Erster Teil

1

Julius stand am geöffneten Fenster und blickte über spanische Hügel. Die untergehende Sonne goss einen goldenen Streifen über einen fernen Bergrücken, als schwebte er wie eine Ader aus gleißendem Licht in der Luft. Das Gespräch hinter Julius wurde leiser und schwoll dann wieder an, ohne ihn aus seinen Gedanken zu reißen. Der Duft von Geißblatt im lauen Abendwind ließ seinen eigenen abgestandenen Schweiß noch stechender riechen, dann war der Blütenduft in der Brise wieder verflogen.

Es war ein langer Tag gewesen. Als er eine Hand über die Augen legte, spürte er eine Woge der Erschöpfung wie schwarzes Wasser in sich aufsteigen. Die Stimmen im Besprechungsraum vermischten sich mit dem Knarren der Stühle und dem Rascheln der Landkarten. Wie viele Hunderte solcher Abende hatte er mit diesen Männern schon hier im obersten Stockwerk der Festung verbracht? Diese Routine am Ende eines jeden Tages war für sie alle zu einer tröstlichen Gewohnheit geworden. Selbst wenn es nichts zu besprechen gab, kamen sie hier zusammen, um zu reden und zu trinken. Es hielt die Erinnerung an Rom in ihnen wach, und manchmal konnten sie dabei sogar vergessen, dass sie ihre Heimat seit über vier Jahren nicht gesehen hatten.

Anfangs hatte sich Julius auf die Probleme vor Ort gestürzt und manchmal monatelang nicht an Rom gedacht. Während er mit der Sonne aufstand und schlafen ging und die Zehnte Legion Städte in diese Wildnis baute, waren die Tage nur so dahingeflogen. Die Küstenstadt Valencia war mit Hilfe von Holz, Kalk und Farbe inzwischen so sehr verändert worden, dass es beinahe schien, als sei auf der alten eine ganz neue Stadt errichtet worden. Die Legionäre hatten Straßen gebaut, um die verschiedenen Landstriche miteinander zu verbinden und die wilden Berghügel durch Brücken für Siedler zugänglich zu machen. In den ersten Jahren hatte Julius verbissen und mit nach außen hin schier unerschöpflicher Energie gearbeitet. Er hatte die Erschöpfung als Droge benutzt, um seine schmerzlichen Erinnerungen zu vertreiben. Dann schlief er, und Cornelia erschien ihm im Traum. In solchen Nächten verließ er sein schweißnasses Bett und ritt hinaus zu den Wachposten. Unangekündigt tauchte er plötzlich aus der Dunkelheit auf, bis die Zehnte genauso nervös und müde war wie er selbst.

Als wollten sie seine Teilnahmslosigkeit verspotten, hatten seine Ingenieure zwei neue Goldadern gefunden, die ergiebiger waren als alle bisherigen. Dieses gelbe Metall hatte eine eigene, ganz besondere Anziehungskraft. Julius hatte mit Verachtung auf die erste Ausbeute, die aus einem Bündel auf seinem Tisch hervorquoll, herabgesehen. Das Gold stand für so viele verhasste Dinge. Mit nichts war er nach Spanien gekommen, dann aber hatte der Boden hier seine Geheimnisse preisgegeben, und mit dem Reichtum kamen auch die Erinnerungen an die alte Heimat und an ein Leben, das er fast vergessen hatte, wieder an die Oberfläche.

Bei dem Gedanken daran seufzte er. Spanien war eine solche Schatzkammer, dass es ihm schwer fallen würde, die Provinz wieder zu verlassen. Dabei wusste er, dass er sich hier nicht mehr allzu lange vor sich selbst verstecken durfte. Das Leben war einfach zu kostbar und zu kurz, um es zu vergeuden.

Durch die Wärme der vielen Leiber war es stickig im Raum geworden. Die Karten der neuen Minen lagen, mit Gewichten beschwert, ausgebreitet auf den niedrigen Tischen. Julius hörte, wie Renius mit Brutus stritt und Domitius leise in sich hineinlachte. Nur der hünenhafte Ciro sagte nichts. Die beiden Streithähne schienen zu keinem Ergebnis zu kommen, bis Julius sich wieder zu ihnen gesellte. Es waren allesamt gute Männer; ein jeder von ihnen hatte mit ihm gegen Feinde gekämpft und schwierige Zeiten durchgemacht. Manchmal konnte er sich vorstellen, wie es gewesen wäre, mit ihnen die ganze Welt zu erkunden. Diese Männer hatten etwas Besseres verdient, als hier in Spanien einfach vergessen zu werden, und er konnte das Mitgefühl, das er in ihren Augen las, nicht ertragen. Letztendlich hatte er nur ihre Verachtung verdient, weil er sie erst hierher gebracht und sich dann in belangloser Arbeit vergraben hatte.

Wenn Cornelia noch am Leben gewesen wäre, hätte er sie nach Spanien mitgenommen. Es wäre ein Neuanfang gewesen, weit weg von Rom und seinen Intrigen. Er senkte den Kopf, und die Abendluft strich kühl über sein Gesicht. Die Wunde war fast verheilt, und manchmal dachte er sogar tagelang nicht mehr an Cornelia. Dann jedoch gewannen seine Schuldgefühle wieder die Oberhand, und wie zur Strafe holten ihn die furchtbaren Albträume wieder ein.

»Julius? Ein Wachposten wartet an der Tür auf dich«, sagte Brutus und berührte ihn leicht an der Schulter. Julius nickte und drehte sich wieder zu den Männern um. Seine Augen suchten nach dem Fremden in ihrer Mitte.

Der Legionär sah nervös aus. Fahrig glitt sein Blick über die mit Karten und Weinkrügen beladenen Tische, sichtlich beeindruckt von all diesen wichtigen Leuten.

»Nun?« Julius sah ihn fragend an.

Der Soldat schluckte, als er die dunklen Augen des Befehlshabers auf sich ruhen fühlte. In diesem schmalen, verhärteten Gesicht war keine Spur von Freundlichkeit zu sehen, und der junge Legionär fing leicht an zu stottern.

»Ein junger Spanier ist am Tor, Herr. Er sagt, er sei derjenige, den wir suchen.«

Die Gespräche im Raum verstummten schlagartig, und der Wachsoldat wünschte sich, er wäre irgendwo anders, überall, nur nicht unter den fragenden Blicken dieser Männer.

»Hast du ihn nach Waffen durchsucht?«, fragte Julius. »Ja, Herr.«

»Dann bring ihn zu mir. Ich will den Mann sprechen, der mir so viel Ärger gemacht hat.«

Julius stand wartend am oberen Ende der Treppe, während der Spanier nach oben gebracht wurde. Seine Gewänder waren für die schlaksige Gestalt viel zu kurz, und die Gesichtszüge waren noch im Wandel vom Jungen zum Manne begriffen, nur die Kinnpartie hatte ihre Weichheit schon gänzlich verloren. Als sich ihre Blicke trafen, zögerte der Spanier und stolperte.

»Wie lautet dein Name, Bursche?«, fragte Julius, als sie einander auf gleicher Höhe gegenüberstanden.

»Adàn«, brachte der Spanier hervor.

»Und du willst meinen Offizier getötet haben?«, erkundigte sich Julius mehr verächtlich als fragend.

Der junge Mann erstarrte und nickte dann. Sein Gesichtsausdruck verriet Angst, aber auch Entschlossenheit. Er sah, dass alle Gesichter im Raum ihm zugewandt waren, und bei dem Gedanken, vor sie hinzutreten, schien ihn doch der Mut zu verlassen. Hätte ihn die Wache nicht das letzte Stück über die Schwelle geschoben, wäre er vielleicht zurückgewichen.

»Warte unten!«, befahl Julius, plötzlich gereizt, dem Legionär.

Adàn weigerte sich, angesichts der feindseligen Blicke der Römer den Kopf zu senken, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, sich jemals in seinem Leben mehr gefürchtet zu haben als in diesem Moment. Als Julius hinter ihm die Tür schloss, fuhr er erschrocken zusammen und verfluchte innerlich seine Nervosität. Er sah zu, wie sich der römische Feldherr setzte und ihn dann interessiert musterte. Eine dumpfe Panik erfasste ihn. Sollte er die Hände an den Seiten lassen? Urplötzlich wusste er nicht mehr wohin mit ihnen, und er überlegte, ob er sie auf dem Rücken verschränken sollte. Die Stille im Raum wurde langsam quälend. Noch immer waren alle Augen auf ihn gerichtet. Adàn schluckte mit einiger Anstrengung, war jedoch fest entschlossen, seine Angst nicht zu zeigen.

»Du kannst genug Latein, um mir deinen Namen zu sagen. Kannst du mich verstehen?«, fragte Julius.

Adàn sammelte Speichel in seinem trockenen Mund. »Ja, das kann ich«, sagte er. Wenigstens hatte seine Stimme nicht gezittert wie die eines kleinen Jungen. Er reckte ein wenig die Schultern und sah die anderen Männer an. Die offene Feindseligkeit eines von ihnen ließ ihn beinahe zurückweichen. Es war ein Bär von einem Mann mit nur einem Arm, der vor Wut schier zu knurren schien.

»Du hast den Wachen gesagt, du seist derjenige, den wir suchen. Der, der den Soldaten getötet hat«, fuhr Julius fort.

Adàn richtete den Blick wieder auf ihn.

»Das stimmt. Ich habe ihn getötet«, erwiderte er rasch. »Du hast ihn auch gefoltert«, fügte Julius hinzu.

Adàn schluckte wieder mühsam. Er hatte sich diese Szene genau ausgemalt, während er über die dunklen Felder zur Festung gelaufen war. Doch den kämpferischen Trotz, mit dem er hatte reagieren wollen, konnte er einfach nicht aufbieten. Stattdessen hatte er irgendwie das Gefühl, als müsse er seinem eigenen Vater Rede und Antwort stehen. Und trotz aller guten Vorsätze schaffte er es nur, wenigstens nicht verlegen auf seine Füße zu starren.

»Er hat versucht, meiner Mutter Gewalt anzutun. Da habe ich ihn in den Wald geführt. Sie wollte mich davon abhalten, aber ich habe nicht auf sie gehört«, sagte Adàn steif und versuchte, sich an die genauen Worte zu erinnern, die er hatte sagen wollen.

Jemand im Raum murmelte einen Fluch, aber Adàn konnte seine Augen nicht von ihrem Anführer abwenden. Er fühlte sich merkwürdig erleichtert, jetzt, nachdem es endlich heraus war. Jetzt würden sie ihn töten und seine Eltern freilassen.

An seine Mutter zu denken war ein Fehler gewesen. Urplötzlich schossen ihm die Tränen in die Augen, die er sofort zornig wieder zurückzudrängen versuchte. Sie würde nicht wollen, dass er vor diesen Männern Schwäche zeigte.

Julius beobachtete ihn. Der junge Spanier zitterte sichtlich, und das aus gutem Grund. Er musste nur den Befehl dazu geben und man würde Adàn hinunter in den Hof führen und vor den versammelten Offizieren hinrichten. Dann wäre diese Geschichte ein für alle Mal aus der Welt. Aber irgendetwas hielt Julius davon ab.

»Warum hast du dich gestellt, Adàn?«

»Meine Familie ist zum Verhör abgeholt worden, Herr. Sie sind unschuldig. Ich bin derjenige, den ihr haben wollt.«

»Und du glaubst, dein Tod wird sie retten?«

Adàn zögerte. Wie sollte er nur erklären, dass nur dieser winzige Hoffnungsschimmer ihn hatte hierher kommen lassen?

»Sie haben nichts Unrechtes getan.«

Julius hob die Hand und kratzte sich an der Augenbraue. Dann ließ er den Arm auf die Stuhllehne zurücksinken, während er nachdachte.

»Als ich noch jünger war als du jetzt, Adàn, habe ich einmal vor einem Römer namens Cornelius Sulla gestanden. Er hatte meinen Onkel umgebracht und alles zerstört, was mir jemals etwas bedeutet hat. Er sagte zu mir, ich sei frei, wenn ich meine Frau verstoßen und ihren Vater damit beschämen würde. Er liebte solche kleinen Gemeinheiten.«

Einen Moment lang schweifte Julius’ Blick ab, und er schien sich in seiner eigenen Vergangenheit zu verlieren. Adàn spürte, wie ihm kalter Schweiß auf die Stirn trat. Warum redete dieser Mann so mit ihm? Er hatte doch schon alles gestanden, was gab es denn noch? Doch trotz seiner Angst wurde er neugierig. Für die Spanier hatten die Römer immer nur ein Gesicht. Zu hören, dass es auch in ihren eigenen Reihen Rivalitäten und Feinde gab, war für ihn eine Offenbarung.

»Ich habe diesen Mann gehasst, Adàn«, fuhr Julius fort. »Hätte ich eine Waffe gehabt, ich hätte ihn auf der Stelle getötet, auch wenn es meinen eigenen Tod bedeutet hätte. Ich frage mich, ob du diese Art von Hass verstehen kannst.«

»Und du hast deine Frau nicht aufgegeben?«, fragte Adàn. Julius blinzelte kurz bei der unvermittelten Frage und lächelte dann bitter.

»Nein. Ich habe mich geweigert, doch er hat mich am Leben gelassen. Der Boden zu seinen Füßen war mit dem Blut der Menschen besudelt, die er gefoltert und getötet hatte, aber mich ließ er am Leben. Ich habe mich oft gefragt, warum.«

»Er hat nicht geglaubt, dass du ihm gefährlich werden könntest«, sagte Adàn. Sein Mut, so mit dem General zu reden, überraschte ihn selbst. Julius schüttelte, noch immer in Gedanken verloren, langsam den Kopf.

»Das bezweifle ich. Ich habe ihm gesagt, wenn er mich freiließe, würde ich mein Leben daransetzen, ihn zu töten.« Beinahe hätte er es laut ausgesprochen, wie sein Freund den Diktator vergiftet hatte. Aber diesen Teil der Geschichte durfte er niemals erzählen, nicht einmal den in diesem Raum versammelten Getreuen.

Julius zuckte die Achseln. »Am Ende hat ihn jemand anderes umgebracht ... was zu den Dingen in meinem Leben gehört, die ich am meisten bedaure. Dass ich ihn nicht selbst töten und zusehen durfte, wie das Leben langsam aus seinen Augen wich.«

Adàn musste den Blick von dem verzehrenden Feuer abwenden, das er in dem Römer lodern sah. Er glaubte ihm jedes Wort, und der Gedanke, dass dieser Mann mit der gleichen Rachsucht seinen eigenen Tod anordnen konnte, ließ ihn schaudern.

Eine ganze Weile sagte Julius kein Wort mehr, und Adàn spürte, wie die Anspannung ihm langsam die Kräfte raubte. Als der Römer das Schweigen schließlich doch brach, fuhr Adàns Kopf erschrocken hoch.

»Es gibt in Valencia und in unseren Zellen noch andere Mörder. Einer von ihnen wird für dein Verbrechen und für seine eigenen gehängt werden. Dich aber werde ich begnadigen. Ich werde mit meinem Name unterzeichnen, und du wirst mit deiner Familie nach Hause gehen und nie wieder meinen Unwillen erregen.«

Renius stieß empört die angehaltene Luft durch die Nase aus. »Ich möchte eine kurze private Unterredung, General«, sagte er mit belegter Stimme und sah Adàn dabei giftig an. Der junge Spanier stand mit vor Überraschung offenem Mund da.

»Abgelehnt, Renius. Ich habe gesprochen, und dabei bleibt es«, erwiderte Julius, ohne ihn anzusehen. Stattdessen musterte er weiter den Jungen und fühlte, wie eine Last von seinen Schultern wich. Jetzt wusste er genau, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Er hatte sich selbst in dem jungen Spanier gesehen, und es kam ihm vor, als habe sich ein Schleier in seiner Erinnerung gehoben. Wie Furcht erregend Sulla damals auf ihn gewirkt hatte. Für Adàn war Julius wohl auch nur einer dieser grausamen Männer, die sich in metallene Rüstungen und verhärtete Gedanken hüllten. Und wie nahe war er daran gewesen, Adàn pfählen, verbrennen oder ans Tor des Forts nageln zu lassen, so wie Sulla es mit so vielen seiner Feinde getan hatte. Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Sullas Launen Adàn jetzt das Leben retteten. Aber Julius hatte sich gerade noch rechtzeitig zurückgehalten, bevor er das Todesurteil ausgesprochen hatte, und nun fragte er sich insgeheim, was aus ihm geworden war. Nein, er würde nicht zu einem dieser Männer werden, die er damals schon gehasst hatte. Auch das Alter würde ihn nicht in dieses Muster zwängen, solange er es verhindern konnte. Er erhob sich und trat vor Adàn hin.

»Ich erwarte von dir, dass du diese Chance nicht vergeudest, denn eine zweite bekommst du von mir nicht.«

Adàn wäre beinahe in Tränen ausgebrochen; seine Gefühle drohten ihn zu überwältigen. Er hatte sich schon auf den Tod vorbereitet. Dass er jetzt verschont worden war und man ihm die Freiheit versprochen hatte, war einfach zu viel für ihn. Aus einem Reflex heraus, und bevor jemand ihn daran hindern konnte, machte er einen Schritt nach vorne und beugte das Knie.

Julius blickte versonnen auf den jungen Mann vor ihm hinunter.

»Wir sind nicht der Feind, Adàn. Denke immer daran. Ich lasse sogleich einen Schreiber die Begnadigung aufsetzen. Warte unten auf mich!«, sagte er schließlich.

Adàn stand auf und sah noch ein letztes Mal in die dunklen Augen des Römers, bevor er den Raum verließ. Als sich die Tür hinter ihm schloss, sackte er entkräftet gegen die Wand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihm war ganz schwindelig vor Erleichterung, und jeder Atemzug, den er in die Lunge sog, war rein und kühl. Es war ihm unbegreiflich, warum man ihn verschont hatte.

Der Wachposten unten im Vorraum verdrehte sich den Hals, um zu Adàns zusammengesunkener Gestalt heraufzuschauen.

»Dann soll ich wohl schon die Messer für dich ins Feuer legen, wie?«, höhnte der Römer.

»Heute noch nicht«, erwiderte Adàn und genoss die Verblüffung, die sich auf dem Gesicht des Mannes zeigte.

Brutus drückte Julius einen Becher in die Hand und goss geschickt aus einer Amphore Wein hinein.

»Erklärst du uns wenigstens, warum du ihn ungeschoren lässt?«, fragte er gelassen.

Julius hob den Becher ein wenig an, um zu zeigen, dass er voll genug war. Dann trank er einen Schluck und streckte ihn noch einmal aus.

»Weil er tapfer war«, sagte er einfach.

Renius rieb sich nachdenklich die Bartstoppeln. »Er wird in den Städten berühmt werden, ist dir das klar? Er wird der Mann sein, der sich uns gestellt und überlebt hat. Sie machen ihn bestimmt zum Bürgermeister, wenn der alte Del Subió einmal stirbt. Die jungen Leute werden sich um ihn scharen, und ehe du dich versiehst ...«

»Genug jetzt«, unterbrach ihn Julius ungeduldig. Sein Gesicht war vom Wein schon leicht gerötet. »Das Schwert ist nicht die Antwort auf alles, auch wenn du dir das noch so sehr wünschst. Wir müssen mit ihnen zusammenleben, ohne dass wir unsere Männer immer nur paarweise hinausschicken können und ohne dass wir auf jeder Straße und jedem Weg einen Hinterhalt fürchten müssen.« Er gestikulierte eifrig, während er nach den richtigen Worten für seine Gedanken suchte.

»Sie müssen Römer werden wie wir. Sie müssen willens sein, für unsere Sache zu kämpfen und im Kampf gegen unsere Feinde zu sterben. Pompeius hat uns den richtigen Weg gezeigt, als er hier Legionen ausgehoben hat. Ich habe die Wahrheit gesagt, als ich sagte, wir seien nicht der Feind. Verstehst du das?«

»Ich verstehe es«, ließ sich plötzlich Ciro vernehmen, und seine tiefe Stimme übertönte Renius’ Antwort.

Julius’ Miene hellte sich auf. »Da seht ihr es! Ciro ist zwar nicht in Rom geboren, aber er ist aus freien Stücken zu uns gekommen, und er ist ein Römer.« Wieder rang er nach Worten, weil sich seine Gedanken überschlugen. »Rom ist ... eine Idee. Es ist viel mehr als nur Blut. Wir müssen uns so verhalten, dass es Adàn mehr schmerzen würde uns zu vertreiben, als sich das eigene Herz aus dem Leib zu reißen. Heute Nacht wird er sich vielleicht noch fragen, warum er nicht hingerichtet worden ist. Aber jetzt weiß er, dass es Gerechtigkeit gibt, selbst wenn ein römischer Soldat getötet wurde. Er wird diese Kunde weitertragen, und diejenigen, die an dieser Gerechtigkeit noch zweifeln, werden innehalten und nachdenken. Das ist Grund genug.«

»Es sei denn, er hat den Mann nur aus Spaß umgebracht«, warf Renius ein. »Dann erzählt er jetzt seinen Freunden, wir seien schwach und dumm.« Er wagte es nicht weiterzusprechen, ging hinüber zu Brutus und nahm ihm die Amphore aus den Händen. Um sich einzuschenken, hielt er sie in der Beuge seines Ellenbogens, doch er war so aufgebracht, dass er ein wenig Wein auf den Boden schüttete.

Julius sah ihm zu, und seine Augen wurden schmal. Er holte tief Luft, um den Jähzorn zu bändigen, der in ihm aufwallte.

»Ich werde nicht zu einem Sulla oder Cato werden. Verstehst du wenigstens das, Renius? Ich werde nicht durch Furcht und Hass regieren und jede Mahlzeit aus Angst vor Gift vorkosten lassen. Verstehst du das?« Julius’ Stimme war lauter geworden, und Renius drehte sich zu ihm um. Ihm wurde klar, dass er zu weit gegangen war.

Julius hob die zur Faust geballte Hand, ein Bild des blanken Zorns.

»Wenn ich Ciro den Befehl dazu gebe, schneidet er dir bei lebendigem Leibe das Herz heraus, Renius. Er ist zwar an der Küste eines anderen Landes geboren, aber er ist ein Römer. Er ist ein Soldat der Zehnten, und er gehört zu mir. Ich binde ihn nicht durch Furcht an mich, sondern durch Liebe. Begreifst du das

Renius erstarrte. »Das weiß ich, natürlich, du ...«

Julius unterbrach ihn mit einer brüsken Handbewegung. Mit einem Mal verspürte er einen bohrenden Kopfschmerz zwischen den Augen. Die Angst, vor allen Anwesenden einen Anfall zu erleiden, ließ seinen Zorn schwinden, er fühlte sich nur noch müde und leer.

»Geht jetzt, alle. Holt mir Cabera. Vergib mir meine Ungehaltenheit, Renius. Ich musste wohl mit dir streiten, um meine eigenen Gedanken zu verstehen.«

Renius nickte und nahm die Entschuldigung an. Gemeinsam mit den anderen verließ er den Raum und ließ Julius allein zurück. Das Abendrot war beinahe in der Nacht versunken, und Julius zündete die Lampen an, bevor er sich wieder ans offene Fenster stellte. Er presste die Stirn gegen den kühlen Stein. Der Kopfschmerz pochte in seiner Stirn, und er stöhnte leise. Er massierte sich die Schläfen mit kleinen kreisenden Bewegungen, so wie Cabera es ihm gezeigt hatte.

Es gab noch so viel zu tun, doch da war auch ständig diese leise innere Stimme, die ihn zu verhöhnen schien. Wollte er sich hier in diesen Bergen wirklich nur verstecken? Einst hatte er davon geträumt, im Senat zu stehen, und jetzt hatte er solche Angst davor. Cornelia war tot, und Tubruk war mit ihr gestorben. Seine eigene Tochter war eine Fremde für ihn, die in einem Haus lebte, dem er in sechs Jahren nur einen einzigen Besuch abgestattet hatte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der er nur zu gerne seine Kraft und seinen Verstand mit Männern wie Sulla und Pompeius gemessen hätte. Aber jetzt wurde ihm allein bei dem Gedanken daran, sich in ihre Machtspiele einzumischen, vor lauter Hass fast schlecht. Gewiss, ganz gewiss war es besser, hier in Spanien ein neues Zuhause aufzubauen, eine Frau zu finden und seine alte Heimat nie wiederzusehen.

»Ich kann einfach nicht mehr zurück«, sagte er laut, und seine Stimme brach.

Renius fand Cabera in den Ställen, wo er einen Abszess am Huf eines Kavalleriepferdes aufstach. Die Pferde schienen stets zu verstehen, dass er nur versuchte, ihnen zu helfen, und selbst die lebhaftesten standen schon nach ein paar beruhigenden Worten und Klapsen still.

Sie waren allein, und Renius wartete, bis Caberas Nadel das Geschwür aufgestochen hatte und er mit sanften Fingern den Eiter herausdrückte. Das Pferd zitterte leicht, als sei gerade ein Schwarm Fliegen auf ihm gelandet. Aber Cabera war noch nie getreten worden, und auch diesmal lag das Bein des Pferdes ruhig in seinen Händen.

»Er verlangt nach dir«, sagte Renius.

Sein Tonfall ließ Cabera aufblicken. »Reichst du mir bitte diese Schale dort?«

Renius reichte ihm das Töpfchen mit dem klebrigen Teer, der die Wunde verschließen würde. Er sah zu, wie Cabera ruhig und wortlos weiterarbeitete. Erst als die Wunde rundum versorgt war, drehte sich Cabera zu ihm um. Von seiner üblichen Bereitschaft, Scherze zu machen, war nichts zu bemerken.

»Du machst dir Sorgen um Julius«, stellte der alte Heiler fest.

Renius zuckte die Achseln. »Er bringt sich in diesem Land noch selbst um. Natürlich mache ich mir Sorgen. Er schläft nicht und verbringt seine Nächte lieber mit der Arbeit an den Minen und über den Karten. Es hat fast den Anschein, als könnte ich nicht einmal mehr mit ihm reden, ohne dass es gleich in Streit ausartet.«

Cabera legte die Hand auf die eisenharten Muskeln von Renius’ Arm.

»Er weiß, dass du für ihn da bist, wenn er dich braucht«, sagte er tröstend. »Ich gebe ihm heute Abend einen Schlaftrunk. Vielleicht solltest du auch etwas davon trinken. Du siehst erschöpft aus.«

Renius schüttelte den Kopf. »Tu für ihn, was du kannst, alter Mann. Er verdient etwas Besseres als das hier.«

Cabera sah dem einarmigen Gladiator nach, als er in der Dunkelheit verschwand.

»Du bist ein guter Mann, Renius«, sagte er so leise, dass es kaum zu hören war.

2

Servilia stand an der Reling des kleinen Handelsschiffes und sah den hin- und hereilenden Menschen auf dem Kai zu, auf den sie langsam zusteuerten. Hunderte kleiner Boote lagen vor dem Hafen von Valencia, und der Handelskapitän hatte bereits zwei Fischerboote, die auf sein Schiff zugesteuert waren, angewiesen, abzudrehen. Es schien überhaupt keine Ordnung in dem Durcheinander zu geben, und Servilia lächelte, als der nächste junge Spanier einen Fisch hochhielt und ihr einen Preis zurief. Sie bemerkte, wie geschickt der Mann im Stehen das Schwanken seines kleinen Bootes ausglich. Er trug nur ein knappes Tuch um die Hüften, und von einem Riemen an einem breiten Gürtel baumelte ein Messer herab. Servilia genoss den schönen Anblick.

Der Kapitän forderte ihn wild fuchtelnd zum Abdrehen auf, doch der Fischer ließ sich nicht verscheuchen. Er witterte ein Geschäft mit der Frau, die ihm von dort oben herab so kokett zulächelte.

»Ich will ihm seinen Fang abkaufen, Kapitän«, sagte Servilia.

Der römische Kaufmann runzelte die Stirn und zog missmutig die Augenbrauen zusammen.

»Es ist schließlich dein Geld. Aber im Hafen sind die Preise besser«, antwortete er.

Sie klopfte ihm auf die Schulter, und sein Missmut machte Verwirrung Platz.

»Das mag schon sein, aber es ist sehr heiß, und nachdem wir schon so lange hier an Bord sind, würde ich gern etwas Frisches essen.«

Der Kapitän wirkte nicht sehr überzeugt, gab aber nach, hob das schwere Seil auf und warf es über die Reling. Der Fischer band das Seilende an ein Netz zu seinen Füßen und kletterte dann an Deck. Oben angekommen, schwang er mit gekonnter Leichtigkeit die Beine über die Reling. Der junge Spanier war von der Arbeit braun gebrannt und muskulös, ein Hauch von Salz schimmerte weiß auf seiner Haut. Er verbeugte sich tief unter den wohlwollenden Blicken und zog sein Netz herauf. Mit Kennerblick betrachtete Servilia das Spiel seiner Muskeln an Armen und Schultern.

»Treibt dein Boot nicht ab?«, fragte sie ihn.

Der junge Spanier öffnete den Mund, um zu antworten, doch der Kapitän schnaubte verächtlich.

»Er spricht nur seine eigene Sprache, fürchte ich. So etwas wie Schulen haben sie hier nicht. Die müssen wir schon selber bauen.«

Servilia sah das verächtliche Aufblitzen in den Augen des jungen Mannes. Ein dünnes Seil am Ende des Netzes hing lose zum Boot hinab, und mit einer schnellen Handbewegung schlang der Spanier es um die Reling. Als Antwort auf Servilias Frage klopfte er auf den gerade geschlungenen Knoten.

Im Netz wanden sich mehrere dunkelblaue Fische. Erschrocken wich Servilia einen Schritt zurück, als sie sich beim Auftreffen auf dem Deck zusammenzogen und hochsprangen. Der Fischer lachte über ihr Unbehagen und zog einen dicken Fisch am Schwanz aus dem Gewimmel. Der Fisch war so lang wie sein Arm und immer noch sehr lebendig. Servilia sah, wie die Augen des Tieres wild hin- und herrollten, während er sich in der Hand des Fischers wand. Seine blaue Haut glänzte, vom Kopf bis zum Schwanz zog sich ein dunklerer Streifen. Sie nickte und hielt bei dem fragenden Blick des Fischers fünf Finger hoch.

»Reichen fünf Fische für die Mannschaft, Kapitän?«, fragte sie. Der Römer brummte zustimmend und pfiff nach zwei Matrosen, die die Fische entgegennehmen sollten.

»Ein paar Kupfermünzen werden ausreichen, Herrin«, riet er.

Servilia löste ein breites weißes Band vom Handgelenk und brachte ein paar kleine Münzen zum Vorschein. Sie wählte eine Silbersesterze und gab sie dem jungen Mann. Überrascht hob er die Augenbrauen, legte noch einen weiteren großen Fisch zu den anderen und zog die Fangleine wieder zusammen. Bevor er den Knoten an der Reling löste, sah er den Kapitän noch einmal triumphierend an, dann sprang er kopfüber in das tiefblaue Wasser unter ihnen. Servilia beugte sich über die Reling, um ihn wieder auftauchen zu sehen. Sie lachte, als er sich in sein Boot zog, denn im Sonnenlicht glänzte er ebenso nass wie einer seiner Fische. Er zog sein Netz aus dem Wasser und winkte ihr zu.

»Was für ein schöner Anfang«, seufzte sie und atmete tief durch. Der Kapitän murmelte etwas Unverständliches.

Die Matrosen mit den Fischen holten Holzkeulen aus einer Deckskiste, und bevor Servilia begriff, was sie vorhatten, krachten die hölzernen Keulen mit widerlichen dumpfen Lauten auf die glänzenden Köpfe der Fische. Die strahlenden Augen verschwanden unter der Wucht der Schläge, wurden in das Innere der Köpfe getrieben, Blut spritzte über das Deck. Servilia verzog angeekelt das Gesicht, als ein paar Spritzer ihren Arm besudelten. Den Matrosen bereitete ihr rohes Tun sichtlich Freude. Auf der ganzen Reise von Ostia bis hierher hatten sie nicht so lebendig gewirkt. Es schien ganz so, als entfachte das Töten neues Leben in ihnen. Sie lachten und scherzten miteinander, während sie ihr grausiges Werk vollendeten.

