, wie man die Anzüge hermetisch gegen Außeneinflüsse abdichten konnte. Dann drückte er die Vordertür zu und zog sich zurück.
Sobald er sich in sicherer Entfernung befand, gab er Adams mit dem Daumen ein Zeichen, und der Robinson hob von seinem Landeplatz ab.
Wenige Minuten später überquerte der Helikopter London in Richtung Maidenhead. Die Entfernung betrug gut vierzig Kilometer, für die sie höchstens zwölf Minuten brauchen würden.
Die beiden Piloten saßen noch immer im Aufenthaltsraum bei Global Air Cargo, als die Lastwagen vor der Halle vorfuhren und stoppten. Die 747 stand mit hochgeklappter Nase vor der Halle und wartete darauf, beladen zu werden. Die hintere Rampe war ebenfalls geöffnet, um den Zugang zum Frachtraum zu erleichtern. Hickman kam durch die Seitentür in den Hangar und traf die Piloten vor dem Fernseher an.
»Ich bin Hal Hickman«, stellte er sich vor, »wir bringen die Expressfracht.«
Der Chefpilot erhob sich und kam Hickman entgegen.
»Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen, Sir«, sagte er und streckte seine Hand aus. »Ich arbeite schon seit Jahren für Sie — und finde es toll, Sie endlich einmal persönlich zu treffen.«
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte Hickman lächelnd. »Nun, wie ich schon am Telefon sagte, ich habe eine Expressfracht, die sofort auf die Reise gehen muss. Sind Sie bereit?«
»Wir haben kein Ladepersonal«, erwiderte der Pilot. »Bis die Ersten erscheinen, wird es wohl auch noch mindestens eine Stunde dauern — der Feiertag und die Neujahrsparty haben die Arbeitsmoral nicht gerade gefördert.«
»Kein Problem«, sagte Hickman. »Meine Männer und ich werden die Container an Bord fahren und sichern. Haben Sie schon Ihre Starterlaubnis eingeholt?«
»Ich brauche nur anzurufen, und schon bekomme ich, was ich brauche«, sagte der Pilot.
»Dann tun Sie das«, sagte Hickman. »Wir schaffen jetzt die Ladung an Bord.«
Hickman verließ den Hangar, und der Pilot wandte sich an den Kopiloten: »Hol dir die Wetterlage und errechne unseren Kurs. Ich denke, wir fliegen von London nach Frankreich, dann über das Mittelmeer direkt nach Riad. Das heißt, wenn das Wetter mitspielt — wenn nicht, such uns den günstigsten Ausweichkurs.«
Sobald er aus dem Hangar heraustrat, hob Hickman die Gasmaske auf, die er vor der Tür abgelegt hatte, und stülpte sie sich wieder über Mund und Nase. Den Fahrern war der Ladevorgang genau erklärt worden, und sobald Hickman ihnen zuwinkte anzufangen, lenkte der erste seinen Lastwagen mit dem Container von der Spitze zum Heck der 747. Er stoppte auf der hinteren Rampe, hakte das Kabel los, das den Container auf der Pritsche fixierte, und kippte diese dann leicht nach hinten, so dass der Container auf den Rollen, die in die Pritsche eingelassen waren, rückwärts glitt. Er zog den Lastwagen vom Heck der 747 weg, während der nächste Fahrer rückwärts unter die hochgeklappte Nase setzte und seinen Container direkt vor dem ersten im Heck des Flugzeugs platzierte. Indem er dem dritten Lastwagen auswich, der schon bereitstand, um rückwärts die vordere Rampe hochzufahren, entfernte sich der zweite Lkw von der Frachtmaschine und stoppte.
Der dritte Lastwagen setzte nun rückwärts in die Maschine, während Hickman sich zusammen mit dem ersten Fahrer in den Frachtraum begab. Beide Männer begannen, die Container, wie es die Vorschriften verlangten, mit langen Stoffgurten am Boden festzuzurren. Einer befestigte den Riemen mit einer Spannvorrichtung in Schlitzen, die sich in Haltestangen auf dem Boden befanden, dann warf er den Gurt über den Container seinem Partner zu, der ihn ebenfalls durch einen Schlitz in der im Boden verankerten Haltestange führte. Danach betätigte der erste Mann die Spannvorrichtung und zog den Gurt stramm. Auf diese Weise versahen sie jeden Container mit jeweils drei Gurten.
Der Container des letzten Lastwagens wurde abgehängt, und der Lastwagen verließ die 747, während sie sich dem Container näherten.
Und bald war auch dieser Container sicher fixiert.
Hickman verließ die 747, winkte den Lastwagenfahrern zu, sich mit ihren Lastzügen einen weiter entfernten Parkplatz zu suchen, dann ging er zum Hangar zurück.
»Da sind die Papiere«, sagte er und reichte dem Piloten ein Klemmbrett mit Zollerklärungen. »Die Container befinden sich an Ort und Stelle und sind gesichert. Wir verschwinden jetzt.«
»Wie dringend ist es Ihnen mit dieser Fracht, Sir?«, wollte der Kopilot wissen. »Wir haben über dem Mittelmeer eine Schlechtwetterfront, die ziemlich übel aussieht. Es wäre um einiges sicherer, wenn wir mit dem Start bis morgen warten könnten.«
»Eigentlich hätte die Ladung schon gestern am Ziel sein müssen«, sagte Hickman.
»Okay«, sagte der Kopilot, »aber es wird ein ziemlich wilder Ritt.«
Hickman machte kehrt und entfernte sich. Der Kopilot sah ihm nach, während er zur Tür ging. Irgendetwas war seltsam an diesem Mann, aber es hatte nichts mit irgendwelchen bizarren Verhaltensweisen zu tun, wie sie öffentlichkeitsscheuen Milliardären in Schundromanen so gerne zugeordnet wurden. Hickman erschien in jeder Hinsicht völlig normal — sogar absolut durchschnittlich, wenn man es genau betrachtete. Was heute Abend jedoch auffiel, war das leicht gerötete Dreieck mit den gerundeten Ecken, das sich um seinen Mund abzeichnete.
Der Kopilot entschied jedoch, sich nicht eingehender damit zu beschäftigen. Er hatte noch genug andere Dinge zu tun und nur wenig Zeit dazu.
»Lade doch mal eine detaillierte Karte«, bat Hanley.
Die Peilsender an den Containern hatten sich seit ein paar Minuten nicht mehr vom Fleck bewegt. Eric Stone gab einige Befehle in den Computer ein und wartete, während sich der Monitorschirm füllte. Indem er sich auf die Gegend konzentrierte, in der sich die drei blinkenden Lichtpunkte befanden, reduzierte er fortlaufend den Darstellungsmaßstab.
»Es ist der Frachtbereich des Heathrow Airport«, stellte Stone fest.
Hanley griff nach dem Schnellhefter, den Halpert zurückgelassen hatte, und blätterte seinen Inhalt durch. Er konnte sich erinnern, dass Hickman eine Speditionsfirma besaß. Da war sie auch schon: Global Air Cargo. Er suchte die Telefonnummer des zugehörigen Hangars in Heathrow und reichte sie Eric Stone.
»Ruf mal dort an und versuch, so viel wie möglich rauszukriegen«, bat er ihn. »Ich telefoniere in der Zwischenzeit mit Juan.«
»Das war’s«, sagte der Pilot. »Wir können.«
Der Kopilot raffte die Wetterberichte und das Logbuch zusammen, um dem Piloten nach draußen zu folgen. Sie hatten die Tür soeben geöffnet und waren schon auf dem Weg nach draußen, als das Telefon klingelte.
»Lass es sein«, sagte der Pilot, während der Kopilot Anstalten machte umzukehren, um das Gespräch anzunehmen, »meine Miete zahlt sich nicht von selbst.«
»Wir sind dorthin unterwegs, aber nur langsam«, sagte Cabrillo.
»Keine Antwort«, rief Stone durch den Kontrollraum auf der Oregon.
»Wir versuchen, den Hangar per Telefon zu erreichen«, informierte Hanley Cabrillo, »aber es antwortet niemand.«
»Alarmiert Tiny in der Gulfstream, dass er sich startbereit hält«, erwiderte Cabrillo. »Ich versuche, Fleming zu erreichen.«
Cabrillo betätigte die Kurzwahl seines Telefons, während der Pilot der 747 soeben die vordere Frachtluke geschlossen hatte und nun die Triebwerke startete. Fleming meldete sich, und Cabrillo erklärte ihm die Lage.
»Sie meinen, die Ladung könnte radioaktiv sein?«, fragte Fleming daraufhin.
»Keine Ahnung, aber auf jeden Fall irgendwie vergiftet«, antwortete Cabrillo. »Einer von meinen Leuten hat beobachtet, dass die Männer im Hangar Gasmasken trugen. Ich denke, Sie sollten Heathrow sofort schließen.«
Fleming schwieg einige Sekunden. »Ich denke, es wäre besser, wenn die Fracht England schnellstens verlässt«, sagte er schließlich.
George Adams landete auf dem Parkplatz vor den Maidenhead Mills und schaltete den Motor des Robinson aus. Sobald der Rotor stoppte und arretiert war, stieg er aus, umrundete die Maschine und half Truitt auf der anderen Seite beim Ausladen der Kiste. Halpert und die anderen kamen herüber. Adams war bereits damit beschäftigt, den Deckel mit dem Schraubenzieher seines Taschenwerkzeugs aufzuhebeln.
»Da sind eure Astronautenanzüge, Freunde«, sagte Adams grinsend. »Sieht so aus, als hätte Kevin gleich vier Stück eingepackt.«
»Zieht euch um«, rief Truitt, »und dichtet die Overalls an Händen und Füßen mit Klebeband ab.«
Adams nickte. Dann wandte sich Truitt an Barrett. »Rick, du wartest hier. Die anderen gehen mit.«
Acht Minuten später waren Truitt, Halpert, Hornsby und Reyes bereit. Sie gingen zur Rückseite des Gebäudes und betraten es durch das hintere Tor. Truitt hielt einen chemischen Detektor in der Hand. Kaum waren sie über der Schwelle, schon zeigte der Detektor eine Veränderung an.
»Verteilt euch«, sagte Truitt, »und durchsucht jeden Winkel.«
Hornsby eilte zum Vordereingang, entriegelte ihn und ging hinaus.
Der Verkehr lockerte sich auf, während Juan Cabrillo und Pete Jones London immer weiter hinter sich ließen. Als sie die M4 erreichten, beschleunigte Jones auf gut hundertvierzig Stundenkilometer. Cabrillo beendete das Gespräch mit Fleming und wählte sofort die Nummer der Oregon.
»Fleming wird Heathrow nicht schließen«, sagte Cabrillo über den Lautsprecher, sobald Hanley sich meldete. »Welche Ausfahrt liegt Global Air am nächsten?«
Stone nannte ihm die Nummer, und Cabrillo gab sie an Jones weiter.
»Wir sind schon da, Juan«, sagte Jones, während er die M4 verließ.
»Folge den Schildern zur Global Air Cargo«, sagte Cabrillo zu Jones.
Jones gab Gas und jagte durch die Nebenstraßen. Nach ein paar Minuten war der große Hangar mit den drei Meter hohen Buchstaben auf der Außenwand zu sehen. Eine 747 rollte soeben von dem Gebäude weg.
»Kannst du uns näher heranbringen?«, fragte Cabrillo.
Jones sah sich suchend um, aber ein stabiler Maschendrahtzaun sicherte den gesamten Bereich. »Unmöglich, Juan«, antwortete er. »Sie haben den Laden rundum abgesperrt.«
Die 747 bog auf die Zufahrt zur Startbahn ein.
»Dann fahr zu der Stelle zwischen den beiden Gebäuden da drüben«, verlangte Cabrillo.
Jones beschleunigte erst, dann bremste er. Cabrillo angelte sich ein Fernglas aus der Türablage und richtete es auf das Frachtflugzeug. Dann las er Hanley die Kennnummer auf dem Schwanzleitwerk vor, damit er sie aufschreiben konnte.
»Tiny soll ihnen mit der Gulfstream folgen«, sagte Cabrillo resignierend. »Das ist alles, was wir im Augenblick tun können.«
»Wird gemacht«, gab Hanley zurück.
In diesem Augenblick meldete sich Cliff Hornsby per Funk, Eric Stone nahm den Ruf entgegen. Nachdem er erklärt hatte, was sie in Erfahrung gebracht hatten, machte sich Stone entsprechende Notizen und reichte sie Hanley hinüber, der sie kurz überflog.
»Juan«, sagte Hanley, »ich rufe die Challenger 604. Ich nehme an, du willst schnellstens nach Saudi-Arabien.«
Etwa zur gleichen Zeit, als die 747 der Global Air Cargo von der Startbahn in Heathrow abhob, stoppte der Lastwagen, in dem Hickman saß, in einem anderen Bereich des Flughafens.
»Fahren Sie hinter den anderen her, sehen Sie zu, dass Sie die Laster loswerden, und machen Sie sich aus dem Staub«, sagte Hickman zu dem Fahrer, der ihn vor dem Privatflugplatz aussteigen ließ. »Ich melde mich bei ihnen, wenn ich Sie brauche.«
»Viel Glück«, wünschte der Fahrer, während Hickman ausstieg. Er winkte dem Fahrer, dann ging er weiter zum Eingang.
Der Fahrer lenkte den Lastwagen vom Parkplatz und aktivierte sein Funkgerät. »Der Boss ist unterwegs«, sagte er.
»Ich komme jetzt zum Treffpunkt.«
Zwölf Minuten später trafen sich die drei Lastwagen auf dem Hof einer verlassenen Fabrik im Westen Londons, wo die Männer ihren Fluchtwagen versteckt hatten. Sie stiegen aus den Trucks, nachdem sie sämtliche Flächen, die sie ohne Handschuhe berührt hatten, abgewischt hatten, und stiegen dann in eine unauffällige Limousine.
Ihr Plan sah vor, dass sie zum Kanal fuhren, die Mietwagen auf dem dortigen Parkplatz stehen ließen und mit einer Fähre nach Belgien übersetzten. Nichts sollte die Durchführung dieses Planes stören.
»Starte sofort mit der Oregon«, wies Cabrillo Hanley an, während Jones sie zum Executive Air Terminal von Heathrow brachte. »Sie soll Kurs durchs Mittelmeer und den Suezkanal ins Rote Meer nehmen. Das Schiff soll so nahe wie möglich vor der Küste Saudi-Arabiens kreuzen.«
Hanley schaltete den Schiffsalarm ein. Cabrillo konnte das Heulen der Sirenen in seinem Telefon deutlich hören.
»Tiny und die anderen sind bereits in der Luft«, sagte er.
»Die Frachtmaschine ist nach Paris unterwegs.«
»Jones und ich steigen in ein paar Minuten in die Challenger 604«, erklärte Cabrillo knapp. »Das Team in Maidenhead soll sich zurückziehen und sich schnellstens zum Wasserflugzeug begeben. Judy soll sie ausfliegen und die Oregon im Ärmelkanal treffen.«
»Was ist mit der Spinnerei?«, fragte Hanley.
»Berichte Fleming, was wir rausgefunden haben«, sagte Cabrillo, »und überlass die weiteren Maßnahmen seinen Leuten.«
»Das klingt, als würden wir das Spielfeld wechseln«, stellte Hanley fest.
»Richtig«, bestätigte Cabrillo. »Jetzt spielt die Musik in Saudi-Arabien.«
Der Kopilot von Hickmans Hawker 800XP wartete im Terminal.
»Der Pilot hat getankt, die Flugvorbereitungen abgeschlossen und seine Startanweisungen bereits erhalten«, meldete der Kopilot, während er Hickman zum Rollfeld brachte. »Wir können gleich aufbrechen.«
Die beiden Männer eilten zur Hawker und stiegen ein. Drei Minuten später rollten sie zur Nord-Süd-Piste. Drei weitere Minuten, und sie befanden sich in der Luft. Sobald der Ärmelkanal unter ihnen lag, öffnete der Pilot die Cockpittür.
»Sir«, sagte er, »bei der Fluggeschwindigkeit, die Sie angeordnet haben, verbrauchen wir massenweise Sprit.«
Hickman lächelte. »Holen Sie alles aus den Triebwerken raus«, sagte er, »jetzt geht es um Tempo.«
»Wie Sie wünschen«, sagte der Pilot und schloss die Tür.
Hickman spürte, wie die Leistung der Triebwerke zunahm und das Flugzeug beschleunigte. Laut Flugplan sollte die Hawker Frankreich entlang der belgischen Grenze überqueren, dann über die Schweiz nach Zürich fliegen. Nach dem Sprung über die Alpen sollte es entlang der Ostküste von Italien, dann über Griechenland, Kreta und Ägypten weitergehen. Nach dem Überqueren des Roten Meeres würden sie am frühen Morgen in Riad, Saudi-Arabien, eintreffen.
Sobald Hanley durchrief, trafen Richard Truitt und die anderen die Vorbereitungen zum Aufbruch. Nachdem sie alles ausgiebig fotografiert hatten, pappten sie Klebeband quer über die Türen und Fenster und ließen handgeschriebene Schilder zurück, auf denen vor einem Betreten des Hangars gewarnt wurde.
Danach schwangen sie sich wieder auf den altersschwachen Lastwagen und fuhren zurück zum Fluss, wo das Wasserflugzeug wartete.
Am Waldrand erschien ein junger Rotfuchs und verließ mit vorsichtigen Schritten sein Versteck im Unterholz. Er sog witternd die Luft ein und schickte sich an, den Hof vor den Laderampen auf der Rückseite der Fabrik zu überqueren. Warme Luft wehte aus der Fabrikhalle durch die offenen Tore der Laderampen nach draußen. Er hob die Schnauze und spürte die Wärme. Langsam schlich er weiter und blieb vor dem mittleren Tor hocken.
Dann, als er nichts Bedrohliches wahrnahm, drang er in das Gebäude ein.
Da er in der Nähe der Menschen aufgewachsen war, wusste er, dass ihre Anwesenheit Nahrung bedeutete.
Mit menschlichen Gerüchen in der Nase machte er sich auf die Suche nach etwas Fressbarem. Dabei lief er durch eine seltsame schwarze Substanz auf dem Boden, die an seinen Pfoten kleben blieb. Dann wanderte er weiter, die klebrige schwarze Schicht nahm Spuren des Virus auf.
In diesem Augenblick schalteten sich die Heizgebläse an der Hallendecke ein: Der Lärm erschreckte ihn. Er rannte zurück zum Rampentor. Als nichts weiter geschah, beschloss er, sich auf den Boden zu legen und abzuwarten. Er hob eine Pfote und leckte die schwarze Masse ab.
Schon nach wenigen Minuten verkrampfte sich sein Körper. Blut quoll aus seinen Augen, Speichel rann aus seiner Schnauze. Am ganzen Körper zuckend, als stünde er unter Strom, versuchte er, aufzustehen und wegzurennen.
Doch seine Beine gehorchten nicht, und weißer Schaum drang aus seiner Schnauze.
Der Fuchs streckte sich auf dem Boden aus, um zu sterben.
Das auf- und abschwellende Heulen der Sirenen drang in jeden Raum der Oregon.
Die Besatzungsmitglieder nahmen eilig ihre Positionen ein, im gesamten Schiff herrschte plötzlich eine hektische Betriebsamkeit. »Die Leinen sind los, Max«, meldete Stone.
»Dann zieh sie vom Pier weg«, gab Hanley per Intercom ans Ruderhaus durch.
Die Oregon entfernte sich langsam von ihrem Anlegeplatz und nahm nach und nach Tempo auf.
»Hast du schon den Kurs berechnet?«, wollte Hanley von Stone wissen.
»Bin gerade damit fertig, Max«, antwortete Stone und deutete auf den großen Monitor an der Wand.
Dort war eine Karte mit Teilen von Europa und Afrika zu sehen, auf der eine dicke rote Linie den Kurs anzeigte. Entlang dieser Linie befanden sich verschiedene Zeitangaben.
»Wie lange brauchen wir günstigstenfalls bis ins Rote Meer?«, fragte Hanley.
»Am vierten Januar gegen elf Uhr vormittags müssten wir am Ziel sein«, sagte Stone.
»Stimm doch mal das Treffen mit Michaels im Wasserflugzeug ab und hol George Adams zurück an Bord«, bat Hanley, »und dann teil den Wachdienst für die weitere Reise ein.«
»Wird sofort erledigt, Max«, sagte Stone.
Hanley griff zum Telefon.
Das Beharren darauf, dass die Ladung Gebetsteppiche als aus Frankreich kommend deklariert wurde, half der einen Seite und schadete der anderen. Die 747 der Global Air Cargo erhielt schnell die Landeerlaubnis. Nach weniger als einer Stunde auf dem Boden war die Fracht umdeklariert worden, und die Maschine befand sich wieder in der Luft.
Gunderson und das Team in der Gulfstream sollten nicht so viel Glück haben. Sie erhielten, kaum dass sie gelandet waren, von französischen Zollbeamten Besuch an Bord. Hickman hatte eine Liste mit allen Privatflugzeugen zusammengestellt, die zum Zeitpunkt des Einbruchs in sein Penthouse auf dem McCarran Airport in Las Vegas gestanden hatten. Danach brauchte er nur noch Flugpläne zu suchen, um die Maschine zu identifizieren, die kurze Zeit später nach England geflogen war.
Die Gulfstream war die einzige gewesen.
Hickman hatte daraufhin anonym bei Interpol angerufen und behauptet, die Maschine transportiere Drogen. Es sollte zwei ganze Tage dauern und zahlreiche Telefongespräche von Hanley und anderen kosten, ehe seine Leute freigelassen wurden. Es konnte manchmal verdammt schwierig sein, sich mit den Franzosen zu verständigen.
Cabrillo hatte mehr Glück. Die Challenger 604 verließ Heathrow mit ihm und Jones an Bord innerhalb von einer halben Stunde nach Hickmans Start. Der Pilot nahm sofort Kurs auf Riad, die Hauptstadt. Mit der Höchstgeschwindigkeit von 548 Meilen in der Stunde und einer Flughöhe von 37000 Fuß raste die Maschine ihrem Ziel entgegen.
Mit einer halben Stunde Vorsprung war Hickmans Hawker 800XP mittlerweile über Frankreich mit 514 Meilen pro Stunde unterwegs. Die Challenger war deutlich schneller und hätte eigentlich früher am Ziel sein müssen, aber das schaffte sie nicht. Hickman kannte sein Ziel schon seit Längerem — Cabrillo hatte erst kürzlich davon erfahren.
Selbst an einem guten Tag ist es schwierig, ein Besuchsvisum für Saudi-Arabien zu erhalten. Das Verfahren ist schleppend und mühsam. Außerdem wird der Tourismus nicht nur in vielfältiger Weise behindert, sondern ist sogar gesetzlich verboten. Mehrere von Hickmans Firmen machten Geschäfte mit dem Königreich, also war er dort eine prominente Persönlichkeit. Seinem Antrag auf Gewährung eines Besuchsvisums wurde innerhalb weniger Stunden stattgegeben.
Cabrillo sollte nicht so viel Glück haben.
Am frühen Morgen des 1. Januar wurde Saud Al-Sheik durch das Zwitschern des Computers in seinem Arbeitszimmer geweckt. Soeben war eine E-Mail eingegangen. Die Fabrik in England meldete, dass die Gebetsteppiche, auf die er so dringend wartete, vom Zoll abgefertigt und in Paris zwischengelandet waren. Sie befanden sich zurzeit in einer 747 unterwegs nach Riad.
Sobald sie auf dem Frachtflughafen in Riad einträfen, müssten sie per Lkw quer durch Saudi-Arabien nach Mekka transportiert werden. Dort würden die Container geöffnet und die Teppiche mit einem Schädlingsbekämpfungsmittel besprüht werden. Anschließend würden sie einen Tag lang zum Auslüften liegen bleiben, ehe man sie im Stadion verteilen konnte.
Al-Sheik betrachtete das Klemmbrett auf seinem Schreibtisch. Dass die Gebetsteppiche ausgerechnet jetzt eintreffen würden, passte ihm ganz und gar nicht. Er hatte nämlich seine sämtlichen Lastwagen für andere Aufgaben verplant und im Einsatz. Ein Weitertransport der Gebetsteppiche wäre frühestens am 7. Januar durchführbar. Er wollte dafür sorgen, dass man sie am 8. mit Pestizid behandelte und sie einige Stunden lang auslüften könnten und am 9. an Ort und Stelle gebracht würden.
Damit hätte er noch immer ein Zeitpolster von vierundzwanzig Stunden bis zum offiziellen Beginn des Haddsch. Al-Sheik stellte einen riskanten Zeitplan auf, doch er hatte keine andere Wahl. Er musste sich um eine Million Dinge kümmern und hatte nur eine eng begrenzte Zeitspanne, um das Unmögliche zu vollbringen.
Alles würde am Ende gutgehen, dachte er, während er sich erhob, um sein Arbeitszimmer zu verlassen und das Bett aufzusuchen — irgendwie gelang es immer. Inshallah — so Gott will. Während er im Bett lag, ging Al-Sheik tausenderlei durch den Kopf. Als ihm nach einiger Zeit klar wurde, dass an Schlaf nicht zu denken war, stand er wieder auf und begab sich in die Küche, um eine Kanne Tee zu kochen.
Die Challenger 604 befand sich über dem Mittelmeer, als der Pilot die Tür zum Cockpit aufriss und etwas nach hinten rief.
»Mr. Cabrillo«, sagte er, »Saudi-Arabien verweigert uns die Landeerlaubnis, solange wir keine ordnungsgemäßen Einreisepapiere haben. Wir müssen schnellstens entscheiden, was zu tun ist.«
Cabrillo überlegte kurz. »Weichen Sie aus nach Katar, ich setze mich in zwei Minuten mit dem Botschafter des Emirs in Verbindung. Keine Sorge, er wird unser Ersuchen befürworten.«
»Dann auf nach Katar«, rief der Pilot und schloss die Tür.
Die Sonne ging gerade auf, als Hickmans Hawker hinter dem Roten Meer die Grenze von Saudi-Arabien überflog und ihren Weg über die Wüste nach Riad fortsetzte. Nachdem er ohne Komplikationen gelandet war, lenkte der Pilot die Maschine zum Jet-Terminal und stoppte.
»Tanken Sie die Kiste auf und halten Sie sie startbereit«, wies ihn Hickman an.
Sobald die Tür aufglitt, ging er hinaus, die Treppe hinunter und betrat saudi-arabischen Boden. Unterm Arm trug er dabei den Behälter mit dem Meteoriten.
»Das ist also das Land, das ich ruinieren werde«, murmelte er, während er sich umsah und die von der Sonne ausgedörrte Gebirgslandschaft in der Nähe des Flughafens betrachtete, »das geistige Zentrum des Islam.«
Er spuckte aus, und sein Mund verzerrte sich zu einem bösartigen Grinsen.
Dann überquerte er das Flugfeld und ging auf eine wartende Limousine zu, die ihn ins Hotel bringen sollte.
Hickman hatte sich längst eingecheckt und schlief in seinem Hotelbett, ehe die Challenger über dem Indischen Ozean einen weiten Bogen flog, die Straße von Hormuz überquerte und dem Persischen Golf nach Katar folgte. Der Emir hatte seinen Einfluss nachhaltig geltend gemacht. Sein Botschafter hatte alles Notwendige für eine ungehinderte Einreise in die Wege geleitet. Auf Juan Cabrillo und sein Team warteten mehrere Hotelzimmer. Cabrillo würde mit dem Emir gegen Mittag zusammentreffen. Vorher wollte er ein paar Stunden Schlaf nachholen, um dem arabischen Herrscher später das Problem persönlich in allen Details darzulegen.
Der Pilot öffnete noch einmal die Tür zum Cockpit und rief: »Der Tower hat uns das Okay zur Landung gegeben, Sir.«
Cabrillo blickte durch das Fenster hinunter auf die azurblaue Fläche des Golfs. Daus, jene seltsam geformten Boote, die seit Jahrhunderten Fischer und alle möglichen Lasten transportieren, glitten friedlich durch das Wasser. Als sein Blick nach Norden wanderte, konnte Cabrillo in der Ferne die Umrisse eines riesigen Öltankers auf südlichem Kurs erkennen. Die von den massigen Schrauben des Tankers aufgewühlte Linie des Kielwassers zog sich als kilometerlange Spur quer durch den Ozean.
