9

»Ihr habt keine Glocken an eurem Kaiilageschirr!« sagte der Mann und bedrohte uns mit seiner Lanze.

»Wir kommen in friedlicher Absicht«, sagte Hassan. »Hast du einen Stahlturm gesehen oder davon gehört?«

»Das ist eine verrückte Frage!« rief der Mann.

Hassan zog seine Kaiila zur Seite und ritt weiter. Ich folgte ihm, hinter mir ritten Hassans neun Männer und das Sklavenmädchen Alyena. Der Nomade stand im Sand, die Lanze aufgestützt, und blickte uns nach. Hinter ihm drängte sich eine Herde aus elf Verr, die an dem bräunlichen Verrgras zupften. Er hätte die kleinen Tiere bis auf den letzten Blutstropfen verteidigt. Aus ihrer Milch und Wolle bezogen er und seine Familie ihr Einkommen.

»Vielleicht gibt es diesen Stahlturm gar nicht«, sagte ich zu Hassan.

»Wir setzen die Suche fort«, sagte er.

Ich hatte inzwischen die Tahari in den verschiedensten Stimmungen erlebt. Seit zwanzig Tagen waren wir nun schon in der Wüste unterwegs. Einmal war im Süden eine gewaltige schwarze Wolkenwand aufgestiegen, begleitet von prickelnden Staubwolken. Wir waren abgestiegen, hatten unsere Kaiila angebunden und hatten dem Sturm den Rücken zugedreht. Aus unseren Vorratsbündeln hatten wir einen Wall errichtet und uns dahinter niedergekauert, wobei wir die Burnusse enger um den Leib zogen. Hassan hatte das Mädchen unter sein Gewand gezogen. Zwei Tage lang hatte uns der Wind bestürmt, und wir hatten nach Taharimanier geduldig gewartet. Wir hatten uns kaum gerührt und nur ab und zu eine Verrhaut mit Wasser und einen Lederbeutel mit SaTarnaBrei herumgehen lassen. Der Wind legte sich so schnell er gekommen war, abrupt kehrte die Sonne an den Himmel zurück und bestrahlte uns in alter Wildheit und Schönheit das Zepter ihres Lichts und ihrer Hitze schwebte wieder über dem endlosen Land. Hassan richtete sich als erster auf. Er schüttelte sich den Sand aus dem Burnus. Alyena kroch heraus und reckte sich wie ein weiblicher Sleen. Die Mauer aus Lastbeuteln war halb vorn Sand begraben.

»Ein schrecklicher Sturm«, sagte ich.

Er lächelte. »Du stammst nicht aus der Tahari«, bemerkte er. »Du kannst dich freuen, daß jetzt im Frühling der Wind nicht von Westen geweht hat.« Und er wandte sich an Alyena. »Mach uns Tee.«

»Jawohl, Herr.«

Zwei Tage später hatte es zu regnen begonnen.

Zuerst hatte ich die dunklen Wolken willkommen geheißen und meinen Burnus zurückgestreift, damit mir der kräftige Regen das Gesicht benetzte. In wenigen Ehn fiel die Temperatur um etwa dreißig Grad. Auch Alyena freute sich zuerst. Die Taharibewohner jedoch suchten auf dem kürzesten Wege höheren Grund auf. In der Tahari gibt es wenig Regenerosion, was zur Folge hat, daß für den Transport von Wasser nur wenige natürliche Abflüsse zur Verfügung stehen. Wenn Regen fällt, dann oft in großen Mengen; die Folgen im flachen Land, im lockeren Sand, sind leicht vorstellbar.

Schon wenige Minuten nach Einsetzen des Regens mußten wir absteigen, um unsere verängstigten Kaiila auf höhergelegenes Gebiet zu führen. Die Tiere sanken bis zu den Knien in den Schlamm ein; sie mühten sich mit rollenden Augen ab, und wir mußten mit zugreifen, damit wir überhaupt weiterkamen. Schließlich fanden wir Schutz am Fuß einer Felsformation.

Hassan setzte Alyena, die er auf den Schultern getragen hatte, neben sich ab.

»Dies ist erst der vierte Regen in meinem Leben«, sagte er.

»Herrlich!« rief Alyena.

»Kann man in diesem Schlamm ertrinken?« wollte ich wissen.

»Das ist unwahrscheinlich«, sagte Hassan. »Der Schlamm ist nicht so tief, daß ein Mensch darin versinken müßte. Kleine Tiere schwimmen förmlich in der Masse. Die Hauptgefahr besteht darin, daß eine Kaiila sich zu sehr anstrengt, das Gleichgewicht verliert und sich die Beine bricht.« Ich stellte fest, daß Hassans Männer ihren Reittieren Decken über die Köpfe gelegt hatten, damit sie von dem Unwetter nichts mitbekamen, damit sie nicht vom Regen benetzt wurden, der ein unbekanntes Phänomen für sie war und sie in Panik versetzen konnte.

»Man muß es natürlich vermeiden«, fuhr Hassan fort, »sein Lager in einem ausgetrockneten Wasserlauf aufzuschlagen. Ein Unwetter, von dem man vielleicht gar nichts weiß, weil es viele Pasang entfernt niedergeht, kann so ein Flußbett urplötzlich füllen, und die Flutwelle kann das ganze Lager zerstören und die Lagernden in Lebensgefahr bringen.«

»Gibt es bei solchen Unfällen oft Tote?«

»Nein«, sagte Hassan. »Die Angehörigen der Tahari lagern nicht an solchen Orten. Wer aber so töricht ist, kann sich meistens retten durch Schwimmen.«

