Notes

1

Henri III war nicht der Bruder von Henri IV! (Anm. d. eBookers)

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So lernte der junge Henri vor der Zeit die Bosheit der Menschen kennen. Er hatte schon etwas davon geahnt nach so vielen wirren Eindrücken seines zarten Alters, das eine ununterbrochene Kette dunkler unvorhergesehener Ereignisse war. Aber als er seinen munteren Fluch «Ventre Saint-Gris»* herausschmetterte — und das gar in dem Augenblicke, da ihm die ganze furchtbare Gefahr des Lebens unverhüllt vor Augen trat —, gab er damit dem Schicksal zu verstehen, daß er die Herausforderung annahm und daß er für alle Zeit sich seinen frühen Mut und seine angeborene heitere Laune bewahren werde.

An jenem Tage entwuchs er der Kindheit.

* Ein von Henri Quatre erfundener und nur von ihm selbst verwendeter und mit ihm in die Geschichte eingegangener Stoßseufzer. Die wörtliche Übersetzung «Heiliger Graubauch» besagt so gut wie nichts. Ein deutsches Äquivalent wäre vielleicht «Heiliger Strohsack».

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Aus dem Französischen übersetzt von Helmut Bartuschek

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Seht, wie dieser junge Prinz sich schon auseinandersetzt mit den Gefahren des Lebens, die darin bestehen, daß man getötet wird oder verraten wird, die aber auch unter unseren Wünschen und sogar unter unseren großmütigen Träumen versteckt liegen. Wahrhaftig, es geht spielend durch alle Bedrohungen hindurch, ganz wie es dem Vorrecht seines Alters entspricht. Verliebt, wie er alle Naselang ist, weiß er noch nicht, daß einzig die Liebe ihn eine Freiheit verlieren läßt, die ihm der Haß vergebens streitig macht. Denn um ihn zu schützen vor dem Ränkespiel der Menschen und den Fallen, die ihm seine eigene Natur stellte, lebte zu der Zeit noch ein Wesen, das ihn liebte, bis es dafür sein Leben ließ, und dieses Wesen nannte er: «die Königin, meine Mutter».

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Sie hätten viel besser daran getan, Henri, umzukehren, solange noch Zeit dazu war. Ihre Schwester sagt Ihnen das, sie, die so verständig ist — und es doch auch nicht immer sein wird. Es ist nur zu klar, daß dieser Hof, den eine böse Fee beherrscht, sich nicht damit begnügen wird, Ihnen «die Königin, Ihre Mutter» getötet zu haben, sondern daß Sie noch teurer Ihren Eigensinn, der Sie zu lange in ihm verweilen ließ, bezahlen müssen und Ihre Lust an allem, was gefährlich ist. Andererseits läßt Sie aber auch dieser Aufenthalt die tiefe Zweideutigkeit des Daseins erkennen, das nur mehr rund um einen gähnenden Abgrund sich abspielt. Das erhöht nur noch den Reiz des Lebens, und Ihre Leidenschaft für Margot, die zu lieben Ihnen die Erinnerung an Jeanne verbietet, bekommt dadurch einen schauerlichen Reiz.

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Zu spät, Sie sind wie verzaubert. Die von allen Seiten herandringenden Warnungen richten nichts mehr aus. Die vertraulichen Mitteilungen des Königs, Ihres Schwagers, bleiben ohne Widerhall, und die Unruhezeichen Ihrer Geliebten können Sie nicht beruhigen. Sie geben sich Ihrer Liebe hin, indes die Mörder, vor Furcht wie vor Haß zugleich zitternd, nur der blutigen Nacht entgegensehen. Und schließlich begegnen Sie ihr, dieser Nacht, als wäre sie eine unbekannte Schöne. Und dennoch war ihr schon der Herr Admiral erlegen, fast vor Ihren Augen. Ist es denn nicht so, daß Sie alles wußten, und das seit langem schon, aber daß Sie niemals hatten auf Ihr Gewissen hören wollen? Ihre Blindheit hatte irgendwie Ähnlichkeit mit dem verdächtigen neuen Wahnsinnsanfall Karls des Neunten. Der wählte ihn als Ausflucht. Sie, Ihrerseits, hatten sich dem Offensichtlichsten verschlossen, um sich dadurch Ihr Alibi im voraus zu verschaffen. Wozu wohl, da Sie hernach wie aus den Wolken fallen sollten und um so härter dafür büßen mußten, daß Sie hatten glücklich sein wollen, ohne hinter sich zu schauen.

