Diese Reise durch die Zeit war holprig und noch desorientierender als die bisherigen, was ich auf die ungleichmäßige Verteilung dieser Plattnerit-Brocken im 'Naut zurückführte. Aber die Reise war kurz, und schließlich verschwand das Gefühl des Falls.
Filby saß mit verschränkten Armen und auf die Brust gelegtem Kinn da und bot ein Bild des Jammers. Jetzt schaute er zu etwas hoch, das ich für eine Wanduhr gehalten hatte, und schlug sich mit der Hand auf das knochige Knie. »Ha! — da wären wir; es ist wieder der sechzehnte Juni des Jahres 1938.« Er begann sich zu entkrampfen.
Ich erhob mich von meinem Stuhl und nahm diese ›Uhr‹ etwas näher in Augenschein. Ich sah, daß das Instrument — obwohl es über ein konventionelles Ziffernblatt mit Zeigern verfügte — noch weitere kleine Chronometerskalen aufwies. Ich schnaufte und tippte mit einem Finger auf das Glas dieser Uhr. »Schau mal hier!« sagte ich zu Moses. »Das ist eine Chronometeruhr, die aber auch Jahre und Monate anzeigt — überzüchtete Technik, Moses; charakteristisch für Regierungsprojekte. Ich wundere mich nur, daß sie nicht auch noch kleine Puppen mit Regenmänteln und Sonnenhüten hat, die den Wechsel der Jahreszeiten anzeigen!«
Nach einigen Minuten kamen Captain Hilary Bond und der junge Soldat zu uns, der uns auf Richmond Hill aufgelesen hatte (Bond stellte ihn uns als Harry Oldfield vor). In der kleinen Kabine wurde es jetzt ziemlich eng. »Was Sie betrifft, habe ich Instruktionen erhalten«, sagte Captain Bond. »Ich habe den Auftrag, Sie zum Imperial College zu bringen, an dem die Forschungen zur Zeitverschiebungs-Kriegsführung laufen.«
Oldfield hatte eine Kiste mit Gasmasken und Metallepauletten bei sich. »Hier«, sagte er zu uns, »das legen Sie besser an.«
Widerwillig hielt Moses eine Gasmaske hoch. »Sie können nicht von mir verlangen, daß ich den Kopf in eine solche Vorrichtung stecke.«
»Das müssen Sie aber«, sagte Filby nachdrücklich, und ich sah, daß er bereits seine Maske über dem Hängebacken-Gesicht zuknöpfte. »Wir müssen ein Stück im Freien zurücklegen, wissen Sie. Und draußen ist es nicht sicher. Nicht sicher!«
»Komm schon«, forderte ich Moses auf, während ich lustlos Maske und Epauletten anlegte. »Ich befürchte, daß wir nicht mehr zuhause sind.«
Die Epauletten wogen schwer, paßten sich meiner Jacke aber gut an. Die Maske jedoch, die ich von Oldfield erhalten hatte, war zwar großzügig geschnitten und hatte auch eine gute Paßform, war aber dennoch höchst unangenehm. Die beiden Brillengläser beschlugen fast augenblicklich, und das aus Gummi und Leder fabrizierte Teil entwickelte sich bald zu einer Sauna. »Daran werde ich mich nie gewöhnen.«
»Ich hoffe, daß wir nicht so lange hier sind, damit es erforderlich wird«, zischte Moses ungehalten, wobei seine Stimme durch die Maske gedämpft wurde.
Ich wandte mich Nebogipfel zu. Der arme Morlock — der schon von seiner Schuluniform eingeschnürt war — wurde jetzt von einer lächerlichen Maske gekrönt, die ihm mehrere Nummern zu groß war: als er den Kopf drehte, schlackerte tatsächlich der wie ein Insektenauge aussehende Filter, der vorne an dem Ding hing.
Ich tätschelte ihm den Kopf. »Wenigstens fällst du jetzt unter all den Menschen nicht mehr so auf, Nebogipfel!«
Er würdigte mich keiner Antwort.
Wir tauchten aus der metallenen Gruft des Raglan in einen strahlenden Sommertag ein. Es war gegen vierzehn Uhr, und das Sonnenlicht sprühte über die Tarnfarben des 'Naut. Meine Maske beschlug sofort und füllte sich mit Schweiß, woraufhin ich mir das schwere, enge Ding am liebsten vom Kopf gerissen hätte.
Der Himmel über mir war weit, tiefblau und wolkenlos — obwohl ich hier und da dünne weiße Linien und Wirbel sehen konnte, Spuren von Wasserdampf oder Eiskristallen, die in den Himmel geätzt waren. Am Ende einer solchen Spur sah ich ein Glitzern — vielleicht war es Sonnenlicht, das von irgendeiner metallenen Flugmaschine reflektiert wurde.
Der Juggernaut hockte auf einer Version der Petersham Road, die sich von 1873 und selbst von 1891 deutlich unterschied. Ich sah, daß die meisten Häuser aus meiner Zeit noch standen: sogar mein eigenes stand hinter einem Absperrgitter, das korrodiert und mit Grünspan überzogen war. Aber die Gärten und Rasenflächen schienen durchgehend umgegraben worden zu sein; jetzt gedieh dort eine mir unbekannte Gemüsesorte. Und außerdem registrierte ich, daß viele Häuser schwere Schäden aufwiesen. Von einigen stand nur noch wenig mehr als die Fassade, wobei die Dächer und Innenstrukturen weggerissen worden waren: hier und da waren Gebäude ausgebrannt und vom Feuer geschwärzt; und andere existierten überhaupt nur noch als Trümmerhaufen. Auch mein Haus war beschädigt, wobei jetzt das Sonnenlicht dem Haupthaus als Dach diente, und das Laboratorium war ganz zerstört. Und der Schaden war nicht erst vor kurzem eingetreten: das Leben, grün und vital, hatte das Innere vieler Häuser zurückerobert; die Überreste von Zimmern und Fluren waren mit Moos und jungen Pflanzen tapeziert, und Efeu hing wie bizarre Gardinen vor den klaffenden Fensterhöhlen.
Ich sah, daß der zur Themse abfallende Hang noch immer mit Bäumen bestanden war, doch selbst diese zeigten Anzeichen von Schäden: Ich sah die Stümpfe abgebrochener Äste, verkohlte Stämme und dergleichen. Es war, als ob ein Feuersturm hier durchgezogen wäre. Die Pier war unbeschädigt, aber von der Richmond Bridge waren nur noch die geschwärzten und gekappten Grundpfeiler übrig, wobei die eigentliche Brückenkonstruktion völlig zerstört war. Ich sah, daß ein großer Teil der zwischen dem Fluß und Petersham liegenden Wiesen von dem gleichen Gewächs mit Beschlag belegt worden war, das auch die Gärten übernommen hatte, und auf dem Fluß selbst trieb brauner Schaum.
Es war niemand zu sehen. Der Verkehr ruhte; Unkraut war durch Risse in den Fahrbahnen gebrochen. Ich hörte keine Stimmen — kein Lachen oder Rufen, keine spielenden Kinder — keine Tiere, keine Pferde, keine singenden Vögel.
Von der Lebendigkeit, die diesen Ort früher an einem Nachmittag im Juni erfüllt hatte — das Blitzen von Rudern, das Lachen der Ausflügler, die flußaufwärts fuhren — war nichts mehr geblieben. Angesichts dieses desolaten Zustandes mußte ich an die Regatten und Sommerfeste denken, für die diese Gegend zu meiner Zeit so bekannt gewesen war. Ich erinnerte mich an Feuerwerke, an Hunderte von beleuchteten Booten, die den Strom herunterkamen, und an die in vollem Lichterglanz erstrahlenden Häuser am Ufer…
All das war verschwunden, in diesem düsteren Jahr; und vielleicht für immer. Dies war ein verlassenes Richmond, ein Friedhof. Das erinnerte mich an die herrschaftlichen Ruinen in der Gartenwelt von 802701. Ich wähnte das alles weit weg von mir; niemals hätte ich mir vorstellen können, einmal mein eigenes heimatliches England in einem solchen Zustand zu sehen!
»Großer Gott«, sagte Moses. »Was für eine Katastrophe — welch eine Zerstörung! Ist England aufgegeben worden?«
»O nein«, dementierte der Soldat energisch. »Aber Orte wie dieser sind einfach nicht mehr sicher. Das Gas und die Lufttorpedos — die meisten Menschen sind geflüchtet, in die Kuppeln, müssen Sie wissen!«
»Aber es ist alles so heruntergekommen, Filby«, wandte ich ein. »Was ist aus dem Kampfgeist unserer Leute geworden? Wo ist der Wille, sich an die Arbeit zu machen und alles wieder aufzubauen? Es wäre nämlich zu schaffen, wißt ihr…«
Filby legte eine behandschuhte Hand auf meinen Arm. »Eines Tages — wenn dieser verdammte Krieg vorbei ist — werden wir alles wieder aufbauen. Nicht wahr? Und es wird genauso werden wie zuvor. Aber jetzt…« Seine Stimme brach ab, und ich hätte mir gewünscht, seinen Gesichtsausdruck sehen zu können. »Kommt weiter«, sagte er. »Wir verschwinden besser aus dem offenen Gelände.«
Wir ließen den Raglan zurück und eilten die Straße entlang zum Stadtzentrum: Moses, Nebogipfel und ich, zusammen mit Filby und den beiden Soldaten. Unsere Begleiter aus dem Jahre 1938 liefen irgendwie geduckt, mit ständigen, nervösen Blicken zum Himmel. Ich registrierte erneut, daß Bond auf dem linken Bein stark hinkte.
Sehnsüchtig blickte ich zum Juggernaut zurück, denn in seinem Innern war meine Zeitmaschine — meine einzige Möglichkeit zur Heimkehr, weg von diesem beginnenden Alptraum aus Multiplen Historien — aber ich wußte, daß ich jetzt keine Chance mehr hatte, an die Maschine zu kommen; ich konnte einfach nur die weitere Entwicklung abwarten.
Wir gingen die Hill Street entlang und bogen dann in die George Street ein. Hier war nichts von der Geschäftigkeit und Eleganz zu sehen, durch die sich diese Einkaufsstraße zu meiner Zeit ausgezeichnet hatte. Die Kaufhäuser, wie z. B. Gosling's & Wright's, waren mit Brettern zugenagelt, und sogar die Planken, welche die Fenster bedeckten, waren im Lauf der Jahre durch das Sonnenlicht ausgebleicht worden. Ich sah, daß eine Ecke des Schaufensters von Gosling's aufgebrochen worden war, vermutlich von Plünderern; das dadurch entstandene Loch sah aus, als ob es von einer menschlichen Ratte genagt worden wäre. Wir passierten einen niedrigen Unterstand mit einer dunklen Abdeckung, daneben einen Pfosten mit Karomarkierungen und eine Glasscheibe, die jetzt aber zerbrochen war. Dieser Unterstand wirkte auch verlassen, und der kräftige gelbschwarze Anstrich der Säule blätterte schon ab.
»Das ist ein Bunker zum Schutz vor Luftangriffen«, erklärte mir Filby in Beantwortung meiner entsprechenden Frage. »Eine der früheren Ausführungen. Ziemlich unzureichend — wenn jemals ein Volltreffer eingeschlagen wäre… nun! Und die Markierungen an dem Pfosten weisen auf ein Depot hin, das mit Atemgeräten und Gasmasken ausgerüstet ist. Sie wurden kaum gebraucht, bevor der allgemeine Rückzug in die Kuppeln begann.«
»Luftangriffe… Das ist keine schöne Welt, Filby.«
Er seufzte. »Sie haben Lufttorpedos, weißt du. Die Deutschen, meine ich. Fliegende Maschinen, die einen einhundertneunzig Meilen entfernten Ort ansteuern, eine Bombe abwerfen und zurückkehren können! — alles mechanisch, ohne menschliche Eingriffe. Es ist eine Welt der Wunder, denn der Krieg ist eine enorme Motivation für den Erfindungsgeist. Es wird dir hier gefallen!«
»Die Deutschen…«, sagte Moses. »Seit Bismarck hatten wir nichts als Ärger mit den Deutschen. Ist dieser alte Schuft denn immer noch am Leben?«
»Nein, aber er hat würdige Nachfolger gefunden«, meinte Filby grimmig.
»Bismarck«, fuhr Moses fort: »Sicher der ordinärste und primitivste Mann, der jemals groß geworden ist, mit einer ausgeprägten Bauernschläue. Ihn interessierte nichts außer Deutschland — ein größeres, mächtigeres Deutschland; darüber hinaus hatte er keine Ideen oder Vorstellungen. Und dennoch war er der einflußreichste Mann der Welt…«
»Und ganz Europa«, sagte Nebogipfel in monotonem und emotionslosem Tonfall, »hat ihm seine Kinder geopfert.«
Darauf wußte ich nichts zu sagen. Aus meiner Perspektive, die jetzt von Moses abgekoppelt war, schien selbst ein solcher Rohling wie Bismarck kaum den Verlust eines einzigen Menschenlebens zu rechtfertigen.
In atemlosen Bruchstücken erzählte mir Filby von weiteren erstaunlichen Errungenschaften der Kriegsführung dieses düsteren Zeitalters: von Jagdunterseebooten zur Durchführung des Gaskrieges mit praktisch unbegrenzter Reichweite und einem Bestand von einem halben Dutzend Raketen, die einen formidablen Vorrat an Gasgranaten trugen; von einer Flut von eisernen Kampffahrzeugen, von denen ich mir vorstellte, wie sie durch das zerschlagene Europa pflügten; von anderen ›Juggernauts‹, die unter Wasser fahren, schwimmen oder sich unterirdisch fortbewegen konnten; und all dem stand ein gleichermaßen gigantisches Arsenal an Fallen, Giftgasgürteln, Minen und Geschützen aller Kaliber gegenüber.
Ich wich Nebogipfels Blick aus; ich konnte sein Urteil nicht ertragen! Denn dies war kein Fleck in einer Himmelssphäre, die von weit entfernten, abhumanen Nachkommen der Menschheit bevölkert wurde: dies war meine Welt, meine Rasse, die in einen Kriegstaumel verfallen war! Was mich betraf, so verfügte ich noch immer über einen Teil der übergeordneten Perspektive, die ich mir im Innern dieser großen Konstruktion angeeignet hatte. Ich konnte den Anblick kaum ertragen, wie sich meine eigene Nation einem solchen Wahnsinn hingab, und es schmerzte mich, Moses' Beiträge zu hören, die naturgemäß die Vorstellungen seiner Zeit widerspiegelten. Ihm konnte ich kaum etwas vorwerfen! — aber die Erkenntnis deprimierte mich, daß meine eigene Vorstellung auch einmal so begrenzt, so formbar gewesen war.
Wir erreichten einen schlichten Bahnhof. Aber das war nicht der Bahnhof, den ich 1891 aufgesucht hatte, um von Richmond über Barnes nach Waterloo zu fahren; diese neue Einrichtung befand sich nicht mehr im Stadtzentrum, sondern gleich an der Kew Road. Und es war ein merkwürdiger Bahnhof: es gab nichts derartiges wie Fahrkartenschalter oder Tafeln mit Fahrplänen, und der Bahnsteig war ein nackter Betonstreifen. Die neue Linie war ziemlich nachlässig verlegt. Ein Zug wartete auf uns: die Lokomotive war ein unansehnliches, dunkles Gerät, das traurige Dampfwolken über den rußverschmierten Kessel blies, und sie zog nur einen Waggon. Die Lokomotive wies weder eine Beleuchtung noch die Aufschrift der staatlichen Eisenbahngesellschaft auf.
Soldat Oldfield schob die Waggontür auf; sie war schwer, mit einer umlaufenden Gummidichtung an der Kante. Oldfields Augen hinter der Maske überflogen das Innere. Richmond, an einem sonnigen Nachmittag im Jahre 1938, war kein sicherer Ort!
Der Waggon war spartanisch ausgestattet: es gab einige Reihen harter Holzbänke — und das war schon alles —, ansonsten weder Polsterung noch irgendwelchen Schmuck. Der Anstrich war ein uniformes Dunkelbraun ohne jeden ästhetischen Anspruch. Die Fenster waren versiegelt, und sie hatten Rollos, mit denen sie verdunkelt werden konnten.
Wir suchten uns Plätze, auf denen wir uns dann ziemlich steif gegenübersaßen. An diesem sonnigen Tag war die Hitze im Waggon unerträglich.
Als Oldfield die Tür geschlossen hatte, setzte der Zug sich schleppend in Bewegung.
»Offensichtlich sind wir die einzigen Passagiere«, murmelte Moses.
»Nun, es ist ja auch ein seltsamer Zug«, stellte ich fest. »Eher spärlicher Komfort, Filby — eh?«
»Dies ist auch keine Zeit für Luxus, mein Freund.«
Wir fuhren einige Meilen durch eine desolate Landschaft, wie wir sie schon um Richmond gesehen hatten. Ich hatte den Eindruck, daß das Land überwiegend in Anbauflächen verwandelt worden und fast menschenleer war, obwohl ich zuweilen ein paar Leute sah, die ein Feld bestellten: es hätte ein Stilleben aus dem fünfzehnten Jahrhundert sein können und keine Szene aus dem zwanzigsten — abgesehen von den zerstörten und ausgebombten Häusern, welche die Landschaft verschandelten, wobei an manchen Stellen die imponierenden Silhouetten von Luftschutzbunkern auftauchten — große, halb in den Boden eingelassene Betonpanzer. Bewaffnete Soldaten gingen in der Umgebung dieser Bunker Streife und beäugten die Welt käferartig durch ihre Gasmasken, als ob sie eventuelle Flüchtlinge von einer Annäherung abhalten wollten.
In der Nähe von Mortlake sah ich am Straßenrand vier Leute an Telegraphenmasten baumeln. Ihre Körper waren schlaff und verkohlt, und offensichtlich waren sie schon von Vögeln angenagt. Ich erzählte Filby von diesem schrecklichen Anblick — er und die Soldaten hatten von der Gegenwart der Leichen nicht einmal Notiz genommen — und er wandte seinen wäßrigen Blick in die angegebene Richtung, wobei er etwas murmelte wie ›sicher haben sie Rüben oder so was gestohlen‹. Ich wurde belehrt, daß ein solcher Anblick alltäglich war, in dieser Version des Jahres 1938.
Plötzlich fuhr der Zug über eine Gefällstrecke in einen Tunnel ein. Zwei schwächliche Glühlampen waren die Waggonbeleuchtung, und wir saßen in ihrem gelben Glühen und starrten uns an.
»Ist das eine Untergrundbahn?« fragte ich Filby. »Ich könnte mir denken, daß wir uns auf einer Erweiterung der Metropolitan Line befinden.«
Filby wirkte verwirrt. »Oh, ich nehme doch an, daß die Linie eine Nummer oder eine andere…«
Moses begann an seiner Maske herumzufummeln. »Wenigstens könnten wir jetzt mal diese schrecklichen Dinger ablegen.«
Bond legte eine Hand auf seinen Arm. »Nein«, widersprach sie. »Es ist nicht sicher.«
Filby nickte zustimmend. »Das Gas kommt überall hin.« Ich glaubte, daß er schauderte, aber in seiner schmuddeligen, zu weiten Montur konnte man das nicht genau sagen. »Wenn man es einmal selbst erlebt hat…«
Dann skizzierte er in kurzen, lebendigen Worten ein Bild, das ich nie vergessen werde: von einem Gas, dessen Wirkung er in der Anfangsphase des Krieges in Knightsbridge erlebt hatte, als die Bomben noch von Hand aus Freiballons abgeworfen wurden und die Bevölkerung noch nicht an den Luftkrieg gewöhnt war.
Der Angriff begann mit einem Alptraum aus Alarmrufen, Sirenen, den wirkungslosen Pfiffen von Spähern auf Fahrrädern — und dann brach es über sie herein — und jeder Hauch einer Organisation war wie weggeblasen. Unter Preisgabe jeglichen Stolzes und aller Würde gab es nur noch Schwärme planlos hin- und herwuselnder Menschen (laut Filby). Sie kämpften und schlugen um sich wie Tiere, kletterten über Tote und Sterbende gleichermaßen, bis sie selbst fielen und ihrerseits niedergetrampelt wurden…
Und nun deutete Filby an, daß solch gespenstische Szenen in dieser Welt des Ewigen Krieges zum Alltagsbild gehörten!
»Es wundert mich überhaupt, daß die Moral nicht schon längst zusammengebrochen ist, Filby.«
»Die Leute geben offensichtlich nicht so schnell auf. Sie halten was aus. Natürlich hat es auch schon kritische Momente gegeben«, gab er zu. »Ich erinnere mich zum Beispiel an den August 1918… Damals hatte es den Anschein, als ob die westlichen Alliierten den verdammten Deutschen schließlich aufs Dach steigen und den Krieg beenden würden. Aber dann kam sie, die Kaiserschlacht, Ludendorffs großer Sieg, in dem er einen Keil zwischen die britischen und französischen Linien trieb… Nach vier Jahren Stellungskrieg war das ein großer Durchbruch für sie. Da half uns auch nicht mehr die Bombardierung von Paris, bei der ein Großteil des französischen Generalstabs umkam…«
Captain Bond nickte; ihr Haarschnitt war extrem kurz, wie der eines Mannes. »Der schnelle Sieg im Westen ermöglichte es den Deutschen, alle Kräfte gegen die Russen im Osten zu werfen. Dann, 1925…«
»1925«, führte Filby weiter aus, »hatten die Deutschen ihren Traum von Mitteleuropa wahrgemacht.«
Er und Bond setzten mich ins Bild. Mitteleuropa: die europäische Achse, ein gemeinsamer Markt, der sich von der Atlantikküste bis zum Ural erstreckte. 1925 reichte der Einflußbereich des Kaisers vom Atlantik bis zum Baltikum, über Rußland-Polen bis zur Krim. Frankreich war zu einem Rumpfstaat reduziert worden und hatte dadurch die meisten seiner Ressourcen verloren. Luxemburg war mit Gewalt eingegliedert worden. Belgien und Holland wurden dazu gezwungen, den Deutschen ihre Häfen zur Verfügung zu stellen. Die Montanindustrie Frankreichs, Belgiens und Rumäniens wurde in den Dienst der weiteren Expansion des Reiches nach Osten gestellt, die Slawen wurden zurückgedrängt, und Millionen Nichtrussen wurden von Moskaus Vorherrschaft ›befreit‹…
Und so fort, in allen unwesentlichen Details.
»Dann, im Jahre 1926«, sagte Bond, »eröffneten die Alliierten — Großbritannien und sein Empire sowie Amerika — erneut eine Front im Westen. Es ist die Invasion von Europa: die größte see- und luftgestützte Verschiebung von Truppen und Material, die jemals stattgefunden hat.
Anfangs lief alles nach Plan. Die Bevölkerung Frankreichs und Belgiens erhob sich, und die Deutschen wurden zurückgeworfen…«
»Aber nicht sehr weit«, präzisierte Filby. »Bald war es wieder wie im Jahr 1915, wo sich zwei riesige Armeen im Schlamm Frankreichs und Belgiens gegenüberlagen.«
Damit hatte die Belagerung begonnen. Aber jetzt waren die verfügbaren Ressourcen der Kriegsgegner um so vieles größer: das Herzblut des Britischen Empire und des Amerikanischen Kontinents auf der einen Seite, das von Mitteleuropa auf der anderen, strömte in dieses Faß ohne Boden.
Und dann entbrannte der Krieg gegen die Zivilbevölkerung in voller Schärfe: die Lufttorpedos, die Gasangriffe…
»›Die Kriege der Völker werden die Kriege der Könige an Schrecken übertreffen‹«, zitierte Moses düster.
»Aber die Menschen, Filby — was wird aus den Menschen?«
Seine Stimme, durch die Maske gedämpft, klang auf einmal vertraut, wenn auch entfernt. »Es hat Demonstrationen gegeben — meines Wissens vor allem in den späten Zwanzigern. Aber dann haben sie den Erlaß 1305 verabschiedet, der Streiks, Aussperrungen und alle vergleichbaren Aktionen für illegal erklärte. Und das war es dann! Seitdem… — nun, ich vermute, daß wir uns wohl so durchgeschlagen haben.«
Ich registrierte, daß die Tunnelwände vom Fenster zurückwichen, als ob wir das Ende des Tunnels erreicht hätten. Wir schienen in eine große unterirdische Kammer einzufahren.
Bond und Oldfield öffneten mit allen Anzeichen der Erleichterung ihre Masken; Filby löste ebenfalls die Riemen, und als sein malträtierter alter Kopf aus seinem feuchten Gefängnis befreit wurde, konnte ich weiße Vertiefungen am Kinn erkennen, wo die Dichtung der Maske in die Haut eingeschnitten hatte. »So ist es besser«, meinte er.
»Sind wir jetzt sicher?«
»Sollten wir jedenfalls sein«, erwiderte er. »So sicher wie nur irgendwo!«
Ich knöpfte meine Maske auf und zog sie mir vom Kopf; Moses entledigte sich schnell der seinen und half dann dem Morlock. Als Nebogipfels kleines Gesicht zum Vorschein kam, starrten Oldfield, Bond und Filby ganz unverhohlen hin — ich konnte ihnen keinen Vorwurf deswegen machen! —, bis Moses ihm dabei half, wieder die Kappe und die Brille aufzusetzen.
»Wo sind wir?« fragte ich Filby.
»Erkennst du es denn nicht?« Filby fuchtelte mit einer Hand in Richtung der Dunkelheit hinter dem Fenster.
»Ich…«
»Es ist Hammersmith, mein Freund. Wir haben gerade den Fluß überquert…«
»Es ist Hammersmith Gate«, erklärte mir Hilary. »Wir haben die Kuppel von London erreicht.«
Die Kuppel von London! — Nichts in meiner eigenen Zeit hatte mich auf diese enorme Ingenieursleistung vorbereitet. Man stelle sich vor: eine große Schale aus Beton und Stahl mit einem Durchmesser von zwei Meilen, die sich von Hammersmith nach Stepney und von Islington nach Clapham über die Stadt wölbte… Die Straßen waren überall von Säulen, Verstrebungen und Widerlagern durchbrochen, die in den Londoner Boden gerammt worden waren und die Bevölkerung wie die Beine eines Rudels von Riesen dominierte und einengte.
Der Zug fuhr weiter, über Hammersmith und Fulham hinaus weiter in die Kuppel hinein. Als sich meine Augen an das Zwielicht anpaßten, sah ich, wie die Straßenbeleuchtung das Bild eines Londons nachzeichnete, das ich noch identifizieren konnte: »Hier ist die Kensington High Street, hinter diesem Zaun. Und ist das Holland Park?« — und so weiter. Aber trotz all der bekannten Landmarken und Straßennamen war dies doch ein neues London: ein London der permanenten Nacht, eine Stadt, die sich nie am strahlenden Junihimmel erfreuen konnte — aber ein London, das diesen Preis für das Überleben akzeptiert hatte, wie Filby mir sagte. Denn selbst die schwersten Bomben und Torpedos würden von diesem massiven Dach abprallen oder harmlos in der Luft explodieren und somit Cobbetts darunterliegenden ›Great Wen‹ unbeschädigt lassen.
Überall, so sagte Filby, waren die Städte der Menschen — die einst im Lichterglanz erstrahlten und unsere sich drehende Welt nachts in ein glühendes Juwel verwandelt hatten — von solch großen, dunklen Schalen bedeckt; jetzt gab es kaum noch Verkehr zwischen den großen Kuppelstädten, und die Menschen zogen es vor, sich in ihrer selbstgeschaffenen Dunkelheit zu verstecken.
Unsere neue Bahnlinie schien sich mitten durch die alte Straßenführung zu ziehen. Die Straßen, die wir querten, waren ziemlich belebt, aber nur mit Fußgängern oder Radfahrern; ich sah keine Wagen, weder von Pferden gezogen noch mit Motorantrieb, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Es gab sogar Rikschas! — leichte, überdachte Karren, die von schwitzenden, hageren Cockneys im Slalom um die als Hindernis im Weg stehenden Stützpfeiler der Kuppel gezogen wurden.