Viele Taharibewohner können interessanterweise schwimmen. Die Nomadenjungen lernen es im Frühling, wenn die Wasserlöcher voll sind. Den Bewohnern der größeren Oasen stehen Badeanlagen zur Verfügung. Unter einem ›Bad‹ versteht man in der Tahari weniger eine kleine Wanne als eine Mischung aus Reinigung und Schwimmsport, einen genußvollen Aufenthalt im Wasser, dem gewöhnlich eine Behandlung mit Öl und ein angenehmes Trockenrubbeln folgt. Eine der Freuden in größeren Oasen ist die Badegelegenheit. In der Oase der Neun Brunnen gibt es zum Beispiel zwei öffentliche Badeanstalten. Innerhalb einer Ahn nach dem Ende des Regens brannte die Sonne wieder gnadenlos vom Himmel, der Boden war wieder begehbar, das Wasser verlor sich im Sand. Den Tieren wurden die Hauben abgenommen, und wir stiegen auf und setzten unsere Suche fort. Einen Tag später tauchten die Fliegen auf. Zuerst hielt ich den Schwarm für ein neues Unwetter aber das war ein Irrtum. Etwa vier Ehn lang war die Sonne von gewaltigen Insektenwolken verdunkelt. Wie ein trockener Regen umschwirrten uns die winzigen Tiere. Ich spuckte sie aus, ich hörte Alyena schreien. Die Hauptschwärme waren schnell vorbei, und obwohl wir nur den Rand des Insektenzuges mitbekamen, krochen viele tausend schwarze Punkte über unsere Kleidung und über das Fell der Kaiila. Kurz darauf kamen zwitschernd und flatternd die Zadits. Wir stiegen ab, führten die Kaiila an den Zügeln und überließen es den Vögeln, die Reittiere nach Insekten abzusuchen. Die Zadits blieben gut zwei Tage bei uns, ehe sie wieder verschwanden.

Und heiß brannte die Sonne vom Himmel. Trotzdem wünschte ich mir nicht, daß der Regen so bald zurückkehrte.

Hassan wandte sich an einen anderen Nomaden, dem wir uns genähert hatten. »Wo, mein Freund, finden wir den Stahlturm?«

»Stahlturm? Davon habe ich noch nie gehört«, sagte der Mann vorsichtig. »In der Tahari gibt es doch keine Stahltürme.«

Wir setzten unseren Ritt fort.

In der Nacht zeigt sich die Tahari für meinen Geschmack von ihrer schönsten Seite. Während des Tages kann man sie kaum richtig ansehen, denn die Hitze und die Luftspiegelungen verzerren viel. Am Tage wirkt die Wüste gefährlich, grellweiß, wabernd vor Hitze, blendend, brennend; die Menschen müssen ihre Augen schützen, manche wurden schon blind; Frauen und Kinder bleiben in den Zelten. Doch wenn der Abend heranrückt, wenn die Sonne untergeht, verändert sich der Eindruck; das endlose, felsige, rauhe Terrain scheint zugänglicher und milder zu werden. In dieser Zeit pflegte Hassan, der Bandit, sein Lager aufzuschlagen. Bei Sonnenuntergang malten sich Hügel, Sand und Himmel in vielen hundert Rottönen, und mit dem Schwinden des Lichts verwandelte sich dieses Rot in tausend schimmernde Goldfärbungen, die langsam in Blau und Purpur übergingen, kurz bevor völlige Dunkelheit eintrat.

In dieser Abendstunde setzte sich Hassan manchmal vor sein Zelt. Wir störten ihn nicht. Seltsamerweise ließ er in diesen Minuten nur Alyena zu sich. Sie allein durfte neben ihm sitzen oder liegen. Manchmal streichelte er ihr Haar oder ihre Wange, als wäre sie gar keine Sklavin, sondern etwas ganz anderes. Und wenn die Sterne dann eine Zeitlang am Himmel gefunkelt hatten, fuhr er plötzlich lachend hoch, hob ihren Rock und begann sich intensiver mit ihr zu befassen.

»Nein«, sagte ein Nomade. »Ich habe keinen Stahlturm gesehen, und auch nicht von einer solchen Erscheinung gehört. Gibt es denn so etwas überhaupt?«

»Vielen Dank«, sagte Hassan und gab seinem Tier die Sporen. Die Nomadenlager wurden seltener. Die Oasen lagen weiter auseinander. Wir drangen weiter in den Osten der Tahari vor. Einige Nomaden lassen ihre Frauen verschleiert gehen, andere nicht. Manche junge Mädchen der Tahari schmücken ihre Gesichter mit kohlegezeichneten Mustern. Nomadenmädchen sind in der Regel sehr hübsch. Die Nomadenkinder tragen bis zum Alter von fünf oder sechs Jahren keine Kleidung. Am Tage verlassen sie den Schatten der Zelte nicht. Abends jedoch stürmen sie ins Freie und spielen. Ihre Mütter bringen ihnen die taharische Schrift bei, indem sie die Buchstaben in den Sand malen. Die meisten Nomaden in dieser Gegend waren Tashid, ein Stamm, der sich mit den Aretai verbündet hatte. Vielleicht ist es interessant, festzuhalten, daß die Kinder der Nomaden etwa achtzehn Monate lang gesäugt werden, erheblich länger als auf der Erde und auch länger als im übrigen Gor. Diese Kinder finden eine feste Bindung in der Familie als verläßliche, selbstsichere Menschen, die ein offenes Wort lieben. Im Kreise der Nomaden hört jeder Erwachsene auf die Kinder, die ja auch Mitglieder des Stammes sind. Die Nomadenmütter waschen ihre Kleinkinder ständig, selbst wenn sie nur eine Tasse mit Wasser zur Verfügung haben. Die Kindersterblichkeit ist bei den Nomaden sehr gering, trotz der einseitigen Ernährung und der rauhen Umgebung. Die Erwachsenen kommen dagegen monatelang ohne frische Wäsche aus. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die schmutzige Haut und den Geruch, der zuerst abstoßend ist, aber nach kurzer Zeit nicht mehr auffällt.

»Dort ist eine Oase!« rief ich gegen Mittag des nächsten Tages.

»Nein«, sagte Hassan.

»Ich sah die weißen Gebäude, die Kuppeldächer, die Palmen und Gärten, die hohen Stadtmauern aus rotem Lehm.

Ich blinzelte. Das Bild kam mir nicht wie eine Illusion vor. »Siehst du sie denn nicht?« fragte ich Hassan und die anderen.

»Ich sehe sie!« erwiderte Alyena.

»Wir alle sehen das Bild«, sagte Hassan. »Aber es ist nicht vorhanden.«

»Du sprichst in Rätseln«, sagte ich.

»Es handelt sich um eine Spiegelung«, behauptete er.

