16

»Jungs, habt ihr Lust auf teure Weine und köstliche Leckereien?« rief Policrates.

»Ja, Kapitän!« brüllte ein Mann.

»Habt ihr Lust auf schön gegerbtes Leder und kostbar gewebte Stoffe?«

»Ja, Kapitän!«

»Habt ihr Lust auf mehr Gold, Silber und Edelsteine, als ihr überhaupt verwenden könnt?«

»Ja, Kapitän!«

»Habt ihr Lust auf gutgebaute Sklavinnen, die ihr zu eurem Vergnügen erziehen wollt?« fragte Policrates.

»Ja, ja, Kapitän!« riefen Hunderte von Männern. Ich hörte, wie Waffen gezogen und aneinandergeschlagen wurden.

»Dann nehmt euch Victoria!« rief Policrates. »Die Stadt gehört euch!«

In diesem Moment begann auf dem Dach des Fachwerkhauses, in dem sich das Büro des Hafenmeisters befand, die Alarmstange zu erklingen. Ein einzelner Mann stand auf dem Dach und schlug mit einem riesigen Hammer dagegen. Überrascht und verwirrt fuhren die Piraten herum. Beinahe im gleichen Augenblick stürmten aus den scheinbar verlassenen Gebäuden am Hafen die erzürnten Bürger Victorias hervor, brüllend, hastend, eine unglaubliche Sammlung von Ketten, Werkzeugen und Waffen schwingend. Bogenschützen erschienen auf Dächern. Ganze Pfeilsalven sirrten wie dunkler, waagerechter Hagel über die Köpfe der angreifenden Bürger und bohrten sich in die verwirrte, urplötzlich ins Wanken geratende Masse der Piraten am Beginn der Pieranlagen. Im nächsten Moment trafen die angreifenden Bürger wie galoppierende gehörnte Kailiauk, wie unlenkbare, in Panik ausgebrochene Bosk, Piken und Speere waagerecht stellend, Ketten schwingend, Schwerter, Bootshaken, Äxte und Schaufeln schwingend, auf die erstarrt dastehenden, verwirrten Reihen der Piraten.

»Kämpft!« hörte ich Policrates brüllen. »Kämpft!«

Ein Pirat wurde mit einer Kette erwürgt. Eine herumwirbelnde Kette erschlug einen zweiten stoppelbärtigen Burschen von den Schiffen. Piken fanden ihr Ziel. Ein Pirat stürzte über den Körper eines anderen, der von einem Pfeil niedergestreckt worden war. Ein erzürnter Bürger hieb mit einem scharfen Bootshaken um sich und streckte damit so manchen Gegner nieder. Andere gingen geschickt mit Schwertern vor. Die Bogenschützen hatten die Dächer verlassen, um sich in den Kampf zu stürzen und sich ihre Ziele aus unmittelbarer Nähe zu suchen. Fünf Piraten wurden vom Rand des Hafenbeckens ins Wasser gestoßen. Immer neue Victorianer erschienen aus Gassen und Bauwerken weiter unten am Hafen und griffen mit Speeren und Schwertern in den Kampf ein.

»Kämpft!« brüllte ich. »Kämpft für Victoria!«

»Wehrt euch!« kreischte Policrates.

Ein Dutzend Piraten machte kehrt und lief zu den Schiffen zurück.

Ich bäumte mich an der Scherklinge auf. Mit hektischen Bewegungen versuchte ich mich zu befreien. Aber ich war hilflos. Goreaner hatten mich gefesselt, zwar nicht sonderlich fachmännisch, aber mit großer Festigkeit.

»Bleibt, haltet die Stellung!« hörte ich Policrates rufen. Ich sah, wie er einen Schwerthieb gegen den Rücken eines Piraten führte, der vom Ort des Geschehens hatte fliehen wollen. »Bleibt hier! Kämpft!«

Ein weiteres Dutzend Piraten machte kehrt und lief auf die Schiffe zu. Und ein weiteres Dutzend!

»Rückzug!« rief Policrates. »Zurück auf die Schiffe!«

»Zurück auf die Schiffe!« brüllte auch Ragnar Voskjard, ein Ruf, der von Kliomenes und Callisthenes aufgegriffen wurde.

