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Vorbemerkung von Harrison Smith

Ich lernte Tarl Cabot in einem kleinen College in New Hampshire kennen, an dem wir beide unterrichteten. Er lehrte englische Geschichte, während ich als Sportlehrer angestellt war — ein Fach, das er sehr hoch einschätzte.

Wir freundeten uns an, unternahmen viel zusammen, diskutierten und fochten, und ich mochte den jungen Engländer. Er war ruhig und angenehm, obwohl er manchmal seltsam gedankenverloren wirkte, ein wenig zurückhaltend, wie es Engländer wohl an sich haben.

Der junge Cabot war ziemlich groß und breitschultrig und hatte eine federnde Art zu gehen, die vielleicht seiner Herkunft aus den Docks von Bristol zuzuschreiben war. Seine Augen waren klar und blau, offen und ehrlich. Er hatte helle Haut und rotes Haar, das ihm stets wirr um den Kopf stand, und ich möchte bezweifeln, daß er überhaupt einen Kamm besaß. Alles in allem achteten wir Tarl Cabot als jungen, höflichen Engländer von der Universität Oxford. Aber dann waren wir uns dieses Urteils nicht mehr so sicher.

Zu meiner Verblüffung — die vom ganzen College geteilt wurde — verschwand Tarl Cabot kurz nach Abschluß des ersten Semesters. Ich bin sicher, daß dies nicht in seiner Absicht gelegen hat, denn Cabot ist ein Mann, der seine Verpflichtungen erfüllt.

Zu dieser Zeit beschloß Cabot, eine Campingtour in die nahe gelegenen White Mountains zu unternehmen. Ich lieh ihm meine Campingausrüstung und fuhr ihn in die Berge, wo ich ihn an der Autobahn absetzte. Er bat mich — und das war ernstgemeint —, ihn in drei Tagen an dieser Stelle wieder abzuholen. Leider hielt er diese Verabredung nicht ein. Ich wartete mehrere Stunden lang und kehrte dann zur gleichen Zeit des nächsten Tages zurück. Noch immer ließ er sich nicht blicken. Beunruhigt verständigte ich die Behörden, und noch am gleichen Nachmittag begann eine ausgedehnte Suche.

Schließlich wurde die Asche seines Feuers gefunden — doch dabei blieb es. Wie ich dann hörte, soll Tarl Cabot einige Monate später bei guter Gesundheit aus den Bergen zurückgekehrt sein — allerdings mit einem Schock, der für die Zeit seiner Abwesenheit einen Gedächtnisverlust bewirkte.

Er kehrte nicht an unser College zurück — zur Erleichterung einiger älterer Kollegen, die wohl der Meinung waren, er passe nicht hierher. Kurze Zeit später kam ich zu der gleichen Erkenntnis und verließ das College. Ich erhielt einen Scheck von Cabot zur Bezahlung meiner Campingausrüstung, die er anscheinend verloren hatte. Das war sehr nett von ihm; Es wäre mir allerdings lieber gewesen, wenn er mich besucht hätte. Ich hätte schon aus ihm herausbekommen, was mit ihm geschehen war.

Irgendwie war mir der Bericht über seine Amnesie seltsam vorgekommen. Das war zu einfach, reichte als Erklärung nicht aus. Wie hatte er in diesen Monaten gelebt, wo war er gewesen, was hatte er getan?

Es geschah fast sieben Jahre darauf, daß ich ihn in den Straßen Manhattans wiedersah. Zu der Zeit hatte ich das Geld für mein Jurastudium längst zusammen und stand bereits kurz vor der Abschlußprüfung.

Er hatte sich wenig verändert, wenn überhaupt. Ich eilte ihm nach und faßte ihn ohne nachzudenken bei der Schulter. Was nun geschah, war unglaublich. Mit lautem Wutschrei fuhr er wie ein Tiger herum, rief mir in einer fremden Sprache etwas zu, und ich sah mich in der Gewalt stahlharter Hände, die mich zu Boden rissen.

Im Nächsten Augenblick ließ er mich los und begann sich hastig zu entschuldigen, noch ehe er mich erkannte. Entsetzt machte ich mir klar, daß seine Handlung ein reiner Reflex gewesen war — etwa wie das Blinzeln eines Auges oder das Zucken des Knies unter dem Hammer des Arztes. Es war der Reflex eines Tieres, das nach seinem Instinkt zuerst zuschlagen muß, wenn es nicht vernichtet werden will, oder eines Menschen, der trainiert ist, schnell und rücksichtslos zu töten, da er überleben möchte. Der Schweiß lief mir am Körper herab. Ich wußte, daß ich dem Tode nahe gewesen war. War das der ruhige, sanfte Cabot aus meiner Collegezeit?

