Flagschiff Einheit (Im Raum Lansing) + 3,00 Megasekunden

Eine Plünderung. Während er, Raul Nakamore, das Phantomschiff von Außerhalb verfolgt hatte, hatte es buchstäblich einen Kreis um ihn geflogen und die Destille geplündert, die seine Flotte hatte beschützen sollen. Während er immer noch vergeblich hier bei Lansing festsaß und nicht mehr genug Treibstoff hatte, auch nur einem Witz nachzujagen. Raul trommelte zornig mit den Fingern auf der Lehne seines Sessels, da er seiner Frustration auf keine andere Weise Ausdruck verleihen konnte.

Doch die Meldungen, die er empfangen hatte, deuteten darauf hin, daß das Sternenschiff das System nicht direkt verlassen hatte, sondern seinem eigenen Kurs folgte und nochmals nach Lansing zurückkehrte. Raul betrachtete das Instrumentenpult. Siebenundzwanzig-tausend Kilosekunden waren verstrichen, bis zur Ankunft bei Lansing blieben somit noch dreiundzwanzig Kilosekunden. Wie in der Fabel vom Hasen und der Schildkröte — verlangsamt durch die Last des gestohlenen Wasserstoffs, konnte das Sternenschiff niemals vor ihm in Lansing sein, wenn Lansing tatsächlich sein Ziel war. Aber warum sollte es? Warum sollten diese Außenweltler für Lansing Pirat spielen, wo sie bereits in den Ringen schwere Verluste erlitten hatten? Rache? Aber sie hätten die Destille mit Leichtigkeit zerstören können: statt dessen stahlen sie nur tausend Tonnen Wasserstoff — zu wenig, um die Große Harmonie entscheidend zu schwächen, aber auch zuviel für ein schnelles Entkommen.

Und derjenige, der ihnen beim Diebstahl geholfen hatte, war Wadie Ahdhiamal… Wadie Abdhiamal vom Demarchy. Vom Demarchy zum Gesetzlosen erklärt, wie Djem gesagt hatte, von seinem Volk zum Verräter gestempelt, da er dem Sternenschiff das Entkommen ermöglicht hatte. Und wenn es eine Tatsache gab, deren er, Raul, ganz sicher war, dann war es die, daß Abdhiamal mit Sicherheit kein Verräter war. Aber warum hatte er dann die Zukunft seines Volkes verraten? Er war vielleicht nicht der Vernünftigste, aber verrückt war er auch nicht. Warum bedrohte er Schnee-der-Errettung, wo er doch besser als jeder andere Demarchos wissen mußte, daß das auch das Ende seines eigenen Volkes bedeuten konnte? Warum verriet er seine Freunde? Denn sie waren seine Freunde gewesen, und indem er sie verriet, hatte er sich selbst die einzige mögliche Zuflucht im Himmel-System vernichtet, die ihn aufgenommen hätte.

Vielleicht war er dazu gezwungen worden. Aber Djem hatte gesagt, Abdhiamal habe nicht wie ein Mann gehandelt, der unter Zwang steht… Raul wußte, Djem würde Abdhiamal nie verzeihen — wenn nicht aus anderen Gründen, so nur wegen des Verrats ihrer Freundschaft. War es das Schiff oder seine Besatzung, die einen Mann wie Abdhiamal dazu bringen konnte, alles aufzugeben? Vielleicht würde er es nie erfahren. Aber das Schiff folgte ihnen nach Lansing…

Raul streckte sich und sah Sandoval an. Sandovals hakennasiges Profil zeigte eine Maske kompromißloser Langeweile, während er ein Romanband las. Ein guter Offizier, dachte Raul. Wenn er diesen Einsatz seines Schiffes für nutz- und sinnlos hielt, ließ er es sich nicht anmerken. Raul behielt seine eigenen Zweifel und Spekulationen für sich. Dreiundzwanzig Kilosekunden nach Lansing. Und vielleicht würden sie doch nicht enttäuscht werden…

Der Anblick von Diskus, bis fast zur Unkenntlichkeit zusammengeschrumpft, begrüßte Raul, als er sich von der Luftschleuse abstieß und zur felsigen Oberfläche des Landefelds von Lansing hinabschwebte. Er erinnerte sich daran, einmal zum Himmel des Demarchy aufgeblickt zu haben, wo Diskus nur ein winziges, helles Pünktchen gewesen war, ein Stern unter vielen und auch so unerreichbar wie die Sterne. Er erinnerte sich an das Gefühl von Isolation und Einsamkeit, das ihn damals erfüllt hatte. Dieses Mal, zwar unsichtbar, aber immerhin doch in nächster Nähe, hatten sie ein Schiff im Orbit um Lansing, das für ihre Sicherheit garantierte. Er bewegte sich vorsichtig, während er auf die Handvoll Besatzungsmitglieder der gelandeten Schiffe wartete. Nach fast drei Megasekunden konnte er endlich wieder einmal sämtliche Muskeln unter normaler Gravitationseinwirkung entspannen. Jenseits des Feldes lagen drei weitere Schiffe. Er studierte sie mit flüchtiger Neugier und erkannte, daß selbst Lansing jene elektronuklearen Raketen hatte, über die die Große Harmonie nicht verfügte. Aber gleichzeitig erkannte er, diese drei Schiffe waren so tödlich, daß sie Große Harmonie ohne sie wahrscheinlich besser dran war. Unter ihm (der kaum merkliche Sog der Gravitation hatte ihm dieses Wort eingegeben) waren durch das transparente Zelt, das neun Zehntel der Oberfläche Lansings schützte, grüne und goldene Flecken zu sehen. Er dachte an treibenden Schnee, goldfarbene Gase, die in der Kälte kristallisiert waren.