Männer eilten an mir vorbei. Einige waren verwundet. Schwerter durchtrennten Haltetaue. Ich spürte, wie sich Policrates’ Flaggschiff im Wasser bewegte. Nun wurde bereits auf der Pier gekämpft. Hinter mir sprangen Männer an Bord. Ob auf diese Weise eine Besatzung zusammenkommen würde, war mir unklar. Policrates, gefolgt von Kliomenes und Callisthenes, hastete an mir vorbei, sprang gegen die Bordwand und kletterte über die Reling. »Abstoßen mit Bootshaken!« befahl Policrates. »Ruder ausfahren!« Das Piratenschiff, das links von mir, auf der anderen Seite der Pier, festgemacht war, löste sich ebenfalls aus seiner Position. Wir glitten von der Pier fort. Ein Mann, der noch an Bord springen wollte, verfehlte die Reling und fiel ins Wasser. Sofort wurde er von Aalen angegriffen und hauchte zappelnd und schreiend sein Leben aus. Im Wasser unter mir wimmelte es von Aalen. Das Blut, das von meinem Rücken heruntertropfte, mußte die Tiere angelockt haben.

Auf den Piers drängten sich Männer. Piraten stürzten ins Wasser. Andere, die weit genug hinten standen, um zu fliehen, machten kehrt und eilten auf die Schiffe zu. Einige hasteten an mir vorbei und sprangen offenbar auf Ruder, in der Hoffnung, sich festhalten und daran hochklettern zu können. »Behindert die Ruder nicht!« rief Policrates. Ich hörte, wie hinter mir ein Körper ins Wasser glitt. Im gleichen Moment hatte sich das Schiff von der Pier gelöst. Ich sah Piraten, die die Waffen fortwarfen und am Kai niederknieten. In den Reihen der Victorianer wurde gejubelt.

»Gut gemacht, Leute!« rief ich. »Gut gemacht!«

»Wir kommen wieder!« brüllte Policrates zum Land hinüber. »Von uns werdet ihr noch hören. Wir kommen wieder, ihr Sleen! Wir kommen wieder!«

Im nächsten Moment prallte das Heck des Schiffes gegen eine andere Piratengaleere, die aus dem Gedränge freizukommen versuchte. »Schafft den Idioten aus dem Weg!« kreischte Policrates. Pfeile, die mit öldurchtränkten, brennenden Lumpen umwickelt waren, trafen das Schiff. Unser Bug bewegte sich ruckhaft zur Seite. Unter mir ringelten sich Aale im Wasser.

»Ruder rückwärts!« kreischte Policrates, und Kliomenes wiederholte das Kommando. »Feuer löschen!« forderte Callisthenes. Wieder stieß unser Heck knirschend mit einem anderen Piratenschiff zusammen. Blut strömte die Klinge hinab, vor der ich hing, doch merkte ich in meiner Begeisterung kaum etwas davon.

»Gut gemacht, Leute!« rief ich den Männern Victorias zu und spürte wenig von den Schmerzen im Rücken oder an den Bein- und Fußgelenken. Dann plötzlich durchbrach ein etwa vier Fuß langer und zehn Pfund schwerer Körper die Wasseroberfläche und sprang empor. Ich spürte die Kiefer zuschnappen und an dem Scherblatt entlangscharren. Und ringelnd fiel das Gebilde wieder ins Wasser. Das Blut erregte die Aale. Erneut versuchte ich mich zu befreien und zerrte heftig an den Fesseln, versuchte sie an der Rückseite der Klinge entlangzuschaben.

Urplötzlich war ich aufgeschreckt. Meine Mühen hatten nichts anderes bewirkt, als daß ich einige Zoll an der Klinge abwärts gerutscht war. Nun fürchtete ich, in die Reichweite der springenden Aale zu geraten. Ich versuchte mich an der Klinge wieder aufwärts zu bewegen. Arme und Beine gegen das Klingenmetall drückend, konnte ich in meine ursprüngliche Position zurückkehren, aber nicht weiter, denn meine Fußfesseln verfingen sich an der Unterkante der Klingenhalterung. So war es ungemein schmerzhaft und schwierig, sich oben an der Klinge zu halten.

Ich schwitzte vor Angst. Im nächsten Moment ruckte Policrates’ Flaggschiff, das erneut gegen ein anderes Schiff prallte, zur Seite, und ich rutschte an der Klinge wieder abwärts. Meine Füße, die zu beiden Seiten des Metalls zurückgebunden worden waren, befanden sich kaum noch einen Fuß über dem Wasser. Entsetzt versuchte ich wieder hochzusteigen, doch die Fesseln hielten mich diesmal fest.