Als auch der letzte Fisch getötet war, war das Deck über und über mit Blut und kleinen silbernen Schuppen bedeckt. Servilia sah zu, wie die Matrosen einen Segeltucheimer an einem Seil über Bord warfen und dann die Planken abspülten.

»Der Hafen ist voll mit Schiffen«, sagte der Kapitän hinter ihr und blinzelte gegen die Sonne. »Ich bringe unseres so weit wie möglich hinein, aber wir müssen wohl für ein paar Stunden vor Anker gehen, bis wieder ein Platz am Kai frei wird.« Servilia drehte sich noch einmal um und sah nach Valencia hinüber. Plötzlich sehnte sie sich danach, wieder an Land zu sein.

»Wie du meinst, Kapitän«, murmelte sie.

Die Berge hinter dem Hafen schienen den Horizont gänzlich auszufüllen. Grün und rot zeichneten sie sich vor dem dunklen Blau des Himmels ab. Irgendwo dort an Land war ihr Sohn Brutus, und sie freute sich unbändig darauf, ihn nach so langer Zeit endlich wiederzusehen. Als sie an den jungen Mann dachte, der sein Freund war, krampfte sich ihr eigenartig der Magen zusammen, fast schmerzhaft. Sie fragte sich, wie die Jahre ihn wohl verändert hatten, und fuhr sich unwillkürlich übers Haar. Sorgfältig strich sie sich die losen Strähnen glatt, die von der Seeluft feucht geworden waren.

Bis das römische Handelsschiff endlich zwischen den vor Anker liegenden Schiffen seinen Platz am Kai einnehmen konnte, hatte der späte Nachmittag die Hitze der Sonne zu einem weichen Grau gedämpft.

Servilia hatte drei ihrer schönsten Mädchen mitgebracht, die sich jetzt zu ihr an Deck gesellten. Die Matrosen warfen den Hafenarbeitern unten auf dem Kai die Taue zu und benutzten die Steuerruder, um das Schiff langsam und vorsichtig seitlich an die massiven Holzbalken des Kais zu manövrieren. Es war ein sehr heikles Manöver, und der Kapitän stellte sein Können mit der Genauigkeit unter Beweis, mit der er den Maat am Bug durch Handzeichen und Zurufe dirigierte.

Es herrschte allgemein eine aufgeregte Stimmung. Die jungen Mädchen in Servilias Begleitung lachten und scherzten mit den Hafenarbeitern, die ihnen anzügliche Bemerkungen zuriefen. Servilia ließ sie schweigend gewähren. Jede der drei war eine Besonderheit in ihrem Gewerbe, und sie hatten den Spaß an ihrer Arbeit noch nicht verloren. Angelina, die Jüngste unter ihnen, verliebte sich sogar dauernd in ihre Kunden, und es dauerte nie lange, bis wieder irgendein romantischer Werber ein Angebot machte, sie zum Zwecke der Heirat zu kaufen. Jedes Mal schien sie jedoch der hohe Preis abzuschrecken, und Angelina schmollte dann tagelang, bis sie wieder hemmungslos für einen anderen schwärmte.

Die Mädchen waren so züchtig gekleidet wie Töchter aus gutem Hause. Servilia hatte enormen Wert auf ihre Sicherheit gelegt, denn sie wusste, dass selbst kurze Seereisen bei Männern eine gewisse Zügellosigkeit hervorriefen, die für unnötigen Ärger gesorgt hätte. Daher waren die Gewänder der jungen Mädchen so geschnitten, dass sie die wohlgeformten Gestalten ihrer jungen Körper verhüllten, doch in den Truhen, die Servilia mitgebracht hatte, lagen gewagtere Kleider für sie bereit. Wenn das, was in Brutus’ Briefen stand, wirklich stimmte, musste es hier einen hervorragenden Markt für sie geben. Die drei Mädchen sollten die ersten in dem neuen Haus sein, das sie hier zu kaufen beabsichtigte. Die Seeleute, die unter dem Gewicht der schweren Truhen ächzten und stöhnten, wären über die Unmenge Gold, die sich darin befand, bestimmt entgeistert gewesen.

Servilias eingehende Betrachtung des Hafens wurde von Angelinas jähem Quieken unterbrochen. Ihrem schnellen Seitenblick entging weder Angelinas erfreute Empörung noch der Matrose, der eilig davonhuschte. Es war wirklich allerhöchste Zeit, dass sie an Land kamen.

Der Kapitän rief den Hafenarbeitern zu, die Haltetaue festzuzurren. Bei dem Befehl jubelte die Mannschaft, die sich bereits auf die Vergnügungen im Hafen freute. Servilia fing den Blick des Kapitäns auf, und er kam über das Deck zu ihr herüber. Ganz plötzlich war er freundlicher und aufgeschlossener, als sie es ihm zugetraut hätte.

»Wir können die Ladung erst morgen früh löschen«, sagte er. »Wenn du aber schon jetzt an Land gehen möchtest, kann ich dir ein paar Häuser empfehlen. Ich habe hier auch einen Vetter, der dir zu einem guten Preis so viele Karren vermietet, wie du willst.«

»Vielen Dank, Kapitän. Es war mir ein großes Vergnügen.« Servilia lächelte ihn an und sah erfreut, wie sich seine Wangen röteten. Zufrieden stellte sie fest, dass Angelina also nicht die Einzige mit einem Gefolge von Verehrern hier an Bord war.

Der Kapitän räusperte sich verlegen und hob das Kinn, um weiterzusprechen. Plötzlich kam er ihr sehr nervös vor.

»Ich werde später alleine zu Abend essen. Vielleicht möchtest du mir ja Gesellschaft leisten. Ich lasse frisches Obst an Bord kommen, das Abendessen wird also wesentlich schmackhafter sein als das, was wir von der Reise gewohnt sind.«

Servilia legte ihm die Hand auf den Arm und spürte die Wärme seiner Haut durch den Stoff der Tunika hindurch.

»Ich fürchte, das müssen wir ein anderes Mal nachholen. Ich möchte mich nämlich gern schon bei Tagesanbruch auf den Weg machen. Wäre es dir möglich, meine Truhen zuerst auszuladen? Ich spreche bei der Legion vor, damit man mir eine Wache abstellt, bis die Karren beladen sind.«

Der Kapitän nickte und versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. Sein erster Maat hatte zwar gesagt, die Frau sei eine Hure, aber ihr Geld anzubieten, um sie zum Bleiben zu bewegen, würde womöglich zu einer äußerst peinlichen Situation führen. Einen Augenblick wirkte er so schrecklich einsam, dass Servilia schon überlegte, ob vielleicht Angelina ihn aufheitern sollte. Die kleine Blonde liebte ältere Männer, denn die waren schon für die kleinsten Aufmerksamkeiten dankbar. Doch als Servilia ihn betrachtete, war sie sich fast sicher, dass er das Angebot ablehnen würde. Männer in seinem Alter wünschten sich fast ebenso oft wie rein körperliche Vergnügungen die Gesellschaft einer reiferen Frau. Angelinas derbe Direktheit wäre ihm wahrscheinlich lediglich peinlich gewesen.

»Deine Truhen werden als allererste auf dem Dock stehen, Herrin. Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite«, antwortete er und sah ihr wehmütig nach, als sie die Leiter zum Kai hinunterstieg. Ein paar Männer seiner Mannschaft drückten sich ganz in der Nähe herum, für den Fall, dass eines der jungen Mädchen beim Übersteigen der Reling strauchelte. Die Augenbrauen des Kapitäns zogen sich missmutig zusammen, als er sie abschätzend beäugte, dann folgte er Servilia jedoch nach kurzem Nachdenken. Sein Instinkt sagte ihm, dass er den Männern beim Löschen der Ladung ein wenig helfen sollte.

Julius war völlig in seine Arbeit vertieft, als die Wache an die Tür klopfte.

»Was gibt es denn?«

Der Legionär sah ungewöhnlich nervös aus und salutierte.

»Ich glaube, du kommst am besten mit hinunter zum Tor und siehst es dir selbst an, Herr.«

Julius zog erstaunt die Augenbrauen hoch, doch er folgte dem Mann die Treppe hinunter und hinaus in die heiße Nachmittagssonne. Eine seltsame Spannung herrschte unter den Soldaten, die sich um das Tor scharten. Als sie auseinander wichen, um ihm Platz zu machen, bemerkte Julius, dass ein paar der Männer nur mühsam ein Grinsen unterdrückten. Ihre offensichtliche Belustigung und die drückende Hitze schienen den inneren Groll nur noch anzufachen, der in den wachen Stunden zu seinem ständigen Begleiter geworden war.

Vor dem offenen Tor stand eine Reihe schwer beladener Karren, deren Fahrer mit dem Staub der Straße bedeckt waren. Zwanzig Männer der Zehnten hatten vor und hinter dem seltsamen Zug Aufstellung genommen. Julius’ Augen verengten sich, als er einen der Offiziere erkannte, der tags zuvor für die Aufsicht am Hafen abgestellt worden war, und seine Laune verschlechterte sich noch mehr. Auch die Legionäre waren ebenso staubig wie die Karren, was bedeutete, dass sie offensichtlich den ganzen Weg zu Fuß zurückgelegt hatten.

Julius starrte den Haufen ungläubig und fassungslos an.

»Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, den Befehl gegeben zu haben, Handelsgüter von der Küste hierher zu eskortieren«, blaffte er wütend. »Ich hoffe, ihr habt einen wirklich guten Grund dafür, dass ihr eure Posten verlassen und meinen Befehlen zuwider gehandelt habt. Mir fällt kein guter Grund dafür ein, aber ich lasse mich gerne überraschen.«

Der Offizier erblasste unter seiner Staubschicht.

»Herr, die Dame ... «, begann er zögerlich.

»Was? Welche Dame?«, herrschte ihn Julius wütend an. Das Zögern des Mannes ließ ihn langsam die Geduld verlieren. Da erhob sich eine andere Stimme, die er sofort wiedererkannte, und er zuckte unwillkürlich zusammen.

»Ich habe deinen Männern gesagt, du könntest unmöglich etwas dagegen haben, wenn sie einer alten Freundin von dir behilflich sind«, sagte Servilia, stieg von dem Kutschbock eines Wagens herunter und kam auf ihn zu.

Einen Moment fehlten Julius die Worte. Ihr dunkles Haar stand zerzaust um ihren Kopf, und er sog ihren Anblick gierig in sich ein. Obwohl sie von Männern umgeben war, wirkte sie sehr bestimmt und souverän, und sie schien sich der Aufregung, die sie verursachte, voll und ganz bewusst zu sein. Wie eine Katze auf der Jagd setzte sie langsam und bedächtig einen Fuß vor den anderen. Ihr einfaches, braunes Gewand ließ Arme und Hals frei, und sie trug keinen Schmuck, außer einer schlichten Goldkette mit einem Anhänger, der in der Mulde zwischen ihren Brüsten kaum zu sehen war.

»Servilia. Du hättest unsere Freundschaft nicht überstrapazieren sollen«, sagte Julius steif.

Sie zuckte die Achseln und lächelte, als habe sie den Tadel in seiner Stimme gar nicht wahrgenommen.

»Ich hoffe, du bestrafst die Männer nicht dafür, General. Im Hafen kann es ohne Begleitung sehr gefährlich sein. Aber ich hatte ja niemanden, der mir beistand.«

Julius sah sie kalt an, bevor er den Blick wieder auf den Offizier richtete. Der Mann war dem Wortwechsel gefolgt und stand jetzt mit dem glasigen Blick eines Menschen da, der auf schlechte Neuigkeiten gefasst ist.

»Meine Befehle waren doch klar und eindeutig, oder?«, fragte ihn Julius.

»Ja, Herr.«

»Dann wirst du mit deinen Männern die nächsten beiden Wachen übernehmen. Durch deinen Rang trägst du mehr Verantwortung für diesen Fehler als sie. Oder nicht?«

»Doch, Herr«, erwiderte der unglückliche Soldat.

Julius nickte. »Wenn du fertig bist, meldest du dich zum Auspeitschen bei deinem Zenturio. Sag ihm, mein Befehl laute zwanzig Schläge. Außerdem soll dein Name auf die Liste der Ungehorsamen gesetzt werden. Und jetzt marschiert ihr im Laufschritt zurück!«

Der Offizier salutierte hastig und machte auf dem Absatz kehrt. »Kehrt Marsch!«, brüllte er seinen zwanzig Männern zu. »Im Laufschritt zurück zum Hafen!«

Weil Julius immer noch da stand, traute sich keiner der Männer laut zu stöhnen. Sie wussten sehr wohl, dass sie völlig erschöpft sein würden, ehe sie auch nur die halbe Strecke zu ihrem ursprünglichen Posten zurückgelegt hatten. Und die beiden zusätzlichen Wachen würden sie wahrscheinlich vor Müdigkeit umfallen lassen.

Julius sah ihnen nach, bis sie sich weit von den Karren entfernt hatten. Erst dann wandte er sich wieder Servilia zu. Sie stand stocksteif da und versuchte, sich ihre Verblüffung und ihr schlechtes Gewissen über das, was sie mit ihrer einfachen Bitte ausgelöst hatte, nicht anmerken zu lassen.

»Bist du gekommen, um deinen Sohn zu besuchen?«, fragte Julius stirnrunzelnd. »Er exerziert mit der Legion und müsste bei Einbruch der Nacht wieder zurück sein.« Dann blickte er wieder auf die Karren mit den brüllenden Ochsen. Offensichtlich war er zwischen seinem Zorn über den unangemeldeten Besuch und dem Gebot der Höflichkeit hin- und hergerissen. Nach einer quälend langen Stille gab er schließlich nach.

»Du kannst drinnen auf Brutus warten. Ich werde veranlassen, dass man die Tiere tränkt und dass du etwas zu essen bekommst.«

»Vielen Dank für deine Gastfreundschaft«, erwiderte Servilia lächelnd, um ihre Verwirrung zu verbergen. Sie verstand die Veränderungen nicht, die in dem jungen General vorgegangen waren. Ganz Rom wusste zwar, dass er seine Frau verloren hatte, doch es schien ihr, als spräche sie mit einem gänzlich anderen Mann als dem, den sie damals kennen gelernt hatte. Dunkle Ringe umschatteten seine Augen, doch das war nicht nur gewöhnliche Müdigkeit. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er gerade im Begriff gewesen, Spartakus zu bekämpfen, und das Feuer in ihm schien damals lichterloh zu brennen. Sie empfand Mitleid für ihn und für das, was er verloren hatte.

Just in diesem Moment sprang Angelina von einem Karren am hinteren Ende der Reihe, winkte und rief Servilia etwas zu. Sowohl Julius als auch Servilia erstarrten beim Klang ihrer mädchenhaften Stimme.

»Wer ist das?«, fragte Julius und kniff wegen des blendenden Sonnenlichtes die Augen zusammen.

»Eine Begleiterin, General. Ich habe mir für die Reise drei Begleiterinnen mitgenommen.«

Etwas in ihrem Ton ließ Julius einen misstrauischen Blick auf sie werfen.

»Sind sie etwa ...«

»Gefährtinnen, sehr persönliche Gefährtinnen, General«, schnitt sie ihm freundlich das Wort ab. »Alles gute Mädchen.« Und wenn der Preis stimmte, konnten sie einfach fantastisch sein, fügte sie im Stillen ironisch hinzu.

»Ich lasse eine Wache vor ihre Tür stellen. Die Männer sind es nicht gewohnt, dass ... « Er zögerte und setzte dann erneut an. »Vor der Tür könnte unter Umständen eine Wache nötig sein.«

Servilia stellte belustigt fest, dass sich Julius’ Wangen leicht röteten. Also war tief im Innern doch noch Leben in ihm. Ihre Nasenflügel bebten leicht bei der Aussicht auf eine Eroberung. Als Julius durch die Tore zurückging, schaute sie ihm vergnügt nach, sog ihre volle Unterlippe zwischen die Zähne und lächelte. Also war sie doch noch nicht zu alt. Gedankenverloren glättete sie ihr widerspenstiges Haar mit den Händen.

Auf den letzten Meilen des Rückwegs zur Festung dehnte und streckte Brutus seine Rückenmuskeln. Seine Zenturie der Extraordinarii ritt in Formation hinter ihm, und wenn er sich nach den in Reih und Glied galoppierenden Pferden umsah, war er ein wenig stolz. Domitius ritt rechts neben ihm, Octavian in der gleichen Reihe etwas weiter außen. Einträchtig donnerten sie über die Ebene und wirbelten eine gewaltige Staubwolke auf, die einen bitteren Geschmack im Mund hinterließ. Die Luft war angenehm warm, und die Männer waren guter Stimmung. Sie waren zwar müde, doch es war die angenehme Trägheit nach getaner Arbeit. Außerdem warteten in der Festung ordentliches Essen und ein erholsamer Nachtschlaf auf sie.

Als das Gebäude in Sicht kam, rief Brutus Domitius über das Getrappel der Pferde hinweg zu: »Wir sollten ihnen ein Schauspiel bieten. Auf mein Zeichen hin teilen und ausschwärmen!«

Er wusste, dass die Wachen am Tor zusehen würden, wie sie heranritten. Obwohl es die Extraordinarii erst seit weniger als zwei Jahren gab, hatte ihm Julius alles an Männern und Pferden gegeben, was er sich gewünscht hatte, und er hatte sich nur die Allerbesten der Zehnten ausgesucht. Auf jeden Einzelnen von ihnen hätte Brutus eine Wette gegen jede Armee der Welt abgeschlossen. Sie waren diejenigen, die die ersten Angriffswellen der Feinde aufrieben, immer die Ersten, an den unmöglichsten Positionen. Jeder von ihnen war wegen seiner Geschicklichkeit mit Schwert und Pferd ausgewählt worden, und Brutus war stolz auf sie alle. Er wusste, dass der Rest der Zehnten sie eher als Angeber denn als Kämpfer ansah, aber die Legion hatte während ihrer Zeit hier in Spanien noch keine Schlacht schlagen müssen. Wenn die Extraordinarii erst einmal ihre Feuertaufe hinter sich hatten und zeigen konnten, wozu sie fähig waren, würde das die Kosten leicht rechtfertigen, da war sich Brutus ganz sicher. Allein die Rüstungen hatten ein Vermögen gekostet: Miteinander verbundene Bronze- und Eisenstreifen gaben ihnen eine größere Bewegungsfreiheit als die schweren Panzer der einfachen Legionäre. Die Männer von Brutus’ Extraordinarii hatten das Metall auf Hochglanz poliert, und nun glänzte es mit dem schimmernden Fell ihrer Pferde im Abendrot um die Wette.

Brutus hob die Hand, gab nach links und rechts ein Zeichen und spornte sein Pferd zu einem schärferen Galopp an. Hinter ihm teilte sich die Reitergruppe so gleichmäßig und reibungslos, als verliefe eine unsichtbare Trennlinie auf dem Boden zwischen ihnen. Der Wind schlug Brutus ins Gesicht, und er lachte voller Begeisterung. Er brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass die Formation hinter ihm vollkommen war. Schaumflocken flogen vom Maul seines Pferdes. Er lehnte sich über das Sattelhorn nach vorn, verstärkte den Druck seiner Schenkel und kam sich beinahe so vor, als flöge er.

Sie näherten sich der Festung mit erstaunlicher Geschwindigkeit, und beinahe hätte Brutus, versunken in den Augenblick, vergessen, der aufgelösten Schwadron das Signal zu geben, sich neu zu formieren. Erst Augenblicke bevor sie die Pferde zügeln mussten, schwenkten die beiden Gruppen wieder zusammen, doch es funktionierte trotz allem reibungslos. Wie ein Mann stiegen alle gleichzeitig ab und klopften die Nacken der dampfenden Hengste und Wallache, die Julius aus Rom hatte herüberbringen lassen. Gegen eine feindliche Armee konnten nur kastrierte Tiere eingesetzt werden, denn der Geruch einer rossigen Stute konnte einen Hengst jederzeit durchgehen lassen. Es war ein schwieriger Balanceakt, einerseits die besten Tiere für die Extraordinarii auszuwählen, andererseits hervorragende Zuchtlinien zu gewährleisten. Selbst die hier ansässigen Spanier pfiffen anerkennend, wenn sie diese Tiere sahen. Ihre Liebe zur Pferdezucht ließ sie die übliche Zurückhaltung den Römern gegenüber vergessen.

Brutus lachte gerade über etwas, das Domitius gesagt hatte, als er seine Mutter erblickte. Seine Augen weiteten sich überrascht, und er rannte eilig unter dem Torbogen hindurch, um sie zu umarmen.

»Davon hast du in deinen Briefen überhaupt nichts gesagt!«, sagte er, hob sie hoch und küsste sie auf beide Wangen.

»Ich dachte, dann würdest du es vor lauter Vorfreude gar nicht mehr aushalten«, erwiderte Servilia schelmisch. Sie mussten beide lachen, und er setzte sie wieder ab.

Servilia hielt ihn eine Armeslänge von sich und lächelte, glücklich darüber, ihn so gesund und munter zu sehen. Die Jahre in Spanien waren ihrem einzigen Sohn sehr gut bekommen. Er hatte eine Lebenskraft in sich, die andere Männer in seiner Gegenwart aufrichtete und zu ihm aufsehen ließ.

»Du bist so hübsch wie immer«, sagte sie mit einem Augenzwinkern. »Ich nehme an, eine Menge Mädchen hier verzehren sich nach dir.«

»Ich wage es kaum, ohne Leibwache einen Fuß auf die Straße zu setzen, die mich vor diesen unglücklichen Geschöpfen schützt«, erwiderte er grinsend.

Plötzlich schob sich Domitius in ihr Blickfeld. Er hatte lange genug gewartet und wollte endlich vorgestellt werden.

»Ach ja, das ist Domitius, unser Pferdeknecht. Und kennst du Octavian? Er ist ein Verwandter von Julius.« Brutus grinste über Domitius’ entgeisterten Gesichtsausdruck und winkte Octavian näher heran.

Octavian war einfach nur überwältigt und versuchte sich an einem Salut, der Brutus zum Lachen brachte. Der Eindruck, den seine Mutter auf andere Menschen machte, war ihm so vertraut, dass es ihn nicht mehr sonderlich überraschte. Dennoch bemerkte er sehr wohl, dass sie mittlerweile inmitten eines Bewundererkreises aus Extraordinarii standen, die sich gegenseitig verstohlen in die Seite stießen und auf den Neuankömmling in der Mitte aufmerksam machten.

Servilia winkte ihnen freundlich zu. Nach den langweiligen Monaten auf See genoss sie die Aufmerksamkeit sehr.

Junge Männer versprühten eine ganz besondere Lebenskraft, denn die Angst vor dem Alter oder gar dem Tod ließ sie noch völlig unberührt. Unschuldig wie Götter standen sie um sie herum und steckten sie mit ihrem Optimismus an.

»Hast du Julius schon gesehen, Mutter? Er ... « Brutus brach jäh ab, als er die plötzliche Stille im Hof bemerkte. Drei junge Frauen traten unter einem Torbogen hervor, und sofort teilte sich die Gruppe der Soldaten vor ihnen. Eine jede war auf ihre Art eine Schönheit. Die Jüngste war blond und sehr grazil gebaut. Eine leichte Röte stieg ihr in die Wangen, als sie auf Servilia zuging. Ihr folgten zwei weitere Mädchen von so erlesener Schönheit, dass es erwachsenen Männern den Atem verschlagen konnte.

Der Bann ihres Auftritts war gebrochen, als jemand einen leisen, anerkennenden Pfiff hören ließ und wieder Leben in die Gruppe kam.

Als Angelina vor ihr stehen blieb, zog Servilia missbilligend eine Braue hoch. Das Mädchen wusste ganz genau, was es tat, und Servilia hatte das von Anfang an erkannt. Angelina war genau die Sorte Frau, um die Männer sich zu schlagen bereit waren. Meist reicht ihre Anwesenheit in einer Taverne schon aus, um eine Schlägerei auszulösen, noch bevor der Abend zu Ende war. Als Servilia sie fand, war sie Schankmagd gewesen und hatte das verschenkt, wofür Männer sehr gut zu zahlen bereit waren. Sie hatte nicht viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, als sie ihr die entsprechenden Summen genannt hatte. Servilia hatte immer zwei Fünftel von dem behalten, was Angelina in dem Haus in Rom verdient hatte, trotzdem wurde die junge Blondine langsam aber sicher selbst zu einer wohlhabenden Frau. So wie die Dinge lagen, würde sie wohl in ein paar Jahren ihr eigenes Haus eröffnen wollen, und sie würde sich wegen eines entsprechenden Kredits bestimmt an Servilia wenden.

»Wir haben uns um dich gesorgt, Herrin«, log Angelina unbekümmert.

Brutus betrachtete sie mit unverhohlenem Interesse, und sie erwiderte seine Blicke ohne jede Scham. Unter dem fragenden Blick des Mädchens konnte er den Verdacht, den er insgeheim hegte, wohl kaum bestätigen. Obwohl er sich stets sagte, er habe sich mit Servilias Beruf abgefunden, machte ihn der Gedanke, auch seine Männer könnten jetzt darüber Bescheid wissen, doch unsicherer, als er es sich selbst eingestehen wollte.

»Würdest du uns bitte vorstellen, Mutter?«, fragte er.

Für den Bruchteil einer Sekunde wurden Angelinas Augen groß. »Ist das dein Sohn? Er sieht genauso aus, wie du ihn beschrieben hast. Wie schön!«

Servilia hatte nie mit Angelina über Brutus geredet. Sie war hin- und hergerissen zwischen Ärger über die Durchschaubarkeit des Mädchens und ihrer eigenen Geschäftstüchtigkeit, die sie sehr wohl spüren ließ, wie viel Geld hier zu machen war. Die Menge um sie herum war weiter angewachsen. Diese Männer waren die Aufmerksamkeit junger Frauen offensichtlich nicht gewohnt. Sie vermutete, dass Valencia allein schon durch das Geschäft mit den Soldaten sehr einträglich werden würde.

»Das ist Angelina«, sagte sie.

Brutus verbeugte sich vor ihr, und Angelinas Augen funkelten erfreut über seine Höflichkeit.

»Ihr müsst uns heute Abend am Tisch des Generals Gesellschaft leisten. Ich plündere den Weinkeller, dann können wir euch den Staub der Straße abspülen.« Er hielt Angelinas Blick mit seinen Augen gefangen und verlieh seinen Worten einen bewusst zweideutigen Klang. Servilia räusperte sich, um die beiden zu unterbrechen.

»Führe uns doch bitte hinein, Brutus.«

Die Extraordinarii bildeten erneut eine Gasse und gaben ihnen den Weg frei. Das Abendessen, das sie in ihren Unterkünften erwartete, schien jetzt, ohne die Gesellschaft der Frauen als Dreingabe, nur noch halb so verlockend wie auf dem Heimritt. Reglos blieben sie im Hof stehen, bis der kleine Zug im Haus verschwunden war. Dann war der Bann gebrochen. Mit flinken Bewegungen teilten sie sich auf und versorgten die Pferde, als seien sie nie dabei gestört worden.

Trotz Angelinas Protest ließ Servilia ihre drei Begleiterinnen in den ihnen zugewiesenen Zimmern zurück. Jemand musste ja die Kisten auspacken, und an diesem ersten Abend wollte Servilia ohnehin die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Sohnes. Schließlich hatte sie die Mädchen nicht nach Valencia gebracht, damit sich Brutus unter den dreien eine Ehefrau aussuchte.

Julius kam nicht zu den anderen hinunter. Als Brutus anfragen ließ, ob er sich zu ihnen geselle, ließ er durch seine Leibwache eine höfliche Entschuldigung überbringen. Servilia merkte, dass die Absage keinen der Männer am Tisch überraschte. Wieder fragte sie sich, wie sehr dieses Land die Männer wohl verändert hatte.

Zu Servilias Ehren gab es verschiedene spanische Gerichte, die in einem gefälligen Arrangement in kleinen Schalen serviert wurden. Die vielen Gewürze und der Pfeffer ließen Octavian husten, bis ihm jemand auf den Rücken klopfte und man ihm reichlich Wein zu trinken gab. Schon unten im Hof hatte er Servilia ehrfurchtsvoll angestarrt, und Brutus zog ihn ein wenig damit auf, doch Servilia schien sein Unbehagen gar nicht zu bemerken.

Der Raum war von flackernden, warmes Licht verbreitenden Lampen erleuchtet, und der Wein war so gut, wie Brutus es versprochen hatte. Es war ein sehr angenehmes Mahl, und Servilia fand Gefallen an den Neckereien der Männer untereinander. Domitius ließ sich überreden, eine seiner Geschichten zum Besten zu geben, doch Cabera verdarb ihm die Pointe, indem er sie tonlos und schnell herunterspulte und dann grölend vor Lachen auf den Tisch schlug.

»Diese Geschichte hatte schon einen Bart, als ich noch ein kleiner Junge war«, kicherte der alte Mann und streckte die Hand nach einem Stück Fisch in einer Schüssel neben Octavian aus, doch dieser griff gerade nach demselben Stück. Cabera gab ihm einen Klaps auf die Finger und schnappte sich das saftige Stück, als der Jüngere es fallen ließ. Octavian verzog empört das Gesicht, doch angesichts von Servilias Anwesenheit unterdrückte er ganz offensichtlich eine unwillkürliche Antwort.

»Wie bist du zur Zehnten gekommen, Domitius?«, fragte Servilia.

»Das hat Brutus arrangiert, als wir unten im Süden gegen Spartakus gekämpft haben. Aus reiner Anständigkeit habe ich ihn ein paar Übungskämpfe gewinnen lassen, aber er hat trotzdem eingesehen, dass er davon profitieren würde, mit mir zu üben.«

»Alles gelogen!«, rief Brutus lachend. »Im Vorbeigehen habe ich ihn gefragt, ob er vielleicht Lust hat, zu der neuen Legion zu stoßen, und vor Begeisterung hat er mir fast den Arm abgerissen. Julius musste ein Vermögen an den Legaten zahlen, um ihn auszulösen, und wir warten immer noch alle auf den Nachweis, dass er es überhaupt wert war.«

Domitius wartete geduldig, bis Brutus seinen Becher ansetzte, bevor er zu einer Antwort ansetzte.

»In meiner Generation bin ich der Beste, musst du wissen«, erklärte er Servilia und grinste, weil Brutus sich verschluckte, rot anlief und beinahe zu ersticken drohte.

Das Geräusch von Schritten ließ sie alle aufsehen, dann erhoben sich die Männer alle zugleich, um Julius zu begrüßen. Er nahm seinen Platz am Kopf der Tafel ein und bedeutete ihnen, sich wieder zu setzen. Die Diener brachten frische Teller, und Brutus goss ihm einen Becher Wein ein. Er lächelte, als Julius, von der Qualität des Weines überrascht, anerkennend eine Augenbraue hochzog.

Die Unterhaltung wurde wieder aufgenommen, und während sie dem Geplauder um sich herum lauschte, fing Servilia Julius’ Blick auf und neigte leicht den Kopf. Er erwiderte ihre Geste und akzeptierte sie damit in ihrer Runde. Erleichtert seufzte sie kaum hörbar auf. Ihre innere Anspannung war ihr selbst gar nicht bewusst gewesen.

Julius umgab eine merkwürdige Autorität, an die sie sich nicht erinnern konnte. Er stimmte nicht in das allgemeine Gelächter mit ein, sondern lächelte bestenfalls bei den besonders lauten Lachsalven. Servilia bemerkte, dass er den guten Wein mit Missachtung strafte. Wie Wasser spülte er ihn hinunter, wobei der Alkohol überhaupt keine Wirkung auf ihn zu haben schien. Nur eine leichte Röte überzog sein Gesicht, die genauso gut von der Hitze des Abends herrühren konnte.

Die gelöste Stimmung am Tisch war schnell wiederhergestellt. Die Kameradschaft zwischen den Männern war ansteckend, und nach einer Weile beteiligte sich auch Servilia an ihren Geschichten und Scherzen. Cabera flirtete heftig mit ihr. Er zwinkerte ihr in den unpassendsten Augenblicken übertrieben zu, und Servilia prustete vergnügt. Als sie wieder einmal laut auflachen musste, fing sie Julius’ Blick auf, und einen Moment lang blieb die Zeit stehen. Eine andere, tiefgreifendere Wirklichkeit schien weit über die lebhafte Oberflächlichkeit des gemeinsamen Mahles hinauszudeuten.

