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Targo, mein Herr, war ein Sklavenhändler, und ich hatte ihn nichts gekostet.

Einige Tage vor unserer Begegnung war er von Banditen-Tarnkämpfern überfallen worden, etwa vier Tagesreisen nord-nord-östlich von der Stadt Ko-ro-ba, die in den nördlichen gemäßigten Breiten des Planeten Gor liegt, auf dem wir uns befanden. Targos Ziel war die Stadt Laura an den Ufern des Laurius-Flusses, etwa zweihundert Pasang landeinwärts von der Küste des mächtigen Thassa, des goreanischen Meers. Laura ist eine kleine Handelsstadt, ein Flußhafen, dessen Holzgebäude im wesentlichen nur Lagerräume und Tavernen zu beherbergen scheinen. Laura ist Umschlagplatz für mancherlei Waren — Hölzer, Salzladungen, Fische, Steine, Pelze und — Sklaven. An der Mündung des Laurius zum Thassa hin befindet sich der Freihafen Lydius, unter der Verwaltung der Kaufleute stehend, einer wichtigen goreanischen Kaste. Von Lydius lassen sich Waren zu den Inseln des Thassa verschiffen — zum Beispiel nach Teletus, Hulneth und Asperiche, sogar nach Cos und Tyros und zu Küstenstädten wie Port Kar und Helmutsport und im Süden Schendi und Bazi. Und von Lydius werden allerlei Güter nach Laura gebracht zur Weiterbeförderung ins Binnenland; sie werden auf Barken von Tharlarion den Fluß heraufgeschleppt — in erster Linie sind es Gebrauchsgüter, Werkzeuge, Rohmetalle und Stoffe. Der Laurius ist ein gewundener, langsamer Fluß. Er hat nicht die Breite und die Strömungsgeschwindigkeit des riesigen Vosk weiter im Süden — südlich von Ko-ro-ba, doch nördlich von Ar gelegen, welches die größte Stadt des bekannten Gor sein soll. Wie der Vosk strömt der Laurius in westlicher Richtung, wenn er auch mehr nach Südwesten gerichtet ist. In Anbetracht des in Laura üblichen Güterumschlags hätte man es seltsam finden können, daß Targo auf diese Stadt zuhielt. Doch es war Frühling, und diese Jahreszeit bringt die großen Sklavenüberfälle. Im letzten Herbst hatte Targo auf dem Jahrmarkt von Se’Kara am Fuß des Sardargebirges mit dem Räuber Haakon aus Skjern einen Vertrag über hundert nordische Schönheiten abgeschlossen, die aus den Dörfern nördlich des Laurius und aus den Küstenstädten bis hinauf nach Torvaldsland stammen sollten. Targo reiste nun nach Laura, um seine Ware entgegenzunehmen. Er hatte Haakon bereits beim Jahrmarkt eine Anzahlung auf diesen Kauf geleistet, einen Betrag von fünfzig Goldstücken. Der Rest von hundertundfünfzig Goldstücken war fällig, sobald die Ware geliefert wurde. Zwei Goldstücke ist ein hoher Preis für ein untrainiertes Mädchen, geliefert in Laura, aber wenn sich dieses Mädchen in eine große Marktstadt bringe ließ, brachte sie dort wahrscheinlich fünf oder mehr Goldstücke sogar im untrainierten Zustand. Außerdem sicherte sich Targo durch sein hohes Angebot die erste Auswahl unter Haakons Mädchen in Laura. Schließlich hatte sich Targo ausgerechnet, daß — da in letzter Zeit keine Stadt gefallen war und das große Sklavenhaus des Cernus in Ar vernichtet worden war — die Marktpreise in diesem Frühling besonders in die Höhe schießen würden. Auch wollte er die Mädchen bis zu einem gewissen Grad ausbilden lassen, wahrscheinlich in den Gehegen Ko-ro-bas, ehe er sie nach Ar brachte. Leider gehören Dorfmädchen keiner hohen Kaste an, andererseits sind sie auch leichter zu erwerben als eine freie Frau aus hoher Kaste. Als ich von Targo gefangengenommen wurde, hatte er nur ein Mädchen aus hoher Kaste an seiner Kette, Inge, die