7

»Bleib stehen!« flüsterte der Soldat vor mir und streckte die Hand aus.

Ich gehorchte. Das aus drei Baumstämmen gezimmerte Floß, das ich mit Hilfe eines Jochs zog, trieb langsam näher heran; das Geschirr sackte ins Wasser. Einen Augenblick später stießen die Baumstämme unterhalb des Jochs sanft gegen meinen Rücken. Überall um mich herum wurden Waffen gezogen.

Die Barke des Hauptmanns schwamm zu meiner Rechten. Er stand ganz vorn, von seinen Männern umringt. Der Soldat auf der Aussichtsplattform kauerte sich zusammen.

»Jetzt haben wir sie, Jungs«, flüsterte der Hauptmann den Männern zu, die zwischen dem Floß und der Barke im Wasser wateten. Er gab ein Zeichen. Unteroffiziere schickten ihre Männer los.

Ein Arm legte sich um meinen Hals, und das Joch und hielt mich an Ort und Stelle fest. Eine Messerklinge berührte meine Haut. »Keine Bewegung«, warnte mich Plenius, der bäuchlings auf dem Floß lag. Sie brauchten nicht zu befürchten, daß ich einen Warnschrei ausstieß, denn man hatte mich geknebelt. Doch sie wollten nicht das geringste Risiko eingehen, daß ich irgendwie Lärm schlug, indem ich das Joch gegen das Floß schlug oder Wasser aufspritzen ließ.

Reihen von Soldaten wateten an mir vorbei. Auf der anderen Seite konnte ich weitere Marschreihen sehen, sobald sie hinter der Barke hervortraten. Einige begaben sich direkt in das Schilf, andere umkreisten es links. Vermutlich geschah auf der rechten Seite das gleiche.

Tagelang waren wir immer tiefer in das Delta eingedrungen, auf der Jagd nach den Cosianern. Dabei hatten wir die geheimnisvolle Barke, die nicht aus Ar kam, immer wieder vor uns gesichtet. Sie war, ob zu recht oder unrecht, so etwas wie ein Symbol geworden, ein Zeichen der Cosianer, des verfolgten Feindes. Zog man die Haltung der Arer in Betracht, war es von einem nüchternen militärischen Standpunkt aus gesehen nur natürlich, die Barke mit den Cosianern in Verbindung zu bringen und von der Annahme auszugehen, daß es sich um einen Frachter oder ein Boot der Nachhut handelte. Die Tatsache, daß es so schwerfiel, sie einzuholen, unterstützte diese Vermutung nur noch.

»Na los, du Sleen«, flüsterte Plenius mir ins Ohr und drückte mit dem Messer fester zu, »versuch deine Freunde zu warnen. Los!«

Ich regte keinen Muskel.

»Bald werden Ars Schwerter das Blut der cosischen Sleen trinken.«

Ich spürte das Messer an der Kehle.

Ich bewegte mich nicht.

Lautlos wateten weitere Soldaten vorbei.

»Aus diesem Grund wurdest du ins Delta gebracht«, sagte er, »damit du mit eigenen Augen das Scheitern deiner Spionageversuche und die Vernichtung deiner Freunde siehst.«

Ich hielt still.

»Andererseits würdest du als Spion wahrscheinlich sowieso nicht versuchen, sie zu warnen. Dafür wärst du zu schlau. Spione sind viel mehr um ihre eigene Haut besorgt.« Er kicherte. »Aber deine Haut, Sleen aus Cos, gehört nun Ar. Haben Joch und Geschirr dir das noch nicht verraten?«

Ich bewegte mich nicht, denn ich hatte die Befürchtung, er könnte in seiner Aufregung mit dem Messer abrutschen, wenn das Angriffssignal gegeben wurde.

»Deine Haut, Spion, gehört Ar, wie eine Sklavin ihrem Herrn.«

Das Signal würde gleich gegeben werden, ich konnte es spüren. Mittlerweile mußten die Soldaten in Stellung gegangen sein.

»Möchtest du nicht doch versuchen zu entkommen?«

Das Messer an meiner Kehle war von der üblichen goreanischen Schärfe. Dann drehte Plenius die Klinge ein wenig, so daß ich ihre Fläche spürte. Fast im gleichen Augenblick hörte ich die Kriegsrufe Ars und die Bewegungen einer großen Zahl von Männern – es mußten Hunderte sein –, die vorwärts stürmten, auf die Barke zu. Die flache Seite des Messers drückte gegen meinen Hals, als Reaktion auf den Lärm im Sumpf. Nach dem nächsten Lidschlag wurde die Klinge wieder gedreht, und die Schneide lag wieder an meiner Kehle.

»Ruhig, ganz ruhig«, sagte Plenius.

Ich bewegte mich nicht.

Aber von vorn kamen keine Kampfgeräusche, kein Stahl traf klirrend aufeinander, keine Stimmen flehten um Gnade.

Wir hörten, wie die Männer auf die Barke losgingen.

