13

Ich stand in dem reißenden Fluß; das Wasser reichte mir bis über die Knie. Ich hatte meinen Kamisk hochgebunden, damit er nicht naß wurde. Mit erhobenen Händen starrte ich auf die silbrige Gestalt, sich im klaren Wasser drehte.

Sie näherte sich dem Zaun aus kleinen Stöcken, die Ute in das Flußbett gesteckt hatte, und scheute zurück, als sei sie verwirrt. Meine Hände zuckten darauf zu, packten zu. Ich berührte das Wesen. Wasser wurde aufgewühlt. Mit einem Schrei des Ekels zog ich die Hände zurück. Der glitzernde Körper schoß durchs Wasser. Ich richtete mich wieder auf. So leicht entkam mir das Wesen nicht. Es befand sich in Utes Stockfalle, die aus zwei Teilen bestand. Der erste, einige Meter flußabwärts, hatte die Form eines flußabwärts zeigenden ›V‹. Hier konnte ein Fisch leicht eindringen, ohne aber so schnell den Ausgang wiederzufinden, der zweite Teil war eine gekurvte Stockwand, die die Falle völlig schloß.

Ute war beim Jagen. Sie hatte an verschiedenen Stellen Schlingen ausgelegt und dazu den Lederriemen benutzt, mit dem wir aneinandergefesselt gewesen waren.

Wieder näherte ich mich dem silbrigen Körper in der Falle. Ute und ich waren entkommen — was mich doch sehr überrascht hatte. Wir waren ziemlich weit von den Wagen entfernt gewesen — und es war sicher dieser Tatsache und der allgemeine Verwirrung zuzuschreiben, daß uns niemand bemerkt hatte.

Wir waren etwa eine Ahn lang gerannt, bis wir den Rand eines großen Ka-la-na-Dickichts erreichten. Hier hatten wir uns ins Gras geworfen. »Ute, ich habe Angst!« hatte ich geflüstert.

»Verstehst du nicht?« erwiderte sie mit blitzenden Augen. »Wir sind frei!«

Ute kroch zu mir und begann mit ihren kurzen starken Fingern an den Knoten zu arbeiten, die uns fesselten. »Wir brauchen das Leder«, sagte sie, als sie den Knoten gelöst hatte.

»Was können wir machen, Ute?« fragte ich nervös.

Sie rollte das breite Lederband zusammen, legte es sich über die Schulter und stand auf. »Komm«, sagte sie. »Wir müssen tiefer ins Dickicht.«

»Ich kann nicht laufen«, sagte ich. »Ich bin zu müde.«

»Leb wohl, El-in-or«, sagte sie, machte kehrt und marschierte davon. Als ich ihr nachschrie, drehte sie sich nicht einmal um. Da war ich aufgesprungen und ihr nachgeeilt. »Ute, nimm mich mit!« flehte ich.

Meine Hände lauerten über dem silbrigen Fischkörper im Wasser. Und wieder packte ich zu. Diesmal erwischte ich das Wesen, das sich kraftvoll zwischen meinen Fingern wand. Ein schreckliches Gefühl! Mit heftigem Schwanzschlag machte es sich frei und huschte flußabwärts davon, wo es jedoch auf die Stockwand stieß und reglos im Wasser verharrte.

Ich wich zurück, näherte mich dem offenen Ende des ›V‹. Ich konnte zumindest dafür sorgen, daß das Ding in der Falle blieb. Wir waren nun schon fünf Tage unterwegs. Wir hatten uns tagsüber im Ka-la-na-Dickicht aufgehalten und waren nachts über die Steppe gewandert. Ute hatte die südwestliche Richtung eingeschlagen. Das winzige Dorf Rarir, in dem sie geboren war, lag südlich des Vosk nahe der Thassaküste.

»Warum möchtest du dorthin?« hatte ich gefragt.

Sie war als kleines Mädchen aus dem Dorf entführt worden. Ihre Eltern waren ein Jahr vorher wilden Larls zum Opfer gefallen. Ute war ein Abkömmling der Lederarbeiter; ihr Vater hatte dieser Kaste angehört. »Ich will ja eigentlich gar nicht dorthin«, erwiderte Ute. »Aber wohin soll man sich sonst wenden? In meinem Dorf macht man mich wenigstens nicht zur Sklavin.«

Im Alter von zwölf Jahren war Ute von einem Lederarbeiter erworben worden, der auf der Austauschinsel wohnte, die von den Kaufleuten von Teletus unterhalten wurde. Er und seine Gefährtin hatten Ute befreit und sie mit der Arbeit der Lederarbeiter vertraut gemacht.

An ihrem neunzehnten Geburtstag waren Mitglieder der Kaste der Wissenden ins Haus gekommen und hatten angeregt, daß sie nun die Reise in das Sardargebirge unternehmen müsse, die nach den Lehren der Kaste der Wissenden jedem Goreaner unter fünfundzwanzig obliegt — eine Pflicht, die er gegenüber den Priesterkönigen hat. Eine Stadt, die nicht dafür sorgt, daß ihre Jugend diese Reise macht, wird nach den Worten der Wissenden von Unheil heimgesucht.

Ute war zu einer Reisegruppe gestoßen, die von den Wissenden zusammengestellt wurde. Und sie bekam das Sardargebirge zu sehen — doch nur als Sklavin.

Ihr Schiff wurde von den schwarzen Sklavenhändlern aus Schendi aufgebracht. Sie und andere wurden verkauft und in Sklavenwagen zum Sardargebirge geschafft, wo sie auf dem großen Frühlings-Jahrmarkt des En’Kara verkauft wurde. Als sie auf dem Block stand und angeboten wurde, sah sie über dem gewaltigen Palisadenzaun die Gipfel des Sardargebirges.