Ich sah mir die Erscheinung genauer an, die wirklich nicht wie eine Spiegelung aussah. Ich kannte zwei Arten von Spiegelungen in der Wüste, wie sie ab und zu von normalen Menschen wahrgenommen werden; ich meine nicht die Irrbilder eines ausgetrockneten Körpers und von der Sonne verwirrten Geistes, nicht die ureigenen Halluzinationen eines solchen leidenden Wüstenreisenden. Bei der gewöhnlichsten Spiegelung handelt es sich lediglich um eine visuelle Fehlinterpretation als Folge von Hitzewellen, die über der Wüste wogen. Wenn der Himmel in der emporsteigenden erhitzten Luft reflektiert wird, fällt das Abbild womöglich noch täuschender aus, denn die Oberfläche des eingebildeten ›Sees‹ wirkt in der Spiegelung des Himmels blau und deshalb noch wasserähnlicher. Eine zweite oft vorkommende Spiegelung ist die Interpretation eines gemischten Terrains, gewöhnlich Gestein und Unterholz, das sich in den emporsteigenden Hitzewellen als Oase mit Wasser, Palmen und Gebäuden darbietet. Jede Sinneswahrnehmung ist eine ziemlich komplizierte Sache es handelt sich um die Einwirkung von Energien auf Sinnesorgane, und um die Umwandlung dieser Energien in eine interpretierbare visuelle Welt. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß in der Wüste eine gesunde, normale Person solche Einwirkungen fehlinterpretiert und aus Lichtenergien, die über einer erhitzten Oberfläche aus Gestein und Unterholz reflektiert werden, eine ganze Oase mit Gebäuden und Bäumen erstehen läßt.

Doch das Bild, das ich in der Ferne erblickte, schien in seiner Klarheit absolut real zu sein. Ich drehte den Kopf hin und her. Ich schloß und öffnete die Augen.

»Nein«, sagte ich. »Ich sehe sie ganz deutlich die Oase der Schlacht am Roten Felsen, die unser Ziel ist.«

»Aber dort ist nichts«, sagte Hassan.

»Besitzt die Oase des Roten Felsens am Nordostrand eine Kasbah mit vier Türmen?«

»Ja.«

»Dann sehe ich diese Oase!«

»Nein«, sagte Hassan.

»Ich kann fünf Palmenhaine ausmachen.«

»Ja.«

»Im Osten der Oase liegen Granatäpfelgärten«, fuhr ich fort. »Im Innern erstrecken sich Gärten. Zwischen zwei Palmenhainen liegt sogar ein Teich.«

»Das stimmt alles«, sagte Hassan gelassen.

»Vor uns liegt die Oase des Roten Felsens!«

»Nein«, widersprach Hassan.

»Ich kann mir das doch nicht alles einbilden!« sagte ich. »Ich bin noch nie in der Oase des Roten Felsens gewesen. Schau doch! Die Kasbah hat ein großes Tor, das uns zugewendet ist. Auf den Türmen wehen zwei Flaggen.«

»Wimpel der Tashid und der Aretai.«

»Wir reiten um die Wette zur Oase!« sagte ich.

»Sie ist nicht vorhanden«, sagte er. »Wir treffen erst morgen nachmittag dort ein.«

»Ich sehe sie doch!«

»Ich will mich klar äußern«, sagte Hassan. »Du siehst sie, und doch siehst du sie nicht.«

»Ich freue mich, daß du dich zu einem klaren Wort entschlossen hast trotzdem verstehe ich nichts.«

»Reite doch weiter«, meinte Hassan.

Achselzuckend grub ich meiner Kaiila die Hacken in die Flanken und lenkte sie den Hang hinab auf die Oase zu. Ich war kaum fünf Ehn geritten, als die Oase plötzlich verschwand. Ich zügelte das Tier. Vor mir erstreckte sich nichts als die Wüste.

Ich schwitzte. Es war heiß. Vor mir lag die endlose Tahari.

»Ein interessantes Phänomen, nicht wahr?« erkundigte sich Hassan, als er und die anderen zu mir stießen. »Die Oase wird in einem Spiegel aus Luft darüber reflektiert.«

»Wie von Spiegeln?« fragte ich.

»Richtig«, sagte Hassan. »Die Luftschichten wirken sich wie Spiegel aus. Ein Dreieck aus reflektiertem Licht bildet sich. Dabei ist die Oase der Schlacht am Roten Felsen noch siebzig Pasang entfernt.«

»Woher wußtest du, daß das alles nur eine Spiegelung war?« wollte ich wissen.

»Ich bin in der Tahari geboren«, sagte er.

»Aber woher wußtest du, daß es eine Reflexion und nicht die wirkliche Oase war?«

»Ich kenne die Entfernungen«, erwiderte er. »Wir waren noch nicht so weit geritten, daß wir dicht vor unserem Ziel sein konnten.«

»Jemand, der nicht aus der Tahari stammt, hätte bei diesem Anblick sein Wasser falsch einteilen und damit sein Leben riskieren können.«

»In der Tahari ist es ratsam, ein Mann der Tahari zu sein«, sagte Hassan, »sonst ist das Überleben sehr schwer.«

»Ich will versuchen, ein Mann der Tahari zu sein«, sagte ich.

»Dabei werde ich dir helfen«, sagte Hassan.

Erst am nächsten Tag, zur elften Ahn, eine Ahn nach der goreanischen Mittagsstunde, trafen wir in der Oase des Roten Felsens ein. Über der Stadt ragte die Kasbah des Herrschers Turem a’Din auf, der Befehlshaber des hiesigen Tashid-Klans war. Die Oase besaß fünf Palmenhaine. Im Osten der Oase lagen Granatäpfelgärten. In den tieferen Sektionen, zur Mitte hin, erstreckten sich Privatgärten. Zwischen zwei Hainen aus Dattelpalmen befand sich ein großer See. Die Kasbah verfügte über ein großes Tor, und auf den vier Türmen wehten Wipfel mit den Symbolen der Tashid und der Aretai.

»Hast du Angst, die Oase eines mit den Aretai verbündeten Stammes zu betreten?« fragte Hassan.

»Wir kommen von der Oase der Neun Brunnen«, sagte ich.

»Auch ich nehme nicht an, daß wir in Gefahr schweben«, meinte Hassan.