Plenius’ Messer blieb noch einige Zeit lang an meinem Hals. Sollten flüchtende Cosianer durch den Sumpf auf uns zustürmen, wollte er mir wohl die Kehle durchschneiden. Auf diese Weise konnte er sowohl meine Flucht verhindern als auch die Hände frei haben, um sich gegen den Feind zu verteidigen oder sich ihm entgegenzustellen.

Aber Augenblicke später nahm er das Messer weg und stand verblüfft da.

Keine Flüchtlinge brachen durch das Rence.

Mich überraschte das nicht im mindesten.

Ein paar Ehn später brach dann doch ein schlammbespritzter Soldat aus dem Schilf. Er hatte seine Waffe noch nicht weggesteckt. »Bringt den Gefangenen her«, befahl er.

Plenius legte mir eine Seilschlinge um den Hals und befreite mich dann von dem Geschirr. Das Floß wurde auf eine kleine Sandbank geschoben, damit es nicht abtrieb.

»Geh voraus!« befahl er.

Ich bahnte mir einen Weg durch das Schilf. Nach wenigen Metern standen wir vor der flachen, abgedeckten Barke. Viele Männer standen im Wasser darum herum. Mittlerweile waren auch einige der kleinen Boote eingetroffen. Die Barke war auf eine niedrige Sandbank gelaufen und steckte fest. In einer Ahn würde sie wieder schwimmen, oder sogar noch früher, falls der Wind drehte oder sich die Strömung änderte.

»Komm an Bord«, sagte der Hauptmann, der an Deck stand. Ich kannte ihn nur vom Sehen.

Ich blickte über den Knebel hinweg zu ihm hinauf.

Jemand versetzte mir von hinten einen Stoß. Männer griffen zu, packten mich unter den Armen. Andere schoben. Man zog mich an Bord, Plenius, der die Leine nicht losließ, folgte mir.

Das kleine, schräge Fenster in Hecknähe auf der Backbordseite der Barke war eingedrückt. Die Kabinentür, zu der zwei oder drei Stufen nach unten führten, stand offen.

Der Hauptmann musterte mich.

Ich kniete nieder.

»Entfernt den Knebel«, befahl er.

Es tat gut, das schwere, feuchte Stoffknäuel aus dem Mund zu haben.

»Einige sagen, du würdest dich im Delta auskennen«, sagte er zu mir.

»Ich bin kein Rencebauer«, erwiderte ich. »Wenn jemand das Delta wirklich kennt, dann nur sie. Ich komme aus Port Kar.«

»Aber du warst schon einmal im Delta.«

»Ja.«

»Sind dir da solche Barken begegnet?«

»Ja, natürlich.«

Er wandte sich Plenius zu. »Wickel die Leine um das Joch. Ich übernehme ihn.«

Plenius, mein Bewacher, gehorchte.

»Komm mit!« befahl der Hauptmann dann.

Ich erhob mich auf die Füße. Mit einem schweren Joch, einem Bestrafungsjoch, kann das äußerst mühsam, aber bei dem leichten Arbeitsjoch, das ich auf den Schultern trug, war es kein Problem. Ich senkte den Kopf und folgte dem Offizier durch die schmale Tür die Stufen hinunter ins Innere der Kabine. Seine Miene machte jedem klar, daß uns keiner folgen sollte.

In der Kabine war es nicht völlig dunkel, da die Fenster an den Seiten aufgebrochen waren, einige davon vermutlich schon vor langer Zeit. Aber ich hatte keinen Zweifel, daß die Männer von Ar in ihrer Angriffswut die Tür eingetreten und die restlichen Fenster eingeschlagen hatten. Ich sah mich im Halbdunkel in der großen Kabine mit der niedrigen Decke um.

»Ein großer Sieg«, meinte ich.

Bis auf ein paar Bänke und andere Nebensächlichkeiten war die Kabine leer. Es lag viel Staub am Boden. Es gab kein Anzeichen, daß sich hier in der letzten Zeit jemand aufgehalten hatte.

»Ich verstehe das nicht«, sagte der Hauptmann. »Wo sind die Cosianer?«

»Hast du die Besatzung befragt?«

»Es gab keine Besatzung«, erwiderte er wütend.

Ich schwieg. Das hatte ich auch nicht angenommen. Hätte es sie gegeben, wäre es sehr unwahrscheinlich gewesen, daß das Schiff auf Grund lief, vor allem, wo doch die Verfolger in der Nähe waren. Die Soldaten marschierten am Tag, in großer Zahl. Sie waren fremd im Delta. Sie bewegten sich nicht mit der Lautlosigkeit von Rencebauern.

»Vielleicht hat es eine Besatzung gegeben, vielleicht hatten sie nicht genug Zeit, die Barke von der Sandbank zu bekommen.«

»Aber es gibt nur sehr wenige Hinweise darauf, daß hier überhaupt eine Besatzung gelebt hat«, sagte ich. Sicher, ein paar Männer hatten die Barke mit ihren Stangen fortbewegt. Aber selbst davon gab es keine Spuren, zumindest nicht in der Kabine.