Vier Jahre lang wanderte Ute, als Schönheit geschätzt, von einem Herrn zum anderen, von Stadt zu Stadt.

Dann wurde sie wieder einmal am Sardargebirge verkauft, um Schulden ihres Herrn auszugleichen. Und hier wurde sie von Barus aus der Kaste der Lederarbeiter erworben. Sie hatte viele Herren gehabt, doch nur diesen Herrn geliebt. Dabei hatte sie den Fehler gemacht, ihn einmal ihrem Willen unterwerfen zu wollen.

Zu ihrem Entsetzen hatte er sie daraufhin verkauft.

Mir gegenüber erwähnte sie diesen Mann nie — doch ab und zu rief sie seinen Namen im Schlaf.

»Warum kehrst du nicht nach Teletus zurück?« fragte ich Ute. Der Gedanke, in einem Dorf zu leben, gefiel mir ganz und nicht. Und in Teletus war sie doch zur freien Frau gemacht und adoptiert worden. »Oh«, sagte Ute beiläufig. »Ich kann nicht schwimmen und mir bestimmt auch keine Überfahrt kaufen — der Kapitän würde mich sofort versklaven.«

Und damit hatte sie sicher nicht so unrecht.

»Außerdem kann es sein, daß meine Adoptiveltern nicht mehr auf der Insel wohnen.«

»Aber vielleicht haben wir Glück!« rief ich. Wenn ich schon bei Ute blieb, lebte ich doch lieber auf einer Austauschinsel, die wenigstens einigermaßen zivilisiert war, als in einem primitiven Kaff südlich des Vosk. Aber Ute hatte mich nur angesehen und geschrien: »Sieh mich doch an! Meine Ohren sind durchstochen!«

Ich wich zurück.

»Meine Eltern haben mich gut behandelt. Wie kann ich denn zurückkehren und sie beschämen? Sollte ich als ihre Tochter zurückkehren — mit durchstochenen Ohren?« Sie senkte den Kopf und begann zu weinen.

Also blieb es dabei, daß wir das Dorf Rarir suchen wollten. Jetzt begann das silbrige Wesen in seinem Gefängnis hin und her zu schwimmen. Es machte mir angst. Einmal berührten seine kalten rauhen Schuppen meine Beine, und ich stieß einen Schrei aus. Und dann atmete ich erleichtert auf, denn das Tier war noch immer in der Falle. Ohne Ute hätte ich bestimmt nicht überlebt. Ich stellte mich entsetzlich dumm und ungeschickt an. Ute jedoch wußte sich zu helfen. Sie verstand es, in der Wildnis zu leben.

Sie hatte mir gezeigt, welche Früchte wir essen konnten, und welche wir meiden mußten. Sie hatte die Flußfalle gebaut und mir gezeigt, wie man aus Lederfesseln Schlingen knüpfte, die sogar für einen Tabuk stark genug waren — aber solche großen Schlingen legten wir nicht, um nicht die Jäger der Gegend auf uns aufmerksam zu machen. Die kleineren Fallen wurden leichter übersehen. Außerdem hätten wir einen Tabuk ohne Messer nicht ausweiden können. Ute hatte mir außerdem gezeigt, wie man sich einen Unterschlupf baut und wie man mit einem Ast Vögel und kleine Tiere erlegt. Ute lehrte mich, Eßbares zu finden, wo ich nie gesucht hätte. Besonders mochte ich eine bestimmte Sorte Wurzeln, nach denen ich graben mußte. Weniger gefielen mir dagegen die kleinen Amphibienwesen, die sie mit den Händen fing, oder die dicken grünen Insekten, die sie von der Unterseite von Ästen und Steinen las. »Sie sind eßbar«, versicherte sie.

Ich erschauderte und beschränkte mich auf Nüsse und Früchte und Wurzeln und Wasserwesen, die den mir vertrauten Fischen ähnelten. Utes verblüffendste Tat war für mich jedoch das Feueranzünden, das sie mit einem flachen Stück Holz, einigen Stöcken und etwas Lederschnur schaffte. Ich war sehr aufgeregt, als das Blatt plötzlich rauchte und eine winzige Flamme zu züngeln begann, die wir mit Blättern und Ästen nährten, bis wir ein richtiges kleines Feuer hatten, über dem wir unsere Beute braten konnten.

Seit unserer Flucht hatten wir keinen anderen Menschen mehr zu Gesicht bekommen. Tagsüber schliefen wir in Ka-la-na-Dickichten und wanderten nachts in Richtung Südwesten.

Ute hatte eigentlich kein Feuer anmachen wollen, doch ich hat darauf bestanden, denn ich mochte kein rohes Fleisch.

»Tal!« rief Ute in diesem Augenblick. Über der Schulter trug sie zwei kleine Pelztiere, unansehnliche Waldurts, und am Gurt vier kleine gelbgrün gefiederte Vögel. Heute abend stand ein Festmahl auf dem Programm.

»Ute!« rief ich. »Ich habe einen Fisch gefangen!«

»Gut!« erwiderte Ute. »Brigg ihn ins Lager.«

»Ute!« sagte ich gequält.

Ute lachte und warf ihren Fang ans Ufer. Sie watete in die Falle, näherte sich vorsichtig dem Fisch, um ihn nicht zu erschrecke: und griff plötzlich danach. Das Tier wich zurück, doch Ute hat die Bewegung vorausgesehen und schleppte den sich windende Körper triumphierend ans Ufer.

»Vernichte die Falle«, sagte Ute.

Jedesmal wenn wir ein Dickicht verließen, beseitigten wir alle Spuren unserer Gegenwart — eine weise Vorsichtsmaßnahme, wir wußten nicht, ob unsere Flucht nicht doch bemerkt worden war.

