3

Sonnenlicht, Wassergischt, Finsternis. Sternentanz.

Phaetons stabiler goldener Cadillac explodierte, wo zu hören kein Ohr vorhanden war, lag brennend, ging aus. Wie ich.

Jedenfalls war es Nacht, als ich wieder zu mir kam, und ich war ein Wrack.

So daliegend, gefesselt mit Strohschnüren, mit gespreizten Gliedmaßen, Sand und Kies als Matratze wie auch als Kissen, Staub in Mund, Nase, Augen und Ohren, von Ungeziefer geplagt, durstig, zerschlagen, hungrig und zitternd, dachte ich über die Worte meines früheren Studienberaters Merimee nach: „Sie sind ein lebendes Beispiel für die Absurdität der Dinge.“

Unnötig zu erwähnen, daß sein Spezialgebiet der französische Roman Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts war. Noch immer, noch immer durchbohrten mich diese hinter einer Brille abgefeuerten Blicke wie Speere. Ungeachtet seines Abschieds von der Universität, einem skandalumwölkten Abschied, in den ein Mädchen, ein Zwerg und ein Esel verwickelt waren – oder vielleicht gerade deswegen – hat Merimee sich einen festen Platz in meinem privaten Kosmos erobert, und seine Worte tauchen oftmals wieder in meinem Gedächtnis auf, wenn auch in anderem Zusammenhang als in meinem Aufnahmegespräch. Der heiße Sand hatte sie mir schon den ganzen Nachmittag zugeschrien, dann hatte die kühle Brise der Nacht sie mir zugeflüstert, durch die Öffnungen meiner Ohren: „Sie sind ein lebendes Beispiel für die Absurdität der Dinge.“

Offen für eine Vielzahl von Interpretationen, wenn man genauer darüber nachdenkt, und ich hatte jede Menge Zeit, dies zu tun. Einerseits konnte ich mich vielleicht für eine Möglichkeit entscheiden. Vielleicht für das Leben. Oder, andererseits, vielleicht auch für das Absurde.

Oh, ja. Hände …

Ich versuchte, meine Finger zu strecken, war aber nicht sicher, ob sie gehorchten. Konnte sein, daß sie überhaupt nicht mehr vorhanden waren und ich lediglich einen schwachen Nervenimpuls spürte. Einen Augenblick dachte ich an Wundbrand, falls sie noch da sein sollten.

Verdammt. Und noch mal verdammt. Frustrierende Sache.

Das Semester hatte begonnen, und ich war abgehauen. Nachdem ich Vorkehrungen getroffen hatte, all meine Post an meinen Partner Ralph zu schicken, hatte ich mich westwärts aufgemacht, nach San Francisco, Honolulu, Tokio. Einige friedliche Wochen waren verstrichen. Dann ein kurzer Aufenthalt in Sydney. Gerade lange genug, um Ärger zu bekommen beim Herumklettern auf diesem Fisch-verschluckt-Fisch-verschluckt-Fisch-verschluckt-Fisch-Opernhaus. Ich verließ die Stadt mit einer Verwarnung und einer Geldbuße. Flog nach Alice Springs. Nahm den Airscooter, den ich geordert hatte. Startete in den frühen Morgenstunden, bevor die Hitze des Tages und das unentrinnbare Licht sich ihren Weg in die Welt gebahnt hatten. Das Land schien mir ein guter Ort zu sein, Rekruten auf das vorzubereiten, was sie später erwartete. Ich richtete mich erst gar nicht für einen langen Aufenthalt ein.

In den Klippenwänden gibt es sehr alte Höhlen, die zusammen einhundertsiebzig Quadratmeter ausmachen. Die Eingeborenen dieser Gegend leugnen jedes Wissen über deren Herkunft und Verwendungszweck. Ich hatte schon Fotografien gesehen, aber ich wollte auch einmal die Wirklichkeit anschauen, einige eigene Fotos schießen, Proben entnehmen und ein bißchen herumgraben.