Julius beobachtete sie. Der Effekt, den sie auf die sonst oft so düstere und gedrückte Stimmung in der Gemeinschaft der Männer hatte, überraschte ihn sehr. Sie lachte offen und ohne jede Affektiertheit, und er fragte sich, wie er sie je anders als wunderschön hatte finden können. Ihre Haut war tief gebräunt und voller Sommersprossen, Nase und Kinn waren ein wenig zu ausgeprägt, trotzdem besaß sie mehr als nur dieses gewisse Etwas. Sein Verstand registrierte wohl, wie sie ihre Aufmerksamkeit immer demjenigen zuwandte, der gerade sprach. Sie schmeichelte den Männern einfach durch die Aufmerksamkeit, die sie ihnen schenkte. Servilia war eine Frau, die Männer mochte, und die Männer spürten das. Erstaunt über sich selbst, schüttelte Julius den Kopf. Seine Reaktion auf sie missfiel ihm irgendwie, dabei war Servilia so ganz anders als Cornelia, dass es ihm gar nicht erst in den Sinn kam, sie mit ihr zu vergleichen.

Seit sehr langer Zeit schon war er nicht mehr in der Gesellschaft einer Frau gewesen. Und wenn es überhaupt einmal geschehen war, dann nur, weil Brutus ihn so betrunken gemacht hatte, dass ihm sowieso alles egal gewesen war. Servilia so anzusehen erinnerte ihn wieder an die Welt außerhalb der rauen Soldatenzusammenkünfte. Ihr gegenüber kam er sich unbeholfen vor, außer Übung. Er sollte wohl lieber auf Abstand bedacht sein, schoss es ihm durch den Kopf. Eine Frau mit ihrer Erfahrung könnte ihn durchaus bei lebendigem Leibe auffressen.

Er schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu verscheuchen. Seine Schwäche für sie irritierte ihn. Seit Monaten war sie die erste Frau, die mit ihnen zu Tisch saß, und er reagierte darauf kaum weltgewandter als Octavian. Allerdings hoffte er, dass man ihm seine Gedanken nicht ganz so offensichtlich ansah. Falls doch, würde Brutus ihn bis ans Ende seiner Tage damit aufziehen. Mit einem leichten Schaudern dachte er schon jetzt an die Sprüche, die ihm Brutus auftischen würde, und schob entschlossen seinen Weinbecher von sich. Wie auch immer! Sie war sicherlich nicht interessiert an einem Freund ihres Sohnes. Allein der Gedanke daran war lächerlich.

Octavian riss ihn aus seinen Gedanken, als er Servilia den Rest eines Kräutergerichtes über den Tisch hinweg reichte. Unter der Anleitung von Brutus und Domitius war der junge Römer stark und geschickt geworden. Julius fragte sich, ob Octavian sich wohl immer noch so sehr vor den Lehrlingen in Rom fürchtete wie früher, doch er bezweifelte es stark. In der Gesellschaft der rauen Soldaten der Zehnten schien der Junge geradezu aufzublühen, und zur Erheiterung seines Freundes ahmte er sogar Brutus’ Gang nach. Er war noch so jung. Ein merkwürdiges Gefühl, dass er selbst, damals kaum ein Jahr älter als Octavian jetzt, schon verheiratet gewesen war.

»Heute Morgen habe ich eine neue Finte gelernt«, erzählte Octavian gerade stolz.

Julius lächelte ihn an. »Dann musst du sie mir vorführen«, sagte er und raufte dem Jungen freundschaftlich das Haar.

Bei diesem kleinen Zeichen seiner Zuneigung strahlte Octavian ihn an. »Exerzierst du dann morgen mit uns?«, fragte er, doch innerlich bereitete er sich schon auf eine Enttäuschung vor.

Und tatsächlich schüttelte Julius den Kopf. »Morgen reite ich mit Renius für ein paar Tage hinaus zu den Goldminen«, erklärte er. »Aber vielleicht später, wenn ich zurückkomme.«

Octavian versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, doch sie alle sahen, dass er diese Antwort als glatte Absage betrachtete. Julius hätte beinahe seine Meinung geändert, doch die düstere Stimmung, die ihn so oft quälte, hatte ihn wieder im Griff. Keiner hier brachte Verständnis für seine Arbeit auf. Sie waren alle so unbedacht wie Knaben, von einer Sorglosigkeit, die er sich nicht mehr leisten konnte. Julius vergaß seinen kurz zuvor gefassten Entschluss, griff wieder nach seinem Becher und leerte ihn in einem Zug.

Brutus sah, wie die Schwermut seinen Freund wieder übermannte, und suchte nach etwas, um ihn abzulenken.

»Morgen fängt der spanische Waffenschmied an, die Schmiede unserer Legion zu unterweisen. Kannst du die Reise denn nicht verschieben, damit du auch siehst, wofür du ihn bezahlst?«

Julius starrte ihn an, und alle im Raum fühlten sich bei diesem Blick unwohl.

»Nein, es ist bereits alles vorbereitet«, antwortete er kurz angebunden und füllte seinen Becher erneut. Er fluchte leise, als er dabei ein wenig Wein auf dem Tisch verschüttete. Stirnrunzelnd betrachtete er seine Hände. Zitterten sie etwa? Er konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. Etwas mühsam kam die Unterhaltung wieder in Gang. Forschend betrachtete er die Runde und suchte nach Anzeichen, ob sie seine Schwäche bemerkt hatten. Nur Cabera sah ihn direkt an, doch im Gesicht des alten Mannes lag nichts als pure Güte. Julius stürzte seinen Wein hinunter und war plötzlich zornig auf alle und jeden.

Servilia tauchte die Fingerspitzen in die Wasserschüssel und wischte sich graziös den Mund ab. Die Geste fiel Julius auf, doch sie schien es nicht zu bemerken.

»Ich habe das Mahl mit euch sehr genossen, doch die Reise hierher war ermüdend«, sagte sie und lächelte in die Runde. »Ich möchte morgen früh aufstehen und euch beim Exerzieren zusehen, Octavian. Das heißt, natürlich nur, wenn es euch nichts ausmacht!«

»Nein, natürlich nicht. Komm nur und sieh zu! «, sagte Brutus freundlich. »Ich lasse im Stall einen Wagen für dich bereitstellen. Verglichen mit anderen Außenposten geht es hier nämlich geradezu luxuriös zu. Es wird dir hier sehr gut gefallen.«

»Wenn du ein gutes Pferd für mich findest, brauche ich keinen Wagen«, erwiderte Servilia und bemerkte das Aufblitzen in Julius’ Augen, als er diese Information verdaute. Männer waren seltsame Kreaturen. Der Mann, der den Anblick einer schönen Frau auf einem Pferd nicht zu schätzen wusste, musste erst noch gefunden werden.

»Ich hoffe, meine Mädchen stören euch nicht allzu sehr. Gleich morgen sehe ich mich nach einem Haus in der Stadt um. Gute Nacht, meine Herren. Gute Nacht, General.«

Als sie aufstand, erhoben sich die Männer höflich. Und als dabei Julius’ Augen die ihren trafen, überlief sie wieder dieses seltsam erregende Prickeln.

Bald nachdem sie gegangen war, erhob sich auch Julius ein wenig schwankend.

»Für die Zeit meiner Abwesenheit habe ich Order in deinem Quartier hinterlassen, Brutus. Sorge dafür, dass die Mädchen bewacht werden, solange sie sich unter unserer Obhut befinden. Gute Nacht.« Ohne ein weiteres Wort ging er hinaus. Er lief übertrieben steif, wie ein Mann, der versucht, sich die Wirkung von zu viel Wein nicht anmerken zu lassen. Einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen.

»Es tut gut, ein paar neue Gesichter hier zu sehen«, sagte Brutus, um schwierigere Gesprächsthemen tunlichst zu vermeiden. »Sie werden ein bisschen mehr Leben in unseren Alltag bringen. In letzter Zeit war es viel zu ruhig hier.«

Cabera pfiff leise vor sich hin. »Bei einer Frau wie ihr ... machen sich alle Männer zum Narren«, sagte er leise. Sein Tonfall veranlasste Brutus, ihn verwirrt anzusehen. Der Gesichtsausdruck des alten Mannes war unergründlich. Er schüttelte leicht den Kopf und griff nach mehr Wein.

»Sie ist sehr ... anmutig«, pflichtete ihm Domitius, nach dem richtigen Wort suchend, bei.

Brutus schnaubte verächtlich. »Was habt ihr denn erwartet? Ihr habt mich doch mit dem Schwert gesehen. Da werde ich doch wohl kaum von einem Ackergaul abstammen, oder?«

»Stimmt. Ich habe mir schon oft gedacht, dass deine Haltung etwas Weibliches hat«, erwiderte Domitius und rieb sich nachdenklich die Stirn. »Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir auch auf. Aber an ihr sieht es wesentlich besser aus.«

»Ich besitze männliche Grazie, Domitius. Die Grazie eines Mannes. Ich führe sie dir morgen gerne wieder vor.« Das altbekannte Lächeln lag wieder auf Brutus’ Lippen, als er die Augen in gespielter Verärgerung zusammenkniff.

»Habe ich auch männliche Grazie, Domitius? «, fragte Octavian. Domitius nickte bedächtig, aber nicht wirklich ernsthaft.

»Das hast du, mein Junge, natürlich. Nur Brutus kämpft wie ein Weib.«

Brutus brüllte vor Lachen und warf einen Teller nach Domitius, der sich schnell genug wegduckte. Der Teller zerschellte am Boden, und die ganze Runde erstarrte auf komische Weise, ehe sich die Spannung erneut in Gelächter löste.

»Wozu braucht deine Mutter ein Haus in der Stadt?«, fragte Octavian.

Brutus sah ihn scharf an. Es tat ihm Leid, die Unschuld des Jungen zu zerstören.

»Für ihr Geschäft, Junge. Ich denke, die Mädchen meiner Mutter werden schon sehr bald die ganze Legion unterhalten.«

Octavian sah verwirrt in die Runde. Dann hellte sich sein Gesicht auf, und sie sahen ihn alle gespannt an.

»Was glaubst du? Ob sie wohl für jemanden in meinem Alter den vollen Preis verlangen?«, fragte er schließlich neugierig.

Brutus warf einen weiteren Teller nach ihm, traf stattdessen aber Cabera.

Über ihnen lag Julius auf einer schmalen Pritsche in seinem Zimmer, hörte ihr Gelächter und schloss in der Dunkelheit fest die Augen.

3

Servilia hatte sich schon jetzt in die kleine Stadt Valencia verliebt. Die Straßen waren sauber und voller geschäftiger Menschen, und über dem Ganzen lag ein Hauch von Wohlstand, dass ihr die Finger juckten. Doch trotz aller Anzeichen von Reichtum besaß diese Stadt eine unverbrauchte Atmosphäre, die ihre alte Heimatstadt schon vor Jahrhunderten verloren hatte. Ein passendes Haus zu finden war einfacher gewesen, als sie angenommen hatte. Es gab keine Beamten, denen man heimlich Geld zustecken musste, damit die entsprechenden Dokumente unterzeichnet wurden. Man brauchte nur das passende Gebäude zu finden und dem gegenwärtigen Eigentümer das Gold dafür zu bezahlen. Nach der Bürokratie in Rom war das äußerst angenehm. Die Soldaten, die Brutus ihr geschickt hatte, konnten ihr auf Anfrage sofort drei in Frage kommende Häuser nennen. Die ersten beiden lagen nah am Wasser, aber dort würde ihr Etablissement mehr Hafenarbeiter anziehen, als ihr lieb war. Das dritte Haus war genau das Richtige.

Das geräumige Gebäude mit einer beeindruckenden Fassade aus weiß gekalktem Stein und Holz lag in einer ruhigen Straße am Marktplatz, weit genug vom Hafen entfernt. Schon seit langem wusste Servilia um die Notwendigkeit, der Welt ein angenehmes Äußeres zu präsentieren. Ganz sicher gab es irgendwo in der Stadt versteckt auch schmutzige kleine Häuschen, in denen Witwen und billige Huren sich ein wenig dazuverdienten. Das Haus, das sie sich vorstellte, sollte in erster Linie Würdenträger und Offiziere der Legion anziehen und dementsprechend teuer sein.

Da die Zehnte viele neue Gebäude errichtet hatte, spürte Servilia, dass sie den Besitzer im Preis drücken konnte. Tatsächlich war der endgültige Preis ein wahres Schnäppchen, selbst wenn das Mobiliar erst noch beschafft werden musste. Manches davon würde sie zwar in Rom bestellen und per Schiff anliefern lassen müssen, doch ein kurzer Besuch bei den ortsansässigen Näherinnen führte auch hier zu einer Reihe guter Geschäfte und Ersparnisse.

Als das Haus auf ihren Namen überschrieben war, bezahlte sie einen zurücksegelnden Kaufmann, damit er für sie eine Liste benötigter Dinge nach Rom mitnahm. Sie brauchte hier in Valencia mindestens noch vier weitere Frauen, deren Eigenschaften Servilia sehr sorgfältig beschrieb, denn es war wichtig, von Anfang an einen Ruf für gute Qualität zu haben.

Nach drei Tagen schon blieb ihr nichts mehr zu tun, als dem Haus einen Namen zu geben, obwohl sich das als schwieriger herausstellte, als sie angenommen hatte. Es gab zwar keine entsprechenden Gesetzesverordnungen, aber Servilia wusste instinktiv, dass es etwas Diskretes und doch Verheißungsvolles sein musste. So etwas wie »Zum Rammler« war einfach unmöglich.

Schließlich überraschte sie Angelina mit einem guten Vorschlag. »Die Goldene Hand« klang viel versprechend genug, ohne plump zu sein, und Servilia fragte sich, ob die leichte Röte in Angelinas Gesicht etwas mit dieser Idee zu tun hatte. Als sie dem Namen zustimmte, sprang Angelina vor Freude auf und küsste sie auf beide Wangen. Wenn man ihr ihren Willen ließ, konnte das Mädchen wirklich sehr liebenswert sein, daran gab es keinen Zweifel.

Am dritten Morgen, nachdem sie in die Stadt gezogen war, sah Servilia zu, wie ein dezent gemaltes Schild auf die eisernen Haken gehoben wurde, und nahm lächelnd zur Kenntnis, dass ein paar Soldaten der Zehnten bei dem Anblick in Jubelrufe ausbrachen. Sie würden die Nachricht von der Eröffnung des Hauses in rasender Eile verbreiten, und der erste Abend würde wohl sehr betriebsam werden. Danach war die Zukunft so gut wie gesichert. Servilia rechnete fest damit, die Leitung des Hauses schon nach ein paar Monaten an jemand anderen abgeben zu können. Der Gedanke, in jeder größeren spanischen Stadt ein solches Haus zu eröffnen, war durchaus verlockend. Häuser mit den schönsten Mädchen aus Rom und der entsprechenden Lebensart. Ein Markt dafür war ganz gewiss vorhanden, und das Geld würde nur so in ihre Truhen strömen.

Servilia drehte sich zu den Wachen um, die ihr Sohn ihr geschickt hatte, und lächelte sie an.

»Ich hoffe, ihr bekommt Passierscheine für heute Abend«, sagte sie leichthin.

Die Männer blickten sich an, schlagartig war ihnen klar geworden, dass die Hafenwache ab jetzt einen Trumpf im Ärmel hatte.

»Vielleicht könnte dein Sohn ja ein gutes Wort für uns einlegen, Herrin«, erwiderte der Offizier.

Servilia runzelte unwillkürlich die Stirn. Obwohl sie nie offen darüber gesprochen hatten, nahm sie doch stark an, dass Brutus sich bei ihren Geschäften nicht ganz wohl fühlte. Aus diesem Grunde fragte sie sich auch, ob Julius überhaupt von dem neuen Haus wusste – und was er wohl davon hielt. Da er gerade im Süden bei seinen Minen war, hatte er wohl noch nichts davon gehört, doch sie konnte sich ohnehin nicht vorstellen, was er dagegen hätte einwenden können.

Unbewusst strich sich Servilia bei dem Gedanken an ihn über den Hals. Heute wurde er von den Minen zurückerwartet. Womöglich speiste er gerade in der Kaserne. Wenn sie sich sofort auf den Weg machte, konnte sie die Festung noch erreichen, bevor der Tag ganz zu Ende war.

»Gut möglich, dass ich eine ständige Wache vor dem Haus brauche «, sagte sie laut, weil ihr der Gedanke gerade durch den Kopf ging. »Wenn ihr möchtet, kann ich den General ja fragen, ob ihr auf Dauer hierher abgestellt werdet«, sagte sie zu dem Offizier. »Immerhin bin ich ja eine Bürgerin Roms.«

Die Wachen sahen einander zunächst ratlos an. Die Vorstellung war sicherlich schön, doch allein der Gedanke, Cäsar könne ihre Namen als die der Wachen vor einem Bordell hören, war genug, um die Begeisterung eines jeden sofort zu dämpfen. Zögernd schüttelten sie die Köpfe.

»Ich glaube, dafür nimmt er lieber Spanier«, sagte der Offizier schließlich.

Servilia nahm einem Soldaten der Zehnten die Zügel ihres Pferdes aus der Hand und schwang sich in den Sattel. Die Beinlinge, die sie trug, hingen ein wenig locker an ihr herunter, aber ein Rock oder eine Stola wären wohl kaum angemessen gewesen.

»Aufsitzen, Männer! Ich frage ihn einfach, dann werden wir es ja sehen«, sagte sie, wendete ihr Pferd und galoppierte los. Die Hufe klapperten laut auf der Straße, und bei dem Anblick dieser seltsamen römischen Dame, die wie ein Soldat ritt, zogen die Frauen der Stadt missbilligend die Augenbrauen hoch.

Julius begrüßte gerade einen älteren Spanier, als Servilia durch das Tor ritt. Bei Tageslicht standen die Tore immer offen, und die Wachen ließen sie mit einem Kopfnicken direkt in den Innenhof passieren. Ihre Eskorte aus der Stadt führte die Pferde zum Füttern und Tränken, und Servilia blieb allein zurück. Ihr war durchaus bewusst, dass es sich als sehr praktisch erwies, Brutus’ Mutter zu sein.

»Ich würde gerne mit dir sprechen, wenn es deine Zeit erlaubt, General«, rief sie und führte ihr Pferd hinüber zu den beiden Männern.

Julius gab sich keine Mühe, seinen Unmut zu verbergen, und runzelte unwillig die Stirn.

»Das ist Bürgermeister Del Subió, Servilia. Ich fürchte, ich habe heute Nachmittag keine Zeit für eine Unterredung. Morgen vielleicht.«

Er drehte sich um, um den älteren Mann ins Hauptgebäude zu führen. Servilia schenkte dem Bürgermeister ein flüchtiges Lächeln und setzte rasch zu einer Erwiderung an.

»Ich habe mir überlegt, den anderen Städten hier in der Nähe einen Besuch abzustatten. Kannst du mir einen Weg empfehlen?« Julius wandte sich zunächst dem Bürgermeister zu.

»Wenn du mich bitte für einen Moment entschuldigen würdest? «, sagte er höflich.

Del Subió verbeugte sich zustimmend und sah Servilia unter seinen buschigen Augenbrauen hervor an. Wäre er an der Stelle des römischen Generals gewesen, so hätte er eine solche Schönheit nicht einfach schmollend stehen lassen. Selbst in seinem Alter wusste Del Subió die Schönheit einer Frau sehr wohl zu schätzen, und er wunderte sich insgeheim über Cäsars Verstimmung.

Julius ging hinüber zu Servilia.

»Die Berge hier ringsum sind noch nicht völlig sicher. Es gibt alle möglichen Wegelagerer und Strauchdiebe, die dich überfallen könnten. Wenn du Glück hast, stehlen sie dir nur dein Pferd und lassen dich zu Fuß zurücklaufen.«

Nachdem er diese Warnung ausgesprochen hatte, wollte er sich wieder dem Bürgermeister zuwenden.

»Vielleicht würdest du mich ja zu meinem Schutz begleiten?«, sagte Servilia leise.

Er erstarrte und blickte sie an. Bei diesem Gedanken fing sein Herz wild zu pochen an, und er brauchte einen Moment, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. Ihr etwas abzuschlagen war nicht leicht, doch der Nachmittag war ohnehin mit Arbeit ausgefüllt. Seine Augen schweiften suchend über den Hof, bis er Octavian erblickte, der gerade aus den Ställen kam. Julius pfiff durchdringend, um die Aufmerksamkeit des Jungen auf sich zu ziehen.

»Octavian, sattle dir schnell ein Pferd. Du reitest Eskorte.« Octavian salutierte kurz und verschwand wieder in der Dunkelheit des Stalles.

Julius sah Servilia ausdruckslos an, als habe er ihren Wortwechsel schon wieder vergessen.

»Ich danke dir«, sagte sie, doch er antwortete nicht und war beinahe schon mit Del Subió im Haus verschwunden.

Als Octavian wieder auftauchte, hatte er sein Pferd bereits bestiegen, und er musste sich tief bücken, um unter dem Torbogen der Stalltür hindurchzukommen. Bei Servilias Gesichtsausdruck vergaß er sein freudiges Grinsen, denn sie ergriff verärgert den Sattelknauf und schwang das Bein über den Sattel. So wütend kannte er sie überhaupt nicht, doch wenn das überhaupt möglich war, machte der Zorn sie sogar noch schöner. Ohne ihn eines Wortes zu würdigen, galoppierte sie in einer solchen Geschwindigkeit durch das offene Tor, dass die Wachen zur Seite springen mussten, um nicht über den Haufen geritten zu werden. Mit vor Staunen weit aufgerissenen Augen setzte ihr Octavian nach.

Eine ganze Meile ritt sie im scharfen Galopp, bevor sie endlich in ein gemächlicheres Tempo verfiel. Mit dem geübten Auge eines Extraordinarius bemerkte er, wie gut sie ihr Pferd zu führen wusste. Ein leises Zucken der Zügel führte das keuchende Tier rechts oder links um Hindernisse herum, und einmal ließ sie es einen umgestürzten Baum überspringen. Sie hob sich dabei anmutig im Sattel und fing die Landung ohne das geringste Zeichen von Unsicherheit ab.

Octavian war entzückt und beschloss, nichts zu sagen, bis ihm etwas ausreichend Reifes und Interessantes eingefallen war. Leider wollte sich keine Eingebung einstellen, und sie schien gewillt, weiter zu schweigen und ihrer Verärgerung über Julius’ Zurückweisung durch einen scharfen Ritt Luft zu machen. Doch nach einer Weile hatte sie sich wieder beruhigt und zügelte ein wenig keuchend ihr Pferd. Sie ließ Octavian aufholen und lächelte ihn an.

»Brutus sagte, du bist ein Verwandter von Cäsar. Erzähl mir mehr von ihm.«

Octavian lächelte zurück, unfähig, ihrem Charme zu widerstehen oder ihre Gründe zu hinterfragen.

Julius hatte den letzten Bittsteller schon vor einer Stunde entlassen und stand allein am Fenster, das auf die Hügel hinausging. Er hatte gerade den Befehl unterschrieben, weitere tausend Männer für die Arbeit in den Minen zu rekrutieren und drei Männern, deren Land von den neuen Gebäuden an der Küste überbaut worden war, jeweils eine Entschädigung zugestanden. Wie viele Besprechungen hatte er sonst noch gehabt? Zehn? Seine Hand schmerzte vom Briefeschreiben. Er massierte sie mit der anderen, während er wartend am Fenster stand. Der letzte Schreiber hatte vor einem Monat den Dienst quittiert. Der Verlust machte sich schmerzlich bemerkbar. Seine Rüstung hing auf einem hölzernen Gestell neben seinem Schreibtisch, und die kühle Nachtluft war in der durchgeschwitzten Tunika eine Wohltat. Er gähnte und rieb sich müde das Gesicht. Obwohl es allmählich dunkel wurde, waren Octavian und Servilia immer noch irgendwo da draußen unterwegs. Er fragte sich, ob sie den Jungen wohl bewusst so lange aufhielt, damit er sich Sorgen machte, oder ob wirklich etwas passiert war. Vielleicht hatte eines der Pferde zu lahmen begonnen und musste ins Lager zurückgeführt werden.

Julius schnaubte leise. Wenn dem so war, dann war das ganz sicher eine lohnende Lektion. Abseits der Straßen war das Land hier zerklüftet und wild. Da konnte sich ein Pferd leicht ein Bein brechen, ganz besonders bei hereinbrechender Dunkelheit, wenn Tierbaue und Gräben im Schatten verborgen lagen.

Es war lächerlich, sich Sorgen zu machen. Zweimal verlor er die Geduld und ging vom Fenster weg. Doch als er in Gedanken die Aufgaben des nächsten Tages durchgehen wollte, ertappte er sich jedes Mal dabei, wie er den Blick doch wieder den Hügeln zuwandte und nach ihnen Ausschau hielt. Abseits des Fensters und der frischen Brise war der Raum eben sehr stickig, sagte er sich. Er war einfach zu erschöpft und ausgelaugt, um sich seinen Selbstbetrug einzugestehen.

Als die Sonne nur noch ein schmaler roter Streifen über der Kuppe der Berge war, hörte er endlich Hufgeklapper im Hof und trat schnell vom Fenster weg, um nicht gesehen zu werden. Wer war diese Frau, dass sie ihm so viel Unbehagen verursachte? Er überlegte, wie lange die beiden brauchen würden, um die Pferde zu versorgen und ins Haus zu kommen. Ob sie wohl wieder am Abendessen für die Offiziere teilnehmen würde? Er war hungrig, hatte aber keine Lust, Gäste zu unterhalten. Er würde sich etwas heraufbringen lassen und ...

Ein leises Klopfen an der Tür schreckte ihn aus seinen Gedanken. Irgendwie wusste er im Voraus, dass sie es war. Er räusperte sich geräuschvoll und rief: »Herein!«

Servilia öffnete die Tür und trat ein. Ihr Haar war nach dem Ritt zerzaust, und auf ihrer Wange war eine kleine, schmutzige Stelle. Sie roch nach Stroh und Pferden, und allein ihr Anblick hob seine Stimmung. Er konnte sehen, dass sie noch immer zornig war, und er versuchte, seine ganze Willenskraft zusammenzunehmen, um ihr Anliegen abzulehnen, worum es sich auch handeln mochte. Es war eine Zumutung, hier so einfach ohne Voranmeldung hereinzuplatzen. Wozu hatte er unten überhaupt eine Wache postiert? War der Mann etwa eingeschlafen? Julius schwor sich, der Sache nachzugehen, sobald Servilia gegangen war.

Ohne ein Wort zu sagen, kam Servilia über den Holzfußboden auf ihn zu. Bevor er reagieren konnte, legte sie ihre Hand auf seine Brust und fühlte den Herzschlag unter dem Stoff.

»Also doch noch warm. Ich hatte schon meine Zweifel«, sagte sie leise. Sie sprach mit einer Vertrautheit, die ihn völlig aus der Fassung brachte und es ihm unmöglich machte, ihr noch länger zu grollen. Als hätte ihre Berührung ein sichtbares Zeichen hinterlassen, spürte er genau, wo ihre Hand gelegen hatte. Sie stand dicht vor ihm und sah ihn an, und plötzlich wurde ihm die Dunkelheit um sie herum bewusst.

»Brutus wundert sich bestimmt schon, wo du bleibst«, sagte er.

»Ja, er sieht sich gerne als meinen Beschützer«, erwiderte sie und wandte sich zum Gehen. Beinahe hätte er sie zurückgehalten, stattdessen sah er nur verwirrt zu, wie sie den langen Raum durchquerte.

»Ich hätte nicht gedacht ..., dass du es überhaupt nötig hast, beschützt zu werden«, murmelte er. Er hatte nicht gewollt, dass sie ihn hörte, doch er sah das Lächeln auf ihren Lippen, bevor sich die Tür hinter ihr schloss. Dann war er wieder allein, und seine Gedanken überschlugen sich. Langsam atmete er aus und schüttelte, über sich selbst verwundert, den Kopf. Ihm war, als ob ihm jemand nachstellte, doch es war ihm ganz und gar nicht unangenehm. Seine Müdigkeit war wie weggeblasen, und mit einem Mal verspürte er doch Lust, sich der Tafel unten zum Abendessen anzuschließen.

Die Tür öffnete sich wieder. Er sah auf, und sie stand noch immer da.

»Reitest du morgen mit mir aus?«, fragte sie. »Octavian sagte, du kennst die Gegend hier besser als jeder andere.«

Er nickte langsam. Er konnte sich nicht daran erinnern, welche Besprechungen für morgen geplant waren, doch in diesem Moment war es ihm auch gleichgültig. Wie lange war es her, dass er sich für einen Tag von seiner Arbeit gelöst hatte?

»Nun gut, Servilia. Morgen früh dann«, antwortete er.

Sie lächelte nur, ohne etwas zu sagen und schloss geräuschlos die Tür hinter sich. Er wartete noch einen Augenblick, bis er ihre leisen Schritte auf der Treppe hörte, dann entspannte er sich. Verwundert stellte er fest, dass er sich auf den morgigen Tag freute.

Als das Tageslicht verblasste, verwandelte die Esse die Werkstatt in einen Ort des Feuers und der Schatten. Das einzige Licht kam jetzt aus der Glut des Schmiedefeuers und erhellte die Gesichter der römischen Schmiede, die ungeduldig darauf warteten, in die Geheimnisse des gehärteten Eisens eingeweiht zu werden. Julius hatte ein Vermögen an Goldstücken dafür gezahlt, dass ein spanischer Meister sie darin unterwies. Aber diese Kunst war nicht im Handumdrehen zu erlernen, und auch nicht an einem einzigen Tag. Zu ihrer aller Empörung hatte Cavallo sie Schritt für Schritt durch die ganze Prozedur geführt. Zuerst waren sie empört darüber gewesen, wie Lehrlinge behandelt zu werden, dann jedoch hatten die Erfahreneren unter ihnen erkannt, dass der Spanier bei jedem seiner Arbeitsschritte sehr genau zu Werke ging, und schließlich hatten sie ihm bereitwillig zugehört. In den ersten vier Tagen hatten sie auf seinen Befehl hin Zypressen- und Erlenholz zugeschnitten und es unter Ton in einer Grube aufgeschichtet, die so groß war wie ein Haus. Während es zu Holzkohle verglühte, zeigte er ihnen seinen Ofen für das Erz und schärfte ihnen ein, das rohe Erzgestein zuerst gründlich zu waschen, bevor sie es zusammen mit der Holzkohle im Ton versiegelten, um daraus das Eisen zu gewinnen.

Die Männer liebten ihr Handwerk, und am Ende des fünften Tages erfüllte sie alle eine gespannte Erwartung, als Cavallo einen großen Klumpen Schwammeisen zum Ofen brachte, wo er es erneut einschmolz und dann in Tonformen goss. Schließlich klopfte er die schweren Metallstangen wieder aus den Formen heraus, damit die Schmiede sie auf der Werkbank genauer begutachten konnten.

»Erlenholz brennt weniger heiß und verlangsamt die Verwandlung, ergibt letztendlich aber ein härteres Metall«, erklärte er ihnen und warf eine der Stangen wieder in die hellen Flammen seines Schmiedefeuers. Es war kein Platz, um zwei Stangen zugleich zu erhitzen, und so scharten sie sich alle um das zweite Feuer, ahmten jede seiner Bewegungen nach und folgten gewissenhaft seinen Instruktionen. Sie konnten auch nicht alle zugleich in der ohnehin schon überfüllten Werkstatt bleiben, weshalb sie im Wechsel immer wieder in die angenehm kühlende Nachtluft hinausgingen. Nur Renius blieb die ganze Zeit als Beobachter dabei. Der Schweiß lief ihm schon in die Augen, er konnte fast nichts mehr sehen, doch im Stillen prägte er sich jeden einzelnen Schritt des Verfahrens genau ein.

Auch er war fasziniert. Obwohl er Zeit seines Erwachsenenlebens Schwerter benutzt hatte, hatte er doch noch nie gesehen, wie sie hergestellt wurden. Diese mürrischen Gesellen, die Erde in glänzende Klingen zu verwandeln wussten, stiegen in seiner Achtung.