von Schriftgelehrten abstammte. Ute, die neben mir im Geschirr ging, entstammte der Kaste der Lederarbeiter. Natürlich verliert eine Sklavin bei der Versklavung ihre Kaste, wie auch den früheren Namen. Sie gehört ihrem Herrn, der mit ihr machen kann, was er will. Aber die Herkunft einer Sklavin bleibt doch bekannt. Als Targo mich vor seinen Wagen schirrte, war er aus de Nähe Ars nach Ko-ro-ba gereist und von dort nach Laura unterwegs und hatte zwischendurch in verschiedenen Städten zahlreiche Mädchen gekauft und verkauft. So waren Inge, Ute und Lana zu ihm gekommen. Lana war unsere Anführerin. Wir alle fürchteten sie, da sie die kräftigste und auch schönste war. Unterwürfig und freundlich gegenüber den Männern, sprang sie mit uns sehr herablassend um. Wir taten, was sie befahl, denn sonst hätte sie uns geschlagen. Wir haßten sie und beneideten sie. Sie war nicht nur die schönste, sie war auch im Haus des Cernus ausgebildet worden, des großen Sklavenhändlers, ehe dieser vernichtet wurde. Und sie war einmal über den großen Block im Curuleum von Ar verkauft worden. Lana war immer das letzte Mädchen einer Vorführkette, die attraktivste Ware, die bis zuletzt aufgehoben wurde. Wir hofften, daß sie verkauft würde, aber Targo erwartete sich einen sehr hohen Preis von ihr. Zweifellos hätte sie ihn mehrfach eingebracht, wenn sie aus hoher Kaste gewesen wäre. Sie behandelte die anderen Mädchen wie ihre Sklavinnen. Targo und einige Wächter gaben ihr manchmal Süßigkeiten. Ich erhielt in der Vorführkette zunächst den vierten Platz. Targo war mit vierzig Mädchen, fünf Wagen, zehn Bosks und vielen anderen Waren von Ko-ro-ba abgefahren. Seine Begleitmannschaft zählte zu Anfang über zwanzig Mann. Zwei Tage später durchzog er die Steppe südlich von Laura, als sich plötzlich der Himmel verdunkelte und über hundert räuberische Tarnkämpfer einen Angriff flogen — unter dem Kommando des gefürchteten Rask aus Treve stehend, einem der mutigsten Krieger von ganz Gor. Zum Glück hatte es Targo geschafft, seine Karawane noch vor dem Überfall an den Rand eines ausgedehnten Ka-la-na-Dickichts zu bringen. Ich hatte bei meiner Wanderung mehrere solcher Dickichte bemerkt. Targo hatte seine Männer fachmännisch in Gruppen aufgeteilt. Einige hielt er an, möglichst viele Waren und möglichst viel Gold mitzunehmen. Anderen befahl er, die Mädchen freizulassen und sie ins Dickicht zu treiben. Einer dritten Gruppe gab er Befehl, die großen Bosks loszuschneiden, die die Wagen zogen, und sie ebenfalls zwischen Büsche und Bäume zu bringen. Sekunden, bevor die Tarnkämpfer herabstießen, floh Targo mit seinen Männern, den Mädchen und den Bosks ins dichte Unterholz. Die Tarnkämpfer landeten, plünderten die Wagen aus und steckten sie in Brand. Im Dickicht kam es zu wilden Gefechten. Dabei verlor Targo elf Leute, und etwa zwanzig Mädchen wurden von den Tarnkämpfern geraubt, aber nach einer Weile zogen sich die Banditen zurück. Tarnkämpfer, die Reiter der großen Tarns, Brüder der Winde genannt, sind Herren des freien Himmels, wilde Krieger, deren Schlachtfelder die Wolken sind; im Wald fühlen sie sich nicht zu Hause, wo sie aus der Dunkelheit der Bäume, aus einem unerwarteten Hinterhalt der Armbrustpfeil eines unsichtbaren Angreifers treffen kann. Rask zog seine Männer zurück, und wenige Minuten später erhoben sich die Tarnkämpfer auf ihren Riesenvögeln in die Lüfte, die Mädchen quer über die Sättel geworfen, Targos Schätze in die Satteltaschen gestopft.