Ute wartete am Ufer, während ich die Stöcke der Falle heraus zog und in die Büsche warf. Dann half ich ihr, unseren Fang in das kleine Lager zu tragen.

»Du machst die Tiere sauber«, sagte Ute dann.

Es gefiel mir nicht, daß sie mir Befehle gab.

»Ich kann nicht«, sagte ich.

»Dann mußt du Feuer machen.«

»Du weißt doch, daß ich das nicht kann«, erwiderte ich ärgerlich. »Dann machen wir also kein Feuer.«

»Aber nein! Ich esse doch kein rohes Fleisch!«

Schließlich mußte ich doch die Tiere putzen und ausnehmen. Wer war dieses Mädchen, daß sie mir Befehle gab! Ich brauchte sie nicht mehr! Sie hatte mir wahrscheinlich alles beigebracht was sie wußte. Ich kam nun auch ohne sie zurecht. Außerdem tat sie so überlegen. Schließlich war ich ein Erdenmädchen, das goreanischen Sklavinnen schon durch seine Schulbildung jederzeit überlegen war! Als ich eine Weile gearbeitet hatte, kam mir Ute zu Hilfe. Dabei begann sie zu summen.

»Warum summst du?« fragte ich aufgebracht.

»Weil ich glücklich bin. Weil ich frei bin!«

Als wir die Tiere gehäutet hatten, beugte sich Ute über das Feuerzeug. Ich trieb sie zur Eile an, denn ich hatte großen Hunger. Endlich erschien die winzige Flamme, die langsam größer wurde. Da wir mehr zu essen hatten als gewöhnlich, errichteten wir zwei kleine Grillstangen über der Flamme.

Als das Fleisch gar war, nahmen wir es von den Stangen und legten es auf Blätter. Ich war sehr hungrig. Es war dunkel geworden, und der Abend war kühl. Es würde angenehm sein, am Feuer zu sitzen und das heiße Fleisch zu essen.

»Was machst du, Ute!« rief ich und packte ihr Handgelenk. Sie sah mich verwirrt an. »Ich mache das Feuer aus — es ist zu gefährlich.« »Aber hier ist niemand.«

Ute schüttelte unentschlossen den Kopf.

»Bitte!« drängte ich.

»Na gut.«

Aber es war kaum eine goreanische Ehn vergangen, als Ute plötzlich entsetzt Erde auf die Flammen zu scharren begann.

»Was soll das?« rief ich.

»Sei still!«

Dann hörte ich über uns in der Dunkelheit den Schrei eines Tarn. »Ein wilder Tarn«, sagte ich.

Das Feuer war nun gelöscht.

»Wir müssen fort«, sagte Ute ängstlich.

»Es ist nur ein wilder Tarn.«

»Ich hoffe, du hast recht.«

Ein Schauder lief mir über den Rücken. Ute begann in der Dunkelheit unser Lager abzubrechen. »Nimm alles, was du tragen kannst. Wir müssen fort.«

Wütend, aber verängstigt nahm ich soviel Vorräte, wie ich greifen konnte. Ute sammelte die Schuppen, Eingeweide und Knochen ein, die von unserem Fang übriggeblieben waren, und verscharrte sie im weichen Boden.

Als schließlich alle Spuren unseres Lagers beseitigt waren, eilten wir hastig durch die Dunkelheit davon.

Wir eilten in südwestlicher Richtung durch das Dickicht, dessen Rand wir schließlich erreichten. Ute blickte zum dunklen Himmel auf, doch es war nichts zu sehen. Sie lauschte, doch kein Geräusch drang an unsere Ohren.

»Siehst du — es ist nichts mehr zu hören.«

»Vielleicht sind sie abgestiegen«, sagte Ute.

»Es war nur ein wilder Tarn.«

Wir hockten uns am Rand des Dickichts hin und beendeten unsere unterbrochene Mahlzeit. Dann wischten wir uns die Hände am Gras ab und warfen die Knochen ins Unterholz.

»Sieh mal!« rief Ute plötzlich. »Männer!«

Etwa zweihundert Meter entfernt schimmerten Fackeln durch die Zweige. Wir ergriffen die Flucht. Bei Anbruch der Morgendämmerung erreichten wir ein weiteres Ka-la-na-Gebüsch, in da wir uns erschöpft verkrochen. Vier Tage später hockten wir in einem anderen Dickicht weit im Südwesten. Wir schienen unsere Verfolger abgeschüttelt haben, denn wir hatten seit Tagen nichts mehr von ihnen bemerkt.

Ute wies mich an, unsere Schlingen auf einem Wildwechsel auszulegen, den wir gefunden hatten, und ich machte mich auf den Weg. Plötzlich blieb ich entsetzt stehen. Männerstimmen!

Hastig schlüpfte ich ins Unterholz, kroch auf Händen und Knien vorwärts, bis ich durch eine Lücke im Gebüsch sehe konnte.

Zwei Tarns waren auf einer kleinen Lichtung angebunden. Männer, in Leder gekleidet und bewaffnet, hatten kein Feuer angezündet — ich erkannte sie. Sie gehörten zu Haakon aus Skjern!

»Sie muß hier irgendwo stecken«, sagte einer der beiden. »Mit Jagdsleen hätten wir sie längst gefunden.«

»Hoffentlich ist sie von roter Seide«, sagte der andere. »Wenn nicht, machen wir sie dazu — glaubst du wirklich, das Haakon damit rechnet, wir würden ihm ein Weiße-Seide-Mädchen bringen?« »Natürlich nicht!« lachte der andere und schlug sich auf Schenkel. »Die Kleine hat uns wirklich hübsch an der Nase herumgeführt — das soll sie uns bezahlen.«

»Wir fangen sie schon noch!«

»Sie scheint intelligent zu sein — trotzdem hat sie das Feuer angemacht, das war dumm.«

»Wie gehen wir vor?«

»Wir warten hier an diesem Wildwechsel. Wir wissen, daß die Kleine sich ihre Mahlzeiten mit der Schlinge fängt, da muß sie über kurz oder lang hier auftauchen.«

»Sicher gibt es in der Gegend noch weitere Wildwechsel«, wandte der andere Mann ein.