Cavallo benutzte jetzt einen Hammer, um der Stange die Form eines Schwertes zu geben. Immer wieder erhitzte er die Eisenstange erneut im Feuer, bis sie schließlich wie ein schwarzer Gladius aussah, der noch mit Verunreinigungen verkrustet war. Ein Teil seiner Kunst bestand darin, anhand der Farbe die richtige Temperatur abzuschätzen, bevor man das Metall aus der Esse hob. Jedes Mal, wenn das Eisenschwert die richtige Farbe erreicht hatte, hob Cavallo es hoch, so dass alle die gelbliche Färbung sehen konnten, ehe sie wieder verblasste. Während er das weiche Metall schmiedete und in Form brachte, verglühten darauf zischend seine Schweißtropfen, die in Strömen an ihm herunterrannen.

Die Eisenbarren der Männer glichen dem seinen in jeder Hinsicht, und als der Mond aufging, nickte er den Römern zufrieden zu. Seine Söhne hatten ein Feuer in einem niedrigen, aber breiten Kohlebecken entfacht, so lang wie ein erwachsener Mann, und bevor die metallene Abdeckung davon heruntergehoben wurde, glühte sie schon beinahe so hell wie das Schmiedefeuer selbst. Während er sein Schwert noch einmal erhitzte, deutete Cavallo auf mehrere lederne Schürzen, die an Haken bereit hingen. Sie waren umständlich zu tragen, alt und steif, und bedeckten den ganzen Körper vom Hals bis zu den Füßen. Er lächelte, als die Männer sie anlegten. Mittlerweile hatten sich die Römer daran gewöhnt, seinen Anweisungen ohne Nachfragen zu folgen.

»Ihr werdet diesen Schutz brauchen«, erklärte er, als sie versuchten, sich mit der hinderlichen Schutzbekleidung zu bewegen. Auf sein Zeichen hin nahmen seine Söhne mit Zangen die Abdeckung von dem Kohlebecken, und Cavallo zog die gelb glühende Klinge mit Schwung aus dem Feuer. Die römischen Schmiede rückten näher, weil sie wussten, dass er ihnen jetzt einen neuen und sehr wichtigen Arbeitsschritt zeigen würde. Renius musste vor der plötzlichen Hitzewelle aus dem Kohlebecken einen Schritt zurücktreten und reckte den Hals, um zu beobachten, was vor sich ging.

In der weißen Glut des Kohlebeckens hämmerte Cavallo jetzt weiter auf die Klinge ein. Funken und kleine Glutstücke zischten rings um ihn auf. Eines landete in seinem Haar, und er klopfte es mit einer beiläufigen Handbewegung aus. Wieder und wieder wendete er die Klinge, und sein Hammer wanderte daran auf und ab, jedoch ohne die Wucht der ersten Schläge. Das gleichmäßige Klingen hörte sich beinahe sanft an, doch sie alle sahen, dass die Holzkohle das Metall noch dunkel überkrustete.

»Hier muss man jetzt schnell sein. Es darf nicht zu sehr abkühlen, bevor man es härtet. Achtet auf die Farbe ... jetzt!«

Cavallos Stimme war leiser geworden. In seinen Augen glomm die Liebe zu dem Metall. Als das leuchtende Rot dunkler wurde, hob er die Zange und tauchte das Schwert in einen bereitstehenden Eimer mit Wasser. Zischend breitete sich eine dicke Dampfwolke in der kleinen Werkstatt aus.

»Und dann sofort wieder erhitzen. Das ist jetzt das wichtigste Stadium. Wenn man jetzt die Farbe falsch einschätzt, wird das Schwert nachher spröde und nutzlos. Ihr müsst euch die Farbschattierung genau merken, oder alles, was ich euch beigebracht habe, war umsonst. Für mich sieht die Farbe aus wie Blut, das schon einen Tag alt ist. Aber ihr müsst eure eigene Gedächtnisstütze finden, um die Farbe genau im Kopf zu behalten.«

Auch das zweite Schwert im Feuer war nun so weit, dass er die Prozedur im Kohlebecken wiederholen konnte. Wieder schleuderten seine Schläge Glutstücke hoch in die Luft, und spätestens jetzt war jedem klar, wozu man die ledernen Schürzen tragen musste.

Ein Römer stöhnte gequält auf, als ihm ein Glutstückchen auf den Arm fiel und er es nicht schnell genug wegschnippen konnte.

Die Schwerter wurden noch viermal erhitzt und zurück ins Kohlebecken gelegt, bevor Cavallo schließlich zufrieden nickte. Alle Anwesenden waren schweißgebadet und wegen des feuchten, heißen Dampfes in der Werkstatt so gut wie blind. Nur die Klingen durchschnitten den Nebel, und die heiße Luft, die sie abstrahlten, zog eine deutliche Spur hinter ihnen her.

Draußen spielte die aufgehende Sonne bereits auf den Bergspitzen, doch die Männer konnten das Morgenlicht gar nicht sehen. Sie hatten viel zu lange ins Schmiedefeuer gestarrt, so dass sie jetzt überall nur Dunkelheit sahen, egal wo sie auch hinschauten.

Cavallos Söhne deckten das Kohlebecken wieder ab und rückten es zurück an die Wand. Während die Römer tief durchatmeten und sich den Schweiß aus den Augen wischten, deckte Cavallo auch sein Schmiedefeuer ab und nahm die Blasebälge von den Luftlöchern. Säuberlich hängte er sie an Haken auf, bereit für den nächsten Einsatz. Die Hitze war noch immer erdrückend, doch als er sich zu ihnen umdrehte, sah er zufrieden, dass die Männer endlich eine Vorstellung davon bekommen hatten, wohin das alles führen sollte. In jeder Hand hielt er eine schwarze Klinge. Seine Finger umschlossen die schmalen Zungen am unteren Ende, um die herum später das Heft gelegt werden würde.

Die Klingen waren matt und sahen noch sehr roh aus. Obwohl er jede nur mit Augenmaß bearbeitet hatte, waren sie doch exakt gleich lang und breit. Als sie genügend abgekühlt waren, so dass man sie herumreichen konnte, spürten die römischen Schmiede auch, dass jede Klinge gleich ausbalanciert war und zollten so viel Kunstfertigkeit nickend Tribut. Jetzt waren sie ganz und gar nicht mehr verärgert über die lange Zeit, die sie ihren eigenen Schmiedefeuern hatten fernbleiben müssen. Jedem von ihnen war klar geworden, dass man ihnen hier etwas sehr Wertvolles beigebracht hatte, und sie lächelten wie Kinder, als sie bewundernd die nackten Klingen hochhoben und sie begutachteten.

Auch Renius kam an die Reihe, obwohl ihm die Erfahrung fehlte, das Gewicht eines Schwertes ohne Griff richtig abzuschätzen. Diese Klingen waren aus der Erde Spaniens hervorgegangen. Er strich ehrfürchtig mit dem Finger über das raue Metall und hoffte inständig, Julius die Denkwürdigkeit dieses Augenblicks begreiflich machen zu können.

»Das Kohlebecken sorgt für die härtere äußere Hülle um den weicheren Kern. Diese Klingen werden im Kampf nicht brechen, es sei denn, ihr habt Unreinheiten darin eingeschlossen oder sie bei der falschen Farbe gehärtet. Ich will es euch demonstrieren«, sagte Cavallo mit vor Stolz geschwellter Brust. Er nahm den römischen Schmieden die Klingen wieder aus der Hand und bedeutete ihnen ein paar Schritte zurückzugehen. Dann ließ er jede der Klingen hart auf den Rand der Esse niedersausen. Sie vibrierten mit einem dunklen Ton, ähnlich einer Glocke, die beim Morgengrauen läutet. Beide Schwerter blieben heil, woraufhin er tief und befriedigt ausatmete.

»Diese Schwerter werden Männer im Kampf töten. Sie werden das Töten zu einer Kunst machen.« Er sprach voller Ehrfurcht, und sie verstanden ihn gut. »Der neue Tag bricht an, ihr Herren. Eure Kohle wird gegen Nachmittag bereit sein, und ihr werdet zu euren eigenen Schmieden zurückkehren, um weitere Exemplare dieser neuen Schwerter anzufertigen. Ich will die Werke eines jeden von euch sehen, sagen wir in ... drei Tagen. Lasst sie zunächst ohne Griff, und ich fertige diese dann gemeinsam mit euch. Und jetzt gehe ich zu Bett.«

Die ergrauten römischen Schmiede murmelten ihren Dank und trotteten ebenfalls aus der Werkstatt. Beim Hinausgehen warfen sie noch einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf die Klingen, die sie in dieser Nacht angefertigt hatten.

4

Pompeius und Crassus standen von ihren Sitzen im Schatten auf, um das Volk zu grüßen. Begeistert jubelten die Zuschauer des Rennens im Circus Maximus ihren Konsuln in einer einzigen Welle des Lärms zu, deren Echo sich an den voll besetzten Rängen brach. Pompeius hob eine Hand zum Gruß, Crassus hingegen lächelte nur, doch auch er genoss die Aufmerksamkeit sehr. Er war überzeugt, sie auch verdient zu haben – schließlich hatte sie ihn eine Menge Gold gekostet. Jede der tönernen Eintrittsmarken war mit dem Bildnis der beiden Konsuln bedruckt, und obwohl sie großzügig umsonst verteilt worden waren, war Crassus zu Ohren gekommen, dass die Marken in den Wochen vor dem großen Ereignis wie eine Währung gehandelt worden seien. Viele derjenigen, die jetzt hier so gespannt auf das erste Rennen warteten, hatten für dieses Privileg teuer bezahlt. Er hatte immer wieder seine helle Freude daran, wie sein Volk selbst aus Geschenken noch einen Profit zu schlagen verstand.

Es war herrliches Wetter, nur leichte Schleierwolken trieben hoch über der lang gezogenen Rennstrecke dahin, während die Menge unten ihre Plätze einnahm und sich bereits mit lauten Rufen über die ersten Wetten verständigte. Auf den Rängen war die Aufregung deutlich zu spüren und Crassus bemerkte erst jetzt, wie wenige Familien gekommen waren. Unglücklicherweise wurden die Rennen meist durch Prügeleien auf den billigen Plätzen gestört, wenn die Männer über ihre Wettverluste in Streit gerieten. Erst vor einem Monat hatte der Circus von Legionären geräumt werden müssen, um die Ordnung wiederherzustellen. Nachdem der Favorit im letzten Rennen des Tages verloren hatte, waren in einem kleinen Handgemenge sogar fünf Männer getötet worden.

Bei dem Gedanken daran runzelte Crassus besorgt die Stirn und hoffte inständig, solche Vorkommnisse würden wenigstens dieses eine Mal ausbleiben. Er richtete sich auf, um nach Pompeius’ Soldaten Ausschau zu halten, die an den Toren und in den Hauptgängen postiert worden waren. Hoffentlich waren es genug, um auch die tollkühnsten Streithähne einzuschüchtern. Er wollte das Andenken an sein Jahr als Konsul nicht mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Verbindung gebracht sehen. So wie die Dinge zurzeit standen, würde seine Unterstützung für die Kandidaten der kommenden Wahlen immer noch sehr wertvoll sein. Obwohl noch mehr als die Hälfte seiner Amtszeit vor ihm lag, gruppierten sich die einzelnen Parteien im Senat schon jetzt um. Diejenigen, die ein Auge auf einen der höchsten Posten geworfen hatten, begannen bereits, ihren Namen langsam, aber sicher in Umlauf zu bringen. Dies hier waren die größten Spiele Roms, und Crassus wusste, dass die vielen Gefälligkeiten, die er hier erwiesen hatte, seine Währung für die Macht im nächsten Jahr darstellten, wenn nicht sogar darüber hinaus.

Verstohlen betrachtete er seinen Mitkonsul und fragte sich, ob auch er schon Pläne für die Zukunft schmiedete. Jedes Mal, wenn er das Gesetz, das ihnen Grenzen setzte, verfluchte, tröstete ihn die Tatsache, dass Pompeius ebenso daran gebunden war wie er selbst. Rom würde es nicht zulassen, dass ein weiterer Marius immer und immer wieder Konsul wurde. Diese wilden Zeiten waren mit dem Schatten Sullas und dem Bürgerkrieg endgültig vorbei. Andererseits hielt nichts und niemand Pompeius davon ab, seine eigenen Favoriten als Nachfolger aufzubauen.

Crassus wünschte sich sehnlichst, er könne dieses Gefühl der Unzulänglichkeit einfach so abschütteln, das immer dann von ihm Besitz ergriff, wenn er mit Pompeius zusammen war. Trotz seiner markanten Gesichtszüge sah Pompeius mit seinem breiten, Vertrauen erweckenden Gesicht und dem leicht angegrauten Haar genauso aus, wie ein Konsul nun einmal auszusehen hatte. Manchmal fragte er sich insgeheim, ob diesem ehrwürdigen Äußeren nicht vielleicht doch mit etwas Puder an den Schläfen nachgeholfen wurde. Selbst wenn er direkt neben ihm saß, so wie jetzt, konnte Crassus es nicht mit Sicherheit sagen.

Und als sei Pompeius nicht schon genug von den Göttern begünstigt, schien ihr Segen auch noch auf seinen militärischen Unternehmungen zu liegen. Er hatte dem Volk versprochen, das Meer von den Piraten zu befreien, und in nur wenigen Monaten hatte die römische Flotte das Mare Internum von diesen Aasgeiern gesäubert. Der Handel war aufgeblüht, genau wie Pompeius es versprochen hatte. Niemand hier in der Stadt dankte Crassus dafür, dass er das Ganze finanziert hatte oder die Verluste der Schiffe trug, die nicht wiedergekehrt waren. Stattdessen musste er den Leuten immer mehr Gold zuwerfen, damit sie ihn nicht vergaßen, wohingegen Pompeius sich, ihrer Bewunderung gewiss, zurücklehnen konnte.

Crassus trommelte nervös mit den Fingern der einen Hand auf den Rücken der anderen. Die Bürger Roms respektierten nur, was sie auch sehen konnten. Wenn er selbst eine Legion aufstellen würde, die in den Straßen patrouillierte, würden sie ihn jedes Mal segnen, wenn einer seiner Männer einen Dieb fasste oder einen Streit schlichtete. Ohne Legion würde Pompeius ihn nie als ebenbürtig betrachten. Der Gedanke war ihm nicht neu, doch er zögerte dennoch, eine neue Standarte auf dem Campus Martius aufzupflanzen. Ständig verspürte er diese nagende Angst, Pompeius könnte mit seiner Einschätzung über ihn Recht haben. Welche Siege für Rom konnte Crassus für sich schon in Anspruch nehmen? Auch wenn er sie in glänzende Rüstungen steckte, eine Legion musste gut geführt werden, was für Pompeius kein Problem zu sein schien. Der Gedanke, eine weitere Erniedrigung zu riskieren, war mehr, als Crassus ertragen konnte.

Der Feldzug gegen Spartakus war schon schlimm genug gewesen. Er war sich sicher, dass sie noch immer hinter seinem Rücken über ihn lachten, wegen des Walls quer über den unteren Teil des italienischen Stiefels. Keiner der Senatoren erwähnte es öffentlich, doch die Nachricht war von den Soldaten zu ihm durchgedrungen. Seine Spione hatten ihm berichtet, dieses Thema sei beim geschwätzigen Pöbel der Stadt noch immer Anlass für Gespött und Gelächter. Pompeius behauptete zwar, er bilde sich das nur ein, aber für ihn war es ein Leichtes, so selbstgefällig zu sein. Wer am Ende des Jahres auch gewählt wurde, Pompeius würde eine treibende Kraft im Senat bleiben. Crassus wünschte sich, er könnte seiner eigenen Stellung genauso sicher sein.

Beide Männer sahen zu, wie die sieben hölzernen Eier herausgebracht und zur Spina, der zentralen Säule in der Mitte der Rennstrecke, geschafft wurden. Zu Beginn jeder einzelnen Runde würde eines davon entfernt werden, so lange, bis das letzte schließlich den wilden Kampf am Ende eines jeden Rennens anzeigte.

Als sich die Rituale vor den eigentlichen Rennen ihrem Ende zuneigten, gab Crassus ein Handzeichen nach hinten, und ein gut gekleideter Sklave erschien, um seine Wetten zu übermitteln. Crassus hatte zuvor eine sehr nützliche Stunde bei den Wagenlenkern und ihren Gespannen in den dunklen Ställen unter den Sitzreihen verbracht. Pompeius hingegen hatte diese Gelegenheit verschmäht. Crassus vertraute seinem eigenen Urteil; er hielt das Gespann der spanischen Schimmel unter Paulus für unschlagbar, doch er zögerte noch, während der Sklave neben ihm geduldig darauf wartete, seinem Herrn die Wette überbringen zu können. Das Tal zwischen den Hügeln war hier normalerweise perfekt für Pferde, die weichen Untergrund liebten, doch seit einer Woche hatte es kaum geregnet, und auf dem Boden vor den Sitzplätzen der Konsuln konnte er Staubwolken aufwirbeln sehen. Sein Mund wurde beinahe ebenso trocken, als er versuchte, zu einer endgültigen Entscheidung zu kommen. Paulus war ihm sehr selbstsicher erschienen, und die Götter liebten nun einmal die Wagemutigen. Dies war schließlich sein Tag.

»Drei Sesterze auf Paulus’ Gespann«, sagte er nach einer langen Bedenkpause. Der Sklave nickte, aber als er sich zum Gehen wendete, hielten Crassus’ knochige Finger ihn am Arm zurück. »Nein, doch nur zwei. Der Boden ist ziemlich trocken.«

Als der Mann schließlich ging, sah Crassus Pompeius belustigt grinsen.

»Ich verstehe wirklich nicht, warum du überhaupt wettest«, sagte er. »Du bist der reichste Mann in Rom, aber du riskierst wesentlich weniger als die Hälfte der Leute hier. Was sind für dich schon zwei Sesterze? So viel wie ein Becher Wein?«

Crassus rümpfte die Nase. Zu diesem Thema war bereits alles gesagt. Pompeius zog ihn gerne damit auf, doch wenn er Gold brauchte, um seine kostbaren Legionen zu bezahlen, bettelte er ihn regelmäßig an. Für den Älteren war das zwar eine gewisse Genugtuung, aber er fragte sich ernsthaft, ob Pompeius sich über so etwas überhaupt Gedanken machte. Crassus hätte an seiner Stelle daran gelitten wie an einem langsam wirkenden Gift; Pompeius hingegen verlor seine gute Laune nie. Der Mann war jedem Gespür für die Würde des Reichtums völlig abhold.

»In jedem Rennen kann sich ein Pferd vertreten, oder der Fahrer stürzt. Erwartest du etwa von mir, dass ich mein Gold dem puren Zufall überlasse?«

Der Wettsklave kam wieder zurück und übergab Crassus eine Marke, die dieser fest umklammerte. Pompeius musterte ihn mit seinen hellen Augen. In seinem Blick lag Verachtung, die Crassus nicht zu bemerken vorgab.

»Wer fährt denn außer Paulus noch in dem ersten Rennen?«, fragte Pompeius den Sklaven.

»Noch drei andere, Herr. Ein neues Gespann aus Thrakien, Dacius aus Mutina, und ein weiteres Gespann, das per Schiff aus Spanien gekommen ist. Man sagt, die spanischen Pferde seien durch ein Gewitter während der Überfahrt sehr unruhig. Im Moment gehen die meisten Wetteinsätze auf Dacius.«

Crassus starrte den Mann verärgert an.

»Davon hast du vorhin aber nichts gesagt«, schnappte er bissig. »Auch Paulus hat seine Pferde von Spanien hierher gebracht. Waren sie etwa auf demselben Schiff?«

»Das weiß ich nicht, Herr«, antwortete der Sklave und senkte den Kopf.

Crassus’ Gesicht lief rot an, und er überlegte, ob er die Wette noch rückgängig machen sollte, ehe das Rennen begann. Nein, nicht vor Pompeius. Es sei denn, er konnte sich unter irgendeinem Vorwand einen Moment von seinem Platz entfernen.

Pompeius lächelte über das sichtliche Unbehagen des anderen Konsuls. »Ich vertraue einfach dem Volk. Einhundert Goldstücke auf Dacius also.«

Bei dieser Summe, die weit über seinem eigenen Kaufpreis lag, zuckte der Sklave mit keiner Wimper.

»Gewiss, Herr. Ich hole dir die Marke.« Er blieb noch einen Augenblick in stummer Erwartung stehen, aber Crassus sah ihn nur wortlos an.

»Beeil dich. Das Rennen fängt jeden Moment an«, drängte Pompeius, und der Sklave eilte davon. Pompeius hatte zwei Flaggenträger erspäht, die sich dem langen Bronzehorn am Ende der Rennstrecke näherten. Die Menge jubelte, als das Signal erklang und die Tore zu den Ställen sich öffneten.

Der Römer Dacius, dessen leichter Wagen von dunkelbraunen Wallachen gezogen wurde, erschien zuerst. Crassus rutschte nervös auf seinem Sitz hin und her, als er die arrogante Haltung und das Geschick des Mannes sah, der sein Gespann makellos wendete und zur Startlinie lenkte. Die Menge jubelte dem kleinen, stämmigen Mann frenetisch zu. Er grüßte zu den Sitzen der Konsuln herauf, und Pompeius erhob sich, um den Gruß zu erwidern. Crassus tat es ihm gleich, doch Dacius hatte sich schon wieder abgewandt, um sich für das Rennen bereit zu machen.

»Er sieht heute sehr hungrig aus, Crassus. Seine Pferde kämpfen gegen die Zügel an«, erklärte Pompeius seinem Kollegen fröhlich.

Crassus ging nicht darauf ein und sah hinunter zu dem nächsten Gespann, das gerade einfuhr. Es war der Thraker, erkennbar an der grünen Wagenfarbe. Der bärtige Wagenlenker war noch unerfahren, und nur sehr wenige hatten Geld auf ihn gesetzt. Dessen ungeachtet jubelte die Menge auch ihm pflichtschuldig zu, doch die meisten hielten bereits ungeduldig nach den letzten beiden Wagen Ausschau, die noch aus dem Dunkel der Ställe herauskommen mussten.

Paulus ließ die langen Zügel über seinen spanischen Pferden schnalzen, als sie ins Freie gedonnert kamen. Bei ihrem Anblick schlug Crassus begeistert mit der Faust auf die Brüstung.

»Dacius wird sich mächtig anstrengen müssen, um die zu schlagen. Sieh nur, in was für einem hervorragenden Zustand diese Pferde sind, Pompeius. Ein herrlicher Anblick!«

Auch Paulus wirkte sehr von sich überzeugt, als er die Konsuln grüßte. Selbst aus dieser Entfernung konnte Crassus das Aufblitzen der weißen Zähne in dem braun gebrannten Gesicht erkennen. Seine Besorgnis legte sich ein wenig. Die Wagen gingen nebeneinander in Aufstellung, auch der letzte Wettstreiter, der Spanier, gesellte sich zu ihnen.

Bei seinem ersten Besuch in den Ställen hatte Crassus nichts Auffälliges an den Pferden feststellen können, doch nun beobachtete er sie erneut kritisch und suchte nach Anzeichen von Schwäche. Trotz seiner zuversichtlichen Äußerung Pompeius gegenüber war er plötzlich überzeugt, dass die Hengste im Vergleich zu den anderen Tieren irgendwie unwohl wirkten. Nur zögernd setzte er sich wieder. Erneut ertönte ein lautes Signal, was bedeutete, dass keine Wetten mehr angenommen wurden. Der Sklave kam zurück und übergab Pompeius seine Marke, und der Konsul spielte gedankenverloren damit. Alles wartete gespannt.

Langsam legte sich völlige Stille über die Menschenmenge. Doch plötzlich erschraken Dacius’ Pferde vor irgendetwas und drängten sich seitlich in das thrakische Gespann hinein, woraufhin die beiden Wagenlenker ihre Peitschen über den Köpfen der Tiere knallen lassen mussten. Selbst bei vollem Galopp genügte es, wenn ein guter Wagenlenker seine Peitsche wenige Zentimeter über einem seiner Pferde schnalzen ließ, um die gewünschte Ordnung sofort wiederherzustellen. Crassus bemerkte, wie ruhig und gelassen der Thraker war, und fragte sich, ob er da eine Chance verpasst hatte. Der kleine Mann wirkte zwischen all den erfahreneren Wagenlenkern um ihn herum ganz und gar nicht fehl am Platze.

Die Stille wurde auch dann nicht unterbrochen, als die Pferde noch einen Augenblick lang schnaubend und stampfend an der Startlinie standen. Dann aber wurde das Horn zum dritten Mal geblasen, und der klagende Ton ging sofort in dem Aufbrüllen unter, als die Gespanne vorwärts preschten. Das Rennen hatte begonnen.

»Das hast du sehr gut gemacht, Crassus«, sagte Pompeius und ließ den Blick über die Menge schweifen. »Ich bezweifle, dass es jemanden in Rom gibt, der deine Großzügigkeit nicht zu schätzen weiß.«

Crassus sah ihn scharf an und suchte nach Anzeichen von Spott, doch Pompeius’ Gesicht war völlig ausdruckslos. Er schien den misstrauischen Blick nicht einmal zu spüren.

Unter ihnen erreichten die unter donnerndem Hufgetrappel dahinsausenden Pferde die erste Kurve, und die leichten Wagen malten lang gezogene Bögen in den Sand. Die Lenker beugten sich zur Seite, um die Balance zu halten. Nur ihr Geschick und ihre Kraft hielten sie aufrecht im Wagen, eine beeindruckende Darbietung. Plötzlich schlüpfte Dacius zwischen zwei anderen Wagen hindurch und ging sehr früh in Führung. Crassus legte sorgenvoll die Stirn in Falten.

»Hast du dich schon entschieden, wen du Ende des Jahres bei der Wahl zum Konsul unterstützen willst?«, fragte er in bemüht beiläufigem Tonfall.

Pompeius lächelte. »Ein bisschen früh, jetzt schon darüber nachzudenken, mein Freund. Im Moment bereitet es mir noch viel zu viel Vergnügen, selbst Konsul zu sein.«

Crassus schnaubte verächtlich bei dieser offensichtlichen Lüge, denn er kannte Pompeius zu gut, um diesen Worten Glauben zu schenken. Pompeius hielt seinem prüfenden Blick nicht lange stand und zuckte die Achseln.

»Ich denke, man könnte Senator Prandus überzeugen, seinen Namen auf die Liste zu setzen«, sagte er schließlich.

Crassus verfolgte wieder nachdenklich das Rennen und überlegte, was er von dem Mann wusste.

»Es gibt schlechtere Kandidaten«, meinte er dann. »Würde er deine ... Führung denn akzeptieren?«

Pompeius’ Augen glänzten vor Aufregung, weil Dacius weiterhin das Feld anführte. Crassus fragte sich, ob er dieses übermäßige Interesse nur heuchelte, um ihn zu ärgern.

»Pompeius? «, fragte er drängend.

»Zumindest würde er keinen Ärger machen«, erwiderte Pompeius.

Crassus war hocherfreut, ließ es sich aber nicht anmerken. Weder Prandus noch sein Sohn hatten besonders großen Einfluss im Senat, und wenn man schwache Männer als Konsuln wählte, bedeutete das, er und Pompeius konnten die Stadt weiterhin regieren. Sie tauschten einfach nur die öffentliche Variante des Amtes gegen eine privatere ein. In die Anonymität der hinteren Sitzreihen des Senats zurückzukehren, nachdem man Rom einmal regiert hatte, war für sie beide keine sehr verlockende Aussicht. Crassus fragte sich, ob Pompeius wohl wusste, dass diese Familie ihm Geld schuldete. Sobald Prandus gewählt worden war, würde er seine eigene Art von Kontrolle über ihn ausüben.

»Wenn du dir dessen sicher bist, würde ich Prandus auch akzeptieren«, sagte er über den Lärm der Menge hinweg.

Pompeius warf ihm ein amüsiertes Lächeln zu.

»Hervorragend. Weißt du, ob Cinna sich zur Wahl stellt?«

Crassus schüttelte den Kopf. »Er hat sich seit dem Tod seiner Tochter völlig zurückgezogen. Hast du etwas verlauten hören?«

In seinem Übereifer packte Crassus den anderen am Arm, doch Pompeius verzog bei dieser Berührung das Gesicht. Crassus hasste ihn in solchen Momenten. Mit welchem Recht hielt er sich für etwas Besseres, wenn doch er, Crassus, die Rechnungen seines Hauses zahlte?

»Nein, ich habe noch nichts gehört, Crassus. Wenn es nicht Cinna ist, dann müssen wir eben einen anderen finden, der sich um den zweiten Posten bewirbt. Wahrscheinlich kann man einen neuen Namen gar nicht früh genug ins Spiel bringen.«

Als die vierte Runde begann, führte Dacius bereits mit einer vollen Länge, und der Thraker lag direkt hinter ihm. Paulus kam an dritter Stelle, die von der Überfahrt geschwächten spanischen Pferde lagen ganz hinten. Die Menge feuerte Fahrer und Gespanne brüllend an, und aller Augen lagen auf den Wagen, als sie die Gegenkurve umrundet hatten und jetzt über die Startlinie in die fünfte Runde preschten. Eines der hölzernen Eier wurde weggenommen, und die Schreie und Zurufe klangen langsam heiser.

»Hast du mal an Julius gedacht? Seine Zeit in Spanien ist fast um«, sagte Crassus.

Pompeius sah plötzlich argwöhnisch zu ihm hinüber. Er verdächtigte Crassus noch immer einer starken Loyalität gegenüber dem jungen Cäsar, die er selbst nicht teilte. Hatte der Mann etwa nicht der Zehnten sämtliche Schulden erlassen, kurz nachdem Julius deren Führung übernommen hatte? Pompeius schüttelte den Kopf.

»Der nicht, Crassus. Dieser Hund hat Zähne. Bestimmt wünschst du dir auch nicht mehr ... Unannehmlichkeiten als ich.«

Dacius hatte seinen Vorsprung noch deutlicher ausbauen können, aber Crassus redete weiter. Es machte ihm Spaß, die demonstrative Gelassenheit seines Kollegen zu erschüttern.

»Es heißt, Cäsar habe seine Sache in Spanien sehr gut gemacht. Neue Ländereien und neue Städte befinden sich fest in unserem Einflussbereich. Ich glaube, es soll sogar die Rede von einem Triumphzug für ihn sein.«

Pompeius sah Crassus scharf an und legte die Stirn in Falten.

»Ich habe nichts von einem Triumphzug gehört, und ich habe mich klipp und klar ausgedrückt. Wenn die Zeit auf seinem Posten abgelaufen ist, schicke ich ihn irgendwo anders hin. Vielleicht nach Griechenland. Was du auch geplant hast, Crassus, vergiss es. Ich habe zusehen müssen, wie meine eigenen Männer wegen seines Eichenlaubkranzes für ihn im Regen aufgestanden sind. Meine eigenen Männer haben einen Fremden geehrt! Du erinnerst dich doch wohl noch an Marius. So einen wollen wir nicht noch einmal in der Stadt, und schon gar nicht als Konsul.«

Crassus sagte eine Weile lang nichts mehr, und Pompeius beschloss, sein Schweigen als Zustimmung zu interpretieren.

Dacius wollte gerade das spanische Gespann überrunden und setzte zum Überholen an. Gerade als er an ihm vorbeizog, verlor der unsichere Wagenlenker einen Moment die Kontrolle, ein winziger Augenblick, der ausreichte, dass sich die beiden Wagen mit einem Krachen rammten, das noch durch den entsetzten Aufschrei der Menge hinweg deutlich zu hören war. Von einer Sekunde zur anderen verwandelten sich die beiden ordentlichen Gespannreihen in ein kreischendes Chaos.

Der Thraker zog die Zügel an, um an dem Unfall vorbeizusteuern. Seine Peitsche schnalzte laut neben den Pferden seines Gespanns, die der Unfallstelle am nächsten waren, und er zwang sie so rigoros, das Tempo zu drosseln, dass sein Wagen beinahe umstürzte. Gebannt starrte die Menge auf den kleinen Mann, wie er sein Gespann um die auf der Bahn liegenden Tiere herummanövrierte. Dann aber waren er und seine Pferde sicher daran vorbei, und die Gefahr war vorüber. Viele der Zuschauer sprangen auf und applaudierten ihm spontan für sein außerordentliches Geschick.

Pompeius fluchte leise vor sich hin, als er sah, dass Dacius noch immer am Boden lag. Eines seiner Beine war seltsam verdreht. Sein Knie war offensichtlich zertrümmert. Er war zwar mit dem Leben davongekommen, würde aber nie wieder Rennen fahren.