Wieder spürte ich einen spitzen Biß am Bein: Einer der unangenehmen Aale versuchte seine Beute zu finden. Und wieder kämpfte ich mich zollweise an der Klinge höher. Draußen auf den Fluß hinaus würden uns die Aale vermutlich nicht folgen.

Plötzlich ging mir auf, daß ich vielleicht nur noch wenige Augenblicke Zeit hatte, ehe das Schiff in die Flußströmung zurückkehrte. Jäh ließ ich mich an der Klinge hinabrutschen. »Habt ihr Hunger, kleine Freunde?« fragte ich. »Riecht ihr Schweiß und Angst? Erregt euch das Blut? Springt zu, ihr kleinen Brüder! Tut mir einen Gefallen.« Ich betrachtete mehrere kleine, spitz zulaufende Köpfe, die aus dem Wasser ragten und deren Augen wie mattschwarz wirkten. »Kostet das Blut!« ermutigte ich sie, schob mich gegen die Klinge zurück und versuchte meine Knöchel am Stahl zu schaben.

Ich wußte, daß die Kiefer dieser Aale, wenn sie richtig zubissen, ein großes Stück Fleisch aus einem Menschen herausreißen konnten. Außerdem war mir bekannt, daß der Aal seine Nahrung selten außerhalb des Wassers sucht, daß solche zuschnappenden Bisse vermutlich schwer ihr Ziel finden würden. Mehr als ein Aal hatte bei seinen Attacken bereits die Klinge und nicht meinen Körper getroffen; vielleicht bezogen sich die Angriffe ohnehin nur auf die Stelle, an der das Blut ins Wasser tröpfelte.

Das Wasser unter mir schäumte förmlich vor zuckenden, sich windenden Leibern. Das Schiff bewegte sich einen Meter rückwärts. »Helft mir schnell, ihr kleinen Freunde!« flehte ich. »Die Zeit wird knapp!« Plötzlich fuhr peitschend ein großer Aal aus dem Wasser und zerrte an der Seite meines zerschundenen Beins. Ich fühlte die Zähne des zur Seite geneigten Kopfes an der Wade entlangschaben. Und schon fiel das Tier ins Wasser zurück. »Gut, gut!« rief ich. »Beinahe hättest du es geschafft! Versuch’s noch einmal, du großer Bursche!«

Ich beobachtete das Wasser, schaute zu, wie das Wesen im Wasser herumwirbelte und offenbar erneut das Ziel anpeilte. Mein linker Knöchel, den ich mir an der Hinterkante der Klinge absichtlich zerschnitten hatte, blutete – und dieses Blut sickerte in die verknoteten Seile meiner Fesseln. Mit dem geringen Spiel, das die engen Fesseln mir ließen, mußte ich auskommen. Beinahe zu schnell, um es wahrzunehmen, sah ich den Aal wieder aus dem Wasser springen. So gut wie möglich schob ich dem Tier meinen Knöchel hin. Dann schrie ich vor Schmerzen auf. Das Gewicht des peitschenden, reißenden Fisches mußte etwa zwanzig Pfund betragen haben. Das Tier war ungefähr sieben Fuß lang. Schreiend legte ich den Kopf in den Nacken. Mein linkes Fußgelenk steckte zwischen den Kiefern des Geschöpfes. Nadelscharfe Zähne bissen zu. Ich fürchtete schon den Fuß zu verlieren, doch die dicken Seile, die zum Teil doppelt verlegt und verknotet waren, schützten mich wie ein Faserschild und verhinderten, daß sich die Zähne zu tief in mein Fleisch gruben.

Wahrscheinlich von den hinderlichen Schnüren verwirrt, verlagerte das kleine Monstrum seinen Biß. Es begann an den Seilen zu ziehen. Es mußte das Maul voll haben mit blutdurchtränkten, drahtähnlichen Fesselfasern. Zweifellos spornte das Blut den Aal an, seine Bemühungen fortzusetzen. Der Schwanz peitschte das Wasser. An den Fesseln hängend, wand es sich hin und her. Dann fiel er mit fasergefülltem Maul ins Wasser zurück. Und wieder zerrte ich an meiner Fesselung, und wieder hielt sie. Und erneut gab ich, was ich an Kraft noch zu geben hatte, und hörte diesmal etwas reißen. Plötzlich waren meine Fußgelenke frei. Ich warf die Beine herum und schwang mich, an den Handfesseln hängend, auf und hinter die Klinge, wobei ich das rechte Bein über den oberen Teil der Klingenhalterung hob.