Das war Lansing, einst das stolze Herz des stolzen Himmels Gürtel, die einzige derartige Welt. Das selbstgeschaffene Ökosystem hatte die Umweltbedingungen der Alten Erde wieder auferstehen lassen, und nur deshalb hatte die Bevölkerung den Krieg überleben können.

Weil es als Herz und Zentrum ein Schaustück gewesen war, mehr nicht. Er wußte, daß Lansing bei der letzten Annäherung an Diskus der Piraterie anheimgefallen war, und fragte sich, wie es jetzt wohl aussehen mochte. Seine Mannschaft war nervös und feindselig. Er hatte den Männern Anweisung gegeben, auch innerhalb des Asteroiden die Schutzanzüge anzubehalten, um sich vor möglichen Krankheitserregern zu schützen — und um sich vor allen Tätlichkeiten der Eingeborenen zu schützen, die bei einer direkten Konfrontation von Angesicht zu Angesicht geschehen konnten.

Sie setzten sich in Richtung auf die einzige Luftschleuse in Bewegung, die im Felsgestein über den Schiffen zu erkennen war. Raul betrachtete die einsame Funkantenne auf der Kuppe eines nahe gelegenen kahlen Hügels. Sie wurde vom kalten Licht der fernen Sonne spärlich beleuchtet und versank in der Nacht, während der Planetoid sich weiter drehte. Keine Lichter zur Warnung landender Schiffe blinkten an dem schlanken Mast. Sein Funker war außerstande gewesen, Funkverkehr von Lansing zu empfangen. Er fragte sich, ob ihr Kommunikationsnetz vollkommen zusammengebrochen war, ob sie überhaupt von der Landung seines Schiffes informiert waren… oder ob sie schon alle — eine unangenehme Vorahnung — tot waren.

Einer seiner Männer drehte das Rad, die Schleuse öffnete sich. Die Männer hinter ihm warteten ohne Anzeichen von Spannung, Erleichterung oder Triumph darüber, ihr Ziel erreicht zu haben. Er hörte lediglich unbehagliches Flüstern und Murmeln, das er über seinen Helmfunk empfing. Ihre Stille verblüffte ihn, bis er erkannte, daß auch er schwieg, als hätten Isolation und der Hauch des Todes, der Himmels Gürtel umgab wie dieses Zelt hier seine Welt, sie alle in ihren Bann geschlagen. Das Schleusentor schwang nach außen. Raul betrat sie mit einem flüchtigen Gedanken an das Tor zur Hölle, zur Unterwelt.

Die Schleuse schloß sich wieder und ersetzte Vakuum durch Luft. Raul fühlte, wie der Anzug seine Starre verlor, und sah sich flüchtig um, ob niemand ungehorsam seinen Helm öffnete. Nach fast drei Megasekunden in künstlich wiederaufbereiteter Luft wußte er selbst nur zu gut, wie stark dieser Drang werden konnte. Er überprüfte seine Waffe, die er in der Armbeuge hielt.

Das innere Schleusentor glitt beiseite. Er blickte hinein — und mitten in die Gesichter von zwölf Männern und Frauen, die sie ihrerseits ungläubig musterten. Sie hatten ihn nicht erwartet, erkannte er. Er trat in den Korridor vor und suchte die furchtsamen Gesichter nach dem eines möglichen Anführers ab, sah Schmutz und zerrissene, behelfsmäßig geflickte Kleidung. Er hörte die verblüfften Flüche der Männer hinter seinem Rücken und hob daraufhin seine eigene Stimme. „Nun gut, wer…“

Eine Frau von unbestimmbarem Alter löste sich von der Gruppe und kam auf ihn zu; sie trug etwas in Lumpen Gehülltes, Tränen rannen über ihre Wangen, die dunklen Augen musterten ihn eindringlich. Er hörte eine zitternde Stimme: „… ein Wunder, es ist ein Wunder…“ Bevor er reagieren konnte, hatte sie ihm das Bündel in die Hand gegeben und war in einem Tunnel verschwunden. Er betrachtete das Bündel und sah ein neugeborenes Kind. Das Baby gab keinen Laut von sich. Als er den Grund erkannte, wandte er sich ab. „Wessen Kind ist das?“ Seine Stimme bekam einen harten, zornigen und verneinenden Klang.

Einer der Männer kam auf ihn zu, sein Gesicht zeigte immer noch Furcht, eine Art Verzweiflung trieb ihn voran. „Es ist meines… unseres. Bitte… bitte, geben Sie es mir wieder.“ Etwas in seiner Stimme machte aus dem Kind ein Ding. Er streckte einen Arm aus, der Ärmel glitt zurück — er war bis zum Ellbogen aufgerissen. Schmutz war schwarz unter seinen Fingernägeln zu sehen, er schwärzte auch seine Handlinien.

