Die Nachwirkungen des Begräbnisses der Nordmänner

Diese Skandinavier finden keinerlei Anlaß zur Trauer im Tod eines Mannes. Ein armer Mann oder Sklave ist für sie nicht von Gewicht, und selbst ein Häuptling wird keinerlei Traurigkeit oder Tränen erzeugen. Am Abend nach dem nämlichen Begräbnis des Häuptlings namens Wyglif gab es ein großes Gelage in den Hallen der Nordmänner-Ansiedlung. Doch erkannte ich, daß nicht alles rechtens war unter diesen Barbaren. Ich suchte Rat bei meinem Dolmetscher. Er antwortete dergestalt: »Es ist in Thorkels Sinne, Euch sterben zu sehen und darauf Buliwyf zu verbannen. Thorkel verfügt über die einmütige Unterstützung der Edlen, aber es herrscht Zwist in jedem Haus und jeglicher Unterkunft.« Sehr bekümmert sagte ich: »Ich habe keinen Anteil an dieser Angelegenheit. Wie soll ich mich betragen?« Der Dolmetscher sagte, ich sollte fliehen, wenn ich könnte, doch würde ich gefaßt, so wäre dies ein Beweis meiner Schuld, und man würde mit mir verfahren wie mit einem Dieb. Mit einem Dieb wird dergestalt verfahren: Die Nordmänner führen ihn zu einem dicken Baum, befestigen ein Seil an ihm, knüpfen ihn auf und lassen ihn hängen, bis er durch das Wirken von Wind und Regen zu Stücken verrottet.

Auch eingedenk dessen, daß ich mit Müh und Not dem Tod durch die Hand des ibn-al-Qatagan entronnen war, entschied ich, mich wie zuvor zu betragen; das heißt, ich verweilte unter den Nordmännern, bis mir freier Abzug zur Fortführung meiner Reise gewährt würde. Ich begehrte vom Dolmetscher zu erfahren, ob ich Buliwyf und ebenso Thorkel zum Zwecke meiner Abreise Geschenke darbringen sollte. Er sagte, daß ich beiden keine Geschenke darbringen könnte und daß die Angelegenheit noch nicht entschieden sei, wer der neue Häuptling werde. Dann sagte er, es werde klar sein in einem Tag und einer Nacht und nicht länger.

Denn wahrhaft gibt es unter diesen Nordmännern keinen festgelegten Brauch zum Erküren eines neuen Häuptlings, wenn der alte Anführer stirbt. Die Stärke der Waffen gilt viel, doch ebenso der Lehenseid der Krieger und der Fürsten und der Edelmänner. Mitunter gibt es keinen klaren Nachfolger in der Herrschaft, und dies war ein solcher Fall. Mein Dolmetscher sagte, daß ich den rechten Zeitpunkt abwarten und überdies beten sollte. Dies tat ich. Darauf suchte ein großer Sturm die Gestade des Flusses Wolga heim, ein Sturm, welcher zwei Tage währte, mit peitschendem Regen und machtvollem Winde, und nach diesem Sturm lag ein kalter Dunst auf der Erde. Er war dicht und weiß, und ein Mann konnte nicht über ein Dutzend Schritte hinaussehen.

Nun haben diese nämlichen riesigen Krieger aus dem Nordlande eingedenk ihrer Gewaltigkeit und Stärke der Waffen und grausamen Art auf der ganzen Welt nichts zu fürchten, und doch fürchten diese Männer den Dunst oder Nebel, welcher im Gefolge des Sturmes kommt. Die Männer ihrer Rasse haben große Mühe, ihre Furcht zu verhehlen, und dies selbst voreinander; die Krieger lachen und scherzen im Übermaße und stellen ihr sorgloses Gemüt unbillig zur Schau. Dergestalt beweisen sie das Gegenteil; und in Wahrheit ist ihr Versuch der Bemäntelung kindisch, so offenkundig geben sie vor, die Wahrheit nicht zu erkennen; doch wahrlich, ein jeglicher von ihnen allüberall in ihrer Lagerstätte bringt Gebete dar und Opfer von Hähnen und Hennen, und so ein Mann nach dem Grunde des Opfers gefragt wird, sagt er: »Ich bringe Opfer dar für das Wohl meiner in der Ferne weilenden Familie«; oder er sagt: »Ich bringe Opfer dar für das Gelingen meines Handels«; oder er sagt: »Ich bringe Opfer dar zu Ehren dieses oder eines anderen verblichenen Mitgliedes meiner Familie«; oder er benennt vielerlei andere Gründe, und darauf fügt er hinzu: »Und überdies für das Fortweichen des Dunstes.« Nun dünkte es mich seltsam, wie solch ein starkes und kriegerisches Volk so furchtsam vor etwas sein kann, daß es Mangel an Furcht vorgibt; und von allen vernünftigen Gründen zur Furcht schienen nach meiner Denkweise Dunst und Nebel über die Maßen unerklärlich. Ich sagte zu meinem Dolmetscher, daß ein Mann Wind oder tosende Sandstürme fürchten könnte, oder Wasserfluten oder das Beben der Erde, oder Donner und Blitz am Firmament, denn all dies könnte einem Mann Leid antun oder ihn töten oder seine Behausung zerstören. Doch ich sagte, daß Nebel oder Dunst keinerlei Bedrohung innewohne; in Wahrheit handle es sich um die allermindeste Art von unsteten Elementen.