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Das Unglück kann die unverhoffte Möglichkeit bieten, das Leben kennenzulernen. Ein so hochgeborener Prinz war offensichtlich nicht dazu bestimmt, vom Mißgeschick erdrückt zu werden. Unerschrocken, die Warnungen in den Wind schlagend, ist er in das Elend geraten wie in eine Falle. Unmöglich, sich daraus zu befreien: dann wird er also aus seiner neuen Lage Nutzen ziehen. Von nun an gewährt ihm das Leben noch andere Einblicke als die nur, die den Glücklichen dieser Welt offenstehen. Die Lehren, die es ihm erteilt, sind streng, aber auch um wieviel ergreifender als alles, was ihn in den Zeiten seiner jugendlichen Ahnungslosigkeit beschäftigte. Er lernt sich fürchten und sich verstellen. Das kann immer zu etwas nützen, wie man anderseits nichts dabei verliert, wenn man Demütigungen erträgt, Haß empfindet und die fortgesetzt mißhandelte Liebe sterben sieht. Mit Begabung vertieft man das alles, bis man wohlerworbene Moralansichten daraus gemacht hat. Etwas weiter — und man ist auf dem Wege des Zweifels; und wenn man die Lebensverhältnisse der Unterdrückten selber durchlebt hat, findet man sich eines Tages als junger Landesherr in einen wissenden und skeptischen Mann verwandelt, der ebenso sehr aus Güte wie aus Verachtung nachsichtig geworden ist, und der sich wohl zu beurteilen weiß, während er handelt.

Nachdem er lange ohne Sinn und Verstand sich betätigt hat, wird er in Zukunft nur noch mit gutem Vorbehalt handeln und allen zu jähen Impulsen mißtrauen. Wenn man nach alledem von ihm sagen kann, daß er sich — vermöge seiner Vernunft — über seine Leidenschaften erhoben hat, so dankt er es der Zeit der Gefangenschaft, während der er sie durchdacht hat. Wahrhaftig, es bedurfte einer wunderbaren Ausgeglichenheit, um nicht während einer solch langen Prüfungszeit zu fallen. Einzig eine so maßvolle und so ausgeglichene Natur konnte sich ungestraft den lockeren Sitten dieses Hofes hingeben. Auch sie einzig nur konnte sich in die Tiefe eines wilderregten Gedankens hinabwagen und bei alledem doch noch fähig bleiben, zu jener Heiterkeit der Seele zurückzufinden, in der sich die großmütigen Taten vollziehen, ja sogar noch die einfachsten Handlungen, die der gesunde Menschenverstand verlangt.

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Die große Gefahr für den Denker ist, zu viel zu verstehen, und für den Gefangenen, zu lange zu zögern. Da ist er, dieser Gefangene des Luxus, der Mußestunden und Frauen hat, und der sich von seinen Vergnügungen und den unfruchtbaren Zerstreuungen seines Geistes aufhalten läßt. Indes sieht er zu, wie machtgierige Fanatiker ein Königreich, das er später wiederherstellen soll, bis ins Lebensmark gefährden. Zum Glück bleiben ihm Freunde, die ihn zurechtweisen, und eine Schwester, die ihn zu gegebener Zeit ohrfeigt, ja es taucht sogar ein Geist auf, der ihn wieder zu sich bringt, um ihn an seine Pflichten zu gemahnen. Im Grunde braucht er nicht soviel, und wenn erst sein Tag gekommen ist, wird er von selber seinen Aufschwung nehmen. Seine eigene schöne moralische Gesundheit verleiht ihm den Vorteil über alle Maßlosigkeiten seines Zeitalters. Wie einem gewissen Edelmann unter seinen Freunden «verschlägt Maßlosigkeit selbst im Guten ihm die Rede, wenn sie ihm nicht geradezu zuwider ist; und er hat keinen Namen dafür». Demgegenüber weiß er das Zauberwort, mit dem er seine Begabung und seine Rechte kundgibt. Indem er sich auf seinen Titel eines «Prinzen vom Geblüt» stützt, beharrt er in Wahrheit auf den Vorrechten seiner moralischen Persönlichkeit.

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Er hat den Kampf gewählt: hat er sich wohl recht klargemacht, was Kämpfen bedeutet? Das heißt vor allem: vielfältige Mühen durchstehen, ohne sie gering zu achten, sie, die oft ganz umsonst oder von geringfügigster Tragweite sind. Am Anfang des Lebens liefert man nicht gleich große Entscheidungsschlachten. Man ist schon glücklich, wenn man sich im Schweiße seines Angesichts behaupten kann in einem lange währenden dunklen Ringen, das von Tag zu Tag neu zu bestehen ist. Während er so Stein um Stein der widerspenstigen kleinen Städte und eine sich zur Wehr setzende Provinz nimmt, hat dieser künftige König ganz das Aussehen eines Arbeiters, obwohl seine Arbeit von einer besonderen Art ist. Er muß zuerst einmal leben, und als Armer bezahlt er durch Arbeit. Das bedeutet, daß er die Wirklichkeit als Durchschnittsmensch kennenlernt. Das ist etwas bemerkenswert Neuartiges: der Fürst eines großen Königreiches, das ohne ihn der Auflösung entgegenginge, tut seine ersten Taten, indem er das allgemeine Elend durchlebt. Er hat Feinde und Liebschaften, die nicht immer seiner würdig sind, weder die einen noch die andern, und die er gewiß nicht haben würde, spielte er den Stolzen.