Ich zog mich in den Schatten meines Zeltes zurück, kippte Sodawasser in mich hinein und bemühte mich, beim Gedanken an Arbeit einen kühlen Kopf zu bewahren. Während ich mich höchst selten einmal an Graffiti versuchte, spürte ich doch ein Gefühl der Sympathie für diejenigen, die ihre Spuren an Wänden hinterlassen. Und je weiter man zurückgeht, desto interessanter wird das. Nun, es könnte sein, daß deren Anfänge, wie manche behauptet haben, im troglodytischen Äquivalent zum Klo zu finden sind und die ganzen Höhlenmalereien nichts weiter sind als bildliche Sublimation der noch wesentlich primitiveren evolutionären Bräuche, das eigene Territorium zu markieren. Nichtsdestotrotz, als man erst einmal damit angefangen hatte, deswegen auf Bergen oder an Wänden herumzuklettern, da war aus einem schlichten Zeitvertreib eine echte Kunstform geworden. Schon oft habe ich an jenen ersten Burschen gedacht, der ein Mastodon im Kopf hatte und gleichzeitig eine kahle Felswand vor sich sah. Ich habe mich ebensooft gefragt, was ihn veranlaßt haben mag, dann zu dieser Wand zu gehen und herumzukritzeln – wie er sich wohl dabei gefühlt hat. Und auch, wie die Reaktion der Öffentlichkeit ausgesehen haben mag. Vielleicht haben sie ihm Löcher in den Körper geschnitten, um die Anwesenheit von Geistern in ihm nachzuweisen. Oder vielleicht bestand die Reaktion auch nur in größerer Aufgeschlossenheit, im Warten auf den nötigen Stimulus, der nach und nach noch mehr Leute überkommen sollte. Schwer zu sagen, aus heutiger Sicht. Und schwer, solchen Fragen gegenüber gleichgültig zu bleiben.

Wie auch immer, an diesem Nachmittag machte ich meine Fotos und buddelte am Abend Löcher – bis in den frühen Morgen hinein. Den größten Teil des zweiten Tages verbrachte ich mit Probeentnahmen und weiterem Graben. Gegen Abend fand ich etwas, das an Bruchstücke eines steinernen Werkzeuges erinnerte. Am nächsten Morgen hatte ich keinen so interessanten Fund. Obwohl ich länger grub als ich mir eigentlich vorgenommen hatte.

Danach kehrte ich in den Schatten zurück, um meinen Sonnenbrand zu verarzten und meinen Flüssigkeitsspiegel wieder auszugleichen, während ich die Ereignisse des Tages notierte und mir Gedanken über das ganze Geschäft machte, die mir im Laufe des Tages gekommen waren. Gegen ein Uhr machte ich Mittagspause, dann wandte ich mich noch eine Weile meinen Aufzeichnungen zu.

Wenige Minuten nach drei Uhr tauchte ein Luftwagen am Himmel über mir auf, wendete und sank tiefer herab. Das besorgte mich ein wenig, da ich keine offizielle Erlaubnis für das hatte, was ich hier tat. Auf irgendeinem Stück Papier, einer Karte oder einem Band war ich als „Tourist“ vermerkt. Ich hatte auch keine Ahnung, ob für mein Vorhaben eine offizielle Genehmigung erforderlich war, vermutete es aber doch sehr. Zeit bedeutet mir sehr viel, und der ganze Papierkrieg ist reine Zeitverschwendung, zudem habe ich immer fest an mein Recht geglaubt, alles tun zu dürfen, von dem man mich nicht abhalten kann. Was manchmal auch beinhaltet, sich einfach nicht erwischen zu lassen. Das ist aber nicht so schlimm, wie es sich anhört, denn im Grunde genommen bin ich ein liebenswerter, umgänglicher, freundlicher junger Mann. Daher beschattete ich meine Augen vor dem gnadenlosen Licht des Nachmittags und suchte nach Argumenten, die Behörden von der Harmlosigkeit dessen zu überzeugen, was ich hier unternahm. Lügen, überlegte ich, war wahrscheinlich das beste.

