3

„Was haben Sie jetzt vor?“

Raeker ignorierte die Frage, denn im Augenblick hatte er keine Zeit für belangloses Geschwätz, obwohl der Fragesteller eine hochgestellte Persönlichkeit war.

Er mußte handeln. Um ihn herum leuchteteten an den Wänden Fagins Bildschirme auf, die alle riesige Gestalten zeigten, von denen das Dorf überfallen wurde. Raeker hatte den Daumen auf dem Sprechknopf des Mikrophons, aber er drückte den Knopf nicht. Er wußte noch nicht, was er sagen sollte.

Was er Nick durch den Roboter gesagt hatte, stimmte durchaus; ein Kampf war sinnlos. Aber jetzt hatte er bereits begonnen. Selbst wenn Raeker in der Lage gewesen wäre, Anweisungen für die Verteidigung des Dorfes zu geben, hätte er Nick und den anderen nicht mehr helfen können. Für menschliche Augen waren Angreifer und Verteidiger nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Speere zischten durch die Luft; Messer und Äxte blitzten im Feuerschein auf.

„Ziemlich lebhaft, das muß man ihnen lassen.“ Die schrille Stimme, die vorher die Frage gestellt hatte, ertönte wieder. Der gleichgültige Tonfall machte Raeker wütend, der verzweifelt überlegte, wie er seine Freunde aus ihrer prekären Lage befreien konnte.

Aber er dachte rechtzeitig daran, wie wichtig der Sprecher war, und beherrschte sich mühsam, ohne eine entsprechende Bemerkung zu machen. Jetzt hatte er endlich eine Idee und drückte auf den Sprechknopf.

„Nick! Hörst du mich?“

„Ja, Lehrer.“ Nicks Stimme zeigte nicht, wie sehr er sich anstrengte, denn sein Stimmapparat war nicht wie bei den Menschen mit dem Atemmechanismus verbunden.

„Gut. Seht zu, daß ihr euch so rasch wie möglich zu der nächsten Hütte durchkämpft. Versteckt euch, damit ihr mich nicht mehr seht. Wenn ihr keine Hütte erreichen könnt, genügt auch ein Holzstoß, hinter dem ihr Schutz findet. Gib mir Nachricht, wenn ihr es geschafft habt.“

„Wir werden es versuchen.“ Nick wandte sich ab und lief zu den anderen hinüber. In dem Kontrollraum an Bord des Raumschiffs herrschte angespanntes Schweigen; Raeker griff nach einem anderen Schalter, legte ihn aber vorläufig noch nicht um.

„Einer von ihnen hat es geschafft.“ Wieder die hohe Stimme, und diesmal mußte Raeker antworten.

„Ich kenne die Leute seit sechzehn Jahren, aber trotzdem kann ich sie nicht von den Angreifern unterscheiden. Wie stellen Sie einen Unterschied fest?“


Er sah kurz zu den beiden außerirdischen Lebewesen auf, die hinter ihm standen.

„Die Angreifer haben keine Äxte, sondern nur Speere und Messer“, erklärte ihm der Sprecher ruhig.

Raeker wandte sich rasch wieder den Bildschirmen zu. Er wußte nicht, ob der andere recht hatte, denn ihm selbst war nicht aufgefallen, daß die Angreifer nur über Speere und Messer verfügten. Andererseits hatte er keinen Anlaß, an der Richtigkeit der Behauptung zu zweifeln. Er wünschte sich, Dromm und seine Bewohner besser zu kennen. Obwohl er auf die Bemerkung des schlanken Riesen nicht geantwortet hatte, achtete er jetzt besonders auf die Äxte, die im Feuerschein aufblitzten. Sie schienen sich tatsächlich den Hütten zu nähern, aber mehr als ein Werkzeug, das plötzlich zur Waffe geworden war, verschwand aus dem Gesichtsfeld des Roboters.

Aber einige schafften es doch. Eine Minute lang stand eine vierarmige Gestalt in dem Hütteneingang und wehrte die Angreifer ab, während drei andere unter ihren starken Armen hindurch in die Hütte krochen. Diese drei waren offenbar verwundet, aber einer von ihnen blieb bei der Gestalt mit der Axt zurück, um ihr beizustehen.

Dann rannte ein weiterer Verteidiger auf die Hütte zu, und die drei zogen sich in das Innere zurück. Die Höhlenbewohner blieben unentschlossen stehen.