Raul hielt ihm das Kind unsicher hin. Der Vater riß es ihm fast aus dem Arm. Er stieß sich unerwartet durch den Kreis der bewaffneten Männer zur Schleuse. Er warf das Baby hinein, schlug mit einer Hand auf die Kontrollplatte und begann, am Rad zu drehen.

Raul sah Sandoval vorwärts springen, aber der Mann versperrte mit seiner Gestalt den Zugang zur Schleuse, deren Tor sich langsam schloß. Sandovals Hand umklammerte sein Hemd und riß es fast in Fetzen, als er daran zog, doch der Mann stieß ihn mit einem Fuß beiseite. Gerade als Sandoval die Finger in den letzten Spalt schieben wollte, schloß sich die Tür endgültig. Das grüne Licht über dem Tor wurde rot. „Warum…“ Sandoval fuhr herum, während zwei seiner Männer den Mann in ihre Mitte nahmen.

„Sandoval!“ Raul hob eine Hand. „Das genügt! Das genügt… Es war ein… Gnadenakt. Laßt ihn los.“

„Sir…“ Hinter dem Glas des Helmes konnte er Sandovals hilflose Wut sehen.

Raul schüttelte den Kopf und verdrängte die Erinnerung an seine eigenen drei Töchter und zwei Söhne, die mittlerweile alle erwachsen und gesund waren. Er sah, wie der Vater langsam gegen die Wand sackte, als die Männer ihn freigaben. Der Mann zupfte klagend an seinem zerrissenen Hemd, als sei der Riß eine tödliche Wunde.

Raul sah wieder in den Tunnel, in dem der Rest der Zuschauer verschwunden war. Unter dem zornigen Gemurmel der Mannschaft ging er auf ihren Gefangenen zu, durch einen Ring der Gesichter. Der Mann duckte sich und hob abwehrend eine Hand. „Ich mußte es tun… ich mußte es tun. Jemand mußte es tun. Sie wußte es, aber sie wollte es nicht zugeben. Jeder sagte das. Es wäre ohnehin gestorben, oder nicht? Oder nicht? Sie sahen es, es war krank…“ Er senkte die Arme und umklammerte Rauls Ärmel. „Sie haben es gesehen?“

Raul widerstand dem Drang, die Hände wegzuschlagen. Er holte tief Atem. „Ja. Ich habe es gesehen. Es hätte nicht überlebt.“

Der Mann klammerte sich wimmernd an seinen Ärmel. „Danke… danke…“

Raul schüttelte ihn unsanft, sowohl von Mitleid wie auch von Abscheu erfüllt. „Wer sind Sie?“

Der Mann sah ihn verständnislos und dumm an.

„Ihr Name“, sagte Raul. „Identifizieren Sie sich.“

„Wind… Wind Kitavu.“ Der Mann richtete sich auf, und als die Vernunft in seine Augen zurückkehrte, ließ er Rauls Ärmel los. Alte Augen im Kopf eines jungen Mannes. „Wer… was machen Sie hier?“

„Ich stelle die Fragen. Zuerst — gibt es hier einen Führer, und wenn ja, können Sie uns zu ihm bringen?“

Wind Kitavu nickte und sah mißtrauisch in die Mündungen von einem halben Dutzend Gewehren. „Der Premierminister, das Abgeordnetenhaus. Ich kenne die Säle. Ich werde Sie…“ Seine Finger suchten wieder nach dem Riß in seinem Hemd und hielten die Hälften nervös zusammen. „Sie sind nicht der…“ Raul sah die Frage in ihm aufsteigen, doch er schluckte sie wieder herunter. „Soll ich Sie hinbringen?“

Raul winkte seine Männer beiseite und ließ Wind Kitavu passieren. Er folgte ihm, und hinter ihm folgte die Mannschaft. Wie er bemerkte, war ein Bein des Mannes kürzer als das andere und verkümmert. Die Tore zur Hölle, das Zentrum Himmels.

Sie wurden nicht wie erwartet zur Oberfläche geführt. Wind Kitavu blieb in den unterirdischen Korridoren, wo Männer und Frauen sie stumpf beobachteten und alle Anzeichen von Furcht und Verwunderung, in der Hauptsache aber Verwirrung zeigten. Keine Bedrohung. Seine Benommenheit wich einem Gefühl tiefer Depression. Eine Frau gesellte sich aus einer Nische zu Wind Kitavu. „… Sternenschiff…?“ Wind Kitavu schüttelte den Kopf, worauf sie sich wieder entfernte. Raul sah Verzweiflung in ihrem Blick, als sie an ihm vorbeikam. Sein Gefühl des Elends wurde immer größer.

Auf seinen Befehl hin zeigte ihnen der Mann den Weg zum Kommunikationszentrum, und er schickte Sandoval mit zwei Männern zu einer Überprüfung dorthin. Mit den anderen ging er weiter, wobei er sich ständig fragte, was sie im Abgeordnetenhaus erwarten mochte.