Der Dolmetscher antwortete mir, daß es mir am Glauben der Seefahrer gebreche. Er sagte, daß angelegentlich des Unbehagens in einer Umhüllung aus Dunst viele arabische Seefahrer den Nordmännern beipflichteten; überdies, so sagte er, sei allen Seeleuten bang vor jeglichem Dunst oder Nebel, weil solch ein Zustand die Fährnisse des Reisens auf dem Wasser erhöhe.

Ich sagte, dies sei begreiflich, doch verstünde ich nicht den Grund für jegliche Furcht, wenn der Dunst über dem Lande liege und nicht auf dem Wasser. Darauf erwiderte der Dolmetscher: »Der Nebel wird allzeit gefürchtet, wann immer er kommt.« Und er sagte, daß es nach Ansicht der Nordmänner keinen Unterschied gebe, ob zu Lande oder zu Wasser. Und darauf sagte er zu mir, daß die Nordmänner den Dunst wahrhaft nicht sehr fürchteten. Überdies sagte der Dolmetscher, er als Mann, fürchte den Dunst nicht. Er sagte, es handle sich nur um eine mindere Angelegenheit von geringem Gewicht. Er sagte: »Es ist wie ein schwaches Reißen in einem steifen Gelenk, welches mit dem Nebel einhergehen mag, doch von keiner größeren Bedeutung.«

Durch dieses erkannte ich, daß mein Dolmetscher, wie alle anderen, jeglichen Anlaß zur Sorge vor dem Nebel leugnete und Gleichmut vortäuschte.

Nun geschah es, daß der Dunst nicht wich, obzwar er abklang und zur Nachmittagsstunde des Tages dünn ward; die Sonne erschien als Ring am Himmel, doch war auch sie so schwach, daß ich unmittelbar in ihr Licht blicken konnte. Am nämlichen Tage traf ein Boot der Nordmänner ein, welches einen Edlen ihrer eigenen Rasse beförderte. Er war ein junger Mann mit einem dünnen Barte, und er reiste nur mit einer kleinen Schar von Pagen und Sklaven und ohne Frauen darunter. Daher glaubte ich, es handle sich nicht um einen Händler, denn in diesem Gebiete verkaufen die Nordmänner vornehmlich Frauen. Dieser nämliche Besucher landete sein Boot an und verweilte bei ihm bis zum Anbruch der Nacht, und kein Mann kam ihm nahe oder begrüßte ihn, obgleich er ein Fremder war und von einem jeglichen deutlich zu sehen. Mein Dolmetscher sagte: »Er ist aus der Sippe des Buliwyf und wird zum Nachtgelage empfangen werden.« Ich sagte: »Warum verweilt er bei seinem Schiff?« »Wegen des Dunstes«, antwortete der Dolmetscher. »Es ist Brauch, daß er viele Stunden in Sichtweite stehen muß, auf daß ihn alle sehen können und wissen, daß er kein Feind ist, welcher aus dem Dunst kommt.« Dies sagte der Dolmetscher mit großem Zaudern zu mir. Beim Nachtgelage sah ich den jungen Mann die Halle betreten. Er ward herzlich und mit allerlei Anzeichen von Überraschung begrüßt; und dergestalt vornehmlich durch Buliwyf, welcher sich betrug, als sei der junge Mann just eingetroffen und habe nicht viele Stunden bei seinem Schiffe verweilt. Nach vielerlei Begrüßungen hielt der Jüngere eine flammende Ansprache, welcher Buliwyf mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit folgte: Er trank und schäkerte nicht mit den Sklavinnen, sondern horchte statt dessen schweigsam auf den Jüngeren, welcher mit hoher und brüchiger Stimme sprach. Am Ende der Rede schien der Junge kurz vor den Tränen und erhielt einen Becher mit Trank.