„Seid ihr alle in der Hütte, Nick?“ fragte Raeker.

„Fünf von uns sind hier. Ich weiß nicht, was aus den anderen geworden ist. Alice und Tom sind anscheinend tot, denn seit Beginn des Überfalls habe ich sie nicht mehr gesehen.“

„Du mußt die anderen warnen, die nicht bei dir sind. Ich unternehme gleich etwas und möchte nicht, daß ihr dadurch zu Schaden kommt.“

„Die anderen sind entweder in Sicherheit oder tot.

Der Kampf ist zu Ende, deshalb höre ich dich wieder besser als vorher. Du brauchst dir um uns keine Sorgen mehr zu machen; ich glaube, daß Swifts Leute alle in deine Richtung gelaufen sind.“

„Du hast recht“, stimmte Raeker zu, „sie stehen alle um mich herum. Einer von ihnen kommt geradewegs auf mich zu. Achtet darauf, daß ihr alle in Deckung seid — möglichst an einer Stelle, wo ein Lichtstrahl euch nicht erreicht. Ihr habt nur noch zehn Sekunden Zeit.“

„Wird gemacht“, antwortete Nick. „Wir kriechen unter die Tische.“

Raeker zählte langsam bis zehn und beobachtete dabei die Höhlenbewohner. Als er die letzte Zahl ausgesprochen hatte, legte er den Hauptschalter um; in diesem Augenblick „schien die Welt zu brennen“, wie Nick sich später ausdrückte.

In Wirklichkeit flammten nur die Suchscheinwerfer des Roboters auf, die selbst nach Jahren noch funktionierten. Es war fast unvorstellbar, daß ein Lebewesen, das in der ständigen Dämmerung auf Tenebra aufgewachsen war, nicht augenblicklich geblendet wurde. Die Scheinwerfer waren viel lichtstärker als notwendig, weil sie konstruiert worden waren, um Staub oder Nebel zu durchdringen.

Raeker war davon überzeugt, daß die Angreifer geblendet zurückweichen würden. Langsam stellte sich heraus, daß dies keineswegs der Fall war.

Sie waren allerdings überrascht und blieben zögernd stehen. Dann trat ihr Anführer einige Schritte weit vor, beugte sich über den Roboter und schien einen der Scheinwerfer aus nächster Nähe zu betrachten.

Raeker seufzte und schaltete die nutzlosen Scheinwerfer aus.

„Nick!“ rief er. „Ich fürchte, daß mein Vorhaben mißglückt ist. Kannst du diesen Swift ansprechen und ihm die Verständigungsschwierigkeit erklären?

Anscheinend will er mit mir sprechen, wenn ich mich nicht irre.“

„Ich werde es versuchen.“ Nicks Stimme klang leise aus den Lautsprechern; dann ertönte nur noch unverständliches Geschnatter in allen Tonlagen aus dem Gerät. Raeker hatte keine Ahnung, was im Augenblick gesprochen wurde, deshalb lehnte er sich unbehaglich in seinen Sessel zurück.


„Könnte der Roboter nicht in den Kampf eingreifen?“ Die schrille Stimme des Drommianers unterbrach seine Überlegungen.

„Vielleicht unter anderen Umständen“, antwortete Raeker. „Aber wir sind zu weit von ihm entfernt. Ihnen ist doch bestimmt die Pause zwischen Fragen und Antworten aufgefallen, als ich mich mit Nick unterhalten habe. Wir sind fast zweihundertsechzigtausend Kilometer von Tenebra entfernt, was eine Pause von etwa eindreiviertel Sekunden bedeutet. Unter dieser Voraussetzung wäre der Roboter nicht viel wert.“

„Selbstverständlich. Ich hätte selbst daran denken müssen. Entschuldigen Sie die Unterbrechung; ich weiß, daß Sie wichtigere Dinge zu tun haben.“

Raeker wandte sich von den Bildschirmen ab und sah die Drommianer an.