Cabrillo hörte, wie die Triebwerke der Challenger ihren Ton veränderten, als der Pilot den Schub reduzierte.
Dann ging die Maschine in den Sinkflug über, um die Landung einzuleiten.
Zwölf Hindus teilten sich ein billiges Apartment in einem älteren Gebäude in der Innenstadt Riads. Sie waren eine Woche zuvor mit Hilfe von befristeten Visa, in denen sie als Arbeiter ausgewiesen wurden, nach Saudi-Arabien gekommen. Sobald sie die Zoll- und Einreiseformalitäten erledigt hatten, waren sie verschwunden und hatten sich nicht bei der Arbeitsagentur gemeldet, die ihre Einreise arrangiert hatte.
Nacheinander waren sie in die Wohnung gekommen, die Hickman mit Wasser, Lebensmitteln und anderen Vorräten für mehrere Wochen ausgestattet hatte. Sie sollten sie weder verlassen noch mit irgendjemandem kommunizieren, sondern abwarten, bis man sich mit ihnen in Verbindung setzte.
Die zwölf Männer waren die einzige Hilfstruppe, die Hickman in Saudi-Arabien zur Verwirklichung des Plans einsetzen würde, den er sich zurechtgelegt hatte. Was er sich ausgedacht hatte, war oberflächlich betrachtet ziemlich simpel, in der Ausführung jedoch erheblich komplizierter. Er und die zwölf Hindus wollten zuerst einmal nach Mekka reisen. Dort beabsichtige Hickman, den heiligsten Artefakt des Islam, nämlich den »Schwarzen Stein«, einen angeblich von Abraham gefundenen Meteoriten, der in der Kaaba aufbewahrt wurde, zu stehlen und gegen den auf Grönland entdeckten Meteoriten auszutauschen.
Danach würde er den Stein Abrahams an einem ganz besonderen Ort zerstören.
Hickman hatte vor, dem Islam einen Stich ins Herz zu versetzen.
Er saß in Riad in seinem Hotelzimmer und betrachtete seine Notizen.
Mekka ist das Zentrum des Islam. Die Stadt war der Geburtsort Mohammeds und der Religion, die er gegründet hatte. Rund siebzig Kilometer vom Roten Meer entfernt in einer staubigen, mit Hügeln und Bergen übersäten Ebene gelegen, war die Stadt früher eine Oase an einer Handelsroute gewesen, die die Mittelmeerländer mit Arabien, Afrika und Asien verband. Der Legende zufolge hatte Gott zweitausend Jahre vor Christi Geburt Abraham befohlen, dort einen Schrein zu erbauen. Im Laufe der Jahrhunderte wurde dieser Schrein mehrmals zerstört und wiederaufgebaut. Im Jahr 630 übernahm der Prophet Mohammed die Macht in Mekka und entfernte sämtliche falschen Götzenbilder aus der Stadt. Mohammed ließ nur die Kaaba und den darin enthaltenen heiligen Stein an ihrem Platz. Er machte sie zum Zentrum seiner neuen Religion.
In den darauf folgenden Jahrhunderten wurde der Bereich mit dem heiligen Stein mit einer Reihe von Mauern und größeren und kunstvolleren Bauwerken umgeben. Der jüngste umfangreiche Neubau, ausgeführt im zwanzigsten Jahrhundert, wurde von der Herrscherfamilie Saudi-Arabiens finanziert. Es war die Al-Haram-Moschee, die größte Moschee der Welt.
Im Mittelpunkt dieser Moschee befindet sich die Kaaba, ein kleines würfelförmiges Gebäude, das mit schwarzem Brokat bedeckt ist, in den mit goldenen Fäden Koransprüche eingestickt sind. Diese Stoffumhüllung wird jährlich ausgewechselt, zu dem wird einmal im Jahr der Fußboden um die Kaaba in einer rituellen Geste der Demut vom Herrscher Saudi-Arabiens gesäubert.
Pilger kommen in Scharen, um den heiligen Stein zu küssen und aus der Zamzam-Quelle — die in der Nähe liegt — zu trinken.
In weniger als einer Woche würden über eine Million Menschen an der Kaaba vorüberziehen.
Im Augenblick war sie jedoch wegen der Vorbereitungen zu diesem Termin geschlossen.
Hickman schaltete in seinem Hotelzimmer den Computer ein und rief die Homepage einer seiner in der Weltraumforschung tätigen Firmen in Brasilien auf. Dort hatte er seine wichtigsten Dateien gespeichert. Nachdem er die Bilder und Dokumente heruntergeladen hatte, ging er sie konzentriert durch.
Er betrachtete eine Luftaufnahme von der Moschee in Mekka.
Die Al-Haram-Moschee, auch Große Moschee genannt, ist ein riesiges Bauwerk. Wuchtige Mauern und kunstvolle Bogengänge umgeben den ganzen Bereich und türmen sich zu mehreren Etagen auf. Neun Minarette ragen neunzig Meter hoch in die Luft. Insgesamt vierundsechzig Tore gestatten den Pilgern den Zugang zum Heiligtum. Das gesamte Gelände hat eine Fläche von über siebzigtausend Quadratmetern.
Die Moschee lässt die Kaaba, deren Grundfläche nur zwölf mal zehn Meter misst, geradezu winzig erscheinen.
Alles, was Hickman und sein Team schaffen mussten, war, hinter den Vorhang zu gelangen, der die Kaaba verhüllte, dann den heiligen Stein zu entfernen, der in etwa ein Meter fünfzig Höhe in einer silbernen Fassung in einer Wand an der südöstlichen Ecke des Bauwerks ruhte, und ihn durch den Stein aus Grönland zu ersetzen. Danach brauchten sie die Moschee nur noch möglichst unbemerkt zu verlassen.
Alles in allem erschien das Unternehmen so gut wie undurchführbar.
Das Telefon in seinem Zimmer klingelte. Es war der Angestellte am Empfang, der ihn darüber informierte, dass ein Paket für ihn abgegeben worden sei. Hickman bat darum, ein Page möge das Paket zu ihm herüberbringen. Ein paar Minuten später klopfte es an der Tür.
Hickman öffnete, gab dem Pagen ein Trinkgeld und nahm das Paket entgegen.
Vor der französischen Küste drosselte die Oregon ihre Fahrt.
»Ich hab’s auf dem Radar«, sagte Eric Stone zu Max Hanley.
Hanley nickte und verfolgte auf dem Bildschirm, wie die Außenkameras das Auftauchen des Wasserflugzeugs aus der Dunkelheit ins Schiff übertrugen. Langsam sank das Flugzeug herab, wasserte und trieb auf das Schiff zu. Hanley wartete, bis die Matrosen das Flugzeug am Schiff vertäut hatten und die Insassen der Maschine ausgestiegen waren. Dann griff er nach dem Funkgerät.
»Hallo, Judy«, begrüßte er die Pilotin.
»Ja, was ist, Max?«
»Das Schiff ist unterwegs ins Rote Meer. Wie viel Schlaf hast du in letzter Zeit gehabt?«
»Nicht viel«, gab Judy Michaels zu.
»Am besten landest du irgendwo in Spanien und suchst dir ein Hotelzimmer«, empfahl Hanley. »Wenn du richtig ausgeruht bist, setzt du deinen Weg nach Süden fort. Ich würde an deiner Stelle auf einem Flugplatz in Süditalien Station machen — damit wärest du nahe genug am Geschehen, um jederzeit eingreifen zu können, wenn wir dich brauchen.«
Das Wasserflugzeug hatte sich als nützliches Hilfsmittel erwiesen, aber es war einfach zu groß, um an Bord des Schiffes mitgeführt zu werden.
»Gute Idee, Max«, sagte Judy.
»Einer der Männer kommt zu dir raus und bringt dir zwei Päckchen Hunderter«, fuhr Hanley fort, »insgesamt zehntausend Dollar. Kannst du allein fliegen, oder möchtest du, dass dich jemand begleitet?«
»Nicht nötig, Max«, erwiderte sie, »ich komme ganz gut zurecht.«
»Wenn du mehr Geld brauchst, melde dich«, sagte Hanley. »Wir können es dir telegrafisch überallhin überweisen. Und jetzt sieh zu, dass du möglichst bald Schlaf bekommst, aber vergiss nicht, dafür zu sorgen, dass die Maschine ständig startbereit ist.«
»Okay, Max.«
»Und noch eins, Judy«, sagte Hanley, »du hast einen tollen Job gemacht. Das war deine erste Mission als leitende Pilotin, und du sollst wissen, dass die Corporation froh ist, dich in ihren Reihen zu haben.«
»Max«, Eric Stone erhob die Stimme, »George ist mit dem Robinson im Anflug.«
Judy Michaels drehte sich um und schaute dorthin hoch, wo, wie sie wusste, eine Überwachungskamera installiert war. Sie gab Hanley mit dem Daumen ein Okay-Zeichen, dann stieg sie zurück in ihre Maschine und verriegelte die Tür. Sie begab sich in das Cockpit, startete die Motoren und schaltete das Mikrofon ein.
»Ich höre George bereits über Funk«, meldete sie, »daher verschwinde ich jetzt lieber.«
Die Leinen wurden auf die Oregon gezogen, und Judy Michaels lenkte ihr Flugzeug langsam vom Schiff weg. Sobald sie sich in sicherer Distanz befand, gab sie Gas, brachte das Wasserflugzeug auf Startgeschwindigkeit und hob ab. Indem sie eine leichte Linkskurve flog, nahm sie Kurs auf Spanien.
»Holen wir George sicher an Bord«, sagte Hanley jetzt, »damit wir wieder auf volle Kraft voraus gehen können.«
Zwei Minuten später erschien der Robinson über dem Schiffsheck und sank auf das Landefeld herab.
Sobald der Hubschrauber auf dem Deck gesichert war, wurde die Oregon auf Hanleys Befehl wieder zum Rennpferd.
Juan Cabrillo schlief bis elf Uhr vormittags wie ein Stein, als er von der Rezeption telefonisch geweckt wurde. Er bestellte das Frühstück und rief dann Pete Jones an.
»Ich bin schon wach, Juan«, meldete dieser sich.
»Beeil dich mit deiner Morgentoilette und komm zum Frühstück auf mein Zimmer«, sagte Cabrillo.
»Gib mir zwanzig Minuten«, erwiderte Jones.
Cabrillo hatte bereits geduscht und rasierte sich gerade, als der Zimmerkellner an die Tür klopfte. In einen Bademantel gehüllt, öffnete er die Tür und zeigte dem Kellner, wo dieser den Servierwagen hinstellen sollte. Dann ging er zum Kleiderschrank, holte seine Brieftasche aus einer Jacke und wollte dem Kellner einen Geldschein in die Hand drücken.
»Tut mir Leid, Sir«, sagte der Kellner, »der Emir hat bereits alles erledigt.«
Der Kellner verschwand, ehe Cabrillo widersprechen konnte. Er rasierte sich zu Ende und zog frische Kleider an. Soeben hatte er den Fernseher eingeschaltet, um einen Nachrichtensender zu suchen, als Jones an die Tür klopfte. Cabrillo ließ ihn herein, und beide Männer begannen zu frühstücken. Jones hatte sein Omelett zur Hälfte verzehrt, ehe er etwas sagte: »Ich kenne den Emir nicht, Juan. Wie ist er so?«
»Der Emir ist Mitte fünfzig und vertritt recht fortschrittliche Ansichten«, erzählte Cabrillo. »Außerdem hat er ein paar Jahre lang dem amerikanischen Militär gestattet, hier eine Basis zu unterhalten. Man kann sogar behaupten, dass der zweite Golfkrieg ohne diesen Flugplatz wahrscheinlich niemals stattgefunden hätte.«
»Und wie sind seine Beziehungen zu Saudi-Arabien?«
»Im Allgemeinen gut«, antwortete Cabrillo, »aber das kann sich von Tag zu Tag ändern. Die Saudis bewegen sich stets auf einem sehr schmalen Grat. Zum einen erwecken sie den Eindruck, als sympathisierten sie mit dem Westen, was die gesamte arabische Welt im Augenblick vom Emir annimmt, auf der anderen Seite haben sie es in ihrer eigenen Bevölkerung mit einem hohen Anteil an muslimischen Fundamentalisten zu tun. Wie leicht es da zu ernsten Konflikten kommen kann, haben wir mehr als einmal erleben müssen.«
Cabrillo hatte seinen letzten Bissen kaum verzehrt, als das Telefon klingelte.
»Unten wartet der Wagen«, sagte Cabrillo, nachdem er aufgelegt hatte. »Nicht mehr lange, und du kannst dir eine eigene Meinung über unseren Gastgeber bilden.«
Jones fand gerade noch Zeit, seine Tasse zu leeren, und folgte Cabrillo hinaus zum Fahrstuhl.
In Langley, Virginia, las Langston Overholt einen Bericht des MI5 über den nuklearen Sprengkopf, den die Corporation entschärft und unschädlich gemacht hatte. Großbritannien war gerettet und außer Gefahr, den Meteoriten aber hatte man noch nicht geborgen. Michelle Hunt war mittlerweile nach England gebracht worden, doch bis zu diesem Augenblick hatte Overholt keine Ahnung, wie ihnen die Frau nützlich sein könnte.
Hanley hatte sich vor gut einer Stunde gemeldet und Overholt auf den letzten Stand gebracht, doch eine kürzliche Meinungsverschiedenheit mit der amerikanischen Regierung wegen ihrer Unterstützung der Israelis hatte die Saudis zu äußerst schwierigen Verhandlungspartnern gemacht. Overholt hatte seinen direkten Gegenspieler bei der saudischen Geheimpolizei angerufen, um ihm die Theorie bezüglich der vergifteten Gebetsteppiche vorzutragen, doch bisher war keinerlei Reaktion darauf erfolgt.
Allmählich kam er zu der Überzeugung, dass er wohl den Präsidenten um Hilfe bitten müsste.
Was Overholt am meisten verwirrte, war die Tatsache, dass die Corporation, als sie die Maidenhead Mills durchsuchte, keinerlei Spuren vom Meteoriten oder irgendwelche Hinweise darauf gefunden hatten, dass er auf die Art und Weise bearbeitet worden war, wie sie anfangs angenommen hatten.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon.
»Ich habe die Satellitendaten, die Sie angefordert haben, Sir«, teilte ihm ein Angestellter der National Security Agency mit. »Ich schicke sie jetzt rüber.«
»Tun Sie das«, erwiderte Overholt, »aber verraten Sie mir schon jetzt, wohin die Hawker geflogen ist.«
»Nach Riad, Saudi-Arabien, Sir«, antwortete der Mann.
»Heute früh ist sie dort gelandet und hat sich bis jetzt nicht vom Fleck gerührt. Wir haben eine Aufnahme von der Maschine auf der Landebahn und die Angaben über ihren Kurs — das sind die Informationen, die ich Ihnen schicke.«
»Vielen Dank.« Overholt legte auf.
Dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück, griff in eine Schreibtischschublade und holte einen Tennisball heraus. Diesen warf er gegen die Wand und fing ihn auf, immer wieder. Nach ein paar Minuten unterbrach er diese Tätigkeit, nickte mit dem Kopf und richtete sich auf.
Er nahm den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer.
»Dokumentation und Recherche«, meldete sich eine Stimme.
»Ich brauche eine kurz gefasste Darstellung des Islam und eine Übersicht über seine heiligen Orte in Mekka.« Overholt konnte sich vage erinnern, vor Jahren während des Geschichtsunterrichts etwas von einem Meteoriten und seiner Bedeutung für den Islam gehört zu haben.
»Wie detailliert und wie schnell?«, fragte die Stimme.
»Eher grob und innerhalb einer Stunde«, antwortete Overholt, »und suchen Sie mir im Haus einen islamischen Experten und schicken Sie ihn in mein Büro.«
»Jawohl, Sir.«
Während Overholt wartete, setzte er sein Spiel mit dem Tennisball fort. Werfen, auffangen … werfen, auffangen … Er versuchte zu denken wie ein Vater, dem sein toter Sohn nicht aus dem Kopf gehen will. Wie weit würde er sich treiben lassen, um seinen Tod zu rächen? Wie konnte er die Bestie, die die Mörder schützte, am besten mitten ins Herz treffen?
Der Palast des Emir, der auf einem Hügel mit Blick auf den Persischen Golf stand, war ein Prachtbau. Umgeben von einer hohen Steinmauer, innerhalb derer sich ein Hof mit Garagen, eine parkähnliche Wiesenlandschaft und mehrere Teiche befanden, vermittelte die Palastanlage einen überraschend freundlichen, heiteren Eindruck — nicht zu vergleichen mit den langweiligen und tristen Regierungsbauten, die man in großer Zahl in England und Europa antreffen kann.
Als die Limousine durch das Tor fuhr und in die runde Auffahrt zum Eingang des Palastes einbog, wurden mehrere Pfauen und ein Flamingopaar aufgescheucht. Ein Stück entfernt war ein Mechaniker in einem khakifarbenen Overall damit beschäftigt, einen Lamborghini Geländewagen mit Autoshampoo zu reinigen, während zwei Gärtner die Früchte eines Pistazienbaums ernteten.
Die Limousine stoppte vor dem Eingang, und ein Mann, mit einem westlichen Straßenanzug bekleidet, kam heraus.
»Mr. Cabrillo«, sagte er, »ich bin Akmad Al-Thani, der persönliche Assistent des Emir. Wir haben vorhin miteinander telefoniert.«
»Mr. Al-Thani«, sagte Cabrillo, ergriff die ausgestreckte Hand des Mannes und schüttelte sie, »es ist mir eine aufrichtige Freude, Sie endlich auch einmal persönlich kennen zu lernen. Dies hier ist mein Geschäftspartner, Peter Jones.«
Jones schüttelte Al-Thani ebenfalls die Hand und lächelte.
»Wenn Sie bitte hier entlang kommen würden«, sagte Al-Thani und ging zur Tür, »der Emir erwartet Sie im Salon.«
Cabrillo folgte al-Thani mit Peter Jones im Schlepptau.
Sie betraten ein großzügiges Foyer mit Marmorfußboden und zwei geschwungenen Treppen auf beiden Seiten, die zu den oberen Etagen führten. Mehrere Marmorstatuen waren geschmackvoll um einen großen auf Hochglanz polierten Mahagonitisch aufgestellt worden, in dessen Mitte sich ein großzügiges Blumenarrangement befand. Zwei Zimmermädchen in klassischer Tracht eilten geschäftig umher, und in einer Nische gab ein Butler in schwarzem Frack einem Arbeiter Anweisungen, der soeben einen Spotscheinwerfer justierte, der ein Gemälde — allem Anschein nach war es ein echter Renoir — beleuchtete.
Al-Thani ging weiter durch einen Flur, der in einen Raum führte, dessen eine Wand vollständig verglast war und auf das Wasser hinausging. Die Grundfläche des Raums betrug knapp tausend Quadratmeter, auf denen sich mehrere Sitzgruppen verteilten, die durch grüne Topfpflanzen teilweise vor neugierigen Blicken abgeschirmt wurden. Mehrere Plasmabildschirme waren in der Halle aufgestellt worden, und sogar ein Konzertflügel gehörte zur Einrichtung.
An diesem Flügel saß der Emir und hörte sofort auf zu spielen, als die Männer hereinkamen.
»Vielen Dank für Ihren Besuch«, sagte er, während er sich erhob.
Er kam mit ausgestreckter Hand auf Cabrillo zu. »Juan«, sagte er, »es ist mir stets ein Vergnügen, mit Ihnen zusammenzutreffen.«
»Euer Exzellenz«, erwiderte Cabrillo ebenfalls lächelnd und drehte sich halb zu Jones um, »mein Geschäftspartner, Peter Jones.«
Jones ergriff die Hand des Emir und schüttelte sie kräftig. »Sehr angenehm«, sagte der Emir und deutete auf einige Sofas in der Nähe. »Nehmen wir dort Platz.«
Die vier Männer ließen sich nieder, und wie durch einen geheimen Zauber tauchte plötzlich ein Kellner auf.
»Tee und Gebäck«, verlangte der Emir.
Der Kellner verschwand so schnell, wie er erschienen war.
»Wie ging denn nun die Sache in Island aus?«, fragte der Emir.
Cabrillo berichtete ihm die Einzelheiten. Der Emir nickte.
»Wenn Sie und Ihre Männer nicht dort gewesen wären und den Austausch durchgeführt hätten«, sagte der Emir, »wer weiß, wo ich jetzt wäre.«
»Al-Khalifa ist tot, Euer Exzellenz«, sagte Cabrillo, »damit sind Sie eine Sorge los.«
»Trotzdem«, sagte der Emir, »möchte ich, dass die Corporation eine gründliche Bewertung meiner Sicherheit und der Gefahren für meine Regierung vornimmt, und zwar so bald wie möglich.«
»Das tun wir gern«, sagte Cabrillo, »aber im Augenblick gibt es eine viel dringlichere Angelegenheit, über die wir reden müssen.«
Der Emir nickte. »Bitte, tun Sie sich keinen Zwang an.«
Und Cabrillo begann mit seinen Ausführungen.
Die drei mit vergifteten Gebetsteppichen gefüllten Frachtcontainer standen am Rand des Frachtterminals des Riyadh Airport hinter einem Maschendrahtzaun, der eine Fläche von mehreren Fußballfeldern umschloss. Wäre die Zeit bis zum Beginn des Haddsch nicht so knapp gewesen, wären die Teppiche längst weitertransportiert und ausgeladen worden. Da sie jedoch zu spät eingetroffen waren, mussten sie mit einem weitaus ungünstigeren Platz auf der Prioritätenliste vorlieb nehmen. Solange sie sich am Tag vor dem Beginn des Haddsch in der Nähe der Kaaba befanden, betrachtete Al-Sheik diesen Punkt als erfolgreich erledigt.
Im Augenblick war der Planer mit weitaus dringenderen Angelegenheiten beschäftigt. Es gab da noch fast eine Million Plastikflaschen mit Mineralwasser, die verteilt werden mussten, zehntausend tragbare Toiletten zur Ergänzung derer, die bereits auf dem Gelände aufgestellt worden waren, sechs vollständige in Zelten untergebrachte Erste-Hilfe-Stationen, die den äußersten Ring um das Gelände bildeten, und zehntausend tragbare Mülleimer.
Kartons mit bedruckten Flugblättern und Souvenirs, kostenlose Koran-Exemplare und Postkarten und Kartons voller Tuben mit Sonnencreme warteten auf Paletten auf ihre weitere Verwendung. Lebensmittel für die Pilger, sechstausend Besen für die Arbeiter, um den täglich anfallenden Schmutz zu entfernen, tragbare Schirme für den Fall, dass es regnete. Und schließlich zwölf große Kisten mit Ventilatoren, die zur Belüftung an entsprechenden Stellen innerhalb der Großen Moschee aufgestellt werden sollten.
Doch Al-Sheik hatte mit den Sicherheitsmaßnahmen nichts zu tun.
Dafür war die saudi-arabische Geheimpolizei zuständig.
In einem abgesperrten Bereich des Frachtterminals wurden bereits Lastwagen beladen, um sicherheitsrelevante Gerätschaften nach Mekka zu bringen — unter anderem eine vollständig ausgerüstete Kommandoeinrichtung mit Funkgeräten und Videoüberwachung; einhunderttausend Schuss Munition und Tränengas für den Fall, dass es zu Unruhen kommen sollte; eintausend Plastikhandschellen; vierzig ausgebildete Hunde mitsamt Zwingern, Nahrung und zusätzlichen Leinen und Halsbändern sowie ein Dutzend gepanzerte Mannschaftswagen, vier Panzer und Tausende von Soldaten.
Der alljährliche Haddsch war ein Riesenunternehmen, deren Kosten die saudische Königsfamilie übernahm.
Al-Sheik betrachtete sein Klemmbrett und hakte dann einen Lastwagen ab, der soeben das Flughafengelände verließ.
Der Emir hatte seinen heißen Tee getrunken und Cabrillo fast zwanzig Minuten lang zugehört, ohne ihn zu unterbrechen. Schließlich trat Stille ein.
»Gestatten Sie mir, Sie wenigstens ansatzweise mit der Geschichte des Islam vertraut zu machen?«
»Sehr gern«, sagte Cabrillo.
»Es gibt drei wichtige Orte für die islamische Religion, und zwar liegen zwei dieser Orte in Saudi-Arabien und der dritte in Israel. Der erste und heiligste Ort ist die Al-Haram-Moschee in Mekka, wo sich die Kaaba befindet, der zweite Ort ist Masjid al-Nabawi, die Moschee des Propheten in Medina, mit dem Grab Mohammeds. Der dritte Ort ist Masjid al-Aksa in Jerusalem, wo Mohammed auf einem Pferd zum Himmel aufgefahren ist, um mit Allah zu sprechen.«
Der Emir machte eine kurze Pause, trank von seinem Tee und fuhr dann fort.
»Die Kaaba ist für Muslime von ganz besonderer Bedeutung. Sie ist der Ort, an dem fünfmal am Tag gebetet wird: der Mittelpunkt unseres Glaubens. Hinter den Tüchern, die den heiligen Ort der Kaaba verhüllen, in dem Gebäude selbst, befindet sich der so genannte Schwarze Stein, den Abraham vor vielen Jahrhunderten gefunden und eigenhändig dort abgesetzt hat.«
Juan Cabrillo und Pete Jones nickten.
»Wie Sie bereits erwähnten, soll es sich bei diesem Stein um einen Meteoriten handeln, der von Allah den Gläubigen geschickt worden ist«, fügte der Emir hinzu.
»Könnten Sie den Stein etwas genauer beschreiben?«, fragte Jones.
Der Emir nickte. »Ich habe ihn selbst schon mehrmals berührt. Der Stein ist rund, mit einem Durchmesser von etwa dreißig Zentimetern. Und er ist schwarz. Was sein Gewicht betrifft, so kann ich nur schätzen, und ich würde sagen, er dürfte um die hundert Pfund schwer sein.«
»Das sind ungefähr auch die Maße des auf Grönland gefundenen Meteoriten«, stellte Cabrillo fest.
Die Miene des Emirs zeigte einen Ausdruck des Erschreckens.
»Ich habe vergessen, etwas Bestimmtes zu erwähnen, Euer Exzellenz«, sagte Cabrillo. »Unsere Wissenschaftler haben Grund zu der Annahme, dass in dem Grönland-Meteoriten ein Virus eingeschlossen ist, das freigesetzt werden könnte, wenn die Kugel gespalten wird.«
»Was für eine Art von Virus?«, wollte der Emir wissen.
»Ein Virus, das Sauerstoff mit enormer Geschwindigkeit verschlingt«, erklärte Cabrillo, »und auf diese Art und Weise ein Vakuum erzeugt, das alles, was sich in seiner Nähe befindet, in sich hineinsaugt.«
»Das wäre der Weltuntergang.« Der Emir war entsetzt.
»Ich muss irgendwie nach Saudi-Arabien«, sagte Cabrillo schnell, »um das zu verhindern.«
»Dies, mein Freund, ist schwieriger, als es auf den ersten Blick erscheinen mag«, sagte der Emir. »Seit dem Golfkrieg 2003 unterhalten König Abdullah und ich eine ziemlich schwierige Beziehung. Meine umfangreiche und ständige Unterstützung der Vereinigten Staaten — ich gestatte Soldaten ungehinderten Zugang in mein Land und den Bau einer Flugbasis — hat unsere Freundschaft empfindlich gestört, zumindest nach außen hin. Um die Hardliner in seinem Land friedlich zu stimmen und an der Macht zu bleiben, hat er mich öffentlich angreifen und verurteilen müssen.«
»Wenn Sie ihm die drohende Gefahr erklären, wird er sich gewiss besinnen«, sagte Jones.
»Ich werde es gerne versuchen«, versprach der Emir, »aber zur Zeit verkehren wir nur über Unterhändler miteinander. Und diese Art der Kommunikation ist sehr zeitaufwendig und mühsam.«
»Werden Sie es trotzdem versuchen?«, wollte Cabrillo wissen.
»Natürlich. Aber selbst wenn er Ihnen gestatten würde zu helfen«, sagte der Emir, »haben wir ein weiteres Problem. Und das ist sehr ernst.«
»Und welches wäre das?«, fragte Cabrillo.
»Die Stadt Mekka darf nur von Muslimen betreten werden.«
Scott Thompson war in Schweiß gebadet.
