23

»Warum hast du mich hergebracht?« fragte Marcus, während wir vor Ephialtes’ Wagen warteten.

»Du wirst schon sehen.«

Wir hatten den Standort unseres kleinen Lagers in der Nähe des behelfsmäßigen Sklavenlagers verlassen und uns alle Mühe gegeben, daß es so aussah, als sei es verlassen worden. Dann waren wir ein Stück die Straße nach Brundisium entlanggegangen und hatten uns in einem kleinen Wald in die Büsche geschlagen, um wieder zurückzukehren. Wir hofften, daß jedermann nun annähme, daß wir unser Lager abgebrochen hatten und nach Osten gezogen waren, auf eine der Deltastraßen zu. Auf dem Rückweg hatten wir das Sklavenlager durchquert. Es war ziemlich groß und umschloß etwa vier bis fünf Quadratpasang. Noch immer lieferte man auf unterschiedlichste Weise neue Frauen: in Sklavenwagen, Käfigen oder auch zu Fuß.

»Das ist also der Wagen deines Freundes?« fragte Marcus.

»Ja.«

Wir hatten Ina in einem angemieteten Sklavenkäfig in dem Sklavenlager zurückgelassen. Das kostete ein Tarskstück.

»Ich weiß nicht, was ich eigentlich hier soll«, beschwerte sich Marcus. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist dein Freund, dieser Ephialtes oder wie immer er heißt, ein Cosianer. Ich bin nicht geneigt, mit einem Cosianer ins Gespräch zu kommen.«

»An deiner Stelle würde ich hier nicht so oft den Mund öffnen«, erwiderte ich. »Am Rande des cosischen Heerlagers.«

»Warum hast du mich dann hergebracht«, flüsterte Marcus.

»Das habe ich dir doch heute morgen gesagt«, erwiderte ich. »Ich will dir etwas zeigen.«

»Was?«

»Hab Geduld. Du wirst schon sehen.«

»Wehe, wenn das eine Zeitverschwendung ist.«

»Du hast bloß schlechte Laune, weil ich dich zum Rand des Heerlagers mitgenommen und damit dein Leben grundlos in tödliche Gefahr gebracht habe.«

»Das ist einfach nicht wahr«, zischte er. »Wer könnte so kleinlich sein?«

»Was ist es dann?«

»Ich habe eine sehr unerfreuliche Nacht verlebt«, sagte er, »und der Morgen war bis auf ein paar Ahn Schlaf auch nicht viel besser.«

»Das wird sich bald ändern.«

»Hoffentlich«, knurrte er.

Marcus war von Natur aus ein eher launischer Mensch, der Dinge wie Leben und Tod ernster nahm, als es eigentlich nötig war. An diesem Morgen wirkte er jedoch ausgesprochen schroff, was für ihn doch eher ungewöhnlich war. Zugegeben, er hatte auf seinem einsamen, gefährlichen Posten in der Gasse hinter der Taverne eine ungemütliche Nacht erlebt, während ich es mir drinnen gut gehen ließ. Doch dann rief ich mir ins Gedächtnis zurück, daß man solche Opfer im Verlauf einer wahren Freundschaft durchaus erwarten kann.

»Willkommen im Lager von Ephialtes«, sagte der Marketender und trat um den Wagen herum. Man konnte nicht daruntersehen; ein Stück aufgespanntes Segeltuch versperrte den Blick. Das allein war nicht ungewöhnlich, aber ich vermutete, daß es aus einem dramatischen Grund dort hing, um eine Mauer zu errichten, hinter der man etwas verstecken und dann zeigen konnte.

»Mein Freund Ephialtes«, sagte ich. »Ich glaube, du willst uns etwas zeigen.«

»Ja«, erwiderte er. Dann klatschte er zweimal in die Hände.

Demütig trat eine junge Frau hinter dem Wagen und der Leinwand hervor, demütig und wunderschön, nur mit einem Bauchriemen und einem schmalen gelben Sklavenschurz bekleidet, die Hände auf dem Rücken haltend, vermutlich in Ketten. Liadne ging hinter ihr und hielt ihre Leine. Die junge Frau war schlank, mit einer ungewöhnlich hellen Haut und gleichfalls außerordentlich dunklem Haar und Augen.

»Aii!« rief Marcus überwältigt aus.

Die Frau blickte Marcus an, als wäre er der erste Mann, den sie je zu Gesicht bekommen hätte.

Dann starrte sie mich an.

»Kein Wort!« warnte ich sie.

Sie kniete vor uns nieder. Dann blickte sie zu Marcus hoch, wie voller Ehrfurcht, als könne sie den Blick nicht von ihm wenden.

»Gefällt sie dir?« fragte ich.

»Ich habe noch nie eine solche Frau gesehen!« rief er. »Sie ist das schönste Wesen, das mir in meinem ganzen Leben begegnet ist.«

»Ich dachte mir schon, daß du sie nicht abstoßend fändest.«

»Sie ist eine Frau, für die ein Mann töten würde!« rief er.

»Und angenommen, sie wäre eine Sklavin?«

Dieser Gedanke ließ ihn stocken, er schluchzte auf, krümmte sich zusammen und hieb sich mit den Fäusten auf die Knie.

»Welche Stellung nimmt sie ein?« fragte ich Ephialtes.