Ich muß mich entschuldigen“, sagte er. „Ich wußte, daß Sie kommen würden, deshalb hätte ich jemand zu Ihrer Begrüßung einteilen sollen. Meine einzige Entschuldigung ist dieser Notfall, den Sie miterlebt haben. Aber vielleicht kann ich Ihnen jetzt behilflich sein. Sie sind doch gekommen, um die Vindemiatrix zu sehen?“

„Das hat Zeit bis später. Im Augenblick interessiert mich der Ausgang der Geschichte dort unten wesentlich mehr. Vielleicht können Sie mir einen kurzen Abriß des Projekts geben, während Sie auf die Antwort warten. Ich habe gehört, daß Ihr Roboter sich bereits seit einigen Jahren auf Tenebra befindet; mich interessiert vor allem die Art und Weise, in der Sie dort unten Agenten angeworben haben. Und mein Sohn würde gern das Schiff besichtigen, wenn Sie jemand zu seiner Begleitung einteilen könnten.“

„Natürlich. Ich wußte nicht, daß er Ihr Sohn ist, denn in dem Funkspruch wurde er nicht erwähnt.

Deshalb dachte ich, er sei Ihr Assistent.“

„Schon gut. Mein Junge, das hier ist Doktor Helven Raeker; Doktor Raeker, der junge Mann ist mein Sohn Aminadorneldo.“

„Sehr erfreut, Sir“, sagte der jüngere Drommianer höflich.

„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Wenn Sie einen Augenblick warten, kommt ein Mann, der Ihnen die Vindemiatrix zeigt — falls Sie nicht lieber hierbleiben und die Ereignisse auf Tenebra verfolgen wollen.“

„Danke, aber ich möchte lieber das Schiff besichtigen.“

Raeker nickte und drückte den Rufknopf, um eines der Besatzungsmitglieder in den Beobachtungsraum zu holen. Er fragte sich, was der Junge hier zu suchen hatte, war aber gleichzeitig froh darüber, daß er mehr Interesse für das Schiff zeigte. Raeker konnte die beiden nicht auseinanderhalten und wußte, daß es einen schlechten Eindruck machte, wenn er sie miteinander verwechselte.

Vater und Sohn waren vom menschlichen Gesichtspunkt aus Riesen; hätten sie sich auf die Hinterbeine erhoben — was eine unnatürliche Haltung gewesen wäre —, hätten sie Raeker um einen guten Meter überragt. Sie glichen zehnbeinigen Ottern, aber die Schwimmhäute zwischen den Fingern des oberen Beinpaares waren verkümmert — das Ergebnis der normalen Evolution bei intelligenten Amphibien, die auf einem Planeten mit einer Schwerkraft lebten, die das Vierfache der irdischen betrug. Beide trugen einen kleinen Behälter auf dem Rücken, aus dem ein dünner Schlauch in den Mundwinkel führte; sie waren an eine Atmosphäre gewöhnt, die dreißig Prozent mehr Sauerstoff als die des Schiffes enthielt.

Im Augenblick lagen sie völlig entspannt auf dem Deck und hoben die Köpfe nur dann, wenn sie auf die Bildschirme sehen wollten. Als das Besatzungsmitglied erschien, richtete sich einer der Drommianer auf und folgte ihm hinaus. Raeker stellte fest, daß er auf allen fünf Beinpaaren ging, obwohl dies an Bord der Vindemiatrix kaum notwendig erschien. Andererseits bewegten Menschen sich auf dem Mond auch auf zwei Beinen fort, obwohl man dort ebensogut auf einem hüpfen konnte. Raeker dachte nicht weiter darüber nach und wandte sich an den anderen Drommianer; gleichzeitig behielt er jedoch die Bildschirme im Auge.

„Sie wollten mehr über unsere Agenten dort unten hören“, begann er. „Eigentlich gibt es darüber nicht allzuviel zu erzählen. Die größte Schwierigkeit lag darin, überhaupt erst einmal auf die Oberfläche des Planeten zu gelangen. Bei einer Temperatur von einhundertachtzig Grad Celsius und einem Druck von achthundert Atmosphären zersetzen sich alle Metalle.

Wir brauchten ziemlich lange, bis wir eine Maschine konstruiert hatten, die diesen Verhältnissen entsprach. Schließlich gelang es doch; der Roboter ist jetzt bereits sechzehn Erdjahre dort unten. Falls Sie mehr über die technischen Einzelheiten wissen möchten, müssen Sie sich allerdings an unsere Techniker wenden. Ich selbst bin Biologe und weiß daher nicht allzuviel davon.