Dr. Berg hatte ihm soeben etwas auf den Kopf und über die Augen gesetzt, das aussah wie ein Headset für Videospiele, und es dann unverrückbar festgeschnallt. Bis jetzt hatte sich Thompson halten können. Man hatte ihm ein Wahrheitsserum injiziert, das bei ihm jedoch keine Wirkung gezeigt hatte. Dann war er während der letzten Tage pausenlos verhört worden, und man hatte sogar Telefonanrufe seiner Angehörigen aus den USA arrangiert, die ihm erklärten, was man ihnen angedroht hatte, falls er nicht zur Kooperation bereit sei.
Nichts hatte ihn jedoch zum Reden gebracht.
Thompson war auf solche Situationen vorbereitet worden: Man hatte ihm eingebleut, auf keinen Fall zu kapitulieren.
Er hatte gelernt, sich gegen das Wahrheitsserum zu wehren, war immer wieder daran erinnert worden, wie er sich bei Verhören verhalten müsse, und hatte die Tatsache verinnerlicht, dass die Vereinigten Staaten, ganz gleich, was man ihm erklärte, niemals unschuldigen Menschen Schaden zufügen würden, um ihn zum Reden zu bringen.
Doch über das, was jetzt geschah, hatte ihn niemand informiert.
Thompson spürte Bergs Atem dicht an seinem Ohr.
»Scott«, sagte Berg, »Sie werden gleich farbige Lichter sehen. Nach einiger Zeit werden sie bei Ihnen epileptische Krämpfe auslösen und ein brennendes Gefühl erzeugen, als würden Ihnen glühende Nadeln ins Gehirn gestoßen. Wenn Sie glauben, sich übergeben zu müssen, und dazu wird es kommen, werden Sie Ihren Kopf wahrscheinlich nicht bewegen können, daher sollten Sie darauf achten, nicht Ihr eigenes Erbrochenes einzuatmen. Es wird aber eine Krankenschwester bereitstehen, um Ihnen behilflich zu sein und alles abzusaugen. Haben Sie verstanden?«
Thompson bewegte den Kopf so gut es ging.
»Ich möchte Ihnen jedoch noch eine letzte Chance geben, uns entgegenzukommen, ehe wir anfangen. Sie sollten wissen, dass wir diese Technik nur sehr selten anwenden, weil zahlreiche Patienten bei dieser Therapie bereits auf der Strecke geblieben sind. Damit meine ich vegetative und katatonische Reaktionen bis hin zu tatsächlichen Todesfällen. Ist Ihnen klar, was das für Sie bedeutet?«
Fregattenkapitän Gant beobachtete das Geschehen aus einiger Entfernung. Er konnte unmöglich mit ansehen, was gleich geschehen würde, und gab ein Zeichen, dass er hinausgehen wolle. Berg winkte kurz, als er den Raum verließ. Dann setzte er sich vor eine Computertastatur und gab die entsprechenden Befehle ein.
Thompson begann zu zucken und bäumte sich gegen die Gurte auf, die ihn auf der Bahre fixierten.
Schließlich zappelte er wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Es war zwei Uhr nachmittags in Katar und neun Uhr morgens in Washington, D.C., als Langston Overholt seinen Telefonhörer abnahm. Juan Cabrillo vergeudete wirklich keine Zeit.
»Ich bin in Katar«, berichtete er. »Wir gehen jetzt davon aus, dass Hickman möglicherweise an einem der drei wichtigsten Orte des Islam zuschlagen wird.«
»Das wären die Kaaba, das Grab Mohammeds oder der Felsendom«, sagte Overholt. »Ich habe mich informiert.«
Overholt hatte am Vortag einige Stunden mit dem Islam-Experten der Agency verbracht und einen ganzen Stapel Dokumente gelesen, die die Recherche-Abteilung für ihn vorbereitet hatte.
»Sehr lobenswert«, sagte Cabrillo anerkennend.
»Außerdem habe ich von der National Security Agency sämtliche Kommunikation überprüfen lassen, die Hickman während der letzten Wochen geführt hat, und schließlich sehr interessante Ergebnisse erhalten«, sagte Overholt. »Er hatte Kontakt mit Pieter Vanderwald — soeben wurde von einer von Vanderwalds Tarnfirmen ein Expresspaket nach Saudi-Arabien geschickt.«
»Pieter, der Giftmischer?«, fragte Cabrillo.
»Genau der«, bestätigte Overholt.
»Jemand sollte sich seiner annehmen«, sagte Cabrillo.
»Ich habe eine entsprechende Anweisung herausgegeben«, erwiderte Overholt. »Im Augenblick ist ein Einsatzteam auf der Suche nach ihm.«
»Hast du in letzter Zeit mit Hanley gesprochen?«, erkundigte sich Cabrillo.
»Ja«, antwortete Overholt, »er beschrieb mir, was deine Männer in der Spinnerei in Maidenhead gefunden haben. Wir sind sicher, dass es irgendein Gift ist, das Vanderwald geliefert hat.«
»Und dieses Gift haben sie auf die Gebetsteppiche gesprüht«, sagte Cabrillo.
»Bestimmt hat er die Container versiegelt, sonst wären die Piloten während des Fluges erkrankt und mit der Maschine abgestürzt. Hickman ist verrückt, aber nicht dumm. Erst wenn die Container geöffnet werden, haben wir ein Problem.«
»Was stündlich geschehen kann«, sagte Cabrillo.
In diesem Moment begann das Faxgerät in Overholts Büro zu drucken. Er fuhr mit seinem Schreibtischsessel hinüber, nahm die bedruckten Bögen Papier aus dem Ablagefach, rollte zu seinem Schreibtisch zurück und überflog sie.
»Ich tippe darauf, dass er im Felsendom zuschlägt und den Israelis die Schuld für die ganze Affäre in die Schuhe schiebt«, sagte Overholt.
»Wie kommst du darauf?«, fragte Cabrillo.
»Erinnerst du dich noch an die Jacht, die den Meteoriten zu den Faröern gebracht hat und von unserer Flugkörper-Fregatte gestoppt wurde?«
»Klar«, sagte Cabrillo.
»Ich habe einen Spezialisten der NSA an Bord geschickt«, sagte Overholt. »Er hat den Rädelsführer am Ende doch zum Sprechen gebracht.«
»Und?«
»Vor zwei Wochen hat Hickman ein eigenes Team nach Israel geschickt, um den Felsendom mit Videokameras und Sprengstoff präparieren zu lassen. Wenn er es schaffen sollte, den Stein Abrahams zu stehlen, dann hat er offenbar vor, ihn nach Jerusalem zu bringen, durch die Explosion zu zerstören und anschließend das Video von dieser Tat weltweit vorzuführen.«
»Was ist mit der Operation in Saudi-Arabien?«, fragte Cabrillo. »Hat er darüber irgendetwas preisgegeben?«
»Offensichtlich wusste er nichts davon. Hickman muss mit den Vorbereitungen für dieses Unternehmen eine andere Gruppe betraut haben.«
»Dann solltest du mir einen Gefallen tun«, sagte Cabrillo.
»Ich höre.«
»Geh die Personalunterlagen des gesamten in Katar stationierten Militärs durch.«
»Weshalb?«
»Ich brauche jeden Muslim, den ich kriegen kann.«
»Wer wird sie in Mekka anführen?«
»Keine Sorge«, sagte Cabrillo, »dafür habe ich genau den richtigen Mann.«
Die Oregon lief soeben in die Straße von Gibraltar ein, als Hanley nach seinem Gespräch mit Juan Cabrillo auflegte. Er aktivierte sein Intercom.
»Hali und George sollen sofort in den Kontrollraum kommen«, sagte er und wiederholte die Bitte noch einmal.
Während er auf die beiden Männer wartete, wandte er sich an Eric Stone. »Ändere den Kurs und steuere Israel an, und zwar den Hafen, der Jerusalem am nächsten liegt.«
Eric Stone lud eine Landkarte auf seinen Monitor. Ashdod erfüllte mit seinem Hafen die geforderten Voraussetzungen. Er gab entsprechende Befehle ein, und das Steuerprogramm des Schiffs änderte automatisch seine Parameter. In diesem Moment betrat George Adams den Kontrollraum.
»Was gibt’s?«, erkundigte er sich.
»Du musst sofort deinen Helikopter startklar machen und Hali nach Tanger in Marokko bringen.«
»Und was soll ich danach tun?«, fragte Adams weiter.
»Tank deinen Vogel auf und komm zur Oregon zurück.«
»Wird sofort in die Wege geleitet«, sagte Adams und ging hinaus.
Wenig später erschien Hali Kasim im Kontrollraum.
»Bist du bereit, eine Operation zu führen?«, fragte Hanley.
»Klar, Max, jederzeit«, erwiderte Kasim grinsend.
»Juan ist zwar der Einzige, der Zugang zu euren Personalakten hat«, sagte Hanley, »aber wenn ich dich richtig verstanden habe, bist du Muslim. Stimmt das?«
»Das ist richtig.«
»Gut.« Max Hanley nickte zufrieden. »Die Challenger ist zurzeit von Katar nach Marokko unterwegs. Du musst einen Einsatztrupp nach Mekka bringen.«
»Und zu welchem Zweck, Max?«, fragte Kasim.
»Du« — Hanley sah seinen Kollegen ernst an — »wirst die Aufgabe haben, die heiligsten Orte des Islam zu beschützen.«
»Das wird mir eine große Ehre sein«, entgegnete Hali Kasim feierlich.
Sich als Nichtmuslim in Mekka aufzuhalten löste bei Hickman keinerlei Beklemmungen aus.
Er hasste die islamische Religion und alles, wofür sie stand. Nachdem er sich mit den zwölf Indern um vier Uhr nachmittags in dem Haus in Riad getroffen und sie über die bevorstehende Operation informiert hatte, starteten sie zu ihrer zehnstündigen Fahrt nach Mekka und zur Kaaba. Dazu benutzten sie einen gestohlenen Lieferwagen, dessen arabische Aufschrift auf den Seitenwänden ihn als Dienstfahrzeug einer Reinigungsfirma auswies. Die Inder selbst trugen wallend lange weiße Gewänder, und jeder war mit Schrubber, Putzeimer, Spachtel und Bürsten ausgerüstet.
Hickman hatte gegen ein entsprechendes Honorar an einen Fälscher einen Empfehlungsbrief in arabischer Sprache schreiben lassen, aus dem hervorging, dass der Trupp den Auftrag hatte, auf dem gesamten Gelände möglichst alle Kaugummireste zu entfernen. In einem hellgelben Plastikgerätewagen hatte Hickman hinter einer weißen Stoffabdeckung sowohl den Meteoriten als auch einige Spraydosen versteckt, die Vanderwald seiner letzten Lieferung beigepackt hatte. Bei jedem Hindu war eine Ladung C-6-Sprengstoff mitsamt einem winzigen Zeitzünder mit Klebeband in Taillenhöhe auf dem Rücken befestigt worden. An jedem ihrer Beine, verhüllt von den weiten Gewändern, die sie trugen, klebte außerdem eine Pistole — für den Fall, dass es irgendwelche unvorhergesehenen Schwierigkeiten geben sollte.
Der Lieferwagen stoppte vor dem Tor, durch das man in die riesige Moschee gelangte. Hickman und die anderen stiegen aus, holten den Gerätekarren, Eimer und Schrubber aus dem Lieferwagen und gingen auf den Torwächter zu. Hickman hatte für diesen Augenblick unermüdlich trainiert und sowohl die arabische als auch die Körpersprache erlernt. Er reichte dem Wächter den Empfehlungsbrief und begleitete dies mit einem entsprechenden Kommentar.
»Wir sind im Namen Allahs hier, um die heilige Stätte zu säubern«, sagte er mit gewichtigem Unterton.
Es war schon spät, der Wächter war müde und die Moschee geschlossen.
Es gab keinen Grund für ihn zu glauben, dass die Männer etwas anderes waren als das, wofür sie sich ausgaben — daher winkte er sie kommentarlos durch. Hickman, der den Karren vor sich herschob, erreichte als Erster das Innere des Schreins.
Sobald er sich in der Moschee befand, schob er sich eine Atemmaske mit Filter über Mund und Nase und drapierte seine Kopfbedeckung dergestalt um sein Gesicht, dass nur noch seine Augen zu sehen waren. Er gab den Hindus ein Zeichen, auszuschwärmen und die Sprengladungen rundum zu verteilen. Danach steuerte er gezielt auf die Kaaba zu.
Vier hoch gewachsene Männer in zeremoniellen Uniformen hielten an jeder Ecke des Bauwerks Wache. Alle fünf Minuten verließen sie ihre Standorte an den Ecken des schwarzen Würfels, wobei sie bei jedem Schritt die Füße übertrieben hoch hoben — wie die Wachsoldaten vor dem Buckingham-Palast. Jeder Wächter marschierte im Uhrzeigersinn von seiner Ecke zur nächsten, blieb dann stehen und nahm wieder stramme Haltung an. Sie hatten soeben den Positionswechsel vorgenommen, als sich Hickman mit seinem Karren näherte.
Er griff in den Karren hinein, öffnete eine der Spraydosen und schob sie dicht an den nächsten Wächter heran. Ein oder zwei Sekunden lang rührte sich der Wächter nicht, doch dann sank er auf die Knie, kippte nach vorne auf die Brust und streckte sich bäuchlings auf dem Marmorfußboden aus. Hickman schlüpfte mit dem Karren schnell unter den schwarzen Brokatvorhang.
Nach wenigen Schritten stand er vor dem Stein Abrahams und hebelte ihn mit einem kurzen Stahlstab, den er ebenfalls im Karren versteckt hatte, aus seiner Silberfassung. Schnell tauschte er ihn gegen den Meteoriten aus Grönland aus und deponierte den Stein Abrahams unter der weißen Stoffverkleidung des Gerätekarrens. Außerdem legte er noch einige Sprengladungen und tauchte mit dem Karren wieder unter dem schwarzen Tuch auf.
Vanderwald hatte darauf hingewiesen, dass die Wirkung des Betäubungsgases, das er geliefert hatte, nur drei oder vier Minuten lang anhielt. Danach würde jeder, der das Gas eingeatmet hatte, wieder zu sich kommen. Hickman beeilte sich, den Karren in Richtung Ausgang zu schieben.
Die Hindus gingen zügig zu Werke. Die ersten sechs hatten die dem Eingang am nächsten stehenden Säulen mit Sprengladungen versehen und warteten bereits vor dem Durchgang. Zwei weitere erschienen kurz darauf, danach kamen noch zwei.
Hickman verfolgte, wie die letzten beiden Männer im Laufschritt auf ihn zukamen.
Mit den Hindus im Schlepptau ging Hickman mit dem Gerätekarren an dem Wächter vorbei, der sich am Eingang befand.
»Was hat das zu bedeuten?«, wunderte sich der Wächter über ihre schnelle Rückkehr.
»Wir bitten tausendmal um Entschuldigung«, erwiderte Hickman auf Arabisch, wobei er mit dem Karren zum Lieferwagen weiterging, »man hat uns erklärt, wir sollten erst morgen Abend zum Saubermachen herkommen.«
Hickman und seine Männer zwängten sich in den Lieferwagen und fuhren soeben los, als der Wächter aufwachte. Er wälzte sich einige Sekunden lang benommen herum, bis er sich aufgesetzt hatte, dann sah er sich um, ob jemand etwas bemerkt hatte. Der Wächter an der anderen Ecke blickte in die andere Richtung, wie die Vorschriften es verlangten. Er stand schwankend auf und blickte auf seine Uhr. Noch anderthalb Minuten bis zum Platzwechsel. Der Wächter entschied, die Tatsache seiner Ohnmacht für sich zu behalten. Er wusste: Wenn er jemandem davon erzählte, würden sie ihn noch vor dem Haddsch auswechseln.
Der Mann hatte sein ganzes Leben lang davon geträumt, Wächter am Heiligtum des Islam zu sein. Ein leichter Hitzschlag oder eine harmlose Lebensmittelvergiftung dürften auf keinen Fall die Erfüllung dieses Traums verhindern.
Hickman dirigierte den Fahrer zu der Straße, die zur Stadt Rabigh am Roten Meer führte.
Dort angekommen, würden sich die Hindus in einem Haus verstecken, das er gemietet hatte. Am nächsten Tag führen sie nach Medina. Hickman wollte nicht in Rabigh übernachten. Im Hafen wartete ein Schiff. Bereits beim ersten Licht des Tages wäre er an Bord und unterwegs nach Norden.
Overholt saß im Oval Office. Er beendete seinen Vortrag und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
»Das ist eine Riesenschweinerei, Langston«, stellte der Präsident fest.
Overholt nickte langsam.
»Unsere Beziehungen zu Saudi-Arabien sind auf einem Tiefpunkt«, fuhr der Präsident fort. »Seit Senator Grant den Antrag durchgebracht hat, Saudi-Arabien als Basis der Terroristen vom 11. September zu betrachten und der Kongress einer Sondersteuer auf saudisches Rohöl zustimmte, haben es unsere Diplomaten kaum mehr geschafft, persönliche Treffen unserer Regierungsvertreter zu arrangieren. Die letzten Umfragen ergaben, dass die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung der Meinung ist, wir hätten Saudi-Arabien und nicht den Irak angreifen sollen, und jetzt erzählen Sie mir, dass ein verrückter amerikanischer Milliardär Attentate auf die heiligsten Stätten dieses Staates plant.«
»Ich weiß, es ist ein Pulverfass, Mr. President.«
»Ein Pulverfass?«, brüllte der President. »Es ist noch viel schlimmer als das. Wenn Hickman Gebetsteppiche vergiftet hat und den Stein Abrahams umtauscht und das passiert, was Sie annehmen, dann sehe ich drei wesentliche Dinge, die geschehen können. Das Erste ist völlig klar — die Saudis stoppen ihre Öllieferungen nach Amerika. Das wird uns in eine weitere Rezession stürzen, obwohl wir doch die letzte noch nicht richtig überwunden haben — das wäre ein Schlag, den unsere Wirtschaft nicht verkraften kann. Zweitens würde die Tatsache, dass Hickman Amerikaner ist, die Flammen des Hasses bei den Terroristen erst recht auflodern lassen. Sie werden in die USA strömen, um das totale Chaos auszulösen. Seien wir doch ehrlich, die kanadische und die mexikanische Grenze sind durchlässig wie weitmaschige Siebe. Mit Ausnahme vielleicht der Errichtung einer hohen Mauer gibt es nicht viel, das wir tun können, wenn jemand fest entschlossen ist, unser Land zu betreten. Der dritte Punkt ist wahrscheinlich der schlimmste. Wenn der Grönland-Meteorit zerschmettert wird und ein Virus freigibt, das dem in der Arizona-Probe entspricht, dann haben die beiden ersten Punkte ohnehin keine weitere Bedeutung mehr. Der Sauerstoff würde aus unserer Atmosphäre gesogen, so dass wir am Ende nur noch Staub atmen können.«
Overholt nickte langsam. »Die beiden ersten Punkte lassen sich leicht unter Kontrolle halten, wenn das, was der CIA-Experte von dem gefangenen Terroristen erfahren hat, der Wahrheit entspricht. Dieser Hickman hat die Absicht, die Schuld an der ganzen Affäre auf Israel zu schieben.«
»Unglücklicherweise habe ich so gut wie keinen Erfolg gehabt, obwohl ich alles versucht habe, den Israelis abzugewöhnen, ständig mit unserer Hilfe zu rechnen. Die arabische Welt glaubt, dass die Vereinigten Staaten und Israel eng miteinander verbunden sind — und das sind wir auch. Falls Israel die Schuld zugeschoben wird, dürfte es mit arabischen Truppen jeder Nation überrannt werden, die über Militär verfügt. Und wir wissen genau, was dann geschieht.«
»Die Israelis würden zur Atombombe greifen«, sagte Overholt.
»Also, was können wir tun?«, fragte der Präsident. »Nennen Sie mir einen Ausweg aus dieser Situation?«
»Die einzige Möglichkeit, diese Geschichte zu bewältigen, besteht darin, die Gebetsteppiche aus dem Verkehr zu ziehen, Hickman festzunehmen und den Meteoriten irgendwie an seinen angestammten Ort zu bringen — falls er ihn bereits ausgetauscht hat — und anschließend die gesamte Pilgerstätte nach Sprengstoff zu durchsuchen.«
»Und alles, ohne dass die saudi-arabische Regierung auch nur die geringste Ahnung hat, was wir tun«, sagte der Präsident. »Das ist ein bisschen viel verlangt.«
»Mr. President«, sagte Overholt, »haben Sie eine bessere Idee?«
Am 4. Januar 2006, in Katar war es fünf Uhr morgens, klingelte das Telefon in Juan Cabrillos Hotelzimmer.
»Juan, ich bin’s«, meldete sich Overholt. »Ich komme gerade vom Präsidenten und habe Anweisungen für dich.«
Cabrillo richtete sich im Bett ruckartig auf. »Lass hören.«
»Es soll alles ohne Beteiligung der Saudis geschehen«, sagte Overholt. »Tut mir Leid, nur so und nicht anders darf die Geschichte laufen.«
Cabrillo atmete pfeifend aus — und es war am anderen Ende der Leitung deutlich zu hören. »Wir haben sechs Tage bis zum Haddsch, wenn zwei Millionen Pilger Mekka und Medina bevölkern, und du willst, dass ich ein Team reinschicke, um was zu tun?«
»Zuerst um Hickman zu suchen«, sagte Overholt, »und um festzustellen, was mit dem Meteoriten geschehen ist — wenn er gegen den Stein Abrahams ausgetauscht wurde, müsst ihr den Tausch rückgängig machen. Dann durchsucht ihr die Al-Haram- und die Al-Nabawi-Moschee und vergewissert euch, dass sie nicht präpariert wurden, um während des Haddsch in die Luft gesprengt zu werden. Danach verschwindest du mit dem Team aus Saudi-Arabien, ehe jemand davon Wind bekommt, dass ihr euch dort herumtreibt.«
»Ich spreche ungern vom Geschäft, während deine Fantasie wilde Kapriolen schlägt«, sagte Cabrillo, »aber hast du eine Vorstellung, was das die Vereinigten Staaten kosten wird?«
»Eine achtstellige Zahl?«, schätzte Overholt.
»Vielleicht kommt noch eine Stelle hinzu«, sagte Cabrillo.
»Demnach könntet ihr es schaffen?«
»Vielleicht, aber dafür brauche ich die geballte Kraft des Verteidigungsministeriums und sämtlicher Geheimdienste als mögliche Unterstützung.«
»Du musst nur rufen«, erwiderte Overholt, »und sie werden springen. Da bin ich mir ganz sicher.«
Cabrillo legte auf und wählte sofort eine neue Nummer.
Eine Stunde später, während Juan Cabrillo in seinem Hotel unter der Dusche stand, trat Hali Kasim vor einem Hangar am Rand der U.S. Air Force Basis in Katar auf eine Rollbahn hinaus. Siebenunddreißig Männer standen dort herum — allesamt Soldaten muslimischen Glaubens, von Diego Garcia im Indischen Ozean bis Afrika. Alle waren am Vortag mit Militärflugzeugen von ihren verschiedenen Stützpunkten nach Katar geflogen worden.
Niemandem war bisher mitgeteilt worden, weshalb man sie zusammengeholt hatte.
»Meine Herren«, sagte Kasim, »bitte treten Sie an.«
Die Männer richteten sich aus und warteten in Rührt-euch-Haltung. Kasim überflog ein Schriftstück.
Dann blickte er hoch und begrüßte sie. »Mein Name ist Hali Kasim. Ich habe sieben Jahre in der U.S. Navy als Stabsfeldwebel W-4 in der Unterwassersprengstoffabteilung gedient, ehe ich ins Zivilleben übergewechselt bin. Ich wurde durch Erlass des Präsidenten zur Durchführung dieser Operation in den aktiven Dienst zurückgeholt und in den Dienstrang eines Fregattenkapitäns erhoben. Laut meinem Einsatzplan ist der nach mir ranghöchste Mann ein Hauptmann der Air Force namens William Skutter. Würde Hauptmann Skutter bitte vortreten?«
Ein hoch gewachsener schlanker Schwarzer in blauer Air-Force-Uniform machte zwei Schritte vorwärts.
»Hauptmann Skutter«, erklärte Kasim, »ist mein stellvertretender Kommandeur. Bitte kommen Sie zu mir und zeigen Sie sich allen Männern.«
Skutter marschierte auf Kasim zu, machte eine Kehrtwendung und blieb neben ihm stehen.
»Hauptmann Skutter wird Sie entsprechend Ihrer verschiedenen Dienstränge und Tätigkeiten während der nächsten Stunden in mehrere Teams aufteilen«, sagte Kasim. »Jetzt hingegen möchte ich Ihnen erläutern, weshalb jeder von Ihnen hierher abkommandiert wurde. Der Hauptgrund ist, dass Sie alle Angehörige des Militärs der Vereinigten Staaten sind. Zweitens und für diese Mission fast ebenso wichtig ist die Tatsache, dass Sie alle in Ihren Personalakten den Islam als Ihre Religion angegeben haben. Ist jemand hier, der nicht oder nicht mehr Muslim ist? Wenn ja, dann mögen der oder die Betreffenden bitte vortreten.«
Niemand rührte sich.
»Sehr schön, Gentlemen«, sagte Kasim, »wir planen eine Spezialoperation, für deren Durchführung wir Sie brauchen. Wenn Sie mir bitte in den Hangar folgen wollen. Dort haben wir Stühle aufgestellt und eine Art Konferenzraum eingerichtet. Sobald Sie alle Platz gefunden haben, werde ich Ihnen die nötigen Erklärungen geben und Ihre Fragen beantworten.«
Kasim ging auf den Hangar zu, während Skutter ihm wie ein Schatten folgte.
Die Männer setzten sich ebenfalls in Bewegung. Um ein Rednerpult waren mehrere Wandtafeln im Halbkreis aufgestellt worden. Auf Klapptischen waren verschiedene Waffen und andere technische Geräte zur Besichtigung zurechtgelegt worden. Hinzu kamen ein Trinkwasserspender sowie einige Reihen Klappstühle aus schwarzem Kunststoff.
Die Männer ließen sich darauf nieder, während Kasim und Skutter nach vorn zum Rednerpult gingen.
Selbst in einem Land, das so tief in Traditionen verwurzelt ist wie Saudi-Arabien, schaffte es die moderne Welt, die Vergangenheit zu verdrängen. Die Moschee des Propheten in Medina war ein Beispiel dafür. Ein umfangreiches Bauvorhaben, 1985 begonnen und 1992 abgeschlossen, vergrößerte die Anlage beträchtlich und brachte sie auf den neuesten Stand. Das Gelände wuchs um das Fünfzehnfache und maß schließlich ungefähr 600000 Quadratmeter. Die zusätzlich gewonnene Grundfläche bietet insgesamt einer Dreiviertelmillion Besuchern Platz. Drei neue Gebäude wurden hinzugefügt sowie ein riesiger Innenhof aus Marmor, der mit geometrischen Mustern verziert ist. Siebenundzwanzig zusätzliche Versammlungshöfe, versehen mit raffinierten — bei Bedarf verschiebbaren — Kuppeln, sowie zwei weitere große Betplätze, ausgestattet mit sechs mechanischen Schirmen, die je nach Wetterlage geöffnet oder geschlossen werden können, bestimmen jetzt die Silhouette der Pilgerstätte.
Sechs Minarette, jedes einhundertwanzig Meter hoch und mit einem riesigen Halbmond aus Messing gekrönt, der etwa fünf Tonnen wiegt, bilden einen imposanten neuen äußeren Ring um die heilige Stätte. Verschiedene Bereiche wurden mit goldenen Ornamenten und prachtvollen Wandkacheln verziert, Scheinwerfer und indirekte Beleuchtung illuminieren die zahlreichen architektonischen Feinheiten.
Die technischen Einrichtungen wurden gründlich überarbeitet. Man hat Rolltreppen installiert, um die Pilger in die oberen Etagen zu transportieren, außerdem wurde eine gigantische Klimaanlage gebaut. Das Kühlsystem, eines der größten und leistungsfähigsten, die je konstruiert wurden, pumpt mittlerweile siebzehntausend Gallonen gekühltes Wasser pro Minute durch ein Leitungsnetz, das unter der untersten Etage angelegt worden war.
Das gesamte System wird von einem Kontrollzentrum gesteuert, das gut sechs Kilometer von der Moschee entfernt ist.