Was er auch erwartet hatte, es konnte ihn nicht auf das vorbereiten, was er dann zu sehen bekam. Jemand hatte die Nachricht von ihrer Ankunft überbracht: Sieben Gestalten standen wartend in dem Zimmer mit den groben Wänden, das er instinktiv als Lagerhalle und nicht als Versammlungszentrum erkannte. Die fünf Männer und zwei Frauen wirkten in ihrer Staatstracht wie glitzernde Juwelen auf einem kahlen Felsuntergrund. Ein Mann nestelte immer noch an den Falten seiner Ärmel herum, wie Raul bemerkte. Der Mann, der ihnen am nächsten stand, trat nach vorn, sein Gang war würdevoll, sein Gesicht ein Ausdruck erhabener Gewichtigkeit. Raul betrachtete die kostbaren Brokatgewänder: Die Fasern absorbierten das Licht, brachen es und warfen es schillernd wieder zurück. Trotzdem konnte er dazwischen immer wieder Flickstellen sehen. Das Gewebe war alt und vom Zahn der Zeit angenagt. Der Mann trug eine turbanähnliche Kopfbedeckung aus demselben Material; wo sein Gesicht und seine Hände sauber waren, hoben sie sich dunkel gegen den hellen Stoff ab.

Raul wartete stumm, bis der Abgeordnete ihn erreicht hatte. Die anderen Ratsmitglieder versammelten sich hinter ihm; sie alle waren ähnlich gekleidet. Ihr Blick ruhte mehr auf Rauls Waffe als auf seinem Gesicht. Schließlich hob der Mann den Kopf und suchte hinter dem Helmvisier nach Rauls Blick. „Ich bin Silver Tyr“ — die Stimme überraschte ihn mit ihrer kalten Arroganz — „Präsident des Lansingschen Abgeordnetenhauses, Premierminister von Himmels Gürtel…“ Der Mann verstummte, als Gelächter in Rauls Helm rasselte, es dauerte lange Sekunden, bis er erkannte, daß es nicht sein eigenes, unterdrücktes Lachen war, sondern das eines der anderen Besatzungsmitglieder. Er hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und einen Augenblick lang hörte er noch den blechernen Nachhall in dem Zimmer.

„Und Sie sind…?“ Der Premierminister sprach die Worte mit gekränkter Eitelkeit aus — er verlangte nicht für den Schattenregenten Respekt, der in seinen Lumpen vor ihnen stand, sondern für den verlorenen Traum, in dem sie alle vor ihrem Sündenfall gelebt hatten.

„Raul Nakamore. Hand der Harmonie.“ Und fast unbewußt streckte er eine Hand aus, durch den Handschuh vor Schmutz geschützt, aber bereit zur Freundschaft. „Wir wollen Ihrem Volk nichts Böses tun. Wir wollen Ihre Zusammenarbeit, solange wir hier sind.“

Der Premierminister streckte ebenfalls die Hand aus, mit der zögernden Geste eines Mannes, der erwartet, sie beiseite geschlagen zu bekommen. „Und weswegen sind Sie hier, Sir?“

Raul schüttelte die Hand, ließ sie aber wieder los, bevor er antwortete. „Wir jagen Piraten, Euer Exzellenz.“ Diesen ungebräuchlichen Titel hatte er noch von halb vergessenen Geschichtslektionen behalten. Auf mehr als einem Gesicht erkannte er plötzlich schuldbewußte Mienen.

Als er seinen Blick bemerkte, sagte der Premierminister: „Aber das war vor fast einer vollen Gigasekunde, Hand Nakamore — zudem war es ein Akt der Notwendigkeit, wie Sie sicher wissen. Gewiß sind Sie doch nach der langen Zeit nicht den ganzen Weg gekommen, nur um zu bestrafen…“

„Ich spreche nicht von Ihrem letzten Angriff auf die Ringe, Euer Exzellenz — ich glaube, das wissen Sie. Ich spreche von dem Sternenschiff von außerhalb des Himmel-Systems, das eines unserer Schiffe vernichtet und unsere Hauptdestille ausgeplündert hat — und das auf seinem Flug aus unserem System hinaus bei Lansing vorbeikommen wird…“

„Sir…“ Raul hörte die Stimme Sandovals und wandte sich um, als noch weitere Männer den Saal betraten.

Sandoval und seine beiden Männer kamen zu ihm. Sie eskortierten eine zornige, magere Frau, braune Haut, braune Augen, braunes Haar, das an den Wurzeln bereits weiß wurde. Raul starrte sie an, so wie sie ihn anstarrte. Als ihr Blick über die herausgeputzten Gestalten der Ratsmitglieder glitt, flammte lautloser Zorn wie ein Feuer hinter ihren Augen auf. Ihr Blick wandte sich wieder ihm zu, und der Zorn kühlte etwas ab. Er dachte an einen Brand, der zwar einstweilen unter Kontrolle war, aber immer noch schwelte.