»Gib den Wachen, die ich für dich abgestellt habe, ein Zeichen, Crassus. Sobald die Leute sich von dem Schrecken erholt haben, fangen sie bestimmt mit Prügeleien an.«

Crassus schob verärgert das Kinn vor und sah sich nach einem Zenturio um, dem er mit der erhobenen Faust ein Zeichen gab. Keinen Augenblick zu früh gingen die Soldaten durch die Reihen nach unten. Nach der Aufregung durch den Unfall waren den Leuten jetzt ihre verlorenen Wetten eingefallen; ein einziger empörter Aufschrei wogte durch die Menge. Die letzten Runden verliefen ohne weitere Zwischenfälle, und der Thraker überquerte die Linie als Erster, auch wenn sich jetzt niemand mehr dafür interessierte. Einige Schlägereien waren bereits im Gange, aber die Legionäre griffen rasch ein und trennten die sich prügelnden Männer mit der breiten Seite ihrer Schwerter voneinander.

Pompeius gab seiner Leibwache das Zeichen zum Gehen, woraufhin sie ihm einen Weg nach draußen bahnte. Im Weggehen blickte er sich noch ein letztes Mal zu Crassus um. In dessen Augen stand, dieses eine Mal völlig unverhüllt, seine Abneigung gegen ihn deutlich zu lesen. Auf der Straße angekommen, war Pompeius bereits so in seine Gedanken versunken, dass er das anwachsende Chaos hinter sich kaum noch wahrnahm.

Julius schwang sich am Dorfeingang aus dem Sattel. Sein Pferd schnaubte leise und machte sich über die zarten, grünen Grashalme zwischen den Pflastersteinen einer alten Straße her. Er und Servilia waren tief ins Landesinnere hineingeritten, und in den Hügeln ringsum waren keinerlei Anzeichen menschlicher Behausungen zu erkennen. Es war eine wunderschöne Landschaft, mit breiten Waldstreifen und Kalksteinhängen, die bis in die grünen Täler hinunterreichten. Lange bevor sie hier angekommen waren, hatte die Sonne ihren Zenit überschritten. Unterwegs war ihnen Rotwild über den Weg gelaufen, Wildschweine waren aufgeregt grunzend vor ihren Pferden davongestoben.

Julius hatte für ihren Ausritt lange, verschlungene Wege gewählt, um die Begegnung mit anderen Menschen zu vermeiden. Er schien es zufrieden, mit ihr alleine zu sein, und Servilia fühlte sich geschmeichelt. Manchmal kam es ihr sogar so vor, als seien sie die einzigen Menschen auf der Welt. Die schattigen Wälder lagen vollkommen still da, und auch sie selbst wirkten in dem Dämmerlicht fast schon wie Geister. Nur manchmal machten die Bäume dem Sonnenlicht und einer grünen Lichtung Platz, dann galoppierten sie wild drauflos und aus der Dunkelheit heraus, bis sie irgendwann keuchend und lachend wieder anhielten. Servilia konnte sich an keinen vollkommeneren und schöneren Tag erinnern.

Das seltsame Dorf, in das Julius sie führte, lag am Talausgang, ganz in der Nähe eines Flusses. Doch wie schon zuvor im Wald, unterbrach auch hier keine menschliche Stimme die vollkommene Stille. Die uralten Häuser waren schon halb zusammengefallen, wilde Farnstauden und Efeu wuchsen von innen aus den Fenstern heraus. Überall gab es Spuren von Zerfall. Türen, die einmal in steifen, ledernen Angeln gehangen hatten, klafften jetzt weit auf, und kleine wilde Tiere huschten verschreckt vor ihnen davon, als sie ihre Pferde auf der Straße zur Mitte der Ansiedlung führten. Die unheimliche Stille des verlassenen Dorfes machte einem das Sprechen schwer, gerade so, als sei jedes Gespräch an diesem Ort ein unerwünschtes Eindringen. Es erinnerte Servilia an die widerhallenden Bogengänge eines Tempels, und sie fragte sich, weshalb Julius sie wohl hierher gebracht hatte.

»Warum haben die Bewohner dieses Dorf verlassen?«, fragte sie ihn schließlich.

Er zuckte die Schultern. »Alles Mögliche könnte der Grund dafür sein. Eine Invasion, eine Seuche ... Vielleicht wollten sie sich auch nur woanders ein neues Zuhause suchen. Als ich es entdeckte, habe ich hier ganze Tage zugebracht, aber die Häuser sind schon vor langer Zeit geplündert worden, und man sieht nur noch sehr wenig davon, wie seine Einwohner damals gelebt haben. Es ist ein eigenartiger Ort, aber ich mag ihn trotzdem sehr gern. Wenn wir dieses Tal jemals mit unseren Brücken und neuen Straßen erreichen, wird es mir sehr Leid tun, ihn verschwinden zu sehen.«

Sein Fuß streifte ein verblasstes Stück gebrannten Tons, das vielleicht einmal ein Schild gewesen war. Er bückte sich, um es genauer anzusehen, und blies den Staub weg. Die Platte war glatt und so dünn, dass er sie leicht mit einer Hand hätte zerbrechen können.

»Ich nehme an, hier hat es früher einmal ausgesehen wie jetzt in Valencia. Mit einem Marktplatz, auf dem die Ernte verkauft wurde, und Kindern, die mit den Hühnern um die Wette gerannt sind. Es fällt einem schwer, sich das jetzt vorzustellen.«

Servilia sah sich um und versuchte, sich einen Platz voller Menschen auszumalen. Aus dem Augenwinkel erspähte sie neben sich auf einer Mauer gerade noch eine Eidechse, bevor diese wieder blitzschnell unter einem heruntergebrochenen Dachvorsprung verschwand. Es hatte etwas Unheimliches, durch dieses Dorf zu spazieren. Man hatte beinahe den Eindruck, als müssten sich die Straßen jeden Moment wieder mit Lärm und Menschen füllen, als hätte es niemals eine Unterbrechung gegeben.

»Warum kommst du hierher?«, fragte sie.

Er sah sie seltsam lächelnd von der Seite an. »Ich zeige es dir », sagte er und bog um die Ecke in eine breitere Straße ein.

Die Häuser hier waren nicht viel mehr als Steinhaufen. Weiter hinten konnte Servilia einen freien Platz erkennen, auf den sie zuhielten. Die Sonne erwärmte die Luft um sie her, und als sie die offene Fläche endlich erreicht hatten, beschleunigte Julius eifrig seine Schritte.

Die schweren Steinplatten, die den Boden des Platzes bedeckten, waren gesprungen, die Risse mit Gras und wilden Blumen durchzogen, doch Julius schritt darüber hinweg ohne hinzusehen. Sein Blick war auf einen zerbrochenen Sockel gerichtet, neben dem die Bruchstücke einer Statue lagen. Die Gesichtszüge der Figur waren beinahe vollständig verwittert, der weiße Stein porös und angeschlagen, doch Julius näherte sich ihr trotzdem mit Ehrfurcht. Er band ihre Pferde an einen jungen Schössling, der zwischen den geborstenen Steinplatten einen Weg ans Licht gefunden hatte, beugte sich zu der Statue hinunter und zeichnete ihre Gesichtszüge mit der Hand nach. Ein Arm war abgebrochen, dennoch konnte Servilia sehen, was für ein eindrucksvolles Standbild es einmal gewesen sein musste. Dann entdeckte sie die Stelle, an der Schriftzeichen in den schweren Sockel eingehauen waren, und sie berührte gedankenvoll die seltsamen Buchstaben.

»Wer ist das?«, flüsterte sie.

»Einer der Gelehrten hier hat mir gesagt, da stünde ›Alexander, der König‹.«

Julius’ Stimme klang ganz rau, und Servilia verspürte wieder das Bedürfnis, ihn zu berühren und seine Gedanken und Gefühle mit ihm zu teilen. Erstaunt sah sie, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, während er das steinerne Gesicht betrachtete.

»Was hast du denn? Ich verstehe nicht ... «, sagte sie und streckte ohne weiter darüber nachzudenken die Hand nach ihm aus. Seine Haut fühlte sich heiß an, und er entzog sich ihrer Berührung nicht.

»Wenn ich ihn sehe ... «, sagte er leise und wischte sich die Tränen aus den Augen. Einen Augenblick drückte er ihre Hand an sein Gesicht, bevor er sie wieder losließ. Wortlos starrte er die Statue noch eine Weile an und zuckte dann die Achseln. Er hatte sich wieder unter Kontrolle.

»Als er in meinem Alter war, hatte er bereits die ganze Welt erobert. Man sagt, er sei ein Gott gewesen. Verglichen mit ihm habe ich mein Leben vergeudet.«

Servilia setzte sich auf die Stufen des Sockels neben ihn, und obwohl sich ihre Oberschenkel nur leicht berührten, spürte sie die Berührung sehr intensiv. Nach einer Weile setzte Julius gedankenverloren und mit tonloser Stimme abermals an.

»Als kleiner Junge habe ich gerne die Erzählungen von seinem Leben und seinen Schlachten gehört. Er war ... einfach unglaublich. Er hielt die Welt in seinen Händen, als er kaum mehr als ein Kind war. Damals dachte ich immer, dass ich ... Ich habe früher seinen Weg vor mir gesehen.«

Wieder hob Servilia die Hand und streichelte ihm über das Gesicht. Dieses Mal schien er die Berührung zum ersten Mal wirklich wahrzunehmen und hob den Kopf, um sie anzusehen, als sie sprach.

»Alles, was du haben willst, befindet sich direkt vor dir«, sagte sie. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie ihm damit vielleicht nicht eher etwas Persönlicheres darbot, als nur die Hoffnung auf Ruhm. Julius schien beide Bedeutungen aus ihren Worten herausgehört zu haben und ergriff wieder ihre Hand. Dieses Mal suchte sein Blick dabei den ihren, und in seinen Augen lag eine unausgesprochene Frage.

»Ich will alles«, flüsterte er, und sie hätte nicht zu sagen vermocht, wer von ihnen beiden den anderen zuerst küsste. Wie sie da zu Füßen Alexanders saßen, geschah es einfach, und sie spürten beide die Macht des Augenblicks.

5

In den darauf folgenden Tagen schien die Zeit unendlich langsam zu vergehen, wenn Servilia keinen Vorwand für einen weiteren Ausritt finden konnte. Die Goldene Hand florierte, und Servilia hatte zwei Männer aus Rom nach Valencia bringen lassen, beide groß und breit genug, um auch den wildesten Rabauken in Schach zu halten. Statt sich über den Erfolg zu freuen, ertappte sie sich jedoch ständig dabei, wie ihre Gedanken zu dem seltsamen jungen Mann abschweiften, der so verletzlich und zugleich so Furcht einflößend sein konnte. Sie hatte sich gezwungen, nicht noch einmal bei ihm vorzusprechen, und wartete stattdessen auf seine Einladung. Als sie endlich gekommen war, hatte sie laut über sich selbst lachen müssen, trotzdem erfüllte sie eine freudige Erregung.

Bald darauf spazierten sie gemeinsam durch ein wogendes Kornfeld, und sie blieb immer wieder stehen, um weitere Halme zu pflücken, die sie zu einem Kranz flocht. Julius wartete geduldig auf sie. Schon sehr lange war er nicht mehr so entspannt und gelöst gewesen. Die Niedergeschlagenheit, die ihn fest im Griff gehabt hatte, schien sich in ihrer Gesellschaft einfach in Luft aufzulösen. Eigenartig, dass ihr Ausflug in die Wildnis wirklich nur ein paar Wochen her sein sollte. Bereits jetzt hatte Servilia instinktiv erkannt, was für ihn im Leben am wichtigsten war, und er hatte das Gefühl, sie schon immer zu kennen.

Durch sie waren die Albträume, die er wie junge Hunde in schwerem Wein hatte ersäufen wollen, verschwunden. Er spürte sie zwar noch immer um sich kreisen, doch Servilia brachte Alexanders Segen zu ihm. Sie war sein Schutzwall gegen die Schatten, die ihn in die Verzweiflung drängen wollten. Er konnte vergessen, wer er geworden war, und den Mantel seiner Autorität fallen lassen. Jeden Tag eine oder zwei Stunden in einem Sonnenschein, der mehr als nur seine Haut wärmte.

Als sie sich aufrichtete, sah er sie an und wunderte sich wieder über die Wucht der Gefühle, die sie in ihm auszulösen vermochte. Eben noch machte ihn ihr Wissen über Rom und die Senatoren sprachlos, im nächsten Augenblick brach sie wie ein Kind in fröhliches Gelächter aus oder pflückte noch eine Blume, die sie in ihren Kranz einflocht.

Nach ihrem ersten Ausritt zu dem Dorf mit der zerbrochenen Statue hatte Brutus ihre Freundschaft ermutigt. Er sah, dass Servilia Balsam für die Seele seines gequälten Freundes war. Dieser Balsam heilte Wunden, die schon viel zu lange schwärten.

»Pompeius hat einen Fehler gemacht, als er die Sklaven kreuzigen ließ«, sagte Julius. Er erinnerte sich an die lange Reihe aus Kreuzen mit den wimmernden, gequälten Gestalten, die auf den Tod warteten. Selbst vier Jahre später waren die Bilder des großen Sklavenaufstandes in seinem Kopf noch immer schmerzhaft lebendig. Die Krähen hatten sich gütlich getan, bis sie zu fett zum Fliegen waren, und dann hatten sie auch noch seine Männer empört angekrächzt, die nach den träge umherstaksenden Vögeln traten. Allein bei dem Gedanken daran schauderte er jetzt noch.

»Nachdem es einmal angefangen hatte, haben wir den Sklaven ja keine andere Wahl als den Tod gelassen. Sie wussten, dass wir sie niemals einfach ziehen lassen würden. Sie wurden schlecht geführt, und Pompeius hat sie fesseln und von Süden her die ganze Via entlang ans Kreuz nageln lassen. Dem Druck des Pöbels einfach nachzugeben, damit hatte er wirklich keine Größe bewiesen.«

»Dann hättest du es ihm also nicht gleichgetan?«, wollte Servilia wissen.

»Spartakus und die Seinen mussten sterben, aber in ihren Reihen gab es sehr tapfere Männer, die so mancher Legion gegenübergestanden und sie besiegt hatten. Nein, ich hätte eine neue Legion aus ihnen geformt und sie mit den härtesten Schindern unter den Zenturionen aller anderen Legionen gespickt. Sechstausend kampfgestählte, tapfere Männer, Servilia, und alle wurden sie seinem Ehrgeiz geopfert. Statt sie alle einfach ans Kreuz zu nageln, hätte man so viel besser ein Exempel statuieren können. Aber Pompeius blickt nicht weiter, als es ihm seine kleinlichen Regeln und Traditionen erlauben. Er hält an seiner Linie fest, während der Rest der Welt an ihm vorbeizieht.«

»Die Leute haben ihn jubelnd in Rom empfangen, Julius. Pompeius war derjenige, den die Leute wirklich als Konsul wollten. Crassus besetzt lediglich den zweiten Platz in seinem Schatten.«

»Es wäre besser gewesen, sie hätten die Sklaven selbst abgewehrt«, murmelte Julius. »Dann könnten sie stolz und aufrecht dastehen, statt sich wie jetzt dabei zu überschlagen, Pompeius die Füße zu küssen. Es ist besser, sein eigenes Essen anzubauen, statt nach Männern wie Pompeius zu schreien, die einen füttern sollen. Es steckt wie eine Krankheit in uns, verstehst du? Wir bringen immer wieder unwürdige Männer an die Macht, damit sie uns regieren.«

Er rang nach Worten. Servilia blieb stehen und drehte sich zu ihm um. An einem so heißen Tag hatte sie eine Stola aus dünnem Leinen gewählt und ihr Haar mit einem silbernen Band zurückgebunden, das ihren Nacken freigab. Jeder Tag, den er mit ihr verbrachte, schien eine neue Facette ihres Wesens zum Vorschein zu bringen. Er verspürte das Verlangen, ihren Nacken zu küssen.

»Er hat die Piraten vernichtet, Julius. Du vor allen anderen solltest dich besonders darüber freuen.«

»Darüber freue ich mich ja auch«, sagte er mit bitterem Unterton, »nur hätte ich diese Aufgabe gerne selbst übernommen. Pompeius träumt nicht, Servilia. Es gibt viele neue Länder, voller Perlen und Gold, aber er ruht sich aus und veranstaltet Spiele für das Volk. Sie hungern auf den Feldern, während er ihnen neue Tempel baut, damit sie für Wohlstand beten können.«

»Würdest du denn mehr tun?«, fragte sie und hakte ihn unter. Ihre Hand lag warm auf seinem Arm, und unter dem plötzlichen Ansturm von Leidenschaft, der ihn selbst überraschte, entschwanden sämtliche Gedanken aus seinem Kopf. Er fragte sich, ob sie es ihm wohl ansah und stammelte eine Antwort.

»Ja, das würde ich. Es gibt genug Gold, um auch die Ärmsten in Rom durchzubringen. Die Möglichkeiten sind da, wir müssen sie nur ergreifen. Nichts auf der ganzen Welt gleicht unserer Stadt. Man sagt, Ägypten sei reicher, aber wir sind immer noch jung genug, um unsere Hände zu füllen. Pompeius schläft, wenn er glaubt, die Grenzen seien mit den paar Legionen, die wir haben, wirklich sicher. Wir müssen mehr Legionen ausheben und sie mit Gold und neuen Ländereien entlohnen.«

Servilia ließ ihre Hand von seinem Arm fallen. Sie spürte einen Schauer des Verlangens, bei dem sich die weichen Härchen auf ihrer Haut aufstellten. In ihm steckte eine solch unbändige Kraft..., wenn sie nicht gerade tief unter Trauer und Verzweiflung begraben lag. Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Vergnügen sah sie zu, wie sich die dunklen Schatten von seiner Seele hinweghoben. Dieser Mann, der sie nur durch eine einfache Berührung schon dermaßen erregte, war nicht mehr derselbe, der sie am Tor der Festung begrüßt hatte. Sie fragte sich, was dieses Wiedererwachen wohl noch alles auslösen mochte.

Zunächst hatte es sie ein wenig erschreckt, sie sogar mit Angst erfüllt, als sie spürte, wie sehr sie sich nach ihm sehnte. So hätte es nicht sein sollen. Die Männer, die sie liebten, berührten nie mehr als die Haut, nach der es sie verlangte. Selbst wenn sie sich in ihr verströmten, löste das bei ihr kaum mehr als den Hauch einer Reaktion aus. Wenn hingegen dieser eigenartige junge Mann sie mit seinen blauen Augen ansah, war sie abgrundtief verwirrt. So seltsame Augen, mit dieser einen dunklen Pupille, die ihm bei hellem Licht Schmerzen bereitete ... Sie schienen ihre kleinen Tricks und Listen sofort zu durchschauen und drangen durch ihre äußerliche Gewandtheit bis in ihr Innerstes vor.

Sie gingen weiter, und Servilia seufzte leise. Sie benahm sich töricht. Dies war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, ihr Herz an einen Mann im Alter ihres Sohnes zu hängen. Unbewusst strich sie mit der Hand über ihr hochgebundenes Haar. Sicher, das Alter sah man ihr nicht an, denn sie ölte ihren Körper jeden Abend ein und aß bewusst und gut. Man hatte ihr schon mehrmals gesagt, dass ein Mann sie anstatt der neununddreißig Jahre, die sie zugab, leicht für dreißig halten könnte. Sie war zweiundvierzig, doch besonders in der Stadt, wenn Crassus zu ihr kam, kam sie sich manchmal viel älter vor. Dann und wann fing sie sogar ohne Grund zu weinen an, und die schlechte Stimmung verflog dann ebenso rasch wieder, wie sie gekommen war. Sie wusste genau, dass der junge Mann an ihrer Seite jedes der Mädchen aus der Stadt hätte haben können. Er würde keine Frau wollen, die so viele Male trug, auch wenn sie für andere unsichtbar blieben.

Sie verschränkte die Arme und zerdrückte dabei fast den gewundenen Blütenkranz. Keinen Augenblick zweifelte sie daran, dass sie ein leidenschaftliches Feuer in ihm erwecken konnte, wenn sie es darauf anlegte, denn verglichen mit ihr war er noch jung und unschuldig. Es wäre leicht, und ihr wurde klar, dass ein Teil von ihr danach verlangte. In dem hohen Gras der Wiese hätte sie sich ihm gern hingegeben, seine Hände auf ihrer Haut gespürt. Versonnen schüttelte sie den Kopf. Dummes Mädchen! Hättest ihn niemals küssen dürfen.

Schnell sprach sie weiter, um die lange Gesprächpause zu überspielen. Ob er ihre Verwirrung oder die Röte auf ihren Wangen wohl bemerkt hatte?

»Du hast Rom schon eine Weile nicht mehr gesehen, Julius. Die Armut hat noch zugenommen. Die Sklavenarmee hat fast niemanden zurückgelassen, der auf den Feldern arbeiten könnte, und es gibt jetzt ebenso viele Bettler wie Fliegen. Aber auch wenn ihre Bäuche leer bleiben, so vermittelt ihnen Pompeius wenigstens einen Geschmack von Größe. Aus lauter Angst, der Pöbel könnte sich erheben und sie alle verschlingen, würden es die Senatsmitglieder gar nicht wagen, ihm irgendetwas zu verweigern. Es war ein sehr zerbrechlicher Friede, als ich fortging, und ich bezweifle, dass sich seitdem etwas zum Besseren gewendet hat. Du hast keine Vorstellung davon, wie nahe sie am Rande des vollständigen Chaos stehen. Der Senat lebt in ständiger Angst vor einem weiteren Aufstand, der sich mit den Schlachten gegen Spartakus messen könnte, und jeder, der es sich leisten kann, hat Wachen angeheuert. In den Straßen bringen sich die Armen gegenseitig um, und niemand tut etwas dagegen. Nein, es ist wirklich keine einfache Zeit, Julius.«

»Dann sollte ich vielleicht zurückkehren. Ich habe meine Tochter seit vier Jahren nicht mehr gesehen, und Pompeius schuldet mir noch einiges. Vielleicht ist es ja wirklich an der Zeit, ein paar alte Schulden einzufordern und klar zu machen, dass ich wieder mitspiele.«

Die alte Leidenschaft flammte kurz in seinem Gesicht auf. Servilia schöpfte Hoffnung, denn vor ihrem inneren Auge sah sie ihn wieder in der Verhandlung damals vor sich. Seine flammenden Worte, als er von seinen Feinden Gerechtigkeit einforderte, hatten den Senat völlig verstummen lassen. Doch dann war diese Kraft genauso schnell wieder versiegt, wie sie gekommen war, und er stieß gereizt den Atem durch die halb geöffneten Lippen.

»Bevor das alles passiert ist, hatte ich eine Frau, mit der ich alles teilen konnte. Ich hatte Tubruk, der mir mehr Vater als Freund war, und ich hatte ein Zuhause. Damals habe ich mit ... Zuversicht in die Zukunft geblickt. Jetzt habe ich lediglich neue Schwerter und Minen. Es ist alles so sinnlos. Das alles würde ich geben, wenn Tubruk noch einmal einen Becher Wein mit mir trinken würde, und wenn auch nur für eine einzige Stunde. Oder wenn ich Cornelia nur für einen Augenblick wiedersehen könnte. Wenigstens lange genug, um ihr zu sagen, wie Leid es mir tut, dass ich mein Versprechen ihr gegenüber nicht gehalten habe.«

Bevor er weiterging, rieb er sich mit der Hand über die Augen. Servilia hätte ihm beinahe wieder über das Gesicht gestreichelt, weil sie wusste, dass ihre Berührung ihm gut tat. Es kostete sie beinahe unmenschliche Kraft, der Versuchung zu widerstehen. Die Berührung würde unweigerlich zu mehr führen, und obwohl sie sich ihrerseits danach sehnte, in den Arm genommen zu werden, hatte sie doch die Kraft, das Spiel, das sie so meisterlich beherrschte, weil sie es schon ihr ganzes Leben lang gespielt hatte, dieses eine Mal nicht zu spielen. Eine jüngere Frau hätte sich ihn in diesem Moment, da er so schwach und wehrlos vor ihr stand, sicherlich ohne Scham genommen, doch dazu besaß Servilia zu viel Erfahrung. Es würden noch andere Tage kommen.

Da drehte er sich plötzlich zu ihr um und umarmte sie ungestüm. Seine Lippen pressten sich auf ihren Mund und zwangen sie, den ihren zu öffnen. Nun konnte auch sie nicht mehr widerstehen und gab seinem Drängen nach.

Gleich hinter dem Torbogen der Festung ließ sich Brutus elegant aus dem Sattel gleiten. Die Zehnte hatte draußen in den Bergen komplizierte Manöver durchgeführt, und Octavian hatte sich wacker geschlagen. Er hatte die Streitmacht, die man ihm für den Schaukampf gegeben hatte, geschickt geführt und Domitius von der Flanke her angegriffen. Brutus stürmte ohne Zögern in das Gebäude hinein. Die düstere Stimmung, die so lange lähmend über ihnen allen gelegen hatte, war nur noch eine böse Erinnerung, und er wusste, dass Julius sich freuen würde, wenn er erfuhr, wie gut sich sein junger Verwandter machte. Octavians Schultern waren inzwischen breit genug, um ein Kommando zu übernehmen. So hatte es Marius jedenfalls früher immer ausgedrückt.

Die Wache am Ende der Treppe stand nicht dort, wo sie stehen sollte, sondern ein gutes Stück von ihrem Posten entfernt. Als er die Stufen hinaufrannte, hörte Brutus, wie ihm der Mann etwas nachrief, doch er grinste nur.

Julius lag mit Servilia auf einer Liege. Bei Brutus’ überraschendem, polterndem Eintreten liefen ihre Gesichter vor Scham rot an. Nackt wie er war, sprang Julius auf und stellte sich seinem Freund wütend in den Weg.

»Raus hier!«, brüllte er.

Brutus blieb wie angewurzelt stehen. Dann verzog er zornig das Gesicht, machte auf dem Absatz kehrt und knallte die Tür hinter sich zu.

Langsam drehte sich Julius zu Servilia um und sah sie an; er bereute seinen Wutausbruch schon wieder. Rasch warf er sich seine Kleidung über und setzte sich wieder auf die Liege. Ihr schweres Parfüm stieg ihm in die Nase, und er wusste, dass er nach ihr roch. Als er aufstand, spürte er noch immer die verlockende Wärme des Lagers, doch er wandte sich ab, denn im Geiste war er bereits mit dem beschäftigt, was jetzt zu tun war.

»Ich gehe hinaus zu ihm«, sagte Servilia und stand ebenfalls auf.

Völlig in dunkle Gedanken versunken, schenkte Julius ihrer Nacktheit kaum Beachtung. Es war unvorsichtig gewesen, an einem Ort einfach einzuschlafen, an dem man sie überraschen konnte, aber jetzt war es zu spät zu bedauern, was bereits geschehen war. Er schüttelte den Kopf und band sich die Sandalen um.

»Du hast dich für weitaus weniger zu entschuldigen. Lass mich zuerst zu ihm gehen«, sagte er.

»Du wirst dich doch nicht etwa ... für mich entschuldigen?«, fragte sie in verdächtig ruhigem Tonfall.

Julius stand auf und sah ihr in die Augen. »Für keinen einzigen Moment mit dir«, sagte er leise.

Erleichtert ließ sie sich in seine Arme sinken. Er empfand es als unbeschreiblich erotisch, eine nackte Frau in den Armen zu halten, wenn er selbst vollständig angezogen war. Trotz seiner Sorge um Brutus löste er sich mit einem Grinsen aus ihrer Umarmung.

»Das wird schon wieder, sobald er sich ein bisschen gefangen hat«, sagte er, um sie zu beruhigen und wünschte doch im gleichen Moment, er könnte es auch selbst glauben. Mit ruhiger Hand schnallte er sich den Schwertgurt um die Hüften. Plötzlich sah Servilia sehr verängstigt aus.

»Ich will nicht, dass du gegen ihn kämpfst, Julius. Das darfst du nicht tun.«

Julius rang sich ein Lachen ab, das in seinem leeren Bauch widerzuhallen schien.

»Er würde mir niemals etwas zu Leide tun«, sagte er im Hinausgehen.

Draußen vor der Tür jedoch verwandelte sich sein Gesicht in eine grimmige Maske. Am Fuß der Treppe standen Domitius und Cabera mit Ciro zusammen. Julius bildete sich ein, dass ihre Augen ihn anklagten.

»Wo ist er?«, fuhr Julius sie an.

»Im Ausbildungshof«, sagte Domitius. »Wenn ich du wäre, General, ich würde ihn noch eine Weile in Ruhe lassen. Sein Blut kocht, und es wäre nicht sehr klug, einen Streit gerade jetzt auszutragen.«

Julius zögerte kurz, dann jedoch gewann sein altes Ungestüm wieder die Oberhand. Er hatte sich das alles selbst eingebrockt, also musste er es auch auslöffeln.

»Ihr bleibt hier«, sagte er barsch. »Er ist mein ältester Freund, und diese Angelegenheit geht nur uns beide etwas an.«

Brutus stand allein in dem leeren Hof, mit einem von Cavallos glänzenden Schwertern in den Händen. Als Julius auf ihn zukam, nickte er nur. Angesichts des finsteren, starren Blicks, der jeder seiner Bewegungen folgte, hätte Julius beinahe doch wieder gezögert. Und wenn sie bis aufs Blut kämpfen sollten, er würde ihn nicht besiegen. Selbst wenn er den Sieg irgendwie mit List erringen konnte, bezweifelte Julius, dass er dessen Leben würde auslöschen können. Nicht dieses.

Brutus hielt die glänzende Klinge in der ersten Position. Mit der alten Disziplin, die Renius ihnen beigebracht hatte, schob Julius sofort sämtliche Gedanken beiseite. Vor ihm stand ein Feind, der ihn töten konnte.

Er zog sein Schwert.

»Hast du sie bezahlt?«, fragte Brutus leise und durchbrach damit Julius’ Konzentration. Dieser musste den unbändigen Zorn, der in diesem Moment in ihm aufstieg, niederkämpfen. Sie hatten ihr Handwerk beide bei demselben Meister gelernt, und er wusste genau, dass er nicht hinhören durfte. Langsam und bedächtig umkreisten sie einander.

»Ich habe es geahnt, aber ich habe es einfach nicht wahrhaben wollen«, fing Brutus erneut an. »Ich war mir so sicher, du würdest mir mit ihr keine Schande bereiten, also habe ich nicht weiter darüber nachgedacht.«

»Mit Schande hat das nichts zu tun«, erwiderte Julius.

»Oh doch!«, erwiderte Brutus wütend und schnellte nach vorne.

Julius kannte Brutus’ Kampfstil zwar besser als jeder andere, doch den Stoß, der direkt auf sein Herz zielte, konnte er nur mit Mühe parieren. Das war ein tödlicher Angriff, für den es keine Entschuldigung gab. Jetzt stieg der Zorn doch in ihm hoch, und er bewegte sich ein wenig schneller. Alle Sinne waren auf einmal hellwach, seine Schritte wurden fester. Dann sollte es also so sein.

Julius machte einen Ausfall nach vorne, duckte sich unter der sirrenden Klinge hinweg und zwang Brutus auf den hinteren Fuß. Dann holte er zu einem seitlichen Schlag aus, aber Brutus wich verächtlich grinsend aus und parierte die Attacke mit schnellen, harten Schlägen.

Keuchend ließen sie schließlich voneinander ab. Julius ballte die linke Hand zur Faust, um eine Schnittwunde in der Handfläche zusammenzudrücken. Er wartete, und das Blut tropfte langsam von der Hand in den Sand, wo es glänzende Flecken hinterließ und schließlich langsam versickerte.

»Ich liebe sie«, sagte Julius. »Und ich liebe dich. Viel zu sehr, um mich mit dir zu schlagen.« Angeekelt schleuderte er sein Schwert von sich und sah seinem Freund in die Augen.

Brutus hielt ihm die Spitze seiner Klinge an die Kehle und blickte ihn fragend an.

»Und sie wissen es alle? Cabera, Domitius und Octavian?« Julius hielt seinem Blick stand. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, und er versuchte, nicht zu zucken.