Nach Art einer Karawane ritten wir hintereinander in die Oase ein. Alyena ritt als vorletzte in der Kolonne; einer von Hassans Männern folgte ihr, der Schlußwächter, der die Landschaft hinter der Karawane im Auge behalten und darauf achten muß, daß keine Sklavinnen entfliehen. Die Oase vor uns hatte ihren Namen nach der Schlacht am Roten Felsen, bei dem es sich um einen Vorsprung aus rötlichem Sandstein hinter der Oase handelt. Die Felsformation diente dem Kommandanten der Aretai, Hammaran, als Aussichtspunkt. Von diesem Felsen aus schickte er im entscheidenden Stadium der Schlacht seine sorgfältig geschulte Kavallerie und seine Leibwächter in den Kampf und führte damit die Entscheidung zu seinen Gunsten herbei. Der Tashid-Kommandant jener Tage, Ba’Arub, starb auf der Sandsteinhöhe bei dem Versuch, Hammaran zu töten. Es heißt, er sei bis auf zehn Meter an sein Ziel herangekommen. Außerdem wird behauptet, daß er hätte siegen können, wenn er nur lange genug in seiner Kasbah ausgehalten hätte, denn Hammaran hätte sich nach einer gewissen Zeit zurückziehen müssen. Es ist schwierig, in der Tahari eine langwierige Belagerung durchzuhalten. Bei den Belagerern werden die Nahrungsmittel schnell knapp, während die Vorräte einer Kasbah für längere Zeit berechnet sind. Die Nachschublinien sind lang und lassen sich kaum verteidigen. Hätte Ba’Arub die Brunnen außerhalb der Kasbah zerstören lassen, hätte Hammaran innerhalb von vierundzwanzig Stunden abrücken müssen, wobei er vermutlich auf dem Rückmarsch den größten Teil seiner Männer verloren hätte. Aber da er ein Abkömmling der Tahari war, wollte sich Ba’Arub den Überlieferungen zufolge auf eine solche Handlungsweise nicht einlassen. So wird nun von ihm berichtet, daß er vor seinem Tod bis auf zehn Meter an Hammaran herangekommen sei.

Die Oasenbewohner beobachteten uns ziemlich neugierig, wie es immer geschieht, wenn Fremde in eine Oase kommen, doch ihr Verhalten verriet keine Nervosität oder Feindseligkeit. Von Auseinandersetzungen und Überfällen schien man hier noch wenig zu wissen.

Ein Kind lief neben dem Steigbügel Hassans her. »Du hast keine Glocken an deiner Kaiila!« rief der Junge.

»Räuber haben sie uns gestohlen«, erwiderte Hassan. Das Kind lachte und rannte davon.

»Wir suchen uns eine Schänke«, sagte Hassan.

Die Schlacht am Roten Felsen fand vor gut siebzig Jahren statt, im Jahre 10051 C.A., im sechsten Jahr der Herrschaft Ba’Arub Paschas. Seit dieser Zeit sind die Tashid ein Vasallenstamm der Aretai. Obwohl es gewisse äußere Tribute gibt, beispielsweise die Befreiung von Aretai-Kaufleuten von der Karawanensteuer, ist ein verbündeter Stamm in seinem Heimatgebiet fast völlig autonom; er verfügt über eigene Anführer, Magistrate, Richter und Soldaten. Die Bindung liegt im wesentlichen auf dem militärischen Sektor. Durch Tahari-Eid, ausgesprochen über Wasser und Salz, ist der Vasallenstamm verpflichtet, den siegreichen Stamm bei seinen Militäraktionen zu unterstützen mit Vorräten, Kaiila und Soldaten. So gesehen ist ein Vasallenstamm eine Militäreinheit, die dem siegreichen Stamm unterstellt ist eine militärische Macht, die der Sieger vor weiteren Kämpfen seinen Streitkräften hinzurechnen kann. Eroberte Feinde werden auf diese Weise zu Teilen der eigenen Truppe, zu Verbündeten. Die Feinde von gestern verwandeln sich in die verschworenen Freunde von heute. Ich besitze keine näheren Informationen über die historischen Grundlagen dieser ungewöhnlichen gesellschaftlichen Einrichtung, doch sie führt in der Praxis zu einer Befriedung großer Teile der Tahari. So sind zum Beispiel kriegerische Auseinandersetzungen zwischen siegreichen Stämmen und rebellierenden Vasallenstämmen äußerst selten. Ein weiteres und vielleicht nicht ganz so positives Ergebnis ist der Umstand, daß sich die verschiedenen Stämme zu immer größeren militärischen Gruppierungen zusammenfinden. Kam es nun zwischen den führenden Stämmen zum Krieg, war nicht ausgeschlossen, daß das gesamte Wüstengebiet davon ergriffen wurde. Diese Gefahr sah ich im Augenblick, denn die Aretai und die Kavars waren die beiden mächtigsten Stämme in der Tahari. Natürlich sind nicht alle Stämme Vasallen oder Vasallenführer. Es gibt auch einige unabhängige Gruppen. Alles in allem dient die Beziehung eines Vasallenstammes zu seinem führenden Stamm mehr dem Frieden als jedes andere System. Es mag als glücklicher Umstand angesehen werden, daß es ein solches Arrangement gibt, denn die Männer der Tahari sind wie alle Goreaner äußerst stolz und leicht zu kränken. Sie fühlen sich rasch in ihrer Ehre angegriffen. Außerdem haben sie Freude am Kämpfen und bedürfen nur des geringsten Vorwands, um mit gelockerten Krummsäbeln in den Sattel zu steigen. Schon das Gerücht über eine Beleidigung kann schlimme Folgen haben. Ein guter Kampf, so habe ich manchen Mann aus der Tahari begeistert sagen hören, rechtfertigt jede Konsequenz. Abschließend sollte ich vielleicht noch sagen, daß der Grund für Hammarans Vorstoß zum Roten Felsen vor siebzig Jahren nicht mehr bekannt ist, weder bei den Aretai noch bei den Tashid. Die Ursache des Krieges ist vergessen, doch die Heldentaten der Auseinandersetzung werden noch heute an den Lagerfeuern erzählt.

»Wir übernachten hier«, sagte Hassan und zügelte seine Kaiila vor einem Wirtshaus. Wir stiegen ab und befreiten die Tiere von Sätteln und Lasten. Jungen kamen herausgeeilt und führten unsere Kaiila in die Ställe. Zwei von Hassans Männern gingen mit, um sich zu überzeugen, ob die Tiere auch wirklich gut versorgt wurden. Einer von Hassans Kämpfern half Alyena beim Absteigen. Sie machte einige schnelle Schritte und kniete neben Hassan nieder.