Als ich die Menge durch das Fenster des langsamer werdenden Zuges beobachtete, vermittelte mir dieser Anblick trotz der allgemeinen Hektik und Geschäftigkeit den Eindruck von Verzweiflung, Verzagtheit und Desillusionierung… Ich sah gesenkte Köpfe, hängende Schultern, Falten in müden Gesichtern; es hatte für mich den Anschein, als ob das Leben der Menschen durch eine gewisse Verbissenheit charakterisiert würde; aber es schien — und das wunderte mich nicht — kaum Lebensfreude vorzuherrschen.
Es fiel auf, daß nirgendwo Kinder zu sehen waren. Bond erklärte mir, daß die Schulen jetzt alle unter die Erde verlagert worden waren, um sie besser vor Bombenangriffen zu schützen, während die Eltern in den Munitionsfabriken bzw. den großen Flugzeugwerken arbeiteten, die an der Peripherie von London in Balham, Hackney und Wembley errichtet worden waren. Nun, vielleicht dienten diese Vorkehrungen wirklich der Sicherheit — aber welch ein öder Ort war die City ohne das Lachen spielender Kinder! — was sogar ich, ein überzeugter Junggeselle, bereitwillig eingestand. Und auf welche Art wurden diese armen unterirdischen Würmchen wohl auf das Leben vorbereitet?
Erneut, so überlegte ich, hatte meine Reise in einer Welt der völligen Dunkelheit geendet — einer Welt, die den Morlocks sicher zugesagt hätte. Aber die Wesen, die dieses große Bauwerk errichtet hatten, waren keine Morlocks: sie gehörten meiner eigenen Rasse an und waren durch den Krieg dazu gezwungen worden, aus dem ihnen als Geburtsrecht zustehenden Licht zu flüchten! Ich wurde von einer tiefen und langanhaltenden Depression befallen, eine Stimmung, die meinen Aufenthalt im Jahre 1938 zum größten Teil prägen sollte.
Hier und da sah ich deutlichere Hinweise auf den Schrecken des Krieges. In der Kensington High Street sah ich, wie ein Mann die Straße entlangging — er mußte von einer dünnen jungen Frau an seiner Seite geführt werden — seine Lippen waren schmal und langgezogen, die Augen lagen wie Perlen in geschrumpften Höhlen. Die Gesichtshaut war ein Mosaik aus Purpur und Weiß auf grauem Grund.
Filby schnaufte nur, als ich ihm das erzählte. »Der Krieg verbrennt«, konstatierte er. »Sie sehen alle gleich aus… Ein Luftkämpfer vielleicht — ein junger Gladiator, dessen Leistungen wir alle loben, wenn die Sprech-Maschinen sie herausschreien! — aber was bleibt ihnen denn sonst noch?« Er sah mich an und legte eine faltige Hand auf meinen Arm. »Ich wollte nicht herzlos klingen, alter Freund. Es ist nur — mein Gott! — es ist nur so, daß man einfach abstumpfen muß.«
»Ihr habt einen Panzer um eure Herzen gelegt«, stellte Nebogipfel in einem fließenden Tonfall fest, der uns alle überraschte. »Genauso, wie ihr einen Schild über eurer Stadt errichtet habt.«
Filby musterte ihn. »Du wirst es auch noch lernen«, prophezeite er düster.
Die meisten alten Londoner Bauwerke schienen überlebt zu haben, obwohl ich sah, daß einige der größeren Bauten abgerissen worden waren, um Platz für den Betonpanzer zu schaffen — ich fragte mich, ob die Nelson-Statue noch stand —, und die Neubauten waren klein, häßlich und düster. Aber auch die Anfangsphase des Krieges hatte vor der Konstruktion der Kuppel einige Narben hinterlassen: große Bombenkrater wie leere Augenhöhlen und Schutthalden, für deren Beseitigung man bisher weder die Notwendigkeit erkannt noch die Energie aufgebracht hatte.
Die Kuppel erreichte ihre Scheitelhöhe von etwa sechshundert Fuß direkt über Westminster im Herzen von London. Als wir uns dem Stadtzentrum näherten, sah ich, wie in den Hauptstraßen strahlendes Licht aufflackerte, das dieses gigantische Dach vollständig ausleuchtete. Und überall waren diese Säulen, die aus den Straßen Londons und von riesigen Pontonbrücken auf dem Fluß emporstiegen: grob behauen, dicht gedrängt, mit sich verbreiternden und abgestützten Grundflächen — zehntausend Betonpfeiler, die diesen riesigen Panzer trugen, Säulen, die London in einen immensen maurischen Tempel verwandelt hatten.
Ich fragte mich, wie der aus Kreide und Ton bestehende Untergrund, auf dem London errichtet war, dieses riesige Gewicht überhaupt verkraften konnte! Was, wenn die ganze Konstruktion im Schlick versank und seine wertvolle Fracht von Millionen Leben mit sich hinunterzog? Mit Sehnsucht dachte ich an das zukünftige Zeitalter der Architektur, in dem die Beherrschung der Gravitation eine Konstruktion wie diese Kuppel zu einer Banalität machen würde…
Und dennoch, trotz des fehlenden Feinschliffs, ihrer offensichtlich überstürzten Errichtung und der Profanität ihres Zwecks war ich von der Kuppel beeindruckt. Weil sie zur Gänze aus simplem Stein gehauen und mit wenig mehr als der Expertise meines eigenen Jahrhunderts auf dem Londoner Lehmboden gestellt worden war, wirkte dieses dräuende Bauwerk mehr auf mich als all die Wunder, die ich im Jahre 657208 gesehen hatte!
Wir setzten unsere Fahrt fort, näherten uns aber sichtlich dem Ende der Reise, denn der Zug hatte mittlerweile fast auf Schrittgeschwindigkeit abgebremst. Ich sah, daß Geschäfte geöffnet hatten, aber ihre Schaufenster waren fast dunkel — ich sah Schaufensterpuppen, die mit der zweckmäßigen Bekleidung jener Tage behängt waren, und Kunden, die durch zusammengestoppelte Fensterscheiben schauten — es hatte den Anschein, als ob das Angebot an Luxusartikeln im Verlauf dieses langen und bitteren Krieges gegen Null tendierte.
Der Zug kam zum Stillstand. »Da wären wir«, verkündete Bond. »Dies ist Canning Gate: nur ein paar Minuten zu Fuß bis zum Imperial College.« Soldat Oldfield hantierte an der Waggontür — sie öffnete sich mit einem deutlich vernehmbaren Schmatzen, als ob der Luftdruck in dieser Kuppel ziemlich hoch wäre — und eine Flut aus Geräuschen schlug über uns zusammen. Ich sah weitere Soldaten, diesmal in schmucklosen olivfarbenen Infanterie-Kampfanzügen, die uns auf dem Bahnsteig erwarteten.
Also nahm ich meine geliehene Gasmaske und betrat die Kuppel von London.
Der Lärm war betäubend! — das war mein erster Eindruck. Es war, als ob ich zusammen mit Millionen anderer Leute in einer Krypta gestanden hätte. Ein Stimmengewirr, das Quietschen von Eisenbahnrädern und das Rumpeln von Straßenbahnen: all das schien sich in dieser riesigen, dunklen Kuppel zu bündeln und auf mich herabzuregnen. Es war enorm heiß — noch wärmer, als es schon im Raglan gewesen war. Ich erschnüffelte eine ganze Palette von Gerüchen, die nicht nur angenehm waren: es roch nach kochendem Essen, von Maschinen ausgestoßenem Ozon, Dampf und Öl des Zuges — und vor allem nach Menschen, die zu Millionen ein- und ausatmeten, während sie durch diese große, abgeschlossene Lufthülle wanderten.
Hier und da brannten Lichter in der Kuppel; nicht intensiv genug, um die Straßen darunter zu erhellen, aber hell genug, daß man ihren Konturen folgen konnte. Ich sah kleine Schatten dort oben, die zwischen den Lichtern hin- und herflatterten: es waren die Londoner Tauben, wie mich Filby aufklärte — sie hatten überlebt, obwohl sie nach den Jahren in der Dunkelheit jetzt natürlich ziemlich verkümmert waren — zusammen mit einigen Fledermauskolonien, die sich in manchen Bezirken unbeliebt gemacht hatten.
In einem Winkel des Daches, im Norden, lief eine projizierte Lightshow ab. Außerdem vernahm ich aus der gleichen Richtung das Echo einer verstärkten Stimme. Filby bezeichnete sie als ›Sprechmaschine‹ — ich vermutete, daß sie eine Art öffentlicher Kinematograph war —, aber sie war zu weit entfernt, als daß ich irgendwelche Details hätte ausmachen können.
Nun sah ich, daß unsere Bahnlinie grob dem Verlauf der alten Straße folgte; und dieser ›Bahnhof‹ war kaum mehr als ein Betontupfer inmitten von Canning Place. Alle Veränderungen, die in dieser neuen Welt stattgefunden hatten, signalisierten Hast, Panik und Schlampigkeit.
Die Soldaten formierten sich zu einem kleinen Quadrat um uns herum, und wir verließen den Bahnhof und gingen über Canning Place in Richtung Gloucester Road. Moses hatte die Fäuste geballt. In seinem farbenfrohen Clownskostüm wirkte er verängstigt und verletzlich in dieser rauhen Welt aus Metallepauletten und Gasmasken, und ich verspürte den Anflug eines Schuldgefühls, weil ich ihn in diese Lage gebracht hatte.
Ich schaute über De Vere Gardens zum Kensington Park Hotel hoch, wo ich in besseren Zeiten immer gespeist hatte; der Säulengang dieses Gebäudes war noch erhalten, aber die Fassade war heruntergekommen, viele der Fenster waren vernagelt, und das Hotel schien ein Teil des neuen Bahnhofs geworden zu sein.
Wir bogen in die Gloucester Road ein. Hier gingen viele Leute, und das Klingeln von Fahrradschellen war ein aufmunternder Kontrapunkt zum allgemeinen Eindruck der Depression. Unsere kleine Gesellschaft — und insbesondere Moses in seinem auffälligen Kostüm — wurde zum Gegenstand vieler Blicke, aber niemand kam uns zu nahe oder sprach uns an. Es gab hier viele Soldaten, in ähnlich dunklen Uniformen, wie sie die Besatzung des 'Nauts trug, aber zum größten Teil waren die Männer in Anzüge gekleidet, die — wenn auch ziemlich schlicht und schlecht geschnitten — selbst im Jahre 1891 nicht ungewöhnlich gewirkt hätten. Die Frauen trugen dünne Röcke und Blusen, ganz schlicht und funktionell, und das einzige, was mich schockierte, war, daß die Röcke zumeist sehr kurz geschnitten waren, so daß sie höchstens vier Zoll unter die Knie reichten. So kam es, daß ich auf wenigen Yards mehr weibliche Waden und Knöchel zu sehen bekam als in meinem ganzen bisherigen Leben! (Vor dem Hintergrund der allgemeinen Situation war dieser letztere Punkt nicht von so großem Interesse für mich; aber für Moses war er offensichtlich um einiges faszinierender, und ich fand, daß die Art und Weise, wie er hinstarrte, einem Gentleman nicht angemessen war.)
Ohne Ausnahme trugen die Fußgänger diese merkwürdigen Metallepauletten, und alle hatten selbst in dieser sommerlichen Hitze die schweren Stofftaschen mit den Gasmasken bei sich.
Ich bemerkte, daß unsere Soldaten ihre Holster geöffnet hatten und — nicht uns, sondern die um uns wogende Menschenmenge beobachteten.
Wir bogen in östlicher Richtung ab und folgten der Queen's Gate Terrace. Dies war eine Gegend von London, die mir vertraut war. Es war eine breite, elegante Straße, die von großen Terrassen gesäumt war; und ich sah, daß die Häuser durch die Zeit kaum gelitten hatten. Die Fassaden wiesen noch immer die Imitationen griechisch-römischer Verzierungen auf, die mir schon damals aufgefallen waren — Säulen mit eingemeißelten Blumenmustern und dergleichen —, und die Gehwege wurden von denselben schwarz angestrichenen Geländern begrenzt.
Bond ließ uns vor einem dieser Häuser anhalten, auf halber Höhe der Straße. Sie erklomm die Treppe zur Haustür und klopfte mit einer behandschuhten Hand dagegen; ein Soldat — ein Gefreiter im Kampfanzug — öffnete. »All diese Häuser sind vor einiger Zeit vom Luftfahrtministerium beschlagnahmt worden. Sie werden alles bekommen, was Sie benötigen — wenden Sie sich einfach an die Gefreiten — und Filby wird auch hierbleiben.«
Moses und ich tauschten Blicke. »Aber was sollen wir denn überhaupt tun?« wollte ich wissen.
»Nur Geduld«, erwiderte sie. »Machen Sie sich frisch und schlafen Sie etwas. Der Himmel mag wissen, was Ihre innere Uhr jetzt anzeigt! Ich habe Instruktionen vom Luftfahrtministerium; man ist sehr an einem Treffen mit Ihnen interessiert«, eröffnete sie mir. »Ein Wissenschaftler des Ministeriums wird Ihre Sache bearbeiten. Er wird Sie morgen aufsuchen.
Nun denn. Alles Gute — vielleicht sehen wir uns bald wieder.« Dann verabreichte sie mir und Moses einen männlichen Händedruck und zitierte den Soldaten Oldfield herbei; dann marschierten sie wieder die Mews hinunter, zwei junge aufrechte und tapfere Krieger — und keinen Deut robuster als dieses kriegsversehrte Wrack, das ich zuvor in der Kensington High Street gesehen hatte.
Filby führte uns im Haus herum. Die Zimmer waren groß, sauber und hell, obwohl die Vorhänge zugezogen waren. Das Haus war gemütlich, aber schlicht möbliert, in einem Stil, der auch ins Jahr 1891 gepaßt hätte. Die wesentlichen Unterschiede bestanden im verbreiteten Einsatz neuer elektrischer Geräte, insbesondere von Leuchten und anderen Geräten wie einem großen Herd, Kühlschränken, Ventilatoren und Heizungen.
Ich ging zum Eßzimmerfenster und zog den schweren Vorhang zurück. Das Fenster war doppelverglast und am Rand mit Gummi und Leder abgedichtet — auch die Türrahmen wiesen Dichtungen auf — und draußen, an diesem englischen Juniabend, herrschte die Dunkelheit der Kuppel, unterbrochen vom entfernten Flackern der Lichtstrahlen unter dem Dach. Und unter dem Fenster fand ich eine Kiste, die durch eine Einlegearbeit getarnt war und eine Reihe Gasmasken enthielt.
Mit den zugezogenen Vorhängen und dem eingeschalteten Licht war es immerhin für eine Weile möglich, die düstere Welt hinter diesen Wänden zu vergessen!
Es gab auch ein Raucherzimmer, das mit einem ordentlichen Bestand an Büchern und Zeitungen aufwartete; der kleinlaut wirkende Nebogipfel begann sie durchzublättern. Weiterhin gab es einen großen, mit vielen Gittern besetzten Schrank. Moses öffnete ihn und stieß auf eine verwirrende Vielfalt von Ventilen, Spulen und Rollen geschwärzten Papiers. Dieser Apparat war ein sogenannter Phonograph. Er hatte die Größe und Form einer Standuhr, und über seine Vorderseite verliefen elektrische barometrische Anzeigen, eine elektrische Uhr und Kalender sowie diverse Zustandsanzeiger; und er war imstande, Sprache und sogar Musik zu empfangen, die von einer Weiterentwicklung der drahtlosen Telegraphie meiner Zeit mit hoher Präzision übertragen wurde. Moses und ich verbrachten einige Zeit mit diesem Apparat und experimentierten mit seiner Steuerung. Er konnte mittels eines verstellbaren Kondensators Radiowellen unterschiedlicher Frequenzen empfangen — dieses geniale Gerät ermöglichte es dem Hörer, sich die Resonanzfrequenz bestimmter Schwingkreise auszusuchen — und wir stießen auf eine erstaunliche Anzahl von Rundfunkstationen: wenigstens drei oder vier!
Filby hatte sich einen Drink aus Whisky und Wasser gemischt und verfolgte mit Wohlgefallen unsere Experimente. »Der Phonograph ist ein wunderbares Gerät«, schwärmte er. »Macht uns alle zu einem Volk — meint ihr nicht auch? — obwohl die Stationen natürlich alle nur IM sind.«
»IM?« »Informations-Ministerium.« Dann versuchte Filby unsere Aufmerksamkeit zu erregen, indem er uns von der Entwicklung eines neuartigen Phonographen erzählte, der auch Bilder darstellen konnte. »Er existierte schon vor dem Krieg, fand aber wegen der Verzerrung durch die Kuppeln keinen Anklang. Und wenn ihr Bilder wollt, gibt es immer noch die Schwatz-Maschine — alles freilich bloß IM-Kram —, aber wenn ihr mitreißende Reden von Politikern und Militärs liebt und Durchhalteparolen von der Prominenz, dann liegt ihr damit richtig!« Er schwenkte seinen Whisky und grinste. »Aber was kann man schon groß erwarten? — ist schließlich Krieg.«
Moses und ich wurden des Flusses eintöniger Nachrichten und der reichlich müden Orchesterklänge aus dem Phonographen bald überdrüssig und schalteten das Gerät ab.
Jedem von uns wurde ein Schlafzimmer zugewiesen. Außerdem gab es saubere Unterwäsche für alle — sogar für den Morlock — obwohl die Sachen offensichtlich schludrig zusammengenäht waren und schlecht saßen.
Ein Gefreiter, ein schmalgesichtiger Junge namens Puttick, sollte bei uns im Haus bleiben; obwohl er jedesmal, wenn ich ihn sah, im Kampfanzug herumlief, gab dieser Puttick einen wirklich guten Hausdiener und Koch ab. Außerdem befanden sich ständig weitere Soldaten vor dem Haus und auf der Straße. Es war ganz klar, daß wir unter Bewachung standen — oder gar Gefangene waren!
Gegen sieben rief uns Puttick zum Abendessen ins Eßzimmer. Nebogipfel schloß sich uns nicht an. Er verlangte nur nach Wasser und einem Teller Frischgemüse; und er blieb im Raucherzimmer, die Brille auf seinem haarigen Gesicht, hörte dem Phonographen zu und studierte die Magazine.
Das Essen erwies sich zwar als frugal, aber schmackhaft. Der Hauptgang war ein Teller mit etwas, das wie Roastbeef aussah, Kartoffeln, Kohl und Möhren. Ich stocherte am Fleisch herum; es zerfiel ziemlich leicht, und seine Fasern waren kurz und weich.
»Was ist das?« fragte ich Filby.
»Soja.«
»Was?«
»Sojabohnen. Sie wachsen im ganzen Land, außerhalb der Kuppeln — sogar der Oval Cricket Ground ist ihrem Anbau geopfert worden! — denn an Fleisch kommt man dieser Tage nicht mehr so leicht. Die Schafe und Rinder lassen sich nämlich so schwer überreden, ihre Gasmasken anzubehalten, weißt du!« Er schnitt sich eine Scheibe von diesem Zuchtgemüse ab und stopfte sie in den Mund. »Versuch doch auch mal! — ist recht schmackhaft; diese Lebensmitteltechniker verstehen ihr Geschäft.«
Das Zeug lag trocken und bröselig auf der Zunge, und sein Geschmack erinnerte an feuchte Kartonage.
Filby registrierte betrübt meine Reaktion. »Es ist gar nicht so schlecht«, versuchte er mir zuzureden. »Du wirst dich noch daran gewöhnen.«
Darauf fiel mir nichts ein. Ich spülte das Zeug mit Wein runter — er schmeckte wie ein guter Bordeaux, obwohl ich es mir verkniff, mich nach seiner Herkunft zu erkundigen — und der Rest des Mahls verlief in Schweigen.
Als wir fertig waren, hatten wir Schwierigkeiten, zur Ruhe zu kommen — ich glaube, daß wir alle an diesem Tag zuviel von dieser Welt gesehen hatten — und wir saßen da, unterhielten uns ein bißchen oder blätterten die Zeitungen durch, wobei wir es nach Möglichkeit vermieden, uns in die Augen zu sehen.
Ich nahm ein kurzes Bad — es kam warmes Wasser aus dem Hahn, und zwar ganz ordentlich —, und dann, nach einem schnellen Brandy und einer Zigarre, zogen wir uns zurück.
Nur Nebogipfel blieb auf, denn die Morlocks haben andere Schlafgewohnheiten als wir, und er bat um einen Block Papier und ein paar Stifte (er mußte im Gebrauch des Spitzers und Radiergummis unterwiesen werden).
Ich lag da, in diesem warmen und engen Bett, wobei die Fenster meines Zimmers versiegelt waren und die Luft zunehmend stickiger wurde. Hinter den Wänden brach sich der Lärm dieses in ein Heerlager verwandelten Londons an der Wölbung der Kuppel, und durch Ritzen in den Vorhängen sah ich bis tief in die Nacht das Flimmern der Nachrichtenlampen des Ministeriums.
Ich hörte Nebogipfel im Raucherzimmer herumtapsen; so merkwürdig es auch klingen mag, das Geräusch der auf dem Boden patschenden kleinen Morlockfüße und das unbeholfene Kratzen seiner Bleistifte auf dem Papier hatten etwas Tröstliches für mich.
Schließlich schlief ich ein.
Auf dem Nachttisch stand eine kleine Uhr, die mir sagte, daß es sieben Uhr morgens war, als ich aufwachte; natürlich war es draußen trotzdem dunkel wie die finsterste Nacht.
Ich stieg aus dem Bett, kramte frische Unterwäsche, ein Hemd und eine Krawatte hervor und zog diesen verschlissenen leichten Anzug an, der schon so manches Abenteuer überstanden hatte. Trotz der frühen Stunde war die Luft stickig; ich fühlte mich wie zerschlagen.
Ich zog die Vorhänge zurück. Ich sah, daß die Projektion von Filbys Schwatz-Maschine noch immer flackernd unter dem Dach stand; außerdem glaubte ich Bruchstücke irgendeiner lebhaften Musik gehört zu haben, die wie ein Marsch klang und ohne Zweifel den müden Arbeitern auf ihrem Weg zu einem neuen Arbeitstag im Dienste der Kriegsanstrengungen Beine machen sollte.
Ich ging die Treppe zum Eßzimmer hinunter. Ich war allein mit Puttick, dem soldatischen Hausdiener, der mir ein Frühstück aus Toast, Würstchen (deren Fleischfüllung durch irgendeine unidentifizierbare Substanz ersetzt worden war) und — was laut Puttick selten genug aufgetischt wurde — ein kurz gebratenes Rührei.
Als ich fertig war, nahm ich mir noch einen Toast und verzog mich ins Raucherzimmer. Dort fand ich Moses und Nebogipfel, die an dem großen Schreibtisch über Büchern und Papierstapeln brüteten; der Tisch war mit Tassen kalten Tees vollgestellt.
»Wo steckt Filby?« fragte ich. »Weiß nicht«, sagte Moses. Mein jüngeres Ich trug einen Bademantel; er war unrasiert und ungekämmt.
Ich setzte mich an den Schreibtisch. »Verdammt, Moses, du siehst aus, als ob du nicht geschlafen hättest.«
Er grinste und fuhr mit einer Hand durch die Haartolle über seiner Stirn. »Stimmt, habe ich auch nicht. Ich konnte einfach nicht einschlafen — ich habe in letzter Zeit einfach zuviel erlebt, weißt du, und in meinem Kopf dreht sich alles… Ich wußte, daß Nebogipfel noch auf war, deshalb bin ich runtergekommen.« Er schaute mich aus roten und dunkel geränderten Augen an. »Wir hatten eine faszinierende Nacht — faszinierend! Nebogipfel hat mich in die Mysterien der Quantenmechanik eingeweiht.«
»In was?«
»Ja«, bestätigte Nebogipfel. »Und Moses hat mir seinerseits beigebracht, englische Texte zu lesen.«
»Er lernt verdammt schnell«, sagte Moses. »Er brauchte kaum mehr als das Alphabet und eine kurze Einführung in die Phonetik, und dann legte er los.«
Ich blätterte durch das Chaos auf dem Tisch. Da lagen etliche Zettel, die mit merkwürdigen, kryptischen Symbolen beschriftet waren: Nebogipfels Handschrift, wie ich vermutete. Als ich einen dieser Zettel hochhielt, sah ich, wie verkrampft er den Bleistift geführt hatte; an einigen Stellen war das Papier eingeritzt. Nun, der arme Kerl hatte vorher noch nie mit derart primitiven Utensilien wie Füllfederhaltern oder Bleistiften zu tun gehabt; ich fragte mich, wie ich denn wohl mit einer Steinschloßflinte meiner Vorfahren zurechtgekommen wäre, die nicht so weit entfernt waren wie Nebogipfel von 1938!
»Es überrascht mich, daß du den Phonographen nicht eingeschaltet hast«, sagte ich zu Moses. »Interessierst du dich denn nicht für die Details der Welt, in der wir uns befinden?«
»Aber das meiste davon ist entweder Musik oder Literatur« erwiderte Moses, »noch dazu von der moralisierenden, inspirierenden Sorte, die ich nie sonderlich gemocht habe — wie du weißt! — und ich habe jetzt genug von der Flut von Trivialitäten, die in der Verkleidung von Nachrichten daherkommt. Mich interessieren die Großen Fragen des Tages — Wo stehen wir? Wie sind wir hierhergelangt? Wohin gehen wir? — und statt dessen wird man mit einer Menge Unsinn überschüttet über Zugverspätungen, Rationierungsengpässe und mit unverständlichen Details entfernter militärischer Operationen, wobei das allgemeine Hintergrundwissen schon vorausgesetzt wird.«
Ich tätschelte seinen Arm. »Was erwartest du denn? Schau mal: wir tauchen in die Geschichte ein, wie Zeittouristen. Die Leute sehen in der Regel nun mal zuerst auf die Oberfläche der Dinge — und das zu Recht! Wie oft bist du denn in deiner eigenen Zeit in den Tageszeitungen auf tiefschürfende Analysen zum Lauf der Geschichte gestoßen? Inwieweit hatte denn deine Konversation Erklärungen zur Lebensphilosophie des Jahres 1873 zum Inhalt?«
»Ich verstehe«, sagte er. Er zeigte wenig Interesse an der Unterhaltung und schien kaum bereit, der Welt um sich herum viel Beachtung zu schenken. »Hör mal«, sagte er statt dessen, »ich muß dir erzählen, was dein Morlockfreund zu dieser neuen Theorie gesagt hat.« Seine Augen waren nun klarer, die Stimme volltönend, und ich erkannte, daß ihm dieses Thema weitaus mehr zusagte — es war eine Flucht, so vermutete ich, aus unserer komplexen Situation in die klaren Mysterien der Wissenschaft.
Ich beschloß, ihm entgegenzukommen; in den nächsten Tagen würde er noch genügend Zeit haben, sich mit seiner Lage auseinanderzusetzen. »Ich bin der Ansicht, daß sich dies in einem gewissen Maße auf unsere gegenwärtige Problematik auswirkt.«
»Ja, das ist der Fall«, bestätigte Nebogipfel. Er fuhr mit seinen knubbeligen Fingern über die Schläfen, in einer Geste offensichtlicher, und sehr menschlicher, Müdigkeit. »Die Quantenmechanik ist der Rahmen, in dem ich das Verständnis der Multiplizität der Historien suchen muß, die wir gerade erleben.«
»Das ist eine bemerkenswerte theoretische Entwicklung«, sagte Moses enthusiastisch. »Das war zu meiner Zeit völlig unvorhersehbar — ja unvorstellbar! Es ist wirklich erstaunlich, daß sich die Dinge mit einer solchen Geschwindigkeit ändern können.«
Ich legte Nebogipfels Zettel hin. »Erzähl's mir«, verlangte ich.