»Möglich. Wir haben das nicht geplant, Brutus. Ich wollte bestimmt nicht, dass du uns überraschst.«

Das Schwert war der einzige stille Punkt in einer sich bewegenden Welt. Julius biss die Zähne zusammen, und plötzlich überkam ihn eine tiefe Ruhe. Er entspannte seine verkrampften Muskeln und stand abwartend da. Sicher wollte er noch nicht sterben, doch wenn es jetzt so weit sein sollte, dann wollte er den Tod wenigstens mit Verachtung strafen.

»Es ist nicht nur eine kleine Affäre, Marcus. Nicht für mich und auch nicht für sie«, sagte er ruhig.

Urplötzlich sank die Schwertspitze zu Boden. Der wahnsinnige Glanz in Brutus’ Augen verschwand.

»Uns beide verbindet so viel, Julius. Aber wenn du ihr wehtust, bringe ich dich um.«

»Geh zu ihr und rede mit ihr. Sie macht sich Sorgen um dich«, erwiderte Julius und ignorierte die Drohung.

Brutus starrte ihm noch einen Moment in die Augen, dann ging er davon und ließ Julius im Trainingshof stehen. Julius sah ihm nach, dann öffnete er die Faust und zuckte zusammen. Einen kurzen Augenblick wallte der Zorn wieder in ihm auf. Jeden anderen Mann, der es gewagt hätte, sein Schwert gegen ihn zu erheben, hätte er auf der Stelle hängen lassen. Dafür gab es einfach keine Entschuldigung.

Doch sie waren zusammen aufgewachsen, und das war es, was letztendlich zählte. Was sie verband, musste eigentlich stark genug sein, um mit diesem Verrat, mit der Klinge, die auf sein Herz gerichtet gewesen war, fertig zu werden. Nachdenklich kniff Julius die Augen zusammen. Es würde ihm nicht leicht fallen, Brutus ein zweites Mal zu vertrauen.

In den folgenden sechs Wochen herrschte eine beinahe unerträgliche Spannung zwischen ihnen beiden. Obwohl Brutus mit seiner Mutter gesprochen und ihrer Verbindung mit zusammengepressten Lippen seine Zustimmung gegeben hatte, lief er ständig wie in einem Panzer aus Wut und Einsamkeit durch die Gegend.

Ohne ein Wort der Erklärung fing Julius an, die Zehnte wieder selbst zu trainieren. Er ritt mehrere Tage lang mit ihnen aus, aber außer seinen Befehlen sagte er kein einziges Wort. Die Legionäre kämpften sich für ein anerkennendes Nicken von ihm, das mehr Wert zu sein schien als eine ganze Lobrede von jemand anderem, durch Schmerz und Erschöpfung.

Wenn sie in den Unterkünften waren, schrieb Julius bis tief in die Nacht hinein Briefe und Anordnungen und gab einen großen Teil der Goldreserven, die er gehortet hatte, wieder aus. Er entsandte Reiter nach Rom, die in Alexandrias Werkstatt neue Rüstungen in Auftrag geben sollten, ganze Karawanen mit Vorräten beladener Karren wanden sich von den spanischen Städten in die Berge hinein. Neue Minen mussten angelegt werden, um das Eisenerz zu beschaffen, das für die Herstellung von Schwertern nach Cavallos Methode benötigt wurde. Ganze Wälder wurden für die Kohleherstellung abgeholzt, und jeder der fünftausend Soldaten der Zehnten hatte immer mindestens zwei oder drei Dinge gleichzeitig zu erledigen.

Julius’ Offiziere schwankten zwischen dem Schmerz, ausgeschlossen zu werden, und der Begeisterung, dass er seine alte Energie wiedergefunden hatte, hin und her. Lange bevor Julius seine Untergebenen von ihren verstreuten Posten zusammenrufen ließ, ahnten sie, dass ihre Zeit in Spanien dem Ende zuging. Hispania war einfach zu klein, um dem General der Zehnten genug Platz zu bieten.

Julius wählte den fähigsten der spanischen Quästoren aus, um ihn so lange zu vertreten, bis Rom einen anderen ihrer Söhne auf diesen Posten berief. Er übergab ihm das Siegel seines Amtes und vergrub sich dann wieder tage- und nächtelang in seiner Arbeit. Manchmal schlief er drei Tage lang nicht, bis er schließlich erschöpft zusammenbrach. Nach einer kurzen Ruhepause stand er wieder auf und fing das gleiche Spiel von vorn an. Die Männer, die ihm in den Unterkünften begegneten, gingen ihm vorsichtig aus dem Weg und warteten gespannt und nervös auf das Ergebnis seiner unmenschlichen Anstrengungen.

Eines Tages kam Brutus in den frühen Morgenstunden zu ihm, als es um sie herum im Lager noch still war. Er klopfte an die Tür und trat ein, nachdem Julius eine Antwort auf das Klopfen gemurmelt hatte.

Julius saß vor einem mit Karten und Tontafeln überladenen Tisch, auch auf dem Boden zu seinen Füßen lagen Karten und Tafeln verstreut. Als er Brutus erblickte, stand er auf, und für einen kurzen Augenblick schien die frostige Stimmung zwischen ihnen jedes Wort von selbst zu verbieten. Die frühere vertraute Freundschaft hatte bei beiden Rost angesetzt.

Brutus schluckte schwer. »Es tut mir Leid«, presste er schließlich hervor.

Julius sagte kein Wort und starrte ihn lediglich an. Sein Gesicht wirkte wie das eines Fremden und zeigte nichts von der Freundschaft, die Brutus so sehr vermisste.

Brutus machte einen zweiten Versuch. »Es war dumm von mir, aber du kennst mich lange genug. Lass es gut sein«, sagte er. »Ich bin dein Freund. Dein Schwert, weißt du noch?«

Julius nickte und nahm seine Entschuldigung an. »Ich liebe Servilia«, sagte er leise. »Ich hätte es dir vor allen anderen gesagt, aber es ging selbst für uns beide zu schnell. Das ist nicht nur ein Spiel für mich, aber mein Verhältnis zu ihr ist meine Sache. Darüber bin ich dir keine Rechenschaft schuldig.«

»Als ich euch beide zusammen gesehen habe, da ... «, begann Brutus zögernd.

Julius hob abwehrend die Hand.

»Nein. Ich will jetzt nichts mehr davon hören. Es ist gut.«

»Bei den Göttern, du machst es mir wirklich nicht leicht«, sagte Brutus und schüttelte den Kopf.

»Es soll ja auch nicht leicht für dich sein. Mit dir verbindet mich mehr als mit jedem anderen Mann, den ich kenne, und ausgerechnet du hebst im Trainingshof die Hand gegen mich, um mich zu töten. Das ist schwer zu verzeihen.«

»Was?«, erwiderte Brutus entsetzt. »Ich habe doch gar nicht ...« »Ich weiß es, Brutus.«

Betroffen sank Brutus in sich zusammen. Ohne zu antworten zog er sich schließlich einen Hocker heran, und auch Julius setzte sich wieder.

»Willst du, dass ich mich jetzt fortwährend entschuldige? Ich war rasend vor Zorn und glaubte, du benutzt sie nur wie ... Es war ein Fehler und es tut mir Leid. Aber was willst du noch von mir?«

»Ich will wissen, dass ich dir wieder vertrauen kann. Ich will, dass all das hier vergessen ist«, erwiderte Julius.

Brutus stand auf. »Du kannst mir vertrauen, und das weißt du auch. Ich habe die Primigenia für dich aufgegeben. Also lass es gut sein.«

Sie sahen einander an, und langsam stahl sich ein Grinsen in Julius’ Gesicht.

»Hast du gesehen, wie ich deinen Schlag pariert habe? Ich wünschte, Renius hätte das gesehen.«

»Ja, du warst wirklich gut«, sagte Brutus mit einem sarkastischen Unterton. »Bist du jetzt zufrieden?«

»Ich glaube, ich hätte gewinnen können«, sagte Julius schelmisch lächelnd.

Brutus blinzelte ihn an. »Jetzt gehst du zu weit.«

Die Spannung zwischen ihnen war mit einem Mal verflogen und schien nur noch eine ferne, unangenehme Erinnerung.

»Ich will die Legion zurück nach Rom führen«, platzte Julius erleichtert heraus, weil er seine Pläne endlich wieder mit seinem Freund teilen konnte. Insgeheim fragte er sich, ob Brutus die Wochen nach ihrem Kampf wohl ebenso geschmerzt hatten wie ihn.

»Das wissen wir doch alle schon längst. Die Männer tratschen wie ein Haufen alter Weiber. Willst du Pompeius herausfordern?« Brutus sprach in einem so beiläufigen Ton, als hinge nicht das Leben Tausender von dieser Antwort ab.

»Nein. Mit Crassus zusammen regiert er eigentlich ganz gut. Ich will mich bei den Wahlen als Kandidat für einen Konsulposten aufstellen lassen.« Gespannt sah er Brutus an und versuchte, eine Reaktion aus seinem Gesicht abzulesen.

»Glaubst du wirklich, du kannst die Wahl gewinnen?«, fragte Brutus langsam und nachdenklich. »Dir bleiben nur noch ein paar Monate, und die Menschen haben nun mal ein sehr schlechtes Gedächtnis.«

»Ich bin Marius’ letzter lebender Blutsverwandter, und daran werde ich sie erinnern«, sagte Julius, und Brutus spürte die alte Begeisterung von früher in sich aufsteigen. Er dachte darüber nach, wie sehr sich sein Freund in den letzten Monaten wieder zu seinem Vorteil verändert hatte. Es erschien ihm fast wie eine Wiedergeburt des Julius’, den er von früher kannte. Die bösartigen Wutausbrüche waren endgültig verschwunden, und seine Mutter hatte dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Selbst seine süße, kleine Angelina sah ehrfürchtig zu Servilia auf, und so langsam konnte er auch verstehen, warum.

»Die Sonne geht bald auf. Du solltest noch ein wenig schlafen«, sagte er.

»Noch nicht. Es gibt immer noch viel zu tun, bis wir Rom wiedersehen.«

»Dann leiste ich dir Gesellschaft, wenn es dir recht ist«, sagte Brutus und unterdrückte ein Gähnen.

Julius lächelte ihn an. »Natürlich ist mir das recht. Ich brauche jemanden, der schreibt, während ich diktiere.«

6

Renius stand im ausgetrockneten Flussbett und sah zu der Brücke hinauf. Überall wimmelte es von Römern und Einheimischen, die auf dem hölzernen Skelett herumkletterten. Es schwankte und knarrte, wenn sie über die Bohlen gingen. Vom trocknen Flussbett bis zu den Brückensteinen der Straße waren es zweihundert Fuß. Wenn die Brücke einmal fertig war, würde man den weiter flussaufwärts angelegten Damm wieder einreißen. Das Wasser würde die massiven Sockel der Brückenpfeiler einschließen und die behauenen Eckpfeiler auch dann noch umspülen, wenn die Erbauer der Brücke schon längst zu Staub zerfallen waren. Schon allein im Schatten dieser gewaltigen Konstruktion zu stehen war ein seltsames Gefühl für den alten Gladiator. Wenn das Wasser zurückkehrte, würde nie wieder jemand an dieser Stelle stehen können.

Insgeheim stolz auf diesen Moment, schüttelte er nachdenklich den Kopf und lauschte den Befehlen und Rufen, mit denen die Seilwindenmannschaft einen weiteren Steinquader für den Brückenbogen hochzuhieven begann. Unter der Brücke hörte man das Echo der Männer, und Renius sah, dass sie seinen Stolz und seine Befriedigung teilten. Diese Brücke hier würde niemals einstürzen, darüber waren sich alle einig.

Die Straße dort über ihm ermöglichte von der Küste aus den direkten Zugang zu einem fruchtbaren Tal. Städte würden gebaut werden, und man würde das Straßennetz noch weiter ausbauen, um den Bedürfnissen der neuen Siedler entgegenzukommen. Sie würden wegen des guten Bodens hierher kommen, und weil sich hier Handel treiben ließ, vor allem jedoch wegen des klaren, sauberen Wassers aus dem unterirdischen Aquädukt, das in dreijähriger Bauzeit entstanden war.

Renius sah zu, wie eine Gruppe Männer mit aller Kraft an den dicken Seilen zog, um den Schlussstein des Bogens in die richtige Position zu bringen. Die Flaschenzüge quietschten, und er sah, wie Ciro sich über das Gerüstgeländer beugte, um den Stein heranzuholen und an seinen Platz zu dirigieren. Die Männer neben ihm schmierten braunen Mörtel auf die Oberflächen, und Ciro legte seine Arme darum. Auch er stimmte mit den anderen in den einlullenden Sprechgesang der Gruppe weiter unten am Gerüst ein. Renius hielt den Atem an. Obwohl keiner der Arbeiter es mit der Kraft dieses Riesen aufnehmen konnte, war auch er nicht dagegen gefeit, dass ihm durch eine unbedachte Bewegung unversehens eine Hand oder eine Schulter zerschmettert wurde. Wenn der Steinquader jetzt aus der richtigen Stellung herausschwang, konnte er leicht die Stützen durchschlagen. Dann würde er alle Männer dort oben mit sich in die Tiefe reißen.

Selbst so tief unten hörte Renius Ciro stöhnen, als er den Block vorsichtig an seinen Platz manövrierte. Der nasse Mörtel, der aus den Ritzen hervorquoll, fiel in satten Fladen ins Flussbett herunter. Renius bedeckte die Augen mit der Hand und blinzelte prüfend nach oben, ob gerade ein Mörtelklumpen herunterkam, vor dem er sich wegducken musste, wobei er über das angestrengte Schnaufen über ihm lächelte.

Er mochte den Riesen. Ciro redete zwar nie besonders viel, hielt aber, wenn es darauf ankam, auch nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg. Allein für diesen Charakterzug schätzte Renius ihn. Anfangs hatte es ihn selbst verwundert, dass es ihm sogar Spaß machte, Ciro die Dinge beizubringen, die erfahrenere Legionäre als selbstverständlich erachteten. Eine Legion wurde nicht durch ein Tal oder ein Bergmassiv aufgehalten. Jeder Mann auf dem Gerüst wusste ganz genau, dass es auf der ganzen Welt keinen Fluss gab, den sie nicht überbrücken, keine Straße, die sie nicht bauen konnten. Überall dort, wo sie hinkamen, bauten sie Rom.

Das Wasser und die meilenlangen Tunnels, die sie angelegt hatten, um es von den Quellen hoch oben in den Bergen herabzuleiten, hatten Ciro mit Ehrfurcht erfüllt. Jetzt würden die Menschen, die sich hier in diesem Tal ansiedelten, nicht mehr jeden Sommer mit Krankheiten und Seuchen zu kämpfen haben. Ihre Brunnen würden nicht mehr austrocknen oder schal werden, und vielleicht würden sie ja dann an die Männer aus Rom denken, die sie für sie gegraben hatten.

Renius wurde von einem einsamen Reiter in leichter Rüstung, der am Ufer entlangritt und schließlich zu ihm herunter ins Flussbett kam, aus seinen friedlichen Gedanken gerissen. Der Mann schwitzte erbärmlich in der Hitze, und als er unter dem Brückenbogen hindurchritt, zog er unwillkürlich den Kopf ein und sah nach oben. Ein schwerer Hammer, der aus dieser Höhe zu Boden fiel, konnte das Pferd oder den Mann, der darauf saß, leicht töten, doch Renius grinste nur über seine Übervorsicht.

»Hast du eine Nachricht für mich?«, fragte er ihn.

Der Mann brachte sein Tier im Schatten des Brückenbogens zum Stehen und stieg ab.

»Ja, Herr. Der General wünscht deine Anwesenheit in den Unterkünften. Er hat gesagt, du sollst auch einen Legionär namens Ciro mitbringen, Herr.«

»Der letzte Bogen ist fast fertig, mein Junge.«

»Er hat aber gesagt, du sollst dich sofort auf den Weg machen, Herr.«

Renius runzelte die Stirn und blinzelte dann zu Ciro hinauf. Nur ein kompletter Narr würde einem Mann Befehle zurufen, der gerade einen so schweren Steinquader herumwuchtete. Dann sah er, wie Ciro ein Stück zurücktrat und sich mit einem Lappen den Schweiß von der Stirn wischte. Renius holte tief Luft.

»Komm runter, Ciro. Man verlangt nach uns.«

Trotz der Sonne fröstelte Octavian, als eine leichte Brise über seine Haut strich. Die fünfzig Männer, die unter seinem Kommando standen, sprengten in vollem Galopp einen der steilsten Berghänge hinunter, den er je gesehen hatte. Wenn er nicht am Morgen jeden einzelnen Meter des Geländes selbst überprüft hätte, hätte er ein solches halsbrecherisches Tempo nie zugelassen. Aber der Grasboden war einigermaßen eben; keiner der erfahrenen Reiter stürzte. Sie pressten die Schenkel fest an den Sattel, trotzdem drückte der Sattelknauf schmerzhaft im Schritt. Octavian biss die Zähne zusammen.

Brutus hatte den Hügel gemeinsam mit ihm ausgesucht, um die Wucht eines Angriffs zu demonstrieren. Er erwartete sie mit einer ganzen Zenturie der Extraordinarii am Fuße des Berges, und selbst aus dieser Entfernung konnte Octavian sehen, wie die Pferde unten unruhig wurden und instinktiv versuchten, den fünfzig herandonnernden Reitern auszuweichen.

Über den ohrenbetäubenden Lärm hinweg brüllte Octavian seinen Männern zu, sich zu einer Angriffslinie zu formieren. Doch die heranpreschende Reihe fiel ein wenig auseinander, und er musste so laut schreien, wie er nur konnte, um die zurückbleibenden Reiter in seiner Nähe auf sich aufmerksam zu machen. Die Männer bewiesen ihre Geschicklichkeit, als sie aufschlossen, ohne dass die Reihe insgesamt langsamer wurde. Octavian zog sein Schwert und klemmte wild entschlossen die Schenkel gegen den Sattel. Bei diesem steilen Gefälle schmerzten die Beine unsäglich, doch er hielt durch.

Am Fuße des Berges wurde der Untergrund wieder etwas ebener. Octavian blieb kaum Zeit, sich auszubalancieren, bevor seine fünfzig Männer schon durch die weit auseinander stehenden Reihen sprengten, die ihnen gegenüberstanden. Als sie in scheinbar nur einem einzigen Augenblick mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die wartende Zenturie hindurch und auf der anderen Seite wieder herausrasten, verschwammen Gesichter und Pferde miteinander. Octavian sah einen Offizier kreidebleich werden, als er an ihm vorbeischoss. Hätte er sein Schwert in der Hand gehabt, hätte er ihm mit einem einzigen Schlag den Kopf abschlagen können.

Octavian brüllte aufgeregt nach links und rechts und befahl seinen Männern, umzudrehen und wieder in Formation zu gehen. Einige von ihnen lachten erleichtert auf, als sie zu Brutus stießen und die angespannten Gesichter der Männer sahen, die an diesem Tag unter seinem Befehl standen.

»Auf dem richtigen Gelände können wir verdammt Furcht einflößend sein«, sagte Brutus so laut, dass ihn alle hören konnten. »Ich habe mir am Ende beinahe ins Hemd gemacht – obwohl ich wusste, dass ihr nur durch uns hindurchreitet! «

Octavians Reiter jubelten bei dem Lob, auch wenn sie es nicht so recht glaubten. Einer von ihnen klopfte Octavian auf die Schulter, als Brutus sich grinsend zu ihnen umdrehte.

»Jetzt werdet ihr mal in den Genuss dieser Erfahrung kommen. Stellt euch in weiten Reihen auf, und ich führe meine Männer den Berg hoch. Haltet eure Pferde nur ja ruhig, wenn wir durchreiten. Dann könnt ihr noch etwas dazulernen.«

Noch immer erregt von dem wilden Angriff, verbarg Octavian seine aufkommende Nervosität hinter einem Grinsen. Brutus stieg ab, um sein Pferd den Berg hinaufzuführen, als er einen einsamen Reiter erblickte, der auf sie zugaloppierte.

»Was das wohl wieder zu bedeuten hat?«, murmelte er.

Der Soldat stieg schwungvoll von seinem Pferd und salutierte vor Brutus.

»Unser Feldherr Cäsar fragt nach dir und Octavian, Herr.« Brutus nickte langsam. Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit.

»Tatsächlich?« Er drehte sich zu seinen geliebten Extraordinarii um.

»Nun, was wäre geschehen, wenn eure Offiziere schon im ersten Angriff gefallen wären? Wäre dann etwa Chaos ausgebrochen? Macht ohne uns weiter. Ich erwarte einen umfassenden Bericht, wenn ihr zu den Unterkünften zurückkehrt.«

Octavian und Brutus folgten dem Boten, der sein Pferd bereits gewendet hatte. Nach einer Weile hatten sie genug von seinem Schneckentempo und galoppierten an ihm vorbei.

Cabera ließ mit kindlicher Freude die Finger über die blaue Seide gleiten. Beim Anblick der kostbaren Einrichtung, die Servilia für die Goldene Hand per Schiff hatte heranschaffen lassen, konnte er sich zwischen Staunen und Lachen nicht recht entscheiden. Servilias Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, doch er unterbrach sie schon wieder und lief an ihr vorbei, um eine zerbrechliche Statue zu befingern.

»Du verstehst doch«, versuchte sie es mit einem neuen Anlauf, »ich möchte meinen Ruf erhalten, ein sauberes Haus zu führen. Aber einige Soldaten benutzen Kreidepulver, um ihre Ausschläge zu verdecken ...«

»Und das alles nur zum Vergnügen!«, unterbrach sie Cabera erneut und zwinkerte ihr viel sagend zu. »An einem solchen Ort möchte ich einmal sterben.« Stirnrunzelnd sah sie zu, wie er sich einer Grube mit Seidenkissen näherte, die im Fußboden eingelassen war. Um Erlaubnis fragend sah er sie an, doch Servilia schüttelte bestimmt den Kopf.

»Julius sagte, du weißt sehr viel über Hautkrankheiten. Ich würde dich gut dafür bezahlen, wenn du meinem Hause zu Diensten wärst.« Wieder war sie gezwungen, ihre Rede zu unterbrechen, als der alte Mann in den Kissenberg hineinsprang und dann kichernd darin herumstrampelte.

»Die Arbeit ist nicht besonders schwer«, fuhr Servilia unbeirrt fort. »Meine Mädchen erkennen ein Problem sofort, wenn sie es sehen. Aber wenn es Streit gibt, brauche ich jemanden, der den ... fraglichen Mann untersucht. Es wäre ja nur so lange, bis ich einen passenden Arzt hier in der Stadt gefunden habe.« Verwundert sah sie zu, wie Cabera in den Kissen herumkugelte.

»Ich zahle fünf Sesterze pro Monat«, sagte sie.

»Fünfzehn«, sagte Cabera, plötzlich wieder ernst geworden. Als sie ihn verblüfft anblinzelte, strich er sein altes Gewand mit schnellen sorgfältigen Strichen wieder glatt.

»Ich gehe nicht höher als zehn, alter Mann. Für fünfzehn bekomme ich einen Arzt vor Ort, einen, der hier einzieht.«

Cabera schnaubte verächtlich. »Die haben keine Ahnung. Außerdem würdest du dadurch einen Raum verlieren. Zwölf Sesterze. Aber mit Schwangerschaften habe ich nichts zu schaffen, dafür musst du dir jemand anderen suchen.«

»Ich führe doch kein Hinterhofbordell«, schnappte Servilia beleidigt. »Meine Mädchen achten auf den Mond, wie jede andere Frau auch. Und falls sie doch schwanger werden, zahle ich sie aus. Die meisten kommen wieder zu mir zurück, wenn das Kind erst einmal entwöhnt ist. Zehn ist mein letztes Angebot.«

»Jedem anderen ist es gut und gern zwölf Silberstücke wert, wenn einer die halbverwesten Körperteile der Soldaten untersucht«, erwiderte Cabera unbekümmert. »Außerdem möchte ich ein paar von diesen Kissen haben.«

Servilia biss die Zähne zusammen und gab sich geschlagen. »Die kosten mehr als deine Dienste, alter Mann. Aber gut! Dann eben zwölf. Und die Kissen bleiben hier!«

Cabera klatschte vergnügt in die Hände. »Dann gibt es jetzt eine Vorauszahlung für den ersten Monat und ein Glas Wein, um die Abmachung zu besiegeln, oder?«, sagte er.

Gerade als Servilia den Mund zu einer Antwort öffnete, vernahm sie hinter sich ein dezentes Räuspern. Es war Nadia, eine der Neuen, die sie ins Haus gebracht hatte. Der Blick aus ihren mit Khol ummalten Augen war ebenso hart wie ihr Körper weich war.

»Herrin, ein Bote von der Legion steht an der Tür.«

»Bring ihn zu mir, Nadia«, sagte Servilia und zwang sich zu einem Lächeln. Als die Frau verschwunden war, drehte sie sich wieder zu Cabera um.

»Jetzt aber raus da. Ich lasse mich von dir doch nicht lächerlich machen.«

Cabera hangelte sich aus der mit Seidenkissen gefüllten Grube, doch als sie sich umdrehte, um den Boten zu begrüßen, ließ er schnell eines der Kissen unter seinem Gewand verschwinden.

Der Mann hatte einen hochroten Kopf, und an Nadias Grinsen hinter seinem Rücken konnte Servilia sehen, dass sie wohl mit ihm geredet hatte.

»Herrin, Cäsar beordert dich zu den Unterkünften.« Seine Augen schwangen zu Cabera herum. »Dich auch, Heiler. Ich werde euch begleiten. Die Pferde stehen draußen bereit.«

Servilia strich sich nachdenklich mit dem Finger über den Mundwinkel und ignorierte den Blick, mit dem der Bote sie ansah.

»Wird mein Sohn auch da sein?«, fragte sie schließlich.

Der Bote nickte. »Alle sind einberufen, Herrin. Ich muss nur noch Zenturio Domitius finden.«

»Das ist einfach. Er ist oben«, sagte sie und sah interessiert zu, wie dem Mann die Schamesröte vom Gesicht bis zum Hals hinunter in die Tunika kroch. Sie spürte beinahe die Hitze, die er ausstrahlte.

»An deiner Stelle würde ich ihm vielleicht noch einen kleinen Moment gewähren«, sagte sie verschmitzt.

Nach und nach nahmen sie alle in dem langen Zimmer mit Blick


über den Hof Platz. Jeder verspürte einen Anflug von Erregung, wenn sie einander in die Augen schauten. Julius stand neben dem Fenster und beherrschte den Raum, während er noch auf die letzten Nachzügler wartete. Eine leichte Brise wehte von den Bergen herab und durchzog den Raum angenehm kühl; dennoch war die ungewisse Spannung, die in der Luft lag, schon beinahe qualvoll geworden. Octavian lachte nervös auf, als Cabera ein Seidenkissen unter seinem Gewand hervorzog, und Renius hielt seinen Weinbecher viel zu fest umklammert.

Als die Wache die Tür schloss und nach unten ging, stürzte Brutus seinen Wein mit einem großen Schluck hinunter und grinste dann. »Und? Sagst du uns denn jetzt endlich, warum wir uns hier alle versammelt haben, Julius?«

Alle sahen den vor ihnen stehenden Mann gespannt an. Die vertraute Abgespanntheit in seinen Zügen war verschwunden. Er stand straff und aufrecht in seiner frisch geölten Rüstung vor ihnen.

»Meine Herren. Servilia. Wir haben unsere Aufgabe hier beendet. Es wird Zeit, nach Hause zurückzukehren«, sagte er unvermittelt.

Einen Augenblick lang herrschte komplette Stille. Dann schreckte Servilia zusammen, als alle um sie herum zu jubeln und zu lachen begannen.

»Darauf trinke ich«, rief Renius und leerte seinen Becher in einem Zug.

Julius rollte eine Karte auf seinem Tisch auf, und sie drängten sich um ihn herum, während er die Ecken mit Gewichten beschwerte. Servilia fühlte sich ausgeschlossen, doch Julius fing ihren Blick auf und lächelte sie an. Alles würde gut werden.

Während er darüber diskutierte, wie man fünfzigtausend Mann verlegen sollte, fing sie im Geiste bereits an zu rechnen. Die Goldene Hand hatte eben erst angefangen, Gewinn abzuwerfen ... wer sollte die Geschäfte führen, wenn sie das Land jetzt schon wieder verließ? Angelina war dafür nicht resolut genug. Wenn Servilia sie damit beauftragte, würde sie innerhalb eines Jahres ein freies Haus führen. Nadia vielleicht? Sie hatte ein Herz aus Eisen und war auch erfahren genug, aber konnte man ihr auch vertrauen? Oder würde sie die Hälfte des Profits unterschlagen? Jäh wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als sie ihren eigenen Namen hörte.

»... in der Zeit jedenfalls nicht über Land. Servilia hat mich auf die Idee gebracht, als wir den Kapitän getroffen haben, mit dem sie Geschäfte macht. Ich werde Befehl geben, jedes Schiff, das hier vorbeikommt, zu beschlagnahmen. Aber darüber wird nur hier unter uns geredet. Wenn sie mitkriegen, dass wir ihre Schiffe haben wollen, laufen sie sofort wieder aus und bleiben auch draußen.«

»Warum ziehst du ab, bevor du deine Aufgabe hier erfüllt hast?«, meldete sich Cabera leise zu Wort.

Das Gespräch um den Tisch herum verstummte, und Julius’ Finger verharrten auf der Karte.

»Meine Aufgabe hier ist erfüllt. Ich dürfte schon gar nicht mehr hier sein«, erwiderte er. »Du selbst hast das gesagt. Wenn ich meine Amtszeit hier geduldig absitze, wird mich Pompeius wo anders hinschicken, weit weg von Rom. Und wenn ich mich weigere, dann wird das hier mein letztes Amt überhaupt gewesen sein. Dieser Mann gewährt einem niemals eine zweite Chance.« Julius klopfte mit dem Finger auf die Karte, auf die winzige Markierung für die Stadt, die er über alles liebte.

»Ende dieses Jahres gibt es Neuwahlen für die beiden Sitze der Konsuln. Ich gehe zurück, um mich für einen davon aufstellen zu lassen.«

Cabera zuckte die Schultern und versuchte es weiter. »Und dann? Willst du wie Sulla einen Krieg um Rom führen?«

Julius schwieg einen Augenblick und musterte Cabera durchdringend.

»Nein, alter Freund«, sagte er schließlich leise. »Aber dann werde ich nicht mehr länger nach Pompeius’ Gutdünken versetzt. Als Konsul bin ich unantastbar und wieder direkt am Puls des Geschehens.«

Cabera wollte es damit eigentlich bewenden lassen, doch seine Sturheit zwang ihn, weiterzusprechen.

»Und was kommt dann? Lässt du Brutus die Zehnte trainieren, während du neue Gesetze schreibst, die von den meisten Leuten ohnehin nicht verstanden werden? Wirst du dich dann genauso in Landkarten und Brückenbau verlieren, wie du es hier getan hast?«

Renius packte Cabera an der Schulter, um ihn zur Vernunft zu bringen, doch der alte Mann ignorierte seine Hand.

»Wenn du den richtigen Blick dafür hast, kannst du noch wesentlich mehr erreichen, als das, was du vorhast«, sagte er und zuckte zusammen, weil Renius den Griff um seine magere Schulter verstärkte und ihm wehtat.

»Wenn ich Konsul bin«, sagte Julius bedächtig, »werde ich das, was ich liebe, zu den wildesten Orten führen, die ich finden kann. Ist es das, was du von mir hören willst? Dass Spanien zu ruhig für mich ist? Das weiß ich auch. Ich werde dort meinen Weg finden, Cabera. Die Götter lauschen denen, die aus Rom sprechen, aufmerksamer. Sie können mich hier draußen einfach nicht hören.« Er lächelte, um seinen Zorn zu verbergen, und merkte, wie Servilia ihn über Octavians Schulter hinweg beobachtete. Renius ließ die Schulter des alten Mannes los, und Cabera sah ihn finster an.