Der Umbau der Moschee des Propheten und die Neubauten in der Umgebung der Kaaba hatten die saudi-arabische Regierung schätzungsweise zwanzig Milliarden Dollar gekostet. Das Unternehmen, das im Wesentlichen die Bauvorhaben an der Moschee des Propheten ausführte, war eine Firma, die damals wie heute von der Familie Osama bin Ladens kontrolliert wird.
Der Anführer der indischen Söldnertruppe betrachtete zum soundsovielten Mal die Lagepläne. Ehe er in Rabigh an Bord des Schiffes gegangen war, hatte Hickman unmissverständlich klar gemacht, dass das Grab Mohammeds in der Moschee des Propheten zerstört werden solle. Die Tatsache, dass bin Laden vom Umbau profitiert hatte, ärgerte ihn maßlos — Hickman wollte sein Werk vom Antlitz des Planeten tilgen.
Ein Bonus in zehnfacher Höhe des vereinbarten Honorars erwartete die Hindus, wenn sie die Operation erfolgreich abschlossen.
Bisher hatten sie eine Million Dollar in Gold erhalten — in ihrer Heimat eine Riesensumme. Selbst unter zwölf Männern aufgeteilt, reichte es für jeden von ihnen, in Zukunft ein recht komfortables Leben führen zu können. Die zusätzlichen zehn Millionen, die ihnen versprochen worden waren, würden sie geradezu steinreich machen.
Dazu brauchten sie nichts anderes zu tun, als bis nach Medina zu gelangen und sich in die unterirdischen Tunnel zu schleichen, wo die Leitungen mit dem gekühlten Wasser unter der Moschee verliefen. Sie müssten die Sprengladungen an den Stellen anbringen, die in den Lageplänen eingezeichnet waren, und dann nach Rabigh zurückkehren, wo Hickman ein anderes Schiff liegen hatte, um sie über das Rote Meer nach Port Sudan in Ägypten zurückbringen zu lassen.
Dort wartete dann ein Jet mit dem Gold und mehreren Wächtern. Sie würden die nächsten drei Tage in Port Sudan bleiben. Sobald die Moschee des Propheten am Morgen des 10. Januar, also zu Beginn des Haddsch, in Schutt und Asche läge, würde der Jet sie zusammen mit ihrem Gold nach Indien ausfliegen. Die Erledigung des Auftrags abzuwarten, ehe die letzte Rate bezahlt wurde, war eine Lektion, die Hickman bereits Jahrzehnte zuvor gelernt hatte.
Falls es einen Universalschlüssel zum Erfolg einer Operation gibt, besteht er darin, sich niemals auf nur ein einziges System zu verlassen. Das Desert-One-Unternehmen während der iranischen Geiselaffäre im Jahr 1980 hatte die Richtigkeit dieser Doktrin bestätigt. Damals hatte der Präsident nur ein Minimum an Helikoptern einsetzen wollen, und sobald die ersten Maschinen ausfielen, endete die gesamte Mission in einem Desaster.
Wenn man vor der Wahl steht, eine Waffe oder tausend zur Verfügung zu haben, sollte man sich stets für die größtmögliche Anzahl entscheiden. Systeme versagen, Bomben können sich als Blindgänger entpuppen und Waffen einen mechanischen Defekt haben.
Sowohl Kasim als auch Skutter waren sich dieser Tatsache bewusst.
»Sir, die primäre Gefahr geht im Augenblick von den Schiffscontainern in Riad aus«, sagte Skutter. »Sie haben bereits feststellen können, dass sie angeliefert wurden. Und sobald sie geöffnet werden — was irgendwann vor Beginn des Haddsch geschehen wird, der unserer Meinung nach als Start für alles andere anzusehen ist –, könnte diese ganze Operation scheitern.«
»Sobald es zu ersten Virusinfektionen kommt, wird Saudi-Arabien mit aller Härte einschreiten«, pflichtete ihm Kasim bei.
Die beiden Männer standen vor einer Landkarte, die im Hangar an eine Pinnwand geheftet worden war. Auf einem Tisch in der Nähe lagen einige Stapel katarische Reisepässe und Pilgervisa für Kasim und jeden der siebenunddreißig Angehörigen seines Teams. Die Regierungsbeamten des Emirs hatten die ganze Nacht gearbeitet, um sie bereitzustellen. Da es keine Fälschungen waren, würden sie jeder Überprüfung durch saudische Behörden standhalten. Da saudische Visa Katarern ohne weitere Fragen ausgestellt werden, hatten die Männer so eine Möglichkeit, ungehindert in das Königreich einreisen zu können.
»Dann schicken wir zwei Teams von jeweils vier Mann rein«, fuhr Kasim fort. »Damit bleiben uns dreißig Mann, die wir in Mekka einsetzen können.«
Skutter deutete auf eine Luftaufnahme, die die NSA Hali Kasim nach Katar gefaxt hatte. Das Foto zeigte den Frachthof des Flughafens in Riad. »Dank der Registrierungsnummern der Lieferung, die Ihre Leute in England ermittelt haben, können wir die Container identifizieren.«
Skutter umkreiste die drei Container mit einem Leuchtmarker.
»Gott sei Dank«, sagte Hali Kasim, »schreiben sie Identifizierungsnummern auf die Oberseite aller Container, damit die Kranführer sie erkennen können. Andernfalls hätten wir in diesem Durcheinander eine Menge Zeit mit der Suche verloren.«
»Wenn wir die beiden Teams in Position gebracht haben«, sagte Skutter, »wie wollen Sie dann weiter verfahren?«
»Sichern und entfernen«, antwortete Kasim. »Sobald wir wissen, dass die Container noch verschlossen sind, müssen wir sie auf Lkws laden und in die Wüste hinausfahren, bis wir entschieden haben, was mit ihnen geschehen soll — entweder zerstören wir sie an Ort und Stelle, oder wir bringen sie an einen sicheren Ort.«
»Ich bin mal die Personalakten durchgegangen«, sagte Skutter. »Wir haben einen Offizier der Army im Rang eines Stabsfeldwebels namens Colgan. Er kommt vom Geheimdienst der Army und hat undercover gearbeitet.«
»Colgan?«, fragte Kasim. »Das klingt irisch.«
»Er ist auf dem College zum Islam konvertiert«, erklärte Skutter. »Seine Akte enthält beste Beurteilungen und weist ihn als kühlen Kopf und äußerst kompetent aus. Ich denke, er ist der richtige Mann für diese Operation.«
»Dann sollten Sie sich ihn schnappen, ihm erklären, um was es geht«, entschied Kasim, »und ein Team für ihn zusammenstellen. Danach sollten sie alle schnellstens nach Riad fliegen. Wie ich von den Leuten des Emir weiß, startet hier in Katar gegen achtzehn Uhr die nächste Maschine.«
»In Ordnung, Sir«, sagte Skutter.
»Bleiben noch die Moscheen in Mekka und in Medina«, stellte Kasim fest. »Ich werde das Team in Mekka führen, während Sie Medina übernehmen. Jeder von uns hat vierzehn Mann zur Verfügung. Unsere Hauptaufgabe wird darin bestehen, die höchstwahrscheinlich von Hickman deponierten Sprengsätze zu suchen und unschädlich zu machen. Wir gehen rein, erledigen unsere Aufgabe und ziehen uns unbemerkt wieder zurück.«
»Und was ist, wenn Hickman die Meteoriten bereits vertauscht hat?«
»Daran arbeiten meine restlichen Leute zurzeit«, sagte Kasim.
Der indische Anführer blickte aus dem Fenster des Hauses in Rabigh. Die Sonne stand tief am Himmel, gleich würde die Nacht hereinbrechen. Von Riad bis Medina waren es gut dreihundert Kilometer, was einer Fahrzeit von fast vier Stunden entsprach. Dort angekommen, würden sie ein paar Stunden brauchen, um sich zu orientieren, den Zugang zum unterirdischen Tunnel außerhalb der Moschee zu suchen, den Hickman auf dem Lageplan eingezeichnet hatte, um dort einzudringen.
Weniger als eine Stunde würde es dauern, die Sprengladungen anzubringen und den Tunnel wieder zu verlassen.
Dann folgte die vierstündige Rückfahrt nach Rabigh. Wenn die Hindus bis zum Anbruch des nächsten Tages, des 6. Januar, das Schiff nach Ägypten erreichen wollten, müssten sie sich sputen.
Nach einer letzten Überprüfung der Kiste mit dem Sprengstoff gab der Anführer Befehl, die Kiste auf den Lastwagen zu laden. Wenige Minuten später waren sie unterwegs auf der Straße nach Medina.
Max Hanley stellte fest, dass das Wort Overholts diesmal Gold wert war. Er bekam, was immer er verlangte. Und er bekam es schnell.
»Wir sind sendebereit«, sagte Overholt am Telefon zu Hanley. »Öffnen Sie die Verbindung und überprüfen Sie die Bildqualität.«
Hanley gab Eric Stone ein Zeichen, gleich darauf holte dieser die Bilder auf einen Monitor. Kameras an der Einfahrt und an der Ausfahrt des Suezkanals zeigten die vorbeifahrenden Schiffe so deutlich, als stünden die Männer leibhaftig am Ufer des Kanals.
»Wunderschön«, schwärmte Hanley.
»Was brauchen Sie sonst noch?«, wollte Overholt wissen.
»Hat die Agency einen muslimischen Agenten in Saudi-Arabien?«
»Wir haben dort ein halbes Dutzend«, antwortete Overholt.
»Wir müssen in Erfahrung bringen, ob der Meteorit bereits ausgetauscht wurde«, sagte Hanley.
»Nicht mal unsere Leute schaffen es durch den Vorhang bis an den Schrein«, sagte Overholt. »Vier Wächter bewachen ihn rund um die Uhr.«
»Aber sie kommen in die Al-Haram-Moschee«, sagte Hanley. »Ihr Mann soll mit einem Geigerzähler so dicht wie möglich an den Schrein herangehen und sich dann verbeugen und beten. Falls sich der Grönland-Stein hinter dem Vorhang befindet, müsste der Geigerzählen radioaktive Strahlung anzeigen.«
»Gute Idee«, sagte Overholt. »Wir leiten sofort alles Nötige in die Wege und melden uns, sobald wir mehr wissen. Sonst noch etwas?«
»Wir brauchen möglichst detaillierte Satellitenfotos von beiden Moscheen sowie technische Diagramme, Lagepläne und was immer Sie beschaffen können.«
»Ich lasse so bald wie möglich ein Paket zusammenstellen und schicke es per Satellitenfunk und zur Sicherheit auch noch per Kurier«, versprach Overholt.
»Gut«, sagte Max Hanley. »Die Corporation wird versuchen, sich in Hickmans Rolle zu versetzen und seine Aktivitäten nachzuvollziehen. Sobald uns die Pläne vorliegen, stellen wir unser Team zusammen und überlegen, wie wir vorgehen würden, wenn wir die Moscheen zerstören müssten.«
»Ich werde für die Dauer der Mission in meinem Büro bleiben«, sagte Overholt. »Falls Sie irgendetwas hören oder brauchen, können Sie mich jederzeit anrufen.«
»Vielen Dank im Voraus«, sagte Hanley. »Wir werden das Kind schon schaukeln.«
Nach der Landung in Tel Aviv mietete Juan Cabrillo einen Wagen und fuhr zum Felsendom. Er betrat den Komplex durch den Eingang in der Nähe der Al-Aksa-Moschee und trat dann in den Innenhof, in dem sich der Felsendom befand. Der gesamte Bereich hatte eine Grundfläche von zwölf Hektar und bestand aus Gärten, Brunnen und verschiedenen Schreinen — und war mit Touristen und Gläubigen bevölkert.
Cabrillo begab sich in den Kuppelbau und betrachtete den Felsen, der mit Scheinwerfern angestrahlt wurde.
Es war leicht zu erkennen, dass dieser Punkt einst die höchste Spitze des Hügels gewesen war — der hoch aufragende kantige Fels war mit einer Galerie umgeben, so dass er von allen Seiten betrachtet werden konnte. Doch es war die Geschichte und keine besondere physikalische Eigenschaft des Steins, die ihn zum Mittelpunkt einer solchen heiligen Stätte machte. Eigentlich sah der Fels nicht anders aus als Tausende ähnliche in der näheren und weiteren Umgebung.
Cabrillo verließ den Dom und stieg hinunter zur Musalla Marwan.
Die Musalla Marwan erstreckt sich unter dem Innenhof in der südöstlichen Nische der Anlage. Auch bekannt als Salomons Ställe, ist der unterirdische Saal überkuppelt und wird durch lange Mauern mit Säulen und Rundbögen unterteilt. Zum größten Teil handelt es sich um nicht mehr als eine freie Fläche, die genutzt wird, um den zahlreichen Gläubigen zum Freitagsgebet Platz zu bieten.
Hier, in der unterirdischen Kühle, konnte Cabrillo den Mantel der Geschichte fast körperlich spüren. Millionen von Menschen hatten im Laufe der Jahrhunderte diesen Ort aufgesucht, um näher bei Gott zu sein. In der herrschenden Stille war nur das Plätschern einer weiter entfernten Quelle zu hören, und für einen Moment wurde Cabrillo von der Monstrosität von Hickmans Plan geradezu überwältigt. Irgendwo lauerte ein Mann, so sehr mit Hass und Rachegelüsten für seinen toten Sohn erfüllt, dass er der Welt gleich drei solcher Orte nehmen wollte. Cabrillo erschauerte. Millionen von Menschen hatten hier gekämpft und ihr Leben gelassen — ihre Seelen waren hier versammelt.
Cabrillo wandte sich zum Gehen.
Ganz gleich, welchen schändlichen Plan Hickman verfolgte, hier würde seine Durchführung beginnen — und es war an Cabrillo und der Corporation, ihn daran zu hindern. Er stieg die Treppe zum Tageslicht empor und erreichte wieder den Innenhof. Ein trockener, warmer Wind fächelte ihm ins Gesicht. Nachdenklich wanderte er zum Ausgang.
Auf einem Flugplatz in der Nähe von Port Said in Ägypten ließ Pieter Vanderwald eine alte Douglas DC-3 langsam ausrollen. Das Flugzeug hatte in einem langen und arbeitsreichen Leben alle möglichen Frachten kreuz und quer über den afrikanischen Kontinent transportiert. Die zweimotorige DC-3 ist ein legendäres Flugzeug. In den Jahren seit 1935 wurden Tausende von diesem Modell gebaut, Hunderte sind immer noch im Dienst. Die militärische Version des Flugzeugs, die C-47, wurde ausgiebig im Zweiten Weltkrieg, in Korea und sogar in Vietnam eingesetzt, wo man sie als Kampfflugzeug ausrüstete. Auch bekannt als Dakota, als Skytrain, Skytrooper und als Doug, war ihr am weitesten verbreiteter Spitzname Gooney Bird — nach einem schwerfälligen Entenvogel.
Der Gooney Bird, den Vanderwald lenkte, stand bereits mit einem Fuß auf dem Flugzeugfriedhof.
Vorgesehen zum Ausschlachten auf einem Schrottplatz in Südafrika und ohne gültige Betriebserlaubnis, hatte Vanderwald die Maschine für ein Butterbrot erstanden. Eigentlich überraschte es ihn, dass sie überhaupt die Reise nach Norden geschafft hatte, aber da war sie nun. Wenn die alte Kiste noch einen einzigen Flug zustande brachte, würde sie einen würdevollen Tod sterben.
Die DC-3 ist ein schwanzlastiger Tiefdecker. Ihr Cockpit sitzt vorne ziemlich hoch, während das Frachtabteil in einem leichten Winkel zur Rollbahn abfällt. Ihre Länge beträgt einundzwanzig Meter, sie besitzt eine Spannweite von fünfundneunzig Fuß.
Angetrieben von zwei 1200 PS Doppelsternmotoren, verfügt sie über eine Reichweite von 2.400 Kilometern und schafft eine Reisegeschwindigkeit zwischen 320 und 390 Stundenkilometern. Mit ausgefahrenen Bremsklappen kann sie vor der Landung fast bis auf Kriechtempo heruntergebremst werden.
In einer Zeit, in der Flugzeuge schlank und glatt wie Messerklingen sind, wirkt die DC-3 wie ein fliegender Amboss. Solide, stahlhart und allzeit bereit, ist das Flugzeug anspruchslos und erledigt seine Arbeit ohne viel Aufhebens. Sie gleicht einem Pick-up auf einem Parkplatz voller Corvettes.
Vanderwald schaltete die Motoren aus und schob das Cockpitfenster auf.
»Blockieren Sie die Räder und tanken Sie die Kiste auf!«, rief er dem ägyptischen Bodenhelfer zu, der ihn auf seinen Parkplatz auf der Rollbahn dirigiert hatte. »Und füllen Sie Öl nach. In Kürze kommt jemand, um mit ihr zur nächsten Etappe zu starten.«
Dann verließ Vanderwald das Cockpit, schlenderte den abfallenden Mittelgang hinunter, klappte die Treppe aus und stand gleich darauf auf der Rollbahn. Zwei Stunden später wartete er in Kairo auf einen Flug zurück nach Johannesburg. Sobald das Geld auf sein Konto überwiesen war, wäre seine Beteiligung beendet.
Cabrillo nahm den Anruf auf dem Mobiltelefon entgegen, während er zu seinem Mietwagen ging.
»Die Hawker hat soeben die Mittelmeerküste überflogen«, meldete Max Hanley. »Sieht so aus, als nehme sie Kurs auf Rom.«
»Ruf Overholt an und bitte ihn, die Maschine beschlagnahmen zu lassen, wenn sie in Rom landet«, verlangte Cabrillo. »Vielleicht hat sich Hickman entschlossen auszusteigen.«
»Das bezweifle ich, Juan«, sagte Hanley.
»Ich eigentlich auch«, gab Cabrillo zu. »Ich würde sogar wetten, dass er genau dies nicht tut.«
»Wie will er dann seine Flucht schaffen?«
Cabrillo überlegte einige Sekunden lang. »Ich glaube gar nicht, dass er das vorhat — ich vermute, er plant eine Selbstmordaktion.«
Sekundenlang blieb die Leitung still. »Wir werden das in unsere Überlegungen mit einbeziehen«, sagte Hanley schließlich.
»Ich muss jetzt Schluss machen, ich bin mit dem Mossad verabredet«, sagte Cabrillo. »Ich ruf dich nachher wieder an.«
Die Sonne ging unter, während der alte Perlenfischer mit Hickman an Bord in Khalij as-Suways am nördlichen Ende des Roten Meers einlief. Die achthundert Kilometer weite Reise von Rabigh war langsam, aber stetig verlaufen, und das Schiff würde an diesem Abend wie geplant den Suezkanal erreichen. Es war klein und eng, und Hickman hatte die Reisezeit entweder im kleinen Führerstand neben dem Steuermann oder auf dem Achterdeck verbracht, wo die Luft nicht vom Qualm der dünnen Zigarren verpestet wurde, die der Skipper ständig rauchte.
Der Stein Abrahams lag eingewickelt in eine Zeltplane auf dem Deck neben Hickmans einziger Reisetasche, die ein paar frische Kleider, einige Toilettenartikel und einen Ringhefter enthielt, in dem Hickman während der Reise immer wieder gelesen hatte.
»Hier sind meine Ergebnisse«, verkündete Julia Huxley, während sie den Kontrollraum betrat. »Ich habe die Fotos, die Michael und die anderen in Maidenhead gemacht haben, überarbeitet, und zwar habe ich die Gasmaske entfernt und mit Hilfe eines biometrischen Computerprogramms ein Komposit erzeugt.«
Max Hanley nahm die Disk entgegen und reichte sie an Eric Stone weiter, der sie in das Laufwerk des Hauptcomputers einlegte. Ein Bild erschien auf dem Monitor.
»Verdammt«, sagte Hanley, »der sieht überhaupt nicht so aus, wie es in den Gerüchten heißt.«
»Es ist geradezu unheimlich«, pflichtete Julia Huxley ihm bei, »aber es erscheint durchaus logisch. Wenn ich so menschenscheu wäre wie Hickman, würde ich natürlich auch dafür sorgen, so normal und durchschnittlich wie irgend möglich auszusehen — auf diese Weise würde ich nirgendwo auffallen.«
»Ich glaube, dieser Vergleich mit Howard Hughes war reiner Blödsinn«, meinte Eric Stone.
»Klick mal weiter, Stoney«, bat Julia Huxley.
Stone gab die entsprechenden Befehle ein, und das dreidimensionale Abbild eines Mannes erschien auf dem Bildschirm.
»Dies ist eine Simulation seiner Bewegungen«, erklärte Julia Huxley. »Jedes Individuum hat ganz typische Bewegungsabläufe. Wisst ihr eigentlich, was die Sicherheitsdienste der Kasinos als Merkmal benutzen, um Falschspieler zu identifizieren?«
»Was denn?«, fragte Eric Stone.
»Ihren Gang«, antwortete Julia Huxley. »Jemand kann sich verkleiden, seine äußere Erscheinung verändern, ja sogar bestimmte, ganz typische Bewegungen unterdrücken — aber niemand denkt daran, sich einen anderen Gang anzugewöhnen.«
Eric Stones Finger flogen über die Tastatur, das 3-D-Bild auf dem Monitor ging los, drehte sich und bewegte die Arme.
»Wir sollten eine Kopie davon anfertigen und sie Overholt schicken«, schlug Hanley vor. »Er kann sie an die zuständigen israelischen Organe weiterleiten.«
»Ich überlagere das Ganze mit den Kamerabildern vom Suezkanal«, bot Eric Stone an.
»Dann tu das«, sagte Hanley.
Zur gleichen Zeit, als Hanley die Bilder von Hickman betrachtete, verließen acht Männer ein Flugzeug, das sie von Katar nach Riad gebracht hatte, und gingen ungehindert durch die Zollkontrolle. Sie versammelten sich vor der Gepäckausgabe und stiegen in einen weißen Chevrolet Suburban, den das Außenministerium vom Angestellten einer Ölgesellschaft ausgeliehen hatte.
Dann fuhren sie zu einem Versteck, um dort auf den Einbruch der Nacht zu warten.
»Wir können heute Abend erledigen, was Sie wünschen«, sagte der Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, »aber wir können keine Hunde einsetzen — wir müssen es mit Agenten tun, die mit chemischen Detektoren ausgerüstet sind. Hunde haben in einer Moschee nichts zu suchen.«
»Wird es irgendwelche Probleme geben?«, fragte Cabrillo.
»Vor ein paar Jahren, als der israelische Premierminister den Felsendom besuchte, kam es noch wochenlang danach zu Krawallen«, sagte der andere. »Wir müssen es schnell und unauffällig erledigen.«
»Können Ihre Leute den gesamten Bereich kontrollieren?«
»Mr. Cabrillo«, sagte der Geheimdienstchef, »Israel wird ständig von Bombenattentaten heimgesucht, so gut wie wöchentlich. Wenn innerhalb des Haram Al-Sharif irgendein Sprengstoff versteckt ist, wissen Sie es spätestens bis morgen früh.«
»Und Sie entschärfen alles, was Sie finden?«, fragte Cabrillo.
»Wir entschärfen es oder nehmen es mit«, sagte der Israeli, »je nachdem, was jeweils das Sicherste ist.«
»Männer, bitte setzen Sie sich«, sagte Kasim.
Die achtundzwanzig Männer, die noch übrig waren, nahmen Platz. Skutter stand neben Hali Kasim vor der Wandtafel. »Wer von Ihnen ist noch nie Motorrad gefahren?«, fragte Kasim.
Zehn Männer hoben die Hände.
»Das wird ziemlich hart für Sie werden«, fuhr Kasim fort, »aber wir haben ein paar Lehrer für einen Intensivkurs zusammengetrommelt. Sobald wir hier fertig sind, werden die Anfänger rausgehen und üben. In vier Stunden sollten Sie alle über die notwendigen Grundkenntnisse verfügen.«
Die Männer nickten.
»Folgende Situation«, fuhr Kasim fort. »Wir können nicht per Flugzeug in Saudi-Arabien einreisen. Das Risiko, abgefangen zu werden, ist einfach zu groß. Von hier in Katar bis nach Mekka sind es knapp dreizehnhundert Kilometer durch die Wüste — ohne Tankstellen oder andere Versorgungsstationen. Daher haben wir uns Folgendes ausgedacht: Der Emir stellt eine Frachtmaschine bereit, die uns nach Al-Hidhaya im Jemen bringt. Von dort aus sind es weniger als achthundert Kilometer bis nach Jeddah in Saudi-Arabien, und zwar über eine befestigte Straße, die am Roten Meer entlangführt. Der Emir hat die zuständigen jemenitischen Behörden entsprechend geschmiert und hier in Katar für uns einen Motorradladen ausgeräumt. Die Motorräder haben einige Vorteile — der erste ist, dass wir damit die Grenze fern von jeder offiziellen Grenzstation unbemerkt überschreiten können, indem wir ein Stück durch die Wüste fahren und wieder auf die Straße zurückkehren, sobald wir in Saudi-Arabien sind. Der zweite Vorteil ist die Reichweite — es gibt mehrere Städte und Ortschaften an der Straße, wo getankt werden kann, aber sie liegen weit auseinander — mit den Motorrädern schafft man es von Stadt zu Stadt. Der dritte Vorteil ist der wichtigste. Jeder sitzt allein auf einem Motorrad — falls also einer von uns aus irgendeinem Grund von den Behörden aufgehalten wird, gerät nicht gleich die gesamte Mission in Gefahr.«
Kasim musterte die Männer.
»Hat jemand damit ein Problem?«
Niemand meldete sich.
»Gut«, sagte Kasim, »dann sollten die Männer, die ein wenig Praxis brauchen, Captain Skutter nach draußen folgen. Dort stehen Motorräder und Fahrlehrer bereit. Die anderen sollten sich jetzt ausruhen, wir brechen um zehn Uhr heute Abend auf.«
Vanderwald tupfte sich ein wenig Eau de Cologne unter die Nase. Die erste Etappe seiner Heimreise führte von Kairo nach Nairobi, Kenia. Die Maschine war bis auf den letzten Platz besetzt. In der Kabine stank es nach verschwitzten Leibern und dem Hammelfleisch, das zum Abendessen serviert worden war.
Zur gleichen Zeit, als Vanderwald in seinem Sessel einschlief, näherten sich zwei Männer seinem Haus in einem Vorort von Johannesburg. Sie schlichen zur Hinterfront, legten die komplizierte Alarmanlage lahm, öffneten die Hintertür und drangen in das Haus ein. Dann durchsuchten sie es langsam und gründlich.
Zwei Stunden später waren sie fertig.
»Ich rufe mal an und hänge sein Telefon in den Zentralcomputer«, sagte einer der Männer, »damit sie seine Anrufe überprüfen können.«
Nachdem der Mann eine Nummer in Langley, Virginia, gewählt hatte, gab er einen Zahlencode ein und wartete auf einen Piepton. Ein CIA-Computer speicherte die Nummer und durchsuchte den Zentralcomputer der südafrikanischen Telefongesellschaft nach sämtlichen Anrufen, die im vergangenen Monat mit oder von dieser Nummer geführt worden waren. Das Ergebnis der Suche würde in ein paar Stunden vorliegen.
»Was nun?«, fragte der andere Mann.
»Wir können uns beim Schlafen abwechseln, während wir warten.«
»Was meinst du, wie lange müssen wir hier bleiben?«
»Bis er zurückkommt«, antwortete der erste Mann und öffnete den Kühlschrank, »oder jemand anders nimmt sich noch vor uns seiner an.«
Die indischen Söldner erreichten die Luke, die zu den Kühlschlangen unter der Moschee des Propheten in Medina führte. Sie befand sich auf freiem Gelände in der Nähe eines Apartmenthauses am Rand eines Lehmplatzes, der bei Bedarf als zusätzlicher Parkplatz benutzt wurde.
Dieser Platz war fast leer, bis auf ungefähr ein Dutzend Wagen, die nicht weit vom Wohnhaus parkten.
Der Anführer der Hindus setzte den Lastwagen einfach rückwärts vor die Luke, knackte das Vorhängeschloss mit einem Bolzenschneider und führte den Trupp dann in den Tunnel hinunter. Sobald alle in dem Schacht verschwunden waren, setzten der Fahrer und ein anderer Mann, der zurückgeblieben war, den Lkw über die Luke und warteten.