Nebogipfel setzte zum Sprechen an, doch Moses erhob die Hand. »Nein — laß mich; ich will sehen, ob ich es verstanden habe. Also: Ihr behauptet, daß die Welt aus Atomen aufgebaut sei, richtig? Ihr kennt jedoch nicht die Zusammensetzung dieser Bausteine, denn sie sind so winzig, daß man sie nicht sehen kann, aber das ist dann auch schon alles: eine Menge kleiner fester Partikel, die wie Billardkugeln umherflitzen.«
Ich runzelte die Stirn angesichts dieser Trivialisierung. »Du solltest nicht vergessen, mit wem du sprichst.«
»Oh, laß mich das auf meine Art machen, Mann! Hört mir jetzt gut zu: Ich muß euch nämlich sagen, daß diese Sicht der Dinge falsch ist, in jeder Hinsicht.«
Ich runzelte erneut die Stirn. »Wie das?«
»Zunächst einmal könnt ihr euer Partikel vergessen — es gibt nämlich nichts Derartiges. Man weiß heute, daß — trotz Newtons Lehrsätzen — nicht mit hinreichender Genauigkeit gleichzeitig die Position eines Partikels und seine Bewegungsrichtung bestimmt werden können.«
»Aber wenn man ein ausreichend empfindliches Mikroskop hätte, dessen Vergrößerung man frei wählen könnte…«
»Vergiß es!« riet er mir. »Die Messungen unterliegen einer fundamentalen Beschränkung — die als Unschärferelation bezeichnet wird und solchen Übungen eine untere Grenze setzt.
Wir müssen uns nämlich ein für allemal von der Vorstellung der Determiniertheit der Welt verabschieden. Wir müssen in den Kategorien der Wahrscheinlichkeit denken — die Chance, an dem und dem Ort auf ein physikalisches Objekt mit der und der Geschwindigkeit zu stoßen — etcetera. Die Dinge sind mit einer Unsicherheit behaftet, die…«
»Moment mal — angenommen, ich führe ein einfaches Experiment durch. Ich will zum Beispiel zu einer bestimmten Zeit die Position eines Teilchens ermitteln — mit einem Mikroskop, dessen Vergrößerung ich nach Belieben einstellen kann. Ich hoffe, daß du mir jetzt nicht die Plausibilität eines solchen Experiments absprichst. Also weiter: Ich habe mein Meßergebnis! Worin besteht dann die Unsicherheit?«
»Aber der Punkt ist doch der«, unterbrach mich Nebogipfel, »es besteht eine finite Wahrscheinlichkeit, daß du, wenn du das Experiment wiederholen könntest, das Partikel an einem anderen Ort finden würdest — vielleicht weit entfernt von seiner ersten Position…«
Die beiden führten diesen Disput eine ganze Weile fort.
»Genug«, meinte ich schließlich. »Na schön, ich erkenne die Problematik. Aber welche Bedeutung hat sie nun für uns?«
Der Morlock massierte wieder seine Schläfen. »Ich wünschte, mein Gedächtnis wäre besser — in dieser Ära werden noch zehn oder zwanzig Jahre vergehen, bis der Öffentlichkeit die entsprechenden Forschungsergebnisse vorliegen — ich erinnere mich an den Namen Everett…«
»Es gibt — wird sie geben — eine neue Philosophie, mit der Bezeichnung ›Multiple-Welten-Interpretation der Quantenmechanik«, sagte er, und beim Klang seiner seltsamen, fließenden Stimme, die ein derart komplexes Paradigma verkündete, lief uns ein Schauer über den Rücken.
»Die Sache verhält sich folgendermaßen«, dozierte Moses. »Angenommen, wir haben ein Partikel, das sich nur an zwei Orten befinden kann — hier oder dort, sagen wir mal — wobei die Verteilung dieser Orte zufällig sein soll. Verstanden? Jetzt sieht man durch sein Mikroskop und findet es hier…«
»Gemäß dem Multiple-Welten-Ansatz«, meinte Nebogipfel, »teilt sich die Historie, wenn man ein solches Experiment durchführt. In der anderen Geschichte existiert dann ein paralleles Ich — welches das Objekt dort gefunden hat anstatt hier.«
»Eine zweite Historie?«
»Mit der ganzen Realität und Kausalität der ersten«, bestätigte Moses grinsend. »Es gibt ein zweites Ich — überhaupt existiert eine unendliche Anzahl davon —, das sich wie die Karnickel ständig vermehrt!«
»Was für eine erschreckende Vorstellung«, gestand ich. »Ich dachte, daß schon zwei mehr als genug wären. Aber schau, Nebogipfel, würden wir es denn nicht bemerken, wenn wir auf diese Art geteilt würden?«
»Nein«, erwiderte er, »weil eine solche Messung, in beiden Historien, erst nach der Teilung erfolgen könnte. Es wäre nicht möglich, die Folgen der Teilung selbst zu messen.«
»Wäre es dann möglich, die Existenz solcher parallelen Historien nachzuweisen? — oder dorthin zu gelangen und das andere Ich zu treffen, das ich dir zufolge haben soll?«
»Nein«, erwiderte Nebogipfel. »Ganz unmöglich. Solange…«
»Ja?«
»Solange sich nicht einige der Prämissen der Quantenmechanik als falsch erweisen.«
»Du erkennst unschwer, warum diese Theorien uns bei der Erklärung der Paradoxa, die wir herausgearbeitet haben, unterstützen können. Wenn es nämlich wirklich mehr als nur eine Geschichte geben kann…«
»Dann lassen sich Verwerfungen der Kausalität leicht erklären«, folgerte Nebogipfel. »Schau: Angenommen, du wärst mit einem Gewehr durch die Zeit zurückgereist und hättest Moses erschossen.« Bei diesen Worten wurde Moses leicht blaß. »In diesem Fall hätten wir also ein denkbar simples Kausalitäten-Paradoxon vorliegen. Wenn Moses tot ist, wird er die Zeitmaschine nicht bauen und du werden — und folglich kann er auch nicht in der Zeit zurückreisen und zum Mörder werden. Doch wenn dieser Mord nicht stattfindet, wird der lebende Moses die Maschine entwickeln, zurückreisen — und sein jüngeres Ich töten. Und dann kann er die Maschine nicht bauen, der Mord kann nicht begangen werden, und…«
»Genug«, sagte ich. »Ich glaube, daß wir es verstanden haben.«
»Es ist ein pathologisches Versagen der Kausalität«, meinte Nebogipfel, »eine Endlosschleife.
Doch falls das Multiple-Welten-Theorem korrekt sein sollte, gäbe es kein Paradoxon. Die Historie teilt sich: in einer Version lebt Moses; in der anderen stirbt er. Du, als Zeitreisender, bist einfach von einer Historie in die andere übergewechselt.«
»Ich verstehe«, sagte ich überwältigt. »Und sicherlich ist es genau dieses Multiple-Welten-Phänomen, das wir beobachtet haben, Nebogipfel und ich — wir haben bereits die Entwicklung von mehr als einer Ausgabe der Geschichte miterlebt…« Das alles wirkte enorm beruhigend auf mich — denn zum erstenmal erkannte ich, daß ein Hauch von Logik über diesem Chaos widersprüchlicher Historien lag, in dem ich mich seit meiner zweiten Reise in die Zeit befunden hatte! Eine theoretische Struktur zu finden, anhand derer sich die Dinge erklären ließen, war für mich genauso wichtig, wie ein Ertrinkender darauf angewiesen war, festen Boden unter die Füße zu bekommen; ich konnte mir indessen noch immer nicht vorstellen, welchen praktischen Nutzen das alles für uns haben sollte.
Da wurde plötzlich die Tür des Raucherzimmers aufgerissen, und Filby kam hereingestürzt. Es war noch keine neun Uhr; Filby war ungewaschen und unrasiert, und ein abgetragener Morgenrock umhüllte seine Gestalt. »Ihr habt einen Besucher«, teilte er mir mit. »Dieser avisierte Kamerad vom Luftfahrtministerium…«
Ich schob den Stuhl zurück und stand auf. Nebogipfel widmete sich wieder seinen Studien, und Moses schaute mit seinem noch immer wirren Schopf zu mir hoch. Ich betrachtete ihn mit einer gewissen Besorgnis; ich erkannte allmählich, daß ihm diese Versetzung in eine andere Zeit schwer zu schaffen machte. »Schau«, wandte ich mich an ihn, »es scheint, daß ich jetzt gehen muß. Warum kommst du nicht mit mir? Ich könnte dich als Berater gebrauchen.«
Er lächelte freudlos. »Was ich weiß, weißt du auch«, meinte er. »Du brauchst mich nicht.«
»Aber ich hätte gerne deine Gesellschaft… Dies ist deine Welt, oder zumindest annähernd; du könntest sogar lange genug leben, um sie zu sehen. Meinst du nicht auch, daß du dich besser fühlen würdest, wenn du dir einen Ruck gäbst?«
Moses' Augen lagen tief in ihren Höhlen, und ich glaubte in ihnen eine Sehnsucht nach seiner eigenen Zeit zu erkennen, die auch in mir brannte. »Heute nicht. Ein andermal… vielleicht morgen.« Er nickte mir zu. »Paß auf dich auf.«
Ich wußte nicht, was ich darauf hätte sagen können.
Ich ließ mich von Filby in die Halle führen. Der an der offenen Haustür auf uns wartende Mann war groß und schlaksig, mit wirrem, ergrauenden Haar. Ein Soldat stand hinter ihm auf der Straße.
Als der große Mann mich erblickte, trat er mit einer jungenhaften Tolpatschigkeit vor, die gar nicht zu einer solchen Statur paßte. Er begrüßte mich mit meinem Namen und schüttelte mir heftig die Hand; er hatte kräftige, ziemlich verwitterte Hände, und ich erkannte, daß er ein Praktiker war — vielleicht ein Mann nach meinem Herzen! »Ich bin erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen — hocherfreut«, versicherte er mir. »Ich bin ein Mitarbeiter des DZvK — Direktorat für Zeitverschiebungs-Kriegsführung — des Luftfahrtministeriums.« Er hatte eine gerade Nase, ein schmales Gesicht und einen offenen Blick hinter einer Brille mit Drahtgestell. Er war offensichtlich ein Zivilist, denn unter den unvermeidlichen Epauletten und dem Behälter mit der Gasmaske trug er einen schlichten, ziemlich abgetragenen Anzug, mit einer gestreiften Krawatte über einem gelblichen Hemd. Am Revers hatte er eine Marke mit einer Nummer. Er war etwa fünfzig Jahre alt.
»Sehr erfreut«, meinte ich. »Obwohl Ihr Gesicht mir leider nicht bekannt vorkommt…«
»Wie könnte es auch? Ich war gerade acht Jahre alt, als Ihr ZVF-Prototyp in die Zukunft aufbrach… verzeihen Sie! — ich wollte sagen, das ›Zeitverschiebungs-Fahrzeug‹. Vielleicht gelingt es Ihnen irgendwann, sich alle diese Akronyme zu merken — oder auch nicht! Ich habe es jedenfalls nicht geschafft; und es heißt, daß selbst Lord Beaverbrook nur mit Mühe alle Direktorate zusammenbekommt, die seinem Ministerium unterstehen.
Ich bin kein Prominenter — nicht halb so bekannt wie Sie! Bis vor kurzem habe ich in der glorreichen Position eines Stellvertretenden Chefkonstrukteurs bei der Vickers-Armstrong Company gearbeitet, im Weybridge-Bunker. Als man meine Überlegungen zur Temporalen Kriegsführung höherenorts zur Kenntnis nahm, wurde ich zum Hauptquartier des DZvK hier im Imperial abgestellt. Sehen Sie«, meinte er aufrichtig, »ich freue mich wirklich, daß Sie hier sind — es ist ein echter Glücksfall, der Sie hierher geführt hat. Ich glaube nämlich, daß wir — Sie und ich — eine Partnerschaft schließen könnten, welche die Geschichte verändert — die diesen verdammten Krieg ein für allemal beendet!«
Ich konnte mich eines Schauders nicht erwehren, denn ich war der Ansicht, die Geschichte bereits genug manipuliert zu haben. Und dieses ganze Gerede von Temporaler Kriegsführung — der Gedanke, daß meine Zeitmaschine, die schon soviel Unheil angerichtet hatte, wissentlich für destruktive Aufgaben eingesetzt wurde! — diese Vorstellung verursachte mir größtes Unbehagen, und ich wußte nicht, was ich tun sollte.
»Nun — wo wollen wir uns unterhalten?« fragte er. »Möchten Sie mich zu meinem Zimmer im Imperial begleiten? Ich habe einige Unterlagen, die…«
»Später«, meinte ich. »Sehen Sie — es mag Ihnen vielleicht seltsam erscheinen — aber ich bin gerade erst hier angekommen, und ich würde es begrüßen, etwas mehr von Ihrer Welt zu sehen. Wäre das möglich?«
»Natürlich!« bejahte er mit strahlendem Gesichtsausdruck. »Wir können uns unterwegs unterhalten.« Er blickte über die Schulter zu dem Soldaten, der mit einem Kopfnicken sein Einverständnis bekundete.
»Danke«, sagte ich, »Mr…«
»Eigentlich heiße ich Dr. Wallis«, korrigierte er mich. »Barnes Wallis.«
Es stellte sich heraus, daß sich das Imperial College in South Kensington befand — ein paar Gehminuten von Queen's Gate Terrace. Die Gründung dieses Colleges war etwas nach meiner Zeit, im Jahre 1907, durch die Zusammenlegung von drei zuvor eigenständigen, führenden Colleges erfolgt, die ich kannte: dem Royal College of Chemistry, der Royal School of Mines und dem City and Guilds College. Wie es sich begab, hatte ich als jüngerer Mann gelegentlich Vorlesungen an der Normal School of Science gehalten, die ebenfalls in das Imperial integriert worden war. Und nun, wo wir nach South Kensington kamen, wurde mir bewußt, daß ich den größten Teil meiner Zeit in London verbracht und mich den Genüssen solcher Etablissements wie dem Empire am Leicester Square hingegeben hatte. Auf jeden Fall hatte ich die Gegend gründlich kennengelernt — aber wie hatte sie sich verändert!
Wir gingen durch Queen's Gate Terrace in Richtung des College und bogen dann in die Kensington Gore Road ab, die den Hyde Park im Süden begrenzt. Wir wurden von einem halben Dutzend Soldaten eskortiert — ziemlich diskret, denn sie folgten uns in einer kreisähnlichen Formation — aber ich wunderte mich doch wegen der Streitmacht, die auf uns losgelassen würde, wenn etwas schiefgehen sollte. Es dauerte nicht lange, und die drückende Hitze begann an meinen Kräften zu zehren — es war wie in einem großen, überhitzten Gebäude —, und ich nahm das Jackett ab und lockerte die Krawatte. Auf Wallis' Rat hin klemmte ich die Epauletten auf das Hemd und befestigte den Gasmaskenbehälter wieder am Hosengürtel.
Das Straßenbild hatte sich deutlich gewandelt, und es fiel mir auf, daß sich nicht alle Veränderungen, die seit meiner Zeit erfolgt waren, zum Schlechteren ausgewirkt hatten. Die Verbannung der unhygienischen Pferde, des Rauchs der Kaminfeuer und der Abgase der Motorwagen — alles aus Gründen der Luftreinhaltung unter der Kuppel — hatte dem Ort eine gewisse Frische beschert. Die Hauptverkehrsstraßen wiesen einen Belag aus einem neuen, robusteren glasigen Material auf, das von einer Reihe Arbeitern saubergehalten wurde, die Karren mit Besen und Gießkannen vor sich herschoben. In den Straßen drängten sich Fahrräder, Rikschas und elektrische Straßenbahnen, die zischend an Drähten liefen und blaue Funken in der Dunkelheit versprühten. Außerdem gab es neue Wege für Fußgänger, die Rows genannt wurden und die in Höhe des Erdgeschosses an den Häuserfronten verliefen — und manchmal auch entlang des ersten und sogar zweiten Stockwerks. Brücken, leicht und filigran, überspannten die Straßen und dienten in regelmäßigen Abschnitten als Anschlußstellen für diese Gehwege, wodurch sie London — selbst in dieser stygischen Dunkelheit — irgendwie ein italienisches Ambiente verliehen.
Moses bekam später etwas mehr vom Leben der Stadt mit als ich, und er berichtete über gut besuchte Geschäfte im West End — trotz der Widrigkeiten des Krieges — und über neue Theater am Leicester Square, mit Fassaden aus raffiniert verstärktem Porzellan, wobei diese Gebäude noch im Schein indirekter Beleuchtung und illuminierter Reklame erstrahlten. Aber Moses beschwerte sich, daß die aufgeführten Stücke nur langweilig oder belehrend waren, wobei sich gleich zwei Theater auf die endlose Wiederholung von Shakespeares Werken verlegt hatten.
William und ich kamen an der Royal Albert Hall vorbei, die mir immer monströs erschienen war — wie eine rosa Hutschachtel! Im Zwielicht der Kuppel wurde dieses Bauwerk von einer Reihe heller Lichtstrahlen beleuchtet (die von Aldis-Lampen projiziert wurden, wie Wallis mir erklärte) und die dieses denkwürdige Gebilde noch grotesker wirken ließen, wie es so dahockte und selbstgefällig strahlte. Dann streiften wir den Park am Alexandra Gate, gingen zurück zum Albert Memorial und bogen Richtung Norden in den Lancaster Walk ab. Vor uns sah ich die flackernd unter der Kuppel hängenden Strahlen der Schwätzmaschine und vernahm das entfernte Wummern verstärkter Stimmen.
Wallis nutzte unseren Marsch für einen Vortrag. Er war ein angenehmer Begleiter, und ich hatte immer mehr den Eindruck, daß er zu jenen Menschen gehörte, die ich — in einer anderen Zeit — möglicherweise als Freund bezeichnet hätte.
Ich erinnerte mich an den Hyde Park als einen zivilisierten Ort: attraktiv und ruhig, mit seinen breiten Wegen und Baumgruppen. Einige dieser Merkmale existierten auch jetzt noch — ich erspähte die mit Grünspan bedeckte Kupferkuppel des Orchesters, wo ich einen walisischen Bergmannschor in verzerrter Harmonie Hymnen singen hörte — aber diese Version des Parks war ein Ort des Schattens, der nur dort, wo Laternen standen, von Lichtinseln unterbrochen wurde. Das Gras war verschwunden — ohne Zweifel durch den Ausschluß der Sonne abgestorben — und ein großer Teil der blanken Erde war mit Holzplatten kaschiert worden. Ich fragte Wallis, warum sie den Park nicht einfach in eine Betonwüste verwandelt hatten; er gab mir zu verstehen, daß die Londoner dem Glauben nachhingen, die häßliche Kuppel über ihrer Stadt könne eines Tages wieder sicher entsorgt werden und ihre Heimat wieder in alter Schönheit auferstehen — einschließlich der Parks.
Ein Abschnitt des Parks, in der Nähe des Orchesters, war zu einer Art Feldlager mutiert. Da standen Hunderte von Zelten, die sich um schlichte Betonbauten drängten und als Gemeinschaftsküchen und Badehäuser erwiesen. Erwachsene, Kinder und Hunde schlichen auf dem trockenen, festgestampften Boden zwischen den Zelten umher und gingen ihren endlosen, freudlosen Verrichtungen nach.
»Das arme alte London hat in den letzten Jahren eine Menge Flüchtlinge aufgenommen«, erläuterte Wallis. »Die Bevölkerungsdichte ist um einiges höher als früher… und trotzdem gibt es für jeden sinnvolle Arbeit zu tun. Natürlich leiden sie in diesen Zelten — aber sie können nirgendwo sonst untergebracht werden.«
Wir verließen den Lancaster Walk und näherten uns dem Round Pond im Zentrum des Parks. Dieser Mittelpunkt war einmal ein attraktiver, freier Platz gewesen und hatte einen ungehinderten Blick auf den Kensington Palace gewährt. Der Teich existierte zwar noch, war jetzt aber eingezäunt; Wallis sagte mir, daß er als Wasserreservoir für die gewachsene Bevölkerung diente. Und der Palast war nur noch eine Ruine, offensichtlich ausgebombt und aufgegeben.
Wir hielten an einem Stand, wo wir eine ziemlich warme Limonade serviert bekamen. Die Menschen wogten vorüber, manche auf Fahrrädern. In einer Ecke des Parks wurde gerade ein Fußballspiel ausgetragen, wobei die Tore durch aufgestapelte Gasmasken improvisiert wurden; ich vernahm sogar vereinzeltes Gelächter. Wallis erzählte mir, daß die Leute sich noch immer an der Speaker's Corner versammelten, um der Heilsarmee zuzuhören, der National Secular Society, der Catholic Evidence Guild, der Liga gegen die Fünfte Kolonne (die einen Feldzug gegen Spione, Verräter und überhaupt jeden führte, der den Feind auf die eine oder andere Art unterstützte), etc.
So fröhlich hatte ich die Menschen in dieser düsteren Zeit bisher noch nicht erlebt; abgesehen von den allgegenwärtigen Epauletten und Gasmasken — und dem toten Boden und diesem schrecklichen, dräuenden Dach über unseren Köpfen — hätte es sich hier um eine Feiertagsversammlung aus einer beliebigen Epoche handeln können, und ich wurde aufs neue von der Widerstandsfähigkeit des menschlichen Geistes überwältigt.
Nördlich vom Round Pond waren einige Reihen schmutziger Klappstühle aufgestellt worden, damit die Leute sich die an das Dach über uns projizierten Nachrichten anschauen konnten. Die Stühle waren zum größten Teil besetzt; Wallis entrichtete dem Aufsichtspersonal einen Obolus — die Münzen waren Metallplättchen, viel kleiner als die Währung meiner Zeit — und wir ließen uns nieder und legten den Kopf in den Nacken.
Unsere stummen Soldaten-Gouvernanten bezogen in unserer Nähe Position und beobachteten sowohl uns als auch die Menge.
Staubige Lichtfinger stachen aus den Aldis-Lampen in Portland Place (so sagte mir Wallis) und versprühten graue und weiße Farben über die Kuppel. Verstärkte Stimmen und Musik fluteten auf die passive Menge hinab. Die Innenseite der Kuppel war getüncht worden, und daher waren die kinematographischen Abbildungen recht scharf. Die erste Sequenz zeigte einen dünnen, ziemlich martialisch aussehenden Mann, der einem anderen die Hand schüttelte und dann vor etwas posierte, das wie ein Stapel Ziegelsteine aussah; die Stimmen waren zwar nicht so richtig mit den Mund- und Körperbewegungen synchronisiert, aber die Musik ging ins Blut, und die allgemeine Botschaft kam auch rüber.
Wallis lehnte sich zu mir herüber. »Wir haben Glück! — es ist ein Beitrag über das Imperial College. Das ist Kurt Gödel — ein junger Wissenschaftler aus Österreich. Sie werden ihm vielleicht mal begegnen. Vor kurzem ist es uns gelungen, ihn dem Reich ›abzuwerben‹; offensichtlich wollte er überlaufen, weil er der irrigen Auffassung ist, der Kaiser sei tot und durch einen Diktator ersetzt worden… Unter uns, ein ziemlich wunderlicher Bursche, aber eine Koryphäe auf seinem Gebiet.«
»Gödel?« Ich spürte Interesse aufflackern. »Der Mann mit der Unvollkommenheit der Mathematik und all dem Kram?«
»Ja, warum?« Er sah mich fragend an. »Woher wissen Sie denn davon? — es ist doch nach Ihrer Zeit gewesen. Nun«, meinte er dann, »wir brauchen ihn auch nicht wegen seiner Leistungen in der mathematischen Philosophie. Wir haben ihn in Princeton mit Einstein zusammengebracht…« — ich verkniff mir die Frage, wer dieser Einstein war —, »…und er wird eine Forschungsreihe wiederaufnehmen, mit der er im Reich begonnen hatte. Wir hoffen, daß er uns eine weitere Option der Zeitreise eröffnet. Es war ein ganz schöner Coup — ich kann mir vorstellen, daß die Mannen des Kaisers sich jetzt ordentlich in den Haaren liegen…«
»Und die Ziegelkonstruktion neben ihm? Was ist das?«
»Oh, ein Experiment.« Er blickte sich vorsichtig um. »Ich will nicht vorgreifen — die Sprechmaschine wird kurz darauf eingehen. Es hat mit Kernspaltung zu tun… Ich kann es Ihnen später erklären, wenn es Sie interessiert. Gödel betreibt diesbezüglich besonders intensive Forschungen; ich glaube sogar, daß er schon einige praktische Versuche durchgeführt hat.«
Jetzt präsentierte man uns das Bild einer Truppe ziemlich alt aussehender Männer in schlecht sitzenden Kampfanzügen, die in die Kamera grinsten. Einer von ihnen, ein dürrer Bursche mit stechendem Blick, trat vor. »Die Territorialverteidigung… Männer und Frauen, die aufgrund ihres Alters für den Kampfeinsatz nicht mehr in Frage kommen«, erklärte Wallis, »die aber trotzdem noch im paramilitärischen Einsatz sind, falls eine Invasion Englands erfolgen sollte. Das ist Orwell. George Orwell. Ein Schriftsteller — ich glaube nicht, daß Sie ihn kennen.«
Die Nachrichten schienen beendet zu sein, und eine neue Unterhaltungssendung entfaltete sich über unseren Köpfen. Es war ein Cartoon — eine Art belebter Zeichnung mit ausgeprägtem musikalischen Hintergrund. Soviel ich mitbekam, gab es einen Helden namens Desperate Dan, der in einem oberflächlich hingepinselten Texas lebte. Nachdem er ein großes Steak verzehrt hatte, versuchte dieser Dan, sich einen Anzug aus Draht zu stricken, wobei er Telegraphenmasten als Nadeln verwendete. Unfreiwillig kreierte er jedoch eine Kette; als er sie dann ins Meer warf, versank sie. Dan fischte die Kette wieder heraus — und stellte fest, daß er nicht weniger als drei riesige deutsche Unterseeboote am Haken hatte. Ein Marineoffizier, der das beobachtet hatte, gab Dan zur Belohnung fünfzig Dollar… und so ging das weiter.
Ich hatte eigentlich erwartet, daß diese Art der Unterhaltung nur etwas für Kinder sei, aber ich sah, daß auch die Erwachsenen sich köstlich amüsierten. Für mich jedoch war das alles nur primitive und billige Propaganda, und ich kam zu dem Schluß, daß der Begriff ›Schwätzmaschine‹, den der Volksmund für diese kinematographische Vorstellung geprägt hatte, durchaus angemessen war.
Nach dieser Unterhaltungseinlage wurden uns weitere Kurznachrichten präsentiert. Ich sah eine brennende Stadt — es könnte Glasgow oder Liverpool gewesen sein —, wo ein von gigantischen Flammen unterlegtes Glühen den nächtlichen Himmel erhellte. Dann kamen Bilder von Kindern, die aus einer kollabierten Kuppel in den Midlands evakuiert wurden.
Sie machten auf mich den Eindruck von typischen Stadtkindern mit ihren schlecht sitzenden Stiefeln und schmutziger Haut und grinsten in die Kamera — von der Flut des Krieges mitgerissen, hilflos und ohne Heimat.
Jetzt trat die Show in einen Abschnitt ein, der den Untertitel ›Postscript‹ trug. Zunächst erschien ein Portrait des Königs; er war, was mich irritierte, ein knochiger Bursche namens Egbert, der sich als entfernter Verwandter der alten Königin herausstellte, die ich seinerzeit gekannt hatte. Dieser Egbert war einer der wenigen Angehörigen der königlichen Familie, welche die heftigen deutschen Angriffe in der Anfangszeit des Krieges überlebt hatten. Und nun rezitierte ein Schauspieler mit affektierter Stimme ein Gedicht:
»…Möge es allen Menschen Wohlergehen
Möge es allen Dingen Wohlergehen
Wenn die Flammenzungen sich zusammenrollen
Zu dem gekrönten Feuerknoten
Und Feuer und Rose eins sind…«
Und so weiter! Soweit ich mir einen Reim darauf machen konnte, sollte diese Elaborat die Auswirkungen des Krieges als Fegefeuer darstellen, das schließlich die Seelen der Menschheit läutern würde. Früher hätte ich mich dieser Betrachtungsweise vielleicht angeschlossen, überlegte ich; aber seit meinem Aufenthalt im Innern der Sphäre war der Krieg für mich nicht mehr und nicht weniger als ein dunkler Auswuchs, eine Verwerfung der menschlichen Seele; und jede Begründung dafür war genau dies — die Tatsache an sich als Begründung.
