Das Königreich des Rothgar im Lande Venden

Das Schiff war zur Stunde des Nachmittagsgebetes angelandet, und ich bat ob der nicht vollzogenen Anrufung um die Vergebung Allahs. Doch war ich nicht dazu in der Lage gewesen durch die Gegenwart der Nordmänner, welche meine Gebete als einen Fluch über sie wähnten und mich zu töten drohten, so ich vor ihren Augen betete. Ein jeglicher Krieger auf dem Boot kleidete sich in Kampfgewänder, welche dergestalt waren: zuerst Stiefel und Beinkleider aus rauher Wolle und darüber ein Mantel aus schwerem Pelz, welcher bis zu den Knien reichte. Darauf nahm ein jeglicher Mann sein Schwert und schnallte es an seinen Gurt; ein jeglicher Mann ergriff seinen weißen Schild aus Häuten und seinen Speer; ein jeglicher Mann setzte einen Helm aus Metall oder Leder auf sein Haupt; (Auf volkstümlichen Darstellungen werden die Skandinavier stets mit gehörnten Helmen gezeigt. Dies ist ein Anachronismus; zur Zeit von Ibn Fadlans Besuch wurden solche Helme bereits seit mehr als tausend Jahren, seit der frühen Bronzezeit, nicht mehr getragen.) dergestalt waren alle Männer gleich, ausgenommen einzig Buliwyf, welcher sein Schwert in der Hand trug, so groß war es.

Die Krieger blickten hinauf zu der großen Halle des Rothgar und bestaunten ihr schimmerndes Dach und die kunstfertige Gestaltung mit hoch aufragenden Giebeln und reichem Schnitzwerk und waren einig darin, daß es dergleichen nicht auf der Welt gab. Doch sprachen sie bar jeder Hochachtung. Endlich brachen wir vom Schiffe auf und zogen über eine mit Stein gepflasterte Straße hinauf zu der großen Halle. Das Klappern der Schwerter und das Rasseln der Panzer erzeugte einen beträchtlichen Lärm. Nachdem wir eine kurze Strecke gegangen waren, sahen wir am Wegesrand, auf einen Stock gesteckt, das abgetrennte Haupt eines Ochsen. Dieses Tier war frisch getötet. Sämtliche Nordmänner seufzten und schnitten kummervolle Mienen ob dieses Omens, welches für mich keine Bedeutung besaß. Mittlerweile war ich gewöhnt an ihren Brauch des Tieretötens bei der geringsten Nervenschwäche oder Herausforderung. Doch dieses Ochsenhaupt hatte eine besondere Bewandtnis.

Buliwyf blickte weg, über die Felder im Lande des Rothgar, und sah dort ein abgelegenes Gehöft von der Art, wie es üblich ist im Rothgarlande. Die Wände dieses Hauses waren aus Holz und mit einem Brei aus Lehm und Stroh abgedichtet, welcher nach den häufigen Regenfällen ergänzt werden muß. Das Dach besteht aus strohigem Material und überdies Holz. Im Inneren des Hauses gibt es nur den Erdboden und eine Feuerstelle und den Dung von Tieren, denn die Landleute schlafen wegen der von ihren Leibern abgesonderten Wärme mit den Tieren im Hause, und dann verwenden sie den Dung zum Feuern. Buliwyf erteilte einen Befehl, daß wir uns zu diesem Gehöft begeben sollten, und so brachen wir auf über die Felder, welche grünten, aber durchnäßt und schlammig unter den Füßen waren. Ein- oder zweimal blieb die Schar stehen und musterte den Boden, bevor sie weiterzog, doch nie sah sie etwas, was für sie von Belang war. Ich selbst sah nichts. Doch wieder ließ Buliwyf sein Gefolge anhalten und deutete auf die dunkle Erde. Wahrlich, ich sah mit eigenen Augen den Abdruck eines bloßen Fußes - tatsächlich zahlreicher Füße. Sie waren flach und ekelhafter als jegliches in der Schöpfung Bekannte. An jedem Zeh befand sich die scharfe Einkerbung eines Hornnagels oder einer Klaue; dadurch wirkte die Form menschlich und doch wieder nicht menschlich. Dies sah ich mit eigenen Augen und konnte doch kaum dem Zeugnis meiner Sinne glauben.

Buliwyf und seine Krieger schüttelten ob dieses Anblicks ihre Köpfe, und ich hörte sie ein ums andere Mal ein Wort wiederholen: »Wendol« oder »Wendion« oder so ähnlich. Die Bedeutung dieses Namens war mir nicht bekannt, und ich spürte, daß Herger in diesem Augenblick nicht gefragt werden sollte, denn er war wie alle übrigen besorgt. Wir stießen näher vor zu dem Gehöft, derweil wir hin und wieder weitere dieser hornigen Fußabdrücke in der Erde sahen. Buliwyf und seine Krieger schritten langsam, doch geschah dies nicht aus Vorsicht; kein Mann zückte seine Waffe; vielmehr handelte es sich um eine Gefahr, welche ich nicht verstand und doch ebenso verspürte wie sie.

Endlich gelangten wir zum Wohnhaus des Gehöfts und betraten es. Im Bauernhause sah ich mit eigenen Augen dieses Bild: Da lag ein Mann von jungen Jahren und anmutiger Gestalt, von dessen Leib Glied um Glied gerissen war. Der Rumpf befand sich hier, ein Arm da, ein Bein dort. Blut klebte in dicken Lachen auf dem Boden und an den Wänden, am Dache, auf jeglicher Fläche in solcher Fülle, daß das Haus wie mit rotem Blute getüncht schien. Überdies lag da eine Frau, von welcher in nämlicher Weise Glied um Glied gerissen war. Überdies ein Knabe, ein Kind von zwei Jahren oder weniger, dessen Haupt von den Schultern gefetzt war, wodurch vom Leibe nur der blutige Stumpf verblieben.

All dieses sah ich mit eigenen Augen, und es war der furchtbarste Anblick, dessen ich jemals teilhaftig ward. Ich erleichterte mich und war für eine Stunde schwächlich, worauf ich mich noch einmal erleichterte. Niemals werde ich das Verhalten dieser Nordmänner verstehen, denn selbst als ich siech war, da wurden sie ruhig und nüchtern im Angesicht dieses Schreckens; sie betrachteten alles, dessen sie ansichtig wurden, in ruhiger Art; sie besprachen die Klauenmale an den Gliedmaßen und die Art, wie das Fleisch zerrissen war. Große Beachtung verwandten sie auf die Tatsache, daß sämtliche Köpfe fehlten; überdies wurden sie des allerteuflischsten Merkmals von allem gewahr, dessen ich mich selbst heute nur unter Verzagtheit entsinne.