„Sir, diese Frau fanden wir im Funkraum. Sie behauptet, ihr Kom sei nicht mehr in Ordnung.“

Nickend wandte er sich wieder dem Premierminister zu, als dieser sagte: „Wir wissen nichts von einem Sternenschiff. Sie haben alle Schiffe gesehen, die wir haben. Mit ihnen können wir nicht einmal mehr Diskus erreichen…“

„Stellen Sie sich der Realität, Silver Tyr!“ Die scharfe Stimme der Frau unterbrach seinen Redefluß. „Er sieht euch an, daß ihr lügt. Ihr könnt die Wahrheit nicht mehr verbergen, so wie eure Gewänder eure Lumpen nicht mehr verbergen können. Und wenn er die Wahrheit die ganze Zeit nicht gekannt hat, so kennt er sie jetzt. Es wäre am besten für uns, wenn wir mit ihm zusammenarbeiten, wie er es verlangt, und darauf hoffen, daß er bereit ist, dafür zu bezahlen…“

„Flame Siva! Willst du die einzigen Menschen im Universum verraten, die zur Hilfe für uns bereit sind? Deine eigene Tochter…“

„Kein Krüppel, keine Defekte, ist ein Kind von mir.“ Doch ihre Stimme verriet sie, Raul fühlte die Hitze bitterer Enttäuschung in der Asche ihrer Worte. Die zusammengekauerte Gestalt von Wind Kitavu, selbst ein Krüppel, wurde bei ihren zornigen Worten noch kleiner. „Aber unter den gegenwärtigen Umständen spielt das ohnehin keine Rolle mehr.“

Ein Stirnrunzeln verzerrte die Züge des Premierministers. „Zwei Angehörige unseres Volkes sind an Bord des Sternenschiffes. Sie sagen, die Große Harmonie habe das Sternenschiff zuerst angegriffen. Es hat daher ein Recht, auch einen guten Grund, gegen euch vorzugehen, und Sie haben keinen rechtlichen Anspruch darauf. Daher verspüren wir keinen Wunsch, Ihnen dabei zu helfen, es in Ihre Gewalt zu bringen.“

„Ich verstehe.“ Raul erwiderte das Stirnrunzeln, doch er erkannte, er konnte diesem Volk im Grunde genommen nichts antun, da er bereits ihre einzige Hoffnung zerstört hatte. „Zu Ihrem Glück sind wir im Grunde genommen gar nicht auf Ihre Zusammenarbeit angewiesen… aber wir werden auch keine Störung tolerieren. Wir werden hier warten, bis das Schiff ankommt.“ Er studierte ihre Reaktionen und erkannte mit einer Spür diabolischer Freude, daß das Schiff tatsächlich ankommen würde. „Eines meiner Schiffe ist in einem Orbit über Lansing. Sollten wir auf Widerstand stoßen, hat der Kapitän den Befehl. Löcher in das Zelt zu schießen. Wenn Ihr die euch verbleibende Zeit noch voll auskosten wollt, dann stellt euch uns nicht entgegen.“

„Nicht einmal auf Lansing wollen wir ein Treffen mit dem Tod forcieren, Hand Nakamore.“ Der Premierminister betrachtete vielsagend seine Waffe.

„Auf Lansing ganz besonders nicht“, bekräftigte Flame Siva. „Wir sind Materialisten. Hand Nakamore, Realisten. Das sagt man wenigstens von uns.“ Sie legte eine Pause ein. „Was haben Sie mit dem Schiff und seiner Besatzung vor? Werden Sie es intakt lassen?“

Raul lachte kurz. „Wir werden es versuchen. Aber ich werde es lieber zerstören als zuzulassen, daß es uns wieder genommen wird. Außerdem möchten wir die Besatzung lebend, damit wir wissen, wie man es bedient. Weigern sie sich, uns an Bord zu lassen… nun, Piraterie ist ein Kapitalverbrechen, das nach jedem Recht mit dem Tod bestraft wird.“ Er sah, wie die Ratsmitglieder sich unruhig, dabei glitzernd, bewegten.

„Der Großteil der Besatzung ist ohnehin bereits durch Ihre Schuld tot“, murmelte die Frau mit gesenktem Kopf. „Sie hat die Verluste…“

„Sie?“ fragte Raul überrascht. „Das stimmt…“ — er erinnerte sich an Details des fremdartigen Äußeren und die Entdeckung der menschlichen Überreste —, „ein weiblicher Pilot. Also ist die Mannschaft nicht voll einsatzfähig?“

„Zwei unseres Volkes sind bei ihnen“, wiederholte die Frau. Er erkannte, daß es mehr als nur eine simple, ausgesprochene Tatsache war; ihre lochtet: hatte der Premierminister gesagt. Sie hob langsam eine Hand und strich sich über den Nacken und ihr mattes Haar, womit sie, wie er erkannte, eine Geste der Bedrohung kaschierte. „Der Kapitän versprach uns den Wasserstoff, den wir zum Überleben benötigen, wenn sie ihr halfen, den Treibstoff für ihr eigenes Schiff zu bekommen… den Wasserstoff, den ihr mit uns nicht teilen wolltet — hätten wir ihn uns nicht gewaltsam geholt.“

Er wartete ab, antwortete aber nicht, denn ihre Worte hatten keine Anklage beinhaltet.