Wir sammelten Sättel, Vorräte, Wasserbeutel und sonstige Besitztümer ein. Jeder Mann trug seinen eigenen Sattel. Sättel haben in der Tahari einen besonderen Wert, und jeder Reiter kümmert sich um seine Kaiilaausrüstung. Die Nomaden nehmen die Sättel abends mit ins Zelt. Das Wasser, das wir mitgebracht hatten, wurde nicht etwa fortgeschüttet, sondern mußte nach dem ungeschriebenen Gesetz der Tahari in die Zisterne der Taverne entleert werden. Auf diese Weise wird das Wasser einer vernünftigen Verwendung zugeführt und erspart den Helfern der Schänke unnötige Wassertransporte von den Brunnen der Oase. Beim Verlassen der Oase füllt eine Karawane ihre Wasserbeutel natürlich nicht im Hause, sondern am öffentlichen Brunnen. Hassan trug seinen Sattel und andere Besitztümer über der Schulter und betrat das Wirtshaus. Seine Männer, Alyena und ich folgten ihm. Die Sklavin, die einen Wasserbeutel trug, wurde von einem der Schänkenjungen zur Zisterne geführt. Die Männer, die ebenfalls Wasser auf dem Rücken trugen, folgten ihr.

»Hast du in letzter Zeit von einem Stahlturm reden hören?« wandte sich Hassan an den Schänkenwirt.

Wie sich herausstellte, hatte niemand von einem so seltsamen Gebilde gehört niemand konnte sich einen Stahlturm in der Wüste vorstellen. Dieser Umstand bekümmerte Hassan natürlich, und auch ich freute mich nicht gerade, denn die Oase der Schlacht am Roten Felsen war in östlicher Richtung die letzte große Oase. Die nächste wichtige Niederlassung befand sich fast zweitausend Pasang entfernt, am Rande des gefürchteten Dünengebietes. Natürlich gibt es auch im Dünenland Oasen, die aber klein und selten sind und oft mehr als zweihundert Pasang voneinander entfernt liegen, sie sind nicht leicht zu finden; im welligen Dünengebiet kann es passieren, daß man ahnungslos in zehn Pasang Entfernung an einer Oase vorbeireitet, ohne eine Spur davon zu entdecken. Außer den Salzkarawanen wagt sich kaum jemand in das Dünenland. Die Handelskarawanen halten sich mehr an die westlichen oder an den fernen östlichen Rand der Tahari; wer keinen wichtigen Grund hat, meidet das Gebiet der gefährlichen Dünen.

Hassan und ich zweifelten eigentlich nicht daran, daß der rätselhafte Stahlturm, wenn es ihn überhaupt gab, im Dünenland zu finden sein mußte. Wenn das nicht der Fall war, hätte irgendein Nomade oder Kaufmann, irgendein Schänkenwirt oder Treiber sicher davon gehört. Stand der Turm jedoch im Dünenland, mochte er sich tausend Jahre dort befinden, ohne jemals entdeckt zu werden.

Die Kurii hatten die Sklavenflüge von der Erde nach Gor eingestellt. ›Gebt Gor auf ‹, das war das Ultimatum, das dem Sardargebirge gestellt wurde. Ein einsamer Kur war gefangengenommen worden sein Ziel lag vermutlich im Dünengebiet. Auf einem Felsen war eine Inschrift entdeckt worden: ›Vorsicht vor dem Stahlturm‹. Und bei Samos in Port Kar war ein Botenmädchen aufgetaucht: ›Vorsicht vor Abdul‹ hatte auf ihrer Kopfhaut gestanden. Nur dieser Teil des Rätsels schien bisher gelöst zu sein. Abdul das war der kleine Wasserverkäufer in Tor, ein unwichtiger Mann, der vermutlich für die Kurii gearbeitet hatte. Sie mußten ein Interesse daran haben, mich von der Tahari fernzuhalten. Doch während dieses Problem gelöst zu sein schien, wußte ich nicht, wer die Warnung geschickt hatte. Offen blieb auch die Frage nach dem unsichtbaren Kur, der in der Oase der Neun Brunnen in meine Zelle eingedrungen war, ohne mich zu töten. Das Wesen war schwer verwundet worden; Ibn Saran hatte mir mitgeteilt, er hätte das Ungeheuer anschließend getötet. Es blieben noch viele Fragen offen.

»Wir reisen morgen früh weiter«, sagte Hassan zu mir und streckte sich.

»Hier scheint der Stahlturm unbekannt zu sein.«

In der Tat schien es sich in der Oase des Roten Felsens noch nicht herumgesprochen zu haben, daß eine Gruppe Aretai vor einigen Tagen die Bakah-Oase der Zwei Krummsäbel angegriffen haben sollte. Niemand sprach davon. Wäre der Zwischenfall bekannt gewesen, hätte man ihn sicher gründlich diskutiert. Offenbar wußte in der breiten Bevölkerung niemand davon. Wären wirklich Aretai dafür verantwortlich gewesen, hätte sich die Oase auf Vergeltungsmaßnahmen der Kavars vorbereitet.

Im Grunde war es nicht ungewöhnlich, daß die Wüstenbewohner am Roten Felsen noch nichts von dem Angriff wußten - die Nachricht war noch nicht in diesen entlegenen Winkel der Tahari vorgedrungen. Da die Oase der Schlacht am Roten Felsen unter der Verwaltung der Tashid stand, eines Vasallenstammes der Aretai, stand natürlich nicht zu erwarten, daß ein Bakah oder ein anderes Mitglied der Kavargemeinschaft einen Freundschaftsbesuch machte und die Neuigkeit überbrachte - im Gegenteil. Die Kavars würden es darauf anlegen, die von den Aretai beherrschten Gebiete zu meiden, bis man zumindest eine ausreichend große Streitmacht beisammen hatte, die den Aretai und ihren Verbündeten mit Waffengewalt die Aufwartung machen konnte.

»Ich bin erschöpft«, sagte Hassan. »Ich gehe zu Bett.« Alyena hatte er bereits nach oben geschickt. Seine Männer wohnten ebenfalls im Obergeschoß. »Wie spät ist es?« fragte er und sah sich um. Einer der Schänkenjungen saß auf einer Bank in der Nähe der großen zylindrischen Sanduhr. Er warf einen Blick auf die Anzeige. »Die neunzehnte Stunde durch«, sagte er und gähnte. Er mußte bis zur zwanzigsten Stunde aufbleiben, der goreanischen Mitternacht. In jenem Augenblick war es seine Aufgabe, die Uhr zu wenden. Erst dann durfte er ebenfalls schlafen gehen.