Der Leib des Knaben war von Zähnen, welche nicht menschlich waren, am weichen Fleische auf der Rückseite des Schenkels angefressen. Ebenso war der Bereich um die Schulter dergestalt angefressen. Dieses nämliche Grauen sah ich mit eigenen Augen.

Die Krieger des Buliwyf schnitten grimme Mienen und brüteten finster, als sie das Gehöft verließen. Weiterhin schenkten sie der weichen Erde um das Haus große Beachtung, wobei sie bemerkten, daß es keinerlei Hufabdrücke von Pferden gab; dies war für sie von einiger Bewandtnis. Ich verstand nicht, warum. Auch war ich nicht sehr aufmerksam, da ich mich noch immer schwach im Herzen und elend am Leibe fühlte.

Als wir die Felder durchschritten, machte Ecthgow eine Entdeckung, welche dergestalt war: Es war ein kleines Stück Stein, kleiner denn eines Kindes Faust, und es war geglättet und auf grobe Art behauen. Sämtliche Krieger versammelten sich darum und musterten es, darunter auch ich. Ich sah, daß es der Rumpf einer Schwangeren war. Es gab kein Haupt, keine Arme und keine Beine; nur den Rumpf mit einem mächtig geschwollenen Bauche und darüber zwei herabbaumelnde, geschwollene Brüste. (Die beschriebene Figurine stimmt weitgehend mit diversen Skulpturen überein, wie sie von Archäologen in Frankreich und Österreich entdeckt wurden.)

Mich dünkte dieses Machwerk außerordentlich grobschlächtig und häßlich, doch nicht mehr. Die Nordmänner indes waren mit einem Male bestürzt und bleich und zitternd; ihre Hände zuckten vor der Berührung zurück, und schließlich schleuderte Buliwyf es auf den Boden und zerschmetterte es mit dem Griff seines Schwertes, bis nur mehr zersplitterte Bruchstücke aus Stein verblieben. Und darauf war etlichen unter den Kriegern elend, und sie erleichterten sich auf den Boden. Und das allgemeine Entsetzen war zu meiner Verwirrung sehr groß. Nun brachen sie zu der großen Halle des Königs Rothgar auf.

Kein Mann sprach während unseres Marsches, welcher den gut Teil einer Stunde währte; ein jeglicher der Nordmänner schien in bittere und verzehrende Gedanken gehüllt, und doch zeigten sie keinerlei Furcht mehr.

Endlich begegnete uns ein Herold auf einem Pferd und versperrte uns den Weg. Er bemerkte die Waffen, welche wir mit uns führten, und das Gebaren der Schar des Buliwyf und stieß einen Warnschrei aus.

Herger sagte zu mir: »Er begehrt unsere Namen zu wissen, und barsch obendrein.«

Buliwyf gab dem Herold eine Antwort, und seinem Ton entnahm ich, daß Buliwyf nicht nach vornehmen Höflichkeiten zumute war. Herger sagte zu mir: »Buliwyf erklärt ihm, daß wir Untertanen von König Higlac aus dem Königreich von Yatlam sind und daß wir in einem Auftrag für König Rothgar unterwegs sind und mit ihm sprechen wollen.« Und Herger fügte hinzu: »Buliwyf sagt, daß Rothgar ein höchst würdiger König ist«, doch vermittelte der Ton des Herger eine entgegengesetzte Bedeutung. Der Herold gebot uns, weiter zur großen Halle zu ziehen und davor zu warten, derweil er dem König unsere Ankunft mitteilte. Dies taten wir, obzwar Buliwyf und seine Schar nicht erfreut waren ob solchen Umganges; es gab allerlei Grollen und Murren, denn es ist der Nordmänner Brauch, gastfreundlich zu sein, und dergestalt draußen zu bleiben dünkte sie nicht höflich. Doch sie warteten und legten überdies ihre Waffen ab, ihre Schwerter und Speere, doch nicht ihre Panzer, und sie ließen die Waffen außerhalb der Tür zu der Halle.

Nun war die Halle auf allen Seiten von Behausungen nach der Art des nördlichen Volkes umgeben. Diese waren lang, mit geschwungenen Seiten, wie zu Trelburg; doch sie unterschieden sich in der Anlage, denn hier gab es keine Plätze. Noch waren Befestigungen oder Erdwälle zu sehen. Vielmehr senkte sich der Boden von der großen Halle und den Langhäusern darum hinab zu einer langen, flachen grünen Ebene, auf welcher man hier und da ein Gehöft sah, und dann, dahinter, die Hügel und den Rand eines Waldes. Ich erkundigte mich bei Herger, wessen Langhäuser dies seien, und er sagte zu mir: »Einige gehören dem König, und andere sind für seine königliche Familie und andere für seine Edlen und überdies für seine Diener und niederen Angehörigen seines Hofes.« Er sagte außerdem, daß es ein schwieriger Ort sei, obgleich ich die Bedeutung darin nicht verstand.

Darauf ward uns gestattet, die große Halle des Königs Rothgar zu betreten, welche, wie ich wahrlich sage, als eines der großen Wunder auf der ganzen Welt zu betrachten ist, und dies um so mehr ob ihres Platzes in dem derben Nordlande. Diese Halle wird unter Rothgars Gefolge mit dem Namen Hurot bedacht, denn die Nordmänner geben den Dingen ihres Lebens, den Bauwerken und Booten und den Waffen zumal, die Namen von Menschen. Nun sage ich: Diese Hurot, die große Halle des Rothgar, war so geräumig wie des Kalifen Hauptpalast und in reichem Maße ausgelegt mit Silber und selbst einigem Gold, welches höchst selten im Norden ist. Auf allen Seiten befanden sich Verzierungen und Schmuckwerk von größter Pracht und reich an Kunstfertigkeit. Es war wahrhaft ein Denkmal der Macht und Herrlichkeit des Königs Rothgar. Dieser König Rothgar saß am anderen Ende der Hurot-Halle, einem so riesigen Raume, in welchem er so fern war, daß wir ihn schwerlich wahrnehmen konnten. Hinter seiner rechten Schulter stehend, weilte der nämliche Herold, welcher uns aufgehalten. Der Herold erging sich in einer Rede, welche, wie Herger mir mitteilte, dergestalt lautete: »Hier, o mein König, ist eine Schar Krieger aus dem Königreich von Yatlam. Sie sind jüngst angekommen über das Meer, und ihr Anführer ist ein Mann mit Namen Buliwyf. Sie erbitten die Erlaubnis, Euch von ihrem Auftrage zu berichten, o mein König. Verwehrt ihnen nicht den Zutritt; sie besitzen das Betragen von Edelmännern, und ob seines Gebarens ist ihr Häuptling ein mächtiger Krieger. Begrüßt sie wie Edelmänner, o König Rothgar.«