Anschließend suchte der Sklavenhändler seine Waren und Männer zusammen. Neunzehn Mädchen, an verschiedenen Stellen im Dickicht an Bäume gefesselt, waren ihm geblieben. Die Bosks waren zu Targos Bedauern entweder losgeschnitten worden oder hatten sich befreit. Sie waren auf der weiten Steppe verstreut und nicht wieder einzufangen. Als die Männer aus der Dickicht kamen, war nur noch ein Wagen einigermaßen zu verwenden. Die Nacht verbrachte die Karawane im Dickicht, und am Morgen wurde ein Geschirr für die Mädchen zurechtgeschneidert. Und einige Tage später war die Gruppe auf ein junges Barbarenmädchen gestoßen, das zur Sklavin gemacht wurde, auf mich.

Es dauerte noch viele Tage, bis wir Laura erreichten.

Zum Glück stießen wir zwei Tage nach meiner Gefangennahme auf eine Boskwagen-Karawane, die von Laura nach Ko-ro-ba unterwegs war. Targo verkaufte zwei Mädchen und erstand mit etwas zusätzlichem Gold zwei Wagen und zwei Boskgespanne sowie Wasser- und Nahrungsvorräte. Er kaufte desweiteren verschiedene Ketten, Brandeisen und Peitschen, wie auch Seiden, Stoffe, Parfümflaschen, Kämme, Bürsten und Kosmetikpackungen. Auch wechselte eine große Menge grober Stoff den Besitzer. Ich sollte später erfahren, daß hieraus Kamisks geschneidert wurden die einfache, ponchoartige Kleidung der goreanischen Sklavin. Die Kamisks der Mädchen waren bei dem Überfall verbrannt und sie machten sich nun unter Targos Anleitung daran, neue knielange Kleidungsstücke zu schneidern. Auch ich beteiligte mich an der Aktion, wenn ich mich zuerst auch sehr ungeschickt anstellte. Unser Leben wurde nach der Begegnung mit der Karawane erheblich leichter.

Bei den beiden neuen Wagen handelte es sich um Händlerwagen mit roter Regenplane. Die Hinterräder waren größer als die vorderen. Jeder Wagen wurde von zwei Bosks gezogen, großen braunen Tieren mit breiten polierten Hörnern, an denen Perlen hingen. Die Hufe der Tiere waren ebenfalls poliert, und das lange, strubbelige Fell wurde täglich so lange gebürstet, bis es glänzte. Auf jedem Wagen wurden neun Mädchen untergebracht, natürlich angekettet. Aber das war mir egal. Sobald wir uns zum Schlafen hinlegen durften, war ich trotz des Knarrens und Ruckelns bald eingeschlafen. Der Qual des Geschirrs ledig zu sein war für sich schon eine köstliche Erfahrung.

Als ich viele Stunden später erwachte, fühlte sich jeder Muskel meines Körpers steif an.

Wir wurden vom Wagen geholt, mußten niederknien und erhielten etwas zu essen. In den beiden ersten Tagen nach meiner Gefangennahme hatten wir nur Beeren und Wasser bekommen und Reste kleiner Prärietiere, die von den Wachen gebraten worden waren und uns vorgeworfen wurden. Jetzt knieten wir angekettet im Kreise und reichten eine Schale heiße Suppe herum; dann erhielt jede von uns ein Sechstel eines runden Brotlaibs; schließlich reichte ein Wächter jeder von uns ein Stück gekochtes Fleisch. Ich war außer mir vor Hunger, griff danach, ohne mich um die Temperatur zu kümmern, und steckte mir den köstlichen Bissen in den Mund, zerrte daran mit Zähnen und Händen, wobei mir der Saft links und rechts übers Kinn lief. Nur wenige meiner Freunde auf der Erde hätten in diesem Augenblick Elinor Brinton wiedererkannt. Das Mahl war ein einfacher Boskbraten, noch halb roh, doch ich schlang das Fleisch mit Begeisterung hinunter. Kein noch so vorzüglich zubereitetes Filet Mignon aus einem Pariser Restaurant ließ sich mit diesem heißen, dampfenden Fleischfetzen vergleichen, den ich im Gras der goreanischen Steppe neben dem Wagen eines Sklavenhändlers hockend in mich hineinschlang.