Das Fahrzeug landete, und zwei Männer stiegen aus. Ihr Erscheinen entsprach nicht gerade dem, was ich normalerweise als offiziell bezeichnet hätte, aber ein wenig Freundlichkeit kann nie schaden, und deshalb erhob ich mich, um sie zu begrüßen. Der erste Mann hatte ungefähr meine Größe – war also etwa einen Meter achtzig groß, aber kräftig gebaut und hatte schon den Ansatz einer Wampe. Sein Haar und seine Augen waren hell, er hatte einen leichten Sonnenbrand und schwitzte außerordentlich. Sein Gefährte war kleiner, mehr von der Sonne gebräunt und hatte einen dichten, dunklen Haarschopf, den er sich aus dem Gesicht strich, als er auf mich zukam. Er war kräftig und machte einen durchtrainierten Eindruck. Beide trugen eher Stadtals Wanderschuhe, und auch der fehlende Kopfschutz fiel mir sofort als außergewöhnlich auf.

„Sind Sie Fred Cassidy?“ fragte der erste Mann, der mit wenigen raschen Schritten bei mir war, sich dann aber mehr für die Wand und meine Ausrüstung zu interessieren schien.

„Ja“, sagte ich. „Das bin ich.“

Er holte ein überraschend feines Taschentüchlein hervor, mit dem er sich das Gesicht abtupfte.

„Haben Sie gefunden, wonach Sie suchten?“ fragte er.

„Ich suche nach nichts Speziellem“, sagte ich.

Er kicherte. „Sie scheinen aber jede Menge Arbeit in diese Suche nach nichts Speziellem zu investieren.“

„Das ist lediglich eine Probegrabung“, sagte ich ihm.

„Wonach graben Sie denn?“

„Wie wäre es denn, wenn Sie mir erst einmal sagen würden, wer Sie sind und weshalb Sie das wissen wollen?“

Er ignorierte meine Frage und ging zu meiner Grabungsstätte. Er schritt daran entlang, blieb hin und wieder auch stehen, um hinunterzuspähen. Während er das tat, ging der andere Mann zu meinem Zelt hinüber. Ich stieß einen Schrei aus, als er sich meinen Rucksack schnappte, aber er kippte ihn trotzdem aus.

Als ich ihn erreichte, machte er sich gerade an meinem Beutel mit Waschutensilien zu schaffen. Ich hielt seinen Arm fest, aber er schüttelte mich ab. Als ich es noch einmal versuchte, stieß er mich weg, und ich stolperte. Noch bevor ich auf dem Boden aufschlug, wußte ich, das waren keine Bullen.

Anstatt zur nächsten Runde wieder aufzustehen, blieb ich liegen und trat zu; mein Absatz beförderte ihn nun seinerseits kopfüber hinunter. Es war nicht ganz so spektakulär wie damals, als ich Paul Byler in den Unterleib getreten hatte, aber ich fand es trotzdem noch recht zufriedenstellend. Dann schnellte ich sofort wieder auf die Beine und knallte ihm eine deftige Linke unter das Kinn. Er brach zusammen und rührte sich nicht mehr. Nicht schlecht für einen einzigen Hieb. Wenn ich das auch ohne einen Stein in meiner geschlossenen Faust schaffen würde, dann könnte ich blankes Entsetzen verbreiten.

Mein Triumph dauerte allerdings nur wenige Sekunden. Dann wurde mir ein Sack voll Kanonenkugeln auf den Rücken gehauen. Zumindest fühlte es sich so an. Ich wurde in sehr unsportlicher Weise von hinten angegriffen. Der Schwergewichtige war wesentlich behender als seine Erscheinung einem das glauben machen wollte. Als er nun meinen Arm umdrehte und sich mit seiner anderen Hand in meinem Haar festkrallte, da erkannte ich, daß nur ein sehr geringer Prozentsatz seiner Masse aus nonfunktionellem Fettgewebe bestand.

„Also gut, Fred“, sagte er. „Schätze, es ist Zeit für eine kleine Unterhaltung.“

Sternentanz …

So daliegend, mit meinen Blutergüssen, Kratzwunden, meinen Kopfschmerzen und meiner Verwirrung, kam ich zu der Überzeugung, daß Professor Merimee jenem kalten Zentrum der Dinge, wo jede Definition unmöglich ist, sehr nahekam. Die Art, wie eine tote Hand ausgestreckt war, mir die Finger zu reichen, war aber auch wirklich zu absurd.