Ich vermutete, daß Wallis mit diesem Kram nicht viel anfangen konnte. Er zuckte die Achseln. »Eliot«, meinte er, als ob damit alles gesagt wäre.
Jetzt erschien das Bild eines Mannes: ein ziemlich hagergesichtiger alter Bursche mit einem ausgeprägten Bart, müden Augen, häßlichen Ohren und einer verbissenen, frustrierten Ausstrahlung. Er saß mit einer Pfeife in der Hand an einem Kamin — die Pfeife war augenscheinlich kalt — und begann mit brüchiger Stimme die Ereignisse des Tages zu kommentieren. Der Bursche kam mir irgendwie bekannt vor, aber zunächst konnte ich ihn nicht einordnen. Wie es schien, war er von den Anstrengungen des Reiches nicht übermäßig beeindruckt — »Ihrer riesigen Maschinerie gelingt es nicht, auch nur einen Funken dieser poetischen Aktionen zu erzeugen, die den Unterschied zwischen Krieg und Massenmord darstellen. Sie sind Maschinen — und haben daher keine Seele.«
Er hielt uns alle zu noch höheren Leistungen an. Er beschwor die Mythen des alten England — »die runden, grünen Hügel, die sich im dunstigen Blau des Himmels auflösen« — und bemühte unsere Vorstellung dieser Szenerie, die umgepflügt war »wie die alte Front in Flandern, Schützengräben und Bombenkrater, zerstörte Städte, umgepflügte Landschaften, ein todspeiender Himmel und die Gesichter ermordeter Kinder« — all das verkündet mit einer verstohlenen apokalyptischen Vorfreude, wie es mir schien.
Die Wucht der Erkenntnis traf mich, denn ich wußte plötzlich, wer er war. Es war mein alter Freund, der Schriftsteller, der zu einem alten Mann verwelkt war! »Wie, ist das nicht dieser Mr…?« fragte ich Wallis und beantwortete die Frage gleich selbst.
»Ja«, bestätigte er. »Kannten Sie ihn? Wäre wohl möglich gewesen… Natürlich kennen Sie ihn! Denn er hat die Geschichten Ihrer Zeitreisen herausgegeben. Ich weiß noch, daß sie als Serie im The New Review erschienen und dann auch in Buchform veröffentlicht wurden. Wissen Sie, es war ein drastischer Wendepunkt für mich, damit konfrontiert zu werden… der arme Kerl kommt natürlich auch jetzt noch zurecht — ich glaube, daß er nie bei bester Gesundheit gewesen ist — und seine Romane sind in meinen Augen auch nicht mehr das, was sie einmal waren.«
»Nein?«
»Zuviel Räsonnement und zu wenig Action — Sie kennen den Stil! Seine populärwissenschaftlichen und historischen Werke kommen aber immer noch gut an. Er ist ein guter Freund von Churchill — ich meine den Ersten Lord der Admiralität —, und ich vermute, daß Ihr Kumpel großen Einfluß auf die offizielle Vorstellung zu künftigen Entwicklungen nach Kriegsende nimmt — wenn wir das ›Hochland der Zukunft‹ erreichen«, zitierte Wallis einen anderen Ausspruch meines früheren Freundes. »Aber er ist kein so guter Redner. In dieser Hinsicht favorisiere ich Priestley.
Kommen Sie«, meinte er voller Elan. »Lassen Sie uns noch ein Stück gehen. Die Shows werden hier sowieso in ziemlich kurzen Abständen wiederholt…«
Wallis erzählte mir mehr von seinen Erlebnissen. Als er noch im Weybridge-Bunker für die Vickers-Armstrong-Company arbeitete, hatte er sich einen gewissen Ruf als Konstrukteur von Luftfahrzeugen erworben — ein ›genialer Eierkopf‹, wie er sich selbst bezeichnete.
Als der Krieg sich hinzog, hatte Wallis' rühriges Gehirn Pläne ersonnen, wie man sein Ende beschleunigen könnte. So hatte er sich z. B. überlegt, wie man die Energiereserven des Feindes — Stauseen, Dämme, Bergwerke und dergleichen — mittels schwerer Bomben vernichten könnte, die von ›Monster-Bombern‹ genannten Stratosphärenflugzeugen abgeworfen wurden. Zu diesem Zweck hatte er Untersuchungen zur Abhängigkeit der Windgeschwindigkeit von der Flughöhe durchgeführt, der Sichtbarkeit von Objekten aus großer Höhe, der Auswirkung seismischer Wellen auf Kohlebergwerke etc. »Sie erkennen doch das Potential solcher Dinge, oder? Man muß nur die entsprechende Phantasie aufbringen. Mit zehn Tonnen Sprengstoff an der richtigen Stelle könnte man den Verlauf des Rheins ändern!«
»Und wie war die Resonanz auf diese Anregungen?«
Er seufzte. »Im Krieg sind die Ressourcen immer knapp — selbst für Vorhaben mit hoher Priorität — und erst recht für solche Planspiele wie diese… ›Wolkenkuckucksheim‹ hatten sie es genannt. ›Absoluter Quatsch …‹, und die Militärfritzen hatten sich über ›Erfinder‹ wie mich echauffiert, die das Leben ›ihrer Jungs‹ ›wegwarfen‹.« Ich bemerkte, daß ihn diese Erinnerungen schmerzten. »Sie wissen, daß Leute wie Sie und ich mit Skepsis rechnen müssen… aber trotzdem!«
Aber Wallis hatte sich nicht von seinen Untersuchungen abbringen lassen, und schließlich hatte er grünes Licht für den Bau seines ›Monster-Bombers‹ erhalten. »Er heißt Victory«, erklärte er. »Mit einer Bombenlast von zehn Tonnen erreicht er eine Dienstgipfelhöhe von sechsunddreißigtausend Fuß und hat bei einer Reisegeschwindigkeit von etwa dreihundert Meilen pro Stunde einen Aktionsradius von ca. etwa viertausend Meilen. Ein großartiger Anblick, wenn er abhebt — mit seinen sechs starken Hercules-Motoren benötigt er nur eine Startstrecke von einer Dreiviertel Meile… und die Erdbeben-Bomben, die er trägt, haben schon mit ihrem Vernichtungswerk begonnen, tief im Herzen des Reichs!« Seine tiefliegenden, intelligenten Augen strahlten hinter der staubigen Brille.
Wallis hatte sich für einige Jahre in die Entwicklung des Vickers-Flugzeugs gestürzt. Doch dann hatte sich sein Leben geändert, denn er hatte diesen Zeitreiseroman in die Finger bekommen und sofort das Potential meiner zu militärischen Zwecken umgerüsteten Maschine realisiert.
Diesmal waren seine Ideen auf geneigte Ohren gestoßen — seiner Verdienste waren viele, und es bedurfte keiner großen Phantasie, um das schier unbegrenzte militärische Potential einer Zeitmaschine zu erfassen — und das Direktorat für Zeitverschiebungs-Kriegsführung wurde mit Wallis als zivilem Forschungsleiter aus der Taufe gehoben. Die erste Amtshandlung des DZvK bestand darin, mein altes Haus zu beschlagnahmen, das seit meiner Abreise in die Zeit verlassen in Richmond gestanden hatte, und die Relikte meiner Forschungen wurden ausgegraben.
»Aber was wollen Sie von mir? Sie haben doch schon eine Zeitmaschine — den Juggernaut, der mich hergebracht hat.«
Er verschränkte die Arme auf dem Rücken, wobei sein langes Gesicht ernst blickte. »Der Raglan. Natürlich — aber Sie haben dieses Ungetüm ja selbst gesehen. Was seine Zeitreise-Fähigkeit betrifft, beruht diese nur auf dem wenigen, was wir in den Ruinen Ihres Labors gefunden haben. Diese mit Plattnerit angereicherten Quarz- und Messingbrocken — die unmöglich ausbalanciert oder kalibriert werden konnten — machen den Raglan zu einem trägen Ungeheuer mit einer Zukunftsreichweite von kaum einem halben Jahrhundert. Wir konnten den Einsatz des 'Naut gerade noch dafür riskieren, um sicherzustellen, daß es nicht zu einer anachronistischen Interferenz unserer Feinde mit der Entwicklung Ihrer Originalmaschine kam. Aber jetzt — durch Zufall! — haben wir Sie bekommen.
Wir sind jetzt natürlich schon weiter: wir haben Ihre alte Maschine vom Plattnerit befreit und die Hülle im Imperial War Museum ausgestellt. Würden Sie sie gerne sehen? Sie wird ein vielbestauntes Exponat werden.«
Beim Gedanken an ein solches Ende meines treuen Gefährts empfand ich Schmerz — und Besorgnis wegen der Vernichtung meines einzigen Auswegs aus dem Jahr 1938! Ich schüttelte steif den Kopf.
»Wir brauchen Sie, um mehr von der Substanz herzustellen, die Sie Plattnerit nennen — Tonnen davon — zeigen Sie uns, wie es gemacht wird!« verlangte Wallis. Glaubte er also, daß ich das Plattnerit hergestellt hätte?… Ich behielt diesen Gedanken für mich. »Wir wollen Ihre Zeitmaschinen-Technologie verwenden«, fuhr er fort, »und sie weiterentwickeln — Nutzanwendungen erschließen, die Sie sich nicht einmal in Ihren kühnsten Träumen vorstellen können… Es ist die aufregendste technische Herausforderung, die man sich nur denken kann — und sie steht im Dienste der Kriegsanstrengungen.
Mit einem ZVF könnte man die Geschichte bombardieren und ihren Verlauf ändern — genauso wie mein Plan zur Umleitung des Rheins! Warum nicht? — wenn es möglich ist, sollte es auch getan werden.«
»Die Geschichte bombardieren?«
»Bedenken Sie — man könnte zurückgehen und im Frühstadium des Krieges eingreifen. Oder ein Attentat auf Bismarck durchführen — warum nicht? Wäre doch ein Riesending — und den Aufmarsch der Deutschen von vornherein unterbinden.
Begreifen Sie, Sir? Eine Zeitmaschine ist eine Waffe, gegen die es keine Verteidigung geben kann. Wer als erster eine einsatzfähige Zeitverschiebungstechnologie entwickelt, wird zum Herren der Welt — und dieser Herr muß Großbritannien sein!«
Seine Augen leuchteten, und sein hochfliegender Enthusiasmus für all diese Vernichtung und Macht mißfiel mir immer mehr.
Wir erreichten den Lancaster Walk und marschierten wieder zur Südgrenze des Parks zurück. Nach wie vor wurden wir von unseren diskreten Soldaten flankiert.
»Erzählen Sie mir mehr davon, was geschehen wird, wenn Großbritannien und seine Alliierten diesen Zeitkrieg gewinnen — erzählen Sie mir von Ihrem ›Hochland der Zukunft‹.«
Er rieb sich die Nase und schaute unsicher drein. »Ich bin kein Politiker, Sir. Ich kann nicht…«
»Schon klar. Sagen Sie es in Ihren eigenen Worten.«
»Na schön.« Er sah zur Kuppel auf. »Zunächst — dieser Krieg zerstört eine Menge unserer schönen Illusionen, wissen Sie.«
»Er zerstört?« Das war aber ein ominöser Auftakt — und meine Befürchtungen wurden auch sofort bestätigt!
»Zum einen die Illusion der Demokratie. Sehen Sie, es steht nun mal fest, daß es keinen Sinn hat, die Leute zu fragen, was sie wollen. Man muß zuerst einmal darüber nachdenken, was sie wollen sollten, um die Gesellschaft zu bewahren. Dann muß man ihnen sagen, was sie wollen, und dafür sorgen, daß sie es auch bekommen.
Ich weiß, daß sich das aus der Perspektive Ihres Jahrhunderts seltsam anhört«, konzedierte er, »aber das ist modernes Denken — und ich habe vorhin im Phonographen gehört, daß Ihr berühmter Freund die gleichen Ansichten vertritt! — und er stammt doch auch aus Ihrer Zeit, richtig?
Ich verstehe nicht viel von Geschichte, aber ich habe den Eindruck, daß die modernen Staaten, die sich in Großbritannien und Amerika entwickeln — die Gesellschaftsform, die wir mit dem Rest der Welt teilen wollen — eher den Republiken der Antike vergleichbar sind — Karthago, Athen, Rom — die ja im Grunde aristokratisch waren. Wir haben zwar noch immer Parlamentsmitglieder, aber sie werden nicht mehr durch eine so heikle Sache wie das allgemeine Wahlrecht nominiert.
Und das ganze alte Theater mit der Opposition — nun! Das haben wir alles abgeschafft. Sehen Sie, Leute wie wir wissen, daß die meisten Angelegenheiten eben nicht mit der gleichen Legitimität von zwei Seiten betrachtet werden können. Es ist Unsinn, zu behaupten, daß es doch möglich sei. Es gibt nur einen richtigen Weg und unendlich viele falsche Wege, eine Sache zu tun. Entweder versucht es eine Regierung auf die richtige Art, oder sie ist kriminell. So einfach ist das. Die Opposition der Vergangenheit war überwiegend nur eine stümperhafte Sabotage, von Karrieristen durchgeführte Störmanöver. Und diese Sabotage muß aufhören. Diese ganzen verworrenen Ideen müssen ausgemerzt werden.
Und manche jüngeren Leute gehen noch viel weiter, was ihre Vorstellungen hinsichtlich der Zukunft betrifft. So behaupten sie zum Beispiel, daß die Familie sich auflöst. Sie war, wenn Sie so wollen, die gesellschaftliche Keimzelle in unserer landwirtschaftlich dominierten Vergangenheit. Aber jetzt, in unserer modernen Welt, verliert die Familie ihren besonderen Status und geht in einem größeren Beziehungssystem auf. Die Seßhaftigkeit unserer jungen Leute, einschließlich der Frauen, nimmt stark ab.«
Ich mußte an Captain Hilary Bond denken. »Aber wodurch wird die Familie ersetzt?«
»Nun, die Perspektive ist noch nicht klar, aber die Jungen reden von einer Restrukturierung der Gesellschaft um verschiedene Kerngruppen: Lehrer, Schriftsteller, Redner, die uns zu einer neuen Art des Denkens führen — und uns von diesem Tribalismus in eine bessere Zukunft geleiten.«
»In der Tat ein ›Hochland‹.« Ich bezweifelte, daß das meiste — oder überhaupt etwas! — von dieser Philosophie von Wallis selbst stammte; er war lediglich ein Spiegel seiner Zeit, die von den großmäuligen Meinungsmachern in Regierung und Gesellschaft geprägt wurde. »Und wie stehen Sie zu all dem?«
»Ich?« Er lachte verächtlich. »Oh, ich bin zu alt für solche Veränderungen — und außerdem«, seine Stimme schwankte, »würde ich es hassen, meine Töchter zu verlieren… Aber andererseits will ich sie auch nicht in einer Welt wie…« — er deutete auf die Kuppel, den toten Park und die Soldaten — »…wie dieser aufwachsen sehen! Und wenn das bedeutet, daß sich die Herzen der Menschen ändern, dann soll es eben so sein.
Sehen Sie jetzt, weshalb wir Ihre Kooperation benötigen?« fragte er mich. »Mit einer solchen Waffe wie dem ZVF — einer Zeitmaschine — rückt die Errichtung dieses Modernen Staates in greifbare Nähe. Und wenn wir es nicht schaffen…«
»Ja?«
Er hielt an; wir näherten uns jetzt der südlichen Begrenzung des Parks, und es waren nur wenige Leute zu sehen. »Uns liegen Gerüchte vor, wonach die Deutschen eine eigene Zeitmaschine bauen«, sagte er leise. »Und wenn sie vor uns damit fertigwerden — wenn das Reich in den Besitz einsatzfähiger Zeitverschiebungs-Kampfmittel gelangt…«
»Ja?«
Und dann skizzierte er für mich einen kurzen, aber furchteinflößenden Abriß des bevorstehenden Zeitkrieges, der offensichtlich jahrelanger propagandistischer Indoktrination entsprang. Die fischäugigen Stabsoffiziere des alten Kaisers überlegten, wie sie ihre halb gedopten, irren Kerls in unsere glorreiche Geschichte verpflanzen konnten — ihre Zeitsoldaten. Wallis' Schilderungen zufolge mußte es sich bei diesen Soldaten um Bomben auf zwei Beinen handeln; sie würden wie todbringende Puppen auf hunderten unserer alten Schlachtfelder auftauchen…
»Sie würden England zerstören — es quasi im Kindbett erdrosseln. Und das müssen wir verhindern«, sagte er entschlossen. »Sie begreifen das doch, nicht wahr? Sie verstehen es?«
Ich blickte in sein eingefallenes, ernstes Gesicht und konnte nicht antworten.
Wallis begleitete mich zu dem Haus in Queen's Garden Terrace zurück. »Ich möchte Sie nicht zu der Entscheidung drängen, mit mir zusammenzuarbeiten, alter Mann — ich weiß, wie schwierig das alles für Sie sein muß; schließlich ist es nicht Ihr Krieg — wir haben jedoch nicht viel Zeit. Aber andererseits, was bedeutet unter diesen Umständen schon ›Zeit‹, nicht wahr?«
Ich schloß mich wieder meinen Kameraden im Raucherzimmer an. Ich ließ mir von Filby einen mit Wasser verdünnten Whisky geben und setzte mich in einen Sessel. »Es ist alles so eng dort draußen«, stellte ich fest. »Wie in Burma! — diese verdammte Kuppel. Und ist es nicht komisch? Pechschwarz draußen, und wir haben erst Mittag.«
Moses blickte von dem Folianten auf, in dem er gerade las.
»Erfahrung bemißt sich nach ihrer Intensität und nicht nach ihrer Zeitdauer‹«, zitierte er. Er grinste mich an. »Wäre das nicht eine perfekte Inschrift für den Grabstein eines Zeitreisenden? Intensität — das ist es, was zählt.«
»Wer ist der Autor?«
»Thomas Hardy. Könnte fast dein Zeitgenosse gewesen sein, stimmt's?«
»Ich habe nichts von ihm gelesen.«
Moses überflog das Vorwort. »Nun, er ist auch schon gestorben… 1928.« Er schloß das Buch. »Was hast du von Wallis erfahren?«
Ich gab ihnen eine Zusammenfassung der Gespräche. »Ich war froh, als ich ihn endlich vom Hals hatte«, meinte ich dann. »Was für ein Gewirr aus Propaganda und halbgarer Politik… ganz zu schweigen von dem hochgestochenen Geschwätz über Kausalität und all das.«
Wallis' Ausführungen hatten meine depressive Grundstimmung, in der ich mich schon seit meinem Eintreffen im Jahre 1938 befand, noch verstärkt. Ich hatte den Eindruck, daß in den Herzen der Menschen ein fundamentaler Konflikt tobte. Er wurde von den Kräften seiner eigenen Natur fortgerissen — mehr als die sonstige Menschheit, die ich im Verlauf der evolutionären Strömungen gesehen habe, welche seit der Ära der Urmeere die Menschheitsgeschichte durchziehen —, und doch gab es hier diese brillanten jungen Briten und Amerikaner, im Krieg gestählt und entschlossen, die Natur zu planen, zu kontrollieren und zu bekämpfen sowie sich selbst und ihre Mitmenschen in einen Zustand der Stasis, ein gefrorenes Utopia, zu versetzen!
Ich wußte, daß ich als Bürger dieses sogenannten Modernen Staates bald zu einem dieser protestierenden Geister geworden wäre, die sich in seinem gnadenlos gütigen Griff wanden.
Doch selbst als mir diese Gedanken kamen, fragte ich mich im tiefsten Herzen, wie weit ich mich wohl Wallis' Ansichten angeschlossen hätte — über diesen Modernen Staat, mit seinen Kontrollen und Planungen —, bevor meine Zeitreisen mir die Augen für die Grenzen der Menschheit geöffnet hatten. »Übrigens, Nebogipfel«, sagte ich, »ich bin auf einen alten Freund von dir gestoßen — Kurt Gödel…«
Und der Morlock stieß ein seltsames, gurgelndes Wort in seiner Muttersprache aus; er wirbelte auf seinem Stuhl herum und erhob sich in einer schnellen, fließenden Bewegung, die ihm eher einen animalischen als menschlichen Charakter verlieh. Filby wurde blaß, und Moses verstärkte den Griff um das Buch, das er in der Hand hatte.
»Gödel — ist er hier?«
»Ja, er ist in der Kuppel. Er ist nicht einmal eine Viertelmeile von hier entfernt — im Imperial College.« Ich beschrieb ihnen die Nachrichtensendung, die ich gesehen hatte.
»Ein Kernreaktor. Das ist es«, zischte Nebogipfel. »Jetzt verstehe ich. Er ist der Schlüssel — Gödel ist der Schlüssel zu allem. Ich muß ihn treffen, mit seinen Erkenntnissen über rotierende Universen…«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
»Schau: willst du dieser fürchterlichen Historie entkommen?«
Das wollte ich — natürlich wollte ich das! — gleich aus tausend Gründen: um diesem schrecklichen Konflikt zu entfliehen, zu versuchen, nach Hause zu kommen und der Zeitreise einen Riegel vorschieben, bevor der Wahnsinn des Zeitkrieges sich etablieren konnte… »Natürlich will ich das. Aber dazu brauchen wir eine Zeitmaschine.«
»Ja. Deswegen mußt du uns mit Gödel zusammenbringen. Du mußt. Jetzt erkenne ich die Wahrheit.«
»Welche Wahrheit?«
»Barnes Wallis hat sich hinsichtlich der Deutschen geirrt. Ihre Zeitmaschine ist mehr als nur eine Drohung. Sie haben sie schon gebaut!«
Jetzt waren wir alle aufgesprungen und redeten wild durcheinander. »Was?« »Was sagst du da?« »Wie…?«
»Wir befinden uns bereits in einer Version der Geschichte«, referierte der Morlock, »die von den Deutschen konstruiert worden ist.«
»Woher willst du das wissen?« hakte ich nach.
»Meine Kenntnisse der Vorgänge im zwanzigsten Jahrhundert sind nur lückenhaft«, ewiderte er. »Aber ich glaube mich zu erinneren, daß es keinen derartigen Krieg in Europa gab, der sich über mehrere Jahrzehnte hinzog. In meiner Geschichte gab es wohl 1914 einen Krieg — aber er endete schon 1918 mit einem Sieg der Alliierten über Deutschland. 1939 brach ein neuer Konflikt aus, aber da hatte Deutschland eine andere Staatsform. Und…«
Ich fühlte mich irgendwie komisch — schwindelig — und zog einen Stuhl herbei und setzte mich hin.
Filby schaute schockiert drein. »Diese verdammten Deutschen — ich kann euch sagen! Ich habe euch doch gesagt, daß sie nur Ärger machen!«
»Ich frage mich, ob diese letzte Schlacht, von der Filby erzählt hat — die Kaiserschlacht — irgendwie zugunsten der Deutschen manipuliert wurde«, sinnierte Moses. »Vielleicht durch die Ermordung eines alliierten Kommandeurs…«
»Die Bombardierung von Paris«, fragte der völlig konsternierte Filby, »könnte es das gewesen sein?«
Ich erinnerte mich an Wallis' Horrorgeschichten über deutsche Soldaten, die in die britische Geschichte einfielen… »Was sollen wir tun? Wir müssen diesen fürchterlichen Zeitkrieg beenden!«
»Bring uns zu Gödel«, verlangte der Morlock.
»Aber warum?«
»Weil es nur Gödel gewesen sein kann, der das deutsche Plattnerit hergestellt hat!«
Nach dem Mittagessen wollte Wallis mich wieder sehen. Er begann sofort, mich zu einer Entscheidung hinsichtlich einer Mitarbeit an seinem Projekt zu drängen.
Ich verlangte, ins Imperial College gebracht zu werden, um mit diesem Kurt Gödel zu sprechen. Zuerst sperrte sich Wallis: »Gödel ist ein schwieriger Mensch — ich weiß nicht, was Sie von einer solchen Begegnung hätten — und die Sicherheitsvorkehrungen sind ziemlich streng…« Aber ich insistierte und schob das Kinn vor, bis Wallis schließlich nachgab. »Geben Sie mir dreißig Minuten«, sagte er, »und ich werde alles veranlassen.«
Die Zeit schien fast spurlos am Imperial College vorübergegangen zu sein; auch die Neugründung aus den drei mir bekannten, vormals selbständigen Instituten machte sich nicht bemerkbar. Da war der Zentralturm aus weißem behauenem Stein, von Löwen flankiert und umgeben von ziemlich unansehnlichen Gebäuden aus roten Ziegelsteinen, welche diesen funktionalen Ort der akademischen Bildung ausmachten. Aber ich sah auch, daß aufgrund des durch den Krieg bedingten Aufgabenzuwachses einige Nachbargebäude mit Beschlag belegt worden waren: insbesondere das Wissenschaftsmuseum war Wallis' Direktorat für Zeitverschiebungs-Kriegsführung zugeschlagen worden, und auf dem Campus standen noch einige neuere Bauten — die meisten flach, schlicht und offensichtlich hastig hochgezogen, ohne jeden Sinn für architektonische Feinheiten — und alle diese Gebäude wurden durch neue, überdachte Korridore miteinander verbunden, die den Campus wie Ketten von Maulwurfshügeln durchzogen.
Wallis sah auf die Uhr. »Wir haben noch etwas Zeit, bis Gödel uns empfangen kann«, sagte er. »Kommen Sie mit — ich habe die Genehmigung erhalten, Ihnen etwas anderes zu zeigen.« Er grinste jungenhaft und enthusiastisch. »Unser ganzer Stolz!«
Also führte er mich in dieses Labyrinth aus Korridoren. Ihre Innenwände bestanden aus unverputztem Beton und wurden durch nackte Glühbirnen spärlich erleuchtet. Ich erinnere mich noch, wie das düstere Licht die Konturen von Wallis' schmalen Schultern und seinen staksigen Gang akzentuierte, während er mich tiefer in dieses Labyrinth führte. Wir passierten einige Tore, wobei Wallis jedesmal seine Marke kontrollieren lassen und diverse Papiere vorweisen mußte; außerdem bekam er die Fingerabdrücke abgenommen und ließ einen Abgleich seines Gesichts mit Photographien über sich ergehen etc. Zudem wurde auch bei mir ein solcher optischer Abgleich durchgeführt, und wir beide wurden sogar zweimal einer Leibesvisitation unterzogen.
Unser Weg beschrieb einige Windungen und Kurven; dennoch versuchte ich mich zu orientieren und legte im Kopf eine Karte der verschiedenen Anschlußstellen des College an.
»Das College ist ein wenig erweitert worden«, bemerkte Wallis. »Wir haben leider das Royal College of Music, das College of Art und sogar das Natural History Museum verloren — dieser verdammte Krieg, was? Und Sie werden begreifen, daß sie eine große Baustelle für diesen neuen Kram einrichten mußten.
Über das Land verteilt existieren noch immer einige gute wissenschaftliche Einrichtungen, wie z. B. die Royal Ordnance-Werke in Chorley und Woolwich, die Vickers-Armstrong-Werke in Newcastle, Barrow, Weybridge, Burhill und Crawford, das Royal Aircraft Establishment in Farnborough, das Armament und Aeronautical Experimental Establishment in Boscombe Down…« — und so weiter. Die meisten dieser Einrichtungen waren in Bunker oder Kuppeln ausgelagert worden. Nichtsdestoweniger war das erweiterte Imperial zum ersten britischen Forschungszentrum für Militärtechnologie avanciert…
Nach weiteren Sicherheitsüberprüfungen betraten wir eine Art Hangar, der hell erleuchtet war und in dem es intensiv nach Schmierfett, Gummi und geschweißtem Metall roch. Auf dem fleckigen Betonboden standen Motorfahrzeuge in allen Stadien der Demontage; zwischen ihnen liefen Männer in Overalls herum, von denen einige sogar pfiffen. Meine übliche, durch die Kuppel verursachte Bedrückung legte sich ein wenig. Ich habe schon oft erlebt, daß manuelle Arbeit die schlimmsten Beschwerden lindert.