»Harrison!« rief er. »Harrison Smith!« Er hob mich mühelos auf, und die Worte sprudelten von seinen Lippen, versuchten mich zu beruhigen. »Tut mir schrecklich leid«, sagte er immer wieder. »Verzeih mir, verzeih mir, alter Junge!«

Wir sahen uns an.

Er streckte mir impulsiv die Hand hin, entschuldigend. Ich nahm sie und drückte sie. Ich fürchte, mein Griff war ein wenig schwach, und meine Hand zitterte. »Es tut mir wirklich furchtbar leid«, sagte er. Einige Passanten waren stehengeblieben und umstanden uns in sicherer Entfernung.

Er lächelte sein einnehmendes, jungenhaftes Lächeln, an das ich mich aus New Hampshire noch gut erinnerte. »Möchtest du etwas trinken?« fragte er.

Auch ich lächelte. »Aber ja«, sagte ich.

In einer kleinen Bar mitten in Manhattan, kaum größer als ein Eingang mit einem langen Schlauch von Zimmer dahinter, erneuerten Tarl Cabot und ich unsere Freundschaft. Wir streiften manches Thema, doch über seine abrupte Reaktion auf meine Begrüßung sprachen wir nicht, ebensowenig von den Monaten, die er in den Bergen New Hampshires verschollen war.

In den folgenden Monaten sahen wir uns recht oft — so oft es mein Studium erlaubte. Er schien einen großen Bedarf an menschlicher Gesellschaft zu haben, denn er war sichtlich einsam, und ich meinerseits war sehr glücklich, ihn meinen Freund nennen zu dürfen, auch wenn ich wohl — leider — sein einziger Freund war.

Ich fühlte, daß die Zeit kommen wurde, da mir Cabot von seinen Erlebnissen in den Bergen berichten würde. Aber er mußte von allein darauf kommen, er mußte den geeigneten Augenblick bestimmen. Ich war nicht interessiert, in seine Angelegenheiten einzudringen — oder in seine Geheimnisse. Es genügte mir, wieder sein Freund zu sein. Ich fragte mich von Zeit zu Zeit, warum sich Cabot über bestimmte Dinge nicht frei äußerte, warum er das Geheimnis jener Monate so eifersüchtig hütete. Ich weiß inzwischen, warum er nicht sofort davon sprach. Er befürchtete, ich könnte ihn für wahnsinnig halten.

Es war an einem Abend Anfang Februar, und wir tranken wieder einmal in der kleinen Bar, in der wir an jenem sonnigen Nachmittag vor einigen Monaten unseren ersten Drink bestellt hatten. Draußen schneite es. Cabot schien bedrückt. Ich erinnerte mich daran, daß er in dieser Jahreszeit verschwunden war — damals, vor einigen Jahren.

» Vielleicht sollten wir nach Hause gehen«, sagte ich.

Cabot starrte weiter aus dem Fenster und beobachtete den herabrieselnden Schnee.

»Ich liebe sie«, sagte er plötzlich ins Leere.

»Wen?« fragte ich.

Er schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden. »Komm, wir gehen nach Hause«, sagte ich. »Es ist spät.«

»Wo ist denn mein Zuhause?« fragte Cabot und schaute in sein halbvolles Glas.

»Deine Wohnung, nur ein paar Blocks entfernt«, erwiderte ich. Ich wollte, daß er mit mir kam, daß er diese Stimmung so schnell wie möglich abschüttelte. So hatte ich ihn noch nicht erlebt, und ich begann mir Sorgen zu machen.

Er wollte sich nicht ablenken lassen. Er zog den Arm zurück. »Es ist spät«, sagte er, wobei er mir anscheinend zustimmte, vielleicht aber auch etwas anderes meinte. »Es muß noch nicht zu spät sein«, fuhr er fort, als ob er zu einem Entschluß gekommen wäre, als ob er allein durch seinen Willen den Strom der Zeit anhalten könnte, die zufällige Folge der Ereignisse.

Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Cabot würde nach Hause gehen, wenn er bereit wäre. Ich spürte sein Schweigen, das Summen der Stimmen ringsum, das Klirren von Gläsern, Füßescharren, Anstoßen.

Cabot hob seinen Scotch und hielt ihn vor sich, neigte das Glas und ließ einige Tropfen auf den Tisch fallen. Dabei murmelte er Worte in der seltsamen Sprache, die ich bisher nur einmal gehört hatte, als ich im Griff seiner Hände zitterte.

»Was machst du da?« fragte ich.

»Ich bringe ein Opfer«, sagte er. »Ta-Sardar-Gor.«

»Was heißt das?«

»Es heißt«, sagte Cabot und lachte freudlos, »›den Priesterkönigen von Gor‹!«

Er stand unsicher auf. Ohne Vorwarnung stieß er einen wilden Wutschrei aus und schleuderte das Glas an die Wand. Es zerbrach in unzählige schimmernde Stücke, die zu Boden klirrten. Erschrecktes Schweigen breitete sich aus. Und in die verblüffte Stille hinein hörte ich ihn heiser flüstern: »Ta-Sardar-Gor!«

Der Barmann, ein schwerer, dicker Mann, kam an unseren Tisch gewatschelt. In seiner dicken Hand war ein kurzer Lederknüppel, mit Schrotkörnern gefüllt. Der Barmann deutete auf die Tür. Er wiederholte die Geste. Cabot, der ihn um einiges überragte, schien die Bewegung nicht zu begreifen. Der Barmann hob drohend den Knüppel. Cabot ergriff die Waffe und zog sie dem verblüfften Mann anscheinend mühelos aus der Hand. Er schaute auf in das schwitzende, furchtsam verzogene Gesicht.

»Du hast die Waffe gegen mich erhoben«, sagte er. »Nach meinen Regeln darf ich dich jetzt töten.«

Der Barmann und ich sahen entsetzt zu, wie Cabots große feste Hände den Knüppel auseinanderzerrten, die Naht aufplatzen ließen — wie ich vielleicht eine Papprolle zerbrochen hätte. Einige Schrotkörner fielen zu Boden und rollten unter die Tische.

»Er ist betrunken«, wandte ich mich an den Barmann. Ich nahm Cabot am Arm. Seine Wut schien verraucht zu sein, und ich spürte, daß er niemandem schaden wollte. Die Berührung meiner Hand schien ihn aus seiner seltsamen Stimmung zu reißen. Er reichte dem Barmann den verbogenen Knüppel zerknirscht zurück.

»Es tut mir leid«, sagte er. »Wirklich.« Er griff in die Tasche und drückte dem Mann eine Banknote in die Hand. Es waren hundert Dollar. Wir zogen unsere Mantel an und gingen in die Februarnacht hinaus. Vor der Bar blieben wir einen Augenblick schweigend im Schnee stehen. Cabot, noch immer halb betrunken, sah sich um, nahm die brutale elektrische Geometrie der großen Stadt in sich auf, die dunklen, einsamen Gestalten, die sich durch den leichten Schnee bewegten, die bleichen, leuchtenden Autoscheinwerfer.

»Eine große Stadt«, sagte Cabot, »die aber von ihren Einwohnern nicht geliebt wird. Wer würde hier schon für seine Stadt sterben wollen? Wer würde ihre Grenzen verteidigen? Wer würde sich ihretwegen einer Folter unterwerfen?«

»Du bist betrunken«, sagte ich lächelnd.

»Diese Stadt wird nicht geliebt«, sagte er. »Oder sie würde nicht so gebraucht, nicht so gehalten.«

Traurig wandte er sich zum Gehen.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß ich heute nacht das Geheimnis Tarl Cabots erfahren würde. »Warte!« rief ich ihm nach.

Er wandte sich um, und ich glaubte zu spüren, daß er sich über meinen Ruf freute, daß ihm meine Gesellschaft gerade heute abend viel bedeutete.

Wir gingen zu seiner Wohnung, wo er mir zuerst eine Kanne Kaffee kochte. Wortlos trat er dann an einen Wandschrank und brachte eine Kassette zum Vorschein. Er öffnete sie mit einem Schlüssel, den er bei sich trug, und nahm ein Manuskript heraus, in seiner klaren, entschlossenen Handschrift verfaßt, mit einer Schnur gebunden. Er schob mir das Manuskript hin.