»Ho!« rief eine zornige Stimme rechts über mir. Ich sah, wie eine Speerspitze zum Wurf zurückgezogen wurde. Auf der flachen Halterung hockend, klammerte ich mich an der Klinge fest. Zwar waren meine Hände durch Fesseln verbunden, doch hatten sie etwa einen Fuß Spiel, da sie zuvor um die Klinge herum gebunden worden waren. Den heranzuckenden Speer ergriff ich hinter der Klinge und zerrte ihn ruckhaft in meine Richtung. Der Angreifer, der so schnell seine Waffe nicht loslassen konnte, wurde über die Reling gezerrt. Er prallte gegen die Klinge und glitt schreiend und schwerverletzt ins Wasser. Der Speerschaft wurde meinen Händen dabei entwunden. Unter der Klinge begann das Wasser zu brodeln. Luftblasen stiegen auf, die sich schnell rot färbten. »Freßt nur, kleine Freunde!« sagte ich. »Freßt und habt Dank!«

Policrates’ Flaggschiff bewegte sich nun ungehindert rückwärts auf den Fluß hinaus. Ich zog meine Handfessel vor die Schnittkante der Klinge und sägte hin und her. Plötzlich bliesen Hörner zum Kampf, Signale, die ich nicht verstand. Auf den Piers und der Hafenstraße machte ich Hunderte von Victorianern aus. Sie winkten und schwenkten Waffen. Vor ihnen lagen entkleidete, gefesselte Piraten.

Links von mir stand ein Schiff in Flammen – es war der Wendige Tharlarion, das Flaggschiff Voskjards. In der Nähe bohrte sich knirschend eine Ramme in eine Schiffswand. Dies ergab für mich keinen Sinn, denn die dicht zusammen manövrierenden Schiffe hätten, selbst aus Versehen, niemals genug Fahrt für einen solchen Rammstoß aufnehmen können.

Beißender Rauch machte sich bemerkbar. Ich klammerte mich an der Klinge fest. Policrates’ Flaggschiff wendete. Wieder ertönten Hörner – von beiden Seiten, flußaufwärts und flußabwärts. Und wieder bohrte sich eine Ramme vernichtend in das Holz eines Schiffes. Auf Piratengaleeren gab es Geschrei.

Von der Scherblatt-Halterung sprang ich auf die Backbordreling und zog mich hoch. Gleich darauf hockte ich geduckt auf Deck. Ein Schwertschwinger stürzte sich auf mich. Ich tauchte unter der Klinge hinweg, packte ihn an den Fußgelenken und nutzte seine Eigenbewegung dazu, ihn über die Schultern zu heben. Kreischend verschwand er über die Bordwand. Ein anderer Mann versuchte nach mir zu schlagen, doch ich glitt zur Seite aus, faßte ihn mit dem rechten Arm um die Brust und schleuderte ihn seitlich gegen die Wand des Vorderkastells. Ächzend sank er zu Boden.

Auf dem Vorderdeck über mir schrie Policrates Befehle. Ich bohrte das erbeutete Schwert in das Holz über mir, wo ich es jederzeit erreichen konnte. Dann setzte ich Füße und Hände in die kunstvollen Schnitzereien des Vorderkastells und stieg anderthalb Meter empor. Das Herz schlug mir bis in den Hals.

Auf dem Fluß wimmelte es von Schiffen! Ich sah die Tais unter dem Kommando des unermüdlichen Calliodorus, ich sah andere Schiffe aus Port Cos. Es mußte sich um Callisthenes’ alte Flotte handeln, die er nach Port Cos zurückverlegt hatte, damit sie nicht an den Kämpfen um die Kette teilnehmen konnte. Sie wurde verstärkt durch Schiffe aus Tafa, Ven, Tetrapoli und sogar aus dem fernen Turmus. Diese Schiffe waren aus dem Westen gekommen, gegen die Strömung.