Wir schickten die Maschine hinunter, ließen sie ein Jahr lang verschiedene Untersuchungen ausführen und entdeckten schließlich die ersten intelligenten Lebewesen. Als wir sahen, daß sie Eier legten, verschafften wir uns einige davon. Unsere Agenten sind aus diesen Eiern ausgekrochen; wir haben sie von der ersten Minute an erzogen. Jetzt wollten wir sie für unsere Zwecke einsetzen, aber dann kam diese dumme Sache dazwischen.“ Er wies auf den Bildschirm, wo Swift nachdenklich den Roboter zu betrachten schien; vielleicht hatte Nick bei seinem Überredungsversuch Erfolg.

„Wenn Sie eine Maschine bauen können, die dort unten so lange funktioniert, müßten Sie doch auch eine konstruieren können, in der Sie selbst auf Tenebra landen“, warf der Drommianer ein.

Raeker nickte. „Sie haben völlig recht. Das macht alles noch schlimmer. Wir verfügen bereits über eine Maschine dieser Art; innerhalb der nächsten Tage wollten wir die erste Landung in der Nähe des Dorfes versuchen.“

„Tatsächlich? Ich konnte mir vorstellen, daß die Konstruktion und der Bau lange Zeit erfordert haben.“

„Das haben sie auch. Das größte Problem ist dabei nicht etwa die Landung; der Roboter ist an seinem Fallschirm einwandfrei gelandet. Viel schwieriger ist der Start von Tenebra aus.“

„Weshalb? Die Schwerkraft ist doch nicht einmal so hoch wie auf meinem Heimatplaneten. Jedes Raketentriebwerk müßte doch genügen.“

„Aber die Dinger funktionieren nicht. Das Triebwerk, dem achthundert Atmosphären Außendruck nichts anhaben können, muß erst noch erfunden werden. Triebwerke schmelzen einfach — sie explodieren nicht einmal, weil der Druck zu hoch ist.“


Der Drommianer nickte auf überraschend menschliche Weise.

„Natürlich, das hatte ich nicht berücksichtigt.

Schon auf Ihrem Planeten arbeiten Triebwerke besser als auf meinem. Aber wie haben Sie das Problem gelöst? Durch einen völlig neuartigen Reaktor?“

„Nicht etwa durch eine neue Erfindung; die Maschine ist schon seit Jahrhunderten bekannt und wurde auf der Erde zu Tiefseeforschungen benützt — Bathyskaph ist der richtige Name dafür. Im Grunde genommen ist sie nichts anderes als ein lenkbares Luftschiff. Ich könnte Ihnen die Funktionsweise erklären, aber vielleicht besichtigen Sie es…“

„Lehrer!“ Selbst Aminadabarlee erkannte Nicks Stimme. Raeker drückte auf den Sprechknopf des Mikrophons.

„Ja, Nick? Was sagte Swift?“

„Er ist nicht auf unseren Vorschlag eingegangen. Er will nichts mit uns, sondern nur mit dir zu tun haben.“

„Hast du ihm erklärt, daß ich seine Sprache nicht kann?“

„Ja, aber er meint, daß du sie noch viel schneller als ich lernen müßtest, denn schließlich bist du unser Lehrer. Dann braucht er sich nicht auf Leute zu verlassen, denen er nicht trauen kann. Hoffentlich hat er recht. Er will uns im Dorf zurücklassen, aber du sollst ihn begleiten.“


„Am besten stimmst du zu; auf diese Weise habt ihr wenigstens nichts mehr von seinen Leuten zu befürchten. Vielleicht kann ich schon bald eine kleine Überraschung für Swift arrangieren. Du kannst ihm sagen, daß ich alles tun werde, was er von mir verlangt. Wahrscheinlich wird er mit seinen Leuten morgen früh abmarschieren, aber wenn sie länger bleiben wollen, dürft ihr sie nicht belästigen. Wenn sie verschwunden sind, bleibt ihr ruhig an Ort und Stelle und wartet, bis ich mich mit euch in Verbindung setze. Vielleicht hört ihr eine Woche lang nichts von mir, aber das ist nicht weiter schlimm.“

Nick erinnerte sich daran, daß Fagin sich auch nachts bewegen konnte, weil der Regen ihn nicht behinderte.

Er glaubte zu wissen, was der Lehrer vorhatte; es war nicht sein Fehler, daß er sich irrte. Das Wort Bathyskaph war in seiner Gegenwart noch nie gefallen.