So daliegend, subvokal fluchend, als ich für den Augenblick wieder klare Gedanken fassen konnte, wurde ich peripher eines kleinen, pelzigen Wesens gewahr, das sich an meinen südlichen Fesseln entlangbewegte, schnupperte, sich wieder bewegte. Zweifellos etwas Fleischfressendes, entschied ich. Ich rang mit einem Erschauern, kämpfte es aber zu einem Achselzucken nieder. Es war zwecklos zu schreien. Vollkommen zwecklos. Aber es konnte zu einem billigen Triumph führen, alles zu erdulden.

Daher bemühte ich mich, meinen Stoizismus zu kultivieren, während ich mich gleichzeitig bemühte, das Biest besser sehen zu können. Es berührte mein rechtes Bein, ich zuckte erschrocken zusammen, aber es tat nicht weh. Nach einer Weile ging es zum linken Bein hinüber. Hatte es gerade meinen gefühllosen Fuß angeknabbert? Hatte es ihm gefallen, gar geschmeckt?

Augenblicke später wandte es sich wieder um und stapfte an meiner linken Seite wieder hoch, endlich konnte ich es besser sehen. Ich erblickte ein dümmlich dreinblickendes, scheinbar harmloses Beuteltier, das ich als Wombat identifizierte. Es war lediglich neugierig und hatte wahrscheinlich wenig Gelüste nach meinen Extremitäten. Ich seufzte und fühlte fast augenblicklich, wie die Spannung wieder von mir abfiel. Ich ließ den Burschen gerne an mir herumschnüffeln, so lange er Lust dazu hatte. Wenn man dem Tod ins Auge sieht, ist ein Wombat besser als überhaupt kein Gefährte.

Ich dachte zurück an das Gewicht des untersetzten Mannes und an den Schmerz in meinem Arm, als er zu mir gesagt hatte: „Das einzige, was ich von Ihnen will, ist der Stein. Wo ist er?“ Er hatte seinen gestürzten Kameraden ignoriert und sich auf mich gesetzt.

„Stein?“ sagte ich, wobei ich den Fehler machte, ein Fragezeichen hinzuzufügen.

Der Druck um meinen Arm nahm zu.

„Bylers Stein“, sagte er. „Sie wissen, welchen ich meine.“

„Ja, richtig!“ stimmte ich zu. „Lassen Sie mich aufstehen, ja? Es ist kein Geheimnis, ich werde Ihnen alles Vorgefallene erzählen.“

„Schießen Sie los“, sagte er und gab ein wenig nach.

Also berichtete ich ihm von der Faksimile und wie wir daran gekommen waren. Ich erzählte ihm alles, was ich über dieses verdammte Ding wußte.

Wie ich befürchtet hatte, glaubte er mir kein Wort. Noch schlimmer war, sein Partner kam wieder zu sich, während ich sprach. Auch er war der Meinung, daß ich log, und er sprach sich dafür aus, die Befragung fortzusetzen.

Und das taten sie auch. An einem bestimmten Punkt. Viele schmerzhafte, elektrifizierte Minuten später, als sie gerade eine Pause machten, um ihre Knöchel zu massieren, sagte der Große zu dem Untersetzten: „Das hört sich verdammt genauso an wie das, was er Byler erzählt hat.“

„Wie das, von dem Byler behauptet, er habe es ihm gesagt“, korrigierte der andere.

„Wenn Sie schon mit Paul gesprochen haben“, sagte ich zu ihnen, „was kann ich Ihnen dann noch erzählen? Er schien Bescheid zu wissen, was vor sich ging – ich nicht –, und ich habe ihm schon alles berichtet, was ich über den Stein wußte. Exakt dasselbe habe ich eben auch Ihnen erzählt.“

„Oh, das kann man wohl sagen, daß wir uns schon mit ihm unterhalten haben“, sagte der Große. „Er hat buchstäblich seine Eingeweide ausgespien.“