»Das hier«, verkündete Wallis, »ist unsere ZVF-Entwicklungsabteilung.«
»ZVF? Ach ja — ich erinnere mich. Zeitverschiebungs-Fahrzeug.«
In diesem Hangar arbeiteten fröhliche Arbeiter an der Konstruktion von Zeitmaschinen — und offensichtlich in einem industriellen Maßstab!
Wallis führte mich zu einem der Fahrzeuge, das schon ziemlich komplett wirkte. Dieses Zeit-Fahrzeug, wie ich es in Gedanken nannte, war viereinhalb Fuß hoch und hatte Quaderform; die Kabine schien vier oder fünf Personen aufnehmen zu können, und das Fahrzeug saß auf drei Räderpaaren, um die eine Kette verlief. Außerdem verfügte es über Lampen, Krampen und sonstige, überall verteilte Ausrüstungsgegenstände. An jeder Ecke des Aufbaus war eine mehrere Zoll dicke Flasche angeflanscht; diese Flaschen waren offensichtlich hohl, denn sie waren mit Schraubverschlüssen versehen. Das Gerät hatte keinen Anstrich, und sein waffengraues Finish reflektierte das Licht.
»Es sieht etwas anders aus als Ihr Prototyp-Design, nicht wahr?« erkannte Wallis. »Es basiert eigentlich auf einem Standard-Militärfahrzeug — dem Universalschlepper — und funktioniert natürlich auch wie ein Motorfahrzeug. Schauen Sie hier: da sitzt ein V-8-Motor von Ford, der die Ketten über diese Zahnräder antreibt — sehen Sie? Und lenken können Sie durch die Verschiebung dieses vorderen Fahrgestells…« — er verdeutlichte es mit Gesten — »…so; oder, wenn Sie eine schärfere Kurve bewältigen müssen, können Sie eine Kette abbremsen…«
Ich zupfte an meinem Kinn herum. Ich fragte mich, wieviel ich wohl von den Welten gesehen hätte, auf denen ich bereits gewesen war, wenn ich sie ängstlich aus dem Innern eines derartigen Zeit-Fahrzeugs beäugt hätte!
»Das Plattnerit ist natürlich am wichtigsten«, fuhr Wallis fort, »aber wir glauben nicht, daß es erforderlich ist, Komponenten des Fahrzeugs mit dem Zeug anzureichern, wie Sie es getan hatten. Statt dessen sollte es genügen, diese Behälter mit dem kostbaren Stoff zu füllen.« Zur Demonstration schraubte er von einer der Eckeinheiten den Verschluß ab. »Sehen Sie? Und dann kann das Ding von der Kabine aus durch die Zeit gesteuert werden, falls steuern hier überhaupt das richtige Wort ist.«
»Und haben Sie es schon ausprobiert?«
Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, wodurch sich ein großer Teil aufrichtete. »Natürlich nicht! — wir haben nämlich kein Plattnerit.« Er klopfte mir auf die Schulter. »Deswegen sind Sie ja hier…«
Wallis brachte mich zu einem anderen Abschnitt des Komplexes. Nach weiteren Sicherheitsüberprüfungen betraten wir eine lange, schmale Kammer, die wie ein Flur aussah. Eine Wand dieser Kammer bestand ausschließlich aus Glas, und hinter dem Glas konnte ich in einen größeren Raum erkennen, der ungefähr die Fläche eines Tennisplatzes hatte. Dieser größere Raum war leer. Im kleineren Nebenraum saßen sechs oder sieben Wissenschaftler an Schreibtischen; jeder von ihnen trug den charakteristischen verschmutzten, weißen Kittel, mit dem offenbar jeder Forscher schon auf die Welt kommt, und hingen über Skalen und Schaltern. Die Wissenschaftler drehten sich bei unserem Eintreten um — es waren drei Frauen darunter —, und ich erschrak beim Anblick ihrer eingefallenen Gesichter; trotz ihrer augenscheinlichen Jugend strahlten sie eine nervöse Erschöpfung aus. Während der ganzen Zeit, die wir uns in diesem Raum aufhielten, gab eine bestimmte Sorte von Instrumenten ein leises Klicken von sich; Wallis erklärte mir, daß es sich dabei um die Geräusche von ›Geigerzählern‹ handelte.
Die größere Kammer hinter dem Glas war ein schlichter Betonbehälter mit ungetünchten Wänden. Sie war leer, abgesehen von einem vielleicht zehn Fuß hohen und sechs Fuß breiten Ziegelsteinmonolithen, der plump im Mittelpunkt der Kammer hockte. Die Ziegelsteine bestanden aus zwei Sorten, hell- und dunkelgrau, die sich in regelmäßigen Mustern abwechselten. Dieser Monolith war durch eine Lage dickerer Steine vom Boden isoliert, und Drähte verliefen von ihm zu abgedichteten Öffnungen in den Wänden des Raums.
Wallis starrte durch das Glas. »Bemerkenswert — nicht wahr? — daß etwas derart Häßliches und Simples solch nachhaltige Auswirkungen haben kann. Wir sind hier sicher — das Glas ist verbleit — und außerdem ist der Reaktor im Moment heruntergefahren…«
Ich hatte den Steinklotz schon bei der Schwätzmaschinen-Show gesehen. »Ist das eure Spalt-Maschine?«
»Es ist der zweite Graphit-Reaktor der Welt«, sagte Wallis. »Er ist im Grunde eine Kopie des ersten, den Fermi in der Universität von Chicago gebaut hat.« Er lächelte. »Soviel ich weiß, hat er ihn auf einem Squash-Spielfeld errichtet. Es ist eine bemerkenswerte Geschichte.«
»Ja«, stimmte ich mit steigender Ungeduld zu, »aber was reagiert da miteinander?«
»Ah«, sagte er, nahm die Brille ab und putzte sie mit dem Ende seiner Krawatte. »Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären…«
Es erübrigt sich zu sagen, daß er dazu einige Zeit benötigte, aber es gelang mir, die Quintessenz seiner Ausführungen zu verinnerlichen.
Ich wußte bereits, daß es innerhalb des Atoms noch eine Sub-Struktur gibt — und daß Thomson der Wegbereiter dieser Erkenntnis gewesen war. Jetzt erfuhr ich, daß diese Sub-Struktur verändert werden kann. Dies kann entweder durch die Verschmelzung eines Atomkerns mit einem anderen erreicht werden oder auch durch den spontanen Zerfall eines massiven Atoms; und diese Auflösung wurde als Atomspaltung bezeichnet.
Und da die Sub-Struktur die Identität eines Atoms bestimmt, besteht das Resultat solcher Veränderungen natürlich in nichts weniger als der Umwandlung eines Elements in ein anderes — der uralte Traum der Alchimisten!
»Nun«, meinte Wallis, »werden Sie nicht überrascht sein zu hören, daß bei jedem atomaren Zerfall eine gewisse Energie freigesetzt wird — denn die Atome streben immer einen stabileren, niederenergetischen Zustand an. Können Sie noch folgen?«
»Selbstverständlich.«
»Wir haben also in diesem Reaktor sechs Tonnen Carolinum, fünfzig Tonnen Uranoxid und vierhundert Tonnen Graphitblöcke… und selbst in diesem Moment produziert er eine Flut unsichtbarer Energie.«
»Carolinum? Davon habe ich noch nie gehört.«
»Es ist ein neues, künstliches Element, das durch Partikelbombardement gewonnen wird… Seine Halbwertszeit beträgt siebzehn Tage — das heißt, in dieser Zeit gibt es die Hälfte seiner gespeicherten Energie ab…«
Ich schaute erneut auf diesen unscheinbaren Haufen aus Ziegelsteinen: er wirkte so schlicht, so nichtssagend! — und doch, so dachte ich, wenn das, was Wallis über die Energie des Atomkerns gesagt hatte, stimmte…
»Welche Anwendungsmöglichkeiten bietet diese Energie?«
Er setzte sich wieder die Brille auf die Nase. »Wir sehen drei breite Felder. Zunächst die Bereitstellung von Energie aus einer kompakten Quelle: mit einem solchen Reaktor an Bord könnten Riesen-Unterseeboote monatelang unter Wasser bleiben, ohne Treibstoff bunkern zu müssen; oder wir könnten Höhenbomber entwickeln, welche die Erde mehrere dutzendmal umkreisen können, bis sie wieder landen müßten — und so weiter.
Des weiteren nutzen wir den Reaktor zur Bestrahlung von Materialien. Wir können die Nebenprodukte der Uranspaltung für die Umwandlung anderer Stoffe verwenden — genau in diesem Moment werden dort drinnen eine Anzahl Proben für Professor Gödel behandelt, um irgendein obskures Experiment zu unterstützen. Sie können sie natürlich nicht sehen — die Behälter mit den Proben befinden sich nämlich im Reaktor…«
»Und die dritte Anwendung?«
»Ah«, meinte er nur, und erneut bekamen seine Augen diesen entrückten, berechnenden Ausdruck.
»Ich sehe schon«, sagte ich grimmig. »Diese atomare Energie würde eine feine Bombe abgeben.«
»Natürlich müssen dabei noch einige praktische Probleme gelöst werden«, wußte er. »Die Produktion der richtigen Isotope in ausreichender Menge… der richtige Zeitpunkt der Zündexplosionen… aber, ja; es scheint, als ob man damit eine Bombe bauen könnte, die so stark ist, eine Stadt zu vernichten — die Kuppel und alles darunter — eine Bombe, die so klein ist, daß sie in einen Koffer paßt.«
Wir durchwanderten weitere dieser engen Betonkorridore und tauchten schließlich im Hauptbürotrakt des College auf. Nach kurzer Zeit gelangten wir in einen mit edlen Kacheln ausgekleideten Korridor, an dessen Wänden die Konterfeis berühmter Männer der Vergangenheit prangten — Sie kennen diese Orte: ein nobles Mausoleum für verblichene Wissenschaftler! Überall waren Soldaten, aber ihre Präsenz war unauffällig.
Hier hatte man Kurt Gödel also ein Büro eingerichtet.
Kurz und bündig skizzierte Wallis mir Gödels Lebenslauf. Er war in Österreich geboren und hatte in Wien sein Mathematikdiplom gemacht. Beeinflußt von der Schule des Logischen Positivismus, die damals dort tonangebend war (ich selbst hatte nie viel Zeit fürs Philosophieren gehabt), verlagerten sich Gödels Interessen zur Logik und mathematischen Philosophie.
1931 — er war gerade fünfundzwanzig — hatte Gödel seine aufrüttelnde These zur ewigen Unvollständigkeit der Mathematik veröffentlicht.
Später interessierte er sich für die in der Physik erstmals aufkommenden Untersuchungen zu Raum und Zeit, und er erarbeitete spekulative Beiträge zur Möglichkeit von Zeitreisen. (Das mußten die veröffentlichen Studien gewesen sein, auf die sich Nebogipfel bezogen hatte, überlegte ich.) Bald wechselte er unter dem Druck der Reichsregierung nach Berlin, wo er sich mit Arbeiten zur militärischen Anwendung von Zeitreisen befaßte.
Wir kamen an eine Tür, an der ein Messingschild mit Gödels Namen angebracht war — es war so neu, daß ich auf dem Teppich noch die Holzspäne sah, die der Bohrer hinterlassen hatte.
Wallis machte mich darauf aufmerksam, daß ich vielleicht nur ein paar Minuten für meinen Besuch haben würde. Er klopfte an die Tür.
»Herein!« rief eine dünne, hohe Stimme.
Wir betraten ein geräumiges Büro mit einer hohen Decke, das mit einem edlen Teppich und schöner Tapete sowie einem Schreibtisch mit grüner Ledereinlage ausgestattet war. Dieser Raum mußte einmal viel Sonne gehabt haben, realisierte ich, denn die großen Fenster — die jetzt mit Vorhängen verhängt waren — gingen nach Westen: in Richtung der Terrasse, wo ich logierte.
Der Mann am Schreibtisch unterbrach seine Schreibarbeiten nicht, als wir eintraten; er hatte einen Arm um das Blatt gelegt, offenkundig in der Absicht, uns einen Blick darauf zu verwehren. Er war ein kleiner, dünner und kränklich wirkender Mann mit einer hohen, fragilen Stirn; sein Anzug war aus Wolle und ziemlich zerknittert. Nach meiner Schätzung war er in den Dreißigern.
Wallis sah mich an und hob eine Augenbraue. »Er ist zwar ein verschrobener Kerl«, flüsterte er, »aber eine echte Kapazität.«
Die Wände des Raumes waren umlaufend mit Bücherregalen verdeckt, die im Moment jedoch fast leer waren; dafür war der Teppich mit aufeinandergestapelten Kisten zugestellt, und Bücher und Journale — überwiegend in Deutsch — waren in unregelmäßigen Haufen herausgeglitten. In einer Kiste sah ich eine wissenschaftliche Ausrüstung und diverse Flaschen für Präparate — und in einer davon sah ich etwas, das mein Herz vor Aufregung klopfen ließ!
Ruckartig wandte ich mich von der Kiste ab und versuchte meine Erregung zu verbergen.
Schließlich warf der Mann am Schreibtisch mit einem verzweifelten Keuchen den Stift weg — er klapperte gegen die Wand — und zerknüllte mit beiden Fäusten die beschriebenen Seiten, bevor er den ganzen Kram — seine ganzen Aufzeichnungen — in den Papierkorb warf!
Jetzt blickte er auf, als ob er unsere Anwesenheit erst jetzt registriert hätte. »Ah«, meinte er. »Wallis.« Er verstaute die Hände hinter dem Schreibtisch und schien in sich zu versinken.
»Professor Gödel, wir danken Ihnen, daß Sie uns empfangen haben. Das ist…« Er stellte mich vor.
»Ah«, wiederholte Gödel und grinste, wobei ein unregelmäßiges Gebiß zum Vorschein kam. »Natürlich.« Jetzt stand er mit eckigen Bewegungen auf, ging um den Schreibtisch herum und streckte mir die Hand entgegen. Ich ergriff sie; sie war klein, knochig und kalt. »Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Ich nehme an, daß wir viele erquickliche Gespräche führen werden.« Sein Englisch war gut, mit leichtem österreichischen Akzent.
Wallis ergriff die Initiative und winkte uns zu einer aus Armstühlen bestehenden Sitzgruppe am Fenster.
»Ich hoffe, daß Sie sich in diesem Neuen Zeitalter selbst einen Platz aussuchen können«, sagte Gödel ernsthaft. »Es könnte etwas wilder sein als die Welt, an die Sie sich erinnern. Aber vielleicht werden Sie, genauso wie ich, als nützlicher Exzentriker geduldet. Ja?«
»Oh, kommen Sie, Professor…«, meinte Wallis.
»Exzentrisch«, beharrte er nachdrücklich. »Ekkentros — außerhalb des Zentrums.« Sein Blick schweifte zu mir. »Das ist es wohl, was wir beide sind — etwas außerhalb des Mittelpunkts der Dinge. Kommen Sie, Wallis, ich weiß doch, daß ihr gesetzten Briten mich für etwas wunderlich haltet.« »Nun…«, sagte Wallis gequält. »Der arme Wallis kommt einfach nicht mit meiner Angewohnheit zurecht, daß ich meine Korrespondenz ständig neu abfasse«, offenbarte mir Gödel. »Manchmal erstelle ich ein Dutzend Entwürfe oder noch mehr — und werfe sie dann trotzdem weg —, wie Sie eben gesehen haben! Ist das etwa schrullig? Nun gut. Sei's drum!«
»Es ist Ihnen sicher nicht leicht gefallen, Ihre Heimat zu verlassen, Professor.«
»Nein. Überhaupt nicht. Ich mußte weg aus Europa«, erklärte er mir mit leiser Stimme, wie ein Verschwörer. »Warum?«
»Wegen des Kaisers natürlich.« Barnes Wallis warf mir warnende Blicke zu. »Ich habe Beweise, müssen Sie wissen«, behauptete Gödel mit Nachdruck. »Vergleichen Sie zwei Photographien — z. B. eine von 1915 und eine aus diesem Jahr, die den Mann zeigt, der sich als Kaiser Wilhelm ausgibt. Wenn Sie die Länge der Nase nachmessen und das Ergebnis mit der Strecke von der Nasenspitze bis zum Kinn ins Verhältnis setzen — Sie werden unterschiedliche Ergebnisse erhalten!« »Ich… ah… großer Gott!«
»In der Tat. Und mit einem solchen Federbusch am Helm — wer weiß, wohin Deutschland geht, nicht wahr?« »Ist schon recht«, fuhr Wallis hastig dazwischen. »Unabhängig von Ihren Motiven sind wir froh, daß sie unser Angebot einer Professur an diesem Institut akzeptiert haben — daß Sie England als Heimat gewählt haben.«
»Ja«, meinte ich. »Hätten Sie nicht auch nach Amerika gehen können? Vielleicht nach Princeton oder…« Er schaute schockiert drein. »Ich bin mir sicher, daß ich das hätte tun können. Aber es wäre trotzdem unmöglich. Ganz unmöglich.«
»Weshalb?«
»Natürlich wegen der Verfassung!« Und jetzt eröffnete dieser außergewöhnliche Mensch in einem langen und weitschweifigen Diskurs, wie er in der amerikanischen Verfassung ein logisches Schlupfloch entdeckt hatte, das die legale Errichtung einer Diktatur ermöglichte!
Wallis und ich ließen das geduldig über uns ergehen.
»Nun«, meinte Gödel, als er seinen Sermon beendet hatte, »was halten Sie davon?«
Ich erntete weitere strenge Blicke von Wallis, aber ich beschloß, aufrichtig zu sein. »Ich kann Ihre Logik zwar nicht widerlegen«, konzedierte ich, »aber ihre Implikationen erscheinen mir dennoch in höchstem Maße abwegig.«
Er schnaufte. »Nun — vielleicht! — aber Logik ist alles. Meinen Sie nicht? Der axiomatische Ansatz ist sehr überzeugend.« Er lächelte. »Ich habe also einen ontologischen Beweis für die Existenz Gottes — völlig eindeutig, soweit ich es erkennen kann — und mit respektablen Vorgängern, die über achthundert Jahre bis zu Erzbischof Anselm zurückreichen. Sie sehen also…«
»Vielleicht ein andermal, Professor«, ging Wallis dazwischen.
»Ah — ja. Sehr gut.« Er schaute uns der Reihe nach an — sein Blick war stechend, ziemlich unangenehm. »So. Zeitreise. Ich beneide Sie wirklich, wissen Sie.«
»Wegen meiner Zeitreisen?«
»Ja. Aber nicht wegen dieses unproduktiven Herumhüpfens durch die Geschichte.« Seine Augen waren wäßrig; sie schimmerten im hellen elektrischen Licht.
»Weswegen dann?«
»Nun, weil Sie andere Welten als diese hier gesehen haben — andere Potentiale — verstehen Sie?«
Mich fröstelte; seine Auffassungsgabe war wirklich außergewöhnlich — fast telepathisch. »Sagen Sie mir, was Sie meinen.«
»Die Möglichkeit anderer Welten, die eine über unsere kurze Existenz hinausgehende Bedeutung haben, scheint mir evident zu sein. Jeder, der das Wunder einer mathematischen Entdeckung erlebt hat, muß einfach wissen, daß mathematische Wahrheiten unabhängig von dem Geist existieren, in dem sie residieren — daß diese Wahrheiten Gedankensplitter eines höheren Verstandes sind…
Sehen Sie: unser Leben, hier auf Erden, hat bestenfalls eine unklare Bedeutung. Also muß ihre wirkliche Bedeutung außerhalb dieser Welt liegen. Verstehen Sie? Die Vorstellung, daß alles in der Welt eine Letztendliche Bedeutung hat, ist ein exaktes Analogon zu dem Prinzip, daß alles eine Ursache hat — ein Prinzip, auf dem die gesamte Wissenschaft basiert.
Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß es irgendwo jenseits unserer Zeit die Finale Welt gibt — die Welt, in der alle Bedeutung aufgelöst wird.
Die Zeitreise resultiert aufgrund ihrer ureigensten Natur in der Verzerrung der Geschichte, und daher die Entstehung, oder Entdeckung von anderen Welten als dieser. Daher ist es die Aufgabe des Zeitreisenden, zu suchen — weiterzusuchen, bis diese Finale Welt gefunden — oder geschaffen — wird!«
Ich konnte den Blick nicht von diesem schmalen, dynamischen Gesicht wenden.
Als wir Gödel verlassen hatten, jagten sich meine Gedanken. Ich beschloß, mich nie wieder über Mathematische Philosophen zu mokieren, denn dieser seltsame kleine Mann war weiter in Zeit und Raum vorgestoßen und hatte ein größeres Verständnis erworben, als es mir in meiner Zeitmaschine jemals gelungen war! Und ich wußte, daß ich Gödel auf jeden Fall bald wieder besuchen mußte… denn ich war überzeugt, daß ich wirklich in einem Winkel dieser Kiste eine Flasche mit diesem seltenen Plattnerit gesehen hatte!
Gegen sechs kehrte ich wieder zu unserem Haus zurück. Ich wurde von der im Raucherzimmer versammelten Truppe mit lautem Hallo begrüßt. Der Morlock brütete noch immer über seinen Aufzeichnungen — er schien diese gesamte Zukunftswissenschaft der Quantenmechanik aus seinem lückenhaften Gedächtnis rekonstruieren zu wollen —, aber er sprang auf, als ich eintrat. »Hast du ihn gefunden? Gödel?«
»Habe ich.« Ich lächelte ihn an. »Und — ja! — wir hatten recht.« Ich schaute Filby an, aber der arme alte Kerl döste über einem Magazin und konnte uns nicht hören. »Ich glaube, daß Gödel über etwas Plattnerit verfügt — diese Briten des Jahres 1938 haben das offenbar noch nicht mitbekommen!«
»Ah.« Das Gesicht des Morlocks war so ausdruckslos wie immer, aber er hieb in einer definitiv menschlichen Geste mit der Faust auf die Handfläche. »Dann besteht Hoffnung.«
Jetzt kam Moses zu mir herüber; er gab mir ein Glas, in dem sich mit Wasser gestreckter Whisky befand. Dankbar schluckte ich den Drink hinunter, denn es war auch jetzt noch heißer als am Vormittag.
Moses kam noch ein wenig näher, und wir drei — Moses, Nebogipfel und ich — steckten die Köpfe zusammen und konferierten leise. »Ich bin auch zu einem Schluß gekommen«, verkündete Moses. »Als da wäre?«
»Daß wir hier raus müssen — egal wie!« Moses erzählte mir, was er an diesem Tag erlebt hatte. Nachdem es ihm in seinem Gefängnis langweilig wurde, hatte er unsere Wachen in ein Gespräch verwickelt und die Zeit in der Gesellschaft dieser jungen Soldaten verbracht. Einige von ihnen waren Mannschaftsdienstgrade, andere jedoch Offiziere; und alle, die mit unserer Bewachung oder sonstigen Aufträgen auf dem Institutsgelände betraut waren, erwiesen sich als intelligent und gebildet. Sie schienen Moses ins Herz geschlossen zu haben und luden ihn in einen nahegelegenen Pub ein — das Queen's Arms in Queen's Gate Mews — und dann hatten sie sich mit Rikschas ins West End bringen lassen. Bei einigen Drinks hatten diese jungen Leute offenbar lebhaft ihre Ideen — und das Konzept ihres Modernen Staates — mit dem Fremden aus der Vergangenheit diskutiert.
Was mich betraf, so war ich froh, daß Moses seine Ängstlichkeit abzuschütteln schien und sich nun für die Welt interessierte, in die es uns verschlagen hatte. Fasziniert folgte ich seinen Ausführungen.
»Diese jungen Leute sind alle sehr sympathisch«, sagte Moses. »Kompetent — pragmatisch — und tapfer. Aber ihre Ansichten…!«
Der große Zukunftsentwurf — so hatte Moses erfahren — bestand in der Planung. Wenn der Moderne Staat nach den Vorstellungen der siegreichen Briten und ihrer Verbündeten errichtet war, würde eine Luft- und Schiffahrtsbehörde die Verfügungsgewalt über alle Häfen, Flughäfen, Bergwerke, Ölfelder, Kraftwerke und Minen übernehmen. Analog hierzu würde eine Transportverwaltung die Kontrolle über alle Schiffswerften der Welt ausüben und sie von Kriegsschiffen auf die Massenproduktion von stählernen Frachtschiffen umstellen. Das Alliierte Amt für Logistik würde die Produktion von Eisen, Stahl, Gummi, Metallen, Baumwolle, Wolle und Gemüse organisieren und die Massenfertigung von Bekleidung, elektrischen Bauteilen und Geräten sowie einer Reihe Chemikalien wiederaufnehmen. Und die Lebensmittelbehörde…
»Gut!« sagte Moses. »Ihr habt jetzt einen Einblick bekommen. Ihr seht, daß dies das Ende des Privateigentums bedeutet; alle Ressourcen werden sich im Besitz des neuen Alliierten Weltstaates befinden. Die Ressourcen der Welt werden zunächst alle in den Wiederaufbau der verwüsteten Länder fließen und später zur Wohlstandsmehrung der Menschheit verwendet. Alles geplant, wie ihr seht, von einer weisen, allwissenden Clique — die sich nebenbei auch noch selbst wählen soll!«
»Von letzterem abgesehen hört sich das doch gar nicht so schlecht an«, sinnierte ich.
»Mag sein — aber diese Planung wird nicht bei den physikalischen Ressourcen des Planeten enden. Sie umfaßt nämlich auch die menschlichen Ressourcen.
Und da wird es nämlich problematisch. Angefangen beim Verhalten.« Er sah mich an. »Diese jungen Leute schauen nicht mit dem größten Wohlgefallen zurück auf unsere Zeit«, erklärte er. »Wir leiden nämlich an einer ›profunden Laxheit des privaten Verhaltens‹ — wurde mir eröffnet! Diese neuen Typen schlagen den Weg zurück ein: Maßhalten bei Essen und Trinken, strikte Körperertüchtigung, eine ablehnende Haltung gegenüber der Freizeit und ein tiefes Mißtrauen gegenüber ästhetischen und sinnlichen Aspekten — insbesondere in bezug auf die Sexualität. Sittliche Betriebsamkeit! — das ist das Gebot des Tages.«
Ich verspürte nostalgische Anwandlungen. »Ich schätze, daß sich damit die Aussichten für die Zukunft des Empire im Leicester Square deutlich verschlechtern.«
»Schon geschlossen! Niedergerissen! — um Platz für ein Eisenbahn-Planungsbüro zu schaffen.
Und das ist erst der Anfang. In der nächsten Phase wird es erst richtig losgehen. Wir werden die schmerzlose Beseitigung der ›betrüblicheren Arten von Defekte‹ erleben — wohlgemerkt, dies sind nicht meine eigenen Worte! — und auch die Sterilisierung einiger Menschen, die andernfalls Merkmale weitergegeben hätten, die, ich zitiere, ›schlicht unerwünscht‹ sind.