An Steuerbord, flußaufwärts, war das Wasser gefüllt mit bewaffneten Handelsschiffen. Auch dort gewahrte ich die Farben von über einem Dutzend Städte. Die Banner und Wimpel von Victoria waren zur Stelle, von Fina und Hammerfest, von Sulport, Sais, Siba und Jasmine, von Jorts Fähre und Kap Alfred, von Iskander, von Tancreds Furt und Waldhafen. Neben anderen Fahnen sah ich Banner, die so weit aus dem Osten kamen wie Weißwasser und Lara, das am Zusammenfluß von Vosk und Olni lag. Die Geduld der ehrlichen Flußbewohner war endlich erschöpft.

Ich zog mein Schwert aus dem Holz und sprang auf das Deck zurück. Policrates’ Flaggschiff ruckte, von einem anderen Piratenschiff getroffen, zur Seite. Ich verlor das Gleichgewicht. Als ich mich wieder gefangen hatte, eilte ich unverzüglich auf die Backbordseite und sprang auf das andere Scherblatt hinab.

»Jason!« rief Callimachus, der dort angebunden hing.

Im Nu hatte ich die Fesseln durchgeschnitten, die seine Füße sicherten, und durchtrennte dann auch die Schnüre an seinen Händen, wobei ich ihn mit einem Arm festhielt. Zitternd zerrte er sich zur Klingenhalterung empor. »Du bist frei!« rief er. »Was geht hier vor?«

»Die Städte erheben sich«, antwortete ich. »Schiffe kommen aus Ost und West, von unten und oben am Fluß, kampfbereit. In den Herzen dieser Menschen lodert der Krieg. Policrates und Voskjard haben ausgespielt.«

»Gib mir ein Schwert!« forderte Callimachus.

»Bist du auch kräftig genug?« fragte ich. »Es gibt wirklich nicht mehr viel zu tun.«

»Ein Schwert!« forderte Callimachus. »Ich will ein Schwert!«

Ich grinste. »Sicher läßt sich an Bord eines finden.«

Kaum waren wir an Deck gestiegen, da glitt das an Backbord liegende Piratenschiff seitlich am Flaggschiff entlang. Die beiden Scherblätter verhakten sich, und wir hörten Holz reißen.

»Ruder rückwärts!« kreischte Policrates vom Bugkastell. Das Piratenschiff, das an Steuerbord lag, wurde geentert. Callimachus begab sich zu einem der Ruderer, der natürlich mit dem Gesicht zum Heck saß. Von hinten zugreifend, zog Callimachus dem Mann das Schwert aus der Scheide. Der Ruderer schaute zurück und warf sich sofort bleichen Gesichts über die Reling ins Wasser. Nun blickte Callimachus zur Höhe des Vorderkastells empor, und im gleichen Moment wurde er von Policrates entdeckt. Hinter dem Piraten stand Callisthenes. Zwei Männer hasteten den Niedergang herab auf Callimachus zu, während Callimachus und Callisthenes die Schwerter zogen. Beide Angreifer sanken zu Boden, und ich hatte kaum eine Bewegung des Schwertes wahrgenommen. Callimachus war im Umgang mit der Waffe nicht ungeschickt. Bleich starrten Policrates und Callisthenes auf das Hauptdeck herunter. »Ich stehe zu dir«, sagte ich. »Nein«, widersprach Callimachus. »Die beiden gehören mir.«

Ich sah ihn an. Er lächelte. »Hol Ragnar Voskjard«, sagte er. Grinsend wandte ich mich von ihm ab, und gleich darauf klirrten hinter mir die Schwerter.

Ich blickte über die Backbordreling. Etwa vierzig Meter entfernt, schon von der Flußströmung ergriffen, lag Ragnar Voskjards Schiff, das von Flammen eingehüllt zu werden drohte. Zwischen den Schiffen trieben so viele Wrackteile, daß man die Distanz beinahe zu Fuß hätte überwinden können. Wieder wurde zum Kampf geblasen. In der Nähe gellte Kampflärm auf, der mir verriet, daß wieder einmal ein Piratenschiff geentert worden war. Im Hafen lagen mindestens ein Dutzend brennender Schiffe.