»Wo sind die Cosianer?« wollte er wissen.

Ich sah mich in der staubigen Kabine um. »Hier jedenfalls nicht.«

»Wir haben diese Barke tagelang verfolgt«, sagte er wütend. »Jetzt haben wir sie eingeholt. Und sie ist leer!«

»Meiner Meinung nach war sie seit Wochen leer.«

»Unmöglich!«

»Ich halte sie einfach für eine aufgegebene Barke«, sagte ich. »So etwas kommt im Delta vor.«

»Nein«, sagte er. »Sie gehört zur cosischen Nachhut.«

»Vielleicht.«

»Oder es ist einer ihrer Truppentransporter, den man aufgegeben hat.«

»Auch das ist möglich«, bestätigte ich.

Er ging zu einem der kleinen Fenster und sah wütend hinaus.

»Allerdings ist das eine seltsame Wahl für einen Frachtkahn, findest du nicht?«

»Was willst du damit sagen?«

»Du kommst nicht aus diesem Teil des Landes, nicht aus dem Delta oder vom Vosk oder Port Kar.«

»Worauf willst du hinaus?«

»Sieh dir das Fenster einmal genauer an, den Fensterladen.«

Er betrachtete den eingeschlagen Fensterladen, der herunterhing.

»Und?«

»Die Stellung des Hebels.«

»Ja, und?«

»Das Fenster konnte nicht von innen geöffnet werden«, sagte ich. »Nur von außen.«

Der Hauptmann zuckte mit den Schultern.

»Zieht man einmal die Tiefe des Kabinenbodens in Betracht, konnte man im Sitzen nicht aus den Fenstern sehen, nicht einmal wenn sie geöffnet waren. Es ist höchstens ein Stück Himmel zu sehen.«

»Ich verstehe«, sagte er mürrisch.

»Und wenn der Laden geschlossen war, war es stockfinster in der Kabine. Du kannst dir sicher vorstellen, wie es bei geschlossenen Läden hier drin war, die Hitze, die stickige Luft.«

»Natürlich.«

»Sieh dir auch einmal die Bänke genauer an.«

»Ich verstehe«, sagte er bitter.

»Du oder ich würden sie unbequem niedrig finden«, sagte ich, »aber für Leute mit kürzeren Beinen wären sie in Ordnung.«

Er nickte.

»Und hier und dort, siehst du die Halterungen für Fußklemmen und an den Armlehnen die Handklemmen?«

»Aber nur für ziemlich kleine Fuß- und Handgelenke.«

»Das stimmt. Und dort siehst du noch das Eisengeschirr zum Befestigen der Halshölzer. Barken dieser Bauweise werden in den Kanälen von Port Kar benutzt, und im Delta, und zwar für den Transport von Sklavinnen.«

»Ja, du hast recht.«

»Natürlich benutzt man solche Frachtkähne auch anderswo.«

»Im Süden transportieren wir Sklaven mit Hauben über dem Kopf oder in verhüllten Käfigen.« Der Hauptmann schritt wütend vom Fenster weg und betrachtete die Bänke. Bei einigen war der Lack abgeblättert. Diese Barke hatte offensichtlich einst oft das Delta befahren, vermutlich im Pendelverkehr zwischen Port Kar und Turmus und Ven. Sklavinnen werden meistens nackt transportiert.

»Also haben wir Tage damit verschwendet, eine Sklavenbarke zu verfolgen«, stellte der Hauptmann erbittert fest.

»So sieht es aus.«

»Also müssen die Cosianer noch immer vor uns sein.«

Ich schwieg. Das kam mir nicht sehr wahrscheinlich vor, zumindest nicht in großer Zahl.

Plötzlich ertönten draußen Rufe, gefolgt von Schreien.

Der Hauptmann sah verblüfft auf, dann lief er die Stufen zum Deck hoch, ohne mir auch nur einen weiteren Blick zu schenken.

Ich folgte ihm.

»Wir konnten sie so gut wie nie sehen!« rief ein Soldat. »Es war, als wäre das Rence lebendig geworden.«

Ich trat an Deck, wo ich in der Sonne blinzelte. Plenius wartet schon auf mich, er wickelte das Seil von dem Joch und hielt mich an kurzer Leine, etwa einen halben goreanischen Meter.

»Wir hatten keine Chance«, schluchzte ein Mann im Wasser. »Wir haben sie nicht einmal gesehen!«

»Wo?« wollte der Hauptmann wissen, der nun an der Reling stand.

»Auf der rechten Seite.«

Ich folgte meinem Hüter, der neugierig geworden war, bis zur Reling. Im Wasser standen etwa sechs oder sieben fassungslose, entsetzte Soldaten, einige bluteten aus Wunden, andere stützten Kameraden.

»Anzahl?«

»Es müssen Hunderte gewesen sein, auf einer Front von vielen Pasang«, berichtete ein Unteroffizier, der im Wasser stand. »Wir konnten nicht kämpfen. Wir konnten sie nicht sehen. Es gab einfach nichts, gegen das wir die Schwerter hätten ziehen können.«

»Da waren nur Schatten«, schluchzte ein anderer Soldat, »eine Bewegung im Rence, ein Verdacht, und dann die Pfeile, ein Pfeilregen!«

»Wie hoch sind die Verluste?« fragte der Hauptmann.