»Wenn wir sie nicht heute fangen, dann bestimmt morgen oder übermorgen.«

Vorsichtig schob ich mich rückwärts. Als ich mich einige Meter entfernt hatte, richtete ich mich lautlos auf und huschte davon.

Ein Gedanke beherrschte mich — ich mußte Ute warnen! Wir mußten fliehen! Aber dann verhielt ich mitten im Schritt und duckte mich erschreckt hinter einen Busch. Die beiden Männer hatten nur von einer Sklavin gesprochen — offenbar nahmen sie an, sie müßten nur ein Mädchen fangen.

Ich schüttelte den Kopf. Nein, so etwas durfte ich nicht denken! Aber die Männer machten mir angst. Sie waren rücksichtslos und grausam. Es durfte nicht geschehen, daß ich solchen Söldnern in die Hände fiel. Und Ute war schon oft Sklavin gewesen.

Ruhig kehrte ich in unser Lager zurück. Die Männer wußten nur von einem Mädchen ...

Nein, das durfte ich nicht tun!

Die beiden hatten uns tagelang verfolgt. So schnell würden sie nicht aufgeben.

Und wenn sie nur eine von uns fingen?

Ute war dumm, sie war eine Goreanerin, ein einfaches Mädchen. Außerdem hatte sie es gewagt, mich als ihre Untergebene zu behandeln. Ute war schon Sklavin vieler Herren gewesen — sie wußte, wie das war. Ich warf die Lederschlingen ins Gebüsch und kehrte in unser Lager zurück.

»Hallo, Ute!« sagte ich lächelnd.

»Tal, El-in-or«, erwiderte Ute, die damit beschäftigt war, eine neue Feuerstelle zu bauen.

»Ich habe die Schlingen ausgelegt, und als ich fortging, hat sich schon ein Tier gefangen.«

»Gut«, sagte Ute. »Was ist es denn?«

»Keine Ahnung«, sagte ich. »So etwas habe ich noch nie gesehen — eine Art Waldurt, pelzig und sehr häßlich. Ich wollte das Ding nicht anfassen.«

»Oh El-in-or!« lachte Ute. »Du bist ja so ungeschickt!«

»Bitte hol das Tier — ich traue mich nicht!«

»Na gut.« Und Ute richtete sich auf. »Zeig mir, wo du Schlinge angebracht hast.«

»Nein!« rief ich.

Sie wandte sich um und sah mich fragend an.

»Du kannst sie nicht verfehlen. Auf der linken Seite.«

»Na gut«, sagte Ute und verließ das Lager. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich ihr vorsichtig in einiger Entfernung folgte. Ein Stück vom Lager entfernt kniete ich nieder und hob einen handlichen Stein auf. Dann versteckte ich mich im Gebüsch wobei ich den Stein umklammerte. Kaum hundert Meter entfernt hörte ich plötzlich den Ruf eines Mannes. Mein Herz machte einen Sprung. Sie hatten Ute gefangen!

Aber dann hörte ich den Schrei des anderen Mannes und Brechen von Ästen. Zu meinem Entsetzen hastete Ute über den Wildpfad, die Augen weit aufgerissen, die Arme vorgestreckt.

»El-in-or!« rief sie. »Sklavenjäger! Flieh!«

»Ich weiß«, sagte ich und richtete mich auf.

Sie starrte mich verblüfft an.

Mit dem Stein versetzte ich ihr einen Schlag gegen den Kopf Die Männer mußten sie finden, nicht mich!

Stöhnend brach Ute in die Knie und bewegte den Kopf und her. »Nein!« ächzte sie. »Nein! Nein!«

Ich warf den Stein ins Gras. Die Männer würden annehme sie wäre geflohen und hätte sich den Kopf aufgeschlagen.

Hastig versteckte ich mich im Gebüsch. Ich sah, wie die Tarnkämpfer sie packten und davonschleppten.

Ich war froh — Ute war gefangen! Ich fürchtete nur, daß den beiden von mir erzählen würde — aber wahrscheinlich verriet sie mich nicht. So entkam ich meinen Verfolgern. Ich wollte meinen Weg fortsetzen und das Dorf Rarir suchen, wo ich mich vielleicht als Freundin von Ute ausgeben konnte. Mit der Zeit konnte ich mich von dort wahrscheinlich zur Austauschinsel Teletus durchschlagen, wenn alles gut ging. Vielleicht kam ich bei Utes Adoptiveltern unter. Meine Aussichten standen also gar nicht so schlecht.

Wie zuvor wanderte ich nachts und schlief tagsüber in Ka-la-na-Dickichten.

Eines Nachts bewegte ich mich auf meinem weichen Grasbett, unruhig schlafend. Insekten umschwirrten mich. Ich hatte am Vorabend gut gegessen, denn es war mir gelungen, in einem Bauernhof ein Stück Boskfleisch zu stehlen, das zum Trocknen aufgehängt war. Das hatte vorzüglich geschmeckt.

Seit Utes Gefangennahme hatte ich mir nichts mehr gebraten. Ich wußte nicht, ob ich ein Feuer zustandebekam. Außerdem hatte ich erfahren müssen, daß die Flammen gefährlich sein konnten. Ich ernährte mich also hauptsächlich von Früchten, Nüssen und Wurzeln. Von Zeit zu Zeit ergänzte ich diesen Speisezettel mit dem rohen Fleisch kleiner Vögel. Aus der Ferne hörte ich plötzlich Lärm. Es klang wie das Brüllen von Männern, begleitet von lautem Scheppern, als würden Pfannen oder Topfdeckel gegeneinandergeschlagen.