Das könnte ihn sehr wohl hart und grausam machen, wie es im allgemeinen bei denen der Fall ist, die von unten heraufkommen. Aber gerade er kommt ja nicht von unten herauf. Er macht nur das Leben der Niederen durch. Das erlaubt ihm, großmütig zu sein und sich auf alles das zu berufen, was der Mensch an Menschlichem in sich haben kann. Im übrigen hatte ihn die Erziehung, die er in den Jahren seiner Gefangenschaft erfahren hatte, zum Humanisten vorbereitet. Die Kenntnis des menschlichen Innern ist wohl die kostbarste Erkenntnis eines Zeitalters, dessen Fürst er sein wird. Achtgeben! Das ist ein einzigartiger Augenblick in der Geschichte dieses Teils der Welt, die sich — und sogar für mehrere Jahrhunderte — moralisch zurechtfinden will. Dieser Prinz aus den Pyrenäen, der darauf und dran ist, das Königreich Frankreich zu erobern, könnte auf den Rat eines Machiavelli gehört haben: nichts damit, da würde er keinen Erfolg haben. Doch der tugendhafte Mornay leitet ihn und unterwirft ihn sogar Prüfungen, die ein anderer nicht ertragen hätte. Wenn ihr seht, wie Henri in die schmachvollsten Geheimnisse des Wesens, das er am höchsten verehrt, eingeweiht wird und wie er all das schweigend erleidet, dann könnt ihr ermessen, was er für die Menschen vollbringen kann.

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Unmerklich gewinnt er Boden. Alles ist ihm dabei dienlich, sowohl seine eigenen Anstrengungen wie auch die Anstrengungen der anderen, die ihn zurückdrängen oder ihn töten wollen. Eines Tages gewahrt man, daß er berühmt ist und daß das Glück ihn zeichnet. Nun, sein wahres Glück ist seine natürliche Festigkeit. Er weiß, was er will: dadurch zeichnet er sich vor den Unentschlossenen aus. Er weiß vor allem, was recht und gut ist, und wird vom Bewußtsein derer, die seinesgleichen sind, darin anerkannt. Das macht ihn frischweg zu einem Besonderen. Niemand unter denen, die sich in einer solch trüben Atmosphäre bewegen, ist der moralischen Gesetze so sicher wie er. Man suche nicht noch weiter die Ursprünge seines Rufes, der niemals mehr verdunkelt werden wird. Seine damalige Zeitgenossen, wie die anderen Epochen, haben die Gewohnheit, sich jedem Erfolg zu beugen, selbst dem ruchlosesten, der sich aller Verantwortung für ledig erklärt, sobald er erst einmal diesen Engpaß hinter sich hat, durch den ein Wind des Wahnsinns stürmte. Im Gegenteil dazu waren die Erfolge Henris nicht dazu angetan, die Menschen zu demütigen, was die meisten glückhaften Führer kaum vermeiden können. Die seinen sollten die Menschen vielmehr in ihrer eigenen Wertschätzung erhöhen. Nicht oft sieht man den Erben einer Krone, den die herrschende Partei gewaltsam zurückstößt, durch großartige Ehrlichkeit für die eigene Sache den König gewinnen, der er eigentlich bekämpfen müßte. Wie gern möchte er diesem König beistehen, anstatt ihn schmälern zu müssen, ihn samt seinem Königreich. Er hat seine Stunden der Schwachheit gehabt, und die Versuchung, allem ein Ende zu machen, ist ihm nicht unbekannt geblieben. Das ist seine Sache. An der Art, wie er sich dem Throne näherte, hat er der Welt begreiflich gemacht, daß man stark sein und dabei doch menschlich bleiben kann und daß man die Königreiche verteidigt, indem man schlichthin die gesunde Vernunft verteidigt.

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Der Endsieg wird nicht nur erkauft durch sein Selbstopfer: Henri wohnt dem Hinopfern von Wesen bei, die er hätte erhalten wollen. Schon hatte er der Gefährtin seiner schweren Jahre Lebewohl sagen müssen. Nun muß auch noch der Valois, sein Vorgänger, hinweggehen; und dennoch liebte Henri ihn auf seine sehr persönliche Art, ihn, den er aus den Händen seiner Feinde errettet hatte. «Sein Geist war mehr damit zufrieden» und zog es vor, sich mit der Vergangenheit in Einklang zu setzen, statt sie abzuschwören. Mit dem Sinn für das Leben paßt man sich sehr vielen Notwendigkeiten an. Die am wenigsten annehmbare für einen wohlgebildeten Geist ist: das Urteil sich häufen zu sehen. Zu viele Persönlichkeiten, die mit seinem Dasein verbunden waren, sind von den Schicksalsschlägen hinweggerissen worden, und der Tod hat ihm allzu gut den Weg bahnen wollen. Auf dem Schlachtfelde von Arques weint der von allzu vielem Kämpfen in Schweiß gebadete König, indes der Siegesgesang erschallt. Seine Tränen sind teils Tränen der Freude, teils vergießt er sie über seine Toten und über alles, was mit ihnen dahingegangen ist. An jenem Tage endete seine Jugend.

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