In einigen Teilen Großbritanniens hat dieser Säuberungsprozeß offenbar schon begonnen. Sie verwenden ein Gas mit der Bezeichnung Pabst's Kinetogene…
Nun. Ihr seht, daß sie anfangen, das menschliche Erbgut zu manipulieren.«
Nebogipfel nickte. »Diese Leute sind in all den Strömen der Zeit nicht die einzigen, die solchen Träumen nachhängen: Generation um Generation eine neue Spezies zu produzieren, die sich immer weiter vom Homo Sapiens entfernt…«
»Hm«, äußerte ich, »ich betrachte eine solche Normalisierung mit großem Mißtrauen. Wäre es wirklich so erstrebenswert, daß die Zukunft der Menschheit von der ›Toleranz‹ der Engländer von 1938 abhängt? Sollte sie wirklich ihren langen Schatten über die kommenden Millionen Jahre werfen?«
»Seht ihr, es ist alles Planung«, resümierte Moses. »Und die einzige Alternative besteht nach ihren Worten in einem Rückfall in die chaotische Barbarei — in animalische Beliebigkeit und letztliche Auslöschung.«
Ich schaute Nebogipfel fragend an. »Sind die Menschen — die modernen Menschen — überhaupt zu solchen epochalen Taten imstande?«
Er rückte die Brille zurecht und blickte mich offen an. »Es wird Blutvergießen und Konflikte in einem bisher unvorstellbaren Maßstab geben — selbst gemessen an diesem langen, schrecklichen Krieg — wenn sich die Mehrheit der Welt dagegen wehrt, sich von diesen Alliierten Technokraten einen unausgegorenen Plan aufzwingen zu lassen.«
Mein Blick traf sich mit dem von Moses, und ich erkannte dort einen gewissen heiligen Zorn, eine Wut auf die Dummheit der Menschheit, die auf meiner eigenen, jüngeren Seele lastete. Ich hatte der planlosen Weiterentwicklung der Zivilisation schon immer skeptisch gegenübergestanden, denn ich hatte den Eindruck, daß dieser ganze fragile Überbau eines Tages über seinen hirnlosen Erbauern einstürzen würde. Und diese Sache mit dem Modernen Staat hielt ich für eine extreme Dummheit, die nach dem, was ich gehört hatte, wohl nur in einem Krieg enden konnte! Es war, als ob ich Moses' Gedanken von seinen Augen ablesen könnte — er hatte seine Freak-Klamotten abgelegt und sich in eine jüngere Version von mir verwandelt, die mir jetzt auch äußerlich eher entsprach — und ich hatte mich ihm nie näher gefühlt, seit wir uns begegnet waren.
»Nun gut«, meinte ich dann, »die Sache ist entschieden. Ich glaube, daß niemand von uns eine solche Zukunft tolerieren könnte.« Die anderen schüttelten den Kopf, und ich erneuerte meine Entschlossenheit, diesen Zeitreisen ein für allemal ein Ende zu bereiten. »Wir müssen fliehen. Aber wie…«
Und dann, noch bevor ich die Frage ausformuliert hatte, erbebte das Haus.
Ich wurde zu Boden geschleudert und knallte fast mit dem Kopf gegen den Tisch. Es rumpelte — ein tiefes Knallen, wie eine zugeschlagene Tür, tief im Innern der Erde. Die Lampen flackerten, erloschen aber nicht. Überall um mich herum ertönten Schreie — der arme Filby wimmerte — und ich hörte das Klirren von Glas und das Klappern umstürzender Möbel.
Das Gebäude schien sich wieder zu beruhigen. Hustend, denn eine außerordentliche Staubwolke war aufgewirbelt worden, mühte ich mich auf die Füße. »Seid ihr alle in Ordnung? Moses? Morlock?«
Moses kümmerte sich bereits um Nebogipfel. Der Morlock schien unverletzt, aber er war unter einem umgekippten Bücherschrank eingeklemmt.
Ich überließ sie sich selbst und sah nach Filby. Der alte Bursche hatte Glück gehabt; es hatte ihn nicht einmal aus seinem Sessel gehauen. Aber jetzt war er aufgestanden und ging zum Fenster, durch das ein Sprung verlief.
Ich erreichte ihn und legte den Arm um seine gebeugten Schultern. »Filby, mein guter Freund — komm mit.«
Aber er ignorierte mich. Er deutete mit einem gekrümmten Finger auf das Fenster, wobei Tränen durch die Staubschicht auf seinem Gesicht strömten. »Schau.«
Ich beugte mich näher zum Fenster und blendete mit den Händen den Schein der elektrischen Lampen aus. Die Aldis-Lampen der Schwätzmaschine waren erloschen, wie auch viele Straßenlampen. Ich sah viele Leute in Panik umherrennen — ein umgestürztes Fahrrad — einen Soldaten mit angelegter Gasmaske, der Schüsse in die Luft feuerte… und dort, etwas weiter entfernt, stand eine Säule gleißenden Lichts; es erleuchtete einen Ausschnitt der Straßen, Häuser, eine Ecke des Hyde Park; Leute standen in seinem Schein, blinzelten wie Eulen und hielten sich die Hände vor das Gesicht. Über ihnen setzte sich das Licht in der Luft fort, eine vertikaler Zylinder herumwirbelnden Staubs.
Diese strahlende Säule war Tageslicht. Die Kuppel hatte einen Riß bekommen.
Die Haustür hing in den Angeln, offensichtlich durch die Erschütterung aufgestoßen. Von den Soldaten, die uns bewacht hatten, war keine Spur zu sehen — nicht einmal der treue Puttick. Draußen auf der Terrace hörten wir klappernde Schritte, Schreie und zornige Rufe, gellendes Pfeifen, und ein Geruch nach Staub, Rauch und Kordit lag in der Luft. Dieses Fragment von Juni-Tageslicht hing hell und klar über allem; die verwirrte und bestürzte Bevölkerung des konservierten London blinzelte wie aufgeschreckte Eulen.
Moses klopfte mir auf die Schulter. »Dieses Chaos wird nicht lange anhalten; jetzt ist unsere Chance.«
»Sehr richtig. Ich hole Nebogipfel und Filby; du suchst im Haus ein paar Vorräte zusammen…«
»Vorräte? Welche Vorräte?«
Ich verspürte Ungeduld und Gereiztheit: welcher Narr würde nur mit einem Morgenrock und Hausschlappen ausgerüstet eine Zeitreise antreten? »Oh — Kerzen. Und Streichhölzer! So viele, wie du finden kannst. Etwas, das sich als Waffe verwenden läßt — wenn du nichts Besseres findest, tut es auch ein Küchenmesser.« Was noch — was noch? »Kampfer, wenn wir welchen haben. Unterwäsche! — Stopf dir die Taschen mit dem Zeug voll…«
Er nickte. »Ich verstehe. Ich werde ein Bündel schnüren.« Er wandte sich von der Tür ab und lief in die Küche.
Ich eilte zurück ins Raucherzimmer. Nebogipfel hatte die Schuljungen-Kappe aufgesetzt; er hatte seine Notizen zusammengesucht und verstaute sie in einer Pappschachtel. Filby — der arme alte Teufelskerl! — kniete unter dem Fenster; er hatte die Knie an seine Hühnerbrust gezogen und hielt die Hände vor das Gesicht, wie ein Boxer, der eine Deckung aufgebaut hatte.
Ich kniete mich vor ihm hin. »Filby. Filby, alter Freund…« Ich streckte die Hand aus, aber er zuckte vor mir zurück. »Du mußt mit uns kommen. Es ist hier nicht sicher.«
»Sicher? Und bei dir ist es sicherer? Eh? Du… Verschwörer. Du Quatschkopf.« Seine vom Staub tränenden Augen waren klar, wie Fenster, und er schleuderte mir diese Worte entgegen, als wären sie die schlimmsten nur vorstellbaren Beleidigungen. »Ich will dich nur daran erinnern, wie du uns mal zu Weihnachten mit deinem verdammten Geistertrick zu Tode erschreckt hast. Nun, ich werde nicht noch mal darauf hereinfallen!«
Ich mußte mich dazu zwingen, ihn nicht zu schütteln. »Oh, rede keinen Unsinn, Mann! Die Zeitreise ist kein Trick — und dieser verdammte Krieg sicher auch nicht!«
Jemand berührte meine Schulter. Es war Nebogipfel; seine bleichen Finger schienen in den durchs Fenster fallenden Fragmenten des Tageslichts zu glühen. »Wir können ihm nicht helfen«, sagte er sanft.
Filby legte den Kopf zwischen seine zitternden, leberfleckigen Hände, und ich war überzeugt, daß er mich jetzt nicht mehr hören konnte.
»Aber wir können ihn doch nicht einfach so zurücklassen!«
»Was willst du denn machen — ihn vielleicht nach 1891 zurückschicken? Das 1891, das du kanntest, existiert aber nicht mehr — höchstens in irgendeiner unerreichbaren Dimension.«
Jetzt kam Moses mit einem kleinen, prallvollen Rucksack in der Hand ins Raucherzimmer gestürmt; er hatte die Epauletten angelegt und die Gasmaske an der Hüfte befestigt. »Ich bin fertig«, japste er. Nebogipfel und ich reagierten nicht sofort, und Moses schaute uns der Reihe nach an. »Was ist denn? Worauf wartet ihr noch?«
Ich streckte die Hand aus und drückte Filbys Schulter. Immerhin sträubte er sich nicht, und ich interpretierte das als letzten Rest freundschaftlicher Verbundenheit zwischen uns.
Ich habe ihn nie wieder gesehen.
Wir schauten auf die Straße hinaus. Ich erinnnerte mich, daß dies einmal ein vergleichsweise ruhiges Viertel von London gewesen war; aber jetzt strömten die Menschen durch Queen's Garden Terrace, rannten, stolperten und rempelten sich gegenseitig an. Männer und Frauen hatten ihre Wohnungen und Arbeitsplätze einfach verlassen. Die Köpfe der meisten waren unter Gasmasken verborgen, aber wo ich die Gesichter sehen konnte, las ich nur Schmerz, Elend und Furcht.
Überall schienen Kinder zu sein, überwiegend in dunklen Schuluniformen und mit ihren kleinen Gasmasken; die Schulen schienen offensichtlich geschlossen zu sein. Die Kinder streiften auf der Straße umher und riefen nach ihren Eltern; ich stellte mir die Qualen einer Mutter vor, die in dem riesigen, wimmelnden Ameisenhaufen, zu dem London geworden war, nach ihrem Kind suchte, und ich brach diese Überlegungen ab.
Manche Leute hatten ihre Werktagsutensilien bei sich — Aktentaschen und Handtaschen, vertraut und nutzlos — und andere hatten bereits ihren Hausrat zusammengepackt und in ausgebeulten Koffern verstaut oder in Vorhänge und Bettlaken eingewickelt. Wir sahen einen dünnen, verbissen wirkenden Mann, der stolpernd eine große Kiste auf einem Fahrrad balancierte, die ohne Zweifel mit Wertgegenständen angefüllt war. Die Last kippte ihm ständig gegen seine magere Hüfte, und er mühte sich, das Gleichgewicht zu halten.
»Vorwärts! Vorwärts!« schrie er die Leute vor sich an. »Macht Platz! Macht Platz!«
Die Staatsgewalt schien verschwunden zu sein. Wenn irgendwo Polizisten oder Soldaten gewesen waren, mußten sie überwältigt worden sein — oder hatten sich ihrer Uniformen entledigt und sich der Menge angeschlossen. Ich sah einen Mann in der Uniform der Heilsarmee; er stand auf einer Stufe und schaute sich mit leuchtenden Augen um — ich vermutete, daß er blind war — und brüllte: »Ewigkeit! Ewigkeit!«
Moses zeigte mit dem Finger. »Sieh — die Kuppel ist im Osten geborsten — über Stepney. Soviel zur Unverwundbarkeit dieser wunderbaren Kuppel!«
Ich sah, daß er recht hatte. Es schien, als ob eine große Bombe dicht am östlichen Horizont ein riesiges Loch in die Betonschale gebrochen hätte. Oberhalb dieser klaffenden Wunde war die Kuppel wie eine Eierschale gesprungen, und ein breites gezacktes Band blauen Himmels war sichtbar, das fast bis zum Scheitelpunkt der Kuppel über mir verlief. Ich sah, daß der Schaden noch nicht ausgestanden war, denn Betonbrocken — einige so groß wie ein Haus — regneten vom Himmel auf diesen Stadtteil herab, und ich wußte, daß die Schäden und die Verluste an Menschenleben gigantisch sein mußten.
In der Ferne — ich glaube, im Norden — hörte ich mehrfach ein dumpfes Knallen, wie die Schritte eines Giganten. Die Luft war vom Wimmern der Sirenen durchdrungen — ›ulla, ulla, ulla‹ — und vom lauten Knacken der angeschlagenen Kuppel über uns.
Ich stellte mir vor, oben von der Kuppel auf ein London hinabzuschauen, das in wenigen Augenblicken von einer verängstigten, aber funktionierenden Stadt in eine Schüssel aus Chaos und Schrecken verwandelt worden war. Jede Straße, die vom Riß in der Kuppel weg nach Westen, Süden oder Norden führte, hatte sich in einen Strom aus schwarzen Punkten verwandelt, wobei jeder dieser Punkte ein fliehendes menschliches Wesen darstellte, einen Fleck des körperlichen Leidens und Elends: jeder einzelne ein verlorenes Kind, ein getrennter Ehepartner oder Elternteil.
Moses mußte schreien, um sich über dem Lärm auf der Straße verständlich zu machen. »Diese verdammte Kuppel wird in einer Minute auf uns alle runterkommen!«
»Ich weiß. Wir müssen zum Imperial. Kommt — setzt eure Schultern ein! Nebogipfel, hilf uns, wenn's geht.«
Wir traten in die Mitte der überfüllten Straße. Wir mußten uns in östlicher Richtung halten, gegen den Strom der Menge, die nach Westen floh. Der offensichtlich vom Tageslicht geblendete Nebogipfel wurde fast von einem mondgesichtigen Mann im Business-Anzug und Epauletten umgerannt, der dem Morlock dann auch noch mit der Faust drohte. Daraufhin nahmen Moses und ich den Morlock zwischen uns, wobei jeder einen knochigen Arm umklammert hielt. Ich kollidierte mit einem Radfahrer und stieß ihn fast um; er schrie mich mit wirren Worten an und wollte mir mit knochiger Faust einen Schwinger verpassen, den ich aber unterlief; dann stürzte er sich wieder mit über der Schulter hängenden Krawatte in das Menschengewimmel hinter mir. Dann näherte sich eine dicke Frau, die rückwärts die Straße entlangstolperte und einen zusammengerollten Teppich hinter sich herzerrte; ihr Rock war über den Knien zerrissen, und die Waden waren staubbedeckt. Alle paar Yards latschte ein anderer Flüchtling auf ihren Teppich, oder er wurde von einem Radfahrer überrollt, wobei die Frau jedesmal stolperte; sie hatte ihre Maske auf, und ich sah kullernde Tränen hinter den Gläsern, während sie sich mit der unvernünftig großen Masse abmühte, die ihr anscheinend so wichtig war.
Wo ich ein unverhülltes menschliches Gesicht sehen konnte, schien es nicht so schlimm zu sein, denn ich brachte ein gewisses Mitgefühl für diesen Angestellten mit den roten Augen oder jener erschöpften Verkäuferin auf; aber mit ihren Gasmasken und in diesem unregelmäßigen Zwielicht wirkte die Menge anonym und insektenhaft; es war, als ob ich erneut von der Erde zu einem weit entfernten Alptraum-Planeten transportiert worden wäre.
Plötzlich ertönte ein neues Geräusch — ein dünnes monotones Schrillen, das die Luft durchschnitt. Ich hatte den Eindruck, daß es von dieser Bresche im Osten kam. Die Menge um uns herum schien einen Moment in ihrer Hektik innezuhalten, als ob sie lauschen wollte. Moses und ich schauten uns fragend an, was diese neue, bedrohliche Entwicklung wohl zu bedeuten hatte.
Dann brach das Pfeifen ab.
In der Stille, die darauf folgte, ertönte auf einmal ein Ruf: »Granaten! Sie schießen Granaten herein!«
Jetzt erkannte ich, was diese entfernten Schritte eines Riesen zu bedeuten hatten: es waren die Einschläge von Artilleriesalven.
Die Schweigeminute war zu Ende. Die Panik erupierte erneut um uns herum, stärker als zuvor. Ich langte über Nebogipfel hinweg, packte Moses' an der Schulter und riß ihn und den Morlock zu Boden, und eine Reihe von Leuten stolperte über uns und bedeckte uns mit warmem, zappelnden Fleisch. In diesem letzten Moment, als irgendwelche Extremitäten in mein Gesicht schlugen, hörte ich die dünne Stimme dieses Manns von der Heilsarmee, der noch immer schrill seinen Ruf herausschrie: »E-wigkeit! E-wig-keit!«
Und dann ein Blitz, der sogar noch unter diesem Fleischhaufen blendete, und die Erde geriet in wogende Bewegung. Ich wurde hochgeschleudert — ich stieß mit dem Kopf gegen den eines anderen Menschen — und dann fiel ich wieder zu Boden, für den Moment bewußtlos.
Als ich wieder zu mir kam, bemerkte ich, daß Moses mich unter den Achseln gepackt hatte und unter gefallenen Körpern hervorzog. Meine Füße verfingen sich irgendwo — vermutlich in einem Fahrradrahmen — und ich schrie auf; Moses gab mir einen Moment, damit ich die Füße entwirren konnte, und befreite mich dann vollständig.
»Bist du in Ordnung?« Er berührte meine Stirn mit den Fingerspitzen, und als er sie wieder wegnahm, waren sie blutig. Ich sah, daß er den Rucksack verloren hatte.
Mir war schwindlig, und ein starker Schmerz schien um meinen Kopf zu kreisen und nur darauf zu warten, daß er sich dort einrüsten konnte. Ich wußte, daß es mir wirklich schlechtgehen würde, wenn ich meine momentane Betäubung erst überwunden hatte. Aber ich schüttelte den Kopf, denn dafür war jetzt keine Zeit. »Wo steckt Nebogipfel?«
»Hier.«
Der Morlock stand unverletzt auf der Straße; er hatte indessen seine Kappe verloren, und an seiner Brille hing irgendein abgerissener Fetzen Stoff. Seine Pappschachtel war zerstört, und die Aufzeichnungen waren überall verstreut; Nebogipfel sah gleichmütig zu, wie die Blätter davonwirbelten.
Die Druckwelle und die Erschütterung hatten die Menschen durcheinandergeworfen. Überall um uns herum lagen sie in den merkwürdigsten Stellungen, Körper auf Körper, ausgebreitete Arme, verdrehte Füße, offene Münder, starrende Augen, alte Männer auf jungen Frauen, ein Kind, das auf dem Rücken eines Soldaten lag. Überall war Bewegung und Stöhnen, als die Leute aufzustehen versuchten — es erinnerte mich an einen Haufen übereinanderkrabbelnder Insekten — und hier und da sah ich Blutflecken, die sich dunkel gegen Fleisch und Kleidung abzeichneten.
»Mein Gott«, sagte Moses bewegt. »Wir müssen diesen Menschen helfen. Komm…«
»Nein«, fuhr ich ihn an. »Wir können nicht — es sind zu viele; es gibt nichts, was wir tun könnten. Wir müssen vielmehr froh sein, daß wir überhaupt noch leben… Und jetzt, wo die Geschütze sich eingeschossen haben — Komm! Wir müssen unserem Plan folgen; wir müssen hier weg und in die Zeit. Begreif doch!«
»Das halte ich nicht aus«, schrie Moses. »Ich habe noch nie einen solchen Anblick erlebt.«
Der Morlock stieß wieder zu uns. »Ich fürchte, daß wir noch Schlimmeres sehen werden, bevor dieses Jahrhundert zu Ende ist«, prophezeite er düster.
Also gingen wir weiter. Wir stolperten über einen Straßenbelag, der vor lauter Blut und Exkrementen schlüpfrig geworden war. Wir kamen an einem Jungen vorbei, der hilflos stöhnte, wahrscheinlich ein zerschmettertes Bein; ungeachtet meiner vorherigen Einwände konnten Moses und ich sein klagendes Weinen und die Hilferufe einfach nicht ignorieren. Er lag dicht neben dem zerfetzten Leichnam eines Milchmanns, und wir bückten uns, um ihn von dort wegzuschaffen und gegen eine Wand zu lehnen. Eine Frau tauchte aus der Menge auf, sah die Qualen des Kindes und ging zu ihm hin, begann sein Gesicht mit einem Taschentuch abzuwischen.
»Ist sie seine Mutter?« fragte mich Moses.
»Ich weiß nicht. Ich…«
Diese seltsame, fließende Stimme erklang hinter uns, wie ein Ruf aus einer anderen Welt. »Kommt!«
Wir gingen weiter und erreichten schließlich die Ecke, wo Queen's Gate und die Terrace aufeinanderstoßen; und wir sahen, daß hier das Epizentrum der Explosion gewesen war.
»Wenigstens kein Gas«, stellte ich erleichtert fest.
»Nein«, bestätigte Moses mit belegter Stimme. »Aber — O Gott! — das gibt es doch nicht!«
In der Straße klaffte ein Krater mit einem Durchmesser von vielleicht fünf Fuß. Türen waren eingedrückt, und weit und breit war kein Fenster mehr ganz; die Vorhänge baumelten nutzlos herab. Die Splitter der explodierten Granaten hatten die Gehwege und Hauswände mit kleinen Kratern übersät.
Und die Menschen…
Manchmal versagt die Sprache, wenn es darum geht, den ganzen Schrecken eines Ereignisses zu vermitteln; manchmal bricht der Austausch zwischen den Menschen über vergangene Ereignisse, der ja die Grundlage unserer Gesellschaft ist, zusammen. Dies war ein solcher Moment. Ich konnte niemandem, der es nicht selbst erlebt hatte, den Schrecken dieser Londoner Straße vermitteln.
Abgerissene Köpfe. Einer lag auf dem Straßenpflaster ordentlich neben einer Aktentasche. Die Szenerie war mit Armen und Beinen übersät, die — es sah absurd aus — bekleidet waren; hier sah ich einen abgetrennten Arm mit einer Armbanduhr — ich fragte mich, ob sie noch immer lief! — und dort, an einer kleinen, abgerissenen Hand, die dicht am Krater lag, waren die Finger wie Blütenblätter nach oben gekrümmt. Alles um mich her wirkte absurd — ja fast irgendwie komisch! Selbst damals mußte ich mich zu der Erkenntnis zwingen, daß diese losgelösten Einzelteile noch vor wenigen Minuten zu denkenden und fühlenden menschlichen Wesen gehört hatten, von denen jedes ein eigenes Leben und eigene Hoffnungen gehabt hatte. Aber diese Fetzen erkaltenden Fleisches erschienen mir nicht menschlicher als der Schrott eines zerstörten Fahrrads, dessen Einzelteile auf der Straße verstreut lagen.
Noch nie zuvor hatte ich etwas Derartiges gesehen; ich fühlte mich völlig entrückt, als ob ich mich durch eine Traumlandschaft bewegte — aber ich wußte, daß sich dieses Gemetzel in meiner Seele wiederholen würde. Ich dachte an das Innere der Morlock-Sphäre und stellte sie mir als eine Schüssel vor, die mit Millionen Punkten des Schreckens und Leidens angefüllt war, von denen jeder so gräßlich wie dieser hier war. Und die Vorstellung, daß solch ein Wahnsinn über London hereinbrechen würde — mein London — ließ eine solche Seelenqual in mir aufkommen, daß mir der Atem stockte.
Moses war bleich, und seine Haut war von einem feinen Schweißfilm bedeckt; seine Augen waren aufgerissen, und sein Blick irrte flackernd umher. Ich schaute auf Nebogipfel. Die Augen hinter seiner Brille überflogen ohne ein Blinzeln dieses schreckliche Gemetzel; und ich fragte mich, ob er allmählich zu der Überzeugung gelangte, daß ich ihn nicht in die Vergangenheit, sondern in den Vorhof der Hölle gebracht hatte.
Wir kämpften uns die letzten Dutzend Yards zu den Mauern des Imperial College durch; und dort verstellte uns zu meiner Beunruhigung ein maskierter und mit einem Gewehr bewaffneter Soldat den Weg. Dieser Kamerad — tapfer, aber offensichtlich ohne jeden Verstand — war auf seinem Posten geblieben, während sich die Straße vor ihm rot färbte mit Blut. Beim Anblick von Nebogipfel machte er hinter seiner Schutzmaske große Augen.
Er erkannte mich nicht und weigerte sich beharrlich, uns ohne die erforderlichen Dokumente passieren zu lassen.
Da ertönte wieder ein Pfeifen — der Soldat preßte die Waffe wie einen Schild an die Brust —, aber diesmal detonierte die Granate ziemlich weit entfernt von uns; es gab einen Lichtblitz, Glas klirrte und der Boden erbebte.
Moses trat mit geballten Fäusten an den Soldaten heran. Seine Angst vor dem Beschuß schien sich in Zorn umgewandelt zu haben. »Hast du das gehört, du hirnloser uniformierter Tölpel!« schrie er. »Überall Chaos! Was willst du denn überhaupt noch bewachen? Was soll das alles? Siehst du nicht, was hier los ist?«
Der Soldat richtete sein Gewehr auf Moses' Brust. »Ich warne dich, Kerl…«
»Nein, er sieht's wirklich nicht.« Ich schob mich zwischen Moses und den Soldaten; Moses' offenkundiger Mangel an Selbstbeherrschung ärgerte mich, selbst wenn er im Moment in Panik war.
»Wir finden sicher noch einen anderen Weg«, hoffte Nebogipfel. »Wenn die Außenmauern des College beschädigt sind…«
»Nein«, lehnte ich entschieden ab. »Ich will diesen Weg nehmen.« Ich ging zu dem Soldaten hin. »Sehen Sie, Gefreiter, ich bin zwar nicht befugt, ohne Ihre Erlaubnis hier zu passieren — aber ich versichere Ihnen, daß ich für die Kriegsanstrengungen wichtig bin.«
Die Augen des Soldaten verengten sich hinter der Maske.
»Machen Sie einen Anruf«, verlangte ich. »Verständigen Sie Dr. Wallis. Oder Professor Gödel. Sie werden für mich bürgen — ganz bestimmt! Bitte versuchen Sie es wenigstens.«
Schließlich — und mit auf uns angeschlagener Waffe — zog sich der Soldat in seinen Korridor zurück und hob einen Telefonhörer von der Wand ab.
Es dauerte einige Minuten, bis er das Gespräch beendet hatte; ich vermutete, daß die internen Kommunikationseinrichtungen des College — was nicht verwunderlich gewesen wäre — übel in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Ich wartete mit zunehmender, quälender Ungeduld; ich hätte es nicht verkraftet, von einer solchen Luftnummer an der Flucht in die Zeit gehindert zu werden — nicht, nachdem ich es schon so weit geschafft hatte!
»Sie sollen in Dr. Wallis' Büro kommen«, meldete er schließlich mürrisch. Dann trat unser schlichter, tapferer Soldat zur Seite, und wir tauchten aus dem Chaos auf dieser Straße in die relative Ruhe des Imperial College ein.
»Wir werden uns bei Dr. Wallis melden«, versprach ich ihm. »Machen Sie sich keine Sorgen. Danke Ihnen!«
Moses stieß ein erleichtertes Grunzen aus. »Das mußte aber auch gerade uns passieren«, meinte er, »dem einzigen Soldaten über den Weg zu laufen, der in diesem ganzen verdammten London noch Wache steht! Der arme kleine Narr…«
»Wie kannst du nur so verächtlich sein«, erwiderte ich heftig. »Er ist ein braver Mann, der in dieser schrecklichen Situation nur seine Pflicht erfüllt, so gut er kann — angesichts eines Wahnsinns, für den er nicht verantwortlich ist! Was kann man noch mehr von einem Mann verlangen, hm? He?«
»Huh! Aber was ist mit Kreativität? Flair, Intelligenz, Initiative…«
Wir hatten angehalten und stießen fast mit den Nasen aneinander.
»Gentlemen«, rief uns Nebogipfel zur Ordnung. »Wir haben jetzt wirklich keine Zeit für eine solche Nabelschau!«
Moses und ich starrten zuerst den Morlock an und dann uns gegenseitig. In Moses' Gesicht erkannte ich eine verletzliche Angst, die er mit diesem Zorn überspielte — seine Augen waren wie die eines erschrecktes Tieres in einem Käfig —, und durch ein Kopfnicken versuchte ich, ihm etwas Zuversicht zu vermitteln.