Dergestalt wurden wir vor König Rothgar gebeten. König Rothgar erschien wie ein Mann nah dem Tode. Er war nicht jung, sein Haar war weiß, seine Haut war sehr bleich, und sein Gesicht war zerfurcht von Sorge und Not. Er begegnete uns mit Argwohn und verkniffenem Auge, doch vielleicht, ich weiß es nicht, war er nahezu blind. Schließlich hob er zu einer Rede an, welche, wie Herger sagte, dergestalt lautete: »Ich weiß um diesen Mann, denn ich habe nach ihm gesandt in einer heldischen Obliegenheit. Er ist Buliwyf, und ich kannte ihn als Kind, da ich reiste über die Wasser zum Königreich von Yatlam. Er ist der Sohn des Higlac, welcher mein großmütiger Gastgeber gewesen, und nun kommt dieser Sohn zu mir in Zeiten von Not und Sorge.«

Darauf befahl Rothgar, daß die Krieger in die große Halle bestellt werden sollten und Geschenke gebracht und Feierlichkeiten abgehalten.

Darauf sprach Buliwyf eine lange Rede, welche Herger nicht für mich übersetzte, da es eine Ungehörigkeit wäre zu sprechen, derweil Buliwyf sprach. Die Bedeutung indes war diese: daß Buliwyf vom Unheil des Rothgar vernommen, daß er dieses Unheil bedaure, und daß seines eigenen Vaters Königreich durch dieses Unheil zerstört worden, und daß er gekommen sei, das Königreich des Rothgar von dem Übel zu erretten, welches es bedrängte. Noch immer wußte ich nicht, wie die Nordmänner dieses Übel hießen oder wofür sie es erachteten, obgleich ich das Werk jener Bestien erblickt hatte, welche Menschen in Stücke rissen.

Wiederum ergriff König Rothgar das Wort, und er sprach mit Hast. Der Art seines Sprechens entnahm ich, daß er einige Worte zu sagen wünschte, bevor seine sämtlichen Krieger und Edlen eintrafen. Er sagte also (laut Herger): »O Buliwyf, ich kannte Euren Vater, als ich selbst noch ein junger Mann war und neu auf meinem Throne. Nun bin ich alt und betrübt. Mein Haupt neigt sich. Meine Augen weinen vor Scham angesichts meiner Schwäche. Wie Ihr seht, ist mein Thron ein beinahe verwaister Ort. Meine Lande werden zur Wildnis. Nicht aussprechen kann ich, was die Unholde meinem Königreich angetan. Oftmals des Nachts geloben meine Krieger, tapfer vom Trunke, zu bezwingen die Unholde. Und dann, wenn das bleiche Licht der Dämmerung über die dunstigen Felder kriecht, sehen wir blutige Leiber allüberall. Dergestalt ist die Sorge meines Lebens, und ich werde nicht weiter davon sprechen.« Nun ward eine Bank herausgebracht und ein Mahl vor uns aufgetischt, und ich begehrte von Herger zu wissen, was die Bewandtnis dieser »Unholde« sei, von welchen der König gesprochen. Herger ward wütend und sagte, niemals wieder sollte ich fragen.

An diesem Abend gab es eine große Feierlichkeit, und König Rothgar und seine Königin Weilew, in einem Gewand übersät mit Edelsteinen und Gold, saßen den Edlen und Kriegern und Fürsten des Königreiches von Rothgar vor. Diese Edlen waren ein erbärmlicher Haufe; sie waren alte Männer und tranken über die Maßen, und viele waren verkrüppelt oder verwundet. In ihrer aller Augen lag das hohle Starren der Furcht, und also waren sie hohl in ihrer Lustbarkeit.

Überdies war da ein Sohn namens Wiglif, von welchem ich früher gesprochen: der Sohn des Rothgar, welcher drei seiner Brüder gemordet. Dieser Mann war jung und von schlanker Gestalt, mit einem blonden Barte und Augen, welche nirgendwo ruhten, sondern sich beständig hierhin und dorthin bewegten; überdies begegnet er nie dem Blick eines anderen. Herger sah ihn und sagte: »Er ist ein Fuchs.« Hiermit meinte er, daß er ein glatter und unbeständiger Mann von falschem Betragen sei, denn die Nordmenschen glauben, daß der Fuchs ein Tier sei, welches jede Gestalt annehmen kann, die ihm gefällt. Nun, in der Mitte der Festlichkeiten, sandte Rothgar seinen Herold zu den Toren der Hurot-Halle, und dieser Herold berichtete, daß der Dunst nicht herabsinken werde in dieser Nacht. Es gab viel Heiterkeit und Feiern ob dieser Verkündigung, daß die Nacht klar war; alle waren fröhlich, ausgenommen Wiglif.

Zu einer bestimmten Zeit erhob sich der Sohn Wiglif und sagte: »Ich trinke zu Ehren unserer Gäste und besonders des Buliwyf, eines tapferen und wahrhaften Kriegers, welcher gekommen ist, uns in unserem Leid beizustehen - obzwar sich erweisen mag, daß diese Hürde zu hoch für ihn ist.« Herger flüsterte mir diese Worte zu, und ich erfaßte, daß es sich um Lob und Beleidigung in einem Atemzuge handelte. Aller Augen wandten sich Buliwyf ob dessen Erwiderung zu. Buliwyf stand auf und blickte zu Wiglif und sagte: »Furcht habe ich vor nichts, auch vor dem unreifen Unholde nicht, welcher des Nachts umherschleicht, Männer in ihrem Schlafe zu morden.« Dies, so nahm ich an, bezog sich auf die »Wendol«, doch Wiglif erbleichte und unklammerte den Stuhl, auf welchem er saß.

»Sprecht Ihr von mir?« sagte Wiglif mit bebender Zunge. Buliwyf brachte diese Erwiderung vor: »Nein, doch fürchte ich Euch nicht mehr denn die Ungeheuer aus dem Dunst.« Der junge Wiglif harrte aus, obzwar Rothgar, der König, ihm gebot, Platz zu nehmen. Wiglif sagte zu all den versammelten Edlen: »Dieser Buliwyf, eingetroffen von fernen Gestaden, verfügt augenscheinlich über großen Stolz und große Stärke. Doch habe ich Vorbereitungen getroffen, seinen Mut auf die Probe zu stellen, den Stolz vermag eines jeglichen Mannes Auge zu trüben.« Nun sah ich, wie dieses geschah: Ein starker Krieger, welcher hinter Buliwyf an einem Tisch nahe der Tür saß, erhob sich hurtig, ergriff einen Speer und stieß nach dem Rücken des Buliwyf. All dies geschah in geringerer Zeit, als ein Mann zum Einsaugen seines Atems benötigt. Doch ebenso wandte Buliwyf sich um, ergriff einen Speer, und mit diesem traf er den Krieger genau in die Brust und hob ihn mit dem Schaft des Speeres hoch über sein Haupt und schleuderte ihn an die Wand. Dergestalt ward der Krieger auf den Speer gespießt, daß seine Füße zuckend über dem Boden baumelten; der Schaft des Speeres war in die Wand der Halle namens Hurot gegraben. Der Krieger starb mit einem Laut.