Der Betontunnel hatte einen Durchmesser von zwei Metern und enthielt eine ganze Reihe von Rohrleitungen, deren Aufschriften in arabischer Sprache jeweils ihren Zweck verrieten. Die Rohre ruhten auf Stützen, die vom Tunnelboden aufragten. Entlang einer Tunnelwand verlief ein schmaler Laufgang für Inspektionsarbeiten. Im Tunnel selbst war es dunkel und kühl, die Luft roch nach nassem Beton und Schimmel. Der Anführer knipste seine Taschenlampe an, und die anderen Männer folgten seinem Beispiel.
Dann setzten sie sich hintereinander in Richtung Moschee in Bewegung.
Sie hatten gut anderthalb Kilometer unterirdisch zurückgelegt, als sie zur ersten Gabelung kamen. Der Anführer warf einen Blick auf sein tragbares GPS. Das Signal war wegen der dicken Betonschicht über ihm zu schwach, daher holte er den Tunnelplan hervor, den Hickman geliefert hatte, und beriet sich im Flüsterton mit seinen Männern.
»Ihr fünf geht in diese Richtung«, sagte er und deutete erst auf die angesprochenen Männer und dann auf den Tunnel.
»Der Tunnel schwenkt nach einiger Zeit herum und bildet am Ende ein Rechteck. Deponiert den Sprengstoff auf eurem Weg in Abständen, so wie wir es besprochen haben. Anschließend treffen wir auf der anderen Seite wieder zusammen.«
Die eine Gruppe verschwand im rechten Tunnel, der Anführer und seine Männer im linken.
Eine gute Dreiviertelstunde später trafen sie sich auf der anderen Seite.
»Und jetzt wechseln wir die Seiten«, entschied der Anführer. »Ihr geht durch den anderen Tunnel und überprüft unsere Sprengladungen. Wir gehen durch euren Tunnel und tun das Gleiche mit euren Bomben.«
Die Männer setzten sich in entgegengesetzten Richtungen in Marsch und folgten den tanzenden Lichtkegeln ihrer Taschenlampen.
An jeweils sechs Punkten in beiden Tunneln wurden etwa dreißig Zentimeter dicke Bündel aus C-6-Sprengstoff und Dynamitstangen mit Klebeband an den Leitungsrohren befestigt. Und an jedes Bündel wurde ein Digitalwecker angeschlossen, der die Stunden herunterzählte.
Die Zeitangabe des ersten Weckers lautete: 107 Std: 46 min. Die Sprengladungen sollten am Mittag des zehnten hochgehen, wenn sich etwa eine Million Pilger in der Moschee drängte. Die Sprengstoffmenge, die die Hindus verteilt hatten, würde die Moschee in einen Trümmerhaufen verwandeln. Die größte Ladung, mit der doppelten Menge C-6 und Dynamit, befand sich genau unter dem Punkt, der auf dem Lageplan das Grab Mohammeds kennzeichnete.
Wenn die Ladungen in weniger als fünf Tagen explodierten, würden einige Jahrhunderte Geschichte ausgelöscht sein.
Sie kehrten durch den Tunnel zur Klappe zurück, die auf den Parkplatz führte. Der Anführer kletterte unter dem Lastwagen heraus und rollte sich seitlich unter dem Fahrzeug hervor. Dann klopfte er an die Fahrertür. Der Fahrer drehte das Seitenfenster herunter.
»Fahr ein Stück vorwärts«, befahl der Anführer.
Sobald die Männer wieder im Lastwagen saßen, holte der Anführer ein Vorhängeschloss hervor, das er für diesen Zweck mitgebracht hatte, und verschloss damit die Klappe.
Keine fünf Minuten später waren sie beim Licht einer dünnen Mondsichel wieder auf dem Rückweg nach Rabigh.
Um sechs Uhr am selben Morgen trommelte Max Hanley die Mitglieder der Corporation im Konferenzraum der Oregon zusammen. Das Schiff lag vor Tel Aviv im Mittelmeer und fuhr mit halber Kraft im Kreis. Hanley beobachtete einen Fernsehschirm, der den Robinson beim Anflug auf den Schiffsbug zeigte.
»Dort kommt Juan«, sagte er und deutete auf den Bildschirm. »Er leitet diese Einsatzbesprechung. Bis er hier unten ist, könnt ihr ja noch einmal eure Notizen durchgehen. Kaffee und Gebäck findet ihr auf dem Tisch an der Seite. Falls ihr Hunger habt, dann nutzt die Gelegenheit. Wenn Juan angefangen hat, werdet ihr keine Zeit mehr dazu haben.«
Hanley ging hinaus, um im Kontrollraum die aktuellen Meldungen abzurufen. Er erhielt sie von Eric Stone und verließ den Raum wieder, als Juan Cabrillo und George Adams vorbeikamen.
»Ihr werdet schon im Konferenzraum erwartet«, sagte er und folgte den beiden.
Cabrillo öffnete die Tür des Konferenzraums, in den die drei Männer eintraten. Adams, der seine Flugkombination trug, nahm am Tisch Platz. Hanley blieb in Cabrillos Nähe, der hinter das Rednerpult trat.
»Es tut richtig gut, euch alle wiederzusehen«, begann Juan Cabrillo. »Vor allem Chuck und seine Truppe. Freut mich, dass sie euch endlich haben ziehen lassen«, stellte er fest und lächelte Gunderson an. »Bei dem, was auf uns zukommt, brauchen wir wirklich jeden Mann und natürlich auch jede Frau. Ich komme soeben aus Tel Aviv, wo ich mit Vertretern des Mossad gesprochen habe. Sie haben heute Morgen ein umfangreiches Team zum Felsendom geschickt, wo sie nach Zeitbomben suchen. Sie haben nichts dergleichen gefunden. Nichts Konventionelles und auch nichts Nukleares oder Biologisches. Allerdings sind sie auf eine Videokamera gestoßen, die dort eigentlich nichts zu suchen hatte. Sie war neben einem Gebäude in einem Baum versteckt, in einer Grünanlage.«
Niemand äußerte sich dazu.
»Die Kamera war auf eine Funkanbindung geschaltet, die die Bilder zu einem Rechner außerhalb der Moschee übertrug. Von dort aus gelangten sie über ein konventionelles Kabel zu einem Gebäude in der Nähe. Als ich abreiste, traf der Mossad gerade Vorbereitungen, in das Gebäude einzudringen. Ich denke, sie werden mir in Kürze den neuesten Stand durchgeben.«
Die Versammelten nickten.
»Das Interessante an der Kamera war, dass sie auf einen Punkt am Himmel genau über dem Felsendom gerichtet war, so dass die Spitze der Kuppel gerade noch ins Bild ragte. Das bringt mich zu der Annahme, dass Hickman, falls er sich den Stein Abrahams geholt hat, eine Art Attacke aus der Luft beabsichtigt, die den Stein vernichtet und gleichzeitig den Felsendom beschädigt. Offenbar will er per Fernsehen die ganze Welt an seinem Attentat teilhaben lassen.«
Die Versammelten nickten wieder.
»Was die Lage in Mekka und Medina betrifft«, fuhr Cabrillo fort, »werden Hali und ein Offizier der U.S. Air Force zwei Teams, bestehend aus muslimischen amerikanischen Soldaten, anführen und nach versteckten Sprengsätzen suchen. Ich habe Pete in Katar zurückgelassen, wo er zusammen mit dem Emir, der uns jede Unterstützung zugesagt hat, die Aktionen koordiniert. Max wird euch die Einzelheiten erläutern.«
Cabrillo trat vom Rednerpult zurück, und Max Hanley übernahm seinen Platz. Cabrillo nutzte die Gelegenheit, um zum Büfetttisch zu gehen, zwei Tassen Kaffee einzuschenken und eine Adams zu reichen, der sich mit einem Kopfnicken bedankte.
»Wie ihr alle wisst, befinden sich in Mekka und Medina die beiden heiligsten Stätten des Islam. Deswegen sind beide Städte für Nichtmuslime gesperrt. Hali ist der Einzige von uns, der den Islam praktiziert, daher wurde er als Anführer der Einsatzgruppen ausgewählt. Der Emir hat ein Frachtflugzeug mit einer Flotte Querfeldeinmotorräder sowie den Angehörigen von Halis Gruppe in den Jemen geschickt. Sie sind heute früh dort eingetroffen und haben die Grenze nach Saudi-Arabien überschritten, indem sie mit ihren Maschinen durch ein Wadi — ein ausgetrocknetes Flussbett — gefahren sind. Den jüngsten Meldungen zufolge haben sie die saudische Stadt Sabya bereits hinter sich gelassen und sind unterwegs nach Norden. Irgendwann werden sie in Reisebusse umsteigen und damit zu den Moscheen fahren. Dort werden sie ausschwärmen und nach Sprengladungen suchen.«
»Was ist mit den Schiffscontainern?«, wollte Michael Halpert wissen.
»Wie ihr wisst«, fuhr Hanley fort, »haben unsere Leute in Maidenhead Spuren einer giftigen Substanz gefunden, mit der höchstwahrscheinlich die Gebetsteppiche in den Containern verseucht wurden. Hali hat acht Männer mit einem Linienflug nach Riad geschickt. Sie beobachten den Frachtbereich des dortigen Flughafens, wo die Container abgestellt wurden, um später nach Mekka transportiert zu werden. Offenbar hat es dort eine Panne gegeben, die sich für uns allerdings als Glücksfall erwiesen hat. Wären diese Container nämlich termingerecht eingetroffen, so wären sie wahrscheinlich längst ausgeräumt worden und das Gift würde sich schon jetzt durch die Luft verbreiten. Wie es der Zufall wollte, hatte sich Hickman mit der Lieferung der Container derart verspätet, dass die für den Weitertransport vorgesehenen Lastwagen anderweitig eingesetzt wurden. Nach dem Zeitplan, den die NSA vom PDA Hickmans aufgefangen hat, wurde das Lieferdatum auf morgen, den 7. Januar, verschoben. Unser Plan sieht vor, dass sich unsere Leute die Container holen und damit in Richtung Mekka starten. An irgendeinem Punkt zwischen Riad und Mekka müssen wir die Container vernichten oder sie außer Landes bringen.«
In diesem Moment summte das Telefon im Konferenzraum. Cabrillo nahm ab, lauschte einige Sekunden lang und sagte dann: »Verstanden.« Und legte den Hörer wieder auf. Hanley sah ihn gespannt an.
»Das war Overholt«, erklärte Cabrillo. »Sein Agent hat in nächster Nähe der Kaaba radioaktive Strahlung aufgefangen. Demnach hat Hickman es geschafft, die Meteoriten auszutauschen.«
In London hatte Michelle Hunt die letzten Tage abgeschirmt in einem Hotelzimmer verbracht, wo sie von CIA-Agenten pausenlos verhört wurde. Sie war müde, aber immer noch kooperationsbereit. Allmählich jedoch musste die CIA erkennen, dass sie kaum eine Hilfe war. Von Anfang an hatten sie die Möglichkeit verworfen, dass sie sich direkt mit Hickman in Verbindung setzte. Zwar konnte man davon ausgehen, dass er ein Mobiltelefon bei sich trug, allerdings würde er sofort misstrauisch werden, wenn er sähe, dass sie ihn nicht von ihrem eigenen Anschluss aus anrief.
Ein Flugzeug sollte sie in die Vereinigten Staaten zurückbringen, das in einer Stunde starten würde. Im Wesentlichen hatte Michelle Hunt Licht auf Hickmans Leben werfen können.
Und das hatte sie auch in aller Ausführlichkeit getan. Sie hatten sie nach allem gefragt, und sie hatte bereitwillig geantwortet. Der zuständige Agent brauchte nur noch einige Punkte zu klären und könnte seinen Bericht dann weiterleiten.
»Noch mal zurück zum Anfang«, sagte er. »Sie haben erzählt, als Sie sich kennen lernten, sei er nach Los Angeles gekommen, um sich ein Ölfeld anzusehen, das er kaufen wollte.«
»Ja«, sagte Michelle Hunt, »wir trafen uns an diesem Tag bei Casen’s. Ich hatte noch einen Gutschein für ein Essen, den mir eine Freundin zu einem früheren Geburtstag geschenkt hatte. Ich konnte mir damals keine Besuche in teuren Restaurants leisten — noch nicht mal mittags.«
»Und was geschah dann?«
»Er kam an meinen Tisch, stellte sich vor, und ich lud ihn ein, sich zu mir zu setzen«, erzählte Michelle Hunt. »Wir waren den ganzen Nachmittag dort. Er kannte wohl den Inhaber, denn als das Restaurant sich leerte, hat man uns in Ruhe gelassen. Sie fingen schon an, die Tische fürs Abendessen zu decken — aber niemand bat uns zu gehen.«
»Haben Sie an diesem Abend auch dort zu Abend gegessen?«
»Nein«, antwortete Michelle Hunt, »Hal hatte es so arrangiert, dass wir später noch zu dem Ölfeld hinausflogen, da er es inspizieren wollte. Ich denke, er beabsichtigte, bei mir Eindruck zu schinden.«
»Also flogen Sie hinaus zu dem Gelände, und er hat durchs Fenster runtergeschaut?«
»Keine Fenster«, sagte Hunt. »Es war ein Doppeldecker. Ich saß hinter ihm.«
»Moment mal«, sagte der Agent, »es war eine zweisitzige Maschine?«
»Eine Stearman, wenn ich mich recht erinnere«, sagte Michelle Hunt.
»Wer ist geflogen?«, fragte der Agent.
»Na ja, das war Hal«, sagte Michelle Hunt, »wer sonst?«
»Mr. Hickman ist Pilot?«, fragte der Agent schnell.
»Nun, damals zumindest war er es«, sagte Michelle Hunt.
»Wenn Howard Hughes der Fliegerei frönte, dann musste Hal es ebenfalls versuchen.«
Der Agent hatte es nun eilig zu telefonieren.
»Das ergibt ein völlig anderes Bild«, sagte Hanley. »Wir müssen Hickman nicht nur den Stein Abrahams abnehmen, sondern wir müssen ihn auch unbemerkt umtauschen. Der Präsident hat uns angewiesen, die saudische Regierung aus dieser Sache möglichst herauszuhalten.«
In diesem Augenblick erwachte einer der großen Monitore im Konferenzraum zum Leben. Der Bildschirm war in zwei Hälften geteilt, auf der linken Seite konnte man Eric Stone erkennen. »Es tut mir Leid, Max«, sagte er, »ich weiß, dass ihr nicht gestört werden wolltet, aber dies hier ist wichtig. Achte auf die andere Seite.«
Ein Bild erschien auf der anderen Bildschirmhälfte.
»Das kommt von zwei Kameras, die die CIA an den Schleusen im Suezkanal aufgestellt hat. Das Bild ist keine fünfzehn Minuten alt.«
Die Kamera fing einen alten Perlenfischer ein. Zwei Matrosen machten sich an den Leinen zu schaffen, während das Schiff durch die Schleuse fuhr. Ein Mann stand auf dem Achterdeck und trank Kaffee. Die Kamera hatte ihn aufgenommen, als er gerade aufblickte.
»Ich habe es mit Julias Programm überlagert«, sagte Stone.
Alle im Raum verfolgten, wie sich das dreidimensionale Bild auf den Mann legte. Die Umrisslinien passten genau. Als er sich auf dem Schiff bewegte, folgte das computergenerierte Bild seinen Bewegungen.
»Max«, sagte Stone schnell, »das ist Halifax Hickman.«
»Wo befindet sich das Schiff zur Zeit, Eric?«, schaltete sich Cabrillo ein.
Auf der linken Bildschirmhälfte war zu sehen, wie Eric Stone im Kontrollraum auf einen anderen Monitor schaute.
»Es hat die Schleusen verlassen und läuft soeben in Port Said in Ägypten ein.«
»George –«, setzte Cabrillo an.
»Meine Kiste sollte mittlerweile aufgetankt sein«, sagte Adams und erhob sich.
Vier Minuten später hob der Robinson vom Deck der Oregon ab. Es waren gut dreihundert Kilometer bis nach Port Said. Aber der Robinson würde es gar nicht erst bis Ägypten schaffen.
Vanderwalds Maschine erwischte einen kräftigen Rückenwind und landete daher eine halbe Stunde früher als geplant.
Es herrschte so gut wie kein Verkehr auf den Straßen. Es würde noch mindestens eine Stunde dauern, bis die Pendler auf dem Weg zur Arbeit die Straßen verstopften, und er stand schon eine Viertelstunde, nachdem er aus dem Flugzeug gestiegen war, vor seinem Haus. Er holte die Post aus dem Briefkasten an der Straße, klemmte sie sich unter den Arm und ging mit seiner Reisetasche zur Haustür.
In der Eingangshalle stellte er die Tasche auf den Boden und legte die Post auf einen Tisch.
Er drehte sich gerade um und wollte die Haustür schließen, als von der Seite ein Mann auftauchte und das Geräusch von Schritten aus dem Flur drang, der zur Küche führte.
»Guten Morgen, du Scheißkerl«, sagte der erste Mann und richtete eine Pistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer auf Vanderwalds Kopf.
Der Mann sagte nichts weiter. Er senkte den Lauf der Waffe und schoss Vanderwald in beide Knie. Vanderwald sackte zu Boden und stieß einen Schmerzensschrei aus. Der zweite Mann erreichte jetzt die Eingangshalle und kniete sich neben Vanderwald, der sich auf dem Boden wälzte.
»Willst du uns nicht diese Rechnung für eine DC-3 erklären, die wir in deinem Computer gefunden haben?«
Zwei Minuten und zwei sorgfältig gezielte Schüsse später hatten die Männer die Antwort.
Noch eine Minute später feuerte der erste Mann den Gnadenschuss ab.
Die Männer gingen durch die Hintertür hinaus und erreichten über einen schmalen Weg die Seitenstraße, in der sie ihren Mietwagen geparkt hatten. Sie stiegen ein, der Mann auf dem Beifahrersitz streifte seine Handschuhe ab und wählte eine Nummer.
»Die Zielperson hat eine DC-3 nach Port Said in Ägypten gebracht und ist gerade nach Hause gekommen. Sie wird uns keine Schwierigkeiten mehr machen.«
»Ich verstehe«, sagte Overholt. »Sie können sich wieder auf den Rückweg machen.«
»Ich brauche ein Echtzeit-Bild vom Flugplatz in Port Said«, sagte Overholt zum Chef der National Security Agency. »Wir suchen eine alte DC-3.«
Der Chef der NSA rief seinen Satellitentechnikern einige Anweisungen zu.
»Wir gehen auf Position«, antwortete er nun. »Einen Moment.«
Während er wartete, griff Overholt in seine Schreibtischschublade und holte seinen Holzschläger mit einem mittels einer Schnur daran befestigten roten Gummiball hervor und ließ den Ball hektisch auf und ab springen. Diese wenigen Minuten dehnten sich zu einer Ewigkeit. Endlich meldete sich der NSA-Chef wieder.
»Bleiben Sie dran. Wir schicken Ihnen das Bild.«
Overholt blickte auf seinen Monitor. Das Luftbild eines Flugplatzes erschien. Dann vergrößerte es sich stetig, bis die DC-3 zu erkennen war. Nach und nach traten die Details deutlicher hervor. Ein Mann eilte über die Rollbahn. In den Armen hielt er etwas, das wie eine Decke aussah, und drückte es an seine Brust. Er ging auf die DC-3 zu und öffnete die Seitentür.
»Bleiben Sie auf der DC-3«, befahl Overholt. »Wenn sie startet, versuchen Sie, an ihr dranzubleiben.«
»Wird gemacht«, sagte der NSA-Chef.
Max Hanley saß mit Eric Stone im Kontrollraum, als das Telefon klingelte.
»Ich habe neue Informationen«, meldete sich Overholt. »Ms. Hunt hat meinen Agenten soeben verraten, dass Hickman früher Pilot war. Zwei meiner Männer haben vor ein paar Minuten den südafrikanischen Waffenhändler aufgesucht und von ihm erfahren, dass er gestern eine DC-3 für Hickman nach Port Said geliefert hat. Und ich habe zur Zeit auf meinem Monitor ein Bild von einem Mann, ungefähr so groß wie Hickman und mit dem 3-D-Profil identisch, das Sie mir geschickt haben, der in diesem Moment dabei ist, in das Flugzeug zu steigen.«
»Dann ist alles klar«, unterbrach Hanley seinen Anrufer. »Er hat es auf den Felsendom abgesehen.«
»Wir können ihn nicht abschießen, sonst verlieren wir den Stein Abrahams«, sagte Overholt. »Wir müssen zulassen, dass er ihn abwirft.«
»Okay, Sir«, sagte Hanley, »ich lasse Cabrillo eine entsprechende Warnung zukommen.«
Hanley rief per Funk den Robinson.
»Kehr um«, sagte Cabrillo zu Adams, nachdem Hanley ihm die neue Situation geschildert hatte.
George Adams legte den Helikopter in eine Linkskurve.
»Alle außer Mark und Franklin sollen sich sofort in Richtung Felsendom in Bewegung setzen«, sagte Cabrillo. »Die beiden müssen den Raketenwerfer in Position bringen.«
»Wird sofort erledigt, Juan«, erwiderte Hanley.
»Ruf anschließend Overholt noch einmal an. Er soll die Israelis zurückhalten«, sagte Cabrillo. »Ich will, dass kein Flugzeug in der Luft ist. Außerdem sollen sie jede Aktion unterlassen, die Hickman einen Hinweis liefern könnte, dass wir ihn im Visier haben.«
»Okay.«
»Dann soll Kevin mich umgehend anrufen. Ich muss mich noch einmal wegen seiner Konstruktion mit ihm unterhalten.«
»Wohin, Juan?«, wollte Adams wissen.
»Nach Jerusalem«, antwortete Cabrillo, »zum Felsendom.«
Adams gab entsprechende Befehle in sein GPS ein, während der Robinson wieder die Küste überflog.
Als auf der Oregon die Vorbereitungen auf Hochtouren liefen, eilte Kevin Nixon zum Kontrollraum hinunter. Er stürmte geradezu durch die Tür.
Hanley schaltete das Mikrofon ein, Cabrillo meldete sich sofort.
»Ich habe Kevin hier«, sagte Hanley und reichte ihm das Mikrofon.
»Kevin?«, fragte Cabrillo.
»Was ist, Juan?«
»Bist du sicher, dass deine Konstruktion funktioniert? Falls du irgendwelche Zweifel hast, möchte ich es jetzt wissen.«
»Ich habe das Gewicht berechnet und die von dir geschätzte Höhe verdoppelt — es war immer noch innerhalb des Limits«, sagte Nixon. »Du weißt ja, nichts ist perfekt — aber ich muss sagen: Ja, es wird funktionieren.«
»Wie lange dauert es, bis es tragfähig ist?«
»Weniger als eine Minute«, antwortete Nixon.
»Und hast du genug Material?«
»Habe ich, Juan«, versicherte ihm Nixon. »Ich habe mehr hergestellt, als wir brauchen werden.«
»Okay«, entschied Cabrillo, »wir verlassen uns auf deinen Erfindungsgeist. Es gibt allerdings keinen Ersatzplan, also muss es klappen.«
»Das wird es, Juan«, versicherte Nixon, »aber es gibt noch ein Problem.«
»Ja?«
»Wir könnten den Stein verlieren, wenn er die Kuppel trifft.«
Cabrillo schwieg einige Sekunden lang. Dann sagte er: »Ich kümmere mich darum, Kevin.«
Es war eine halbe Ewigkeit her, seit Hickman das letzte Mal ein Flugzeug gelenkt hatte, das Geschick aber kam zu ihm zurück, als wäre es erst gestern gewesen. Nachdem er in den Pilotensessel geklettert war, ging er die Vorflug-Checks durch und ließ die Maschinen warmlaufen. Schwarze Qualmwolken stiegen von den altersschwachen Motoren auf, als sie ansprangen, doch nach wenigen Minuten liefen sie zwar knatternd, aber gleichmäßig rund.
Er betrachtete das Instrumentenbrett, prägte sich die Positionen der verschiedenen Schalter ein und vergewisserte sich, dass der ein wenig vorsintflutlich anmutende Autopilot mit der Steuerung verbunden war. Dann, während er die alte DC-3 langsam anrollen ließ, rief er den Tower und bat um die Startfreigabe.
Auf dem Flugfeld herrschte kein Betrieb, also wurde ihm sofort eine Startbahn zugewiesen.
Während die DC-3 in Position rollte, testete er die Bremsen. Sie reagierten ein wenig schwammig, funktionierten aber.
Die abgenutzten Bremsen machten Hickman nichts aus — es wäre ohnehin das letzte Mal, dass sie benutzt wurden. Die DC-3 befand sich auf ihrer letzten Reise. Er lenkte die DC-3 in einer langsamen Kurve auf die Startbahn und stoppte.
Nach einem letzten Blick auf die Anzeigen schob er die Gashebel nach vorn, raste die Rollbahn hinunter und fuhr die Klappen ein. Die DC-3 hob ab und ging in einen mühsamen Steigflug. Hickman hatte nur dreihundert Kilometer vor sich.
Bei voller Reisegeschwindigkeit und mit leichtem Rückenwind wäre er in einer Stunde am Ziel.
»Die Barkassen sind im Wasser«, meldete Eric Stone, »ich habe dafür gesorgt, dass ein israelischer Transporthubschrauber das Zehn-Mann-Team von Tel Aviv zu einem Punkt in der Nähe des Felsendoms bringt. Der Chopper ist zu groß für unseren Landeplatz. Da kommt er schon.«
Stone deutete auf einen Monitor, der mit einer Kamera am Bug der Oregon verbunden war. Der große Helikopter mit Zwillingsrotor setzte soeben auf dem Sandstrand auf.
»Ich gehe in den Konferenzraum«, sagte Hanley.
Er eilte durch den Korridor und riss die Tür auf. »Okay, Leute«, sagte er, »die Boote liegen bereit, und der Chopper ist gerade gelandet, um euch ans Ziel zu bringen. Weiß jeder, was wir vorhaben?«
Die zehn Leute nickten.
»Eddie hat das Kommando«, sagte Hanley. »Viel Glück.«
Die Mitglieder des Teams verließen den Konferenzraum, jeder mit einem großen Karton unter dem Arm. Hanley wandte sich an Nixon, als dieser an ihm vorbeigehen wollte.
»Hast du die Strickleiter eingepackt?«, fragte er.
»Liegt ganz oben im Karton.«
»Okay«, sagte Hanley und folgte ihm durch den Gang zum Achterdeck.
Von dort aus beobachtete er, wie die Boote beladen wurden und die kurze Strecke bis zum Strand überwanden. Dann kehrte er ins Schiff zurück, um sich mit Mark Murphy und Franklin Lincoln in Verbindung zu setzen.
»Wo soll ich dich absetzen?«, fragte Adams.
»Wir fliegen direkt zum Felsendom«, antwortete Cabrillo. »Dort müsste das Team von der Oregon mittlerweile eingetroffen sein.«
»Und was dann?«
»Ich will es dir erklären«, sagte Cabrillo.
Ein paar Minuten später, nachdem Cabrillo geendet hatte, stieß Adams einen leisen Pfiff aus. »Bei all dem Hightech-Spielzeug, das die Corporation auf Lager hat, bleibt am Ende nur eine solche Möglichkeit übrig?«
»Es ist wie ein Hochseilakt im Zirkus«, gab Cabrillo zu.
Das Team von der Oregon stieg auf einer abgesperrten Straße in der Nähe des Felsendoms aus dem Hubschrauber. Israelische Panzer riegelten die umliegenden Nebenstraßen ab, und israelische Soldatentrupps trieben die Menschen aus den Straßen und aus der Moschee. Palästinenser, die keine Ahnung hatten, dass ihr hochgeschätztes Heiligtum bedroht war, rotteten sich zusammen und protestierten, so dass die Israelis sie mit Wasserwerfern zurücktreiben mussten.
Eddie Seng führte das Team zum Eingang der Moschee.
»Verteilt euch und nehmt eure Positionen ein«, wies er sie an. »Du, Kevin, kümmerst dich als Erstes darum, dass die Strickleiter an Ort und Stelle ist.«
»In Ordnung, Eddie.« Nixon und sein Trupp marschierten in den Innenhof der Moschee.
Seng wandte sich an einen israelischen Offizier, der in seiner Nähe stand.