»Freie Frau, aber eine Gefangene und vollständige Dienerin«, antwortete der Marketender.

»Dann kann sie also erworben und versklavt werden!« rief Marcus.

Ephialtes nickte.

»Ich muß sie haben!«

Sie sah von den Knien zu ihm hoch, ihre Unterlippe bebte.

»Aber sie ist bestimmt sehr teuer«, sagte ich.

»Ich muß sie haben!«

»Wieviel hast du?«

»Nur ein paar Tarskstücke«, sagte Marcus.

»Das reicht bestimmt nicht«, meinte ich. »Laß uns gehen.«

Er griff nach dem Schwert, aber ich legte ihm die Hand auf die Hand, damit er nicht aus Wut und Enttäuschung die Klinge zog und den armen Ephialtes erschlug.

»Laß uns gehen.«

»Warum hast du mich hergebracht?« rief er aufgebracht. »Nur um mich zu quälen?«

»Überhaupt nicht«, sagte ich. »Ich wußte, daß dir diese Art von Frau gefällt.«

»Diese Art von Frau!« rief er. »Sie ist einzigartig, unvergleichlich! Ich kenne sie aus Tausenden von Träumen!«

»Sie ist ganz nett«, sagte ich. »Danke, Ephialtes. Ich wollte nur, daß er sie einmal sieht. Wie erwartet kann er sie ansehen, ohne zusammenschrecken zu müssen.«

»Das kann man«, bestätigte Ephialtes.

»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte ich.

»Ich wünsche dir alles Gute«, erwiderte er.

Marcus stand noch immer wie versteinert da. »Komm schon«, sagte ich.

»Ich will sie! Ich muß sie haben!« rief er.

»Du kannst sie dir nicht leisten. Komm jetzt.« Ich nahm ihn beim Arm und zog ihn mit mir. Wir waren noch keine zehn Schritte gegangen, als er sich von mir losriß.

»Was ist denn jetzt schon wieder?«

»Du begreifst nicht!« rief er. »Ich habe noch nie eine solche Frau gesehen! Sie ist mein Traum!«

»Ja, sie ist ganz nett.«

»Sie muß mein werden!«

»Ja, ja. Und jetzt komm.«

»Nein!«

»Vergiß sie.«

Von meinem Standort aus konnte ich an Marcus vorbei sehen. »Nein, sieh nicht hin«, sagte ich beruhigend zu ihm. »Das ist besser so.« Ich hielt ihn an den Armen fest, um zu verhindern, daß er sich umdrehte. Liadne führte das Mädchen zurück, aber es sträubte sich und starrte Marcus ungläubig hinterher. Aber Liadne setzte sich durch. Marcus befreite sich wütend von mir und drehte sich um. Aber das Mädchen war nicht mehr zu sehen.

»Sie ist weg«, sagte ich und hielt ihn davon ab, zu dem Wagen zurückzustürmen. »Du kannst sie nicht bezahlen. Einige Männer würden möglicherweise in der Nacht zurückkehren und sie stehlen, vielleicht dabei ein paar Hälse durchschneiden, aber für einen Marcelliani, der ein ehrenhafter Bursche ist, ein Offizier und so, käme so etwas natürlich nicht in Frage.«

»Nein!« fluchte Marcus.

»Tja, so spielt das Leben eben manchmal.«

Marcus starrte mich wild an. Einen Augenblick lang fürchtete ich, er könne mich angreifen.

»Komm jetzt.«

Marcus drehte sich um und starrte jetzt mörderisch zu dem unschuldigen Ephialtes hinüber, der etwas an dem Wagen in Ordnung brachte. »Er ist ein Cosianer.«

»Aber er ist auch mein Freund, und das dürfte die Sache erschweren.«

»Ja«, grollte Marcus. Dann stöhnte er auf. »Ich hätte sie niemals sehen dürfen.«

»Unsinn«, sagte ich.

»Mein Leben ist zerstört.«

»Deine Aussichten waren ohnehin nicht besonders vielversprechend.«

Marcus beachtete mich nicht. »Ich wußte nicht, daß es eine solche Frau geben kann.«

»Sie ist ganz nett.«

»Sie ist wunderschön!«

»Ganz hübsch.«

»Eine Göttin!«

»Ich muß Ina holen«, sagte ich. »Warum treffen wir uns nicht in unserem neuen Lager?«

Er blickte mich voller Verzweiflung an. »Nun gut«, murmelte er niedergeschlagen und ging.

Ich war ganz zufrieden mit dem Verlauf des Vormittags, auch wenn es jetzt schon nach Mittag sein mußte. Ich hatte damit gerechnet, daß sich Marcus von Phoebe stark angezogen fühlen würde, denn sie war eine ausgesprochen schöne Vertreterin eines Frauentyps, der ihn fast um den Verstand brachte. Wie die Sklavin Yakube in Port Cos, die er so attraktiv gefunden hatte. Allerdings war hier die Anziehung gegenseitig gewesen. Phoebe hatte den Blick nicht von ihm wenden können. Vielleicht hatte auch sie von einem Mann wie ihm geträumt, der sie eines Tages in Besitz nähme. Das versprach eine innige Beziehung zu werden.

Ich pfiff leise vor mich hin und schlug die Richtung zum Sklavenlager ein.

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