Nun erhob sich große Unruhe, und Buliwyf wandte sich dem Wiglif zu und sagte: »So werde ich jeder Drohung begegnen«, und dann sprach unverzüglich und mit überlauter Stimme Herger, und er machte viele Gesten zu meiner Person. Ich war ob dieser Ereignisse sehr verwirrt, und wahrhaft, meine Augen verharrten auf dem an die Wand gehefteten toten Krieger.

Darauf wandte sich Herger an mich und sagte in Latein:

»Ihr sollt für den Hof des Königs Rothgar einen Gesang darbieten. Alle begehren dies.«

Ich befrag ihn: »Was soll ich singen? Ich kenne keinen Gesang.« Er brachte dies als Erwiderung vor: »Ihr werdet etwas singen, welches das Herz erfreut.« Und er fügte hinzu: »Sprecht nicht von Eurem einen Gott. Niemand kümmert sich um solchen Unsinn.« In Wahrheit wußte ich nicht, was ich singen sollte, denn ich bin kein Spielmann. Eine Weile verstrich, unterdes alle auf mich starrten, und es herrschte Schweigen in der Halle. Darauf sagte Herger zu mir: »Tragt einen Gesang von Königen und Kühnheit im Kampfe vor.« Ich sagte, daß ich keinen dergestalten Gesang kannte, daß ich ihnen indes eine Fabel vortragen könnte, welche in meinem Lande als spaßig und erheiternd gelte. Dazu sagte er, daß ich eine weise Wahl getroffen hätte. Darauf erzählte ich ihnen -König Rothgar, seiner Königin Weilew, seinem Sohn Wiglif und all den versammelten Edlen und Kriegern - die Geschichte von Abu Kassims Pantoffeln, welche jedermann kennt. Ich sprach leichthin und lächelte die ganze Zeit, und zunächst waren die Nordmänner erfreut und lachten und klatschten auf ihre Bäuche.

Doch nun trat dieses seltsame Ereignis ein. Als ich mit meiner Erzählung fortfuhr, lachten die Nordmänner nicht länger und wurden zunehmend und immer mehr trübsinnig, und als ich mit der Geschichte geendet hatte, gab es keinerlei Gelächter, sondern dräuendes Schweigen. Herger sagte zu mir: »Ihr konntet es nicht wissen, doch ist dies keine Geschichte zum Lachen, und nun muß ich für Abhilfe sorgen«, und darauf hob er zu einer Rede an, welche, wie ich annahm, ein Scherz zu meinen Lasten war, und es gab allgemeines Gelächter, und endlich ward die Feierlichkeit von neuem aufgenommen.

Die Geschichte von Abu Kassims Pantoffeln ist im arabischen Kulturraum uralt und war Ibn Fadlan und seinen Mitbürgern in Bagdad wohlbekannt.

Von dieser Geschichte gibt es viele Versionen, und sie kann, je nach Lust und Laune des Erzählers, kurz oder ausführlich vorgetragen werden. Abu Kassim ist, kurz gesagt, ein reicher Kaufmann und Geizhals, der seinen Wohlstand verbergen möchte, um in seinem Gewerbe bessere Handelsergebnisse zu erzielen. Um den Anschein von Armut zu erwecken, trägt er in der Hoffnung, die Menschen täuschen zu können, ein Paar besonders geschmackloser, erbärmlicher Pantoffeln. Doch niemand fällt darauf herein. Statt dessen halten ihn sämtliche Menschen für albern und lächerlich. Eines Tages erzielt Abu Kassim beim Einkauf von Gläsern einen besonders günstigen Preis, und er beschließt, dies zu feiern. Doch tut er dies nicht in der üblichen Weise, indem er seinen Freunden ein Fest bereitet, sondern er gönnt sich den kleinen, selbstsüchtigen Luxus eines Besuches in den öffentlichen Bädern. Er läßt seine Kleidung und Schuhe im Vorraum, und ein Freund schilt ihn wegen seiner abgetragenen und unwürdigen Schuhe. Abu Kassim erwidert, sie leisteten ihm noch immer gute Dienste, und betritt mit seinem Freund das Bad.

Später begibt sich auch ein mächtiger Richter zu den Bädern, entkleidet sich und hinterläßt ein Paar eleganter Pantoffeln. Inzwischen möchte Abu Kassim das Bad verlassen, kann aber seine Pantoffeln nicht finden; an ihrer Statt entdeckt er ein Paar neuer und wunderschöner Schuhe, und in der Annahme, diese seien ein Geschenk seines Freundes, zieht er sie an und geht seines Weges.

Als der Richter aufbrechen möchte, fehlen wiederum dessen Pantoffeln, und er findet lediglich ein Paar erbärmlicher, geschmackloser Schuhe, welche, wie jedermann weiß, dem Geizhals Abu Kassim gehören. Der Richter ist wütend; Diener werden losgeschickt, die verlorengegangenen Pantoffeln herbeizuschaffen; und bald schon werden sie an den Füßen des nämlichen Diebes aufgefunden, welcher vor das Gericht des Magistrats zitiert und schwer bestraft wird. Abu Kassim verflucht sein Unglück und schleudert, kaum daß er zu Hause ist, die unseligen Pantoffeln aus dem Fenster, worauf sie in den schlammigen Tigris fallen. Einige Tage später holt eine Gruppe Fischer ihren Fang ein und findet dabei neben einigen Fischen auch die Pantoffeln des Abu Kassim; die Schuhnägel ebendieser Pantoffeln hatten ihre Netze zerrissen. Erzürnt werfen sie die durchweichten Pantoffeln durch ein offenes Fenster. Zufällig ist dies das Fenster des Abu Kassim; die Pantoffeln fallen auf die neu erworbenen Gläser und zertrümmern sie.