»An allen Seiten sollen Schläuche an die Feuerhydranten angeschlossen und in die Moschee gelegt werden«, erklärte Seng. »Sorgen Sie dafür, dass die Schläuche lang genug sind, um jeden Winkel der Moschee damit zu erreichen.«
Der Offizier nickte und bellte mit lauter Stimme eine Serie von Befehlen.
Hickman flog übers Mittelmeer. Er spürte, dass sein Leben dem Ende entgegenging. Und dieses Leben war gescheitert. All sein Reichtum, der Ruhm und der Erfolg hatten letztlich keine Bedeutung. Das Einzige, was er hatte richtig machen wollen, hatte er verpfuscht. Er war seinem Sohn nie ein guter Vater gewesen. Ausschließlich auf seine Großartigkeit bedacht und durchdrungen von einem Gefühl eigener Wichtigkeit, die ihm verbot, einen anderen Menschen nahe an sich heranzulassen, konnte er niemals dulden, dass die Liebe eines Kindes zu seinen Eltern durch seine äußere Schale drang.
Allein der Tod Chris Hunts hatte bewirkt, dass diese Schale aufgerissen war.
Hickman hatte die verschiedenen Stadien der Trauer durchlaufen und war bei kaltem Hass angelangt. Wut auf eine Religion, die Fanatiker hervorbrachte, die skrupellos töteten, Wut auf die Symbole, die diesen Mördern heilig waren.
Doch schon bald würden diese Symbole nicht mehr existieren — und auch wenn Hickman nur die ersten Früchte seines Rachefeldzugs sähe, so würde er in dem Bewusstsein, dass auch alles andere in Kürze zusammenbräche, glücklich sterben.
Lange würde es nicht mehr dauern, dachte er jetzt, bis er endlich die Küste unter sich erblickte.
Und nicht viel später würde der Islam zerschlagen sein.
Kevin Nixon und Carl Gannon holten aus einem Karton eine Strickleiter und rollten sie auf dem Hof neben dem Felsendom aus. Sofort war zu erkennen, dass sie bei weitem nicht lang genug war.
»Ich schau mal nach der Reserveleiter«, sagte Nixon, durchschnitt mit seinem Messer das Klebeband eines zweiten Kartons und holte eine weitere zusammengerollte Strickleiter heraus. »Kennst du dich mit Knoten aus?«
»Ich denke schon, als Segelbootbesitzer«, erwiderte Gannon, »kann ich mich sogar als Experten bezeichnen.«
Gannon knüpfte die Enden der beiden Leitern zusammen. Rund um den Felsendom verteilt begannen die anderen Mitglieder des Teams, große Plastiksäcke, die mit einem weißen Pulver gefüllt waren, aus den Kartons zu holen.
In der Nähe des Eingangs am Silsila-Minarett beobachtete Eddie Seng, wie die Israelis Schläuche durch die Toröffnung zerrten, »Lasst sie liegen«, befahl Seng. »Meine Leute holen sie ganz herein, sobald die Vorbereitungen abgeschlossen sind.«
Seng machte sich auf den Weg und wiederholte seine Anweisungen auf allen vier Seiten des weitläufigen Moscheebezirks. Kurz darauf zogen die Mitglieder der Corporation die Schläuche vollends in den Innenhof.
»Okay.« Gannon betrachtete zufrieden sein Werk. »So müsste sie halten.«
»Am besten fangen wir an diesem Ende an und rollen sie sorgfältig auf«, entschied Nixon.
Während Gannon sie stramm zog, legte Kevin Nixon die Leiter zu einem handlichen Paket zusammen.
Mark Murphy betrachtete die Flugbahnlinien auf dem Computerbildschirm, dann wandte er sich um und sah Max Hanley an. »Gibt es bei dieser kleinen Party auch so was wie eine Kostenkontrolle?«, erkundigte er sich.
»Nein«, antwortete Hanley.
»Wunderbar«, sagte Murphy, »denn diese kleine Sperrvorrichtung dürfte fast eine Million kosten, wenn du einen Misserfolg mit absoluter Sicherheit ausschließen willst.«
»Entweder steigt man ganz groß ein, oder man lässt es bleiben«, sagte Hanley.
Franklin Lincoln deutete auf die Linie, die den Weg der DC-3 zeigte, die sich im Anflug befand. »Hoffen wir, dass dieser Kurs sich nicht noch ändert«, sagte er, »und dass sich deine Theorien als richtig herausstellen.«
»Wenn man nach dem Aufnahmewinkel seiner Kamera geht«, sagte Hanley, »sieht es so aus, als käme er für den Abwurf eher niedrig herein. Damit wäre die Zerstörung des Abraham-Steins viel deutlicher zu beobachten. Wenn er den Stein aus großer Höhe abwirft, müsste die Kamera ein Weitwinkelobjektiv haben, was allerdings kein besonders detailliertes Bild ergäbe, falls der Stein zerschellt.«
»Deswegen mache ich mir keine Sorgen«, sagte Lincoln. »Sorgen macht mir der zweite Anflug.«
»Um sicherzugehen, dass die DC-3 auch den Felsendom voll erwischt«, erklärte Hanley, »wird ihm klar sein, dass er einige tausend Fuß steigen und dann in den Sturzflug gehen muss.«
»Wir haben die maximale Steigleistung der DC-3 in den Computer eingegeben«, sagte Murphy, »und sind von zweitausend Fuß zusätzlicher Höhe ausgegangen. Daraus errechnet sich diese Flugbahn.«
Murphy deutete auf den Monitor.
»Hervorragend«, sagte Hanley.
Murphy grinste. »Das finden Franklin und ich auch.«
Hickman war immer noch rund neun Minuten weit entfernt, als Adams den Innenhof überquerte und den Helikopter dort landen ließ, wo Kevin Nixon stand und winkte. Nixon rannte geduckt unter dem kreisenden Rotor her zur Maschine, reichte Juan Cabrillo das Ende des Seils durch die offene Tür und rannte gleich wieder zurück.
»Jetzt ganz langsam und gleichmäßig«, sagte Cabrillo über sein Headset.
»Ich kann doch gar nicht anders«, sagte Adams lässig.
Während der Hubschrauber aufstieg, bediente Adams die Höhensteuerung wie ein Chirurg sein Skalpell. Sobald der Robinson genug Höhe gewonnen hatte, ließ Adams ihn seitlich wegdriften, während Cabrillo das Seil abwickelte. Ein dünnes Netz entstand über dem Felsendom. Als Adams die andere Seite erreichte, ging er bis auf wenige Meter über dem Boden herunter. Cabrillo ließ das Ende der Strickleiter fallen. Bob Meadows und Linda Ross packten jeder ein Seil, gingen ein paar Schritte, bis die Leiter straff gespannt war, und blieben stehen. Von den Sprossen der Strickleiter hingen Netze herab.
»Wenn du mich jetzt ganz oben absetzen könntest«, sagte Cabrillo und grinste George Adams an, »wäre ich dir sehr verbunden.«
Adams stieg wieder auf und näherte sich der Kuppel. Cabrillo öffnete vorsichtig die Tür und trat auf die Kufe hinaus. Dann winkte er Adams zu, machte einen Schritt und ergriff die nächste Sprosse der Strickleiter.
Adams zog sich mit dem Robinson langsam zurück und landete kurz darauf auf einer nahe gelegenen Straße.
Cabrillo befand sich in diesem Moment auf der Kuppel des Felsendoms. Er blickte hinauf zu dem großen silbernen Flugzeug in der Ferne, das genau auf ihn zusteuerte. Er zog die Netze so stramm er konnte.
»Tempo, Tempo«, befahl Seng den sieben Mitgliedern seines Teams lautstark.
Schnell verteilten sie das weiße Pulver auf dem Innenhof — wie Bauern in grauer Vorzeit die Getreidesaat auf ihren Feldern. Sobald sie das erledigt hatten, rannten sie eilig zu den bereitliegenden Feuerwehrschläuchen und warteten auf den Befehl, die Ventile zu öffnen.
Nixon und Gannon hielten gemeinsam einen Schlauch fest. Während jener das Ventil bediente, fixierte dieser hinter ihm den Schlauch. »Bist du sicher, dass das Ganze funktioniert, alter Junge?«, fragte Gannon.
»Natürlich wird es funktionieren«, antwortete Nixon. »Das Problem ist nur, das Zeug anschließend wegzuschaffen.«
Hickman war noch gar nicht aufgefallen, dass kein israelischer Düsenjäger auftauchte, um ihn abzufangen. Er glaubte, er hätte dadurch, dass er mit seiner DC-3 so niedrig flog, das Radar ausgetrickst. Er schaltete den Autopiloten ein, ging nach hinten zur Frachtluke und öffnete sie.
Der Stein Abrahams war noch immer in die Decke eingewickelt. Hickman holte ihn hervor und wog ihn in den Händen.
»Zur Hölle mit dir«, sagte er leise, »und mit allem, was du darstellst.«
Durch das Seitenfenster konnte er beobachten, wie der Moscheebezirk näher kam. Er hatte ausgerechnet, dass er den Stein in dem Augenblick abwerfen musste, in dem die Nase des Flugzeugs die erste Mauer überflog, wenn er damit die Kuppel des Felsendoms treffen wollte.
Hickman würde nicht mit eigenen Augen verfolgen können, wenn der Stein auf die Kuppel prallte, dafür aber hatte er Kameras vorbereitet.
»Achtung! Jetzt!«, brüllte Seng, als er den Motorenlärm der anfliegenden DC-3 hörte.
Die Teams an den Schläuchen öffneten die Ventile und bespritzten das weiße Pulver, das den Boden bedeckte. Das Wasser wirkte wie eine Art Katalysator. Sobald es auf die Staubkörner traf, begannen diese, aufzuquellen, sich auszudehnen und zu einem dichten, festen Schaum zu verbinden. Die Pulverschicht auf dem Boden blähte sich zu einem Polster auf, das gut einen halben Meter dick war. Gannon spürte, wie er selbst in die Höhe gedrückt wurde, als das Wasser des Schlauchs, den er bediente, auch das Pulver unter seinen Füßen benetzte. Sein Körpergewicht erzeugte tiefe Fußabdrücke im Schaumteppich.
Hickman blickte aus dem Seitenfenster und wartete auf den richtigen Moment. Sobald er die äußere Mauer um die Moschee herum unter sich sah, warf er den Stein Abrahams aus der Maschine. Dann kehrte er eilig in das Cockpit zurück, um den Steigflug für seine Selbstmordattacke zu starten, während der schwere Stein der Kuppel des Felsendoms entgegentaumelte.
Wenn das Ganze die Szene in einem Film gewesen wäre, hätte Juan Cabrillo, während er sich an der Leiter festhielt, den Stein mit einem gezielten Schlag von der Kuppel abgelenkt und wäre der Held des Tages gewesen. Oder der Stein Abrahams wäre im Netz gelandet und unversehrt geblieben. Tatsache war jedoch, dass sich Cabrillos Anwesenheit auf seinem luftigen Aussichtsplatz als unnötig erwies.
Hickman hatte sich verrechnet und den Stein zu früh abgeworfen.
Wäre der Innenhof nicht mit dem Schaum ausgefüllt worden, wäre der Stein beim Aufprall auf die ungeschützten Marmorplatten in unzählige Trümmer zerschmettert worden. Stattdessen kam er herunter und blieb gut drei Meter vom Rand der Felsenkuppel entfernt stecken. Nachdem er gut dreißig Zentimeter tief in die Schaumschicht eingedrungen war, blieb er schließlich wie eine besonders wertvolle Waffe in einem eigens für sie angefertigten Behältnis liegen. Seng rannte hinüber und warf einen prüfenden Blick auf den Stein. Er gönnte sich ein kurzes erleichtertes Aufatmen.
»Niemand berührt den Stein!«, rief er schließlich. »Draußen wartet ein muslimischer CIA-Agent, der sich darum kümmern wird.«
Über sein Funkgerät rief Seng Hanley auf der Oregon an.
»Erklärung folgt später, aber der Stein ist in Sicherheit«, meldete er. »Könnt ihr Adams anfunken, dass er Juan holen soll?«
Hanley wandte sich an Stone. »Sag ihm bitte Bescheid.«
Während Stone das Funkgerät bediente, stand Max Hanley neben Mark Murphy und Franklin Lincoln vor der Feuerkonsole. Eine Etage über ihnen verfolgte an Deck der Oregon eine computergesteuerte Raketenbatterie die DC-3 auf ihrem Kurs.
Sie war mit viereinhalb Kilometern pro Minute unterwegs. Als Hickman in das Cockpit zurückgekehrt war und wieder in seinem Pilotensessel saß, hatte die Maschine ungefähr fünfzehn Kilometer zurückgelegt und befand sich auf halbem Weg zwischen Jerusalem und dem Toten Meer.
Indem er den Steuerknüppel zurückzog, begann Hickman zu steigen.
»Noch etwa eine halbe Minute, und bei einem Absturz werden keinerlei palästinensische Siedlungen in Mitleidenschaft gezogen«, sagte Franklin Lincoln.
Hickman war alles andere als unschuldig. Trotzdem war die Corporation kein Mordunternehmen. Falls Hickman in Richtung Jordanien weiterflog, würden sie versuchen, ihn dort nach der Landung zu erwischen. Falls er Anstalten machte umzukehren, hätten sie jedoch keine Wahl. Denn der einzige Grund, weshalb Hickman nach Jerusalem zurückkehren würde, war ein geplanter Kamikazeangriff.
In wenigen Sekunden befände sich die DC-3 über dem Toten Meer.
»Max«, sagte Murphy, »der Computer meldet, dass er umkehrt.«
»Dann hast du Feuer frei«, sagte Hanley leise.
»Zeit«, sagte Lincoln und meldete Datum und Uhrzeit.
»Raketen abgefeuert«, rief Murphy keine Sekunde später.
»Zielsuche läuft«, sagte Lincoln.
Zwei Raketen verließen die Rampe, zwei Pakete von je vier Stück von beiden Seiten einer Glaskuppel, in der sich das Zielsuchradar befand. Beide Pakete wurden im Abstand von einer Millisekunde abgefeuert und rasten vom Schiff über das israelische Festland genau auf die DC-3 zu. Wie Pfeile steuerten sie direkt und unbeirrt ihr Ziel an.
Adams pflückte gerade Juan Cabrillo von der Kuppel, als die Raketen über ihnen vorbeijagten. Nachdem er eilig das Seil entfernt und zu den Leuten unten auf dem Boden abgeworfen hatte, ließ Adams den Robinson bis über die Kuppel der Moschee steigen und ging dann in den Vorwärtsflug.
Hickman hatte die weite Kurve gerade zur Hälfte vollzogen und sah durch das Seitenfenster zwei winzige Leuchtpunkte auf sich zurasen. Ehe sein Geist sich zusammenreimen konnte, was sich hinter dieser Erscheinung verbarg, bohrten sich die Raketen in den Rumpf der DC-3.
Der Tod schlug sofort zu, während das zerfetzte Flugzeug ins Tote Meer stürzte.
Durch die Frontscheibe des Robinson war die DC-3 in der Ferne deutlich zu sehen. Die Raketen hatten mitten ins Schwarze getroffen.
»Holt den Stein«, gab Cabrillo per Funk an Hanley auf der Oregon durch. »Ich sehe nach, was von unserem Freund noch übrig ist.«
»Es handelt sich um eine Mixtur aus Reisstärke und natürlichen Substanzen, die die Entstehung und das Aufquellen einer homogenen Schaumschicht beschleunigen«, erklärte Kevin Nixon.
Eddie Seng starrte auf den Hof des Felsendoms. Ein muslimischer CIA-Agent, der in Israel stationiert war, grub soeben vorsichtig den Stein Abrahams aus der Schaumschicht aus. Der schwere Gegenstand war mehr als dreißig Zentimeter tief in die Masse eingedrungen und immer noch ringsum mit dem weißen Schaum verklebt.
Der CIA-Agent deutete Eddie Seng mit einem Kopfnicken an, dass der Stein unversehrt und sicher geborgen war.
»Wie kriegen wir dieses Zeug jetzt aus dem Hof heraus?«, fragte Seng.
»Mir darüber Gedanken zu machen, dazu hatte ich noch keine Zeit«, erwiderte Nixon, »aber mit Essig müsste das Problem zu lösen sein.«
Seng nickte, griff an seinen Gürtel und holte ein Klappmesser aus einem Futteral. Er bückte sich und schnitt ein Quadrat in die weiße Masse. Indem er das Messer als Hebel benutzte, holte er den Würfel aus der Schicht heraus und wog ihn in der Hand.
»Das sieht fast wie Reiskuchen aus«, stellte er fest, warf den federleichten Würfel in die Luft und fing ihn auf.
»Wenn wir ein paar Leute finden, die das Zeug mit Schaufeln zerschneiden«, sagte Nixon, »dann die größten Brocken abtransportieren, anschließend den gesamten Hof mit Essig besprühen und mit Schrubbern bearbeiten, braucht man am Ende nur noch alles gründlich mit Wasser abzuspritzen.«
Der Lärm des Robinson wurde lauter. Der Helikopter überflog die Moschee und landete in einer nahe gelegenen Straße. Seng gab den Israelis Anweisungen für die Reinigung, als Cabrillo durch das gewölbte Tor den Hof betrat.
»Das Wrack der DC-3 ist ins Tote Meer gefallen«, sagte Juan Cabrillo zu Eddie Seng. »Der größte Trümmer, den wir auf dem Wasser treiben sahen, hatte etwa die Größe eines Brotlaibs.«
»Und Mr. Hickman?«, fragte Seng.
»Was von ihm noch übrig ist«, antwortete Cabrillo, »ruht jetzt bei den Fischen.«
Seng nickte. Für einige Sekunden standen die Männer reglos und schweigend da.
»Juan«, ergriff Seng einen Moment später das Wort, »der Stein ist in Sicherheit, und mit der Säuberung der Moschee wurde soeben begonnen. Die Teams sind bereit, sich zurückzuziehen.«
Cabrillo nickte. »In Ordnung, seht zu, dass ihr rauskommt«, sagte er und wandte sich dann an den CIA-Agenten. »Nehmen Sie den Stein und kommen Sie mit.«
Nachdem er den sorgfältig eingewickelten Stein in eine Schubkarre, die gewöhnlich von den Gärtnern des Moschee-Komplexes benutzt wurde, gelegt hatte, packte der CIA-Agent deren Griffe und folgte Cabrillo zum Tor.
Zur gleichen Zeit, als Cabrillo auf den Robinson zuging, konferierte Hanley per Telefon mit Overholt.
»Wir haben den Stein an uns genommen und ziehen uns aus Israel zurück«, berichtete Hanley. »Wie sind Ihre Verbindungen nach Ägypten?«
»Hervorragend«, antwortete Overholt.
»Und Sudan?«
»Dort haben wir einen erstklassigen Mann.«
»Wir brauchen Folgendes«, sagte Max Hanley.
Overholt machte sich Notizen, während Hanley seine Wunschliste erläuterte. »Okay«, sagte er schließlich, nachdem Hanley geendet hatte, »Al Ghardaqah, Aswan und Ras Abu Ahagara im Sudan. Ich sorge für die Freigaben und lasse an jedem Zwischenstopp einen Treibstoffvorrat deponieren.«
Hanley unterbrach soeben die Verbindung, als Michael Halpert mit einem Dokumentenordner, der mit Papier vollgestopft war, in den Kontrollraum kam. »Ich glaube, ich habe Medina entschlüsselt«, sagte er. »Ich habe die Blaupausen aus dem Computer unseres Auftraggebers geholt und während der letzten Stunde intensiv studiert.«
»Blaupausen?«, fragte Hanley verblüfft. »Der gesamte Komplex wurde vor hundert Jahren erbaut.«
»Aber von 1985 bis 1992 vergrößert und modernisiert«, sagte Halpert. »Damals haben sie unterirdische Tunnel gebohrt, in die sie Wasserleitungen für eine Klimaanlage verlegt haben. Du hast mir geraten, mich in Hickmans Person hineinzuversetzen und zu denken wie er — mir zu überlegen, wo ich an seiner Stelle Sprengladungen verstecken würde.«
Hanley fixierte die Zeichnungen sekundenlang. »Michael«, sagte er schließlich, »ich glaube, du hast es getroffen.«
»Dann denk daran«, sagte Halpert grinsend, »wenn die Bonusse verteilt werden.«
Halpert verließ den Kontrollraum, und Hanley griff nach dem Telefonhörer. Nachdem er eine Nummer gewählt hatte, wandte er sich an Stone. »Hol mir mal ein Satellitenfoto von Medina auf den Bildschirm.«
Stone fütterte den Computer mit entsprechenden Befehlen, während sich Hanleys angewählter Gesprächspartner meldete.
»Ja, Max«, sagte Hali Kasim.
»Wie ist der augenblickliche Stand?«
Kasim hatte sich für das Gespräch ein paar Schritte von einer Gruppe Wartender entfernt, die an einer Haltestelle im Busbahnhof von Jeddah stand.
»Beide Teams sind unbehelligt hier eingetroffen«, berichtete Kasim. »Die Motorräder haben wir in einem ausgetrockneten Flussbett am Rand von Jeddah versteckt. Jetzt machen wir uns in die Stadt auf. Skutter, der die Operation Medina leitet, und sein Team sind bereits mit einem Bus in die Innenstadt unterwegs. Mein Team und ich warten zurzeit auf den nächsten Bus.«
»Und hat Skutter ein Satellitenfoto bei sich?«
»Das hat er wohl, Max.«
»Wie lange dauert es, bis sein Bus ankommt?«
»Vier bis fünf Stunden«, antwortete Hali Kasim.
»Ich warte, bis er eintrifft, und rufe ihn dann an. Aber wir glauben zu wissen, wo die Sprengladungen in der Moschee des Propheten deponiert wurden.«
In diesem Moment erschien der Bus.
»Ich muss einsteigen«, sagte Kasim. »Was sollen wir tun?«
»Ihr werdet in Mekka von einem Kontaktmann der CIA erwartet und in ein Versteck gebracht«, sagte Hanley. »Ich erreiche euch dort.«
»Verstanden.«
Pete Jones sah den Emir von Katar fragend an. »Euer Exzellenz«, sagte er, »wie sind Ihre Beziehungen zu den Bahreinern?«
»Bestens«, antwortete der Emir, »sie sind meine Freunde.«
»Könnten Sie veranlassen, dass Lastwagen am dortigen Zoll ungehindert durchgewinkt werden?«
»Das kann ich ganz gewiss.«
»Steht ihnen ein Frachtschiff zur Verfügung, das diese Lastwagen im Hafen von Bahrain aufnehmen kann?«
Der Emir blickte seinen Assistenten, Al-Thani, auffordernd an.
»Ich werde sofort hier oder in Bahrain entsprechende Vorkehrungen treffen lassen«, sagte Al-Thani.
»Wir haben etwa sechs Stunden Zeit, bis alles an Ort und Stelle bereit sein muss«, sagte Pete Jones.
»Es wird erledigt, Mr. Jones«, versprach der Emir. »Sie können sich darauf verlassen.«
Innerhalb des abgesperrten Frachtbereichs am Rand des Riyadh Airport warteten U.S. Army Warrant Officer Patrick Colgan und sein Team noch immer auf Anweisungen. Sie hatten drei Tage und Nächte versteckt zwischen den Containern verbracht und sich dabei von ihren mitgebrachten Essensvorräten ernährt und aus ihren Mineralwasserflaschen getrunken. Nun schränkten sich ihre Vorräte zunehmend ein, und die Container ringsum, die ihnen Deckung und Schutz boten, wurden merklich weniger.
Irgendetwas musste geschehen — und zwar schnellstens.
Jones studierte die Datei, die aus Al-Sheiks PDA kopiert worden war, dann griff er nach dem Telefonhörer.
»Max«, sagte er, als sein Ruf beantwortet wurde, »habt ihr irgendwelche Änderungen hinsichtlich des Liefertermins der Frachtcontainer erhalten?«
»Keine Änderungen«, antwortete Hanley.
»Okay«, sagte Jones, »dann habe ich eine Lösung.«
Hanley lauschte gespannt Jones’ Erklärung.
»Das gefällt mir«, sagte Hanley, »das ist einfach, aber höchst wirkungsvoll.«
»Habe ich grünes Licht?«
»Das hast du«, sagte Hanley.
Die Zone um die drei Frachtcontainer, in deren Nähe sich die Männer versteckten, wurde nach und nach leergeräumt. Auf der linken Seite waren noch einige Container vorhanden, doch auf der rechten gähnte freies Gelände, bedeckt mit Sand und Geröll.
Colgans Telefon piepte leise, er betätigte die Antworttaste. »Colgan«, meldete er sich.
»Hier ist Jones in Katar.«
»Was haben Sie für uns, Mr. Jones? Wir sitzen hier fast wie auf dem Präsentierteller. Es muss schnellstens etwas geschehen.«
»In zehn Minuten müssten drei Lastwagen eintreffen, um die Container abzuholen«, sagte Jones. »An der Rückseite jedes Führerhauses ist ein GPS-Peilsender befestigt. Diese Sender sind so groß wie eine Zigarettenschachtel und mit einem Magneten versehen. Drei Ihrer Männer sollen so tun, als wären sie Arbeiter, die beim Verladen der Container helfen. Die Männer sollen die Peilsender entfernen, während die Lastwagen rückwärts an die Container heransetzen, damit Sie nachher nicht verfolgt werden können.«
»Okay«, sagte Colgan.
»Die drei Männer mit den Peilsendern sollen diese an nicht manipulierten Containern befestigen, dann sollten sie zusehen, dass sie mit einem anderen Lastwagen nach Mekka fahren. Die Leute, die die Lieferung verfolgen, müssen annehmen, dass sie dicht hintereinander unterwegs sind.«
»Was sollen meine Männer tun, wenn sie in Mekka eintreffen?«
»Von den Lastwagen abspringen, ehe sie den Frachtterminal erreichen, und die Peilsender in der nächsten Mülltonne, die sie finden, entsorgen. Dann sollen sie mit einem Bus nach Jeddah fahren und sich gleich zum Hafen begeben. Dort liegt eine Barkasse namens Akbar II. Sie sollen das Boot besteigen und werden in Sicherheit gebracht.«
»Akbar II«, wiederholte Colgan.
»Die fünf von Ihren Leuten, die noch übrig sind, müssen die Fahrer überwältigen und sich der Lastwagen bemächtigen. Sie sollen die Fahrer fesseln und knebeln und auf der Beifahrerseite auf den Boden legen. Dann fahren sie einfach durch das Tor und biegen, sobald sie die Straße erreichen, statt nach Westen nach Osten ab. Ihr Ziel ist Bahrain.«
»Okay«, sagte Colgan.
»Abzüglich der drei Männer, die nach Mekka unterwegs sind, haben Sie immer noch fünf Männer, so dass es in zwei Lastwagen ziemlich eng wird — Ihr Fahrer und Beifahrer sowie der geknebelte und gefesselte Fahrer, den Sie überwältigt haben. Ihr jeweils zweiter Mann soll in Deckung gehen, wenn der Lastwagen den Frachtbereich verlässt, damit er nicht gesehen wird.«
»Werden wir nicht angehalten und überprüft?«, wollte Colgan wissen.
»Wir haben heute von jemandem die Ein- und Ausfahrt beobachten lassen«, sagte Jones. »Sie überprüfen die Identität des jeweiligen Lastwagens bei der Einfahrt. Anschließend notieren sie nur noch die Nummer des Containers, wenn er auf einem Lkw abtransportiert wird.«
»Aber was geschieht, wenn die Fracht fehlt und der Peilsender gefunden wird?«, fragte Colgan. »Werden sie dann nicht ganz gezielt nach uns suchen?«
»Die Fahrt von Riad nach Mekka dauert sechs Stunden«, erwiderte Jones. »Bis Bahrain sind es nur vier. Sobald sie bemerken, dass die Container verschwunden sind, sind Sie und Ihre Leute längst auf einem Frachtschiff und dampfen in Richtung Katar.«
»Und Sie sind sicher, dass wir es ungehindert durch die Grenzkontrolle nach Bahrain schaffen?«
»Das wurde bereits veranlasst.«
»Ein richtig hübscher Plan«, stellte Colgan fest.