Nach kurzer Zeit wurde klar, daß der Krach näherkam.

Ich richtete mich auf und lauschte angestrengt.

Der Lärm kam aus der Richtung des Dorfes. Ich suchte hastig meine Besitztümer zusammen und entfernte mich in entgegengesetzter Richtung.

Schon nach kurzer Zeit erkannte ich, daß ich das schützende Dickicht verlassen mußte, wenn ich diese Richtung beibehielt. Also wandte ich mich nach links.

Doch auch von dort schallte mir gleich darauf der Krach entgegen. Ängstlich machte ich kehrt und begann in die andere Richtung zu laufen. Doch auch von dort war der Radau zu hören.

Aus fast allen Richtungen drang nun das Scheppern und Rufen auf mich ein — und mir wurde klar, daß ich gejagt wurde!

Es blieb nur ein Ausweg: Ich mußte mich zwischen den Treibern durchschleichen.

Der Lärm wurde unerträglich laut. Das Wissen, daß ich gejagt wurde, brachte mich plötzlich um meine Beherrschung. Ich rannte einfach blindlings drauflos.

Doch dann stockte ich. Es waren sehr viele Treiber — zweihundert oder mehr, Bauern, Männer, Kinder und Frauen, die ununterbrochen brüllten und auf ihre Töpfe und Pfannen schlugen. Die Frauen und Kinder trugen Stöcke, die Männer Speere und Harken.

Sie standen zu dicht zusammen — es waren zu viele.

Ein Kind entdeckte mich, stieß einen Schrei aus und hämmerte noch lauter auf seinen Topf ein.

Ich ergriff wieder die Flucht. Es blieb mir nichts anderes übrig als auf das offene Gelände zuzuhalten, der einzigen Richtung, aus der kein Lärm drang.

Im Sonnenlicht des Mittags verließ ich das schützende Dickicht und hetzte in das Gras der offenen Steppe hinaus. Erschöpft blickte ich mich um. Die Bauern waren am Rand des Ka-la-na-Dickichts stehengeblieben.

Ich spähte in die Runde. Vor mir war nichts. Keine starke Bauernburschen, die mich gefangennehmen wollten. Keine Netz Die Landschaft schien unberührt. Ich stieß einen Freudenschrei aus und lief los. Sie hatten mich nur aus dem Dickicht treiben wollen. Ich war frei. Ich legte den Kopf in den Nacken, spürte die Sonnenstrahlen und den Wind.

Plötzlich fuhr ich mir mit der Hand an den Mund. Am strahlenden Himmel hatte ich einen winzigen Punkt entdeckt. Ich schüttelte den Kopf. Nein, das durfte nicht sein!

Ich blickte zurück. Die Bauern hatten sich nicht gerührt. Der Punkt über mir kreiste. Ich stieß einen Entsetzensschrei aus, wußte ich doch, daß ich der Mittelpunkt des Kreises war den der Tarn beschrieb.

In wilder Verzweiflung hastete ich durch das Gras. Doch der Tarn folgte mühelos meiner Bewegung. Bei einem Blick nach oben sah ich den Helm des Reiters in der Sonne blitzen. Der Vogel stürzte nun mit angelegten Flügeln kreischend herab.

Ich schrie auf und hastete los. Im nächsten Augenblick hörte ich den Schrei des Vogels hinter mir, spürte den Schlag der gewaltigen Flügel. Das Kreischen betäubte mich. Ein Schatten verdunkelte den Himmel.

Die Lederschlinge legte sich um meinen Körper.

In Sekundenbruchteilen hatte sie sich zusammengezogen und fesselte meine Arme, riß mich von den Füßen. Das Gras raste unter mir dahin, und meine Füße berührten den Boden nicht mehr, der unter mir wegfiel, und im nächsten Augenblick hatte ich das Gefühl, die Welt stelle sich auf den Kopf. Es verschlug mir den Atem, als der Tarn aufzusteigen begann; ich keuchte, der Horizont kreiselte wild, und ich schrie, unfähig, mich festzuhalten. Ich spürte, wie ich ein Stück durch die Schlinge glitt, der Boden lag schon so tief unter mir, und ich hing nur an einem dünnen Lederseil.

Ich schrie entsetzt, als das Lasso noch ein Stück nachgab. Dann bewegte es sich nicht mehr, sondern schnitt mir nur tief ins Fleisch. Das Gewicht meines Körpers hielt mich fest.

Der Tarn begann in Kreisen aufzusteigen, und ich baumelte unter dem Tier, fast hundertundfünfzig Meter über dem Boden.

Ich spürte, wie ich Zentimeter um Zentimeter hochgezogen wurde. Das Seil grub sich noch tiefer in meine Haut. Ich konnte mich nicht rühren, dabei hätte ich mich am liebsten an dem Seil festgeklammert. Aufblickend sah ich die gewaltigen Krallen des Tarn, die sich über mir gegen den mächtigen Vogelkörper preßten, darüber das Leder eines Tarnsattels und das Bein eines Mannes.

Gleich darauf hielt er mich in den Armen. Ich sah seine Augen durch den Schlitz seines Helms. Er schien amüsiert zu sein. Er lachte. Es war ein wildes, dröhnendes Lachen, das Lachen eines Tarnkämpfers. Er entfernte das Lasso. Auf dem Sattel vor ihm sitzend, die Arme um seinen Hals gelegt, klammerte ich mich fest, voller Angst, daß ich fallen könnte. Er rollte das Seil zusammen und befestigte es am Sattel. Dann löste er meine Arme von seinem Hals.

»Leg dich vor mich auf den Sattel«, befahl er.

Ich gehorchte zögernd.