Nach dem Essen wurden wir zu einem nahegelegenen Fluß geführt, wo wir uns wuschen. Zögernd stieg ich in das kalte Wasser, an das ich mich jedoch nach einigen Sekunden gewöhnte, so ich ich es schließlich gar nicht wieder verlassen wollte. Ich folgte dem Beispiel der anderen Mädchen und wusch mir auch die Haare. Einige der Sklavinnen begannen zu spielen und bespritzten sich lachend. Niemand beachtete mich, außer daß ich natürlich wie alle anderen von einem Wächter beobachtet wurde. Ich fühlte mich einsam und ging auf Ute zu, die sich jedoch abwandte. Sie hatte mir nicht verziehen, daß ich mich auf ihre Kosten vor der Arbeit hatte drücken wollen.

Am Ufer saß Targo und lächelte. Es freute ihn, wenn seine Mädchen zufrieden waren. Vermutlich ließ sich ein glückliches Mädchen besser verkaufen. Auch die Wächter schienen guter Laune zu sein. Sie riefen den Mädchen einige saftige Obszönitäten zu, und wurden dafür von ihnen angespritzt. Ein einäugiger älterer Wächter stürzte sich ebenfalls ins Wasser und tauchte ein besonders freches Mädchen unter — zum Vergnügen aller.

Schließlich kamen alle ans Ufer, um ihre Haare zu trocknen. Fröhlich plaudernd saßen sie im Kreise, ohne mich zu beachten.

Als der einäugige Wächter in frischer Kleidung wieder auftauchte, wurde er in den Kreis der Mädchen gezogen, wo er mit rollendem Auge und weitausholenden Gesten eine Geschichte zu erzählen begann. Die Mädchen schütteten sich aus vor Lachen und auch ich fand die Vorstellung recht komisch, auch wenn ich kein Wort verstehen konnte. Schließlich schlugen sich die Mädchen mit der rechten Hand vor die linke Schulter. Der Wächte verbeugte sich ernst und verließ den Kreis. Ich sah, wie Lana in meine Richtung blickte. Sie sprang auf, kniete vor Targo und sagte etwas zu einem seiner grinsenden Männer. Zu meinem Ärger wurde die Kleidung gebracht, die ich bei meiner Entführung auf der Erde getragen hatte.

Nicht ohne Mühe zog Lana sie an. Wie schön sie in meinen Sachen aussah!

Im nächsten Augenblick wurde der protestierende Targo von zwei kreischenden Mädchen in die Mitte des Kreises gezerrt, wo sich Lana herrisch zu gebärden begann. Ihre Vorstellung gefiel mir ganz und gar nicht; die Mädchen jedoch schienen großen Gefallen daran zu finden. Lana marschierte um Targo herum, wandte sich auch an die anderen Mädchen, als verspottete sie sie, als hielte sie sie für unwürdig, mit ihr im gleichen Wagen zu schlafen. Die Mädchen kreischten vor Vergnügen. Lana war eine ausgezeichnete Schauspielerin, und ich war wütend. Dann sprangen die beiden Mädchen, die Targo in den Kreis geführt hatten, auf Lana los, zerrten sie zu Boden und taten, als würde sie ausgepeitscht. Lana wand sich in gespieltem Schmerz brüllend auf dem Boden, dann warf sie sich vor Targo hin und schmiegte sich an ihn. Mehrere Mädchen blickten zu mir herüber um meine Reaktion abzupassen, doch ich wandte trotzig den Kopf.

Targo klatschte zweimal in die Hände, und die Ordnung war wiederhergestellt. Eine Schachtel mit Kämmen und Bürsten wurde gebracht, und die Mädchen setzten sich paarweise zusammen um sich gegenseitig die Haare zu bürsten.