Brutus ergriff rasch das Wort, um der Situation die Schärfe zu nehmen. »Was meinst du, wie lange es dauert, bis wir genug Schiffe haben, um die Zehnte zu verlegen, wenn wir gleich heute Abend anfangen zu beschlagnahmen?«

Julius nickte ihm dankbar zu. »Höchstens einen Monat. Ich habe dafür gesorgt, dass sich das Gerücht verbreitet, wir bräuchten Kapitäne für eine besonders große Fracht. Ich denke, wir brauchen nicht mehr als dreißig Schiffe, um nach Ostia überzusetzen. So wie die Dinge stehen, lässt mich der Senat niemals mit der ganzen Legion in Rom einziehen. Also brauche ich ein Lager an der Küste. Auf dieser ersten Reise nehme ich das Gold mit. Es reicht aus für das, was mir vorschwebt.«

Servilia hörte ihnen beim Streiten und Diskutieren zu, während hinter ihnen im Fenster langsam die Sonne unterging. Vor lauter Eifer nahmen sie kaum wahr, wie die Wache den Raum betrat und die Lampen anzündete. Nach geraumer Zeit ging Servilia hinaus, um ihre eigenen Vorkehrungen zu treffen. Die kühle Nachtluft im Hof war nach der drückenden Hitze in dem Raum eine Wohltat.

Sie hörte ihre Stimmen bis auf den Hof, und sie sah die Wachen Haltung annehmen, als sie ihrer gewahr wurden.

»Stimmt es, dass wir nach Rom zurückkehren, Herrin?«, fragte sie einer der beiden Männer, als sie an ihnen vorbeikam. Es überraschte sie keineswegs, dass der Mann die Neuigkeit schon gehört hatte. Schließlich stammten einige ihrer besten Informanten in Rom aus den niederen Rängen.

»Ja, das stimmt«, antwortete sie.

Der Mann lächelte. »Wurde auch langsam Zeit«, sagte er.

Als die Zehnte schließlich abrückte, ging alles sehr schnell. Schon einen Tag nach dem Treffen in dem langen Raum wurden zehn der größten Schiffe im Hafen von Valencia durch Legionäre am Auslaufen gehindert. Zum Verdruss der Handelskapitäne wurde ihre wertvolle Fracht gelöscht und in den Lagerhäusern des Hafens untergebracht, um Platz für die Unmengen an Ausrüstung und Soldaten zu schaffen, die eine Legion ausmachten.

Das Gold im Lager wurde in Kisten verpackt und zu den Schiffen gebracht. Voll bewaffnete Zenturien bewachten jeden einzelnen Schritt des Transportes. Die Schmieden der Schwertmacher wurden abgebaut und auf riesige hölzerne Paletten gebunden, die mithilfe von Ochsengespannen in die dunklen Laderäume gehievt werden mussten. Die großen Steinschleudern und Wurfmaschinen wurden zu Balken und Brettern zerlegt, und die schweren Schiffe sanken beim Beladen noch ein gutes Stück tiefer ins Wasser. Sie würden den Hafen nur bei Höchststand der Flut verlassen können. Julius hatte den Tag der Abreise auf genau einen Monat nach seiner offiziellen Verkündung der Abreise festgesetzt. Wenn alles gut ging, würden sie Rom in etwas mehr als einhundert Tagen vor der Wahl der Konsuln erreichen.

Der von Julius benannte Quästor war sehr ehrgeizig, und Julius wusste, dass er wie ein Sklave arbeiten würde, um seinen neuen Posten zu behalten. Die Disziplin in den spanischen Provinzen würde also auch nach dem Abmarsch der Zehnten aufrechterhalten werden. Unter Julius’ Befehl verlegte der Quästor zwei Kohorten in den Osten. Es waren einige einheimische Männer darunter, die sich schon vor Jahren dem römischen Heer angeschlossen hatten. Die Streitkraft dieser Truppe war durchaus ausreichend, um den Frieden sicherzustellen. Julius freute sich darüber, dass dieses Problem nun nicht mehr das seine war.

Bevor die Schiffe die Leinen losmachen und in See stechen konnten, mussten noch tausend andere Dinge organisiert werden. Julius trieb sich selbst beinahe bis zur völligen Erschöpfung an und schlief nur noch höchstens jede zweite Nacht. Er traf sich mit Anführern aus dem ganzen Land und erklärte ihnen, was vor sich ging. Die Geschenke, die er ihnen hinterließ, sicherten ihm ihre Hilfe und ihren Segen.

Der Quästor hatte still in sich hineingelächelt, als Julius ihm erzählt hatte, wie produktiv die neuen Minen während seiner Amtszeit geworden waren. Sie hatten sie gemeinsam in Augenschein genommen, und der Mann hatte die Gelegenheit genutzt, sich aus den Goldkisten der Zehnten einen Kredit zu sichern, den er über fünf Jahre zurückzahlen sollte. Diese Schuld würde bestehen bleiben, egal wer den Posten des Prätors letztendlich bekleiden würde. Die Minen würden weiter gefördert, und zumindest ein Teil des neuen Reichtums würde sicherlich auch deklariert werden. Allerdings erst, wenn der Posten dauerhaft vergeben war, dachte Julius lakonisch. Es war besser, die Gier von Männern wie Crassus in Rom nicht erst zu wecken.

Als Julius in den Hof hinaustrat, hielt er gegen das grelle Sonnenlicht schützend die Hand über die Augen. Die Tore standen offen, und das Lager erinnerte ihn an das Dorf mit der Statue Alexanders. Ein seltsamer Gedanke. Doch die neuen Kohorten wurden bereits im Morgengrauen erwartet, dann würde das Lager wieder zum Leben erwachen.

In dem gleißenden Licht sah er den jungen Mann, der am Tor stand und auf ihn wartete, zunächst gar nicht. Julius ging hinüber zu den Ställen und wurde aus seinen Tagträumen gerissen, als der andere ihn schließlich ansprach. Reflexartig suchte seine Hand den Griff seines Gladius.

»General? Hast du einen Moment Zeit für mich?«, fragte der Mann.

Julius erkannte ihn, und seine Augen wurden schmal. Er erinnerte sich an den Namen des Mannes, dessen Leben er verschont hatte. Adàn.

»Was gibt es?«, fragte er ungeduldig.

Adàn kam einen Schritt näher, und Julius behielt seine Hand am Griff des Schwertes. Er zweifelte nicht daran, dass er mit dem Spanier fertig werden würde, doch es konnten noch andere auf der Lauer liegen, und er lebte schon lange genug, um zu wissen, dass es ratsam war, immer auf der Hut zu sein. Seine Augen suchten das offene Tor nach sich bewegenden Schatten ab.

»Bürgermeister Del Subió hat gesagt, du suchst einen Schreiber, Herr. Ich kann Latein lesen und schreiben.«

Julius sah ihn misstrauisch an. »Hat Del Subió auch erwähnt, dass ich im Begriff bin, nach Rom zurückzukehren?«, fragte er.

Adàn nickte. »Das weiß jeder. Ich möchte Rom gerne sehen, aber vor allen Dingen möchte ich diese Stelle als Schreiber.«

Julius sah ihm in die Augen und versuchte ihn einzuschätzen. Er vertraute auf seine Intuition, die ihm sagte, dass in dem offenen Gesicht des Mannes keine Verschlagenheit lag. Vielleicht sagte der junge Spanier die Wahrheit, obwohl Julius, jetzt, da die Legion sich bereit machte, die Segel zu setzen, seine Motive etwas in Zweifel zog.

»Eine kostenlose Überfahrt nach Rom, und dann verschwindest du im Gewühl der Märkte, Adàn«, sagte er schließlich argwöhnisch.

Der junge Mann zuckte die Schultern. »Du hast mein Wort. Sonst kann ich dir nichts anbieten. Ich kann hart arbeiten, und ich möchte mehr von der Welt sehen. Das ist alles.«

»Und warum möchtest du dann ausgerechnet für mich arbeiten? Vor nicht allzu langer Zeit hattest du römisches Blut an deinen Händen.«

Adàn wurde rot, doch er hob den Kopf und ließ sich nicht einschüchtern. »Du bist ein ehrenwerter Mann, General. Ich würde es zwar lieber sehen, wenn Roms Hand sich nicht über mein Volk legte, aber du hast mich neugierig gemacht. Du würdest es nicht bereuen, mich in deine Dienste zu nehmen, das schwöre ich.«

Stirnrunzelnd musterte Julius ihn. Dem Mann schien die Gefährlichkeit seiner Worte gar nicht bewusst zu sein. Wieder fiel ihm ein, wie Adàn damals vor seinen Leuten in dem langen Raum gestanden hatte und wie bemüht er gewesen war, seine Angst nicht zu zeigen.

»Ich muss dir vertrauen können, Adàn. Ein solches Vertrauen kann erst mit der Zeit wachsen. Was du in meinen Diensten erfahren würdest, ist manch einem sehr viel Geld wert. Kann ich mich darauf verlassen, dass du meine Geschäfte geheim hältst?«

»Wie du bereits sagtest: Das wirst du erst im Lauf der Zeit erfahren. Mein Wort gilt jedenfalls.«

Julius’ Stirn glättete sich wieder, nachdem er seine Entscheidung getroffen hatte.

»Nun gut, Adàn. Geh hinauf in meine Räume und bring mir die Papiere von meinem Schreibtisch. Ich will dir einen Brief diktieren, um deine Schrift zu beurteilen. Danach bleibt dir noch Zeit genug, um deiner Familie Lebewohl zu sagen. In drei Tagen brechen wir nach Rom auf.«

7

Brutus erbrach sich hilflos über die Reling in die wogende See.

»Das hatte ich ganz vergessen«, sagte er mit kläglicher Stimme.

Ciro konnte als Antwort nur stöhnen, weil auch ihm die letzten Becher Wein, die sie in Valencia getrunken hatten, wieder hochkamen. Eine kräftige Böe wehte einen Teil der stinkenden Brühe wieder zurück, und Brutus erstarrte angeekelt.

»Geh ein Stück weg von mir, du Ochse!«, brüllte er, um den Wind zu übertönen. Obwohl sein Magen leer war, ließen die schmerzhaften Würgekrämpfe keineswegs nach, und der bittere Geschmack im Mund ließ ihn aufstöhnen.

Die Wolken waren vom Osten herangeweht, als die spanischen Gebirge gerade hinter ihnen am Horizont versanken. Der Schiffskonvoi hatte sich schon vor dem Sturm getrennt, weil sie zwangsläufig nicht miteinander Schritt halten konnten. Die mit Rudern bestückten Schiffe schienen den Kurs einigermaßen zu halten, obwohl das starke Schwanken die langen Ruderblätter abwechselnd auf der einen oder anderen Seite komplett aus dem Wasser hob. Die Händler, die auf ihre Segel angewiesen waren, zogen Treibanker hinter sich her. Die großen Bündel aus Segeltuch und Spieren sollten die Geschwindigkeit drosseln helfen und den schweren Rudern etwas Gegengewicht bieten, aber es nützte so gut wie nichts. Durch das Unwetter brach die Dunkelheit viel eher herein, woraufhin auch der Sichtkontakt zueinander verloren ging. Jetzt kämpfte jedes Schiff allein gegen die Wellen an.

Brutus stand zitternd am Heck, als die nächste Sturmböe eine große weiße Welle über die Reling spülte. Eisern umklammerte er die Streben, als ihm das Wasser um die Knie spülte und dann wieder ablief. Die Ruder klatschten und schlitterten haltlos auf den Wasserbergen umher, und Brutus fragte sich, ob das Schiff womöglich mit einem plötzlichen lauten Krachen irgendwo an Land gespült werden und zerbersten würde. Die schwarze Dunkelheit um sie herum war undurchdringlich, und obwohl Ciro nur ein paar Schritte neben ihm stand, konnte er dessen massige Gestalt kaum erkennen. Brutus hörte den großen Mann leise ächzen und schloss die Augen. Das alles sollte einfach nur aufhören. Alles war in bester Ordnung gewesen, bis sie aus dem Schutz der Küste herausgekommen waren, die gewaltigen Wellen der offenen See das Schiff von einer Seite zur anderen geworfen hatten und die Übelkeit von ihm Besitz ergriffen hatte. Zuerst hatte er nur rülpsen müssen, dann hatte er den plötzlichen Drang verspürt, rasch an die Reling zu eilen. Er wusste, dass es besser war, sich über das Heck zu übergeben. Die Männer unten verfügten nicht über diesen Luxus. So dicht gedrängt wie sie da unten in den Laderäumen hockten, musste es dort wahrlich albtraumhaft zugehen.

Mit den wenigen Gedanken, die sich mit etwas anderem als der Übelkeit beschäftigen konnten, wurde er sich dessen bewusst, dass sie zumindest für ein oder zwei Tage vor Ostia vor Anker liegen mussten. Die würden sie auch brauchen, um das Schiff zu reinigen und den Glanz der Zehnten wieder einigermaßen herzustellen. Wenn sie in diesem Zustand in den Hafen einliefen, mussten die Dockarbeiter glauben, sie seien gerade aus einer entsetzlichen Schlacht entkommen.

Brutus vernahm Schritte hinter sich. »Wer ist da?«, fragte er und streckte den Kopf vor, um die Gesichtszüge des Mannes besser zu sehen.

»Julius«, hörte er eine muntere Stimme hinter sich. »Ich habe hier etwas Wasser für dich. Dann hast du wenigstens etwas im Magen, womit du dich übergeben kannst.«

Brutus lächelte schwach, nahm aber dankbar den Wasserschlauch entgegen und presste den Mund an die bronzene Trinköffnung. Er spülte sich den Mund und spuckte dann aus, bevor er ein wenig Wasser durch seine Kehle laufen ließ. Dann nahm ihm Ciro den Wasserschlauch aus den Händen und schluckte ebenfalls gierig.

Brutus wusste, dass er eigentlich nach den Männern unten fragen sollte, oder nach dem Kurs, den sie einschlugen, um zwischen Sardinien und Korsika hindurchzusegeln, doch er konnte sich einfach nicht dazu aufraffen. Vor Übelkeit war sein Kopf ganz schwer geworden, und er konnte nur entschuldigend die Hand in Julius’ Richtung heben, bevor er schon wieder über der Reling hing. Wenn er sich nicht übergab, war es eigentlich noch schlimmer. Dann konnte er rein gar nichts tun, als sich der Übelkeit zu ergeben.

Als das Schiff sich plötzlich in einem Furcht erregenden Winkel zur Seite neigte, taumelten sie alle drei, und unten im Laderaum fiel etwas klirrend zu Boden. Julius’ Füße verloren auf dem schlüpfrigen Deck den Halt, aber Ciros Arm rettete ihn. Dankbar nickend holte er pfeifend Luft.

»Das habe ich vermisst«, sagte er ausgelassen zu den beiden anderen. »Im Dunkeln herumzutorkeln und weit und breit kein Land in Sicht.« Er beugte sich zu Ciro.

»Morgen hast du mit mir zusammen Spätwache. Wenn der Sturm erst einmal abgeflaut ist, werden dir die Sterne den Atem rauben. Die Übelkeit dauert nie länger als einen Tag, oder höchstens zwei.«

»Das will ich hoffen«, stieß Ciro skeptisch hervor. Soweit es ihn betraf, strapazierte Julius durch seine unanständige Fröhlichkeit gerade die Grenzen seiner Freundschaft, während er selbst hier auf ihrer aller Tod harrte. Mit Freuden hätte er einen ganzen Monatslohn gegen eine einzige ruhige Stunde gegeben, damit sich sein Magen endlich wieder beruhigte. Wenn die Übelkeit erst einmal vorbei war, konnte er wieder jedem Problem ins Gesicht sehen, dessen war er sich sicher.

Julius hangelte sich vorsichtig an der Reling entlang, um mit dem Kapitän zu sprechen. Der Händler hatte sich zwar unwirsch in seine neue Rolle ergeben, hatte aber sogar mit den Soldaten gesprochen, als sie sein Schiff beluden. Er hatte ihnen geraten, die Arbeit an Bord immer mit einer Hand zu erledigen und sich mit der anderen selbst irgendwo festzuklammern.

»Wenn ihr über Bord geht«, hatte er zu den Legionären gesagt, »ist das euer Ende. Selbst wenn ich umkehren würde, was ich natürlich nicht tue, ist es sogar bei ruhiger See so gut wie unmöglich, den Kopf eines Menschen auf dem Wasser zu erspähen. Wenn es aber windig ist, dann schluckt ihr besser gleich Wasser und geht sofort unter, dann geht es wenigstens schneller.«

»Sind wir noch auf Kurs, Kapitän?«, fragte Julius, als er sich der dunklen Gestalt näherte, die sich zum Schutz gegen den Wind unter einem schweren Öltuch zusammenkauerte.

»Nun ja, das kann ich erst mit Bestimmtheit sagen, wenn wir uns Sardinien nähern, aber diese Strecke hier bin ich bereits oft genug gefahren«, erwiderte der Kapitän. »Der Sturm kommt von Südost, und wir segeln am Wind.«

Julius konnte seine Züge in der undurchdringlichen Dunkelheit zwar nicht ausmachen, aber seine Stimme klang nicht besorgt. Als die ersten Sturmböen gegen das Schiff geklatscht waren, hatte er die Steuerruder in einem flachen Winkel festzurren lassen und seinen Posten eingenommen. Von dort aus rief er der Mannschaft, die unsichtbar an Deck herumhuschte, hin und wieder neue Befehle zu.

Mit der Reling im Rücken wiegte Julius sich im Rhythmus des Schiffes mit und genoss all dies ungemein. Seine Zeit auf der Accipiter, mit Gaditicus als Kapitän, schien eine Ewigkeit her zu sein, aber wenn er seine Gedanken schweifen ließ, hätte er jetzt wieder genauso gut dort stehen können, auf einem anderen Meer in der Dunkelheit. Er fragte sich, ob Ciro wohl jemals an die Zeit damals zurückdachte. Bei unzähligen Gelegenheiten hatten sie auf der Jagd nach dem Piraten, der ihr kleines Schiff zerstört hatte, ihr Leben aufs Spiel gesetzt.

Julius schloss die Augen und dachte an alle, die bei dieser Jagd umgekommen waren. Besonders Pelitas war ein sehr guter Mann gewesen. Er war jetzt schon lange tot. Damals war alles so einfach gewesen, als läge sein Weg offen vor ihm und warte nur darauf, dass er ihn betrat. Jetzt aber hatte er mehr Möglichkeiten zur Auswahl, als ihm lieb waren. Wenn er zum Konsul gewählt wurde, konnte er in Rom bleiben oder aber seine Legion in neue, unbekannte Länder irgendwo auf der Welt führen. Alexander hatte das schon vor ihm geschafft. Der Knabenkönig hatte seine Armeen gen Osten in Richtung der aufgehenden Sonne geführt, in Länder, die so weit entfernt lagen, dass sie selbst kaum mehr als eine Sage zu sein schienen. In gewisser Hinsicht sehnte sich Julius nach der wilden Freiheit, die er in Afrika und Griechenland kennen gelernt hatte. Niemanden überzeugen und sich vor niemandem rechtfertigen müssen, sondern einfach neue Wege einschlagen.

Bei dem Gedanken daran lächelte er in der Dunkelheit vor sich hin. Spanien lag hinter ihnen, und mit dem Sturm waren ihm alle seine Sorgen, festgefahrenen Gewohnheiten und lästigen Besprechungen von den Schultern genommen.

An die Reling gelehnt, hörte er wieder eilige Schritte von jemandem, der dringend seine letzte Mahlzeit loswerden wollte. Julius hörte Adàns empörten Ruf, als er feststellte, dass Ciro ihm den Weg verstellte. Der Spanier fluchte aufgebracht.

»Was ist denn das? Etwa ein Elefant? Mach schon Platz, du grober Klotz«, blaffte er, und Ciro lachte kurz auf. Es freute ihn, dass auch andere sein Elend teilten.

Der Regen fiel in Sturzbächen vom Himmel, und ein unerwartet greller Blitz irgendwo vor ihnen ließ alle zusammenzucken.

Unbeobachtet hob Julius die Hände gen Himmel und hieß in einem stillen Gebet den Sturm willkommen. Irgendwo vor ihnen lag Rom, und er fühlte sich so lebendig wie seit Jahren nicht mehr.

Der Regen strömte aus dem pechschwarzen Himmel über der Stadt. Obwohl Alexandria sich mit ihren beiden Wachen eigentlich hätte sicher fühlen müssen, fürchtete sie sich, weil die Nacht der dunklen Regenwolken wegen so früh hereinbrach. Ohne die Sonne leerten sich die Straßen rasch, die Familien verriegelten ihre Türen und zündeten die Abendlampen an. Das Straßenpflaster versank in einem zäh dahinfließenden Rinnsal aus Schmutz und Unrat, das ihre Füße umspülte und an ihnen kleben blieb. Beinahe wäre Alexandria auf einem verborgenen Pflasterstein ausgerutscht, und bei dem Gedanken, sich auch noch die Hände mit dem Zeug zu beschmutzen, verzog sie angewidert das Gesicht.

Die Straßen waren unbeleuchtet, und jede dunkle Gestalt, die einem entgegenkam, wirkte unweigerlich bedrohlich. Die Banden der Raptores hielten sicher Ausschau nach leichter Beute, die sie schänden oder ausrauben konnten, und Alexandria hoffte inständig, Teddus und sein Sohn würden sie einschüchtern.

»Halte dich dicht bei uns, Mädchen. Es dauert nicht mehr lange«, sagte Teddus, der vor ihr ging.

Wie er da so vor ihr herhumpelte, konnte sie zwar kaum seine Gestalt ausmachen, aber der beruhigende Klang seiner Stimme lenkte sie ein wenig von ihrer Furcht ab.

Der Wind trug in einem plötzlichen, süßlich-faulen Schwall den Geruch nach menschlichen Exkrementen heran, und Alexandria schluckte heftig, weil sie der Gestank zum Würgen brachte. Es war nicht leicht, keine Angst zu haben. Teddus war schon weit über seine besten Jahre hinaus, und von einer alten Beinverletzung hatte er diesen schwankenden, beinahe schon komischen Gang zurückbehalten. Sein mürrischer Sohn sprach fast nie ein Wort, und sie wusste nicht, ob sie ihm trauen konnte.

Auf dem Weg durch die verlassenen Straßen hörte Alexandria, wie die Türen, an denen sie vorbeigingen, von innen knarrend verriegelt wurden. Alle Familien trafen ihre Sicherheitsvorkehrungen. Die ehrbaren Bürger Roms hatten keinerlei Schutz vor den Räuberbanden, und nur wer sich Leibwächter leisten konnte, traute sich nach Einbruch der Dunkelheit noch auf die Straße.

An einer Straßenecke vor ihnen tauchte plötzlich eine Gruppe vermummter Gestalten auf, dunkle Schatten, die sie misstrauisch beäugten. Alexandria fing an zu zittern und hörte, wie Teddus sein Jagdmesser zog. Sie mussten entweder die Straßenseite wechseln oder direkt durch die Gruppe hindurchgehen, und Alexandria kämpfte gegen den Impuls an, einfach wegzurennen. Sie wusste, dass sie sterben würde, wenn sie sich von ihren Wachen entfernte. Nur dieser Gedanke ließ sie so gefasst wie möglich weiter auf die Straßenecke zumarschieren. Teddus’ Sohn ging jetzt direkt neben ihr und streifte ihren Arm, aber diese Berührung beruhigte sie keineswegs.

»Wir sind fast zu Hause«, sagte Teddus laut und deutlich, und das eigentlich mehr zu den Männern an der Straßenecke als zu Alexandria, die das ebenso gut wusste wie er. Er klang unbesorgt und hielt sein langes Messer dicht an der Seite, während sie an den düsteren Gestalten vorbeigingen. Es war viel zu dunkel, um ihre Gesichter zu erkennen, aber Alexandria roch nasse Wolle und einen unangenehmen Knoblauchgeruch. Als einer der Schatten sie an der Schulter anstieß, blieb ihr fast das Herz stehen. Sie stolperte. Teddus’ Sohn führte sie mit seiner Schwerthand weiter und zeigte den Männern dabei unmissverständlich seine Klinge. Die Kerle blieben wie angewurzelt stehen, und Alexandria spürte ihre starren, drohenden Blicke auf sich, als liege der Augenblick auf einer Waagschale. Nur ein kleiner Ausrutscher, und sie würden angreifen, dessen war sie sich sicher. Ihr Herz schlug immer schneller.

Dann waren sie endlich an ihnen vorbei. Teddus nahm sie fest beim Arm, und auf ihrer anderen Seite ging sein Sohn.

»Dreh dich ja nicht nach ihnen um, Mädchen«, flüsterte Teddus leise.

Sie nickte nur, obwohl sie wusste, dass er sie nicht sehen konnte. Folgten ihnen die Männer? Schlichen sie ihnen etwa hinterher wie wilde Hunde? Sie hätte gern einen Blick nach hinten geworfen, doch Teddus zog sie unerbittlich weiter durch die Straßen, immer weiter weg von dieser Ecke. Sein Humpeln wurde stärker, und sein Atem ging mühevoll und stoßweise, als sie die Straßenkreuzung endlich in sicherer Entfernung hinter sich gelassen hatten. Er sprach zwar nie darüber, aber sein rechtes Bein musste jeden Abend mit einer Salbe massiert werden, damit es am nächsten Morgen wieder sein Gewicht trug.

Über ihnen prasselte der Regen auf die Dächer der Häuser, in denen sich Menschen drängten, die genau wussten, warum man in der Dunkelheit nicht durch die Straßen ging. Alexandria riskierte einen Blick nach hinten, konnte aber nichts erkennen und bereute es sofort wieder. Wut stieg in ihr auf. Die Senatsmitglieder mussten nicht solche Ängste ausstehen wie sie. Sie verließen das Haus nie ohne bewaffnete Wachen, und die Raptores gingen ihnen tunlichst aus dem Weg, weil sie sofort erkannten, wer ihnen gefährlich werden konnte. Die Armen hingegen waren ihnen schutzlos ausgeliefert, und selbst am helllichten Tag ereigneten sich in den Straßen Überfälle und Auseinandersetzungen, bei denen nicht selten ein oder zwei Tote zurückblieben. Die Täter gingen dann ganz einfach steifbeinig davon, weil sie wussten, dass sie nicht verhaftet, geschweige denn überhaupt erst verfolgt wurden.

»Wir sind fast da, Mädchen«, sagte Teddus noch einmal. Dieses Mal meinte er es auch so.

Sie hörte die Erleichterung in seiner Stimme und fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn die Bande ebenfalls ihre Messer gezückt hätte. Wäre er für sie gestorben oder hätte er sie der Willkür der Räuber überlassen? Das konnte niemand wissen, aber in Gedanken überschlug sie die Kosten für eine dritte Wache. Doch wer sollte dann den Neuen überwachen?

Nach zwei weiteren Straßenecken hatten sie ihre Straße endlich erreicht. Die Häuser waren zwar größer als in dem Labyrinth, durch das sie gerade gekommen waren, aber das zähflüssige Schmutzrinnsal war hier durch den Regen noch weiter angewachsen. Als ihr etwas von der braunen Brühe unter der Stola bis ans Knie hochspritzte, verzog sie das Gesicht. Schon wieder ein paar Sandalen ruiniert. Das Leder würde diesen üblen Geruch niemals wieder verlieren, egal wie oft sie es auch einweichte.

Leise ächzend vor Schmerzen erreichte Teddus die Haustür als Erster und pochte an. Sie warteten schweigend, und die beiden Männer hielten nach links und rechts Ausschau, für den Fall, dass jemand darauf lauerte, hinter ihnen ins Haus hineinzustürmen. Nur ein paar Nächte zuvor war jemandem in einer nicht weit entfernten Straße genau das passiert. Und niemand hatte es gewagt, das eigene Haus zu verlassen und zu Hilfe zu eilen.

Alexandria hörte, wie sich von innen Schritte der Tür näherten.

»Wer ist da?«, hörte sie Atias Stimme, und Alexandria seufzte erleichtert, weil sie endlich zu Hause war. Sie kannte die Frau schon seit Jahren, und obwohl sie nur bei ihr im Haus lebte und für sie kochte, war sie für Alexandria in ganz Rom doch das, was einer Familie am nächsten kam.

»Ich bin’s, Ati«, antwortete sie.

Ein Lichtstrahl fiel hinaus auf die Straße, als sich die Tür öffnete, und sie schoben sich schnell hinein. Teddus wartete, bis sie von der Straße ins Haus getreten war, bevor er ihr folgte. Sorgfältig schob er den Riegel wieder vor, steckte schließlich sein Messer in die Scheide zurück, und erst dann fiel die Anspannung auch von ihm ab.

»Vielen Dank euch beiden«, sagte Alexandria.

Der Sohn sagte kein Wort, aber Teddus brummelte eine Antwort und tätschelte, wie um sicherzugehen, die dicke solide Außentür. »Dafür werden wir ja schließlich bezahlt«, sagte er.

Sie sah, dass er das schwache Bein ein wenig vom Boden angehoben und das Gewicht ganz auf das andere verlagert hatte. Mitfühlend sah sie ihn an. Es gab sehr unterschiedliche Arten von Mut.

»Ich bringe dir etwas Heißes zu trinken, sobald du dein Bein versorgt hast«, sagte sie.

Zu ihrer Überraschung wurde er rot. »Nicht nötig, Herrin. Ich und der Junge, wir kümmern uns schon um uns. Später vielleicht.«

Alexandria nickte, fragte sich jedoch, ob sie nicht vielleicht darauf hätte bestehen sollen. Teddus schien alles, was wie ein Freundschaftsangebot aussah, irgendwie unangenehm zu sein. Allem Anschein nach wollte er nichts weiter von ihr als regelmäßige Bezahlung, und sie hatte seine Reserviertheit bisher immer akzeptiert. Heute Abend jedoch war sie noch viel zu aufgewühlt und brauchte Menschen um sich herum.

»Ihr müsst doch Hunger haben. In der Küche steht noch kaltes Rindfleisch. Wenn du soweit bist, würde ich mich freuen, wenn ihr uns Gesellschaft leistet.«

Atia trat nervös von einem Fuß auf den anderen, und Teddus starrte einen Moment lang mit gerunzelter Stirn auf den Fußboden.

»Wenn du meinst, Herrin«, sagte er schließlich zögernd.

Alexandria schaute den beiden Männern nach, die sich umdrehten und in ihre Zimmer zurückzogen. Dann sah sie Atia an und lächelte über deren abweisenden Gesichtsausdruck.

»Du bist viel zu nett zu ihnen«, sagte Atia vorwurfsvoll. »Keiner von den beiden hat etwas Gutes an sich, weder der Vater noch der Sohn. Wenn du ihnen das Sagen im Haus überlässt, nutzen sie das sicher aus. Bedienstete sollten niemals vergessen, wo sie stehen, und schon gar nicht, wer sie bezahlt.«

Alexandria lächelte in sich hinein, weil die ausgestandene Angst dieses Abends endlich von ihr abfiel. Theoretisch gesehen war Atia selbst eine Bedienstete, auch wenn sie niemals darüber sprachen. Alexandria hatte sie kennen gelernt, als sie sich damals nach sauberen Räumen in der Stadt umgesehen hatte. Als ihre Goldschmiedewerkstatt weiter gewachsen war, war Atia mit ihr in das neue Haus gezogen, um ihr den Haushalt zu führen. Sie führte sich den anderen Bediensteten gegenüber wie eine Tyrannin auf, aber sie machte aus dem Haus ein richtiges Zuhause.

»Ich bin froh, dass sie mich begleitet haben, Atia. Die Raptores sind heute wegen des Unwetters sehr früh auf den Straßen, und ein oder zwei Becher heißer Wein sind ein fairer Preis für die Sicherheit. Und nun komm schon. Ich verhungere.«

Atia rümpfte zwar die Nase, doch auf dem Weg in die Küche überholte sie Alexandria eilig im Flur.

Das Senatsgebäude erstrahlte im Licht dutzender flackernder Lampen an den Wänden. Trotz des Regens, den man gedämpft draußen niederprasseln hörte, war es in dem hallenden Raum warm und trocken. Nur wenige der anwesenden Männer freuten sich auf den Heimweg, bei dem sie unweigerlich bis auf die Haut nass würden. Der Nachmittag war mit den Berichten über das der Stadt zur Verfügung stehende Geld sowie einer Reihe Abstimmungen hinsichtlich der Genehmigung höherer Aufwendungen für die Legionen, die in fernen Ländern die Pax Romana aufrechterhielten, dahingegangen. Obwohl die Erhöhungen recht deftig ausfielen, blieben noch genügend Reserven, um die Stadt über ein weiteres Jahr zu bringen. Die wohlige Wärme hatte einige der älteren Senatoren schläfrig gemacht, und nur der Sturm draußen hinderte sie daran, sich auf den Weg zu einem verspäteten Mahl und ihren Nachtlagern zu machen.