»Sind die Herren mit meinem Haus zufrieden?« erkundigte sich der Schänkenwirt.

»Ja«, erwiderte Hassan und hob den Kopf. »Es kehren Soldaten zurück.«

Ich spitzte die Ohren. Mir war kein Geräusch aufgefallen. Offenbar hatte er die leichten Vibrationen mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte wahrgenommen.

Erst nach einigen Sekunden vernahm ich das Dröhnen galoppierender Kaiila.

»Von uns sind keine Soldaten unterwegs«, sagte der Wirt. Hassan sprang auf und warf dabei den Tisch um. Mit riesigen Sätzen rannte er die Treppe hinauf und verschwand im Obergeschoß.

»Geh nicht an die Fenster!« rief ich.

Doch schon hatte der Wirt die Fensterläden geöffnet. Ich hörte Hassan oben brüllen. Schritte trappelten. Der Wirt wandte sich mit bleichem Gesicht in meine Richtung; im nächsten Augenblick sank er zu Boden, wobei er den Schaft des Pfeils abbrach, der in seiner Brust steckte.

»Kavars über alles!« brüllte eine Stimme.

Ich hastete zum Fenster und stach mit dem Krummsäbel nach einer Gestalt im Burnus, die sich draußen zu schaffen machte. Ein Schrei ertönte, der Schatten zuckte zurück, verschwand in der Dunkelheit. Ich hob die Arme, um die Läden zu schließen. In der gleichen Sekunde bohrten sich zwei Pfeile tief in das Holz; Splitter trafen mich schmerzhaft an der Wange. Doch schon hatte ich die Läden zugezogen und gesichert; ein dritter Pfeil bohrte sich halb durch das Holz. Der Schänkenjunge stand neben der Sanduhr und sah sich verzweifelt um. Wir hörten die Pfoten der Kaiila, vernahmen ihr Quieken, ihr heftiges, zischendes Atmen. Ich hörte einen Mann aufschreien. Irgendwo zersplitterte eine Tür; das Geräusch schien allerdings nicht aus dem Wirtshaus zu kommen.

»Kavars über alles!« brüllte einer der Angreifer.

»Nach oben!« rief Hassan. »Auf das Dach!«

Ich eilte die Treppe hinauf, wobei ich vier Stufen auf einmal nahm. Der entsetzte Schänkenjunge floh durch eine Tür in die Küche. Bleich stand Alyena zwischen Hassans Männern.

»Folgt mir«, befahl Hassan. Andere Gäste der Schänke stürzten nach unten. Eine Frau kreischte.

Wir erstiegen eine schmale Leiter und öffneten eine Falltür, die auf das Dach hinausführte. Gleich darauf standen wir unter den drei goreanischen Monden. Die Wüste schimmerte hell. Unter uns in den Straßen hasteten Menschen hin und her; einige hatten sich mit Bündeln und Wertgegenständen beladen.

»Zur Kasbah!« rief ein Mann. »Bringt euch in der Kasbah in Sicherheit!«

Zwischen den Fliehenden ritten Krieger. Sie hieben um sich und machten auf diese Weise einen Weg für ihre Tiere frei.

»Kavars über alles!« brüllten sie.

»Kavars!« rief ich.

Hassan sah mich zornig an. »Zum Stall«, rief er. Wir hasteten über das Dach zum Stall-Innenhof, der von Mauern und Gebäuden umschlossen war. Er gab seine Befehle. Sättel wurden geholt, zwei Männer sprangen vom Dach in die Tiefe, richteten sich wieder auf und eilten zu den Ställen. Am Himmel über den Palmen erschien ein Brandpfeil. Ich hörte Axthiebe. Auf der anderen Seite der Mauer brüllten zahlreiche Stimmen durcheinander. Wir hörten die Schänkentür nachgeben. Im Hof unter uns führten Hassans Leute einige Kaiila an den Zügeln herbei. »Achtet auf die Falltür«, sagte Hassan zu einem seiner Wächter. Fast im gleichen Augenblick öffnete sich die Dachklappe, und das Gesicht eines Mannes erschien. Hassans Wächter stach mit dem Krummsäbel zu, zerrte die Waffe wieder frei und knallte die Tür zu; an seiner Klinge klebten Blut und Zähne.

»Zur Kasbah!« rief ein Mann unter uns in der Straße.

»In die Wüste!« schrie eine Frau. »Die Kasbah ist bereits verschlossen! Am Tor sterben die Menschen. Sie werden niedergemetzelt, während sie noch um Einlaß flehen!«

»Feuer!« brüllte ich.

Ein Pfeil war im Hof niedergegangen. Mühelos hatte er sich durch das Strohdach eines Lagerschuppens gebohrt. Ein Mann kletterte über das Tor des Stallhofs. Von einer Lanze getroffen, stürzte er zurück. Hassans Männer paßten auf. Das brennende Dach erhellte das Innere des Hofs. Die Kaiila begannen vor Angst zu wimmern. Hassans Männer streiften den Tieren Burnusse über die Köpfe. Zwei waren bereits gesattelt.

»Achtung, dort!« brüllte ich. Zwei Angreifer waren von ihren Kaiila auf das Dach gestiegen. Hassan und ich traten ihnen energisch entgegen und zwangen sie, über die Kante in die Gasse zu springen, in der sich Flüchtlinge und Kavars drängten. Ich sah eine Dattelpalme umstürzen. Vier Gebäude brannten bereits.

Unter uns schrie eine Frau.

Weitere Reiter drängten sich waffenschwingend unter uns vorbei. »Nach Kleidung und Sätteln handelt es sich um Kavars«, stellte Hassan fest. Vom Dach sahen wir Männer, Frauen und Kinder, die zwischen den Palmenhainen und Gärten herumliefen.

Ein fünftes Gebäude ging in Flammen auf, diesmal zu unserer Linken. Rauchgeruch stieg mir in die Nase. »Die Schänke brennt ebenfalls«, sagte ich.

»Tarna!« brüllten die Fremden. »Tarna!«

Hassan ging zum Rand der Mauer und starrte in die Flammenhölle des Stallhofs hinab. »Folgt ihnen!« brüllte er seinen Männern auf dem Dach zu und deutete auf die beiden Männer im Hof. Sie sprangen über die Kante in die Tiefe. Hastig sattelten sie ihre Kaiila. Um den Rand der Falltür zog sich ein glühender Streifen; das Feuer mußte schon unter dem Dach toben.