Ich biß an der Lederumwicklung des Schwertgriffes herum, den ich in der Hand hielt, bekam eine Faser los und fertigte mir daraus eine primitive Handschlinge. Sollte ich im Wasser die Hände benutzen müssen, wollte ich nicht gleichzeitig die Waffe verlieren. Dann legte ich mir die Schlinge um das Handgelenk, packte die Waffe und sprang mit den Füßen voran ins Wasser. Ich schwamm zu einem Floß aus zerschmetterten Planken. Gefahr drohte von den Aalen im allgemeinen nur in den Untiefen rings um die Hafenanlagen.

Kaum war ich auf das Floß gestiegen, als ich eine mittelgroße Galeere näher kommen sah, die sich zwischen Policrates’ Flaggschiff und Ragnar Voskjards Wendigen Tharlarion schob. Am Heck flatterte das Banner von Tafa. Ich tauchte zur Backbordseite des Schiffes. Gleich darauf wurde ich von der Bugwelle ergriffen und auf den Wendigen Tharlarion zu geschoben. Wasser spuckend, den Kopf hebend, sah ich einen weiteren Schiffsumriß näher kommen. Ich schwamm auf den Wendigen Tharlarion zu. Der alles überdeckende Schatten schien in meine Richtung abzubiegen, und dann erkannte ich zu meinem Entsetzen, daß das Schiff die Absicht hatte, die Steuerbordruder des Wendigen Tharlarion abzuscheren. Plötzlich befand ich mich zwischen zwei Schiffen. Es gab ein knirschendes, knackendes Geräusch, das von brechenden Rudern herrührte. Ich streckte die Hand aus und berührte die bebende Bordwand des Wendigen Tharlarion. Das Scherblatt pflügte auf mich zu. Holz zerkratzend und zerreißend, Ruder zerbrechend, kämpfte sich die Klinge in meine Richtung. Ich tauchte unter das Schiff. Für einen Schwimmer geht die größte Gefahr übrigens nicht von der Klinge aus, denn deren untere Krümmung liegt in der Regel mindestens einen Fuß über dem Wasser, so daß man mühelos ausweichen kann. Man kann sich sogar zwischen die Klinge und das Schiff retten, an dem es befestigt ist. Die größte Gefahr liegt für den Schwimmer vielmehr in dem knirschenden Zusammenprall der Schiffsrümpfe hinter den Klingen. Nur wenige Kapitäne sind so geschickt, daß sie beim Scherkampf einen geraden, parallelen Kurs beibehalten können. Beide Schiffe sind in Bewegung, und die Winkel zueinander verändern sich ständig.

Aufblickend sah ich den langen schmalen Kiel des angreifenden Schiffes vorbeigleiten. Dann ertönte ein reißendes Brechen, als es die Steuerbordwand des Wendigen Tharlarion einschnitt. Der Angriff war in zu steilem Winkel erfolgt, woraufhin beide Schiffe knirschend zusammenstießen. Als ich das Licht freien Wassers zwischen ihnen ausmachte, kehrte ich an die Wasseroberfläche zurück, umgeben von Splittern und allerlei Treibgut. Aus dem angreifenden Schiff wurden Ruder herausgeschoben, um die andere Galeere auf Abstand zu bringen. Ich packte ein Ruder des Wendigen Tharlarion, das abgebrochen aus der Ruderpforte hing. An diesem Ruder kletterte ich empor, wobei mir das Schwert am Arm baumelte. Ich legte die Finger um den Rand der Ruderpforte und überzeugte mich, daß die Ruderbank drinnen verlassen war. Offenbar hatte die Besatzung des Wendigen Tharlarion das Schiff weitgehend verlassen.

Mit Hilfe des Ruders und der Pforte zerrte ich mich weiter hoch. Gleich darauf war ich über die Reling geglitten und stand auf dem Deck des Wendigen Tharlarion. Das Vorderkastell war verlassen. Die wenigen Männer, die sich noch an Deck aufhielten, griffen mich nicht an. Ich sah das attackierende Schiff rückwärts fahren, um wieder in Position zu gehen. Offenbar versuchte es den Rammsporn einzusetzen, um anschließend zu entern. Auf dem Achterkastell entdeckte ich die Gestalt eines Mannes, der damit beschäftigt war, Kapitänsinsignien von seiner Tunika zu reißen. Zwei Piraten retteten sich an Backbord ins Wasser. Ich eilte das Deck entlang und den Niedergang zum Achterkastell empor. Der Mann fuhr zu mir herum, die goldene Kapitänsschnur in der rechten Hand. »Sei gegrüßt, Ragnar Voskjard!« sagte ich zu ihm. »Ich bin gekommen, dich zu holen.«

Er griff nach seinem Schwert, doch schon war meine Waffe auf seinen Bauch gerichtet. Er nahm die Hand von seinem Schwertgriff.