Es war ein Bericht über Ereignisse, die sich nach Cabots Worten auf die Gegenerde bezogen, die Geschichte eines Kriegers, der Belagerung einer Stadt und seiner Liebe zu einem Mädchen. Sie kennen diesen Text vielleicht als GOR - DIE GEGENERDE.

Als ich kurz nach Morgengrauen mit Lesen fertig war, schaute ich Cabot an, der die ganze Zeit am Fenster gesessen und den Schnee beobachtet hatte.

Er wandte sich um. »Es ist alles wahr, aber du brauchst es mir nicht zu glauben.«

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Natürlich konnte die Geschichte nicht wahr sein; andererseits hielt ich Cabot für einen der ehrlichsten Menschen auf dieser Welt.

Da fiel mein Blick auf seinen Ring den ich zwar schon tausendmal vorher gesehen hatte, von dem aber auch in seinem Manuskript die Rede war. Der Ring mit dem Siegel der Familie Cabot.

»Ja«, sagte Tarl. »Das ist der Ring.«

Ich deutete auf das Manuskript. »Warum hast du mir das gezeigt?« fragte ich.

»Ich möchte, daß jemand Bescheid weiß«, erwiderte Cabot schlicht. Ich stand auf. Zum erstenmal spürte ich die Wirkung der durchwachten Nacht, des Lesens, das Alkohols und des bitteren Kaffees. Ich lächelte. »Am besten gehe ich jetzt. Dann bis morgen.«

»Ja, auf Wiedersehen«, sagte Cabot und half mir in den Mantel. »Aber morgen sehen wir uns nicht. Ich gehe wieder in die Berge.«

Ja, es war Februar, und er war im Februar vor sieben Jahren verschwunden.

Der Schreck fuhr mir in die Glieder. »Geh nicht«, sagte ich. »Ich werde gehen«, erwiderte er.

»Dann laß mich mitkommen!«

»Nein. Vielleicht komme ich nicht zurück.«

Wir gaben uns die Hand, und ich hatte das seltsame Gefühl, daß ich Tarl Cabot womöglich nicht wiedersehen würde. Meine Hand krampfte sich um die seine. Ich hatte ihm etwas bedeutet, und er mir, und jetzt sollten wir uns einfach so trennen, nie wieder miteinander sprechen.

Ich fand mich in dem kahlen weißen Flur vor seiner Wohnung wieder und starrte auf die nackte Glühbirne an der Decke. Dann plötzlich wandte ich mich um und rannte zu seinem Apartment zurück. Ich hatte ihn im Stich gelassen, meinen Freund. Wie ich auf diesen Gedanken kam, wußte ich nicht. Ich hieb mit beiden Fäusten an die Wohnungstür, doch es kam keine Antwort. Ich trat die Tür ein, fetzte das Schloß aus der Füllung. Ich hastete durch die Zimmer. Doch Tarl Cabot war verschwunden!

Auf dem Tisch des kleinen Wohnzimmers lag das Manuskript, das ich in den letzten Stunden gelesen hatte — mit einem Briefumschlag, auf dem mein Name und meine Adresse standen. Drinnen lag ein Zettel. »Für Harrison Smith, wenn er es haben möchte.« Niedergeschlagen verließ ich die Räume und nahm das Manuskript mit, das später als Gor - Die Gegenerde veröffentlicht wurde. Dies und meine Erinnerung waren alles, was mir von meinem Freund Tarl Cabot blieb.

Meine Prüfungen kamen und brachten Erfolg. Später wurde ich im Staate New York als Rechtsanwalt zugelassen und trat einem der großen Anwaltsbüros der Stadt bei. Im Dschungel der komplizierten und anstrengenden Arbeit wurde die Erinnerung an meinen Freund Cabot immer mehr verdrängt. So bleibt nicht mehr viel zu sagen, außer daß ich ihn bisher nicht wiedergesehen habe. Dennoch habe ich das Gefühl, daß er lebt.

Als ich eines Abends nach der Arbeit in meine Wohnung zurückkehrte, lag auf dem Rauchtisch vor meinem Lesesessel ein zweites Manuskript, das nun folgt. Ich weiß nicht, wie es dorthin gekommen ist — Türen und Fenster waren verschlossen.

Vielleicht stimmt es tatsächlich, wie Tarl Cabot einmal bemerkte, daß die Abgesandten der Priesterkönige unter uns weilen.

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