„Lehrer“, wandte er deshalb sofort ein, „wäre es nicht besser, wenn wir einen anderen Treffpunkt vereinbaren würden? Swift kommt bestimmt sofort wieder hierher.“

„Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen.

Ihr bleibt einfach in dem Dorf und kümmert euch um nichts anderes. Ich setze mich wieder mit euch in Verbindung.“

„Wie du willst, Lehrer.“ Raeker lehnte sich in den Sessel zurück und nickte langsam.


Der Drommianer mußte längere Zeit auf der Erde verbracht haben, denn er deutete Raekers Haltung richtig. „Sie machen einen zufriedeneren Eindruck“, stellte er fest. „Haben Sie einen Ausweg gefunden?“

„Hoffentlich“, antwortete Raeker. „Ich hatte den Bathyskaphen ganz vergessen, bis ich ihn Ihnen gegenüber erwähnte; aber als ich endlich wieder daran dachte, wußte ich, daß das Problem gelöst war. Der Roboter kann eben nur auf seinen Ketten rollen, wobei er eine Spur hinterläßt, die verfolgt werden kann.

Aber der Bathyskaph fliegt sozusagen; er kann den Roboter nachts aufnehmen und mit ihm verschwinden. Dann kann Swift von mir aus hundert Jahre nach ihm suchen.“

„Hat Nick denn nicht doch recht? Was geschieht, wenn Swift und seine Leute wieder in dem Dorf erscheinen? Ich finde, daß sie Nicks Vorschlag hätten annehmen sollen.“

„Uns bleibt noch genügend Zeit, nachdem wir den Roboter in Sicherheit gebracht haben. Wenn Nick und die anderen das Dorf vorher verlassen, finden wir sie nicht so leicht wieder, selbst wenn wir einen Treffpunkt vereinbaren. Die Gegend ist nur ungenügend vermessen, und selbst die Teile, die in Karten verzeichnet sind, verändern sich ständig.“

„Wirklich? Das klingt eigenartig.“

„Tenebra ist eben ein eigenartiger Planet. Veränderungen sind dort die Norm; die Frage lautet also nicht, ob es morgen regnen wird, sondern ob ein Stück Weideland sich plötzlich in einen Hügel verwandelt. Unsere Geophysiker warten schon gespannt auf den Tag, an dem sie mit Nicks Gruppe in Verbindung treten können, um nähere Untersuchungen durchzuführen. Unter den dort unten herrschenden Verhältnissen ist es kein Wunder, daß die Oberfläche sich ständig verändert.

Im Augenblick bleibt uns nichts anderes zu tun. Bis es auf Tenebra wieder Morgen wird, vergehen einige unserer Tage, und ich glaube nicht, daß unterdessen etwas Wichtiges passiert. Möchten Sie den Bathyskaphen mit mir besichtigen, wenn ich abgelöst worden bin?“

„Mit größtem Vergnügen.“ Raeker hatte den Eindruck, daß die Drommianer entweder eine sehr höfliche Rasse sein mußten, oder daß dieser eine aus diesem Grund als Gesandter ausgewählt worden war.

Aber der Eindruck hielt nicht lange an.

Die Besichtigung des Bathyskaphen konnte nicht sofort erfolgen, denn als Raeker und der Drommianer die Luftschleuse erreichten, die zu der Pinasse der Vindemiatrix führte, war das Boot nicht zu sehen. Raeker setzte sich mit dem Wachoffizier in Verbindung und erfuhr, daß die Besatzungsmitglieder, die Aminadorneldo herumführten, die Pinasse benützt hatten.


„Der Drommianer wollte den Bathyskaphen sehen, Doktor, und Easy Rich ebenfalls.“

„Wer?“

Councillor Richs junge Tochter, die ihn begleitet.

Der Gentleman neben Ihnen muß mich entschuldigen. Besucher sind jederzeit willkommen, aber wenn sie aus der Besichtigung einen Familienausflug machen…“

„Mein Sohn begleitet mich“, warf Aminadabarlee ein.

„Ich weiß, Sir. Aber es gibt doch einen gewissen Unterschied zwischen älteren Kindern, die sich bereits vorsehen können, und anderen, auf die man ständig achten muß, damit sie keinen Schlag bekommen. Ich…“ Der Offizier schüttelte verständnislos den Kopf. Er war einer der Schiffsingenieure; Raeker vermutete, daß die Besucher in der Kraftzentrale gewesen sein mußten, fragte aber nicht danach.