„Was würden Sie uns geben, wenn ich Ihnen helfe, das Schiff intakt in die Hand zu bekommen?“

Wieder war er überrascht. „Was können Sie tun, das zu garantieren?“

Ihre schmalen Hände überkreuzten sich vor der Brust, umklammerten ihre ebenso dünnen Hände in Ärmeln, die viel zu lang und zu zerlumpt waren. „Erlauben Sie mir, die Funkanlage wieder zu reparieren. Geben Sie Ersatzteile… wenn Sie welche haben.“ Sie blickte ihn mit harten, glänzenden Augen an. „Lassen Sie mich Kontakt mit dem Schiff aufnehmen, wenn es sich nähert. Ich werde ihnen versichern, daß sie gefahrlos kommen können. Dann können Sie sie leicht übernehmen.“

„Das könnten wir auch selbst tun.“

„Nein, können Sie nicht. Meine… unsere Leute auf dem außerirdischen Schiff kennen die Probleme unserer Funkanlage sehr gut — und außerdem meine Stimme. Durch die Stimme eines Fremden würden sie argwöhnisch werden… wie auch durch eine Funkstille.“

„Da haben Sie nicht unrecht.“ Raul nickte.

„Werden Sie uns den Wasserstoff lassen, wenn ich das tue?“ Dieses Mal funkelte sie ihn nicht zornig an.

„Wenn das Schiff entkommt, können sie mit dem Wasserstoff zurückkommen!“ platzte Wind Kitavu heraus. „Nimm uns nicht unsere einzige Chance…“

Sie drehte sich um, und ihr Gesicht brachte ihn zum Schweigen. Raul fragte sich, was es zeigen mochte. „Werden Sie es tun?“

Da er wußte, wie einfach es sein würde zu lügen, antwortete er: „Ich werde um die Erlaubnis bitten. Vielleicht bekomme ich sie, vielleicht auch nicht.“ Er wartete auf ihre Reaktion und wurde von einer Art Enttäuschung verwirrt, als hätte sie eine Lüge von ihm erwartet, die ihren Verrat entschuldigt hätte. Oder war da noch etwas anderes? Er dachte an Wadie Abdhiamal.

„Aber was wird mit der Besatzung? Wenn Sie… das Schiff intakt in die Hand bekommen?“

„Wenn ich sie lebend bekomme?“ Ihre Tochter… also hatte er doch endlich eine zufriedenstellende Auskunft erhalten. „Sie liegt Ihnen also doch am Herzen?“

Flame Siva erstarrte, ihre Augen erinnerten an niedergebrannte Schlacke, ihre Stimme verlor ihre Stärke. „Ja… natürlich liegt sie mir am Herzen…“ Und dann, plötzlich wild und aufbrausend: „Sie liegen mir alle am Herzen! Sie versuchen uns zu retten!“ Sie biß sich auf die Lippen.

Raul wand sich unbehaglich. „Wenn sie keinen Widerstand leisten, werde ich Ihre Tochter und den anderen freilassen — wenn Ihnen daran soviel gelegen ist.“ Das ist Strafe genug. „Und was den Rest angeht — an Bord ist ein Verräter aus dem Demarchy, der ihnen die Informationen zum Überfall auf unsere Destille gab. Ich glaube nicht, daß er eine große Chance hat.“ Aber ich will immer noch eine Erklärung. „Und was die Außenweltler angeht, die übriggeblieben sind… die werden auf die eine oder andere Weise mit unserer Flotte zusammenarbeiten müssen.“

„Sie werden sie niemals gehen lassen.“ Es war keine Frage.

„Ich glaube weder unsere Flotte noch die Besatzung wird jemals in einer Position sein, darüber verhandeln zu können.“

Sie nickte oder schüttelte den Kopf, eine seltsame Bewegung. „Wir tun hier, was wir können… und wir nehmen, was wir bekommen. Wir sind für unsere Taten selbst verantwortlich.“ Wieder der Trotz, der Abscheu, das lohende Feuer… sie wandte sich an die geisterhafte Inkarnation des Rates von Lansing. „Wir nehmen die Konsequenzen auf uns.“

„Sandoval.“ Raul winkte ihn zu sich. „Bringen Sie sie zurück und lassen Sie sie am Funkgerät arbeiten. Und was immer auch geschieht, lassen Sie sie kein Wort — ich wiederhole, kein Wort — ohne meine Erlaubnis übermitteln.“

„Ja, Sir.“ Sandoval salutierte nachlässig und brachte sie weg. Sie wurde von seinen Männern flankiert, hatte aber den Kopf hoch erhoben.

Raul kommandierte zwei weitere Männer zum Bewachen der Luftschleuse ab, einen behielt er bei sich. Der Premierminister und seine Abgeordneten warteten, sich bewußt — wie auch er sich bewußt war —, daß es ihnen an der nötigen Konsequenz und Kontrolle fehlte.