»Es war ein Massaker!« antwortete der Unteroffizier.

»Ich will die genauen Verluste wissen«, wiederholte der Hauptmann seine Frage mit mehr Schärfe.

»Die rechte Flanke ist verloren.«

»Sie ist einfach weg!«

Weitere Soldaten kamen jetzt aus dem Rence, weitere Überlebende, viele davon verwundet.

Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die gesamte rechte Flanke vernichtet worden sein sollte, aber auf jeden Fall hatte sie schwere Verluste erlitten, war beträchtlich dezimiert worden. Die Soldaten, die da auf uns zukamen, hatten alle zur rechten Flanke gehört, und sie waren anscheinend nicht in der Lage gewesen, sich neu zu gruppieren. Nach einem katastrophalen Kampf, insbesondere einem geheimnisvollen, der völlig unerwartet ausgebrochen war, neigen Überlebende dazu, die Verluste zu überschätzen. Ein Mann, der beispielsweise miterleben mußte, wie auf dem von ihm zu überschauenden Teil des Schlachtfeldes – für gewöhnlich kaum mehr ein paar Quadratmeter – die meisten seiner Kameraden fielen, neigt zu der Annahme, daß diese Verluste für das ganze Schlachtfeld typisch sind. Genauso kann es natürlich geschehen, daß ein Soldat, der Gelände gewonnen hat, erst später zu seinem Entsetzen erfahren muß, daß sich seine Seite auf dem Rückzug befindet, ja, daß die ganze Schlacht verloren ist. Allerdings bezweifelte ich nicht, daß die Verluste beträchtlich waren. Die ganze rechte Flanke würde neu organisiert werden müssen.

»Wir werden einen Gegenangriff unternehmen«, sagte der Hauptmann.

»Es wird kein Gegner da sein«, gab ich zu bedenken.

»Das ist ein tragischer Tag für Ar«, murmelte ein Soldat.

Noch mehr Soldaten wateten heran, einige taumelnd.

»Die erste Feindberührung mit Cos«, sagte Plenius verbittert. »Wer hätte gedacht, daß sie so ablaufen könnte?«

»Ihr seid nicht mit Armbrustbolzen beschossen worden«, stellte ich fest.

»Nein, es waren Pfeile.«

Ich nickte. »Pfeile, abgeschossen von einem Bauernbogen.« In den letzten Jahren hatte sich der Gebrauch des Bauernbogens, der in der Nähe des Mündungsgebietes seinen Anfang genommen hatte, in östlicher Richtung in Windeseile im ganzen Delta ausgebreitet. Das Material für die Waffe und ihre Munition, das in dieser Gegend nicht vorkommt, wird importiert. Die Rencebauern hatten vor langer Zeit ihre Schlagkraft kennengelernt und sie niemals vergessen. Durch sie waren sie fürchterliche Gegner geworden. Das Delta mit seiner natürlichen Deckung und der Bauernbogen machten die Rencebauern beinahe unverwundbar.

Der Hauptmann sah mich an.

»Ihr habt es nicht mit den Cosianern zu tun«, sagte ich. »Sondern mit den Rencebauern.«

»Leute mit Fischmessern, Wurfstöcken und Fischspeeren!« lachte ein Soldat verächtlich.

»Und dem Bauernbogen.«

»Das ist doch nicht dein Ernst, oder?«

»Habt ihr vor dem Angriff den Ruf der Sumpfgant gehört?«

Ein paar der im Wasser stehenden Männer nickten aufgeregt.

»Mit solchen Rufen verständigen sich die Rencebauern während des Tages. In der Nacht ahmen sie den Ruf der Vosk-Möwe nach.«

»Wir werden sie angreifen«, wiederholte der Hauptmann.

»Ihr werdet sie nicht finden.«

»Wir werden unsere Späher vorausschicken.«

»Die würden nicht zurückkommen.« Natürlich war es möglich, Rencebauern auszuspähen, aber das konnten normalerweise nur Männer, die sich im Delta auskannten. Die Arer hatten, soweit mir bekannt war, keine erfahrenen Späher. Selbst diese Kleinigkeit war ein erneutes Indiz dafür, wie überstürzt Ar gehandelt hatte, wie wenig das Eindringen in das Delta vorbereitet gewesen war.

»Wir dürfen nicht zulassen, daß sie ihren Vorteil weiter ausnutzen«, sagte der Hauptmann.

Noch immer strömten Soldaten der rechten Flanke herbei.

»Das werden sie nicht tun – noch nicht.«

Er blickte mich ungläubig an.

»Es ist eine andere Art der Kriegsführung«, sagte ich.