Abu Kassim bricht das Herz, und er trauert, wie dies nur ein unverbesserlicher Geizhals fertig bringt. Er gelobt, daß ihm die jämmerlichen Pantoffeln kein weiteres Leid zufügen sollen, und um sicherzugehen, begibt er sich mit einer Schaufel in den Garten und vergräbt sie. Während dies erfolgt, beobachtet ein Nachbar Abu Kassim beim Graben, einer gemeinen Arbeit, die sich nur für einen Diener geziemt. Der Nachbar vermutet, daß es sich, wenn der Hausherr dieses Werk persönlich verrichtet, um das Vergraben eines Schatzes handeln muß. Daher begibt sich der Nachbar zum Kalifen und berichtet ihm von Abu Kassim, denn gemäß den Gesetzen des Landes ist jeder im Erdboden gefundene Schatz Eigentum des Kalifen. Abu Kassim wird vor den Kalifen zitiert, und als er berichtet, daß er nur ein Paar alter Pantoffeln vergraben hat, lacht der Kalif lauthals ob des Kaufmannes offensichtlichem Versuch, sein wahres und unrechtmäßiges Ansinnen zu vertuschen. Der Kalif ist wütend, daß man ihn für einen derartigen Narren hält, dem man eine so alberne Lüge erzählen kann, und setzt die Strafe entsprechend herauf. Abu Kassim ist wie vom Donner gerührt, als das Urteil verkündet wird, und doch ist er zu zahlen verpflichtet.

Abu Kassim ist nun wildentschlossen, sich der Pantoffeln ein für alle Male zu entledigen. Um jegliches weitere Ungemach auszuschließen, unternimmt er eine weite Pilgerreise, wirft die Pantoffeln in einen abgelegenen Teich und verfolgt mit Zufriedenheit, wie sie zu Boden sinken. Doch der Teich versorgt die Stadt mit Wasser, und schließlich verstopfen die Pantoffeln die Rohre. Wachen, die ausgesandt werden, das Hindernis zu beseitigen, finden die Pantoffeln und erkennen sie wieder, denn jedermann kennt die Pantoffeln dieses berüchtigten Geizhalses. Abu Kassim wird erneut vor den Kalifen geführt und angeklagt, das Wasser der Stadt zu verunreinigen, und seine Strafe ist weitaus höher als zuvor. Die Pantoffeln werden ihm zurückgegeben.

Nun beschließt Abu Kassim, die Pantoffeln zu verbrennen, doch diese sind noch immer naß, so daß er sie zum Trocknen auf den Balkon stellt. Ein Hund sieht sie und spielt mit ihnen; einer der Pantoffeln rutscht ihm aus dem Maul und fällt auf die Straße hinunter, wo er eine vorbeigehende Frau trifft. Die Frau ist schwanger, und die Wucht des Aufpralls verursacht eine Fehlgeburt. Ihr Gatte stürmt vor Gericht und verlangt Schadenersatz, der reichlich gewährt wird, und Abu Kassim, mittlerweile ein verarmter und gebrochener Mann, ist verpflichtet zu zahlen.

Wortwörtlich gesehen, zeigt diese verschmitzte arabische Moralgeschichte auf, welche Übel einem Manne widerfahren können, der seine Pantoffeln nicht oft genug austauscht. Doch zweifellos war es die Nebenbedeutung dieser Erzählung, die Vorstellung, daß ein Mann sich einer Last nicht zu entledigen vermag, welche die Nordmänner verstörte.

Nun verstrich die Nacht ohne weitere Feierlichkeiten, und sämtliche Krieger des Buliwyf ergötzten sich auf sorglose Weise. Ich sah, wie der Sohn Wiglif den Buliwyf anfunkelte, bevor er die Halle verließ, doch Buliwyf schenkte ihm keinerlei Beachtung, sondern gab den Minnediensten an Sklavinnen und freigeborenen Frauen Vorrang. Nach einer Weile schlief ich. Am Morgen erwachte ich von lautem Gehämmer, und als ich mich aus der großen Halle mit Namen Hurot hervorwagte, fand ich alle Menschen des Königreiches von Rothgar bei der Arbeit an Verteidigungswerken. Diese wurden auf notdürftige Art angelegt: Pferde zogen große Mengen an Zaunpfählen herbei, welche die Krieger scharf zuspitzten; Buliwyf selbst gebot über die Aufstellung der Verteidigungswerke, indem er mit der Spitze seines Schwertes Kennzeichen in den Boden ritzte. Zu diesem Behufe gebrauchte er nicht sein großes Schwert Runding, sondern vielmehr ein anderes Schwert; mir ist nicht bekannt, ob es dafür einen Grund gab.

Zur Mitte des Tages kam die Frau, welche Engel des Todes (Hierbei handelt es sich nicht um den gleichen »Engel des Todes«, der bei den Nordmännern am Ufer der Wolga weilte. Offenbar hatte jeder Stamm eine alte Frau, welche die Aufgaben eines Schamanen erfüllte und als »Engel des Todes« bezeichnet wurde. Es handelt sich daher um einen allgemeinen Terminus.) genannt ward, und warf Knochen auf den Boden und stimmte Gesänge darob an und verkündete, daß in dieser Nacht der Dunst kommen werde. Da er dies hörte, befahl Buliwyf, alle Arbeit niederzulegen und ein großes Gelage zu bereiten. Dergestalt verfuhren alle Menschen und hielten in ihrem Werke inne. Ich begehrte von Herger zu erfahren, warum es ein Gelage geben sollte, doch er entgegnete mir, daß ich zu viele Fragen stellte. Es trifft überdies zu, daß ich den Zeitpunkt meiner Anfrage schlecht gewählt hatte, denn er protzte just vor einer blonden Sklavin, welche warmherzig in seine Richtung lächelte.

Nun, zur fortgeschrittenen Zeit des Tages, rief Buliwyf all seine Krieger zusammen und sagte zu ihnen: »Bereitet auch zum Kampfe vor«, und sie pflichteten bei und wünschten einander viel Glück, derweil rund um uns das Gelage bereitet ward.