Er beugte sich über mich, fesselte mir mit geübten Bewegungen Arme und Fußgelenke und machte die Fesseln an Ringen seines Sattels fest. So lag ich hilflos vor ihm.

Er versetzte mir einen Klaps und stieß wieder ein lautes Lachen aus. Ich verfluchte mein Mißgeschick, wandte den Kopf zur Seite und begann zu weinen. Alles war umsonst gewesen.

Nach einiger Zeit merkte ich, daß der Tarn wieder zur Landung ansetzte. Ich vermochte kaum zu atmen. Mit einem schmerzhaften Ruck setzte das Tier auf.

Ich sah, daß wir auf dem Marktplatz eines Dorfes niedergegangen waren. In der Ferne sah ich ein gewaltiges Ka-la-na-Dickicht. Bauern umringten uns. Als ich den Kopf drehte, sah Männer mit Speeren und Keulen.

»Wie ich sehe, hast du sie, Krieger«, sagte ein großer bärtiger Bauer in einer groben Reptunika.

»Ihr habt sie geübt ins Freie getrieben«, sagte der Krieg »Seid bedankt.« Ich stöhnte auf.

»Ein geringes Entgelt für die vielen Gefallen, die du uns erwiesen hast.« »Sie hat uns gestern nacht Fleisch gestohlen«, sagte ein anderer. »Gib sie uns, Herr, damit wir das Miststück prügeln!« eine Frau. Ich begann zu zittern.

»Was kostet das Fleisch?« fragte der Krieger und zog seine Geldbörse. Die Dorfbewohner schwiegen.

Der Tarnkämpfer nahm zwei Münzen heraus und warf sie dem bärtigen Dorfbewohner zu.

»Vielen Dank!« riefen die Umstehenden.

»Wenn sie verprügelt wird«, sagte der Krieger mit dröhnender Stimme, »dann von mir!«

Gelächter klang auf, und ich zerrte hilflos an meinen Fesseln »Ich wünsche euch alles Gute!« rief der Tarnkämpfer und zog am ersten Zügel.

»Wir wünschen euch alles Gute!« rief die Menge zurück. Der Vogel erhob sich mit gewaltigem Schrei in die Luft; der Sattel preßte sich gegen mich, und ich sah, wie das Dorf unter uns zurückblieb. Mit majestätischen Flügelschlägen stieg der Tarn den Wolken entgegen. Wir rasten am Himmel dahin. Ich spürte den Wind am Körper mein Haar flatterte im Luftzug. Noch nie war ich mir so hilflos vorgekommen. Ich wußte nicht, wohin wir flogen, welche Richtung wir eingeschlagen hatten. Ich wußte nur, daß mir die Sklaverei drohte. Während des Fluges hatte mich der Mann kritisch gemustert hätte mein Brandzeichen am Bein gesehen und kopfschüttelnd festgestellt, daß ich durchstochene Ohren hatte. Einmal sagte er »Wir überqueren gerade den Vosk.«

Da wußte ich, daß wir uns über dem Gebiet Ars befanden, über dem Streifen der Verwüstung, einem kahlen Gebiet, das vor Jahren im Norden Ars von aller Vegetation gesäubert worden war, um eine natürliche Barriere zu bilden, eine Mauer des Hungers und des Dursts, die einen guten Schutz vor Invasionen aus dem Norden oder vor Übergriffen der Voskpiraten bot. Unter der Herrschaft Marlenus’ war dieser Landstreifen absichtlich in Ruhe gelassen worden, damit er wieder zuwuchs. Zur Absicherung hatte Marlenus eine Flotte schneller Voskgaleeren ausgeschickt, um die an sein Ubarat grenzenden Wasserläufe von Piraten zu säubern. Andere Städte im Norden beobachteten besorgt, wie der kahle Landstrich sich wieder belebte. Im Gegensatz zu Ar fürchteten sie um ihre Grenzen. Marlenus dagegen, der als Ubar aller Ubars bezeichnet wurde, hatte einen großen Ehrgeiz. Es würde bald wieder möglich sein, eine Landarmee mühelos nach Süden in Richtung Ar zu führen. Aber gleichermaßen war es Ar möglich, eine Streitmacht in den Norden zu bringen, an das Ufer des Vosk. Traditionsgemäß wurde das Nordufer dieses Flusses von mehreren Städten, so auch von Ar, beansprucht.

Eine Ahn nach der anderen zog der Tarn durch den Himmel. Mein Häscher fütterte mich zwischendurch mit Sa-Tarna-Brot, ohne mich loszumachen. Auch schob er mir den gekrümmten Schnabel einer Lederflasche zwischen die Zähne. Ich hätte mich fast an dem Wasser verschluckt.

Ich betrachtete verstohlen den Krieger, der mich gefangengenommen hatte. Er hatte einen gewaltigen Brustkasten und breite Schultern. Seine Arme waren muskulös und kräftig. Er trug eine Kampfuniform aus rotem Leder. Sein Helm mit dem ›Y‹-Schlitz war grau. Nirgendwo waren die Insignien seiner Heimatstadt zu sehen, so daß ich zu vermuten begann, er sei ein Söldner oder Gesetzloser.

Ich hatte keine Ahnung, was aus mir werden sollte. Er flößte mir Angst ein; außerdem hatte ich das unbestimmte Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben.

»Bist du ein Söldner Haakons aus Skjern?« fragte ich leise. »Nein«, sagte er.