»So ist’s besser«, sagte ich. »Nun auf den Bauch, hier vor mich!«

Zornig blickte er mich an. Ich grinste, löste die Schlinge meines Schwertes und bohrte es neben mich in die Decksplanken.

Sein Blick fiel auf die Klinge, die neben mir stand.

»Nun aber fix!« befahl ich.

Seine Augen funkelten.

Er versuchte, sein Schwert zu ziehen. Sofort eilte ich auf ihn zu und erwischte ihn mit einer geballten Faust in den Unterleib. Benommen starrte er mich an und klappte zusammen. Dies gab mir Gelegenheit, ihn mit einem wohlgezielten Kinnhaken niederzustrecken. An den Füßen zog ich den Bewußtlosen schließlich in die Mitte des hohen schmalen Achterkastells und drehte ihn auf den Bauch herum.

»Natürlich, von dir kann man nichts als Ärger erwarten«, sagte ich zu ihm und kniete über ihm nieder. »Ich habe Erfahrung als Kampfsklave«, fuhr ich fort. Mit Streifen, die ich von seiner Kleidung abriß, band ich ihm die Hände auf dem Rücken zusammen. »Vielleicht hast du selbst einmal, hier und dort, auf Burschen wie mich Wetten abgeschlossen.« Er stöhnte. »Amüsant, nicht wahr, daß der große Ragnar Voskjard nichts anderes ist als der Gefangene eines ehemaligen Kampfsklaven?«

»Laß mich frei!« bat er. Ich zog die Knoten nur noch fester. »Ich bezahle dir viel«, sagte er.

»Welches Geld könnte das Vergnügen aufwiegen, Ragnar Voskjard gefangenzunehmen?« fragte ich.

»Sei gnädig!« bat er.

»Nein.«

»Du hättest mich nicht so fest binden müssen.«

»Es macht mir aber Freude.« Über diese Worte mußte ich lächeln. So sprach ein Goreaner.

Plötzlich erbebte das Schiff unter einem gewaltigen Aufprall.

»Wir sind gerammt worden!« rief Voskjard.

»Und zwar durch das Schiff, das deine Steuerbordruder abgeschert hat«, sagte ich. »Wie du siehst, zeigt es die Farben von Turmus.«

»Wir werden sinken!« rief Voskjard.

»Nicht sofort«, antwortete ich, stand auf und schnitt ihm zum Zeichen, daß er mein Gefangener war, die Kleidung vom Leib. Aus seinem Schwertgurt machte ich mir eine kurze Führungsleine für ihn.

»Laß mich nicht in die Hände der Victorianer fallen!« flehte er.

»Du wolltest Victoria vernichten. Du hast gesehen, wie die Victorianer kämpfen. Und hier stürmen Männer aus Turmus an Bord.«

»Überlaß mich ihnen!« flehte er.

»Auf die Füße, Sleen!« befahl ich und zerrte ihn hoch.

»Wer bist du?« fragte er angstvoll.

»Jason«, antwortete ich. »Jason – aus Victoria!«

»Nein!« schrie er. Im gleichen Augenblick warf ich ihn vom hohen Achterkastell des Wendigen Tharlarion ins bewegte Fußwasser. Anschließend schob ich die Hand durch die Schwertschlinge, zog die Waffe aus dem Holz, winkte den Kämpfern aus Turmus zu, die bereits über das geneigte Hauptdeck wimmelten, und sprang mit den Füßen voran ins Wasser.


Der Kampf, so vermutete ich, war so gut wie vorbei.

Voskjard ächzte und würgte, als ich ihn, halb an der Halsschlinge, halb am Arm, über die Reling von Policrates’ Flaggschiff hievte. Unsanft landete er auf dem halb überschwemmten Deck. Policrates’ Flaggschiff schien verlassen zu sein. Es war gerammt worden. Ich nahm nicht an, daß es sich noch lange über Wasser halten würde.

Im Hafen Victorias wimmelte es von Schiffen, doch standen viele davon in Flammen.