„Aber ich glaubte ihm damals nicht“, sagte der Untersetzte. „Und heute glaube ich ihm noch viel weniger. Was machen Sie in dem Augenblick, als er Ihnen den Rücken kehrt? Sie packen Ihre Sachen und verschwinden in diese alte Wüste, wo Sie sofort anfangen, Löcher zu buddeln. Ich bin der Meinung, ihr beide habt unter einer Decke gesteckt und euch einfach eine Geschichte ausgedacht. Ich glaube, der Stein ist hier ganz in der Nähe, und Sie wissen verdammt gut, wie Sie ihn in die Finger bekommen können. Und genau das werden Sie uns erzählen. Sie können es auf die sanfte oder auf die brutale Tour haben. Treffen Sie Ihre Entscheidung.“

„Ich habe Ihnen doch schon erzählt …“

Die danach folgende Periode erwies sich nur wenig zufriedenstellend für alle Beteiligten. Sie bekamen nicht das, was sie wollten, und ich ebenfalls nicht. Am meisten fürchtete ich mich die ganze Zeit über vor Verstümmelungen. Von Schlägen kann ich mich wieder erholen. Wenn jemand dazu bereit ist, einen Finger abzuschneiden oder ein Auge auszustechen, dann kommt das Antworten oder Nichtantworten einer Situation, bei der es um Leben und Tod geht, schon sehr nahe. Wenn man das Ganze erst einmal angefangen hat, dann ist es eine irreversible Angelegenheit. Solange Widerstand existiert, muß der Fragende gut in Schuß sein und sein Bestes tun, denn einmal kommt der Punkt, wo der Tod für das Subjekt wünschenswerter wird als das Leben. Wenn dieser Punkt erreicht ist, dann kommt es zu einem Wettlauf zwischen Frager und Befragtem, bei dem der Tod beziehungsweise möglichst viele Informationen das Ziel sind. Auch wenn man sich nicht sicher ist, wie weit der Folterer gehen will, kann das Wissen, daß er so weit gehen könnte, sehr effektiv sein. Ich für meinen Fall wußte, wie weit sie gehen konnten, denn ich hatte ja von Bylers Fall gehört. Aber der schwerere Mann war wegen der Sache mit Paul nicht eben glücklich. Das konnte ich sehen. Wenn ich ebenfalls diesen Grenzpunkt erreichte und das Rennen gewann, dann würde ihn das noch unglücklicher machen. Und da er nicht bereit war zu glauben, daß ich keinerlei weitere Informationen, hinter denen er her war, zu verkünden hatte, nahm er wohl an, ich verfüge noch über einen großen Vorrat an Kraftreserven, den ich seinen Torturen entgegenhalten konnte. Ich nehme an, er entschied sich lediglich dafür, langsam vorzugehen und sich alle härteren Methoden für später aufzuheben. Im Augenblick konnte mir das nur recht sein.

Ich möchte lediglich einen ihrer Kniffs verraten – sie beschlossen nämlich, mich der Sonne auszusetzen: „Legen wir ihn ins grelle Sonnenlicht und warten wir, bis er sich in einen Spießbraten verwandelt.“ Es folgten mehrere stumme Sekunden, in denen er auf eine Antwort meinerseits wartete. Sie schien ihn nicht zu befriedigen, denn wenig später banden sie mich am Boden fest und kehrten dann in den Schatten meines Zeltes zurück.

Nur gelegentlich kamen sie einmal herüber, um mich an einer Bierwerbung im Radio teilhaben zu lassen.

Soviel zum Nachmittag. Später kamen sie dann zu dem Entschluß, eine Nacht mit Sand, Wind und Sternen sei ebenfalls nötig, um mich gesprächig zu machen. Also holten sie Schlafsäcke und warme Mahlzeiten aus ihrem Fahrzeug und entfachten ein Lagerfeuer. Wenn sie geglaubt hatten, der Geruch ihres Bratens würde mich hungrig machen, dann hatten sie sich getäuscht. Mir wurde lediglich sterbenselend davon.

Ich sah zu, wie der Tag westwärts wanderte. Der Mann im Mond stand Kopf.

Wie lange ich bewußtlos gewesen war, wußte ich nicht. Vom Lager hörte ich keine Geräusche und ich sah auch kein Licht aus dieser Richtung. Der Wombat hatte sich zu meiner Rechten niedergelassen, wo er saß und leise, rhythmische Geräusche von sich gab. Er hatte sich teilweise gegen meinen Arm gelehnt, und ich spürte seine Bewegungen, seinen Atem.