»Willst du ... mich behalten?«

»Eine dreckige kleine Kajira, die den Bauern Fleisch stiehlt? Und die durchstochene Ohren hat? Daß ich nicht lache!«

Ich schloß die Augen. Wahrscheinlich hatte dieser Krieger schon viele Frauen nach Hause gebracht, neben denen ich mich mager ausnahm. Er hatte sicher kaum mehr Interesse an mir als an einem Stück Fleisch, das er in seinen Besitz gebracht hatte. »Ich sollte dich an einen Hausierer verkaufen«, fuhr er »Oder ich hätte dich den Dorfbewohnern überlassen sollen.«

»Bitte verkauf mich in Ar!« flehte ich. »Ich bin von weißer Seide.« »Du bist es nicht wert, in Ar versteigert zu werden«, sagteer. Ich sah, daß er dabei grinste.

»Ich bin von weißer Seide!« sagte ich verzweifelt. »So bringe ich dir mehr Geld!«

»Du mißverstehst mich«, sagte er, »wenn du glaubst, ich interessiere mich nur für Gold!«

Plötzlich fuhr er zusammen. Ein Armbrustpfeil zischte vorbei. Im nächsten Augenblick hatte mein Häscher seinen Schild vom Sattelhaken gerissen und den Tarn herumgerissen. Mit wildem Kriegsgeschrei stellte er sich seinem Gegner.

Wenige Zentimeter entfernt raste plötzlich ein zweiter Tarn vorbei, und ich hörte das gewaltige Knirschen eines breiten Bronzespeers, der in das Boskleder am Schild meines Häschers fuhr. Der andere Tarn raste davon, und sein Reiter, der sich in den Steigbügeln aufgestellt hatte, versuchte seine Armbrust zu spannen, einen Pfeil in den Zähnen haltend.

Mein Krieger ging sofort zum Angriff über und gab dem anderen keine Gelegenheit, die Armbrust wieder schußfertig zu machen.

Als uns noch wenige Meter von dem anderen Vogel trennte warf der Gegner seine Armbrust fort und packte seinen Schild. Mein Krieger richtete sich in den Steigbügeln auf und warf seinen großen Speer, der den Schild des anderen glatt durchbohrte. Hätte sich der andere nicht im Sattel festgebunden, wäre er von der Wucht des Aufpralls in die Tiefe gerissen worden.

Er fluchte. »Für Skjern!« brüllte er.

Wieder umkreisten sich die beiden Tarns.

Und wieder stieß der andere mit seinem Speer zu, der wie zuvor vom Schild meines Häschers abgelenkt wurde. Noch zwei Angriffe flog der fremde Krieger, und jedesmal lenkte der Schild die Speerspitze ab, Zentimeter von meinem Körper entfernt. Mein Tarnkämpfer versuchte dem anderen so nahe zu kommen, damit er das Schwert einsetzen konnte.

Wieder zuckte der Speer vor, doch mein Tarnkämpfer nahm die Spitze diesmal voll mit dem Schild auf. Plötzlich fuhr unmittelbar über mir die bronzene Spitze durch den Schild, und ich schrie auf. Mein Häscher lenkte seinen Vogel fort, während sein Gegner, der nun ebenfalls sein Schwert gezogen hatte, nachdrängte. Mein Häscher hatte seinem Gegner den Speer abnehmen wollen, der eine größere Reichweite hatte — doch dabei war er in seiner Verteidigung behindert. Mit unglaublicher Kraft zerrte er den Speer aus dem Schild, doch zugleich raste der Tarn des anderen heran, die Klinge zuckte nach unten, traf auf den mächtigen Speerschaft und ließ ihn zersplittern. Er schlug noch zweimal zu, und der Speer löste sich vom Schild. Mein Häscher hielt nun den Schild vor sich und über meinen Körper, und ich hörte die Klinge des anderen zweimal zuschlagen. Dann hatte mein Krieger sich wieder seines Schwerts bemächtigt, doch der andere zog fluchend seinen Tarn hoch, und lange Krallen fuhren herab, griffen nach uns. Ich hörte, wie die spitzen Greifer über den Schild scharrten, den mein Häscher in die Höhe stemmte, um den Vogel abzuwehren. Die Krallen schlossen sich um den Schild und rissen ihn meinem Häscher aus der Hand. Der andere Tarn verschwand, ließ den Schild fallen. »Gib sie mir!« hörte ich den anderen schreien.

»Ihr Preis ist Stahl!« lautete die Antwort.

Wieder rasten die beiden Tarns aufeinander zu, flogen Seite an Seite dahin, während über meinem Kopf die Schwerter blitzten und zu entscheiden versuchten, wem ich gehören sollte.

Die Tarns begannen nun ihrerseits mit den Schnäbeln aufeinander einzuhacken, wutkreischend, mit mächtig schlagenden Flügeln. Ich wurde hilflos hin und her geworfen. Manchmal hatte ich den Eindruck, in der Luft stehenzubleiben, so heftig warfen sich die Vögel herum, in ihrem natürlichen Element.

Die Männer kämpften verzweifelt, doch keiner gewann die Oberhand. Mit einem lauten Schrei der Wut oder der Verzweiflung zuckte die Klinge des anderen plötzlich in meine Richtung. Doch das Schwert meines Häschers fuhr dazwischen. Einen Zentimeter vor meinem Gesicht entfernt vermochte er die Klinge des anderen aufzuhalten. Der Schlag hätte mir den Kopf gespalten.

Blut strömte mir übers Gesicht — ich wußte nicht, ob es mein eigenes Blut war.

»Sleen!« fauchte mein Häscher. »Jetzt habe ich genug mit dir gespielt!« Wieder blitzten über mir die Schwerter auf, und ich hörte einen Schmerzensschrei, und plötzlich drehte der andere Tarn ab, und der Reiter, der sich die Schulter hielt, taumelte im Sattel. Sein Tarn flog unsicher hin und her und ergriff schließlich Flucht. Mein Krieger verfolgte ihn nicht.