Der Premierminister wandte sich an Wind Kitavu, seine Robe öffnete sich wie eine Blüte. „Du. Was machst du hier unten?“

„Sie wissen, was ich getan habe!“ Wind Kitavu sprang weg von der Wand. „Das Kind. Ihr alle wißt es. Tut nicht so, als ob es anders wäre!“

Der Premierminister wich zurück, eine würdelose Bewegung. „Dann erwarte nichts weiter von uns! Du wußtest, was geschehen würde. Akzeptiere deine eigenen Fehler… geh wieder an deine Arbeit.“ Er streckte einen Arm aus.

Raul sah Schmutz, der verkrustet den ganzen Unterarm bedeckte, als der Ärmel zurückglitt. Er hörte einen seiner Männer, der es ebenfalls gesehen hatte, laut lachen, doch dieses Mal unternahm er keinen Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen. Er wandte sich ab. „Wind Kitavu.“

Wind Kitavu verharrte auf halbem Weg zur Tür.

„Gehst du zur Oberfläche?“

Ein ausdrucksloses Nicken. „Muß es meiner Frau erzählen. Von dem Baby.“

„Dann werden wir dir folgen. Ich möchte diese verdammten Gärten sehen.“

„Verdammten Gärten…“ wiederholte eine andere Stimme. Wind Kitavu ging zum Ausgang. Raul wandte sich nicht noch einmal dem Premierminister von ganz Himmels Gürtel zu.

Raul folgte seinem wortkargen Führer durch viele Tunnels, dieses Mal in eine Aufwärtsrichtung. Schließlich wurde ein kleines Lichtfleckchen vor ihm immer heller und größer — eine Helligkeit, die so intensiv war, daß sie nur von der Sonne stammen konnte. Dieses Mal begegnete er einem Tag, der für die menschliche Rasse seit ihrem Bestehen natürlich war, für ihn jedoch vollkommen neu und unerwartet. Frei, ungehindert, konnte er ins Tageslicht hinaustreten.

Und dann blieb er stehen und bestaunte die grüne Vegetation, die ihn umgab, als er den Hügel hinabblickte. Plötzlich verfolgte ihn eine lebende Erinnerung an die hydroponischen Treibhäuser der Harmonie, an Hitze und Feuchtigkeit, die den Arbeitern den Schweiß aus allen Poren trieb. Sein Besatzungsmitglied trat wieder in den Tunnel zurück, und er beorderte ihn scharf an seine Seite. In periodischen Abständen wurde der Dienst in den hydroponischen Anlagen von allen Bürgern verlangt. Auch er hatte diesen Dienst in seiner Jugendzeit abgeleistet, aber heute, als Hand der Harmonie, wurde er ihm selbstverständlich nicht mehr auferlegt. Vielleicht hat ein hoher Rang doch seine Privilegien.

Doch die Handvoll von zerlumpten Arbeitern sah nicht unbehaglicher aus als die bei der Schleuse. Durch seinen Anzug geschützt, würde er niemals die volle Realität der Gärten erfahren können, nicht erfahren, wie das Leben auf der Alten Erde gewesen war. Zwei verschiedene Zukünfte begegneten ihm hier, im Gleichgewicht von Leben und Tod — und er würde, wie man es auch betrachtete, diese Gelegenheit nie mehr haben…

Er blickte zurück zu dem Meer abgestumpfter, schmutziger Gesichter, die genetische Mängel wie ein Brandzeichen kenntlich machten. Hoch über ihnen, über allem, beschattet und halb verborgen von den Bäumen, war eine transparente Hülle, die ebenfalls an manchen Stellen behelfsmäßig geflickt war. Einst mußte dort noch mehr gewesen sein — etwa ein Kraftfeld, um die Arbeiter vor der Sonnenstrahlung zu schützen… eine Schutzvorrichtung, die schon lange verloren war. In der Großen Harmonie wurde ein andauernder Dienst in den hydroponischen Anlagen als Strafe verhängt. Auch hier stellte er eine Strafe dar, wenn auch auf etwas andere Weise, eine Strafe für das Verbrechen, zum Opfer geworden zu sein… Er nahm seinen Helm nicht ab, da die Gefahr der Verseuchung ihm erneut bewußt geworden war, nicht die Verseuchung im Sinne einer Krankheit, sondern die weit gefährlichere Verseuchung des Verstandes. Schließlich war dies hier nicht der Ort, an dem er solche Gefühle haben wollte.

„Was ist jetzt?“ Einer von ihnen zerrte an Wind Kitavus Ärmel und riß ihm das zerlumpte Hemd fast vom Leib. „Tragen sie Anzüge, um herauszukommen und mit uns zu sprechen?“

Wind Kitavu befreite sich und zog sein Hemd wieder über die Schulter. „Nein…“ Mit gedämpfter Stimme sprach er weiter, immer wieder in ihre Richtung gestikulierend. Raul konnte die Worte nicht mehr verstehen. Er bewunderte die sanften Bewegungen der Bäume, sah einen nur zu vertrauten Ausdruck nach und nach auf allen Gesichtern erscheinen, eine so tief wurzelnde Verzweiflung, daß sie sich nicht einmal mehr in Zorn verwandeln konnte.

