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»Ein Mordopfer liegt am einzigen öffentlichen Strand der Insel und der örtliche Gesetzesvertreter ruft den Herausgeber der örtlichen Zeitung an?«, fragte Stephanie. »Mensch, das ist wirklich was anderes als in Mord ist ihr Hobby!«

»Das Leben an der Küste von Maine ist selten so wie in Mord ist ihr Hobby«, sagte Dave trocken, »und damals lief es hier nicht anders als heute, Steffi, besonders wenn die Urlauber fort sind und nur noch wir da sind – die Einheimischen, die alle im selben Boot sitzen. Das ist nichts Romantisches, nur irgendwie … keine Ahnung, nenn es Sonnenscheinpolitik, wie in Korea. Wenn alle wissen, was es zu wissen gibt, braucht sich niemand unnütz das Maul zu zerreißen. Allerdings: Mordopfer! Gesetzesvertreter! Du preschst aber ganz schön weit vor, was?«

»Daraus kannst du ihr keinen Vorwurf machen«, entgegnete Vince. »Wir haben ihr den Floh selbst ins Ohr gesetzt, als wir ihr von dem vergifteten Eiskaffee drüben in Tashmore erzählten. Steffi, Chris Robinson hat zwei meiner Kinder auf die Welt geholt. Meine zweite Frau Ariette, die ich sechs Jahre nach Joannes Tod geheiratet habe, war gut mit den Robinsons befreundet, war in der Schule sogar mit Chris’ Bruder Henry zusammen. Es ist so, wie Dave sagt, aber es war mehr als rein geschäftlich.«

Er stellte sein Glas Cola (das er »meine Droge« nannte) auf der Brüstung ab, zog den Kopf ein und breitete die Hände aus. Stephanie fand die Geste charmant und entwaffnend – ich habe nichts zu verbergen, besagte sie. »Wir hocken hier draußen ziemlich dicht beisammen. So war es schon immer, und so wird’s wohl auch bleiben, denn viel größer werden wir hier nicht werden.«


»Gott sei Dank«, grummelte Dave. »Bloß keinen scheiß Wal-Mart. Entschuldige die Ausdrucksweise, Steffi.«

Sie lächelte ihn an und sagte: »Schon gut.«

»Jedenfalls«, fuhr Vince fort, »möchte ich jetzt, dass du den Gedanken an Mord vorerst vergisst, Steffi. In Ordnung?«

»Ja.«

»Ich denke, am Ende wirst du zu dem Schluss kommen, dass du ihn weder gänzlich vom Tisch wischen noch richtig drauf stehen lassen kannst. So ist das mit vielen Dingen bei Colorado Kid und deshalb eignet sich die Geschichte nicht für den Globe. Von Yankee, Downeast und Coast ganz zu schweigen. Sie hat sich nicht mal richtig für den Weekly Islander geeignet. Wir haben natürlich drüber berichtet, klar, schließlich sind wir ’ne Zeitung, Nachrichten sind unser Metier – auf mich warten Ellen Dunwoodie und der Hydrant, vom kleinen Sohn der Lesters ganz zu schweigen, der in Boston eine neue Niere bekommt, vorausgesetzt er hält lange genug durch –, und natürlich musst du den Leuten von der Heuwagenfahrt draußen auf dem Gernerd-Hof berichten, oder?«

»Das Picknick nicht zu vergessen!«, murmelte Stephanie.

»Essen bis zum Umfallen – das Volk wird sich erheben, wenn es das nicht erfährt.«

Die Männer lachten. Dave schlug sich sogar mit der Hand auf die Brust, um ihr zu zeigen, wie gut der Witz gewesen war.

»Ah jo, mein Mädchen!«, stimmte Vince grinsend zu.

»Aber manchmal passieren Dinge, da finden zum Beispiel zwei Schüler beim morgendlichen Trainingslauf eine Leiche am schönsten Strand des Ortes, und man sagt sich: Es muss doch eine Story dahinterstecken. Keine simple Nachricht: was, warum, wann, wo und wie, sondern eine Geschichte – und dann musst du feststellen, dass nichts zu finden ist. Dass es wirklich nur eine Reihe zusammenhangloser Tatsachen um ein echtes, ungelöstes Rätsel ist. Und das, meine Liebe, wollen die Leute nicht. Es macht sie nervös. Das sind zu viele Wellen. Die machen seekrank.«

»Amen«, schloss Dave. »So, nun erzähl mal den Rest, solange es noch hell ist!«

Und das tat Vince Teague.


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