Hassan zerrte sich den Burnus vom Leib, legte ihn Alyena unter die Arme und ließ sie vom Dach hinab. Einer seiner Männer, der auf dem Rücken einer Kaiila saß, nahm das Mädchen vor sich in den Sattel. Alyena blickte verzweifelt zu Hassan empor. »Herr!« rief sie. Doch er war bereits verschwunden.

Wir hasteten wieder zum anderen Rand des Daches und sahen dort weitere Reiter eintreffen. Ganze Gruppen drängten in die Oase, sorgfältig verteilt es mußten Hunderte von Kavars sein.

»Auf mein Zeichen«, sagte Hassan, »sollen die Männer das Hoftor öffnen und losreiten!«

Ich ging zum Innenrand des Daches und entdeckte den Mann, der Alyena aufgefangen hatte. Das Mädchen saß inzwischen auf einer eigenen Kaiila, die zwischen den anderen Tieren eingekeilt war.

»Ich gebe Hassans Signal weiter«, sagte ich. »Auf ein Zeichen hin ergreift ihr die Flucht!«

»Zwei Kaiila sind für euch gesattelt«, sagte der Mann und deutete auf die Tiere. »Haltet euch bereit, das Tor zu öffnen«, sagte er dann zu zwei Kameraden, die sich links und rechts vom Durchgang postierten. Jeder sollte einen der Balken herausziehen.

»Was soll aus euch werden?« fragte der Mann.

»Hassan!« rief Alyena. »Hassan!«

Einer mußte aufpassen, um den günstigsten Augenblick für die Flucht abzupassen, ein zweiter mußte das Signal weitergeben.

»Hassan!« rief Alyena von unten.

Ich lächelte vor mich hin. Sie wagte es, den Namen ihres Herrn auszusprechen ein Verstoß, für den einer Sklavin Strafe drohte. Sie durfte Hassan nur mit ›Herr‹ anreden. Ich nahm an, daß Hassan sie später für dieses Vergehen zur Rechenschaft ziehen würde. Er hatte die Hand gehoben. Mit gesenktem Kopf starrte er über den Dachrand. Ich hörte eine Gruppe Kaiilareiter vorbeigaloppieren. Im nächsten Augenblick senkte er die Hand.

»Los!« brüllte ich.

Die Balken wurden herausgezogen, die beiden Torflügel schwangen auf. Den Tieren wurden die Burnusse von den Köpfen gerissen. Mit wilden Sätzen galoppierten die Kaiila aus dem brennenden Stallhof in die plötzlich erleuchtete Straße.

Wir hörten lautes Geschrei.

In Sekundenschnelle waren die Kaiila und ihre Reiter verschwunden.

»Zwei gesattelte Kaiila sind zurückgeblieben!« rief ich Hassan zu. »Beeil dich!«

»Nimm eine!« rief er. »Flieh! Es ist noch Zeit. Flieh!«

Doch ich kam seiner Aufforderung nicht nach. Statt dessen trat ich zu ihm an den Rand des Dachs.

Eine weitere Gruppe Kaiilareiter galoppierte am Gebäude vorbei. Wir behielten die Köpfe unten.

»Willst du nicht mitkommen?« fragte ich.

»Flieh!« flüsterte er. »Nein, warte!« rief er.

Im nächsten Augenblick erschienen elf Reiter unter uns in der Straße, sie trugen weite purpurgelbe Burnusse.

»Tarna!« brüllten Stimmen. »Tarna!«

Die Reiter zügelten ihre Tiere fast unmittelbar unter uns. Mehrere andere Angreifer verhielten ihre Tiere hinter der Gruppe.

»Tarna!« rief jemand.

Die Anführerin der Reiter stellte sich in den Steigbügeln auf und sah sich auf dem Schlachtfeld um.

Offiziere erstatteten Bericht. Befehle wurden ausgegeben, Männer ritten wieder davon. Die Anführerin, eine schlanke, anmutige, vitale Gestalt, stand in den Steigbügeln und schwenkte einen Krummsäbel.

»Die Brunnen?« fragte ein Mann.

»Zerstört sie!« befahl Tarna.

Der Mann galoppierte davon, gefolgt von einem Reiterschwarm. Die Anführerin setzte sich wieder in den Sattel. Ihr Burnus wehte im Wind. Die geschwungene Klinge lag quer über dem Sattelknopf.

»Vernichtet die Palmen, brennt die Gebäude nieder!« befahl sie.

»Jawohl, Tarna«, sagten die Offiziere, zogen ihre Kaiila herum und kehrten zu ihren Männern zurück.

Das Mädchen sah sich um und galoppierte mit ihrer Kaiila zur Kasbah davon. Ihr folgten die zehn Reiter, die offenbar ihre Eskorte bildeten.

»Hol deine Kaiila«, sagte Hassan eindringlich. »Flieh!« Es war heiß auf dem Dach. Die Schänke unter uns brannte lichterloh; rechts von uns züngelten die ersten Flammen durch das Dach.

»Kommst du nicht mit?« fragte ich.

»Im Augenblick halte ich es für wichtiger, mir einen dieser Kavars aus der Nähe anzuschauen.«

»Ich komme mit«, sagte ich.

»Wir haben nicht einmal das Salz geteilt«, sagte er.

»Ich begleite dich«, sagte ich.

Er sah mich einige Sekunden lang an. Dann schob er den Ärmel über seiner rechten Hand hoch. Ich drückte die Lippen auf seinen rechten Handrücken und schmeckte den salzigen Schweiß. Ich reichte ihm meinen rechten Handrücken, und er legte Lippen und Zunge dagegen.

»Verstehst du, was das bedeutet?« fragte er.