Noch immer wußte ich weder den Namen meiner Inquisitoren noch eine einzige neue Tatsache, was des Objektes ihrer Befragung, den Sternstein, anging. Nicht daß es eine große Rolle gespielt hätte, höchstens in einem rein akademischen Sinne. Nicht an diesem Punkt der Geschehnisse. Ich war von meinem baldigen Ableben fest überzeugt. Die Nacht hatte eine entsetzliche Kälte mit sich gebracht, und was die nicht erledigte, das würden meine Peiniger dann am folgenden Tag erledigen, dachte ich.

Ich erinnerte mich an eine Vorlesung über physiologische Psychologie, in der ich gelernt hatte, daß wir keinen absoluten Eindruck von unseren Sinnesorganen bekommen, sondern nur das Maß der Veränderungen. Nur deshalb konnten die Japaner es in ihren heißen Bädern aushalten, und auch ich konnte, wenn ich still lag, die Kälte verdrängen. Aber das war mehr eine Frage des Komforts als des Überlebens. Während vorerst die Erleichterung fast den gesamten Teil meines Denkens bestimmte, kümmerte ich mich doch im Hinterkopf auch um mein längerfristiges Schicksal. Ich setzte keinen roten Heller auf mein Leben, denn meine Peiniger waren übermächtig – eine andere Art auszudrücken, daß ich selbst schwach und verweichlicht war, daran war nicht zu rütteln.

Es gibt da eine rhythmische Atemtechnik, bei der es mir im Yoga-Kurs immer warm geworden war. Ich probierte sie aus, doch der Atem rasselte lediglich kalt in meinen Lungen. Ich mußte husten und keuchen.

Der Wombat fuhr herum und sprang auf meine Brust. Ich schrie auf, um sofort mit meiner linken Hand nach seinem Nacken zu greifen, und erst da fiel mir wieder ein, daß sie ja gefesselt gewesen war. Der Wombat fingerte mit seiner Pfote nach meinem Mund, kratzte mich.

Das Tier klammerte sich mit seinen drei anderen Klauen an mir fest, brachte mich mit der vierten zum Schweigen und flüsterte heiser: „Sie komplizieren die Lage gefährlich, Mister Cassidy. Lassen Sie sofort meinen Nacken los und beruhigen Sie sich.“

Ganz offensichtlich war ich schon im Delirium. Aber ein gewisser Komfort innerhalb des Rahmens meines Deliriums schien mir wünschenswert, daher ließ ich seinen Nacken los und nickte. Er zog seine Pfote zurück.

„Ausgezeichnet“, sagte er. „Ihre Füße sind bereits frei, ich muß nur noch Ihre rechte Hand befreien, dann können wir gehen.“

„Gehen?“

„Psssst!“ sagte er und bewegte sich wieder nach rechts.

Also psssstete ich, während er sich an meinen Fesseln zu schaffen machte. Es war die interessanteste Halluzination, die ich jemals gehabt hatte. Ich suchte unter meinen diversen Neurosen nach dem Grund, warum sie ausgerechnet diese Form annahm. Nichts bot sich auf die Schnelle an. Aber schließlich sind Neurosen auch durchtriebene kleine Teufel, wenn man Dr. Marko Glauben schenken will; wenn sie auftreten, dann muß man ihnen schon ihren Willen lassen.

„So“, flüsterte er wenige Minuten später. „Sie sind frei. Folgen Sie mir.“

Er bewegte sich von mir weg.

„Halt!“

Er blieb stehen, kam zurück.

„Was ist denn los?“ fragte er.

„Ich kann mich noch nicht bewegen. Geben Sie meinem Kreislauf eine Chance, ja? Meine Hände und Füße sind wie abgestorben.“

Er schnaubte und kam her zu mir.

„Dann ist Bewegung die beste Therapie“, dozierte er, griff nach meinem Arm und zerrte mich in eine sitzende Position nach vorn.

Für eine Halluzination war er bemerkenswert kräftig, und er hörte nicht auf zu zerren, bis ich auf alle viere kippte. Ich zitterte zwar, doch es gelang mir, mich in dieser Stellung zu halten.