Nach einem Moment gingen wir wieder auseinander.
»Natürlich«, sagte ich im Bestreben, die Spannung zu mildern, »betreibst du nie irgendwelche Nabelschau, Nebogipfel, richtig?«
»Nein«, bestätigte der Morlock leichthin. »Ich habe nämlich gar keinen Nabel.«
Wir eilten weiter. Wir erreichten das Hauptbürogebäude und machten uns auf die Suche nach Wallis' Raum. Wir liefen durch mit Teppichboden ausgelegte Korridore, an lauter Türen mit Messingschildern vorbei. Die Lichter brannten noch immer — ich vermutete, daß das College eine eigene, unabhängige Elektrizitätsquelle hatte —, und der Teppichboden dämpfte unsere Schritte. Einige der Bürotüren standen offen, und es gab Anzeichen eines hastigen Aufbruchs: eine verschüttete Tasse Tee, eine im Aschenbecher herunterbrennende Zigarette und auf dem Fußboden verstreute Unterlagen.
Man konnte sich kaum vorstellen, daß wenige Dutzend Yards entfernt ein Gemetzel stattgefunden hatte!
Wir erreichten eine geöffnete Tür, die ein bläuliches Flackern ausstrahlte. Als wir den Flur betraten — kauerte der einzige Anwesende — es war Wallis — auf einer Ecke seines Schreibtisches. »Oh — Sie sind es. Ich hatte nicht erwartet, Sie noch mal wiederzusehen.« Er trug seine Drahtbrille, ein Tweed-Jackett und eine Wollkrawatte; er hatte eine Epaulette angelegt und die Gasmaske neben sich auf dem Schreibtisch plaziert. Er befand sich offenbar inmitten der Vorbereitungen für eine Evakuierung des Gebäudes, hatte aber herumgetrödelt. »Das ist wirklich zum Verzweifeln«, jammerte er. »Zum Verzweifeln!« Dann musterte er uns etwas gründlicher — als ob er uns zum erstenmal sehen würde. »Gütiger Gott, wie sehen Sie denn aus!«
Wir betraten den Raum, und ich stellte fest, daß das blaue Flackern von einem kleinen Kasten mit einer Glasscheibe kam. Der Bildschirm zeigte in einer ziemlich körnigen Abbildung den Abschnitt eines Flusses, vermutlich der Themse.
Moses beugte sich mit auf die Knie gestützten Händen nach vorn, um besser sehen zu können. »Das Bild ist zwar ziemlich unscharf«, stellte er fest, »aber es ist schon eine beachtliche Neuerung.« Trotz der Dringlichkeit unseres Anliegens war auch ich neugierig geworden. Dies war offensichtlich die bilderzeugende Weiterentwicklung des Phonographen, von der Filby gesprochen hatte.
Wallis betätigte einen Schalter an seinem Schreibtisch, und das Bild änderte sich; jetzt erschien es in einem kleineren Maßstab — der Fluß, der sich durch eine besiedelte Landschaft schlängelte — aber das Licht war etwas heller. »Schauen Sie her«, forderte er mich auf, »ich habe mir diesen Film immer und immer wieder angesehen, seit es geschehen ist. Ich kann wirklich meinen Augen nicht trauen… Nun«, sagte er, »wenn wir solche Dinge ersinnen können, dann können sie das sicher auch!«
»Wer?« fragte Moses.
»Die Deutschen natürlich. Die verdammten Deutschen! Sehen Sie: Wir betrachten ein Bild aus der Perspektive einer im Scheitelpunkt der Kuppel montierten Kamera. Die Blickrichtung ist Osten, über Stepney hinaus — Sie können dem Verlauf des Flusses folgen. Und jetzt schauen Sie her — sie kommt rein…«
Wir sahen eine Flugmaschine, ein schwarzes, kreuzförmiges Gerät, das im Tiefflug über den glitzernden Fluß kam. Sie kam von Osten.
»Sie wissen, daß es nicht einfach ist, eine Kuppel zu bombardieren«, sagte Wallis. »Und zwar aus dem Grund, weil das ganze Ding eine solide Konstruktion ist und sowohl von der Schwerkraft als auch von Stahl zusammengehalten wird; kleine Risse schließen sich in der Regel wieder von selbst…«
Jetzt warf die Maschine über dem Wasser ein kleines Objekt ab. Die Abbildung war zwar körnig, aber das Objekt sah zylindrisch aus, und es glitzerte im Sonnenlicht, als ob es rotieren würde.
»Die Fragmente einer Luftexplosion würden überwiegend einfach am Beton abprallen«, fuhr Wallis fort. »Selbst eine direkt vor der Kuppel gezündete Bombe wird sie unter normalen Umständen nicht zerstören können, weil der größte Teil der Druckwelle in die Luft verpufft — verstehen Sie?
Aber es gibt noch eine weitere Möglichkeit. Ich wußte es! Die Rota-Mine — ein Oberflächen-Torpedo…
Ich hatte mich bereits selbst ansatzweise damit beschäftigt, aber die Sache kam nicht recht voran, und außerdem hatte ich auch keine Zeit dafür — nicht mit dieser Zeitverschiebungs-Kriegsführung am Hals… An der Nahtstelle zwischen Kuppel und Fluß verläuft der Panzer ein Stück weit unter der Wasseroberfläche. Das hat den Zweck, einen Angriff von Unterwasserfahrzeugen zu verhindern. Strukturell wirkt dieses Ding wie ein Damm…
Nun — aber wenn man eine Bombe an dem unter Wasser liegenden Abschnitt der Kuppel plazieren kann…« Zur Verdeutlichung breitete Wallis seine großen, gepflegten Hände aus. »Dann erfolgt eine Unterstützung durch das Wasser, sehen Sie; es nimmt die Druckwelle auf und leitet die Energie nach innen, in die Struktur der Kuppel…«
Auf dem Bildschirm traf das Objekt — die deutsche Bombe — auf das Wasser auf. Und sie sprang, eine silbrige Gischtwolke aufpeitschend, und sprang weiter, über die Wasseroberfläche auf die Kuppel zu. Die Flugmaschine kippte nach rechts weg und drehte elegant ab, wobei ihre Rota-Mine unterdessen in aufeinanderfolgenden parabolischen Kurven auf die Kuppel zuhielt.
»Aber wie kann man denn eine Bombe so akkurat in ein derart schwieriges Ziel bringen?« überlegte Wallis. »Man kann das Ding ja nicht einfach fallen lassen. Die Explosion wäre doch völlig wirkungslos… Wenn man eine Mine aus einer relativ niedrigen Höhe von, sagen wir, fünfzehntausend Fuß, abwirft, dann wird eine Querströmung von nur zwölf Meilen pro Stunde bereits eine Streuung von sechshundert Fuß bewirken.
Aber dann kam mir folgender Gedanke«, dozierte er. »Wenn man dem Ding eine gewisse Eigendrehung verleiht, könnte die Bombe über das Wasser springen — das läßt sich mit ein paar Experimenten ziemlich präzise hinbekommen… Habe ich Ihnen schon von den Versuchen erzählt, die ich zuhause mit den Murmeln meiner Tochter durchgeführt habe?
Die Mine springt die Strecke bis zur Kuppel und gleitet dann unter Wasser, bis sie die erforderliche Tiefe erreicht hat… Und da liegt sie dann. Ein perfekter Ort!« Er strahlte triumphierend, und wirkte mit seinem weißen Haarwuschel und dieser schiefen Brille beinahe onkelhaft.
Moses schielte auf die unscharfen Darstellungen. »Aber ich habe den Eindruck, daß diese Bombe nicht zünden wird… sie wird sicher nicht weit genug springen, um… ah.«
Eine Rauchwolke eruptierte, deren leuchtendes Weiß selbst in diesem schlechten Bild sichtbar wurde, aus der Rückseite der Rota-Mine. Die Bombe sprang aus dem Wasser, als ob sie einen Schubs erhalten hätte.
Wallis lächelte. »Diese Deutschen — man muß sie einfach bewundern. Nicht einmal ich wäre auf diesen kleinen Kniff gekommen…«
Die Rota-Mine folgte mit noch immer feuerndem Raketenantrieb dem Umfang der Kuppel und verschwand aus dem Erfassungsbereich der Kamera. Und dann wackelte das Bild, und der Bildschirm füllte sich mit einem diffusen blauen Licht.
Barnes Wallis seufzte. »Es scheint, daß sie uns drangekriegt haben.«
»Was ist mit dem Granatbeschuß?« fragte Moses.
»Die Geschütze?« Wallis klang nicht sehr interessiert. »Möglicherweise leichte Hundertfünf-Millimeter-Geschütze vom Typ 42, die an Fallschirmen runterkamen. Zweifellos als Auftakt der bevorstehenden See- und Luftinvasion.« Er nahm die Brille ab und begann sie mit dem Krawattenende zu putzen. »Wir sind zwar noch nicht erledigt. Aber wir befinden uns jetzt in einer verzweifelten Situation. In einer wirklich sehr schlechten…«
»Dr. Wallis«, meinte ich, »was ist mit Gödel?«
»Hm? Wer?« Er schaute mich aus großen, vor Müdigkeit geränderten Augen an. »Oh, Gödel. Was… was ist mit ihm?«
»Ist er hier?«
»Ja, müßte er wohl. In seinem Büro.«
Moses und Nebogipfel gingen zur Tür, und Moses bedeutete mir hektisch, daß ich mitkommen sollte. Ich hob die Hand.
»Dr. Wallis — möchten Sie mit uns kommen?«
»Wozu denn?«
»Man könnte uns vielleicht aufhalten…«
Er lachte und setzte sich die Brille wieder auf die Nase. »Oh, ich glaube nicht, daß es darauf jetzt noch besonders ankommt. Meinen Sie nicht auch? Aber — hier.« Er griff an sein Revers und nahm den numerierten Anstecker ab, den er dort befestigt hatte. »Nehmen Sie das. Sagen Sie ihnen, daß ich Sie ermächtigt hätte — falls Sie überhaupt noch jemanden antreffen, der so verrückt war, an seinem Platz zu bleiben.«
»Sie wären vielleicht überrascht«, unterstellte ich.
»Hm?« Er wandte sich wieder seinem Fernsehgerät zu. Es zeigte jetzt eine unzusammenhängende Abfolge von Szenen, die offenbar von einer Reihe Kameras über der Kuppel aufgenommen worden waren: Ich sah, wie sich fliegende Maschinen wie schwarze Mücken in die Luft erhoben, Abdeckungen im Boden zurückgeschoben wurden und den Blick auf eine Anzahl von riesigen Maschinen freigaben, die dampfspeiend vom Boden abhoben und sich in einer auffächernden Linie formierten, die sich von Leytonstone bis Bromley zu erstrecken schien. Und diese ganze große Horde brach aus der Erde hervor und setzte sich in Bewegung, um sich den einfallenden Deutschen zu stellen. Aber dann drückte Wallis einen Knopf, diese Fragmente von Armageddon verschwanden, und er ging wieder die Aufzeichnung der Flugbahn der Rota-Mine durch.
»Eine verzweifelte Situation«, stellte er fest. »Wir hätten sie zuerst haben können! Aber was für eine wundervolle Entwicklung… nicht einmal ich wußte, ob sie überhaupt machbar gewesen wäre.« Sein Blick war gebannt auf den Bildschirm gerichtet, und die Augen verschmolzen mit den flackernden, bedeutungslosen Reflexen der Bilder.
So ließ ich ihn zurück; mit einem merkwürdigen Impuls des Bedauerns schloß ich leise die Bürotür hinter mir.
Kurt Gödel stand mit verschränkten Armen am gardinenlosen Fenster seines Büros.
»Professor Gödel…«
»Wenigstens haben sie noch kein Gas hereingeschossen«, sagte Gödel ohne eine Begrüßung. »Ich habe nämlich mal einen Gasangriff miterlebt, wissen Sie. Er wurde von englischen Bombern gegen Berlin geführt. Ich bog gerade von Unter den Linden in die Siegesallee ein, als es passierte… so würdelos! Man stirbt so schnell, müssen Sie wissen.« Er drehte sich um und lächelte mich traurig an. »Gas ist übrigens sehr demokratisch, meinen Sie nicht auch?«
Ich ging auf ihn zu. »Professor Gödel. Bitte… Wir wissen, daß Sie etwas Plattnerit haben. Ich habe es gesehen.«
Anstatt zu antworten ging er schnell zu einem Schrank. Als er in einem Abstand von gerade einem Schritt an Nebogipfel vorbeiging, blickte er ihn nur flüchtig an; von allen Menschen des Jahres 1938 hatte Gödel bisher am unbeteiligtsten auf den Morlock reagiert. Gödel nahm einen Glasbehälter vom Schrank; er enthielt eine grün funkelnde Substanz, die das Licht zu absorbieren schien.
»Plattnerit«, keuchte Moses.
»Ganz richtig. Erstaunlich leicht aus Carolinum zu synthetisieren — wenn man weiß, wie's geht und Zugang zu einem Atomreaktor hat.« Er schaute spitzbübisch drein. »Ich wollte, daß Sie es sehen«, sagte er zu mir; »ich habe gehofft, daß Sie es identifizieren könnten. Ich finde es so wunderbar leicht, diese affektierten Engländer an der Nase herumzuführen, mit ihren Direktoraten für alles und jedes, und die nicht einmal den Schatz erkennen konnten, der direkt vor ihnen liegt! Und jetzt soll er Ihr Schlüssel zum Verlassen dieses Tals der Tränen werden — richtig?«
»Ich hoffe es«, bestätigte ich mit Nachdruck. »Oh, ich hoffe es.«
»Dann kommen Sie!« rief er. »In den ZVK-Bereich.« Und er hielt das Plattnerit in die Luft wie eine Boje und führte uns aus dem Büro.
Erneut betraten wir dieses Labyrinth aus Betonwänden. Wallis hatte recht gehabt: die Wachen hatten ihre Posten verlassen, und obwohl wir zwei oder drei Wissenschaftlern oder Technikern in weißen Kitteln begegneten, die durch die Gänge hasteten, unternahmen sie keinen Versuch, uns aufzuhalten oder nach unserem Ziel zu fragen.
Und dann schlug wieder ein Geschoß ein.
Die elektrischen Lampen erloschen, und der Korridor wurde so stark erschüttert, daß ich zu Boden ging. Ich fiel mit dem Gesicht auf den staubigen Boden und spürte, wie mir warmes Blut aus der Nase lief, und ich merkte, daß ein leichter Körper, war wohl Nebogipfel, über mein Bein stolperte.
Nach wenigen Sekunden hatte sich die Erschütterung der Fundamente gelegt. Die Lichter gingen aber nicht wieder an.
Ich bekam einen Hustenanfall, denn die Luft war mit Betonstaub geschwängert, und ich verspürte wieder einen Anflug meiner alten Furcht vor der Dunkelheit. Dann hörte ich, wie ein Streichholz angerissen wurde — ich erkannte kurz Moses' breites Gesicht — und sah, wie er die Flamme an einen Kerzendocht hielt. Er hielt die Kerze hoch, umschloß die Flamme mit den Händen, und ihr gelbes Licht leuchtete einen Abschnitt des Korridors aus. Er lächelte mich an. »Ich habe vorsichtshalber mal ein paar von den Dingen eingesteckt, wie du mir empfohlen hattest«, erklärte er.
Gödel kam etwas unbeholfen auf die Füße; er hatte (wie ich mit Dankbarkeit registrierte) das Plattnerit an die Brust gedrückt, und der Behälter war auch noch ganz. »Ich glaube, daß es einen Treffer auf dem Campus des College gegeben hat. Wir können froh sein, daß wir noch am Leben sind; diese Wände hätten nämlich leicht über uns einstürzen können.«
Also setzten wir unseren Marsch durch diese düsteren Korridore fort. Zweimal wurden wir von herabgefallenem Mauerwerk behindert, aber mit etwas Mühe konnten wir darüber hinwegklettern. Aber nun fühlte ich mich desorientiert und ziemlich verloren; doch Gödel — ich konnte ihn vor mir sehen, mit dem glühenden Plattneritglas unter dem Arm — schien den Weg auch so zu kennen.
Binnen weniger Minuten erreichten wir den Punkt, den Wallis als ZVK-Entwicklungsabteilung bezeichnet hatte. Moses hob seine Kerze hoch, und das Licht wanderte in der großen Werkstatt umher. Abgesehen von der fehlenden Beleuchtung und einem langen, geraden Riß, der diagonal durch die Decke verlief, hatte sich in diesem Raum nichts verändert. Motorenteile, Ersatzräder und — ketten, Öl- und Treibstoffbehälter, Lappen und Overalls — eben die ganzen Werkstattutensilien — lagen auf dem Boden; Ketten baumelten an Flaschenzügen, die an in die Decke eingelassenen Krampen befestigt waren und warfen lange, komplexe Schatten. Im Mittelpunkt des Bodens sah ich eine halbleere Tasse Tee, die offensichtlich mit einer gewissen Sorgfalt dort abgesetzt worden war und deren Oberfläche mit einer dünnen Schicht Betonstaub überzogen war.
Das eine, fast fertige Zeit-Fahrzeug stand in der Mitte des Raums, wobei sein blankes waffengraues Finish im Licht von Moses' Kerze schimmerte. Moses ging zu dem Vehikel hin und fuhr mit der Hand über seine kastenförmige Kabine. »Und das soll es sein?«
Ich grinste. »Das Beste, was die Technologie der dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zu bieten hat. Ein ›Universal-Transporter‹, wie ihn Wallis meines Wissens bezeichnet hat.«
»Nun«, meinte Moses, »das kann wohl kaum als eine elegante Konstruktion bezeichnet werden.«
»Ich glaube auch nicht, daß es hier auf Eleganz ankommt«, stellte ich richtig. »Dies ist ein Kampfwagen und kein Freizeit-, Expeditions- oder Forschungsfahrzeug.«
Gödel näherte sich dem Zeit-Fahrzeug, stellte das Plattnerit auf den Boden und schickte sich an, eine der mit der Fahrzeughülle verschweißten Stahlflaschen zu öffnen. Er legte die Hände um den Schraubverschluß und grunzte vor Anstrengung, konnte ihn aber nicht abbekommen. »Wir müssen den Rahmen mit Plattnerit grundieren«, sagte er. »Oder…«
Moses stellte die Kerze auf ein Regal, stöberte in den Werkzeugstapeln herum und brachte schließlich einen großen verstellbaren Schraubenschlüssel zum Vorschein. »Hier«, meinte er. »Laßt es mich mal damit versuchen.« Er paßte die Maulweite dem Verschlußdurchmesser an und drehte, mit etwas Anstrengung, die Kappe ab.
Gödel nahm das Plattnerit-Glas und stopfte das Zeug in den Behälter. Moses ging derweil um das Zeit-Fahrzeug herum und schraubte die restlichen Verschlüsse ab.
Ich ging zum Heck des Fahrzeugs, wo ich eine Tür fand, die von einem Metallstift gesichert wurde. Ich entfernte diesen Stift, klappte die Tür herunter und kletterte in die Kabine. Ich fand zwei Holzbänke, von denen jede lang genug war, zwei oder drei Personen aufzunehmen, und vorne einen einzelnen Schalensitz vor einem Sehschlitz. Ich nahm in diesem Fahrersitz Platz.
Vor mir sah ich ein einfaches Lenkrad — ich legte die Hände darauf — und ein kleines Instrumentenbrett, das mit Skalen, Schaltern, Hebeln und Knöpfen bestückt war; am Boden gab es noch mehr Hebel, die offensichtlich mit dem Fuß betätigt wurden, und ich interpretierte sie als Äquivalent von Kupplung, Bremse etc. eines normalen Motorwagens, die wegen der Kettenausführung des Vehikels vielleicht etwas komplizierter zu bedienen waren. Die Instrumente wirkten billig und unfertig; die Skalen und Schalter waren nicht beschriftet, und hinter dem Instrumentenbrett schauten Drähte und mechanische Schalthebel hervor.
Nebogipfel kam zu mir in die Kabine und stellte sich neben meine Schulter; in der Enge dieser Kabine raubte mir die starke, süßliche Ausdünstung des Morlocks fast die Sinne. Durch den Sehschlitz konnte ich erkennen, wie Gödel und Moses die Behälter auffüllten.
»Verstehen Sie das Funktionsprinzip des ZVF? Das ist natürlich Wallis' Konstruktion — ich hatte mit der Entwicklung dieses Fahrzeuges nicht viel zu tun…«
Ich legte das Gesicht an den Sehschlitz. »Ich sitze gerade an der Steuerung«, sagte ich. »Aber sie ist nicht beschriftet. Und ich kann auch nichts erkennen, das Ähnlichkeit mit einem Chronometer hätte.«
Gödel schaute während des vorsichtigen Abfüllungsvorgangs nicht auf. »Ich habe die Vermutung, daß solche Kleinigkeiten wie Chronometeruhren noch nicht eingebaut worden sind. Dies ist schließlich nur ein unvollständiges Testfahrzeug. Ist das ein Problem für Sie?«
»Ich muß gestehen, daß ich von der Aussicht nicht sehr angetan bin, in der Zeit die Orientierung zu verlieren«, meinte ich, »aber — nein — ist ja auch gar nicht so wichtig… man kann schließlich immer noch die Eingeborenen fragen!«
»Das Prinzip eines ZVF ist ganz einfach«, verkündete Gödel. »Das Plattnerit durchdringt über ein Netz von Kapillaren das Chassis des Fahrzeugs. Es bildet eine Art Kreislauf… Wenn man diesen Kreis schließt, kann man in die Zeit reisen. Verstehen Sie? Die meisten Instrumente, die Sie vor sich sehen, beziehen sich auf den Benzinmotor, das Getriebe usw.; das Fahrzeug kann nämlich auch als normaler Motorwagen eingesetzt werden. Aber um den Zeitkreis zu schließen, gibt es am Instrumentenbrett einen blauen Schalter. Sehen Sie ihn?«
»Ich sehe ihn«, bestätigte ich.
Jetzt hatte Moses die letzte der Verschlußkappen wieder aufgeschraubt, und er ging um den Wagen herum zum Heck. Er kletterte herein, legte den Schraubenschlüssel auf den Boden und hämmerte mit den Fäusten gegen die Innenwandung. »Eine gute, robuste Konstruktion«, stellte er befriedigt fest.
»Ich glaube, daß wir reisefertig sind«, sagte ich.
»Aber wohin — wann — sollen wir überhaupt gehen?«
»Kommt es darauf denn an? Weg von hier — das ist alles, was zählt. In die Vergangenheit — um eine Richtigstellung der Dinge zu versuchen…
Moses, wir haben im zwanzigsten Jahrhundert nichts mehr verloren. Wir müssen jetzt einen weiteren Sprung in die Dunkelheit wagen… Unser Abenteuer ist noch nicht vorbei!«
Sein verwirrter Blick verschwand, und ich sah eine unbeirrbare Entschlossenheit an seine Stelle treten; seine Kiefermuskeln spannten sich an. »Dann laßt es uns tun oder zum Teufel gehen!«
»Ich glaube, daß wir mit großer Wahrscheinlichkeit dorthin gehen werden«, orakelte Nebogipfel.
»Professor Gödel — steigen Sie schon ins Fahrzeug«, rief ich.
»O nein«, wehrte er ab und hielt die Hände hoch. »Mein Platz ist hier.«
Moses schob sich hinter mir in die Kabine. »Aber um uns herum fällt London in Schutt und Asche — die deutschen Geschütze stehen nur noch ein paar Meilen entfernt — es ist kaum ein sicherer Ort, Professor!«
»Ich beneide Sie natürlich«, konzedierte Gödel. »Daß Sie diese verdammte Welt mit ihrem verdammten Krieg verlassen…«
»Ich habe eine Frau«, sagte er. Sein Gesicht war ein bleicher Fleck im Kerzenlicht.
»Wo ist sie?«
»Ich habe sie verloren. Es ist uns nicht gelungen, zusammen wegzukommen. Ich glaube, daß sie noch in Wien ist… Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie ihr als Strafe für mein Überlaufen etwas antun würden.«
In seiner Stimme schwang ein fragender Unterton mit, und ich realisierte, daß dieser äußerst logische Mann in diesem extremen Moment höchst unlogische Überlegungen anstellte! »Nein«, sagte ich, »ich bin sicher, daß sie…«
Aber ich brachte meinen Satz nie zu Ende, denn — nicht einmal mit einem Pfeifen in der Luft als Vorwarnung — schlug eine weitere Granate ein, und diesmal so dicht wie noch nie zuvor!
Im letzten Flackern unserer Kerze sah ich, wie in einem kaleidoskopartigen Aufblitzen gefrorener Zeit die westliche Wand der Werkstatt eingedrückt wurde — einfach so; sie verwandelte sich in weniger als einem Herzschlag aus einer glatten, fugenlosen Struktur in eine sich aufblähende Wolke aus Bruchstücken und Staub.
Dann stürzten wir in die Dunkelheit.
Das Fahrzeug erbebte, und — »Runter!« schrie Moses — ich duckte mich — und ein tödlicher Hagel aus Steinsplittern prasselte auf die Hülle des Zeit-Fahrzeugs.
Nebogipfel kam nach vorne; ich nahm seinen süßlichen Gestank wahr bevor er mich erreichte. Seine weiche Hand legte sich auf meine Schulter. »Leg den Schalter um«, verlangte er.
Ich schielte durch den Sehschlitz — und natürlich in völlige Dunkelheit. »Was ist mit Gödel?« schrie ich. »Professor!«
Es kam keine Antwort. Statt dessen hörte ich nur über dem Fahrzeug ein ominöses und schweres Knacken, und dann regneten Betonbrocken herab.
»Betätige den Schalter«, forderte Nebogipfel mich eindringlich auf. »Hörst du denn nicht? Das Dach stürzt ein — und wir werden noch von ihm erschlagen!«
»Ich mache es«, sagte da Moses. Ich hörte in der finsteren Dunkelheit seine Stiefel über die Bodenbretter des Fahrzeugs trampeln, als er sich zum rückwärtigen Abschnitt der Kabine vorarbeitete. »Alles klar — ich habe noch mehr Kerzen…« Seine Stimme brach ab, als er hinten angelangt war, und ich hörte, wie seine Füße auf dem trümmerübersäten Boden knirschten…
… und dann ertönte ein lautes Stöhnen, wie ein groteskes Keuchen, und ein bedrohlicher Lärm von oben. Ich hörte, wie Moses aufschrie.
Ich fuhr herum und wollte hinter Moses drein aus der Kabine hechten — da spürte ich plötzlich den Biß kleiner Zähne im Handballen — Morlock-Zähne!
In diesem Moment — wo der Tod drohend über mir hing und ich erneut in eine urweltliche Dunkelheit gestürzt war — die unmittelbare Gegenwart des Morlocks, der die Zähne in mein Fleisch geschlagen hatte und dessen Haar meine Haut kitzelte: das war zuviel! Ich brüllte los und knallte die Faust in das weiche Fleisch des Morlock-Gesichts…Aber er schrie nicht auf; selbst als ich ihn traf, spürte ich noch, wie er an mir vorbei zum Instrumentenbrett griff.
Die Dunkelheit wich von meinen Augen — das Krachen und Poltern einstürzenden Betons wich der Stille — und ich merkte, wie ich erneut in das graue Licht der Zeitreise fiel.
Ein Rucken ging durch das Zeit-Fahrzeug. Ich griff nach dem Schalensitz, wurde aber zu Boden geschleudert und knallte dabei mit Kopf und Schultern gegen eine der Holzbänke. Im Vergleich hierzu waren die Schmerzen, die ich durch den Biß des Morlocks in der Hand verspürte, minimal.