»Das ist keine Kriegsführung«, mischte sich ein Soldat ein. »Das ist Wegelagerei, hinterhältiges Banditentum.«

»Ich würde sie nicht verfolgen«, sagte ich. »Sie werden euch ausweichen, vielleicht sogar eure Flanken angreifen.«

»Was schlägst du vor?« fragte der Hauptmann.

»Ich würde einen Verteidigungsring aufbauen.«

»Labienus hat hier den Befehl«, sagte der Unteroffizier wütend. »Hör nicht auf ihn, Hauptmann. Sicher steht er auf ihrer Seite. Er könnte sogar einer von ihnen sein.«

»Du rechnest mit einem weiteren Angriff?« fragte Hauptmann Labienus.

»Ein äußerer Verteidigungsring, um jede Infiltration abzuwehren. Am besten an einer Stelle, wo das Delta weit offen ist. Achtet auf Rencehalme, die sich scheinbar im Wasser bewegen.«

»Du rechnest also nicht mit einem weiteren Angriff?«

»Der Überraschungsmoment ist vorbei«, sagte ich. »Ich glaube nicht, daß es einen weiteren Angriff gibt, zumindest nicht in diesem Augenblick, und nicht auf die gleiche Weise, wie er eben erfolgt ist.«

»Du sprichst von einfachen Rencebauern, als wären sie ausgebildete Krieger, du sprichst von Finten, von Strategien und Taktiken, die das Merkmal eines Maximus Hegesius Quintilius oder eines Dietrich von Tarnburgs wären.«

»Oder eines Ho-Hak oder eines Tamrun, beides Rencebauern«, erwiderte ich.

»Von denen habe ich noch nie gehört«, sagte Labienus.

»Und viele Rencebauern haben noch nie von Marlenus aus Ar gehört.«

Wütende Rufe ertönten unter den Zuhörern.

»Ihr befindet euch in ihrem Land, ohne Einladung.«

»Rencebauern«, schnaubte Plenius verächtlich.

»Die mit dem großen Bogen, dem Bauernbogen, kämpfen«, erinnerte ich ihn.

»Abschaum«, zischte der Unteroffizier.

»Anscheinend war eure rechte Flanke da anderer Meinung.«

Labienus nickte. »Baut einen Verteidigungsring auf.«

Die Unteroffiziere leiteten den Befehl ärgerlich an ihre Männer weiter.

»Steht die Vorpostenlinie erst einmal, werden die Rencebauern wohl Abstand halten«, sagte ich. »Bis es dunkel wird.«

»Sie werden niemals wagen, Ar noch einmal anzugreifen«, sagte Plenius. »Und vielleicht waren es ja doch die Cosianer. Oder sie standen unter cosischem Befehl.«

»Das glaube ich nicht«, sagte ich, »obwohl die Cosianer im Delta bestimmt viele Freunde und Verbindungsleute haben, seit vielen Jahren schon. Ich bezweifle nicht, daß ihre Agenten als Kaufleute getarnt die Rencebauern auf euren Besuch vorbereitet haben. Ihr könnt euch sicher vorstellen, was man ihnen gesagt hat.«

Soldaten sahen einander an.

»Ich glaube, es besteht nur wenig Zweifel, daß die Cosianer politisch klüger sind als die Arer.« Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür war, wie Cos Port Cos’ Eintritt in die Vosk-Liga unterstützt hatte in der Hoffnung, die Entscheidungen der Liga durch ihre unabhängige Kolonie zu beeinflussen, während Ar die gleiche Chance bei Ar-Station ungenutzt verstreichen ließ, womit es Ar-Station noch stärker am Fluß isolierte.

»Cos kommt mit einem Lächeln und Geschenken ins Delta, als Verbündeter und Freund. Ar kommt als unerwünschter Störenfried, wie ein Eroberer.«

»Die Rencebauern haben uns angegriffen«, warf ein Verletzter ein. »Sie müssen bestraft werden.«

»Ihr seid es, die bestraft werden«, erwiderte ich.

»Wir?«

»Ja. Habt ihr nicht erst vor kurzem ein Rencedorf zerstört?«

Schweigen kehrte ein.

»War das nicht der ›große Sieg‹?«

»Wieso konnten die Rencebauern so schnell zurückschlagen?« fragte Labienus. »Den Berichten zufolge waren es Hunderte.«

»Das kann gut sein«, sagte ich. »Vermutlich sammeln sie sich schon seit Tagen.«

»Aber sie müssen doch wissen, daß wir nur das cosische Expeditionsheer einholen wollen.«

»Das werden sie wohl kaum glauben.«

»Warum?« fragte Labienus.

Ich bedachte ihn lediglich mit einem vielsagenden Blick.

»Nein«, sagte er wütend. »Das ist unmöglich.«

»Wir haben keinen Streit mit den Rencebauern«, erklärte Plenius.

»Jetzt schon.«

»Wir haben sie nicht einmal zu Gesicht bekommen«, sagte einer der Verletzten. »Vielleicht haben sie wie Banditen nur zugeschlagen und sind dann geflohen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, sie sind noch irgendwo in der Nähe.«

»Das Delta ist so groß«, sagte Labienus. »Es ist so groß, so grün, sieht überall gleich aus und ist doch überall anders.«

»Wir brauchen Späher, wir brauchen scharfe Augen«, meinte Plenius.