„Gut“, sagte er und klopfte mir auf die Schulter. „Nun kommen Sie schon.“

„Warten Sie! Ich sterbe vor Durst.“

„Tut mir leid. Ich muß weiter. Aber wenn Sie mir folgen, dann kann ich Ihnen etwas zu trinken in Aussicht stellen.“

„Wann?“

„Überhaupt nicht“, schnarrte er, „wenn Sie nur hier sitzen bleiben. Ich glaube, ich höre sogar schon Geräusche im Lager. Kommen Sie doch endlich!“

Ich begann, auf ihn zuzukriechen. „Bleiben Sie geduckt“, sagte er zu mir, was unnötig war, da ich sowieso nicht aufstehen konnte. Dann bewegte er sich von dem Lager weg, in östlicher Richtung, grob parallel zu dem Graben, den ich aufgeworfen hatte. Ich kam nur langsam voran, daher blieb er gelegentlich stehen, damit ich mit ihm Schritt halten konnte.

Ich folgte ihm einige Minuten lang, dann begannen meine Extremitäten zu kribbeln, hin und wieder konnte ich sogar etwas fühlen. Das ließ mich zusammenbrechen, und noch im Fallen krächzte ich einige Obszönitäten. Sofort watschelte er auf mich zu, also schwieg ich, bevor er mir wieder die Pfote in den Mund stecken konnte.

„Sie sind wirklich außergewöhnlich schwer zu retten“, sagte er. „Abgesehen von Ihrem Kreislauf scheinen auch Ihre Urteilskraft und Ihre Selbstkontrolle nur sehr mäßig zu sein.“

Mir fiel noch eine Obszönität ein, aber die flüsterte ich nur.

„Was Sie auch unaufhörlich demonstrieren“, fügte er hinzu. „Sie müssen doch nur zwei Dinge tun: mir folgen und still sein.

Bei beiden sind Sie nicht besonders gut. Es verwundert einen doch …“

„Bewegen Sie sich!“ fuhr ich ihn an. „Ich komme ja schon.“

„Und Ihre Emotionen …“

Ich langte nach ihm, aber er wich zurück und trottete weiter.

Ich folgte ihm, wobei ich jeden Wunsch vergaß, außer dem, das kleine Biest zu erwürgen. Es spielte keine Rolle, daß die Situation vollkommen absurd war. Ich konnte sowohl Merimee als auch Marko für diese Situation heranziehen, ein entgegengesetztes Paar von Zerrspiegeln, mit mir in der Mitte, dem Wombat auf der Spur.

Ich folgte ihm murrend, das Adrenalin brannte in meinen Adern. Ich verlor jegliches Zeitgefühl, nur hin und wieder spie ich den Staub aus, den er aufwirbelte.

Der Hügel, an dem wir uns entlangbewegten, wurde flacher und verschwand schließlich ganz. Wir bewegten uns einwärts, aufwärts, dann wieder abwärts, durch Felsenkorridore immer tiefer in die Dunkelheit hinein, über einen Weg, der mittlerweile nur noch aus Felsen und Geröll bestand. Ich rutschte einmal aus, und sofort stand er neben mir.

„Alles in Ordnung?“ fragte er.

Ich wollte lachen, bekam mich aber wieder unter Kontrolle.

„Sicher, mir geht es blendend.“

Er war sorgsam darauf bedacht, nicht in meine Reichweite zu gelangen.

„Es ist nicht mehr weit“, sagte er entschuldigend. „Bald können Sie sich ausruhen. Ich werde Sie dann auch mit Nahrungsmitteln versorgen.“

„Tut mir leid“, sagte ich, bemüht aufzustehen, aber ich scheiterte. „Das war’s. Wenn ich dort ausruhen kann, dann kann ich ebensogut hier ausruhen. Die Luft ist raus.“

„Der Weg ist steinig“, sagte er, „daher werden sie Ihnen wohl kaum folgen können. Aber ich würde mich wohler fühlen, wenn Sie mir nur noch ein paar Schritte weit folgen würden. Es gibt auf dieser Seite eine Nische, und die Chancen sind sehr groß, daß sie dort vorübergehen, ohne etwas zu merken, wenn sie zufällig doch auf unsere Fährte stoßen sollten. Was meinen Sie, wäre das nicht gut?“

„Hört sich nicht schlecht an, aber ich glaube kaum, daß ich es noch schaffen kann.“

„Versuchen Sie es. Nur noch ein einziges Mal.“

„Also gut.“

Ich stieß mich hoch, wackelte, schleppte mich aber dessen ungeachtet vorwärts. Aber sollte ich noch einmal hinfallen, dann war alles gelaufen, entschied ich. Mein Kopf fühlte sich so leicht an wie mein Körper schwer.