Ich erhielt ebenfalls einen Kamm und näherte mich schüchtern Ute. Ich verstand ihre Sprache nicht, und es tat mir leid, daß ich mich im Geschirr so dumm angestellt hatte. Ich konnte ihr nicht sagen, wie unglücklich und einsam ich war.

Ute blickte mir kühl entgegen. Ich hielt unschlüssig den Kamm hoch, und Tränen traten mir in die Augen.

»El-in-or«, sagte sie leise und umarmte mich.

Ich begann zu weinen und küßte sie. Dann begann ich ihr Haar zu kämmen; als ich fertig war, drehten wir uns um, und sie nahm den Kamm.

Meine Favoritinnen unter den Mädchen waren Ute und Inge, und in den nächsten Tagen unserer Reise zum Laurius freundeten wir uns etwas an. Ute wie auch Inge, die beide kein Wort Englisch verstanden, machten sich daran, mich in der goreanischen Sprache zu unterweisen. Unterwegs stießen wir auf vier weitere Karawanen, und bei jeder Gelegenheit legte Targo seine Vorführkette aus. Ich war die vierte an der Kette, doch ich dachte seltsamerweise nicht an die Möglichkeit, daß ich verkauft werden könnte. Einmal jedoch fuhr mir der Schreck in die Glieder, als ein potentieller Käufer vor mir stehenblieb und mich mit Interesse musterte und prüfend betastete. Ein seltsames Gefühl der Leere durchzog mich. Ich wurde bleich. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte die Flucht ergriffen. Zu meiner unsäglichen Erleichterung ging er jedoch weiter und kaufte schließlich das neunte und elfte Mädchen an der Kette. Ich sah aus der Ferne, wie Targo bezahlt wurde und die Mädchen ablieferte.

Zweimal machten wir bei Palisadendörfern Station, in denen Boskzüchter wohnten. Diese Aufenthalte gefielen mir, denn dabei gab es frische, warme Boskmilch, und wir hatten eine Nacht lang ein Dach über dem Kopf, auch wenn es nur aus trockenem Gras bestand. Die Dorfbewohner streuten uns immer frisches Stroh in die Hütte, in der wir für die Nacht angekettet wurden. Es roch frisch und war trocken. Ich legte mich gern darauf schlafen, ein herrliches Gefühl nach der harten klammen Plane, die auf die rohen Bohlen des Wagens gebreitet wurde. Ute und Inge — besonders Ute — waren geduldige Lehrmeister. Jeden Tag übten sie stundenlang mit mir die goreanische Sprache, und natürlich hörte ich nichts als diese Sprache. Ich stellte bald fest, daß ich Goreanisch sprach, ohne darüber nachzudenken. Ich lernte wie ein Kind, das keine vergleichende Sprache kennt. So lernte Ich das Goreanische auf direktem Weg, fließend, nicht als Architektur grammatischer Fälle und Serie von Vokabellisten, in denen bekannte Begriffe den unbekannten Worten gegenüberstanden. Ute und Inge, die das Englische nicht kannten, hätten mir keine abstrakten Übertragungen und Vergleiche klarmachen können, und so hatten sie keine andere Wahl, als mir ihre lebendige Sprache beizubringen, in der täglichen Praxis, handgreiflich wie ein Werkzeug, ausdrucksvoll und schön wie Blumen und Wolken Es dauerte nicht lange, bis ich feststellte, daß ich streckenweise, schon goreanisch dachte. Und knapp zehn Tage nach dem Beginn meines Unterrichts hatte ich einen ersten Traum, in dem jemand mit mir verständliches Goreanisch sprach und ich spontan, ohne nachzudenken, in derselben Sprache antwortete. Interessanterweise handelte es sich um einen Traum, in dem es mir gelang, eine Süßigkeit zu stehlen und Lana die Schuld zuzuschieben, so daß sie dafür geschlagen wurde. Mir machte der Traum Spaß, aber dann hatte es den Anschein, als wollte sich Targo mit der Peitsche auch um mich kümmern. Ich erwachte im Wagen, sicher angekettet. Es regnete draußen, und ich hörte die Tropfen auf die rote Plane über unseren Köpfen prasseln und die ruhigen Atemzüge der schlafenden Mädchen neben mir. Ich lauschte einen Augenblick lang und schlief bald wieder ein.