»Da, seht doch!« rief der Verwundete und deutet gen Himmel. Die Männer – mittlerweile waren es Hunderte – brachen in Jubel aus. »Da sind unsere Augen!« rief der Verwundete.

Ein Tarnsmann war zu sehen; er flog aus dem Süden heran. Selbst auf diese Entfernung konnte man seine rote Uniform erkennen.

»Er zieht den Vogel herum!«

»Er will landen!«

Viele der Soldaten hoben die Hände und winkten der näherkommenden Gestalt auf dem Tarnrücken zu.

Der Soldat auf der Ausguckplattform der Befehlsbarke richtete sich zu seiner vollen Größe auf und winkte den Tarnsmann hinunter.

Ich betrachtete das Flugmuster am Himmel. Unbehagen erfüllte mich. Sein Wendemanöver hatte eine ganz bestimmte Anmut gezeigt, und jetzt ließ er – wie ich befürchtet hatte – den Tarn die Schwingen ausbreiten.

»Er lädt die Armbrust!« sagte ich. »Paßt auf!«

Der Vogel ging in einen glatten, schwebenden Sinkflug über, und ich verfolgte, wie das Tier scheinbar reglos in der Luft hing, während es doch jeden Augenblick größer wurde. Die Krallen des Tarns waren nach hinten an den Körper gepreßt.

»Vorsicht!« rief ich. »Er will nicht landen!« Soldaten sahen verblüfft zum Himmel hinauf. »Vorsicht! Das ist ein Angriffsmanöver!«

Sahen sie es denn nicht? Begriffen sie denn nicht, was da geschah? Verstanden sie nicht, was dieser verhaltene Flug bedeutete, welche Bedrohung die Reglosigkeit dieser großen Schwingen darstellte? Sahen sie nicht, daß das, was da stetig näherkam, nichts anderes als eine ruhig dahingleitende, unglaublich stabile Schußplattform war?

»In Deckung!« rief ich. Der Soldat auf der Ausguckplattform senkte verwirrt die Arme. »In Deckung!«

Der Flug des Armbrustbolzens war kaum zu sehen. Er war wie ein Flackern, etwas schrecklich Schnelles, kaum Wahrnehmbares, dann schlug der Vogel mit den Schwingen und gewann an Höhe. In kürzester Zeit war er im Süden verschwunden.

»Er ist tot«, sagte ein Soldat an Deck der Offiziersbarke, wo der Mann aus dem Ausguck zusammengebrochen war; aus seiner Brust ragten die Stabilisierungsfedern eines Bolzens. Es war kein schwieriger Schuß gewesen. Der Betroffene hätte genausogut ein stillstehendes Ziel sein können, das man bei einer Übung auf dem Schießstand anflog.

»Das sind nicht unsere Augen«, sagte ich zu Labienus. »Das sind die Augen von Cos.« Der Tarn war im Süden verschwunden. Wie ich erwartet hatte.

Die Männer standen wie betäubt herum.

»Wo sind unsere Tarnsmänner?« fragte ein Unteroffizier.

»Cos beherrscht den Himmel«, erwiderte ich. »Ihr seid im Delta allein.«

»Tötet ihn«, sagte einer der umstehenden Soldaten.

»Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, die geringe Zahl eurer Tarnsmänner in einer solchen Gegend oder in der Nähe von Holmesk sei ein Zufall?«

»Tötet ihn«, sagte ein anderer Soldat.

»Tötet ihn!«

»Was sollen wir tun, Hauptmann?« wurde Labienus gefragt.

»Wir haben unsere Befehle«, sagte der Offizier. »Wir ziehen weiter nach Westen.«

»Aber zuerst müssen wir noch bleiben, um die Rencebauern zu bestrafen«, sagte der Unteroffizier.

»Dann würde Cos entkommen«, meinte Plenius.

»Uns geht es nicht in erster Linie um die Rencebauern, sondern um Cos.«

»Das stimmt«, pflichtete Plenius bei.

»Und wir müssen ihnen dicht auf den Fersen sein.«

»Ja, genau!«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich würde vorschlagen, sich so schnell wie nur möglich aus dem Delta zurückzuziehen.«

»Ein ausgezeichneter Vorschlag, Spion«, spottete der Unteroffizier.

»Genau, jetzt wo wir sie fast haben!«

»Cosischer Sleen!«

»Wir werden weiter nach Westen marschieren«, sagte der Hauptmann.

»Wenigstens werden euch die Rencebauern auf einem solchen Marsch keinen großen Widerstand entgegenbringen, denn er führt euch nur noch tiefer in den Sumpf und liefert euch alle ihrer Gnade aus«, sagte ich bitter.

»Alles zum Weitermarschieren bereitmachen«, befahl Hauptmann Labienus.

»Die Rencebauern sind noch nicht mit euch fertig«, sagte ich.