»Ich glaube schon.«

»Folge mir«, sagte er. »Wir haben eine Aufgabe, Bruder.«

Hassan und ich sprangen vom Dach, das bereits teilweise in Flammen stand, und landeten im Stallhof. Zwei Kaiila warteten dort auf uns sie tänzelten unruhig hin und her, nervös gemacht durch die Decken vor ihren Augen und den Rauch. An den Zügeln führten wir sie aus dem Hof und nahmen ihnen den Kopfschutz ab. An einer Wand lehnte die Leiche eines Schänkenjungen, von einer Lanze an die Wand genagelt. Die zwanzigste goreanische Stunde mußte längst vorbei sein, doch die Sanduhr war nicht umgedreht worden. Die Bestien verschonten auch Kinder nicht. Wir hörten das Dach der Schänke einstürzen. In der Ferne gellte Geschrei auf. Wir führten die Tiere durch die Straßen der Oase. Zweimal gingen wir Kämpfen aus dem Wege. Einmal hasteten vier Tashid-Soldaten an uns vorbei.

Als wir durch eine schmale Gasse blickten, entdeckten wir auf der Straße am anderen Ende Berittene, die miteinander kämpften. Etwa zehn Tashid-Soldaten gingen auf Kaiilarücken gegen einen Stoßtrupp der Angreifer vor. Doch die Männer wurden mit Lanzen zurückgedrängt; die Übermacht der Angreifer war zu groß. Unbarmherzig verfolgt ergriffen sie die Flucht. Die purpurgelb gekleideten Reiter setzten den Verteidigern nach. Ich erblickte Tarna, die sich im Sattel aufgerichtet hatte und ihre Eskorte säbelschwenkend zum Angriff trieb, ehe sie sich selbst der Jagd anschloß.

»Wer seid ihr?« rief eine Stimme.

Wir fuhren herum.

»Sleen der Aretai!« brüllte der Mann. Der Kaiilareiter trieb sein Tier an. Wir bremsten seine Attacke mit unseren Kaiila ab. Die Tiere quiekten und ächzten. Da wir im Sattel saßen, vermochte keiner von uns einen gezielten Schlag zu landen. Der Mann stieß einen Wutschrei aus, zog sein Tier zurück und floh in die Dunkelheit - ein geschicktes Wendemanöver. Gegen unsere Übermacht hätte er wahrscheinlich nicht viel ausrichten können.

»Der ist uns entwischt«, stellte ich fest.

»Es gibt andere«, meinte Hassan.

Sekunden später erreichten wir eine hohe Mauer aus rotem Lehm. Vor dieser Mauer standen sechs Angreifer; vier hatten die Krummsäbel gezogen.

An der Wand knieten vier nackte Mädchen von exquisiter Schönheit. Sie hatten die Hände über die Köpfe erhoben und wurden von vier Männern bewacht, während zwei Anstalten machten, die Gefangenen zu fesseln.

»Tal«, sagte Hassan höflich.

Die Angreifer wirbelten herum. Sie trugen Kleidung und Agal der Kavars. Die Sättel der in der Nähe angebundenen Kaiila schienen ebenfalls kavarischer Herkunft zu sein.

Die sechs Männer griffen uns an, wobei sich die beiden anderen, die erst noch ihre Waffe ziehen mußten, im Hintergrund hielten. Als sie uns schließlich erreichten, lagen die vier anderen bereits in ihrem Blut. Da wichen sie zögernd zurück, machten kehrt und ergriffen die Flucht. Wir verzichteten darauf, sie zu verfolgen.

Die Mädchen veränderten ihre Stellung nicht. Sie wagten es nicht einmal, den Kopf zu drehen.

Hassan küßte ein Mädchen auf den Hals. »Oh!« rief sie.

»Seid ihr Sklavinnen?« fragte er.

»Nein!«

»Dann lauft in die Wüste«, sagte Hassan.

Geduckt drehten sie sich um und versuchten ihre Blöße zu bedecken.

»Aber wir sind nackt!« rief eine.

»Lauft schon!« rief Hassan und versetzte einer hübschen Brünetten einen Schlag mit der flachen Klinge.

»Oh!« rief sie und rannte davon. Die anderen folgten ihr und waren gleich darauf in der Dunkelheit verschwunden.

Wir lachten.

»Hübsche Geschöpfe«, meinte Hassan. »Vielleicht hätten wir sie behalten sollen.«

»Vielleicht«, sagte ich. »Aber dies ist kaum der richtige Augenblick, sich ein paar Sklavinnen zuzulegen.«

»Außerdem waren sie zu jung«, meinte Hassan. »In zwei Jahren sind sie etwas reifer für das Sklavenleben.«

»Sollen andere ihren Spaß mit ihnen haben«, sagte ich.

Er zuckte die Achseln. »Es gibt immer genug junge schöne Mädchen.«

»Das stimmt.«

Er betrachtete unsere toten Gegner im Licht der Monde und einer Fackel an der Mauer gegenüber.

»Hier«, sagte Hassan und kniete neben einem der Toten nieder. Ich ging zu ihm. Hassan streifte den linken Ärmel empor.

»Ein Kavar«, sagte ich. Auf dem Unterarm schimmerte der blaue Krummsäbel.

»Nein«, widersprach Hassan. »Schau mal. Die Spitze des Säbels krümmt sich nach innen, zum Körper hin.«

»Na und?«

»Der Krummsäbel der Kavars«, erklärte er, »deutet nach außen, weg vom Körper, zum Gegner.«

Ich sah ihn an.

Lächelnd hob Hassan seinen linken Ärmel. Verblüfft sah ich das Zeichen auf seinem linken Unterarm.

»Dies«, sagte Hassan lächelnd, »ist der Krummsäbel der Kavars.«

Wie er gesagt hatte, deutete die Spitze vom Körper weg.

»Du bist ein Kavar«, sagte ich.

»Natürlich«, sagte Hassan.

Wir fuhren herum. Wir hatten ein leises Geräusch vernommen. Wir standen im Zentrum eines Ringes aus purpurgekleideten Kaiilareitern. Lanzen waren auf uns gerichtet, drängten uns zur großen Mauer. Pfeile zielten auf unsere Herzen.

»Da sind sie«, sagte der Mann, mit dem wir vorhin in der Gasse gekämpft hatten.

»Sollen wir sie umbringen?« fragte der Mann.

»Hebt die Köpfe«, sagte das Mädchen.

Wir gehorchten.

»Tarna?« fragte er.

»Nein«, sagte sie. »Die beiden sehen ansprechend aus und sind kräftig. Sie sind nicht uninteressant. Macht sie zu Sklaven.«

»Jawohl, Tarna«, sagte der Mann.

»Der da«, sagte das Mädchen und sah mich gelassen an. »Entkleidet ihn und fesselt ihn an meinen Steigbügel.«

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