Zuerst war meine Grammatik nicht besonders gut, aber Inge half mir. Nach einiger Zeit vermochte ich sogar gewisse Unterschiede in den Dialekten der Mädchen und der Wächter festzustellen. Mein Vokabular weitete sich langsam aus, so daß ich nach wenigen intensiven Studientagen ein ganz passables Goreanisch sprach. Natürlich hatte ich einen besonderen Grund für meine Anstrengungen — ich wollte mich mit Menschen in Verbindung setzen können, die mich zur Erde zurückbringen konnten. Ich war, sicher, daß sich mit meinem irdischen Vermögen so etwas arrangieren ließ.

Einmal bemerkte ich zu Inge, daß Ute offenbar regelmäßig gewisse grammatische Fehler mache.

»Ja«, sagte Inge nüchtern, »sie stammt eben von Lederarbeitern ab.« »Ich möchte das Goreanisch einer hohen Kaste erlernen«, sagte ich. »Aber du bist eine Barbarin«, wandte Inge ein.

In diesem Augenblick hörten wir draußen einen Wächter rufen. »Ein Prunkzug!«

»Er begleitet eine freie Frau!« rief ein anderer Mann.

Ich hörte Targo rufen: »Sklaven vor!« i Ich war aufgeregt. Ich hatte noch nie eine freie goreanische Frau gesehen. Hastig wurden wir bei den Wagen aufgestellt. Dabei verdrehten wir uns die Hälse und sahen einen großen flachen Wagen, von vier riesigen, herrlich gepflegten schwarzen Bosks gezogen. Auf dem Wagen saß eine Frau — unter einem mit Fransen behangenen seidenen Sonnenschirm. Der Wagen wurde von etwa vierzig Kriegern flankiert, zwanzig auf jeder Seite.

Wir hörten die Glocken am Geschirr der Bosks schon von weitem. Der Wagen würde ziemlich nahe vorbeikommen. Targo war ins Freie getreten und ging dem Gespann entgegen.

»Kniet nieder«, befahl ein Wächter.

Wir gehorchten, und ich sah zu, wie der niedrige Wagen näherkam. Die Frau saß hochaufgerichtet auf ihrem Stuhl, in kostbare farbige Stoffe gehüllt, für die man allein mehrere Sklavenmädchen hätte kaufen können. Sie war überdies verschleiert.

Der Wagen hielt wenige Meter von uns entfernt. Befehlsgemäß senkten wir die Köpfe.

Ich begriff plötzlich, daß ich anders war als diese Frau. Zum erstenmal in meinem Leben begriff ich die überwältigende Wirklichkeit sozialer Unterschiede. Hier im Gras der goreanischen Steppe kniend verstand ich, wie mein Reichtum eine besondere Aura um mich geschaffen hatte, die geringere Menschen dazu zwang, mich zu respektieren und zur Seite zu treten, wenn ich vorbeigehen wollte. Wie selbstverständlich hatte ich mich zwischen ihnen bewegt, besser gestellt, überlegen, arrogant. Ja, ich war ihnen überlegen gewesen. Aber nun war ich nicht mehr auf meiner Welt.

»Heb den Kopf, Kind«, sagte eine Frauenstimme. Ich gehorchte. Sie war nicht älter als ich, nannte mich aber Kind.

»Eine Barbarin«, lächelte die Frau. »Wie amüsant!«

»Ich habe sie in der Steppe aufgelesen«, beeilte sich Targo zu versichern. Er schien damit sagen zu wollen, daß meine Gegenwart an seiner Kette nicht seinem Geschmack, sondern dem Zufall zuzuschreiben war.

Nach einer Weile begannen die Boskglocken wieder zu läuten, Räder knarrten, Targo verbeugte sich tief und trat zurück, und der Wagen rollte weiter.