»Wir haben keine Angst vor ihnen.«

»Sie werden wie Sleen an euren Flanken hängen«, sagte ich. »Sie werden euch zusammendrängen, euch wie eine Herde Vieh treiben. Und dann, wenn ihr dicht gepfercht dasteht, erschöpft, hilflos, schwach, dann werden sie Pfeile auf euch herabregnen lassen. Wenn euer Heer auseinanderbricht und sich in alle Himmelsrichtungen verteilt, werden sie euch im Sumpf jagen, einen nach dem anderen, und euch einfangen. Vielleicht, wenn ihr euch entkleidet und die Arme hebt, vielleicht schont man dann euer Leben und legt euch in Ketten, um euch als Besiegte zu den Handelsstationen zu bringen, wo ihr als Sklaven verkauft werdet, um an die Ruderbänke gekettet die Galeeren von Cos zu rudern.«

»Sleen!« zischte der Unteroffizier.

»Gut, einige von euch werden vermutlich in den Steinbrüchen von Tyros schuften.«

»Tötet ihn!« rief ein Soldat.

»Ihr müßt euch aus dem Delta zurückziehen, unverzüglich!« sagte ich.

»Es halten sich viele Regimenter im Delta auf«, sagte Hauptmann Labienus.

»Für dieses Regiment bist du verantwortlich.«

»Wir haben unsere Befehle.«

»Ich beschwöre dich, zieh dich zurück.«

»Unsere Befehle lauten aber anders.«

»Dann setzte dich mit den anderen in Verbindung.«

»Die Regimenter agieren unabhängig voneinander.«

»Hältst du es dann für einen Zufall, daß ihr über keine zentrale Kommandokette verfügt?«

Er blickte mich wütend an.

»Ar zieht sich nicht zurück«, sagte Plenius.

»Du bist hier der Befehlshaber«, sagte ich zu Labienus. »Du mußt die Entscheidung treffen.«

»Wir sind nicht ins Delta eingedrungen, um ohne cosisches Blut an den Klingen zurückzukehren!« sagte Plenius.

»Triff deine Entscheidung!«

»Das habe ich«, erwiderte Labienus. »Wir marschieren weiter nach Westen.«

Jubel ertönte.

»Saphronicus befindet sich nicht einmal im Delta!« sagte ich.

»Wenn das der Wahrheit entspräche, wer außer einem Spion könnte das wissen?« fragte Labienus.

»Der andere Spion, der es mir erzählt hat«, sagte ich.

»Damit bist auch du ein Spion«, sagte er. »Knebelt ihn.«

Plenius ließ sich nicht zweimal bitten.

»Laß mich ihn töten«, bat ein Soldat und zog das Messer, aber der Hauptmann hatte sich bereits abgewandt, um sich mit seinen Unteroffizieren zu beraten.

»Er hat versucht, Aurelian vor dem Tarnsmann zu warnen«, sagte ein anderer Mann.

»Er fürchtete nur um seine eigene Haut«, meinte Plenius und zurrte den Knebel noch fester.

»Dann soll er noch etwas mehr darum fürchten«, verkündete der Mann. Die Messerspitze berührte meinen Bauch, links unten. Die Schneide zeigte nach oben.

Sie konnte mit einem Ruck hineingestoßen und gleichzeitig in die Höhe gezogen werden und mich mühelos entleiben.

Ich blieb ganz still stehen.

Der Soldat trat wütend einen Schritt zurück und steckte das Messer weg. »Cosischer Sleen«, knurrte er. Dann wandte er sich zusammen mit seinen Kameraden von mir ab.

Plenius versetzte dem Joch einen Stoß, und ich stürzte über die Reling der Barke und landete hart im Wasser und im Schlamm. Ich kämpfte mich mühsam auf die Beine, wobei ich mehrmals ausrutschte. »Geh vor mir her!« befahl Plenius. Ich versuchte, mir das Wasser aus den Augen zu schütteln. Dann stolperte ich los, zurück zu dem Floß; er ging hinter mir, die Leine fest in der Hand.

Ich schüttelte erneut den Kopf, ich wollte das Wasser in den Augen los werden. In mir waren Wut und Hilflosigkeit. Ich wollte gegen den Knebel anschreien. Die Männer von Ar waren verrückt. Sie begriffen einfach nicht, was mit ihnen geschehen war! Ich wollte es ihnen zubrüllen, sie wachrütteln, sie warnen! Aber der Knebel in meinem Mund war ein goreanischer Knebel. Ich brachte nicht mehr als ein Wimmern zustande; einmal wimmern hieß ›ja‹, zweimal wimmern hieß ›nein‹. Auf diese Weise verständigte sich ein geknebelter Gefangener mit seinen Häschern, antwortete auf ihre Befehle und Fragen, denn allein ihre Interessen und Launen zählten. Aber selbst wenn ich hätte sprechen können, sie hätten mir nicht zugehört. Das wurde mir nun klar. Sie hatten mir zuvor nicht zugehört, sie würden es auch nun nicht tun.

