Der mißglückte Milliardär

Wenn in den Großstädten etwas los ist - ein Schwimmfest, ein Boxkampf, ein Fußballmatch -, dann finden sich, umgehend, die Vertreter der fliegenden Berufe ein: Zeitungsverkäufer, Brezelhändler,

Wurstmänner, und was es sonst gibt. Das Erstaunlichste dieser Art erlebten wir neulich nach einem großen Fußballkampf. Tausende der Zuschauer strömten nach dem in der Nähe befindlichen Vorortbahnhof, um von hier aus wieder nach Haus zu fahren.

In langen Schlangen standen wir vor dem Fahrkartenschalter. Endlich kam ich an die Reihe. Ich wurde vor den Schalter gestoßen und rief dem Beamten zu: »Viermal Dritter!« Plötzlich merkte ich, daß sich jemand an meinen Schuhen zu schaffen machte. Es war klar, daß mir sie jemand putzte! Aber wo und wer? Nirgends war ein Stiefelputzer zu sehen, und nirgends wäre Platz für ihn gewesen. Immerhin, wenn Schuhe gewichst werden, muß wer da sein, der’s tut. Ich bückte mich, um dem geheimnisvollen Phänomen auf die Spur zu kommen .

Und da kniete, unter dem Schalter, unansehnlich und den Fußtritten Hunderter ausgesetzt, ein ganz kleiner Junge, kaum zu erkennen, mit einem Wischtuch und bearbeitete die vom Sportplatz verstaubten Damenschuhe und Herrenstiefel. Hunderte traten vor den Schalter. Hunderte verließen ihn gesäubert.

Ich bekam meine Fahrkarten, gab dem Jungen etwas von dem Schalterkleingeld und suchte meine Bekannten. Ich erzählte ihnen von dem winzigen Stiefelputzer, und sie traten näher, um ihn zu besehen.

»Ein raffinierter Knabe«, sagte der eine. »Wenn ihm jeder auch nur fünf Pfennige gibt, bekommt er jetzt in einer halben Stunde«, und er begann erstaunliche Ziffern zu nennen.

»Er hat natürlich von dem Fußballspiel gehört und sich hier postiert, wo alle Zuschauer hintereinander vorbei müssen. So ähnlich haben die meisten Milliardäre begonnen«, meinte der Zweite.

»Und wollen wir wetten, daß er fast nichts verdient? Der Schalterbetrieb geht so rasch. Und die Leute haben es so eilig, zum Zug zu kommen. Und kein Mensch sieht nach, was da im Dunkel an seinen Stiefeln vorgeht. Gebt nur Obacht!« sagte der Dritte.

Wir sahen genau hin. Der Dritte hatte recht. Der kleine Stiefelputzer wurde von den wenigsten bemerkt. Und diese wenigen gaben auch nicht immer! Er arbeitete, was das Zeug hielt. Er arbeitete trotzdem fast vergeblich. Und wie klug hatte er zu sein geglaubt, als er sich unter dem Schalter postierte. Und wie klug hatte ich seinen Einfall gefunden .

»Das wird kein Milliardär«, sagte der Erste.

»Und wie sehr hätte ich’s ihm gegönnt«, sagte der Zweite.

Dann gingen wir eilig nach dem Bahnsteig.

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