Als die Karawane vorbei war, richtete sich Targo auf. Er trug einen seltsam zufriedenen Gesichtsausdruck zur Schau; offenbar freute er sich über irgend etwas.

»In die Wagen«, befahl er.

»Wer war das?« fragte der einäugige Wächter interessiert. »Diese Dame war Rena aus Lydius«, bemerkte Targo, »von den Hausbauern.«

Wieder wurde ich mit den anderen Mädchen im Wagen festgekettet. An diesem Abend schlugen wir frühzeitig unser Lager an einem kleinen Fluß auf. Die Mädchen gingen unter Bewachung. verschiedenen Aufgaben nach. Sie versorgten die Bosks, reinigte die Wagen, holten Wasser und sammelten Holz für das Feuer Manchmal durften sie auch kochen. Ute und ich wurden zum Beerenpflücken losgeschickt. Das war keine leichte Aufgabe, und ich stahl Beeren aus Utes Eimer, so daß ich zuerst fertig war Außerdem naschte ich von unserer Ernte, was verboten war; ich gab mir aber Mühe, keine verräterischen Zeichen auf Lippen oder Kinn zu hinterlassen.

Als wir ins Lager zurückkehrten, war es fast dunkel. Zu meiner Überraschung glühten zwei Eisen im Lagerfeuer, das besonders hoch aufloderte.

Nach dem Essen durften wir neben den Wagen im Gras sitzen. Es war ein ruhiger Abend, und aus irgendeinem Grund sprachen die Mädchen kaum.

Plötzlich sprangen die Wächter auf und griffen nach ihre Speeren. Zwei Krieger tauchten aus der Dunkelheit auf. Zwischen sich trugen sie eine Frau, die sie neben dem Feuer in die Knie zwangen. Sie schüttelte mit wildem Blick den Kopf, als Targo dem Anführer der beiden Krieger fünfundvierzig Goldstücke hinzählte.

Die Mädchen schrien überrascht auf. Ein phantastischer Preis! Dabei war sie noch gar nicht geschätzt worden — also mußte es sich um ein vorher vereinbartes Geschäft handeln. Die beiden Krieger nahmen Targos Gold und verschwanden in der Dunkelheit. , »Wie töricht von dir, dich Söldnern anzuvertrauen«, sagte Targo lachend.

»Bitte!« rief das fremde Mädchen.

Da erkannte ich die Frau. Es war Rena aus Lydius, die uns am Nachmittag mit ihrem Gespann begegnet war.

Das freute mich.

»Du hast einen Bewunderer«, sagte Targo zu der Frau, »einen Kapitän aus Tyros, der dich letzten Herbst in Lydius gesehen hat Er hat einen Privatvertrag geschlossen, dich in Ar zu kaufen, damit du in seinen Vergnügungsgärten lebst. Er zahlt hundert Goldstücke.« Einigen Mädchen stockte sichtlich der Atem.

»Wer ist es?« fragte die Gefangene mit rauher Stimme.

»Das erfährst du, wenn du ihm verkauft wirst«, sagte Targo. Neugier steht einer Kajira nicht zu.«

Die Frau schüttelte verzweifelt den Kopf.

»Denk nach!« rief Targo. »Warst du zu jemand grausam? Hast du jemanden unterdrückt? Hast du einen Menschen nicht so behandelt, wie er es verdient hätte?«

Die Frau wurde splitternackt an das große Hinterrad eines Wagens gefesselt und gebrandet. Mit lautem Aufschrei nahm sie den Schmerz des Brandeisens hin, kauerte dann schluchzend an dem Rad. Die Mädchen umringten sie.

»In die Wagen!« befahl Targo.

Die Wächter trieben uns zusammen und ketteten uns in den Wagen fest. Das neue Mädchen kam zu uns und wurde ziemlich weit vorn festgemacht und geknebelt, damit sie unseren Schlaf nicht störte. Kurz darauf schirrten die Wächter die Bosks an, und im Licht der drei Monde fuhren wir weiter über die Ebene.

Targo gedachte nicht zu verweilen.

»Morgen«, hörte ich ihn sagen, »sind wir in Laura.«

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