Er sah mich an und begann zu lachen. Dann zog er seinen Tarn herum, und wir setzten unsere Reise fort. Ich sah, daß er am linken Arm über dem Ellbogen verletzt war; aus dieser Wund stammte das Blut, das mir über das Gesicht gelaufen war. Die Wunde war aber nicht tief. Er bemerkte meinen besorgten Blick und grinste. »Das war dein Freund«, sagt er. »Haakon aus Skjern.« Ich starrte ihn entsetzt an. »Wie kommt es, daß du ihn kennst?«, fragte er.

»Ich war seine Lieblingssklavin«, log ich.

»Aha«, bemerkte er. »Es kommt mir aber unwahrscheinlich vor, daß Haakons Lieblingssklavin von weißer Seide sein soll Außerdem weist dich dein Akzent als Barbarin aus.«

»Aber ich bin ausgebildet!« rief ich.

»Ich weiß«, sagte er, »in den Gehegen Ko-ro-bas.« Er lacht »Du bist El-in-or«, fuhr er fort, »ehemals Sklavin des Targo aus dem Dorf Clearus im Reiche Tor. In den Gehegen war allgemein bekannt, daß du deinen Käfig nicht saubergemacht hast und das du eine Lügnerin und Diebin warst.« Er klatschte mir auf de Hintern. »Ja«, sagte er, »ich habe mir da ein hübsches Exemplar gefangen. Was kann man an dir nur für einen Gefallen haben?« »Du hast mich schon einmal gesehen?« fragte ich. »Und willst mich in deinen Vergnügungsgarten führen?«

»Ja.«

»Du hast mich gesucht?« fragte ich.

»Ja«, sagte er grinsend. »Ich habe dich tagelang gejagt.« Ich wandte den Kopf, um meinen Kummer vor ihm zu verbergen. Die ganze Zeit war mir dieser brutale Kerl auf der Spur gewesen, dieses Ungeheuer mit seinem unverschämten Lachen. Wie hatte ich nur hoffen können, die Freiheit zu gewinnen!

»Du hast mich im Gehege von Ko-ro-ba gesehen?« fragte ich. »Ja.«

»Wer bist du?«

»Kennst du mich nicht?«

»Nein«, sagte ich.

Er hob beide Hände und setzte seinen Helm ab.

»Ich kenne dich nicht«, flüsterte ich.

Ich hatte Angst. Sein Gesicht verriet eiserne Entschlossenheit. Seine dunklen Augen waren wild, sein Haar eine mächtige Mähne. Dieser Kerl würde kurzen Prozeß mit mir machen und seinen Willen durchsetzen. Ich begann zu zittern.

Ich begriff plötzlich, wie töricht meine Träume in den Gehegen Ko-ro-bas gewesen waren. Wie hatte ich je hoffen können, meinen Herrn zu erobern, ihn durch die Verweigerung meiner Gunst bezwingen zu können und ihn zu einem Sklaven meiner Wünsche zu machen! Ein Mann dieses Kalibers wußte, was er wollte, und ließ sich nicht beirren, geschweige denn um den Finger wickeln.

Ich erkannte, daß er mir überlegen war. Das hatte nichts mit der Tatsache zu tun, daß ich gefesselt vor ihm im Sattel lag, als seine Gefangene. Nein, von der Persönlichkeit her war ich ihm nicht gewachsen.

»Du erkennst mich also nicht?« lachte er.

»Nein«, versicherte ich.

Er befestigte seinen Helm am Sattel und zog eine Lederrolle aus der Satteltasche. Er wand sich den Streifen um den Kopf, so daß sein linkes Auge bedeckt war.

Da erinnerte ich mich an die große Gestalt in blau-gelber Seide. »Soron aus Ar!« rief ich.

Er lächelte, entfernte das Leder und steckte es wieder in die Satteltasche.

»Du bist der Sklavenhändler Soron aus Ar!« sagte ich.

Ich erinnerte mich, wie ich vor ihm gekniet und ihm gesagt hatte: »Kaufe mich, Herr!«, was er mit einem knappen »Nein!« beantwortet hatte. Und hinterher hatte er mich angesehen, und ich hatte ärgerlich den Kopf abgewandt, von einem seltsamen Gefühl der Schwäche übermannt. Und ich erinnerte mich, daß ich am Abend vor unserer Abreise aus Ko-ro-ba von ihm geträumt hatte.

Nun lag ich vor ihm, als seine Gefangene.

»Als ich dich zum erstenmal sah, habe ich beschlossen, dich an mich zu bringen. Und als du mich ansahst und dann ärgerlich den Kopf hochwarfst, wußte ich, daß ich nicht ruhen würde, bis ich dich besaß.« Er lächelte. »Für deinen Hochmut wirst du mir bezahlen, meine Liebe.« »Was hast du mit mir vor?« fragte ich.

Er zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich behalte ich dich eine Zeitlang — und wenn ich deiner überdrüssig bin, verkaufe dich.« »Verkaufe mich in Ar!« sagte ich. »Ich bin Gold wert!«

»Ich mache mit dir, was ich will«, erwiderte er.

»Ja, Krieger.«

Wieder blickte ich zu ihm auf.

»Warum hast du mich nicht bei Targo gekauft?« fragte ich. Er senkte den Kopf. »Ich kaufe nie Frauen«, sagte er.

»Aber du bist doch Sklavenhändler!«

»Nein.«

»Doch! Du bist Soron aus Ar.«

»Soron aus Ar«, sagte er langsam, »gibt es nicht.«

Ich starrte ihn entsetzt an.

»Wer bist du?« fragte ich schließlich.

Ich werde nie seine Worte vergessen, die mir einen kalte Schauder über den Rücken schickten. »Lo Rask«, sagte er. »Rarius Civitatis Trevis.« »Ich bin Rask«, lauteten seine Worte, »aus der Kriegerkaste, aus der Stadt Treve.«

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