Die Alarmstange wurde erneut geschlagen, nun aber zum Zeichen des Sieges. Menschen drängten sich am Hafen. Bekränzte weißgekleidete Mädchen waren zu sehen.

Ragnar Voskjard versuchte aufzustehen, doch mit dem Fuß stieß ich ihn energisch wieder auf das Deck.

»Laß mich frei!« flehte er.

»Still!« rief ich, denn ich glaubte ein Geräusch gehört zu haben. Mit schnellen Bewegungen zerrte ich ihn das geneigte Deck zur Steuerbordreling empor, wo ich ihn an einer Strebe festband.

»Wenn das Schiff sinkt, bin ich hilflos«, sagte er heiser.

»Ja«, gab ich zurück und wandte mich ab.

Vierzig Fuß entfernt stand Kliomenes, geduckt, das Schwert in der Hand.

»Du mußt dich im unteren Laderaum versteckt haben«, sagte ich zu ihm. »Als das Schiff dann gerammt wurde, wurdest du wie eine Urt nach oben getrieben.«

Langsam rückte er vor. Ich beobachtete seine Schwertspitze. Die Augen eines Mannes können lügen, nicht aber die Spitze einer Klinge.

»Wo sind Policrates und Callisthenes?« fragte ich.

»Ich weiß es nicht.«

»Befreie mich!« rief Ragnar Voskjard.

»Jetzt muß jeder für sich allein kämpfen«, erwiderte Kliomenes und stürzte sich auf mich. Ich verteidigte mich und wartete ab, bis er zurückwich.

»Wird dein Arm schon lahm?« fragte ich. »Vielleicht möchtest du mir deine Tunika überlassen. Mir ist kalt.«

Mit einem Wutschrei bedrängte er mich erneut – und wieder verteidigte ich mich lediglich. Manchmal standen wir bis zu den Knöcheln im Wasser, manchmal auch bis zu den Knien. Zweimal rutschte er aus, doch ich benutzte den Vorteil nicht.

Nach Luft schnappend, stand er schließlich vor mir, bedroht von meiner Klinge. »Du bist mein Gefangener«, sagte ich. »Knie nieder.«

Er gehorchte.

»Hörst du den Hammerschlag an Land?« fragte ich lachend. »Dort werden Eisenkragen geschmiedet, mit Ketten daran, bestimmt für die Hälse deiner Piraten. Eine unbequeme Sache, ein solcher Kragen. Ich habe diese Last selbst schon getragen.« Mit Streifen, die ich von seiner Tunika abriß, fesselte ich ihm die Hände auf dem Rücken.

Lachend richtete ich mich wieder auf. »Der Wendige Tharlarion ist gesunken«, sagte ich. Im gleichen Moment lief auch durch Policrates’ Flaggschiff ein heftiger Ruck, und ich hätte beinahe das Gleichgewicht verloren.

»Wir sinken!« rief Ragnar Voskjard und versuchte sich zu befreien, vergeblich.

»Seid gegrüßt!« rief ich fröhlich zu Callimachus und Tasdron hinunter, die, mit anderen Männern in einem Ruderboot sitzend, längsseits gekommen waren. Ich hatte die Annäherung seit einiger Zeit verfolgt.

»Was hast du denn da oben?«

»Zwei hübsche verschnürte Urts«, antwortete ich. »Ob sich wohl Eisenkragen für sie finden lassen?«

»An Land«, antwortete Callimachus. »Wir sperren sie zu den anderen.«

Ich blickte in das Boot hinab. »Wie ich sehe, hast du dir zwei Tuniken erobert«, sagte ich.

»Policrates war so nett, mir die seine zu überlassen«, antwortete Callimachus und deutete in den Bug des Beibootes. Dort lagen Policrates und Callisthenes nackt und gefesselt nebeneinander.

»Ob sie ihre Wunden überleben?« fragte ich.

»Ich habe sie nicht tödlich verwundet«, antwortete Callimachus. »Sie werden also in den Genuß der Steinbrüche oder der Ruderbank kommen.«

Ich beneidete Policrates und Callisthenes, Kliomenes und Ragnar Voskjard nicht. In den Steinbrüchen und auf den Galeeren sind die Ketten schwer und die Peitschen schnell zur Hand.

»Komm an Bord!« sagte Callimachus und streckte mir die Hand entgegen.

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