Aber ich wollte es schaffen. Nur noch etwa dreißig Meter …

Er führte mich in eine verborgene Wölbung hinter der Krümmung einer Sackgasse. Dort brach ich völlig erschöpft zusammen.

„Ich gehe jetzt“, dachte ich, ihn sagen zu hören. „Bleiben Sie hier.“

„Was denn sonst?“ schien ich zu antworten.

Wieder Schwärze. Absolut und undurchdringlich. Ein stickiger, enger Platz/Ort von unbekannten Dimensionen/Abmessungen. Ich war darin und – vice versa – gleichermaßen verteilt und vollkommen konzentriert von/in diesem alptraumhaften System mit dem Bewußtsein von C-n und HitzeKälteDurstHitzeKälteDurst in einer endlosen Dezimalreihe, die immer/überall auf der schützenden Plane verlief, die mich umgab …

Lichtblitze und Vorstellungsbilder … „Kannst du mich hören, Fred? Kannst du mich hören, Fred?“ Wasser, das meine Kehle hinuntertröpfelt. Wieder Schwärze, Lichtblitz. Wasser auf meinem Gesicht, in meinem Mund. Bewegung. Schatten. Ein Seufzer …

Seufzen. Schatten. Weniger dichte Schwärze. Lichtblitz. Blitze. Ein gedämpftes, kaum wahrnehmbares Licht. Der Boden unter mir, hart. Das Seufzen, mein eigenes.

„Kannst du mich hören, Fred?“

„Ja“, sagte ich. „Ja …“

Die Bewegung erstarb. Ich hörte einen Wortwechsel in einer Sprache, die ich nicht verstand.

„Sind Sie wach? Können Sie mich hören?“

„Ja, ja. Ich habe doch schon mehrmals ja’ gesagt. Wie oft soll ich denn noch …?“

„Ja, er scheint bei Bewußtsein zu sein“ – ein mehr als nur überflüssiger Kommentar einer Stimme, die ich als die meines Freundes, des Wombats, identifizieren konnte.

Ich hatte mehr als eine Stimme unterscheiden können, konnte die Sprecher aber nicht sehen, was an dem Winkel lag, in dem ich saß. Und den Kopf zu drehen war zuviel Aufwand. Ich öffnete die Augen und sah, daß das Terrain flach war und von den ersten Flammen des Morgenrotes überflutet wurde.

Alle Geschehnisse des vergangenen Tages tauchten wieder aus der Versenkung auf, wo alle Erinnerungen sich befinden, wenn man gerade keine Verwendung für sie hat. Das, in Verbindung mit der Lehre, die ich aus ihnen gezogen hatte, war dafür verantwortlich, daß ich den Kopf erst gar nicht wenden wollte, um die Sprecher anzusehen.

Zudem war es nicht schlecht, einfach nur so dazuliegen. Wenn ich lange genug so liegenblieb, dann konnte ich vielleicht entkommen und an einem ganz anderen Ort wieder aufwachen.

„Hören Sie“, sagte eine fremde Stimme. „Möchten Sie gerne ein Brot mit Erdnußbutter?“

Bruchstücke meiner Illusionen brachen um mich herum zusammen. Stöhnend gewann ich wieder eine neue Perspektive des Bodens sowie der langen Schatten, die auf ihm lagen.

Wegen des seltsamen Schattens, den ich wahrgenommen hatte, war ich nicht besonders überrascht, als ich aufblickte und ein ungefähr einmeterachtzig großes Känguruh sah, das neben dem Wombat stand. Es betrachtete mich durch eine dunkle Sonnenbrille, während es mit einer Pfote in einen Beutel mit Broten griff.

„Erdnußbutter ist reich an Proteinen“, sagte es.



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