Ich begehrte von meinem Dolmetscher zu erfahren, was gesprochen ward. Dies war seine Erwiderung: »Er ist Wulfgar, und er ist der Sohn des Rothgar, eines großen Königs im Norden. Er ist aus der Sippe des Buliwyf und sucht dessen Hilfe und Beistand in einer heldischen Obliegenheit. Wulfgar sagt, dem fernen Lande widerfährt ein Grauen und namenloser Schrecken, welchem zu begegnen sämtliche Menschen machtlos sind, und er bittet Buliwyf, eilend in die fernen Lande zurückzukehren und sein Volk und das Königreich seines Vaters Rothgar zu retten.«

Ich erkundigte mich bei dem Dolmetscher nach der Art dieses Schreckens. Er sagte zu mir: »Es besitzt keinen Namen, welchen ich mitteilen kann.« Der Dolmetscher schien ob Wulfgars Worten höchst verstört, und desgleichen erging es vielen der anderen Nordmänner. Im Antlitz des Buliwyf erkannte ich einen dunklen und düsteren Ausdruck. Ich begehrte vom Dolmetscher Einzelheiten der Bedrohung zu erfahren.

Der Dolmetscher sagte zur mir: »Der Name darf nicht gesagt werden, denn es ist verboten, ihn auszusprechen, auf daß nicht die Erwähnung des Namens die Dämonen heraufbeschwört.« Und da er sprach, sah ich, daß er beim bloßen Gedanken an diese Angelegenheit von Furcht ergriffen ward, und seine Blässe war offenkundig, und so beendete ich meine Befragung. Buliwyf, welcher auf dem hohen Steinthrone saß, war schweigsam. Wahrlich, die versammelten Edlen und Vasallen und sämtliche Sklaven und Diener waren ebenso schweigsam. Kein Mann in der Halle sprach. Der abgesandte Wulfgar stand mit gebeugtem Haupte vor der Versammlung. Nie hatte ich das fröhliche und ungestüme Volk des Nordens derart bedrückt erlebt. Darauf trat das Engel des Todes genannte alte Weib in die Halle, und es setzte sich neben Buliwyf. Aus einem Lederbeutel zog sie allerlei Gebein - ob menschlich oder tierisch, weiß ich nicht zu sagen , und dieses Gebein warf sie auf den Boden, derweil sie leise Laute ausstieß, und strich mit der Hand darüber.

Das Gebein ward eingesammelt und erneut geworfen und der Vorgang mit weiteren Gesängen wiederholt. Nun ward erneut geworfen, und schließlich sprach sie zu Buliwyf. Ich erfragte beim Dolmetscher die Bedeutung ihrer Rede, doch er beachtete mich nicht.

Darauf stand Buliwyf auf und hob seinen Becher mit starkem Trank und rief die versammelten Edlen und Krieger an und hielt eine Rede von beträchtlicher Länge. Einer nach dem anderen standen zahlreiche Krieger von ihren Plätzen auf und sahen zu ihm. Nicht alle standen; ich zählte elf, und Buliwyf verkündete seine Zufriedenheit darob. Nun sah ich überdies, daß Thorkel sehr erfreut durch die Vorgänge schien und ein königlicheres Gebaren einnahm, derweil Buliwyf ihm keinerlei Achtung zollte oder Haß auf ihn zeigte, oder auch nur Aufmerksamkeit, obgleich sie wenige Minuten zuvor noch Feinde gewesen. Darauf deutete der Engel des Todes, dieses nämliche alte Weib, auf mich und stieß etwas hervor, und dann verließ es die Halle. Nun sprach endlich mein Dolmetscher, und er sagte: »Buliwyf ist von den Göttern berufen, von diesem Orte aufzubrechen und eilends, unter Hintanstellen all seines Wirkens und Waltens, als Held sich zu behaupten, auf daß er die Bedrohung des Nordens banne. Dies geziemt sich, und er muß überdies elf Krieger mitnehmen. Und ebenso muß er Euch mitnehmen.« Ich sagte, daß ich mich in einem Auftrage unterwegs zu den Bulgaren befände und ohne Verzug den Anweisungen meines Kalifen Folge leisten müsse. »Der Engel des Todes hat gesprochen«, sagte mein Dolmetscher. »Die Schar des Buliwyf muß Dreizehn zählen, und von diesen muß einer kein Nordmann sein, und also sollt Ihr der Dreizehnte sein.«

Ich entgegnete, ich sei kein Krieger. Wahrlich, ich brachte sämtliche Ausflüchte und Ansinnen vor, von welchen ich mir Wirkung auf diese Versammlung ungehobelter Wesen versprach. Ich verlangte, daß der Dolmetscher meine Worte dem Buliwyf vortrage, und doch wandte er sich ab und verließ die Halle mit dieser letzten Rede: »Bereitet Euch nach bestem Dafürhalten vor. Ihr werdet beim ersten Tageslicht aufbrechen.«

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