Das Nachtgelage verlief ähnlich wie das vorherige, obgleich eine geringere Zahl von Rothgars Edlen und Fürsten zugegen war. Tatsächlich erfuhr ich, daß zahlreiche Edle überhaupt nicht teilnehmen wollten, aus Furcht vor dem, was in dieser Nacht in der Hurot-Halle geschehen würde, denn es schien, daß diesem Orte des Unholds vornehmliches Augenmerk in diesem Gebiete galt; daß es ihn nach der Hurot-Halle gelüstete oder dergleichen - ich war mir der Bedeutung nicht sicher. Dieses Gelage war für mich aufgrund meiner Vorahnung kommender Ereignisse nicht erfreulich. Indessen trug sich dieses Ereignis zu: Einer der älteren Edlen sprach etwas Latein und überdies einige Worte in der iberischen Zunge, denn er war als junger Mann in das Gebiet des Kalifen von Cordoba gereist, und ich verstrickte ihn in ein Gespräch. Unter diesen Umständen täuschte ich Kenntnis vor, welche ich nicht besaß, wie Ihr sehen werdet. Er sprach zu mir dergestalt: »So seid Ihr also der Fremdling, welcher die Zahl dreizehn erfüllt?« Und ich sagte, daß ich derselbe sei. »Ihr müßt außerordentlich tapfer sein«, sagte der alte Mann, »und ob Eurer Tapferkeit heiße ich Euch willkommen.« Darauf brachte ich leichthin eine höfliche Erwiderung dergestalt vor, daß ich, verglichen mit den anderen in Buliwyfs Schar, ein Feigling sei; was nur zu sehr der Wahrheit entsprach.

»Dessen ungeachtet«, sagte der alte Mann, welcher sich tief dem Becher mit dem Tranke des Gebietes ergeben - ein abscheuliches Gebräu, welches sie Met nennen, doch ist es stark -, »seid Ihr dennoch ein tapferer Mann, wenn Ihr dem Wendol entgegentretet.«

Nun verspürte ich, daß ich endlich einige Dinge von Belang erfahren könnte. Ich wiederholte diesem alten Manne eine Redensart der Nordmänner, welche Herger einst zu mir gesagt hatte. Ich sagte: »Tiere sterben, Freunde sterben, und ich werde sterben, doch eines stirbt nie, und dies ist der Ruf, welchen wir bei unserem Tode hinterlassen.«

Darob gackerte der alte Mann mit zahnlosem Munde; er war erfreut, daß ich ein nordmännisches Sprichwort kannte. Er sagte: »Dem ist so, doch auch der Wendol hat einen Ruf.« Und ich erwiderte mit äußerstem Gleichmut: »Wahrhaftig? Ich bin mir dessen nicht bewußt.«

Darauf sagte der alte Mann, daß ich ein Fremdling sei, und er wolle mich gerne eines Beßren belehren, und er erzählte mir dies: Der Name »Wendol« oder »Windon« ist ein uralter Name, so alt wie ein jegliches unter den Völkern der nördlichen Lande, und er bedeutet »der schwarze Dunst«. Für die Nordmänner bedeutet dies einen Dunst, welcher im Schütze der Nacht schwarze Unholde heranbringt, welche morden und töten und Menschenfleisch verzehren. (Offenbar waren die Skandinavier von der Verstohlenheit und Bösartigkeit dieser Kreatur mehr beeindruckt als von ihrem Kannibalismus. Jensen weist darauf hin, daß Kannibalismus für die Normannen deshalb abstoßend gewesen sein könnte, weil dadurch die Aufnahme in das Walhalla erschwert würde; für diese Ansicht gibt er keinerlei Beweis. Für Ibn Fadlan mit seiner umfassenden Bildung jedoch mögen mit dem Gedanken an Kannibalismus gewisse Schwierigkeiten im Leben nach dem Tode verbunden gewesen sein. Der Verzehrer der Toten ist eine wohlbekannte Gestalt der ägyptischen Mythologie, eine furchtbare Bestie mit dem Kopf eines Krokodils, dem Rumpf eines Löwen und dem Hinterteil eines Flußpferdes. Dieser Verzehrer der Toten verschlingt nach dem Großen Gericht die Verdammten. Man sollte durchaus bedenken, daß ritueller Kannibalismus in der einen oder anderen Form und aus dem einen oder anderen Grunde während eines Großteils der Menschheitsgeschichte weder selten noch außergewöhnlich war. Sowohl der Pekingmensch als auch der Neandertaler waren offensichtlich Kannibalen; ebenso waren dies, zu unterschiedlicher Zeit, die Skythen, die Chinesen, die Iren, die Peruaner, die Mayoruna, die Jaga, die Ägypter, die australischen Aborigines, die Maori, die Griechen, die Huronen, die Irokesen, die Pawnee, die Ashanti. Zu der Zeit, da Ibn Fadlan in Skandinavien weilte, befanden sich andere arabische Händler in China, von wo sie berichteten, daß Menschenfleisch - als »zweibeiniger Hammel« bezeichnet - in aller Offenheit und mit gesetzlicher Billigung auf den Märkten verkauft wurde. Martinson weist darauf hin, daß die Normannen Kannibalismus deshalb als abstoßend empfunden haben könnten, weil sie glaubten, mit dem Fleisch der Krieger würden Frauen gespeist, vor allem die Mutter der Wendol. Auch für diese Ansicht gibt es keinerlei Beweis, doch würde dies den Tod eines nordischen Kriegers gewiß beschämender erscheinen lassen.) Die Unholde sind behaart und von widerlichem Geruch und Wesen; sie sind wild und verschlagen; sie sprechen keinerlei menschliche Sprache, und doch bereden sie sich untereinander; sie kommen des Nachts mit dem Nebel und verschwinden bei Tag - dorthin, wo kein Mensch zu folgen wagt. Der alte Mann sagte zu mir folgendes: »Auf vielerlei Art erkennt man die Gebiete, da die Unholde des schwarzen Dunstes hausen. Von Zeit zu Zeit jagen Krieger zu Pferd einen Hirsch mit Hunden, und sie hetzen den Hirsch über Berg und Tal durch viele Meilen Waldes und offenen Lands. Und darob gelangt der Hirsch zu einem marschigen See oder brackigen Sumpf, und hier bleibt er stehen, da er sich eher von den Bissen der Hunde zerreißen läßt, denn in dieses abscheuliche Gebiet vorzudringen. Daher kennen wir die Gebiete, wo die Wendol leben, und wir wissen, daß nicht einmal die Tiere dorthin vordringen. Ich verlieh meiner übergroßen Verwunderung ob dieser Geschichte Ausdruck, in der Absicht, dem alten Mann weitere Worte zu entlocken. Herger warf mir einen drohenden Blick zu, doch schenkte ich ihm keine Beachtung. Dergestalt fuhr der alte Mann fort: »In alten Zeiten ward der schwarze Dunst von allen Nordmännern in jeglichem Gebiete gefürchtet. Seit meinem Vater und dessen Vater und zuvor dessen Vater hat kein Nordmann den schwarzen Dunst erblickt, und die jungen Krieger betrachteten uns als alte Narren, da wir der uralten Geschichten voll des Grauens und der Verwüstungen gedachten. Doch die Häuptlinge der Nordmänner in sämtlichen Königreichen, selbst in Norwegen, waren stets vorbereitet auf die Rückkehr des schwarzen Dunstes. All unsere Städte und Festungen sind zur Landseite hin geschützt und befestigt. Seit den Tagen des Vaters vom Vater meines Vaters haben sich die Menschen dergestalt verhalten, und niemals haben wir den schwarzen Dunst erblickt. Nun ist er zurückgekehrt.« Ich erkundigte mich, warum der schwarze Dunst zurückgekehrt sei, und er senkte die Stimme und hob zu dieser Erwiderung an: »Der schwarze Dunst rührt von der Eitelkeit und Schwäche des Rothgar her, welcher die Götter mit törichtem Prunk beleidigt und die Unholde in Versuchung geführt durch die Errichtung seiner großen Halle, welche über keinerlei Schutz auf der Landseite verfügt. Rothgar ist alt, und er weiß, daß man seiner nicht gedenken wird ob siegreich geschlagener Schlachten, und so errichtete er diese prunkvolle Halle, welche im Gespräch der ganzen Welt ist und seine Eitelkeit stillt. Rothgar beträgt sich wie ein Gott, doch er ist ein Mann, und die Götter haben den schwarzen Dunst gesandt, ihn zu Fall zu bringen und Erniedrigung zuzufügen.«