Weißes Licht durchflutete die Kabine und brach wie eine lautlose Explosion über uns herein. Ich hörte den Morlock aufschreien. Meine Sicht war verschwommen und durch das Blut behindert, das an Wangen und Augenbrauen klebte. Durch die Heckklappe und die diversen Sehschlitze drang ein uniformes, blasses Glühen in die vibrierende Kabine; zunächst flackerte es, doch dann verfärbte es sich zu einem ausgebleichten grauen Glühen. Ich fragte mich, ob sich wieder irgendwo eine Katastrophe ereignet hatte: vielleicht wurde diese Entwicklungsabteilung gerade von Flammen verzehrt…
Aber dann erkannte ich, daß die Qualität des Lichts dafür zu stetig, zu neutral war. Ich begriff, daß wir bereits weit von diesem Kriegszeiten-Entwicklungslaboratorium entfernt waren.
Das Glühen war natürlich Tageslicht, dessen Übergänge durch den schnellen Tag- und Nachtwechsel konturenlos und verwaschen waren und vom menschlichen Auge nicht mehr wahrgenommen werden konnten. Wir bewegten uns durch die Zeit; dieses Fahrzeug — obwohl primitiv und schlecht ausgewuchtet — funktionierte korrekt. Ich konnte nicht sagen, ob wir in die Zukunft oder in die Vergangenheit stürzten, aber auf jeden Fall hatte uns das Fahrzeug bereits in einen Zeitabschnitt jenseits der Existenz der Londoner Kuppel befördert.
Ich schob die Hände unter mich und versuchte aufzustehen, aber da war Blut — entweder mein eigenes oder das des Morlocks — auf den Handflächen, und sie glitten unter mir weg. Ich taumelte wieder auf den harten Boden und schlug erneut mit dem Kopf gegen die Bank.
Ich fiel in eine tiefe, bleierne Müdigkeit. Die Belastungen, die ich während der Beschießungen erlitten hatte und die durch die jüngsten Geschehnisse verdrängt worden waren, brachen sich jetzt um so heftiger Bahn. Ich ließ den Kopf auf die Metallstreben des Bodens sinken und schloß die Augen. »Wozu ist das alles überhaupt noch gut?« fragte ich, ohne dabei eine bestimmte Person zu meinen. Moses war tot… verloren, mit Professor Gödel, unter Tonnen von Gestein in diesem zerstörten Labor begraben. Ich hatte keine Ahnung, ob der Morlock tot oder lebendig war; es war mir auch egal. Sollte das Zeit-Fahrzeug mich doch in die Zukunft oder in die Vergangenheit tragen; sollte es einfach weiterfliegen, bis es irgendwann an den Wänden der Unendlichkeit und Ewigkeit in Stücke gerissen wurde! Sollte der Sache ein Ende gemacht werden — ich konnte nichts mehr tun. »Es ist die Kerze nicht wert«, murmelte ich. »Nicht die Kerze wert…«
Ich glaubte, weiche Hände auf den meinen zu spüren, Haar, das über mein Gesicht streifte; aber ich protestierte und — mit letzter Kraft — schob ich die Hände weg.
Ich fiel in einen tiefen, traumlosen, bleiernen Schlaf.
Ich wurde durch heftige Knüffe aufgeweckt und auf dem Kabinenboden durchgeschüttelt. Etwas Weiches lag unter meinem Kopf, aber das glitt weg, und ich schlug mit dem Kopf gegen die harte Kante einer Bank. Diese neuerliche Schmerzwelle ließ mich wieder zu Bewußtsein kommen, und mit einigen Schwierigkeiten setzte ich mich auf.
Mein Kopf schmerzte ziemlich heftig, und mein Körper fühlte sich an, als ob er einen brutalen Boxkampf hinter sich hätte. Aber paradoxerweise schien sich meine Stimmung etwas gebessert zu haben. Moses' Tod beherrschte noch immer meine Gedanken — ein schreckliches Ereignis, und ich wußte, daß ich mich zu gegebener Zeit mit ihm auseinandersetzen mußte — aber nach diesen Momenten der gesegneten Bewußtlosigkeit konnte ich Abstand davon nehmen, wie sich jemand vom grellen Licht der Sonne abwenden und an andere Dinge denken konnte.
Diese trübe, perlige Mischung aus Tag und Nacht durchdrang noch immer das Fahrzeuginnere. Es war ziemlich kalt; ich spürte, wie ich zitterte, und mein Atem kondensierte vor dem Gesicht. Nebogipfel saß, den Rücken mir zugewandt, im Schalensitz des Piloten. Seine weißen Finger fuhren über die Instrumente dieses rudimentären Instrumentenbretts, und er verfolgte den Verlauf der Drähte, die von der Lenksäule herabbaumelten.
Ich stand auf. Das mit dem Echo des Detonationslärms von 1938 kombinierte Schütteln des Fahrzeugs ließ mich schwanken; um mir einen festen Halt zu verschaffen, mußte ich mich an die Gitterrohre der Kabine klammern, und merkte dabei, daß das Metall eiskalt unter meinen bloßen Händen war. Ich sah, daß es sich bei dem weichen Gegenstand, auf den ich meinen Kopf gebettet hatte, um die Jacke des Morlocks handelte. Ich faltete sie zusammen und legte sie auf die Bank. Auf dem Boden erblickte ich den schweren Schraubenschlüssel, mit dem Moses die Plattnerit-Behälter geöffnet hatte. Ich hob ihn mit spitzen Fingern auf; er war blutverschmiert.
Ich trug noch immer die schweren Epauletten; angewidert von diesen Elementen einer Rüstung riß ich sie mir von der Kleidung und warf sie weg.
Durch den Lärm drehte sich Nebogipfel zu mir um, und ich sah, daß seine blaue Brille in zwei Hälften zersprungen und ein großes Auge eine Wunde aus Blut und aufgerissenem Fleisch war. »Bereite dich vor«, empfahl er mir mit belegter Stimme.
»Worauf? Ich…«
Und die Kabine wurde in Dunkelheit gehüllt.
Ich stolperte zurück und wäre fast wieder hingefallen. Eine bittere Kälte zog noch die letzte Wärme aus der Kabine und aus meinem Blut; und mein Kopf begann erneut zu schmerzen. Ich schlang die Arme um den Körper. »Was ist mit dem Tageslicht passiert?«
Die Stimme des Morlock drang fast rauh durch diese völlige Dunkelheit. »Es wird nur ein paar Sekunden dauern. Wir müssen da durch…«
Und, so schnell wie sie gekommen war, wich die Finsternis auch wieder, und das graue Licht drang von neuem in die Kabine. Es war nicht mehr ganz so extrem kalt, aber trotzdem bibberte ich noch erbärmlich. Ich kniete mich neben Nebogipfels Sitz auf den Boden. »Was ist da los? Was war das?«
»Eis«, erwiderte er. »Wir reisen durch ein Zeitalter der Periodischen Vergletscherung; Eisschichten und Gletscher breiten sich nach Süden aus und bedecken das Land — und uns dazu — und schmelzen dann wieder. Ich glaube, daß wir manchmal mindestens hundert Fuß Eis über uns haben.«
Ich schaute durch die Sehschlitze in der Frontpanzerung des Wagens und erspähte dabei ein Themsetal, das sich in eine öde Tundra verwandelt hatte, die nur noch von grobem Gras, hartnäckigen Heidesträuchern und vereinzelten Bäumen bestanden war; diese letzteren zuckten so schnell durch ihre Jahreszyklen, daß ich nicht folgen konnte, aber sie sahen nach den robusteren Spezies aus: Eiche, Weide, Pappel, Ulme und Weißdorn. Von London keine Spur: Ich konnte nicht einmal die Schemen der vergänglichen Gebäude ausmachen, und auch von Menschen war in dieser ganzen grauen Landschaft nichts zu sehen, nicht einmal von Tieren. Selbst die Konturen der Landschaft, die Hügel und Täler kamen mir unbekannt vor, während sie von den Gletschern ständig neu modelliert wurden.
Und nun — ich sah es in einer kurzen Flut weißer Helligkeit auf uns zukommen, bevor es uns verschlang — erschien wieder das Große Eis. Ich fluchte in der Dunkelheit und grub die Hände in die Ellbogen; meine Finger und Zehen wurden taub, und ich begann mich vor Frostbeulen zu fürchten. Als die Gletscher wieder zurückwichen, hinterließen sie eine Landschaft, die, so weit ich sehen konnte, im wesentlichen das gleiche Arrangement widerstandsfähiger Pflanzen aufwies, jedoch vom Eis umgestaltet worden war und mit übermannsgroßen Felsen übersät. Vor meinen Augen schienen die Felsen durch die Landschaft zu wandern und dabei langsam bergauf zu schlittern und zu rollen; hierbei handelte es sich sicher um einen merkwürdigen Effekt der Erosion des Landes.
»Wie lange war ich ohne Bewußtsein?« »Nicht lange. Vielleicht eine halbe Stunde.« »Und bringt uns das Zeit-Fahrzeug in die Zukunft?«
»Wir dringen in die Vergangenheit ein«, antwortete der Morlock. Er wandte mir sein Gesicht zu, und ich sah, wie seine eleganten Bewegungen durch die Schläge, die ich ihm vor kurzem versetzt hatte, zu einem steifen Rucken reduziert worden waren. »Ich bin mir da ziemlich sicher. Ich habe streiflichtartig die Rückentwicklung von London mitverfolgt — sein Schrumpfen, zurück zu den historischen Anfängen… Anhand der Intervalle zwischen den Eiszeiten würde ich sagen, daß wir in jeder Minute etliche Jahrzehntausende zurücklegen.«
»Vielleicht sollten wir mal nachschauen, wie wir den freien Fall dieses Fahrzeugs in die Geschichte aufhalten können. Wenn wir ein geeignetes Zeitalter finden…«
»Ich glaube nicht, daß wir den Flug durch die Zeit in irgendeiner Weise beenden können.«
»Was?«
Der Morlock breitete die Hände aus — ich sah, daß das Haar auf den Handrücken mit Rauhreif bedeckt war — und dann stürzten wir aufs neue in eine dunkle eisige Gruft, und seine Stimme drang aus der Finsternis zu mir herüber. »Bedenke, daß das hier ein primitives, unvollendetes Testfahrzeug ist. Viele der Instrumente und Anzeigen sind noch gar nicht angeschlossen; und diejenigen, die angeschlossen sind, scheinen zum größten Teil nicht zu funktionieren. Selbst wenn wir diese Mängel beheben könnten, ohne das Fahrzeug zu zerstören, wüßte ich nicht, wie wir die Kabine verlassen und an die interne Mechanik gelangen sollten.«
Wieder tauchten wir aus dem Eis in diese umgestaltete Tundra ein. Nebogipfel betrachtete mit einiger Faszination die Landschaft. »Stell dir nur mal vor: die Fjorde Skandinaviens sind noch nicht ausgefräst, und die Seen Europas und Nordamerikas — die sich aus geschmolzenem Eis gebildet haben — liegen noch in der Zukunft.
Wir haben bereits die Schwelle der Menschheitsgeschichte überschritten. In Afrika könnten wir auf Stämme der Australopithecinen stoßen — einige plump, einige grazil, einige fleischfressend, aber alle mit aufrechtem Gang und affenähnlichen Merkmalen: eine kleine Hirnschale und große Kiefer und Zähne…«
Eine große, kalte Einsamkeit legte sich über mich. Ich war zwar auch zuvor schon in der Zeit gestrandet, aber ich konnte mich nicht erinnern, die Isolation in dieser Intensität empfunden zu haben! Stimmte es — konnte es denn stimmen, daß Nebogipfel und ich, in unserem beschädigten Zeit-Fahrzeug, die einzigen Kerzenlichter der Intelligenz auf diesem ganzen Planeten darstellten?
»Wir haben die Sache also nicht unter Kontrolle«, folgerte ich. »Wir können nicht anhalten, bis wir den Beginn der Zeit erreichen…«
»Ich bezweifle, daß wir überhaupt so weit kommen«, meinte Nebogipfel. »Das Plattnerit muß nämlich eine endliche Kapazität haben. Es kann uns nicht für immer tiefer in die Zeit zurückschleudern; irgendwann muß es sich selbst aufgezehrt haben. Wir können nur beten, daß das geschieht, bevor wir die Erdzeitalter des Ordovoziums und Kambriums erreichen — bevor wir in einer Epoche landen, die uns keinen Sauerstoff bereitstellen kann.«
»Das sind ja wirklich herrliche Aussichten«, kommentierte ich. »Und es kann eigentlich nur noch schlimmer werden, wie ich vermute.«
»Wie?«
Ich zog meine steifen Beine unter mir hervor und setzte mich auf den kalten, gerippten Metallboden. »Wir haben nicht die geringsten Vorräte. Kein Wasser, keine Nahrungsmittel. Und wir sind beide verletzt. Wir haben nicht einmal warme Kleidung! Wie lange können wir wohl überleben, in dieser gefrierenden Zeitmaschine? Ein paar Tage? Weniger?«
Nebogipfel antwortete nicht.
Wir passierten noch eine kurze, brutale Eiszeit; und dann tauchten wir in einen langen, düsteren Winter ein. Die Jahreszeiten überzogen das Land noch immer flackernd mit Schnee und Eis, aber das Zeitalter des Permafrostes lag jetzt in der Zukunft. Ich stellte jetzt im Laufe der Jahrtausende kaum noch Veränderungen an der Landschaft fest: vielleicht hier und da noch eine langsame Anreicherung der Struktur des verwaschenen Grüns, das die Hügel bedeckte. Ein riesiger Schädel — der mich an den eines Elefanten erinnerte — erschien nicht weit vom Zeit-Fahrzeug auf dem Boden, ausgebleicht, knöchern und zerfallen. Er existierte lange genug, daß ich für eine Sekunde oder so seine Konturen ausmachen konnte, bevor er so schnell wieder verschwand, wie er aufgetaucht war.
»Nebogipfel — vorhin… dein Gesicht. Ich… du mußt verstehen…«
Er schaute mich mit seinem unversehrten Auge an. Ich sah, daß er in seine Morlock-Verhaltensweisen zurückfiel und die angenommene menschliche Fassade verlor. »Was? Was muß ich verstehen?«
»Ich wollte dich nicht verletzen.«
»Das wolltest du jetzt nicht«, konstatierte er mit der Präzision eines Chirurgen. »Aber du wolltest es vorhin. Eine Entschuldigung ist nutzlos — absurd. Du bist, was du bist… wir gehören verschiedenen Spezies an, die so wenig gemeinsam haben wie wir beide mit den Australopithecinen.«
Ich kam mir wie ein primitives Tier vor, und meine großen Fäuste waren erneut mit dem Blut eines Morlocks befleckt. »Du beschämst mich«, sagte ich.
Er schüttelte auf eine kurze, knappe Art den Kopf. »Beschämen? Dieses Konzept ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung.«
Ich brauchte nicht mehr Scham zu empfinden — wollte er damit wohl ausdrücken — als ein wildes Tier im Dschungel. Wenn mich eine solche Kreatur angegriffen hätte, würde ich dann mit ihr die moralischen Aspekte des Falls erörtern? Nein — ohne Intelligenz konnte es nichts für sein Verhalten. Ich mußte mich nur mit seinen Reflexen befassen.
Gegenüber Nebogipfel hatte ich mich — wieder! — als kaum besser als die plumpen Wilden der afrikanischen Savanne erwiesen, die in dieser desolaten Periode unmerklich zu Menschen wurden.
Unmerklich unterschied ich mich von ihnen.
Ich zog mich zu den Holzbänken zurück. Ich legte mich hin, schob einen Arm unter den Kopf und beobachtete das Flackern der Erdzeitalter vor der immer noch offenen Tür des Fahrzeugs.
Die dunkle Winterkälte verschwand, und der Himmel nahm eine komplexere, fleckige Struktur an. Gelegentlich wurde das hin- und herrasende Sonnenband sekundenlang von einer dunklen Wolkenschicht ausgeblendet. Neue Baumarten gediehen in diesem milderen Klima: Laubbäume, wie ich erkennen konnte, Ahorn, Eiche, Pappeln, Zedern und andere. Manchmal schlugen diese antiken Wälder über dem Fahrzeug zusammen, hüllten uns in ein Dämmerlicht aus flackerndem Grünbraun und traten dann wieder beiseite, als ob ein Vorhang zurückgezogen worden wäre.
Wir waren in ein Zeitalter machtvoller tektonischer Tätigkeit eingetreten, teilte Nebogipfel mir mit. Die Alpen und der Himalaya wurden aufgefaltet, und riesige Vulkane spien Asche und Staub in die Luft, wobei sie den Himmel manchmal jahrelang verdüsterten. In den Ozeanen — so sagte der Morlock — kreuzten große Haie mit dolchartigen Zähnen. Und in Afrika fielen die Vorläufer der Menschheit in primitive Bewußtlosigkeit zurück, mit schrumpfenden Gehirnen, stolperndem Gang und ungelenken, plumpen Fingern.
Wir fielen vielleicht zwölf Stunden lang durch dieses endlose, wilde Zeitalter.
Ich versuchte, den an mir nagenden Hunger und Durst zu ignorieren, während Jahrhunderte und Wälder an der Kabine vorbeiflackerten. Dies war die längste Reise durch die Zeit, die ich seit meinem ersten Sturz in die entfernte Zukunft über Weenas Historie hinaus erlebt hatte, und diese ungeheure, sinnlose Leere — die sich Stunde um Stunde hinzog — begann sich drückend auf meine Seele zu legen. Die kurze Evolution der Menschheit war schon zu einem entfernten Lichtstrahl geschrumpft, verloren in der Zeit; selbst die Distanz zwischen der Menschheit und den Morlocks — egal welcher Ausprägung — war nur ein Bruchteil der großen Distanz, die wir bereits zurückgelegt hatten.
Die riesige Dimension der Zeit und die Kleinheit der Menschen und ihrer Errungenschaften erschlugen mich schier; und meine eigenen kleinen Sorgen schienen jetzt von absurder Bedeutungslosigkeit. Die Geschichte der Menschheit wirkte trivial, ein kurzes Taschenlampenblinken, verloren in den dunklen Hallen der Ewigkeit.
Die Erdkruste hob und senkte sich wie die Brust eines Erstickenden, und das Zeit-Fahrzeug wurde mit der sich ausprägenden Landschaft emporgehoben oder abgesenkt; es war wie die Gezeiten eines riesigen Ozeans. Die Vegetation wurde üppiger und grüner, und neue Wälder wölbten sich über das Zeit-Fahrzeug — ich hielt sie für Laubbäume, obwohl Blüten und Blätter durch unsere Geschwindigkeit zu einem einheitlichen Grünschleier reduziert wurden — und die Luft erwärmte sich.
Der Schmerz dieser Äonen der Kälte wich schließlich aus meinen Fingern, und ich zog die Jacke aus und öffnete die Knöpfe meines Hemdes; dann zog ich die Stiefel aus und ließ die Blutzirkulation in den Füßen wieder in Gang kommen. Barnes Wallis' numerierte Sicherheitsplakette fiel aus meiner Jackentasche. Ich hob es auf, dieses kleine Symbol der mißtrauischen Abgrenzung der Menschen untereinander, und ich kann mir nicht vorstellen, daß ich in diesem urweltlichen Grün ein perfekteres Symbol für die Engstirnigkeit und Absurdität hätte finden können, für die soviel menschliche Energie vergeudet wird! Ich warf die Plakette in einen dunklen Winkel des Fahrzeugs.
Die langen Stunden, die wir in diesem schwülen gruftartigen Gewächshaus verbrachten, vergingen langsamer als je zuvor, und ich machte ein kleines Schläfchen. Als ich aufwachte, schien sich die Qualität des Grüns um mich herum verändert zu haben — es war durchsichtiger, annähernd vom Farbton des Plattnerits, und ich glaubte, die Andeutung von Sternenballungen zu erkennen — es kam mir so vor, als ob ich eher von Smaragden als von Blättern umgeben wäre.
Dann sah ich es: Es schwebte in der feuchten, düsteren Luft der Kabine, unbeeindruckt von dem Stampfen des Fahrzeugs, mit seinen großen Augen, dem vollen V-förmigen Mund und diesen herabhängenden Tentakeln, die jedoch nicht den Boden berührten. Dies war keine Einbildung — ich konnte durch es hindurchsehen, zu den Details des draußen liegenden Waldes — und es war so real wie ich, Nebogipfel oder die Stiefel, die ich auf die Bank gestellt hatte.
Der Beobachter musterte mich mit einem kühlen, analytischen Blick.
Ich verspürte keine Angst. Ich streckte eine Hand nach ihm aus, aber sie stach nur durch die Luft. Ich hatte keinen Zweifel, daß seine grünen Augen auf mein Gesicht fixiert waren. »Wer bist du?« erkundigte ich mich. »Kannst du uns helfen?«
Wenn es mich verstehen konnte, antwortete es nicht. Aber die Lichtverhältnisse änderten sich bereits; diese lichtdurchdrungene Anmutung der Luft wich wieder einem Gemüse-Grün. Dann verspürte ich ein Gefühl, als ob ich rotieren würde — dieser große Schädel war wie ein Kreisel, der sich um seine vertikale Achse drehte — und dann war es auch schon wieder verschwunden.
Nebogipfel kam zu mir in das Heckabteil, wobei seine langen Füße über den geriffelten Boden schlurften. Er hatte seine Neunzehnte-Jahrhundert-Klamotten abgelegt und ging nackt, abgesehen von seiner zerbrochenen Brille und dem weißen Haarpelz auf seinem Rücken, der inzwischen verfilzt und struppig war. »Was ist los? Bist du krank?«
Ich erzählte ihm von dem Beobachter, aber er hatte nichts dergleichen gesehen. Ich legte mich wieder auf der Bank zur Ruhe und fragte mich, ob das, was ich gesehen hatte, real gewesen sei — oder nur ein Tagtraum.
Die Hitze war drückend, und die Luft in der Kabine wurde stickig.
Ich dachte an Gödel, und an Moses.
Dieser unscheinbare Mann, Gödel, hatte die Existenz Multipler Historien ausschließlich von ontologischen Prinzipien deduziert — während ich, armer Narr, der ich bin, erst mehrere Zeitreisen unternehmen mußte, um auch nur auf diese Möglichkeit zu stoßen! Aber nun lag dieser Mann, der diese großartigen Träume von der Finalen Welt gehabt hatte, einer Welt, in der alle Bedeutung aufgelöst wird, zerschmettert und erschlagen unter einem Trümmerhaufen aus Steinen — getötet durch die Engstirnigkeit und Dummheit seiner Mitmenschen…
Und was Moses betraf, so verspürte ich einfach Trauer. Es mußte wohl dem desolaten Gefühl ähneln, das man beim Tode eines Kindes oder jüngeren Bruders verspürt. Moses war mit sechsundzwanzig gestorben; und doch war ich — die gleiche Person — noch mit vierundvierzig am Leben! Meine Vergangenheit war hinter mir gelöscht worden; es war, als ob meine Fundamente verdampft wären und ich frei in der Luft hinge. Aber darüber hinaus hatte ich Moses, wenn auch nur kurz, als eine eigenständige Person kennengelernt. Er war fröhlich, impulsiv, etwas unvernünftig — genau wie ich! — und sehr sympathisch gewesen.
Noch ein Tod, den ich zu verantworten hatte.
Nebogipfels ganzes Gerede von einer Multiplizität der Welten — all die möglichen Argumente, daß der Moses, den ich gekannt hatte, am Ende niemals ich sein sollte, sondern nur eine andere Variante von mir — nichts von alledem machte einen Unterschied hinsichtlich der Art, wie ich mich fühlte, ihn verloren zu haben.
Meine Gedanken zerflossen in halb zusammenhängende Fragmente — ich kämpfte, die Augen offenzuhalten, weil ich befürchtete, nicht mehr aufzuwachen — doch erneut schlief ich ein, überwältigt von Verwirrung und Kummer.
Als mein Name in dem seltsamen, flüssig-gutturalen Tonfall der Morlocks gerufen wurde, wachte ich auf. Die Luft war so schlecht wie zuvor, und ein neues Pulsieren, das durch die Hitze und den Sauerstoffmangel verursacht wurde, wollte sich neben den Überresten meiner früheren Beschwerden noch Einlaß in den Kopf verschaffen.
Nebogipfels zerschlagenes Gesicht war dem Waldesdunkel zugewandt. »Schau dich mal um«, verlangte er.
Über uns lastete das Grün genauso drückend wie zuvor — und doch schien sich seine Struktur verändert zu haben. Ich bemerkte, daß ich — wenn ich mich bemühte — die Rückbildung einzelner Blätter an den zahlreichen Ästen mitverfolgen konnte. Jedes Blatt verkleinerte sich, kroch in sich zusammen zu einer Knospe und verschwand im Holz in weniger als einer Sekunde, doch selbst…
»Wir werden langsamer«, keuchte ich.
»Ja. Ich glaube, daß das Plattnerit seine Energie verliert.«
Ich stieß ein Dankgebet aus — denn ich hatte wieder soviel Kraft gefunden, daß ich mir nicht mehr wünschte, auf einer atmosphärelosen, felsigen Ebene der jungfräulichen Erde zu zerschellen!
»Weißt du, wo wir sind?«
»Irgendwo im Erdzeitalter des Paläozän. Wir sind zwanzig Stunden unterwegs gewesen. Und jetzt befinden wir uns vielleicht fünfzig Millionen Jahre vor der Gegenwart…«
»Wessen Gegenwart? — meiner von 1891, oder deiner?«
Er berührte das verkrustete Blut, das noch immer sein Gesicht bedeckte. »Bei einem solchen zeitlichen Maßstab ist das kaum noch von Belang.«
Die Rückentwicklung der Blätter verlief jetzt ganz langsam — wurde fast schon statisch. Ich bemerkte, daß in gelegentlichen Schüben eine tiefere Dunkelheit aufflackerte, die sich über die vorherrschende grüne Düsternis legte. »Ich kann schon zwischen Tag und Nacht unterscheiden«, sagte ich. »Wir werden wirklich langsamer.«
»Ja.« Der Morlock saß mir auf der Bank gegenüber und packte mit seinen langen Fingern ihre Kante. Ich fragte mich, ob er sich fürchtete — er hätte auch allen Grund dazu gehabt! Ich glaubte, eine Bewegung unter dem Fahrzeugboden wahrzunehmen, eine leichte konvexe Ausbeulung unter Nebogipfels Bank.
»Was sollen wir tun?«
Er schüttelte den Kopf. »Wir können nur der Dinge harren, die da kommen. Wir haben die Lage nicht unter Kontrolle…«
Der Übergang zwischen Tag und Nacht verlangsamte sich weiter, bis er zu einem stetigen Pulsieren um uns herum wurde — wie ein Herzschlag. Das Fahrzeug ratterte und bockte und wurde von so wuchtigen Schlägen hin und her geworfen, daß die Schweißnähte platzten und sich die Stahlplatten voneinander lösten.
Plötzlich begriff ich.
Wir waren in einen Wald aus dicht beieinanderstehenden Bäumen geraten, die unser Fahrzeug zwischen sich zu zermalmen drohten, während Äste wie Arme von Riesen nach uns griffen und wieder zurückgezogen wurden.
»Sieh nach draußen!« schrie ich, streckte einen Arm aus und packte Nebogipfel an den Schultern. Er wehrte sich nicht. Ich hob ihn mit einer Leichtigkeit an, als ob er ein knochiges, haariges Kind wäre, und stolperte zurück…
…wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Baumstamm mitten im Fahrzeug. Die Stahlplatten zerknitterten, als ob sie aus Papier bestehen würden.
Mit Nebogipfel im Arm fiel ich nach hinten gegen die übriggebliebene Bank. Mit einem markerschütterndem Krachen flog das Fahrzeug auseinander, und Trümmer des Kabinendachs stürzten auf uns herab.
Der Wechsel zwischen Tag und Nacht verlangsamte sich und wurde prononcierter. Der Baumstamm wurde dünner; seine mächtigen Äste bildeten sich zurück und wurden zu Zweiglein.
Ich ließ Nebogipfel los, und der Morlock und ich stürzten inmitten eines Hagels aus Metall und Holz auf den weichen, feuchten Erdboden.