„Wissen Sie, wann die Pinasse zurückkommt?“ erkundigte er sich.

Der Ingenieur zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Flanagan ließ sich von der Kleinen herumführen. Wahrscheinlich kommen sie zurück, wenn die junge Dame müde ist. Sie können aber auch selbst mit ihm sprechen.“

„Richtig.“ Raeker ging in die Funkzentrale der Vindemiatrix voraus, ließ sich vor einem der Bildschirme nieder und stellte die Verbindung mit der Pinasse her. Sekunden später erschien Flanagan auf dem Bildschirm und nickte Raeker zu.

„Hallo, Doktor. Was kann ich für Sie tun?“

„Wir wollten nur wissen, wann Sie wieder zurückkommen. Councillor Aminadabarlee möchte den Bathyskaphen ebenfalls besichtigen.“ Raeker nahm die Pause zwischen Frage und Antwort kaum wahr, weil er daran gewöhnt war; der Drommianer brachte jedoch weniger Geduld auf.

„Ich kann jederzeit zurückkommen und Sie abholen; meine Kunden sind völlig mit dem Bathyskaphen beschäftigt.“ Raeker machte ein überraschtes Gesicht.

„Wer ist bei ihnen?“

„Ich war bei ihnen, aber ich konnte ihnen nicht allzuviel erklären. Sie haben versprochen, daß sie nichts anfassen.“

„Darauf würde ich mich lieber nicht verlassen. Wie alt ist Richs Tochter? Ungefähr zwölf, nicht wahr?“

„Das könnte stimmen. Ich hätte sie nicht unbeaufsichtigt gelassen, aber der Drommianer versprach mir, daß er auf das Mädchen achten würde.“

„Ich glaube…“ Raeker konnte nicht zu Ende sprechen, denn in diesem Augenblick drängte der Drommianer ihn beiseite und starrte den Mann auf dem Bildschirm aus grüngelben Augen wütend an.

„Vielleicht beherrsche ich Ihre Sprache doch nicht so gut, wie ich es mir eingebildet habe“, sagte der Drommianer langsam. „Habe ich richtig verstanden, daß Sie zwei Kinder allein ohne Aufsicht in einem Schiff im Weltraum gelassen haben?“

„Nicht zwei Kinder, Sir“, protestierte Flanagan.

„Das Mädchen ist schon ziemlich vernünftig, und Ihr Sohn ist bestimmt kein Kind mehr; er ist so groß wie Sie.“

„Wir erreichen unsere endgültige Größe schon nach einem Jahr“, antwortete der Drommianer.

„Mein Sohn ist vier — das entspricht einem menschlichen Alter von etwa sieben Jahren. Ich habe die Menschen immer für ziemlich fortgeschritten gehalten, aber wenn ein Trottel wie Sie mit einer solchen Verantwortung betraut wird, sind mir die primitivsten Wilden lieber. Wenn meinem Sohn etwas zustößt…“

Er machte eine Pause, denn Flanagan war von dem Bildschirm verschwunden, ohne das Ende der Strafpredigt abzuwarten. Aber der Drommianer war noch nicht fertig; er wandte sich jetzt an Raeker, der ihn erschrocken anstarrte.

„Ich dachte, Ihre Rasse sei zivilisiert. Wenn diese unglaubliche Dummheit das erwartete Ergebnis hat, wird die Erde dafür büßen müssen. Wir werden dafür sorgen, daß keines Ihrer Schiffe je wieder auf einem Planeten landet, der mit uns in freundschaftlicher Verbindung steht. Überall wird man die Menschen wegen ihrer abgrundtiefen Dummheit verachten und sie…“

Er wurde unterbrochen, aber nicht durch gesprochene Worte. Aus dem Lautsprecher drang ein dumpfer Knall, und verschiedene Gegenstände, die auf dem Bildschirm sichtbar waren, prallten plötzlich gegen das nächste Schott. Sie fielen zurück, flogen aber alle in die gleiche Richtung — auf die Luftschleuse der Pinasse zu, wie Raeker erschrocken feststellte.

Ein Buch segelte vorüber und stieß mit einem Metallinstrument zusammen, das langsamer flog.

Aber dieser Aufprall war nicht mehr zu hören. Aus dem Lautsprecher drang kein Geräusch mehr; in der Pinasse herrschte lautlose Stille — die Stille des eisigen Vakuums.

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