»Viel Glück.«
Eine Viertelstunde später verließen Colgan und seine vier Männer ungehindert den Frachtbereich und machten sich nach Bahrain auf den Weg. Sieben Minuten danach befestigte ein Offizier der Küstenwache namens Perkins zusammen mit zwei anderen Soldaten die Peilsender an drei Lastwagen eines Konvois, der sechs Lastwagen umfasste. Dann stiegen sie in den letzten Lastwagen.
Die Ladung des Lkws bestand aus Mineralwasserflaschen, so dass sie während ihrer sechsstündigen Fahrt nach Mekka wenigstens nicht unter Durst leiden mussten. Wenn der Lastwagen auch noch eine Palette Schokoriegel an Bord gehabt hätte, hätte es die reinste Vergnügungsreise sein können.
Es war fast Mittag, als Adams, Cabrillo und der CIA-Agent mit dem Stein Abrahams beim ersten Tankstopp in Al Ghardaqah, Ägypten, an der Mündung des Khalij as-Suways ins Rote Meer, landeten.
Overholt hatte nicht nur für den versprochenen Treibstoff gesorgt, sondern auch für Verpflegung, Wasser, Kaffee und einen Techniker der U.S. Army, der eine Schnellinspektion des R-44 durchführte. Der Techniker füllte Motoröl nach und erklärte den Robinson danach für hundertprozentig einsatzbereit. Nach einem schnellen Toilettengang starteten die drei Männer gleich wieder zum Weiterflug.
Die nächste Etappe des Fluges, gut dreihundert Kilometer bis Aswan, wurde in weniger als zwei Stunden geschafft. Der Helikopter wurde erneut aufgetankt und durchgecheckt, dann flogen die drei Männer weiter.
Die längste Etappe — von Aswan nach Ras Abu Shagara, der lang gestreckten Halbinsel, die von Jeddah in Saudi-Arabien ins Rote Meer hineinragt — betrug fünfhundertfünfzig Kilometer und würde fast drei Stunden dauern.
Der Robinson hatte Aswan eine halbe Stunde hinter sich gelassen und schwebte über der Wüste, als Adams das Wort ergriff. »Bis zur nächsten Station«, sagte er, »sind es gut zwei Stunden. Wenn jemand schlafen möchte, soll er das ruhig tun. Mir macht es nichts aus.«
Der CIA-Agent auf dem Rücksitz nickte dankbar, machte es sich bequem und zog sich die Mütze über die Augen.
»Bist du okay, George?«, fragte Cabrillo. »Du bist schon seit Stunden in der Luft — wie hältst du das durch?«
»Gute Kondition, Juan«, erwiderte Adams grinsend. »Ich bringe uns in den Sudan, dann übers Rote Meer und setze euch ab — sobald ich wieder im Sudan bin, haue ich mich aufs Ohr.«
Cabrillo nickte, und während der Hubschrauber unbeirrt seinem Kurs nach Süden folgte, fielen dem Chef der Corporation die Augen zu.
Es war kurz nach sechzehn Uhr, als sich Hanley auf der Oregon per Satellitentelefon bei Skutter meldete. Ohne klare Anweisung, was sie als Nächstes unternehmen sollten, hatten sich Skutter und sein Team möglichst unauffällig im Busbahnhof aufgehalten und auf eine Nachricht gewartet.
»Mein Name ist Max Hanley. Ich koordiniere die Einsätze der Organisation, zu der auch Mr. Kasim gehört.«
»Was sollen wir tun?«, fragte Skutter schnell.
Mehrere Leute hatten sich seinem Team bereits genähert und neugierige Fragen gestellt, und nur einer seiner Männer beherrschte ein paar Brocken Arabisch. Wenn sie sich noch länger dort aufhalten müssten, bestand die Gefahr, dass man sie als unbefugte Eindringlinge entlarvte.
»Links von Ihnen«, sagte Hanley, »sitzt ein Bettler mit einem Blechteller, der so tut, als schliefe er. Sehen Sie ihn?«
»Ja«, antwortete Skutter.
Der Mann schien sein Team seit zwanzig Minuten zu beobachten.
»Gehen Sie zu ihm hin und legen Sie eine Münze auf seinen Teller«, sagte Hanley.
»Wir haben keine Münzen«, flüsterte Skutter, »nur Papiergeld.«
»Dann nehmen Sie den kleinsten Schein, den Sie haben«, sagte Hanley. »Er wird Ihnen etwas in die Hand drücken, das aussieht wie eine religiöse Broschüre. Nehmen Sie das Heft entgegen, begeben Sie sich damit in eine verlassene Seitenstraße, wo Sie es unbeobachtet lesen können.«
»Was dann?«
»Sie finden Ihre weiteren Instruktionen darin.«
»Ist das alles?«, wollte Skutter wissen.
»Vorerst ja«, antwortete Hanley, »und viel Glück.«
Skutter unterbrach die Verbindung und informierte einen seiner Männer im Flüsterton. Dann begab er sich zu dem Bettler, holte eine Banknote aus der Tasche, bückte sich und legte sie auf den Teller.
»Der Lohn Allahs ist dir gewiss«, sagte der Bettler auf Arabisch und reichte ihm die Broschüre.
Skutter richtete sich wieder auf und konnte den Anflug eines Zwinkerns im linken Auge des Bettlers erkennen. Plötzlich wurde Skutter von neuer Hoffnung beflügelt. Zusammen mit seinen Männern verließ er den Busbahnhof, fand einen abgelegenen Platz und las die Instruktionen. Er war nur ein paar Straßen von seinem nächsten Ziel entfernt, und während er mit seinen Männern dorthin aufbrach, begann er kurzerhand, sich die Broschüre Seite für Seite in den Mund zu stopfen und aufzuessen.
»Verlassen Sie auf keinen Fall das Haus«, warnte der Kontaktmann der CIA Hali Kasim und seine Leute in ihrem Versteck. »Tun Sie nichts, was Aufmerksamkeit auf Sie lenken könnte. In der Küche finden Sie Lebensmittel, Wasser und andere alkoholfreie Getränke.«
»Wie können wir Sie erreichen, falls es nötig sein sollte?«, fragte Kasim.
»Das brauchen Sie nicht«, erwiderte der Kontaktmann. »Warten Sie ab, bis Ihre Leute Ihnen weitere Anweisungen zukommen lassen. Ich hatte lediglich den Auftrag, Vorräte ins Haus zu schaffen, Sie und Ihre Leute abzuholen und herzubringen. Damit ist mein Auftrag beendet. Ich wünsche Ihnen Glück und Gottes Hilfe.«
Damit ging der CIA-Agent zur Tür und verließ das Haus.
»Das kommt mir ziemlich seltsam vor«, bemerkte ein Soldat in Kasims Team.
»Alles wurde in kleine Pakete aufgeteilt«, erklärte Kasim.
»Jeder Teil dieser Operation wird streng separat abgewickelt, bis es Zeit wird, alles zusammenzufügen. Im Augenblick sollten wir uns ausruhen und uns nacheinander frisch machen. Jeder soll eine anständige Mahlzeit einnehmen und sich so gut wie möglich entspannen. Ich denke, man wird sich schon bald bei uns melden, und wenn das geschieht, geht es erst richtig los.«
Alle nickten.
Die Sonne ging bereits unter, als Adams sich der Akbar vom Roten Meer aus näherte. Erst überquerte er die Jacht, um die Besatzung auf sich aufmerksam zu machen, dann ging er über dem Heck in Position und ließ den Robinson langsam herabsinken. Al-Khalifas Kawasaki-Helikopter besetzte immer noch den Heliport, daher blieb er über einer freien Fläche auf dem Achterschiff in geringer Höhe in der Luft stehen. Der CIA-Agent ließ den Stein Abrahams, der in einem ausgepolsterten Karton sicher verpackt war, aufs Deck fallen und sprang hinterher.
»Overholts Männer erwarten dich in Ras Abu Shagara«, sagte Cabrillo. »Schaffst du es bis dorthin?«
»Ich denke schon«, erwiderte Adams.
Der CIA-Agent schleppte den Karton zur hinteren Tür der Akbar. Cabrillo stieg aus der Maschine und ging geduckt hinter ihm her. Adams startete sofort wieder durch.
In diesem Augenblick klingelte Cabrillos Mobiltelefon.
»Das erste Gefahrenmoment wäre ausgeschaltet«, gab Hanley durch. »Die Frachtcontainer befinden sich an Bord eines Schiffes, das soeben von Bahrain in Richtung Katar ausläuft.«
»Gab es irgendwelche Probleme?«
»Keine. Alles lief wie geplant«, sagte Hanley. »Drei Männer warten in Jeddah auf die Barkasse der Akbar. Sie müssen zur Jacht gebracht werden — ihre Beteiligung an der Operation ist beendet.«
Kent Joseph, Angehöriger eines Florida-Teams, das engagiert worden war, um die Akbar für die Corporation zu übernehmen, schob den Kopf aus der Tür. Cabrillo winkte ihm grinsend zu. Dann gab er dem Kapitän mit einem Finger ein Zeichen, noch einen Moment zu warten.
»Was ist mit Skutter?«
»Er hat die Zeichnungen, wir schicken ihn und seine Leute heute Abend los«, sagte Hanley. »Wenn er Erfolg hat, wäre Punkt zwei erledigt, und es bleibt nur noch einer übrig.«
»Siehst du noch irgendwelche Probleme?«, fragte Cabrillo.
»Ich rufe dich in Kürze zurück.«
Das Telefon verstummte, und Cabrillo verstaute es in der Hosentasche. Dann streckte er Joseph die Hand entgegen.
»Juan Cabrillo«, stellte er sich vor und schüttelte dem Mann die Hand. »Ich gehöre zur Corporation.«
»Ist das so etwas wie die Agency?«, fragte Joseph.
»Ganz und gar nicht«, antwortete Cabrillo. Lächelnd schüttelte er den Kopf. »Ich bin kein Spion.«
Joseph nickte und winkte ihn zur Tür.
»Aber er ist einer«, bemerkte Cabrillo und deutete auf den CIA-Agenten.
Es war dunkel, als Coast Guard Petty Officer Perkins und die anderen beiden Männer im letzten Lastwagen des Konvois spürten, wie ihr Fahrzeug langsamer wurde. Perkins lugte durch den Spalt der Containertüren hinaus. Er sah vereinzelte Gebäude am Straßenrand und die Scheinwerfer eines Wagens, der ihnen folgte. Er musste fast fünf Minuten lang warten, bis der Gegenverkehr endlich für einige Zeit nachließ, der Wagen beschleunigen konnte und die Lastwagen überholte.
»Okay, Leute«, sagte Perkins, »wir müssen abspringen.«
Beim Einsteigen hatte Perkins die Tür einen Spaltbreit offen gelassen, so dass dies kein Problem darstellte. Das Problem war die Geschwindigkeit des Lkw — sie betrug immer noch gut fünfzig Stundenkilometer. Perkins betrachtete vom Wagenheck aus den Straßenrand.
»Männer«, sagte er eine Minute später, »es wird ganz bestimmt nicht einfach. Das Beste für uns ist wohl zu warten, bis wir Sand am Straßenrand sehen, dann hängt ihr beide euch an die Tür und ich stoße sie auf. Ihr müsstet dann so weit herumschwingen, dass ihr in die Nähe des Straßenrands kommt — und euch so bald wie möglich fallen lassen.«
»Wird der Fahrer nichts davon bemerken?«, fragte einer der Männer.
»Vielleicht wenn er in genau diesem Moment in den Rückspiegel schaut«, gab Perkins zu, »aber die Tür müsste anschließend sofort wieder zurückschwingen, und wenn er von dem Manöver nicht sofort etwas bemerkt, dürfte er eine ziemlich lange Strecke zurückgelegt haben, ehe er bemerkt, dass die Tür geöffnet ist.«
»Was ist mit Ihnen?«, fragte der dritte Mann.
»Ich kann nichts anderes tun, als Anlauf zu nehmen und so weit zu springen, wie ich kann.«
Die Gebäude wurden spärlicher, als sie durch eine weniger dicht besiedelte Gegend am Rand Mekkas fuhren. Perkins blickte hinaus in die Dämmerung. »Ich weiß nicht, Leute«, murmelte er. »Ich denke, diese Stelle ist nicht besser oder schlechter als jede andere.«
Perkins half ihnen, sich an den oberen Rand der Tür zu hängen, und stieß sie kurz danach hinaus. Die Tür schwang auf und herum, die beiden Männer fielen, landeten auf dem harten Untergrund und rollten sich in den Sand. Perkins nahm in dem Container so gut wie möglich von rechts nach links Anlauf und sprang ab. Während er durch die Luft flog, ruderte er heftig mit den Beinen, als könnte er damit seine Flugbahn verlängern.
Mit hin und her schlagender Tür entfernte sich der Lastwagen und verschwand in der Dunkelheit. Wenig später waren sie allein. Nur die Lichter von Mekka erhellten in einigen Kilometern Entfernung den Wüstenhimmel.
Perkins hatte sich bei der Landung am Knie ein Stück Haut abgeschürft und stellte nun fest, dass es außerdem verstaucht war. Er lag dicht neben der Straße. Die anderen beiden Männer, der eine mit einer leicht blutenden Wunde am Ellbogen, der andere mit einem roten Fleck im Gesicht, wo er ein Stück durch den Sand gerutscht war, halfen ihm auf die Beine.
Dabei gab Perkins’ Knie nach, und er sank wieder zurück in den Sand.
»Nehmen Sie das Telefon, das man mir gegeben hat«, sagte er, griff in seine Hosentasche und reichte es einem der Männer, »und drücken Sie auf die Einser-Taste. Sobald sich jemand meldet, schildern Sie unsere Lage.«
Auf der Oregon griff Hanley nach dem klingelnden Telefon.
»Okay, warten Sie einen Moment«, sagte er, nachdem er sich die Erklärung des Mannes angehört hatte.
»Hol mir mal die genauen GPS-Koordinaten zu diesem Signal!«, rief er Eric Stone zu, der auf dem Computer sofort die entsprechenden Eingaben machte.
»Gibt es neben der Straße irgendeinen Punkt, wo Sie nicht zu sehen sind?«, fragte Hanley.
»Wir befinden uns am Rand eines Flussbetts«, berichtete der Mann. »Darüber erkenne ich so etwas wie eine Düne.«
»Sehen Sie zu, dass Sie auf diese Düne steigen und dort in Deckung gehen«, sagte Hanley. »Halten Sie die Verbindung offen — ich melde mich gleich wieder bei Ihnen.«
Er schnappte sich ein anderes Telefon und wählte die Nummer des Stationschefs für Saudi-Arabien, die Overholt ihm übermittelt hatte. »Hier ist das Subunternehmen«, meldete er sich. »Haben Sie zurzeit Agenten in Mekka stationiert?«
»Klar«, antwortete der Stationschef. »Wir haben einen saudischen Bürger dort.«
»Verfügt er über ein Auto?«
»Er fährt einen Pepsi-Cola-Lieferwagen.«
»Er muss sofort folgende GPS-Koordinaten aufsuchen«, sagte Hanley, »und dort drei Männer aufsammeln. Ist das möglich?«
»Warten Sie«, sagte der Stationschef, während er die Nummer des Mobiltelefons seines Agenten wählte.
Hanley konnte mithören, wie der Stationschef ihm im Hintergrund die Situation erklärte.
»Er fährt gleich los«, sagte dieser dann zu Max Hanley. »Er meint, er sei in zwanzig Minuten dort.«
»Sagen Sie ihm, er soll hupen, sobald er sich dem Punkt nähert«, sagte Hanley. »Unsere Männer kommen dann aus ihrem Versteck.«
»Wo soll er sie hinbringen?«, fragte der Stationschef.
»Nach Jeddah.«
»Ich melde mich, falls es Probleme geben sollte.«
»Keine Probleme«, sagte Hanley. »Die können wir jetzt nicht brauchen.«
Hanley legte auf, ergriff den anderen Telefonhörer und erläuterte den Plan.
Ihm mochte im Augenblick nicht der Sinn nach Problemen stehen, aber genau das war es, womit er sich herumschlagen musste.
Im Konferenzraum drängten sich Eddie Seng, Linda Ross, Tom Reyes, Franklin Lincoln, Bob Meadows, Mark Murphy, Monica Crabtree, Carl Gannon, Cliff Hornsby und Michael Halpert. Alle zehn schienen gleichzeitig zu reden.
»Aus der Luft können wir nichts unternehmen«, sagte Franklin Lincoln, »das würden sie sofort bemerken.«
»Um es mit einem Tunnel zu versuchen, haben wir zu wenig Zeit«, stellte Linda Ross fest.
»Der Schlüssel ist«, sagte Halpert zu Monica Crabtree, »wie Hickman den Stein überhaupt hat rausschaffen können.«
»Ich könnte ein Feuerwerk inszenieren, um sie abzulenken«, schlug Mark Murphy vor und grinste Cliff Hornsby an, »aber wir sind hier auf der Oregon, auf dem Mittelmeer, und sie hängen in Saudi-Arabien fest.«
»Wie wäre es mit Tränengas?«, überlegte Tom Reyes.
»Oder sollen wir das Stromnetz lahmlegen?«, meldete sich Bob Meadows.
Eddie Seng stand auf. »Okay, Leute«, sagte er, »bringen wir mal ein wenig Ordnung in dieses Durcheinander.«
Als einer der geistigen Väter der gesamten Operation leitete er dieses Brainstorming.
Er schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, was ihn jedoch nicht davon abhielt, auch seine Ausführungen zum anstehenden Thema zum Besten zu geben. »Wir haben weniger als eine Stunde Zeit, um einen Plan zu entwickeln, den das Einsatzteam durchführen kann, wenn wir diese Angelegenheit heute noch unter Dach und Fach bringen wollen — und genau das werden wir jetzt tun.«
Er kehrte mit der vollen Tasse Kaffee an den Konferenztisch zurück. »Wie Michael richtig bemerkte, ist doch die Frage: Wie hat Hickman die Meteoriten austauschen können?«
»Er musste die Wächter irgendwie außer Gefecht setzen«, sagte Meadows. »Ich wüsste keine andere Möglichkeit, wie er es sonst hätte schaffen können.«
»Warum wurde der Diebstahl dann nicht kurz danach bemerkt«, fragte Seng, »und gemeldet?«
»Er hatte einen Insider als Komplizen«, sagte Murphy, »das ist die einzige Möglichkeit.«
»Wir haben die Wachen überprüft«, entgegnete Seng. »Wenn einer von ihnen wusste, was geschehen sein muss, wäre er mittlerweile längst nicht mehr in Mekka. Aber sie haben alle noch ihren Job.«
Im Konferenztraum herrschte einen Moment lang Stille, während die Versammelten nachdachten.
»Du sagtest, du hättest die Wachen überprüft«, meinte Linda Ross, »demnach kennst du ihre Zeit- und Dienstpläne, richtig?«
»Richtig«, sagte Eddie Seng.
»Dann besteht die einzige Möglichkeit, die Sache durchzuziehen, darin, alle vier auszuwechseln«, entschied Linda Ross.
»Das ist gut«, sagte Halpert, »wir schlagen beim Schichtwechsel zu — ersetzen die neuen Wächter durch unsere Leute.«
»Und was dann?«, fragte Seng.
»Wir schalten in ganz Mekka den Strom ab«, sagte Reyes, »und lassen sie den Umtausch vornehmen.«
»Aber dann haben wir vier Wächter, die beim nächsten Schichtwechsel gefunden werden«, sagte Seng.
»Eddie«, gab Gannon zurück, »bis dahin sind die Teams aus Katar längst in Sicherheit, und die Saudis können tun, was immer sie wollen.«
Alle schwiegen, während sich Eddie Seng das Ganze durch den Kopf gehen ließ.
»Es ist zwar ziemlich unelegant«, erklärte er schließlich, »aber machbar.«
»Manchmal muss man eine Kokosnuss mit einem Stein zerschlagen, um an die Milch zu kommen«, sagte Gannon.
»Ich werde es Max vorschlagen«, sagte Eddie Seng, während er sich erhob. »Soll er entscheiden.«
Während die Planungskonferenz auf der Oregon beendet wurde, fanden Skutter und sein Team einen der Zugänge zu dem Tunnel unter der Moschee des Propheten und stiegen hinein. Sie waren erst fünf Minuten weit gekommen, als der erste Sprengsatz entdeckt wurde.
»Verteilt euch im Tunnel«, befahl Skutter den anderen, »und seht nach, wie viele von diesen Dingern hier unten angebracht wurden.«
Dann wandte er sich an den einzigen Mann in seinem Team, der sich im Umgang mit Sprengstoffen auskannte.
»Und was denken Sie?«
Der Mann lächelte und holte eine Drahtschere aus der Tasche. Er bückte sich, zog einen Draht hoch und durchtrennte ihn. Er fand weitere Drähte, zerschnitt diese ebenfalls und entfernte dann das Klebeband von der Dynamitstange.
»Ziemlich primitiv, aber höchst wirkungsvoll, das muss ich zugeben«, sagte der Mann, legte das C-6-Päckchen und die Dynamitstange getrennt auf den Tunnelboden.
»War es das schon?«, fragte Skutter erstaunt.
»Das war’s«, bestätigte der Mann. »Aber eins sollte man beachten.«
»Und was?«
»Behandeln Sie das Dynamit vorsichtig. Treten Sie nicht darauf und lassen Sie nichts darauf fallen«, erklärte der Mann. »Es sieht ziemlich alt aus und könnte instabil sein.«
»Keine Sorge«, sagte Skutter. »Wir lassen alles hier liegen.«
Innerhalb von zwei Stunden würden sämtliche Ladungen entschärft und der Tunnel noch einmal sorgfältig inspiziert werden. Anschließend könnte Skutter diesen Punkt als erledigt melden.
Während der Sprengstoffexperte die Drähte der ersten Sprengladung durchschnitt, telefonierte Max Hanley mit Juan Cabrillo auf der Akbar.
»Das ist es, was wir uns überlegt haben, Juan«, sagte er, nachdem er Cabrillo den Plan skizziert hatte, den sie entwickelt hatten. »Ich gebe zu, besonders raffiniert ist das Ganze nicht gerade.«
»Hast du schon mit Hali gesprochen?«, fragte Cabrillo.
»Ich wollte mich erst mit dir abstimmen.«
»Ich bin dafür«, entschied Cabrillo. »Fax mir alles, was du hast, rüber, damit ich den CIA-Agenten informieren kann. In der Zwischenzeit gebe ich Hali durch, was wir uns ausgedacht haben.«
»Ich schick es gleich los.«
»Du stehst unter erheblichem Zeitdruck«, sagte Cabrillo zu Kasim. »Der Schichtwechsel findet um zwei Uhr nachts statt.«
»Wie sieht es mit Sprengladungen aus?«, fragte Kasim.
»Der CIA-Agent, der mit dem Stein Abrahams zu euch kommt, bringt ein Dutzend chemische Detektoren mit. Die Leute deines Teams sollen alles so gut wie möglich durchkämmen, während du den Austausch vornimmst.«
»Okay«, sagte Kasim.
»Du und deine Leute, ihr habt eine Stunde und vierzig Minuten Zeit, um die Große Moschee zu erreichen, die Wächter und ihre Aktionen zu beobachten, anschließend die Ablösung abzufangen, sie außer Gefecht zu setzen und ihre Stelle einzunehmen. Schafft ihr das?«
»So wie es aussieht, haben wir keine andere Wahl.«
»Jetzt kommt es allein auf euch an, Hali«, sagte Cabrillo.
»Ich werde dich oder meine Religion schon nicht im Stich lassen«, versprach Kasim.
»Ich gebe dem CIA-Mann noch die letzten Infos und schicke ihn dann los«, sagte Cabrillo. »Ein Wagen mit Fahrer steht bereit, um ihn nach Mekka zu bringen. Wenn er nichts Ungewöhnliches bemerkt, wird er die Moschee um zehn nach zwei betreten.«
»Wir halten uns bereit«, sagte Kasim.
Die Verbindung wurde unterbrochen, und Kasim wandte sich an seine Leute. »Alle mal herhören, wir haben folgende Anweisungen.«
Cabrillo riss die Seiten aus dem Faxgerät und setzte den CIA-Agenten ins Bild. Danach stieg er mit ihm in die Barkasse, um in den Hafen von Jeddah überzusetzen. Es war eine ruhige Nacht, warm und völlig windstill. Der abnehmende Mond warf seinen fahlen Schein aufs Wasser, während das Boot über die spiegelglatte See jagte.
Je mehr die Lichter der Akbar in der Dunkelheit verschwanden, desto größer und heller wurde das Hafenpanorama von Jeddah.
Sobald der Pepsi-Cola-Lieferwagen am Fuß der Düne erschien und hupte, machten sich Perkins und die beiden Männer in ihrem Versteck bereit. Sie warteten, bis auf der Straße kein Verkehr mehr war, und rannten dann durch den Sand hinunter. Perkins’ Knie war beachtlich angeschwollen, einer der Männer musste ihn stützen, während der andere den Lieferwagen erreichte.
»Sollen Sie uns abholen?«, fragte er den Fahrer.
»Schnell, steigen Sie ein«, erwiderte der Fahrer, lehnte sich zur Seite und öffnete die Beifahrertür.
Sobald die drei Männer Platz gefunden hatten, wendete der Fahrer und raste mit Vollgas in Richtung Mekka. Er hatte auf der Schnellstraße nach Jeddah, die an Mekka vorbeiführte, mindestens drei Kilometer zurückgelegt, ehe er den Mund aufmachte.
»Wie finden Sie die Eagles?«, fragte er, während er eine CD in den Player schob.
Kurz darauf erklang der erste Titel des Albums Hotel California, während sie durch die Nacht brausten.
Sobald die Barkasse an Land anlegte, kletterte der CIA-Agent hinaus und rannte zu einem wartenden Chevrolet Suburban. Mit durchdrehenden Rädern, die kleine Steine hochschleuderten, raste der Wagen los.
»Was kommt als Nächstes?«, fragte einer der Mechaniker aus Florida, der die Barkasse steuerte.
»Jetzt ziehen wir uns zurück und warten auf den Pepsi-Cola-Lieferwagen«, entschied Cabrillo.
Der Mechaniker schaltete in den Rückwärtsgang, und das Boot entfernte sich vom Ufer. »Sind Sie etwa Pepsi-Cola-Schmuggler?«
»Haben Sie ein Radio an Bord?«, fragte Cabrillo.
Der Mechaniker drehte an einem Einstellknopf. »Auf was stehen Sie denn?«
»Suchen Sie irgendwelche Nachrichten«, bat Cabrillo.
Dann machten er und der Mechaniker es sich im Boot bequem, während es auf den Wellen der Bucht sanft vor sich hin schaukelte.
Ein Chevrolet Suburban flitzte an dem Lieferwagen, der in entgegengesetzter Richtung unterwegs war, vorbei, während der Fahrer die Hauptstraße verließ und auf die Straße abbog, die zum Hafen von Jeddah führte. Der Fahrer befolgte die Anweisungen, die er vorher erhalten hatte, und parkte den Wagen schließlich mit Blick aufs Meer. Er ließ die Scheinwerfer dreimal aufleuchten und wartete dann.
Nicht weit vom Ufer entfernt antworteten die kleinen roten Lampen am Bug des Bootes.
»Okay, Männer«, sagte der Fahrer, »ich bin hier fertig. Gleich kommt ein Boot, um Sie abzuholen.«
Der erste Mann schwang sich aus dem Führerhaus und half Perkins nach unten. Die beiden Männer humpelten bereits in Richtung Strand, während der dritte ausstieg.
»Vielen Dank fürs Mitnehmen«, sagte er und schloss die Tür.
»Ich schicke Ihnen die Rechnung per Post!«, rief der Fahrer scherzhaft durchs offene Seitenfenster, ließ den Motor an und setzte rückwärts auf die Straße zurück.
Die drei Männer gingen hinunter zum Wasser, während sich die Barkasse der Akbar langsam auf den Sand schob. Cabrillo sprang heraus und half den dreien an Bord, ehe er wieder seinen Platz einnahm.
»Ab nach Hause, James«, sagte er zu dem Mechaniker.
»Woher wissen Sie, dass ich James heiße?«, fragte der Mechaniker und lenkte das Boot zurück in tieferes Wasser.
Sobald Perkins und seine Männer sicher an Bord der Akbar waren, wies Cabrillo Joseph an, so schnell wie möglich an der Küste entlang nach Norden zu dampfen.