Ich mußte fliehen! Ich mußte ihnen entkommen. Irgendwie mußte ich dem Schicksal entgehen, dem sie mit ziemlicher Sicherheit zum Opfer fallen würden. Ich hatte kein Interesse daran, ihre Dummheit, Verstocktheit und ihr schreckliches Ende zu teilen. Ich mußte fliehen! Es gab keine andere Möglichkeit.

Wir waren am Floß angelangt. Es lag genau dort, wo wir es verlassen hatten, ein Stück auf die kleine Sandbank geschoben, damit es während unserer Abwesenheit nicht abtrieb. Plenius beugte sich vor, um das an dem Floß befestigte Geschirr aus dem Wasser zu ziehen. Ich spannte alle Muskeln an. Nur ein paar Schritte von uns entfernt watete ein Soldat durch das Wasser.

»Wende dich von mir ab!« befahl mein Hüter.

Ich gehorchte. Der Soldat watete an mir vorbei.

»Bleib still stehen, Zugochse«, sagte Plenius. Der nächste Soldat ging an uns vorbei. Plenius legte mir das Geschirr an. Wütend spürte ich sein Gewicht. Ich wußte nicht, wieviel Zeit ihnen die Rencebauern geben würden, vielleicht nur bis Einbruch der Dunkelheit. Plenius zurrte noch immer an dem Geschirr herum. Im Augenblick standen wir ganz allein dort, niemand befand sich in unmittelbarer Nähe.

Ich fuhr auf dem Absatz herum. Plenius riß die Augen weit auf, dann traf ihn das Joch an der Schläfe. Es war unfaßbar, daß niemand diesen Laut hörte! Doch es erfolgte keine Reaktion. Keiner stürzte auf uns zu.

Ich sah auf Plenius, meinen Bewacher, herab. Er lag reglos auf der Sandbank. Er war ohne jeden Laut zusammengebrochen.

Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung zerrte ich das Floß ins Wasser. Ich war fest davon überzeugt, daß ich, falls ich an den Soldaten vorbeikäme, das Joch an den Stämmen des Floßes in Stücke brechen konnte und so meine Hände freibekäme, um mich unverzüglich von dem Geschirr zu befreien und mich davonzumachen. Ich ging los, das Floß im Schlepptau.

Es gelang mir, mehrere Ehn im dicksten Renceschilf zu bleiben. Dort betrug die Sichtweise kaum mehr als ein paar Meter. Manchmal ertönten die Stimmen von Soldaten. Zweimal passierten sie mich nur wenige Zentimeter entfernt. Das Floß verkantete sich mehrmals an dem Schilf. Einmal mußte ich es zu meinem Unbehagen über eine offene Wasserfläche ziehen. Ich war sehr erleichtert, als ich wieder im Schilf war.

»Halt!« sagte plötzlich eine Stimme.

Ich blieb stehen. Eine Schwertspitze bohrte sich in meinen Bauch. Ein zweiter Soldat trat an meine Seite.

Es waren Mitglieder des äußeren Verteidigungsrings, der, wie ich wütend erkannte, aufgrund meiner Vorschläge überhaupt erst gebildet worden war.

Hinter mir wateten Männer heran.

»Habt ihr ihn?«

Diese Stimme kannte ich. Es war Plenius, mein Bewacher.

»Ja«, erwiderte der Soldat, dessen Schwert ich am Bauch spürte. Er drückte fester zu, und ich wich zurück, bis ich gegen das Floß stieß. In dieser Stellung hielt er mich dann fest, ohne jede Möglichkeit zum Ausweichen. »Er wartet schon auf dich, im Joch und angeschirrt, so unterwürfig wie eine Sklavin.«

Ich hörte das Klirren von Ketten.

»Anlegen«, sagte Plenius. »Vor dem Körper.«

So lag mein Rücken frei.

Eine Handschelle schnappte um mein rechtes Handgelenk zu, bevor es von dem Joch befreit wurde. Dann wurde es zur Seite gerissen, und die andere Fessel schloß sich um das linke Gelenk. Erst danach befreite man mich vollends von dem Joch. Die zusammengeketteten Hände band man mir vor den Bauch, indem man ein Seil durch die Kettenglieder führte und es auf dem Rücken zusammenknotete.

»War der Zugochse störrisch?« fragte der Soldat besorgt. Männer lachten.

Plenius war auf das Floß geklettert. Andere schlossen sich ihm an.

Eine Peitsche knallte.

»Umdrehen, Zugochse!« befahl Plenius. »Wir marschieren nach Westen!«

Meine Hände steckten hilflos in dem Eisen fest.

»Beeilung!«

Die Peitsche züngelte über meinen Rücken. Und noch einmal.

»Beeilung!«

Ich drehte mich um, rutschte im Schlamm aus und drehte mit brennendem, blutüberströmtem Rücken das Floß. Dann zog ich es westwärts, noch tiefer ins Delta hinein.

»Nun mach schon«, rief Plenius.

Wieder traf die Peitsche meinen Rücken.

Ich stemmte mich gegen das Geschirr, nach Westen.

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