Wind Kitavu fragte seinerseits etwas, und der Arbeiter, mit dem er gesprochen hatte, deutete vage in die Gegenrichtung. Ohne um Erlaubnis zu bitten, ohne sich auch nur noch ein einziges Mal umzudrehen, stapfte Wind Kitavu zwischen den Büschen davon, pastellfarbene Blüten fielen hinter ihm von den Zweigen. Das Baby. Raul unternahm keinen Versuch, ihn aufzuhalten. Er erinnerte sich daran, was er tun mußte, und wollte keinesfalls zum Zeugen davon werden. Die anderen Arbeiter zogen sich ebenfalls wieder zurück, einer nach dem anderen, und im Weggehen warfen sie ihm noch immer müde Blicke zu, während ihre bloßen Füße sich über die niedergetrampelte Vegetation hinweg entfernten.

Raul warf einen Blick in den verlassenen Tunnel hinter ihm. Zum ersten Mal bemerkte er, daß die Lampen über seinem Kopf ohne Flamme brannten. Elektrizität… irgendwo hatten diese Menschen immer noch einen funktionierenden Generator, vielleicht eine Atombatterie aus der Zeit vor dem Krieg — oder durch einen späteren Handel mit dem Demarchy erworben. Wieder dachte er über die Tatsache nach, daß die Große Harmonie wegen des Demarchy nichts dergleichen hatte. Wären nicht die riesigen Schnee Vorräte, dann wäre die Große Harmonie in einer noch schlechteren Position als Lansing — und die einzige noch schlechtere Position war der Tod.

Beim Stichwort Demarchy fielen ihm auch wieder Wadie Abdhiamal und das Rätsel ein, das hinter ihrem bevorstehenden Treffen stand. Er hatte Abdhiamal als Unterhändler auf Schnee-der-Errettung kennengelernt: unerfahren und bezüglich seiner eigenen Position unsicher, und doch hatte er beide Seiten zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit bringen können — mit einer Fairneß, die die Barrieren zwischen den Kulturen überwunden hatte wie ein glühender Dolch, der durch einen Eisblock gestoßen wird. Als Schiffskapitän hatte er Abdhiamal zu den Treffen in der Zentralen Harmonie gebracht, wie auch zu fast allen anderen Felsen der Ringe. Er war Zeuge geworden, wie man den Mann ignoriert, verlacht, beschuldigt, ihm gedroht hatte, und doch hatte er nie die Geduld verloren… Und er selbst war zunächst überrascht, argwöhnisch, und dann erfreut gewesen, als Abdhiamal ihn nach der Regierungspolitik der Harmonie gefragt hatte. Erfreut, weil er sah, wie Abdhiamal ihm zuhörte und aus dem gewonnen Wissen lernte und es schließlich auch zum Nutzen aller einsetzte.

Die einzige Schwäche, die er an Wadie Abdhiamal hatte ausmachen können, war sein Unvermögen, mit einem fertig zu werden — dem unausweichlichen Ende von Himmels Gürtel. Er hatte herausgefunden, daß Abdhiamal der Meinung war, es werde immer noch eine Lösung geben, während er, Raul, wie die Bewohner von Lansing, seit langem gewußt hatte, daß im Endeffekt nur der Tod blieb. Doch langsam begann er zu argwöhnen, daß Abdhiamals unauslöschlicher Optimismus auch nur die eine Überzeugung kaschierte, so unauslöschlich wie seine eigene, nach der Himmel zum Sterben verurteilt war… aber mehr noch als das kaschierte es eine tiefe, pathologische Furcht: Abdhiamal war kein Mann, der akzeptieren konnte, daß sein ganzes Tun im Endeffekt vergeblich war. Er konnte nicht auf einer Straße gehen, deren Ende schon in Sicht war, niedergeschmettert von der Bürde seines eigenen Wissens würde er stolpern und fallen.

Ein Teil von Abdhiamals Verstand hatte sich vor der Wahrheit verschlossen, sie unter einer Lüge begraben, die ihn mit seiner Arbeit fortfahren ließ. Raul hatte Abdhiamal um das Demarchy beneidet, wo äußerlicher Reichtum ihm erlaubt hatte, nur noch fester an seine Illusion zu glauben. Er hatte sich auch gefragt, ob jemals etwas ihn dazu bewegen konnte, sich die Wahrheit einzugestehen…

Aber das Sternenschiff… sogar er, Raul, hatte wieder Hoffnung gehegt… was es für Himmel bedeuten konnte… besonders für die Große Harmonie. Warum wollte ausgerechnet Abdhiamal sicherstellen, daß es keiner der beiden Regierungen in die Hände fiel? Abdhiamal war ein fairer Mann — aber war er fair bis zum Irrsinn, bis zur Verdammung? Und die Frau, die das Schiff steuerte… warum ging sie das Risiko ein, ein Versprechen für Lansing einzuhalten, ausgerechnet für einen Ort wie Lansing? Waren sie beide verrückt? Alle? Oder gab es da noch etwas, das er nicht sehen konnte…? Es gab zu viele Dinge, die er nicht sehen konnte. Aber wenn sie ihr Versprechen hielt, wenn ihm das Schiff direkt in die Hände fiel… das war die einzige Chance, die er sich ersehnte. Die einzige.

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