Auf der Oregon überwachte Max Hanley die verschiedenen Operationen. Es war kurz nach ein Uhr morgens, als der Lastwagen, der Skutter und seine Männer hatte abholen sollen, meldete, dass sie Medina verlassen hätten und nun nach Jeddah unterwegs seien.
Die Strecke betrug knapp hundertfünfzig Kilometer.
Abgesehen von möglichen unangenehmen Überraschungen war Teil zwei der Mission damit so gut wie abgeschlossen.
Hanley nahm den Telefonhörer und rief Cabrillo an.
»Pete ist zu der Gruppe mit den Gebetsteppichen gestoßen, und alles ist soweit okay«, berichtete er. »Sie haben sich einer Desinfektionsdusche unterzogen, danach frische Kleidung bekommen und schlafen jetzt. Team zwei hat seine Mission in Medina absolviert und ist unterwegs zu dir. Sie müssten in ein paar Stunden eintreffen.«
»Haben Sie Sprengladungen gefunden?«, wollte Cabrillo wissen.
»Offensichtlich genug, um die Moschee des Propheten dem Erdboden gleichzumachen«, antwortete Max Hanley.
»Sie haben die Sprengsätze entschärft und im Tunnel zurückgelassen. Sie von dort zu entfernen, muss die CIA oder jemand anders übernehmen.«
»Dann hängt jetzt alles an Hali«, sagte Cabrillo.
»So sieht es aus.«
Zu dieser Zeit näherten sich Hali Kasim und sein Team der Moschee, in der sich die Kaaba befand. Die Tatsache, Bürger der Vereinigten Staaten zu sein, war für die Männer kein besonderer Trost — sie befanden sich mitten in einem fremden Land, dessen höchste Strafe der Tod durch Enthauptung war. Außerdem waren sie im Begriff, zum heiligsten Ort des Landes vorzudringen, um eine Mission durchzuführen, die durchaus als terroristischer Akt betrachtet werden konnte. Die vierzehn Soldaten und Kasim waren sich dessen nur zu bewusst.
Ein einziger Fehler, ein Fehltritt — und die gesamte Operation wäre gescheitert.
Als Hali Kasim durch eins der Tore den Innenhof der Moschee betrat, auf dem die mit schwarzem Brokat verhüllte Kaaba stand, startete in Katar ein Truppentransporter des Typs C-17A. Der von Boeing gebaute Jet, ein Ersatz für die ehrwürdige Lockheed-Martin-C-130-Propellermaschine, fasste 102 Soldaten oder 169000 Pfund Fracht.
Konstruiert, um auf kurzen oder unbefestigten Rollbahnen zu starten und zu landen, genügten drei Mann Besatzung für den Betrieb der Maschine. Außerdem hatte die C-17A eine Reichweite von knapp fünftausend Kilometern, die sie bei diesem Einsatz auch würde zurücklegen müssen.
Nach ihrem Start von Katar am Persischen Golf sollte sie über den Golf von Oman bis zum Indischen Ozean fliegen. Dort würde sie Kurs auf die Arabische See nehmen, den Golf von Aden überqueren und durch die Lücke zwischen Jemen und Djibuti bis übers Rote Meer vordringen, um dort in eine Warteschleife zu gehen, bis sie angefordert oder wieder zurückgeschickt würde.
Die C-17A war der Joker, von dem jeder hoffte, dass er nicht ausgespielt werden musste.
Hali Kasim begab sich weiter in die Moschee hinein, dann suchten er und vier seiner Leute ein Versteck, von wo aus sie die Wachen und ihre Aktionen beobachten konnten. Die Routine war simpel. Alle fünf Minuten marschierten die Wächter im Uhrzeigersinn von der einen Ecke zur nächsten.
Ihre übertrieben feierliche Gehweise zu imitieren, erschien nicht allzu schwierig.
Hali Kasim zog die Lagepläne zu Rate, die ihm zur Verfügung standen, und suchte das kleine gemauerte Gebäude innerhalb der Moschee, in dem die Wächter ihre Straßenkleidung gegen die vorgeschriebenen Uniformen austauschten. Nachdem er es auf der groben Skizze lokalisiert hatte, bedeutete er den Männern, an Ort und Stelle zu bleiben, und kehrte dann dorthin zurück, wo seine übrigen Männer warteten.
»Halten Sie die Augen offen«, befahl er einem von ihnen, »und pfeifen Sie, falls Sie uns auf irgendetwas aufmerksam machen müssen.«
»Und auf was soll ich achten?«, fragte der Mann.
»Auf alles, was irgendwie verdächtig oder ungewöhnlich erscheint.«
Der Mann nickte.
»Die anderen folgen mir. Wir gehen rüber zu diesem kleinen Bau«, erklärte er leise, »und warten auf den ersten Wächter der Ablösung. Ich schalte ihn aus, sobald er die Tür öffnet.«
Die Männer hatten verstanden und nickten.
Dann verteilten sie sich in der Moschee und bewegten sich langsam auf das Gebäude zu. Nach ein paar Minuten hatte jeder seinen Posten bezogen.
Abdul Ramein war müde. Sein Dienst als Wächter änderte sich rotationsweise von Monat zu Monat. Manchmal lag seine vierstündige Schicht in der heißesten Zeit des Tages, manchmal bei Tagesanbruch — diesen Zeitraum mochte er am liebsten –, und manchmal begann sie um zwei Uhr nachts, wie heute. Es waren die Nachtschichten, an die er sich noch nie hatte gewöhnen können — seine innere Uhr konnte sich nicht darauf einstellen. Und wenn er Nachtschicht hatte, kostete es ihn die größte Mühe, gegen den Schlaf anzukämpfen.
Nachdem er eine Tasse dampfenden, mit Kardamon aromatisierten Kaffees geleert hatte, schob er sein Fahrrad in einen Ständer auf der Straße vor der Moschee und sicherte es mit einer Kette und einem Vorhängeschloss.
Dann ging er zum Eingang der Moschee.
Er hatte den Innenhof fast zur Hälfte überquert, als das schrille Pfeifen eines Vogels erklang.
Sich den Schlaf aus den Augen reibend, holte er die Schlüssel aus der Tasche, während er sich dem kleinen Mannschaftshaus näherte. Er hob das Vorhängeschloss und schob den Schlüssel ins Schlüsselloch. Er war gerade dabei, den Schlüssel umzudrehen, als sich eine Hand auf seinen Mund legte und er einen winzigen Einstich in seinem Arm spürte.
Daraufhin wurde sein Schlafbedürfnis übermächtig, und er kapitulierte.
Hali Kasim öffnete die Tür des Raums und zog Ralmein herein. Als er den Wandschalter betätigte, erhellte eine einzige Glühbirne seine knapp bemessene Umgebung. Viel gab es in dem Häuschen nicht zu sehen — ein Kleiderständer an der einen Wand, an dem Uniformen in Plastiksäcken hingen, um sie vor Staub zu schützen, ein großes Waschbecken und eine Toilette hinter einem Vorhang.
An einer anderen Wand, mit Heftzwecken an einem Korkbrett befestigt, befand sich der Dienstplan für die nächste Woche. An der dritten Wand hingen in einem Rahmen ein Foto von König Abdullah und in einem anderen ein Bild von der Großen Moschee während des Haddsch. Es war aus der Luft aufgenommen worden und zeigte Scharen von Menschen. Schließlich hing neben den Bildern auch noch eine Uhr in einem runden schwarzen Gehäuse. Ihre Zeiger standen auf 1:51 Uhr morgens.
Hali Kasim hörte einen Laut, der dem Ruf einer Eule ähnelte. Er knipste das Licht aus und wartete.
Der zweite Wächter trat durch die Tür und streckte die Hand nach dem Lichtschalter aus. Er legte ihn um und gewahrte für einen winzigen Moment Hali Kasim, der vor ihm stand. Der Anblick erschreckte ihn derart, dass er ihn für einen Sekundenbruchteil gar nicht richtig bewältigen konnte. Als er endlich reagierte, hatte Hali Kasim ihn bereits in einem Haltegriff und stach ihm die Nadel in den Arm.
Der Wächter erhielt einen Ruheplatz gleich neben Abdul Ralmein.
In diesem Augenblick hörte Hali Kasim die Stimmen von zwei Männern, die sich dem kleinen Steingebäude näherten. Er fand nicht mehr die Zeit, das Licht auszuschalten und sich zu verstecken. Die beiden Männer traten durch die offene Tür und starrten ihn an.
»Was zum –«, stieß einer der beiden hervor, als zwei Männer von Kasims Einsatzteam, die sich draußen versteckt hatten, den Weg zurück blockierten.
Der Kampf war beendet, ehe er richtig begonnen hatte.
Kasim gab einem seiner Männer mit dem Kopf ein Zeichen. »Gehen Sie schnell zum Tor und bringen Sie die anderen her.«
Der Mann entfernte sich eilig.
»Sechs von euch durchsuchen die Moschee nach Bomben«, befahl Kasim weiter. »Wenn die Detektoren eintreffen, schicken wir sie gleich zu euch rüber. Bis dahin müsst ihr euch auf eure Augen verlassen. Falls ihr etwas entdecken solltet, lasst bloß die Finger davon.«
Die sechs Männer verschwanden in der Nacht.
»Die anderen bleiben bei mir. Wenn wir erst die Uniformen der Wachablösung tragen und ihre Positionen eingenommen haben, brauchen wir jemanden, der sich um die Angehörigen der abgelösten Wächter kümmert.«
Drei Minuten später stand die falsche Wachablösung gestiefelt und gespornt bereit.
Hali Kasim sah sie beschwörend an. »Ihr habt hoffentlich genau beobachtet, was die Wächter zu tun haben, ja?«
Die Männer nickten heftig.
»Von jetzt ab tut genau dasselbe.«
»Gehen wir zusammen raus?«, fragte einer der Männer.
»Nein«, erwiderte Kasim. »Laut Dienstplan findet die Ablösung nacheinander statt. Sie beginnt mit der nordwestlichen Ecke und geht im Uhrzeigersinn weiter.«
Es war mittlerweile 1:57 Uhr.
»Sie zuerst«, entschied Kasim und deutete auf einen der Männer. »Wir beobachten alles genau — von weitem.«
Der erste falsche Wächter marschierte durch den Innenhof. Kasim und seine Männer versteckten sich hinter der Ecke des Gebäudes, das der Kaaba am nächsten stand, und schauten zu. Der Mann steuerte auf die nordwestliche Ecke der Kaaba zu.
Manchmal sind auch die am besten ausgedachten Pläne nichts anderes als Pläne. Dieser, übereilt und ohne die für die Corporation übliche Raffinesse zusammengeschustert, war im Begriff, grandios zu scheitern. Der Wächter, den Ralmein auf seinem Posten ablösen sollte, war zufälligerweise auch sein bester Freund. Als statt seiner jemand anders erschien, weckte dies sofort sein Misstrauen. Der echte Wächter wusste auf Anhieb, dass irgendetwas nicht stimmte.
»Wer bist du?«, fragte der Wächter mit lauter Stimme auf Arabisch.
Hali Kasim hörte die Frage und wusste, dass nun die Probleme begannen. Der Wächter griff nach einer Trillerpfeife, die er an einer Schnur um den Hals trug. Doch ehe er hineinblasen konnte, rang ihn der falsche Wächter zu Boden.
»Jeder kann jetzt tun, was er für richtig hält!«, brüllte Hali Kasim seinen Männern zu. »Nur darf niemand entkommen.«
Hali Kasim, die restlichen drei falschen Wächter und die vier anderen Männer verließen ihre Verstecke und rannten über den Hof auf die Kaaba zu. Schnell zogen sie zwei weitere Wächter aus dem Verkehr, aber einer riss sich los und flüchtete zum Tor.
Kasim verfolgte ihn sofort, aber der Wächter war schnell. Er hatte den Hof überquert und schon fast den Torbogen, der nach draußen führte, erreicht, als einer der Männer, die nach versteckten Bomben suchten, aus dem Schatten trat und ihn mit einer reflexartigen Armbewegung von den Beinen riss.
Der Wächter landete auf den Steinboden und verabschiedete sich ins Land der Träume. Ein dünner Blutfaden sickerte von seinem Hinterkopf auf die Marmorplatten.
»Schleift ihn ins Wächterhaus«, befahl Kasim, als er herüberkam, »und wickelt ihm etwas um den Kopf.«
Zwei Männer packten den bewusstlosen Wächter unter den Achselhöhlen und brachten ihn fort.
Hali Kasim kehrte eilig zur Kaaba zurück, überzeugte sich, dass die falschen Wächter ihre vorgeschriebenen Positionen einnahmen, und half dann, die echten Wächter ins Wächterhaus zu bringen. Danach warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. Sie zeigte 2:08 Uhr. Daraufhin begab sich Kasim zum Eingang der Moschee, um auf den CIA-Agenten zu warten. Dieser traf kurz darauf mit dem Suburban ein. Er stieg aus, stellte einen Karton mit den chemischen Detektoren ab und holte den Behälter mit dem Stein Abrahams vom Rücksitz.
»Ich bin Kasim, geben Sie mir den Stein.«
Der Agent zögerte. »Ich bin Muslim«, drängte Kasim, »her mit dem Stein.«
Der Agent reichte Kasim den Karton.
»Bringen Sie die Detektoren hinein und geben Sie sie dem ersten Mann, den Sie treffen«, erklärte Kasim. »Anschließend verschwinden Sie von hier. Das Ganze wird nicht so glatt laufen, wie wir es geplant haben.«
»Okay«, sagte der Agent.
Kasim, den Behälter mit dem Stein unterm Arm und dem CIA-Agenten im Schlepptau, kehrte in den Innenhof der Moschee zurück. Der Agent übergab einem von Kasims Männern den Behälter mit den chemischen Detektoren und verfolgte, wie Kasim den Hof überquerte und hinter dem Vorhang verschwand, der die Kaaba verbarg. Dann verließ er die Moschee und stieg in den Suburban, der kurz darauf mit quietschenden Reifen in der Dunkelheit untertauchte.
Sobald er sich auf der anderen Seite des Vorhangs befand, überkam Kasim ein Gefühl des Friedens und der Ruhe. Die wechselvolle Geschichte des Heiligtums teilte sich ihm fast körperlich mit. Für einen kurzen Moment regte sich in ihm die Hoffnung, es möge noch nicht alles verloren sein. Ein einzelner Scheinwerfer beleuchtete die silberne Einfassung der Nische im schwarzen Block der Kaaba, in der jetzt noch der auf Grönland gefundene Meteorit ruhte.
Kasim setzte den Karton mit dem Stein Abrahams ab und zerschnitt mit seinem Taschenmesser die Verpackung. Er richtete sich auf, nahm den Grönland-Stein aus der Nische und legte ihn neben den Karton. Dann hob er den Stein Abrahams vorsichtig aus seinem Behältnis.
Behutsam und andächtig trug er ihn zurück auf seinen angestammten Platz.
Dann trat Hali Kasim zurück, murmelte ein kurzes Gebet und deponierte den Grönland-Stein im Karton. Nun tauchte er unter dem Vorhang auf und brachte den Karton zum Wächterhaus. Inzwischen durchsuchten seine restlichen Männer die Moschee mit Hilfe der Detektoren. Er nutzte diese Zeit, um zu telefonieren.
Skutter saß auf dem Beifahrersitz des Lieferwagens. Seine Leute hatten es sich im Laderaum bequem gemacht. Da klingelte das Telefon.
»Wir beobachten euch von oben«, meldete Max Hanley. »Unsere Pläne haben sich ein wenig geändert — ihr braucht nicht nach Jeddah zu fahren. Wir holen euch schon vorher raus.«
Auf der Oregon beobachtete Hanley das von einem Satelliten übermittelte Infrarotbild des Lieferwagens auf seiner Fahrt nach Süden. »Fahren Sie noch etwa zehn Kilometer weiter«, gab Hanley durch, »und halten Sie an. Dicht vor der Küste liegt ein Schiff. Sie schicken gleich eine Barkasse an Land, um Sie aus der Bucht zu holen. Schaffen Sie Ihre Männer an Bord, Captain Skutter, und dann sind wir am Zug.«
»Wie viele Sprengsätze haben Hali und sein Team gefunden?«, wollte Eric Stone wissen.
»Fünf«, sagte Hanley.
»Weißt du, Max, ich würde empfehlen, den Rest den Saudis zu überlassen. Ich habe soeben einen Anruf von der Frau eines der Wächter abgefangen. Sie hat sich bei der örtlichen Polizei erkundigt, warum ihr Mann noch nicht zu Hause eingetroffen ist.«
»Es ist erst zwanzig nach zwei!«, schimpfte Hanley.
»Frauen«, stieß Eric Stone kopfschüttelnd aus. »Manchmal können sie einem das Leben verdammt schwer machen.«
Hanley griff nach seinem Telefon.
Kasim war soeben im Begriff, einen C-6-Sprengsatz zu entschärfen, als sein Mobiltelefon vibrierte.
»Zieht euch sofort zurück!«, befahl Hanley.
»Wir haben noch nicht alle –«, wollte Kasim widersprechen.
»Schnellstens«, unterbrach ihn Hanley. »Wir sind geplatzt. Ich lasse euch mit einem Wagen zum zweiten Treffpunkt bringen. Hast du verstanden, Hali?«
»Alles klar, Max.«
»Dann los.«
Noch während Hali Kasim sein Telefon in einer Tasche verstaute, fuhr vor der großen Moschee ein CIA-Agent in einem umgebauten Ford-Gelände-Pick-up vor. Er schaute sich nervös um, während die Sekunden verstrichen.
»Er ist da!«, rief Kasim über den Innenhof. »Alle zum Ausgang!«
Die vier falschen Wächter verließen ihre Posten, während die Angehörigen des Bombensuchtrupps hinter Gebäuden und Säulen auftauchten. Kasim rannte zum Wagen.
»Wir kommen sofort«, gab er dem Fahrer Bescheid.
»Sie sollen sich auf die Ladefläche legen«, sagte der Fahrer, »und unter der Plane verstecken.«
Kasim öffnete die hintere Ladeklappe und half seinen Männern beim Hinaufklettern. Dabei zählte er sie ab — zehn, elf, zwölf, dreizehn. Mit ihm waren es vierzehn — ein Mann befand sich noch in der Moschee. Kasim ging zum Tor und suchte den Innenhof ab. Er entdeckte den letzten Mann, als er sich aus den Schatten löste und auf ihn zusprintete.
»Tut mir Leid«, keuchte der Mann atemlos, »ich war gerade dabei, eine Ladung lahm zu legen, als Sie riefen.«
Kasim packte seinen Arm und zerrte ihn zum Wagen.
»Springen Sie rein!«, rief er.
Dann vergewisserte er sich, dass alle unter der Abdeckplane Platz gefunden hatten, und stieg zum Fahrer.
»Sie wissen, wohin es geht?«, fragte er, während der CIA-Agent Gas gab.
»Selbstverständlich«, antwortete der Fahrer.
U.S. Air Force Major Hamilton Reeves legte zwar großen Wert auf militärische Etikette, pflegte jedoch mit seiner Besatzung einen eher lockeren Umgang. Er hängte das Funkmikrofon in seine Halterung und wandte sich an seinen Kopiloten und seinen Flugingenieur.
»Was haltet ihr davon, heute Abend in den Luftraum eines souveränen Staates einzudringen?«
»Ich habe nichts Besonderes vor«, erwiderte der Kopilot.
»Solange uns nicht der Sold gekürzt wird, gern«, schloss sich der Flugingenieur an.
»Dann mal los«, sagte Reeves, »statten wir Saudi-Arabien einen kleinen Besuch ab.«
Skutter und seine Männer stiegen aus dem Lieferwagen, während Cabrillo über den Strand auf sie zukam.
»Lassen Sie den Wagen stehen und kommen Sie mit uns«, sagte er zu dem Fahrer. »Wenn Ihre Tarnung noch nicht aufgeflogen ist, dürfte es in Kürze dazu kommen.«
Der Fahrer schaltete den Motor aus und stieg aus.
Danach liefen die sechzehn Männer unter Cabrillos Führung zur Barkasse. James half den Männern an Bord. Sobald alle Platz gefunden hatten, schwang sich Cabrillo als Letzter hinein, während James ins Cockpit zurückkehrte.
»Mr. C«, sagte er, »Sie wissen hoffentlich, wie riskant das ist — ich habe nicht genug Rettungswesten an Bord.«
»Ich übernehme die Verantwortung«, beruhigte ihn Cabrillo.
James ließ den Motor an und legte ab. »Wohin, Sir?«, fragte er grinsend.
»In Richtung Heimat«, antwortete Cabrillo.
»Wir mussten die Luftwaffe anfordern«, sagte Max Hanley. »An der Kaaba wurde es verdammt eng.«
»Befindet sich der Stein Abrahams wieder an Ort und Stelle?«, wollte Overholt wissen.
»Das schon«, erwiderte Hanley, »aber sie konnten die Suche nach den Sprengsätzen nicht abschließen.«
»Ich rufe den Präsidenten an«, sagte Overholt, »er hat um sieben Uhr ein Dinner im Außenministerium, aber ich kann ihn vorher noch erwischen.«
»Wenn er den saudischen König anrufen und ihn bitten kann, nicht auf die C-17 zu schießen«, sagte Hanley, »dürften wir glatt aus der Sache rauskommen.«
Zwei saudische Streifenwagen kamen dem Pick-up mit heulenden Sirenen und rotierendem Blaulicht entgegen. Die Moschee lag gut drei Kilometer hinter ihnen, aber Kasim und der Fahrer wussten genau, mit welchem Ziel die Polizei unterwegs war.
Der Ford hielt ein Tempo von knapp hundertfünfzig Stundenkilometern, und der Fahrer beobachtete das im Armaturenbrett installierte Display des GPS-gesteuerten Navigationssystems. »Nur noch anderthalb Kilometer«, stellte er fest. »Achten Sie auf einen Feldweg, der nach Norden abzweigt.«
Hali Kasim starrte in die Dunkelheit. Er entdeckte eine unbefestigte Straße, während der Fahrer bereits aufs Bremspedal trat. »Da ist es«, sagte der Fahrer.
Der Ford geriet auf der dünnen Sandschicht, die den Asphalt bedeckte, ins Schlingern. Im letzten Moment riss der Fahrer das Lenkrad herum und verließ die Schnellstraße. Dann gab er wieder Vollgas und raste den Sandweg hinunter. Gleichzeitig aktivierte er den Vierradantrieb. Zu beiden Seiten des Pick-up stieg die Landschaft an, während sich der Ford durch das ausgetrocknete Flussbett wühlte. Dabei behielt der Fahrer das Navigationsdisplay im Auge.
»Okay, da vorn biegen wir rechts ab und gehen hinter diesem Hügel in Deckung.«
Wenig später kam der Kleinlaster zum Stehen. Der Fahrer fischte einen Scheinwerfer aus der Mittelkonsole zwischen den Sitzen und stöpselte ihn in den Zigarettenanzünder.
Dann ließ er ihn kurz aufleuchten.
Hinter dem Hügel erstreckte sich eine ebene Fläche aus festgebackenem Sand, etwa anderthalb Kilometer lang und knapp einen Kilometer breit.
»Ich wende schon mal«, sagte der Fahrer, setzte zurück und kurbelte am Lenkrad, bis sie durch die Windschutzscheibe einen ungehinderten Blick auf die Sandebene hatten.
»Soll ich den Männern Bescheid sagen, dass sie aussteigen?«, fragte Kasim.
»Nicht nötig«, erwiderte der Fahrer, »ich fahre den ganzen Wagen einfach von hinten rein.«
Reeves und seine Besatzung ließen die C-17A so tief sinken, wie es die Sicherheitsvorschriften erlaubten. Trotzdem wurde das Flugzeug vom hoch entwickelten Radar, das die saudische Regierung von den Vereinigten Staaten erworben hatte, entdeckt. Kaum zehn Minuten nach dem Eindringen in den saudischen Luftraum und nur Sekunden, ehe sie landeten, starteten zwei Kampfjets von der Lufwaffenbasis in Dahran. Mit einfacher Schallgeschwindigkeit überquerten sie die Wüste.
Als er den Motorenlärm der C-17A hörte, ließ der Fahrer den Scheinwerfer mehrmals aufleuchten. Reeves entdeckte die Lichtsignale, überflog das natürliche Rollfeld einmal und leitete dann die Landung ein.
»Es ist mitten in der Nacht«, wandte der Sekretär König Abdullahs ein.
»Hören Sie«, sagte der Präsident, »ich schicke den Außenminister zu Ihnen — er ist spätestens morgen Vormittag bei Ihnen, um die Situation zu erläutern. Im Augenblick befindet sich eine Maschine der U.S. Air Force in Ihrem Luftraum. Wenn diese Maschine beschossen wird, haben wir keine andere Wahl, als Vergeltung zu üben.«
»Ich will nur nicht –«
»Wecken Sie den König«, drängte der Präsident, »sonst kommt es zu ernsten Konsequenzen.«
Ein paar Minuten später meldete sich ein verschlafener König Abdullah. Sobald der Präsident ihn aufgeklärt hatte, griff er nach einem anderen Telefon und ließ sich mit dem Chef seiner Luftwaffe verbinden.
»Ihre Maschinen sollen die Amerikaner über die Grenze eskortieren, aber auf keinen Fall aktive Abwehrmaßnahmen ergreifen«, sagte er auf Arabisch.
Danach meldete er sich wieder beim Präsidenten: »Mr. President, wenn Ihr Außenminister keine ausreichende Erklärung für diese Vorgänge hat, werden Ihre Bürger einen sehr kalten Winter haben.«
»Sobald Sie wissen, was geschehen ist, glaube ich, dass Sie unsere Maßnahmen gutheißen werden.«
»Ich sehe dem Treffen mit Ihrem Außenminister mit Spannung entgegen«, erwiderte König Abdullah.
Reeves brachte die C-17A glatt auf die Sandpiste und wendete sofort.
»Lassen Sie die Ladeklappe herunter«, wies er seinen Flugingenieur an.
Der Pick-up rollte bereits auf die Maschine zu, während sich die Heckklappe langsam herabsenkte. Als der Lastwagen die Maschine erreicht hatte, bildete die Klappe eine Rampe. Der Fahrer des Ford gab Gas und lenkte den Wagen in den Laderaum.
Im Flugzeug schwang er sich aus dem Wagen und eilte zum Cockpit. »Wir sind drin«, meldete er.
»Klappe zu«, befahl Reeves.
Reeves ließ die Maschinen schon wieder hochlaufen. Sobald eine grüne Kontrollampe auf dem Armaturenbrett signalisierte, dass die Ladeklappe geschlossen war, schob er die Gashebel nach vorn und ließ die Maschine mit zunehmender Geschwindigkeit die Sandpiste hinunterrasen.
Keine zwei Minuten später befand sich die C-17A wieder in der Luft.
»Hundertvierzig Kilometer bis zum Roten Meer!«, rief er nach hinten. »In fünf Minuten haben wir es geschafft.«
»Zwei Kampfjets nähern sich von hinten«, meldete der Kopilot.
»Bereiten Sie Abwehrmaßnahmen vor«, befahl Reeves.
Doch die Jets machten keinerlei Anstalten anzugreifen. Sie nahmen die C-17A in die Mitte und blieben in ihrer Nähe, bis sie die Küste überflogen hatte. Dann wendeten sie und kehrten zu ihrer Basis zurück.
»Wir haben den saudischen Luftraum verlassen«, rief Reeves nach hinten, »zwei Stunden bis Cutter.«
Kasim begab sich zum Heck des Pick-up und zog die Plane weg. »Okay, Männer«, sagte er, »wir haben es geschafft — die nächste Station ist Katar.«
Hochrufe hallten durch den Laderaum der C-17A.
»Übernehmen Sie«, sagte Reeves zu seinem Kopiloten.
Dann suchte er den Frachtraum auf. »Ich hätte Ihnen gerne ein kaltes Bier angeboten, aber soweit ich weiß, trinken Sie keinen Alkohol. Daher habe ich Mineralwasser und einen Imbiss für Sie vorbereiten lassen. Hamburger, Hot Dogs, Kartoffelsalat und so weiter. Es ist zwar schon ein paar Stunden her, aber dank der Thermosbehälter müsste das Essen noch einigermaßen warm sein. Lassen Sie es sich schmecken.«
Dann kehrte Reeves in das Cockpit zurück.
»Okay, Männer«, sagte Hali Kasim und öffnete einen der Thermosbehälter, »greift zu.«