Ich sagte zu diesem alten Manne, daß Rothgar vielleicht mißachtet werde im Königreich. Er erwiderte dergestalt: »Kein Mann ist so gut, daß er bar jeden Übels wäre, oder so schlecht, daß er gar nichts taugt. Rothgar ist ein gerechter König, und sein ganzes Leben lang erging es seinem Volke wohl. Weisheit und Reichtum seiner Herrschaft offenbaren sich hier, in der Hurot-Halle, und sie sind prächtig. Sein einziger Fehler ist dergestalt, daß er Verteidigungswerke vergaß, denn unter uns gibt es eine Redensart: >Ein Mann sollte niemals einen Schritt von seinen Waffen weichen.< Rothgar besitzt keine Waffen; er ist zahnlos und schwach; und der schwarze Dunst quillt ungehindert über das Land.«

Ich begehrte mehr zu wissen, doch der alte Mann war ermüdet, und er wandte sich ab von mir und war bald eingeschlafen. Wahrlich, viel Speis und Trank bescherte uns Rothgars Gastfreundschaft, und viele unter den zahlreichen Fürsten und Edlen waren schläfrig. Von der Tafel des Rothgar will ich dies sagen: daß ein jeglicher Mann über Tafeltuch und Teller verfügte und über Löffel und Messer; daß das Mahl aus gekochtem Schwein und Geiß bestand und aus Fisch überdies, denn die Nordmänner nehmen vorlieb mit gekochtem oder gebratenem Fleisch. Dazu gab es Kohl und Zwiebeln in reicher Fülle und Äpfel und Haselnüsse. Ein süßliches, üppiges Fleisch ward mir dargeboten, welches ich nie zuvor gekostet; dies, so ward mir gesagt, sei Elch oder Rentier. Der greulich faulige Trunk namens Met wird aus Honig hergestellt, dann vergoren. Es ist das sauerste, schwärzeste, abscheulichste Gebräu, das jemals ein Mann erfunden, und doch ist es über alle Kenntnis kräftig; ein paar Becher, und die Welt dreht sich. Doch dank Allah trank ich nicht. Nun bemerkte ich, daß Buliwyf und sein ganzes Gefolge in dieser Nacht nicht tranken oder nur spärlich und daß Rothgar dies nicht als Beleidigung hinnahm, sondern eher als natürlichen Verlauf der Dinge erkannte. Es herrschte kein Wind in dieser Nacht; die Kerzen und Feuer der Hurot-Halle flackerten nicht, und doch war es klamm und kalt. Ich sah mit eigenen Augen, wie vor den Toren der Dunst von den Hügeln herunterkroch, das silberne Licht des Mondes verdeckte und alles mit Schwärze umhüllte. Als die Nacht fortschritt, zogen sich König Rothgar und seine Königin zum Schlafe zurück, und die mächtigen Tore der Hurot-Halle wurden verschlossen und verriegelt, und die daselbst verbliebenen Edlen und Fürsten fielen in trunkene Starre und schnarchten lauthals. Darauf gingen Buliwyf und seine Mannen, welche noch immer Rüstung trugen, durch den Raum und löschten die Kerzen und sahen zu, daß die Feuer niedrig und schwach brannten. Ich fragte Herger nach der Bewandtnis dessen, und er teilte mir mit, ich sollte um mein Leben beten und Schlaf vortäuschen. Eine Waffe ward mir gereicht, ein kurzes Schwert, doch war dies wenig tröstlich für mich; ich bin kein Krieger und mir dessen wohl bewußt. Wahrlich, sämtliche Männer täuschten Schlaf vor, und Buliwyf und seine Mannen legten sich zu den schlummernden Leibern von König Rothgars Edlen, welche wahrhaftig schnarchten. Wie lange wir so harrten, weiß ich nicht zu sagen, denn ich glaube, daß ich selbst eine Weile geschlafen habe. Darauf war ich mit einem Male munter und befand mich in einem Zustand unnatürlich scharfer Wachsamkeit. Ich war nicht schläfrig, sondern augenblicklich gespannt und wachsam, derweil ich noch immer auf einer Decke aus Bärenfell am Boden der großen Halle lag. Es herrschte dunkle Nacht; die Kerzen in der Halle brannten niedrig, und ein schwacher Wind wisperte durch die Halle und bewegte die gelben Flammen. Und dann vernahm ich einen tiefen, grunzenden Ton, wie von einem schnüffelnden Schweine, welcher vom Winde zu mir getragen, und ich roch einen Gestank wie von einem verrottenden Leichnam nach einem Monat, und ich fürchtete mich sehr. Dieser schnüffelnde Ton, denn anders vermag ich ihn nicht zu bezeichnen, dieser grollende, grunzende, schnaubende Ton ward lauter und erregter. Er kam von draußen, von der einen Seite der Halle. Darauf vernahm ich ihn von der anderen Seite und darauf von der anderen und wiederum einer anderen. Wahrlich, die Halle war umstellt.

Mit pochendem Herzen saß ich auf einen Ellenbogen gestützt und blickte in der Halle umher. Kein Mann unter den schlafenden Kriegern rührte sich, und doch war da Herger, welcher mit weit offenen Augen dalag. Diesem entnahm ich, daß sämtliche Krieger des Buliwyf darauf warteten, wider die Wendol zu streiten, deren Töne nun die Luft erfüllten. Bei Allah, für einen Mann gibt es keine größere Furcht denn die, deren Ursache er nicht kennt. Wie lange lag ich doch auf dem Bärenfell, horchte auf das Grunzen der Wendol und roch ihren faulen Gestank! Wie lang harrte ich doch dessen, welches ich nicht kannte, und um wieviel furchtbarer denn das Kämpfen an sich dünkte mich doch das Harren auf den Ausbruch der Schlacht! Ich erinnerte mich, daß die Nordmänner eine Lobpreisung kennen, welche sie in die Grabsteine ihrer edlen Krieger einhauen: »Er floh nicht der Schlacht.« Keiner aus dem Gefolge des Buliwyf floh in dieser Nacht, obgleich die Geräusche und der Gestank allüberall um sie waren, bald lauter, bald schwächer, bald aus der einen Richtung, bald aus der anderen. Und doch harrten sie aus. Darauf kam der furchtbarste Augenblick. Jegliche Geräusche erstarben. Es herrschte äußerste Stille, mit Ausnahme des Schnarchens der Männer und des leisen Knisterns des Feuers. Noch immer rührte sich keiner der Krieger des Buliwyf.

Und darauf ertönte ein mächtiges Krachen an den festen Toren der Halle namens Hurot, und diese Tore brachen auf, und ein Schwall schwärender Luft erstickte sämtliche Lichter, und der schwarze Dunst drang in den Raum. Ich zählte ihre Zahl nicht: Wahrlich, es schienen Tausende schwarzer, grunzender Gestalten, und doch können es nicht mehr denn fünf oder sechs mächtige schwarze Gestalten gewesen sein, schwerlich von menschlicher Art und zugleich doch menschenähnlich. Die Luft stank nach Blut und Tod; ich fror und zitterte über alle Maßen. Doch noch immer rührte sich kein Krieger. Dann, mit einem markerschütternden Schrei, sprang Buliwyf auf, und in seinen Armen schwang er das riesige Schwert Runding, welches sang wie eine zischende Flamme, als es die Luft durchschnitt. Und seine Krieger sprangen mit ihm auf, und alle warfen sich in die Schlacht. Die Schreie der Männer vermischten sich mit dem Schweinsgrunzen und dem Gestank des schwarzen Dunstes, und es herrschten Entsetzen und Verwirrung und allerlei Zerstören und Zerschlagen der Hurot-Halle. Mir selbst stand der Sinn nicht nach Kampf, und doch ward ich von einem dieser Dunstungeheuer auserkoren, welches mir nahe kam, und ich sah rotglühende Augen -wahrlich, ich sah Augen, welche wie Feuer schienen, und ich spürte den Ruch, und ich ward körperlich hochgehoben und durch den Raum geschleudert, wie ein Kind einen Kiesel schleudert. Ich schlug an die Wand und stürzte zu Boden und war für die nächste Zeitspanne benommen, so daß alles um mich eher verworren denn getreu war. Höchst deutlich entsinne ich mich der Berührung dieser Ungeheuer, besonders des pelzigen Äußeren ihrer Leiber, denn diese Dunstwesen besitzen an sämtlichen Teilen ihrer Leiber Haare so lang wie ein haariger Hund und ebenso dicht. Und ich entsinne mich des ranzigen Geruches im Atem des Ungeheuers, welches mich hinwegschleuderte. Wie lange die Schlacht tobte, weiß ich nicht zu sagen, doch endete sie ganz plötzlich in einem Augenblick. Und darauf war der schwarze Dunst verschwunden, hinfort geschlichen unter Grunzen und Hecheln und Stinken, und hinterließ Verwüstung und Tod, von welchen wir nichts wußten, bis wir frische Lichter entzündet. Hier ist der Zoll, welchen die Schlacht gefordert. Aus dem Gefolge des Buliwyf waren drei tot: Roneth und Halga, beide Edle, und Edgtho, ein Krieger. Dem ersten war die Brust aufgerissen. Dem zweiten war das Rückgrat gebrochen. Dem dritten war das Haupt dergestalt abgerissen, wie ich es bereits beobachtet. Alle diese Krieger waren tot.

Verwundet waren zwei weitere, Haltaf und Rethel. Haltaf hatte ein Ohr verloren und Rethel zwei Finger seiner rechten Hand. Beide Männer waren nicht tödlich verletzt und erhoben keinerlei Klage, denn es ist Brauch unter den Nordmännern, die Wunden der Schlacht fröhlich zu ertragen und den Erhalt des Lebens über allem zu preisen. Was Buliwyf und all die anderen betrifft, so waren sie mit Blut getränkt, als ob sie darin gebadet. Nun will ich sagen, was viele nicht glauben werden, und doch traf dies zu: Unsere Schar hatte nicht eines der Dunstungeheuer getötet. Ein jegliches hatte sich hinfort gestohlen, manche vielleicht tödlich verwundet, und doch waren sie entronnen. Herger sagte folgendes: »Ich sah zwei aus ihrer Schar ein Drittes tragen, welches tot war.« Vielleicht traf dies zu, denn alle pflichteten ihm einmütig bei. Ich erfuhr, daß die Dunstungeheuer niemals einen der Ihren in der Gesellschaft von Menschen hinterlassen, sondern vielmehr große Gefahren eingehen, um ihn dem menschlichen Blick zu entziehen. Und überdies gehen sie bis zum Äußersten, um eines Opfers Haupt zu behalten, und wir konnten das Haupt des Edgtho an keinem Orte finden; die Ungeheuer hatten es mit sich hinfort geschleppt. Darauf sprach Buliwyf, und Herger berichtete mir seine Worte dergestalt: »Schaut, ich habe eine Siegesbeute aus dem blutigen Geschehen der Nacht. Sehet, hier ist ein Arm von einem der Unholde.«

Und getreu seinem Werk hielt Buliwyf den Arm von einem der Dunstungeheuer, welcher an der Schulter abgetrennt war durch das große Schwert Runding. Sämtliche Krieger drängten sich um ihn, den Arm zu bestaunen. Ich nahm ihn dergestalt wahr: Er wirkte eher klein, mit einer Hand von übermäßiger Größe. Doch der Unterarm und der Oberarm waren nicht von entsprechender Größe, obzwar die Muskeln mächtig waren. Auf allen Teilen des Armes befand sich langes, schwarzes verfilztes Haar, mit Ausnahme des Handtellers. Schließlich verbleibt zu sagen, daß der Arm stank, wie das ganze Wesen nach dem ranzigen Ruche des schwarzen Dunstes stank. Nun jubelten sämtliche Krieger dem Buliwyf und seinem Schwert Runding zu. Des Unholdes Arm ward an die Sparren der großen Halle namens Hurot gehangen und von den Menschen im Königreich Rothgar bestaunt. Dergestalt endete die erste Schlacht wider die Wendol.

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