Senator Prandus stand auf dem Rednerpodest und ließ den Blick nach Zustimmung suchend über die im Halbkreis angeordneten Sitzbänke schweifen. Er ärgerte sich darüber, dass Pompeius mit einem Kollegen tuschelte, während er gerade seine Kandidatur für das Amt des Konsuls verkündete. Nur auf Pompeius’ Anfrage hin hatte er überhaupt eingewilligt, sich aufstellen zu lassen, also könnte Pompeius doch wenigstens ein wenig Aufmerksamkeit heucheln.

»Wenn ich für diesen Posten gewählt werde, dann beabsichtige ich, die Münzpräger unter einem Dach zu vereinen, um eine Währung einzuführen, auf die sich die Bürger auch verlassen können. Es sind zu viele Münzen im Umlauf, die nur vermeintlich aus Gold oder reinem Silber bestehen. Außerdem braucht jedes Geschäft seine eigene Waage, um das gegebene Geld zu wiegen. Eine einzige vom Senat autorisierte Prägeanstalt wird diese Verwirrung beenden und das Vertrauen wiederherstellen.«

Er sah Crassus die Stirn runzeln und fragte sich insgeheim, ob er wohl für ein paar der falschen Münzen verantwortlich war, die so viel Schaden anrichteten. Überrascht hätte es ihn jedenfalls nicht.

»Wenn mir die Bevölkerung das Recht zugesteht, auf dem Stuhl des Konsuls zu sitzen, werde ich die Interessen Roms vertreten und den Glauben an die Autorität des Senats wiederherstellen.« Pompeius blickte auf, und Prandus unterbrach abrupt seine Rede, weil er erst jetzt bemerkte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Jemand kicherte, und Prandus spürte, wie er langsam nervös wurde.

»... einen noch größeren Glauben in den Senat«, fügte er eilig hinzu, »Respekt gegenüber der Autorität und dem Regelwerk des Gesetzes. Eine Gerechtigkeit, die frei ist von Bestechlichkeit und Korruption.« Er hielt erneut inne, weil sein Kopf plötzlich völlig leer war.

»Es wird mir eine Ehre sein zu dienen. Vielen Dank«, brachte er schließlich noch hervor, stieg vom Rednerpult und setzte sich sichtlich erleichtert wieder auf seinen Platz in der ersten Bank. Einige Banknachbarn klopften ihm anerkennend auf die Schulter, und er entspannte sich wieder. Vielleicht war die Rede ja doch nicht so schlecht gewesen. Er schaute seinen Sohn Suetonius an, um zu sehen, wie er sie aufgenommen hatte, aber der junge Mann starrte nur mit ausdruckslosem Gesicht vor sich hin.

Pompeius ging zwischen den Sitzreihen entlang und lächelte Senator Prandus im Vorübergehen zu. Als der Konsul an das Rednerpult trat, erstarben die flüsternd begonnenen Unterhaltungen sofort. Pompeius sah völlig entspannt und zuversichtlich aus, stellte Prandus leicht irritiert fest.

»Ich danke den Kandidaten für ihre Worte«, sagte Pompeius und ließ einen Moment den Blick in stiller Anerkennung auf den entsprechenden Männern ruhen, bevor er fortfuhr. »Sie geben mir die Hoffnung, dass diese prächtige Stadt nach wie vor Männer hervorbringt, die gewillt sind, ihr selbstlos und ohne einen Gedanken an persönlichen Gewinn oder Ehrgeiz ihr Leben zu widmen.« Er wartete das zustimmende Gemurmel ab, lehnte sich dann nach vorne und stützte die Arme auf dem Pult auf.

»Die Wahl gibt meinen Bauarbeitern die Gelegenheit, dieses Haus hier zu vergrößern. Und für die Zwischenzeit, solange die Bauarbeiten hier vor sich gehen, bin ich gewillt, mein neues Theater zur Verfügung zu stellen. Das dürfte meiner Meinung nach ein durchaus angemessenes Provisorium abgeben.« Er lächelte sie an, und sie lächelten zurück, denn sie wussten alle, dass das Theater doppelt so groß und mindestens doppelt so luxuriös war wie das Senatsgebäude. Also gab es keine Gegenstimmen.

»Außer den Kandidaten, die wir bis jetzt gehört haben, müssen sich weitere mögliche Anwärter bis zum Volturnalia-Fest erklärt haben, welches von heute an gerechnet in zehn Tagen stattfindet. Lasst es mich also bitte rechtzeitig wissen. Bevor wir uns jetzt in den Regen hinauswagen, muss ich noch eine öffentliche Versammlung auf dem Forum für heute in einer Woche ankündigen. Crassus und ich werden uns dann in der Ansprache der Konsuln an die Bevölkerung wenden. Wenn einer der anderen Kandidaten die Gelegenheit ergreifen möchte, dort nach uns zu reden, sollte er mich bitte darauf ansprechen, bevor wir gehen.«

Pompeius sah Prandus einen kurzen Augenblick lang viel sagend in die Augen, bevor er fortfuhr. Es war alles arrangiert worden, und Prandus wusste, seine Kandidatur würde durch seine Verbindung zu den erfahreneren Männern sehr gestärkt werden. Er tat also gut daran, seine Rede gründlich einzustudieren, denn trotz Pompeius’ zahlreicher Versprechungen waren die Massen Roms ein mitunter recht schwieriges Publikum.

»Der Tag neigt sich dem Ende zu, verehrte Herren Senatoren. Erhebt euch zum Schwur«, sagte Pompeius mit lauter Stimme, um den Regen zu übertönen, der draußen immer noch auf die Stadt niederprasselte.

Der Sturm fegte drei volle Tage über die weit verstreuten Schiffe hinweg, brachte sie dabei aber ihrem Ziel immer näher. Als er endlich nachließ, fanden die Transportschiffe der Zehnten nur wieder langsam zusammen. Auf jedem der Schiffe herrschte eifrige Aktivität, weil die Besatzungen zunächst Segel und Ruder reparierten sowie Teer siedeten, um ihn dort zwischen die breiten Planken der Decks zu gießen, wo das Wasser eindrang. Wie von Brutus vorhergesagt, hatte Julius der Flotte den Befehl gegeben, vor Ostia zu ankern. Zwischen den Schiffen fuhren kleine Beiboote mit Vorräten und Zimmermännern hin und her, die dafür sorgten, dass man auch einer kritischen Beurteilung würde standhalten können. Die Sonne trocknete die Decks, und die Zehnte schrubbte die Laderäume der Schiffe mit Salzwasser und weißem Fett, um sie von dem Geruch nach Erbrochenem zu reinigen.

Erst als auch die Anker eingeholt und von Schlamm befreit worden waren, lief die Flotte mit Julius am Bug des ersten Schiffes in den Hafen ein. Einen Arm um die hochgezogene Bugspitze gelegt, stand er da und sog den Anblick seines Heimatlandes in vollen Zügen in sich auf. Wenn er nach hinten blickte, sah er die weißen Flügel der Ruderschiffe in Speerspitzenformation hinter sich, und dahinter die Segel der restlichen Schiffe. Hätte ihn in diesem Moment jemand danach gefragt, er hätte seine Gefühle nicht in Worte ausdrücken können, und er versuchte gar nicht erst, sie genau zu betrachten. In der frischen Seeluft waren seine Kopfschmerzen wie weggeblasen, und zum Dank für die sichere Überfahrt hatte er den Göttern in einer Kohlepfanne Räucherwerk entzündet.

Er wusste, dass die Zehnte auf den Wiesen jenseits des Hafens ein dauerhaftes Lager errichten konnte, während er sich auf dem Landweg nach Rom begab. Bei der Aussicht, endlich Familie und Freunde wiederzusehen, waren die einfachen Soldaten genauso aufgeregt wie die Offiziere. Doch es würde erst dann Ausgang gegeben, wenn das Lager errichtet und gesichert war. Fünftausend Mann waren viel zu viel, um sie auf seinem eigenen Anwesen unterzubringen. Eine so große Anzahl Menschen auch nur satt zu bekommen war ein großes Problem, und hier im Hafen waren die Preise günstiger. Wenn er nicht aufpasste, würde die Zehnte sein mitgebrachtes Gold auffressen wie eine Heuschreckenplage. Wenigstens würden sie ihren eigenen Sold in den Kneipen und Freudenhäusern der Stadt ausgeben.

Der Gedanke an sein Landgut rief eine Mischung aus Trauer und Erregung zugleich in ihm wach. Bald würde er sehen, wie groß seine Tochter geworden war, und er konnte wieder am Fluss entlanggehen, den sein Vater gestaut hatte, um ihn durch das Gut zu leiten. Bei dem Gedanken an seinen Vater verschwand Julius’ Lächeln sofort wieder. Das Familiengrab lag an der Straße nach Rom, und noch bevor er irgendetwas anderes tat, musste er die Gräber derjenigen aufsuchen, die er zurückgelassen hatte.

8

Crassus ließ sich vorsichtig bis zur Hüfte ins Wasserbecken gleiten und atmete den Dampf des Bades tief ein. Der marmorne Sockel an seinen Schultern fühlte sich eisig kalt an, als er sich, auf dem Podest im Becken sitzend, dagegen lehnte. Der Kontrast zwischen dem kalten Stein und dem warmen Wasser war überaus angenehm. Er spürte die Verspannungen im Nacken und winkte einen der Badesklaven herbei, damit er sie wegmassierte, während Crassus sich unterhielt.

Sämtliche anderen Männer im Becken waren seine Klienten und ihm über die monatlichen Zuwendungen hinaus treu ergeben. Crassus schloss genießerisch die Augen, als die kräftigen Hände des Sklaven seine Muskeln zu bearbeiten begannen, und bevor er zum Reden ansetzte, seufzte er wohlig auf.

»Meine Amtszeit als Konsul hat wenig Spuren in der Stadt hinterlassen, meine Herren.« Er lächelte trocken, als die Männer betroffen hin und her rutschten. Bevor sie protestieren konnten, fuhr er fort: »Ich dachte, ich könnte in meiner Amtszeit viel mehr erschaffen. Es gibt viel zu wenige Dinge, auf die ich zeigen und sagen kann: ›Das habe ich ganz allein bewerkstelligt.‹ Es hat den Anschein, als seien neu ausgehandelte Handelsbedingungen nicht gerade das, was die Mehrheit der Bürger wirklich bewegt.«

Ein bitterer Ausdruck legte sich über seine Züge, als er sie einen nach dem anderen musterte und gedankenverloren mit dem Finger eine Spur durch das glatte Wasser zog.

»Ja, ich habe ihnen Brot gegeben, als sie keines hatten, das schon. Doch als die Brotlaibe verzehrt waren, hatte sich nichts geändert. Ich habe ihnen ein paar Renntage aus meiner eigenen Tasche finanziert und einen Tempel auf dem Forum wieder aufbauen lassen. Doch ich frage mich, ob sie sich an dieses Jahr erinnern oder überhaupt jemals daran denken werden, dass ich einmal Konsul war.«

»Wir stehen dir treu zur Seite«, beteuerte einer der Männer, und seine Äußerung wurde von den anderen rasch mit zustimmendem Gemurmel bestätigt.

Crassus nickte und entließ einen verbitterten Stoßseufzer in die dampfige Atmosphäre. »Ich habe keine Kriege für sie gewonnen, versteht ihr? Darum katzbuckeln sie vor Pompeius, und der alte Crassus ist vergessen.«

Die Klienten wagten nicht, einander anzusehen und die Wahrheit von Crassus’ Worten in ihren eigenen Gesichtern bestätigt zu finden. Crassus hob angesichts ihrer offensichtlichen Beschämung die Augenbrauen und fuhr dann mit betont fester Stimme fort: »Ich will nicht, dass meine Amtszeit vergessen wird, meine Herren. Ich habe einen weiteren Tag auf der Rennbahn für sie erkauft. Das ist schon einmal ein Anfang. Ich will, dass meine Mieter als Erste Karten kaufen können. Und versucht, auch die Familien zu kriegen.« Er machte eine Pause und griff hinter sich nach einem Becher kühlen Wassers. Sofort hielt der Sklave mit der Massage inne und drückte ihm den Becher in die knochigen Hände. Crassus lächelte den Burschen an, bevor er fortfuhr.

»Die neuen Sesterze mit meinem Kopf darauf sind fertig. Ich brauche jeden Einzelnen von euch, um sie zu verteilen, meine Herren. Sie sollen nur an die ärmsten Haushalte vergeben werden.

Jeder Mann und jede Frau bekommt aber nur einen Sesterz. Dazu werdet ihr Wachen benötigen, und tragt auch immer nur eine kleine Summe bei euch.«

»Darf ich dir eine Idee unterbreiten, Konsul?«, fragte einer der Männer.

»Natürlich, Pareus«, erwiderte Crassus und hob fragend eine Braue.

»Stellt Männer zum Straßenputzen ein«, sagte er. Unter dem prüfenden Blick des Konsuls sprudelten seine Worte zu schnell hervor. »Große Teile der Stadt stinken, und die Bevölkerung würde es dir danken.«

Crassus lachte laut auf.

»Wenn ich tue, was du vorschlägst, hören sie dann auf, ihren Abfall auf die Straße zu werfen? ›Nein‹, werden sie sich sagen. ›Wirf es doch einfach weg. Der alte Crassus läuft uns mit dem Eimer hinterher und macht alles wieder sauber.‹ Nein, mein Freund. Wenn sie saubere Straßen wollen, dann sollen sie sich Lumpen und Wasser besorgen und sie selber säubern. Wenn der Gestank im Sommer unerträglich wird, sind sie vielleicht sogar dazu gezwungen. Das wird sie dann schon lehren, reinlicher zu sein.« Crassus sah, wie enttäuscht der Mann war, und sagte freundlich: »Ich bewundere jeden Mann, der nur das Beste von unserem Volk denkt. Aber es gibt leider zu viele Leute, die keinen Verstand besitzen und fortwährend die eigene Schwelle beschmutzen. Es ist sinnlos, an den guten Willen solcher Menschen zu appellieren.« Bei dem Gedanken daran lachte Crassus kurz auf und wurde wieder ernst.

»Andererseits ..., aber selbst wenn ich mich damit beliebt machte, nein! Ich will nicht als Crassus der Straßenfeger in Erinnerung bleiben. Wirklich nicht!«

»Und was ist mit den Räuberbanden?«, fuhr Pareus stur fort. »In manchen Bezirken sind sie völlig außer Kontrolle. Ein paar hundert Männer mit dem Auftrag, diese Banden zu vernichten, würden mehr für die Stadt tun, als ...«

»Du willst noch eine Bande, die die anderen Banden kontrolliert? Und wer würde die dann in Schach halten? Verlangst du dann eine weitere Bande, die die erste bändigt?« Verwundert über die Hartnäckigkeit des Mannes schüttelte Crassus verächtlich den Kopf.

»Eine Legionszenturie könnte ...«, stammelte der Mann und brach wieder ab.

Crassus setzte sich energisch auf, und eine Welle durchlief das Becken. Abwehrend hob er die Hand, und seine Klienten rutschten erneut nervös hin und her.

»Natürlich, Pareus. Eine Legion kann viele Dinge tun, aber mir steht keine zu Verfügung, wie du dich vielleicht erinnerst. Soll ich etwa Pompeius um noch mehr Soldaten anbetteln, damit sie in den armen Stadtbezirken patrouillieren? Er verlangt schon ein Vermögen für die Wachen bei den Rennen, und ich habe es satt, seinen Ruf mit meinem Gold zu unterstützen.« Crassus unterstrich seine Worte mit einer ausladenden Geste und warf dabei den Metallbecher um, der scheppernd über die Fliesen des Badehauses rollte.

»Genug fürs Erste, meine Herren. Im Augenblick habt ihr genug zu tun. Morgen habe ich weitere Aufträge für euch. Lasst mich für heute allein.«

Wortlos stiegen die Männer aus dem Becken und eilten hinaus, fort von ihrem gereizten Herrn.

Als er mit Octavian auf der Straße nach Rom davonritt, war Julius froh, den Lärm des Hafens hinter sich zu lassen. Da Brutus das Entladen der Männer und der Ausrüstung überwachte, würde die Arbeit bald erledigt sein. Die Zenturionen waren persönlich ausgewählt worden. Julius konnte darauf vertrauen, dass sie ihre Männer so lange im Griff behielten, bis den ersten Gruppen Urlaub gegeben werden konnte.

Er sah zu Octavian hinüber und stellte zufrieden fest, was für eine gute Figur er zu Pferde machte. Die Ausbildung mit den Extraordinarii hatte sein ungestümes Wesen gezähmt, und inzwischen ritt er, als wäre er im Sattel geboren worden. Von dem Gassenjungen, der bis zu seinem neunten Lebensjahr kein Pferd aus der Nähe gesehen hatte, war nichts mehr übrig.

Sie ließen ihre Pferde im Schritt auf den abgenutzten Steinplatten der Straße in Richtung Stadt trotten. Ab und zu mussten sie Sklaven ausweichen, die auf Botengängen die Straße entlangeilten, oder Karren, die Getreide und Wein transportierten, Edelsteine, Lederhäute, Werkzeuge aus Eisen oder Bronze und tausend andere Dinge, die für den hungrigen Schlund der vor ihnen liegenden Stadt bestimmt waren. Die Fahrer ließen ihre Peitschen geschickt über Ochsen und Esel knallen, und Julius wusste, dass sich die Reihe der Karren vom Meer bis zu den Marktplätzen hinzog.

Das gleichmäßige Klappern der Hufe war einschläfernd, doch Julius war so angespannt, dass seine Schultern schmerzten. Das Familiengrab lag etwas außerhalb der Stadt, und er hielt Ausschau danach, wartete darauf, es endlich vor sich zu sehen.

Die Sonne durchlief gerade ihren Zenit, als er spürte, dass er die Anspannung nicht mehr länger ertrug. Er gab seinem Wallach die Fersen, und Octavian passte sich seinem Tempo sofort an. Die beiden Männer galoppierten über die Pflastersteine dahin, gefolgt von den bewundernden Rufen und Pfiffen der Händler, die langsam hinter ihnen verschwanden.

Das Grab war sehr schlicht, aus dunklem Marmor gehauen, ein rechteckiger, schwerer Steinblock neben der Straße, weniger als eine Meile vor den großen Toren der Stadt. Julius schwitzte, als er abstieg und sein Pferd zu dem Gras zwischen den Gräberreihen führte, das durch tote Römer so üppig geworden war.

»Das hier ist es«, flüsterte Julius und ließ die Zügel aus der Hand gleiten. Er las die Namen, die in den Stein gemeißelt waren, und schloss einen Moment gequält die Augen, als er den Namen seiner Mutter erblickte. Er hatte es beinahe geahnt, aber die Gewissheit, dass ihre Asche tatsächlich hier begraben war, schmerzte ihn doch unerwartet stark, und seine Augen füllten sich mit Tränen.

Selbst nach mehr als einem Jahrzehnt war auch der Name seines Vaters noch deutlich zu lesen, und Julius senkte den Kopf, als er die Fingerspitzen über die Buchstaben gleiten ließ und die Linien nachzog.

Der dritte Name war noch immer so gestochen scharf eingemeißelt wie der Schmerz, den er spürte, als er ihn las. Cornelia. Der Sonne und seiner Umarmung entzogen. Nie wieder würde er sie in die Arme nehmen können.

»Hast du den Wein, Octavian?«, fragte Julius nach einer Weile leise. Er versuchte sich aufzurichten, doch die Hand, die er auf den Stein gelegt hatte, schien daran festgewachsen zu sein, er konnte ihn nicht loslassen. Er hörte, wie Octavian in den Satteltaschen kramte, und spürte schließlich den kühlen Ton der Amphore, die ihn mehr als den Monatssold für einen seiner Männer gekostet hatte. Er hatte nur das Beste nehmen wollen, um die zu ehren, die er über alles liebte.

Oben auf dem Grabstein war eine flache Schale in den Marmor eingehauen, die in ein Loch mündete, das nicht viel größer war als eine Kupfermünze. Während Julius das Siegel an der Amphore brach, fragte er sich nachdenklich, ob Clodia jemals seine Tochter hierher mitgenommen hatte, um die Toten zu laben. Er glaubte nicht, dass die alte Frau Cornelia vergessen hatte, genauso wenig wie er selbst.

Der dunkelrote Wein ergoss sich glucksend in die Schale, und Julius hörte, wie er durch das Loch im Stein in die Grabkammer tropfte.

»Dieser Becher ist für meinen Vater, der mich stark gemacht hat«, flüsterte er. »Und dieser ist für meine Mutter, die mir ihre Liebe gegeben hat. Und der letzte ist für meine Frau.« Wie hypnotisiert von dem satten Geräusch des Weines, der im Innern des Grabes verschwand, hielt er inne. »Für Cornelia, die ich geliebt habe und immer noch in Ehren halte.«

Als er die Amphore schließlich an Octavian zurückgab, waren seine Augen vom Weinen gerötet.

»Binde sie nur ja wieder gut zu, mein Junge. Wir müssen noch ein anderes Grab besuchen, wenn wir nach Hause kommen. Und Tubruk wird sich nicht mit einem Becher zufrieden geben.« Julius zwang sich zu einem Lächeln. Er spürte, wie etwas von seiner Trauer von ihm abfiel, als er sein Pferd wieder bestieg. Die Hufe des Wallachs klapperten laut genug, um die unheimliche Stille der Grabreihen zu brechen.

Als Julius sich dem Gut näherte, spürte er so etwas wie Angst in sich aufsteigen. Mit dem Anwesen waren so viele Erinnerungen und so viel Schmerz verbunden. Sein schon in Kindertagen geübtes Auge bemerkte das grobe Unkraut zwischen den zurückgebliebenen Ähren. Er sah eine leise Andeutung von Verfall in jedem überwucherten Weg und in jeder schlecht reparierten Mauer. Man hörte das leise Summen der Bienenstöcke, und bei diesem Geräusch brannten seine Augen.

Der Anblick der weißen Mauern um das Hauptgebäude weckte einen dumpfen Schmerz in seinem Inneren. Die Farbe war fleckig, hier und da war sie abgeplatzt, und Julius fühlte sich schuldig, weil er sich so wenig um das alles gekümmert hatte. In seiner Erinnerung war das Haus irgendwie mit jeder seiner inneren Wunden verbunden, und nicht ein einziges Mal hatte er seiner Tochter oder Clodia geschrieben. Er umklammerte die Zügel und hielt sein Pferd zurück, jeder einzelne Schritt auf das Haus zu schmerzte ihn mehr.

Dort, wo er immer nach seinem Vater Ausschau gehalten hatte, wenn dieser von der Stadt nach Hause kam, stand jetzt eine Torwache. Dahinter lagen die Stallungen, wo er seinen ersten Kuss bekommen hatte, und der Hof, in dem er vor etlichen Jahren beinahe durch Renius’ Hand getötet worden war. Trotz seines heruntergekommenen Äußeren war das Gut überall dort, wo es darauf ankam, noch immer dasselbe, ein fester Ankerplatz in den Wechselfällen seines Lebens. Und doch hätte er in diesem Moment alles dafür gegeben, wenn Cornelia noch da gewesen wäre oder Tubruk herauskäme, um ihn zu begrüßen.

Er hielt vor dem Tor und wartete wortlos. In Gedanken klammerte er sich so sehr an seine Erinnerungen, als könnten sie Wirklichkeit bleiben, bis das Öffnen des Tores alles wieder änderte.

Oben an der Mauer erschien ein Mann, den Julius nicht kannte, und er lächelte bei dem Gedanken an die Treppe, die seinem Blick von hier aus entzogen war. Seine Treppe, sein Zuhause.

»Was wollt ihr hier?«, fragte der Mann in neutralem Ton. Obwohl Julius nur eine einfache Rüstung trug, verlieh ihm seine stumme Begutachtung der Mauern eine gewisse Autorität, die der Mann sofort gespürt hatte.

»Ich bin gekommen, um Clodia und meine Tochter zu sehen«, erwiderte Julius.

Für den Bruchteil einer Sekunde wurden die Augen des Mannes riesengroß, dann aber verschwand er sofort, um Bescheid zu geben.

Die Torflügel schwangen langsam auf, und mit Octavian an seiner Seite ritt Julius zwischen ihnen hindurch in den Hof hinein. In der Ferne hörte er, wie jemand Clodias Namen rief, doch die Erinnerung an die Vergangenheit hielt ihn immer noch in ihrem Bann. Er atmete tief durch.

Bei der Verteidigung dieser Mauern war sein Vater gestorben, und Tubruk hatte ihn auf den Schultern durch dieses Tor getragen. Ein Schauer überlief ihn trotz der warmen Sonnenstrahlen. Es gab hier einfach zu viele Gespenster, und er fragte sich, ob er wohl jemals wieder behaglich hier würde leben können, wo ihn jeder Winkel an seine Vergangenheit erinnerte.

Clodia kam aus dem Haus geeilt, und als sie ihn erblickte, blieb sie wie erstarrt stehen. Julius stieg vom Pferd, und sie verbeugte sich tief. Das Alter war nicht gut zu ihr gewesen, dachte er, während er sie an den Schultern hochzog und sie umarmte. Sie war immer eine kräftige, tüchtige Frau gewesen, aber in ihr Gesicht hatte sich mehr eingegraben als nur die Zeit. Wenn Tubruk noch am Leben gewesen wäre, hätte sie ihn geheiratet, aber diese Chance auf ein bisschen Glück war ihr von denselben Dolchen genommen worden, die ihm Cornelia geraubt hatten.

Als sie das Gesicht hob, sah er Tränen in ihren Augen, und dieser Anblick ließ seine eigene Trauer noch mehr hervorbrechen. Sie hatten den Verlust gemeinsam erlitten, und die schmerzhaften Erinnerungen daran trafen Julius mit voller Wucht. Es war, als wäre die Zeit in dem Moment stehen geblieben, als der Sklavenaufstand den Süden überrollte und sie hier in diesem Hof einander gegenübergestanden hatten. Damals hatte sie versprochen, hier zu bleiben und seine Tochter aufzuziehen. Das waren die letzten Worte gewesen, die sie miteinander gesprochen hatten, bevor er fortgegangen war.

»Du warst so lange weg ... ohne eine Nachricht, Julius. Ich wusste nicht, wohin ich die Kunde vom Tod deiner Mutter hätte schicken sollen«, sagte sie. Während sie sprach, liefen ihr erneut die Tränen über die Wangen, und Julius drückte sie fest an sich.

»Ich ... ich wusste, dass es irgendwann passieren würde. War es sehr schlimm?«

Clodia schüttelte den Kopf und wischte sich die Augen.

»Kurz vor ihrem Ende hat sie noch von dir gesprochen, und Julia war ihr ein großer Trost. Sie hat keine Schmerzen gehabt. Überhaupt keine.«

»Das freut mich«, sagte Julius leise. Lange Zeit war seine Mutter für ihn nur eine entfernte Gestalt gewesen, so dass es ihn jetzt selbst überraschte, wie sehr er es bedauerte, dass er sie nie wiedersehen, nie wieder an ihrem Bett sitzen würde, um ihr alles über Spanien und die Schlachten zu erzählen, die er miterlebt hatte. Wie oft war er zu ihr gekommen, um ihr zu berichten, was er mit seinem Leben angefangen hatte? Selbst als ihr die Krankheit den Verstand geraubt hatte, schien sie ihn noch zu hören, doch jetzt war niemand mehr da. Kein Vater, zu dem er kommen konnte, kein Tubruk, der über seine Fehler lachte, niemand mehr auf der ganzen Welt, der ihn bedingungslos liebte. Die Sehnsucht nach ihnen allen schmerzte.

»Wo ist Julia?«, fragte er und löste sich aus der Umarmung.

Clodias Gesicht veränderte sich, als Stolz und Liebe in ihren Zügen aufleuchteten. »Sie ist ausgeritten. Sie reitet so oft wie möglich mit ihrem Pony in den Wald. Sie sieht aus wie Cornelia, Julius. Sie hat das gleiche Haar, und manchmal, wenn sie lacht, ist es so, als seien die letzten dreißig Jahre gar nicht vergangen und sie wäre wieder hier bei mir.« Clodia sah, wie er sich versteifte, und deutete seine Anspannung falsch. »Ich lasse sie niemals alleine ausreiten. Zur Sicherheit hat sie immer zwei Bedienstete dabei.«

»Wird sie mich wiedererkennen?«, fragte Julius, dem plötzlich unbehaglich zumute wurde. Er schaute zum Tor, als könne allein die Erwähnung ihres Namens Julia herbeirufen. Er erinnerte sich nur an sehr wenig von der kleinen Tochter, die er damals in Clodias Obhut zurückgelassen hatte. Nur an ein zerbrechliches kleines Mädchen, das er getröstet hatte, als ihre Mutter in einem dunklen Raum aufgebahrt gewesen war. Die Erinnerung ihrer kleinen Arme um seinen Hals war plötzlich seltsam klar.

»Aber ganz bestimmt. Sie fragt mich immer nach allen möglichen Geschichten von dir, und ich habe ihr alles erzählt, was ich weiß.«

Clodias Blick glitt an ihm vorbei und fiel auf Octavian, der steif neben den Pferden stand.

»Octavian?«, fragte Clodia ungläubig. Sie wollte die Veränderung kaum glauben.

Bevor er sich noch dagegen wehren konnte, war sie schon zu ihm gerannt und drückte ihn fest an sich. Julius musste über sein offensichtliches Unbehagen grinsen.

»Wir haben Staub in der Kehle, Clodia. Willst du uns denn den ganzen Tag hier draußen herumstehen lassen?«

Clodia ließ den sich sträubenden Octavian los.

»Oh, natürlich. Gebt eure Pferde einem der Jungen da drüben. Ich gehe sofort in die Küche. Inzwischen sind nur noch ein paar Sklaven und ich übrig. Ohne Papiere, die mir Vollmacht erteilen, würden die Händler keine Geschäfte mit mir machen. Ohne Tubruk, der überall nach dem Rechten sieht, war es ...«

Julius wurde schamrot, weil Clodia wieder den Tränen nahe war. Jetzt erst wurde ihm klar, wie sträflich er seine Pflicht ihr gegenüber vernachlässigt hatte, und er wunderte sich über seine eigene Blindheit. Sie spielte die vielen entbehrungsreichen, arbeitsamen Jahre herunter, und zu seiner Schande musste er sich eingestehen, dass er ihr ihre Bürde tatsächlich hätte erleichtern können. Bevor er weggegangen war, hätte er Tubruk ersetzen und ihr die Verwaltung der Gelder übertragen sollen. Clodia schien plötzlich ganz verstört bei dem Gedanken, dass Julius jetzt das Haus sehen würde, das sie als ihr eigenes zu betrachten begonnen hatte. Beruhigend legte er ihr eine Hand auf den Arm.

»Mehr hätte ich nicht verlangen können«, sagte er.

Ihre Anspannung löste sich ein wenig. Während die Pferde zum Striegeln und Füttern weggeführt wurden, huschte Clodia vor den beiden Männern ins Haus. Julius schluckte trocken, als er den Hof verließ und die Räume seiner Kindheit betrat.

Kurz nachdem lautes Hufgetrappel Julias Rückkehr verkündet hatte, wurde das Mahl, das Clodia ihnen aufgetischt hatte, von einem reizenden, hellen Ruf von draußen unterbrochen. Julius hatte gerade den Mund voller Brot und Honig, sprang jedoch sofort auf und trat hinaus in die Sonne. Eigentlich hatte er sich vorgestellt, sie würde zu ihm hereinkommen und ihn förmlich begrüßen, doch beim Klang ihrer Stimme hatte seine Geduld ein Ende. Er konnte unmöglich noch länger auf sie warten.

Obwohl sie erst zehn Sommer hatte ins Land gehen sehen, war sie bereits das Ebenbild ihrer Mutter. Sie trug ihr dunkles Haar in einem Zopf, der ihr über den Rücken herabfiel. Julius lachte, als er zusah, wie das Mädchen mit einem Satz von seinem Pony sprang, geschäftig um es herumrannte und ihm mit den Fingern durch Mähne und Schweif fuhr, um Dornen und Kletten herauszukämmen.

Beim Klang der fremden Stimme zuckte seine Tochter zusammen und drehte sich um, um zu sehen, wer es wagte, sie in ihrem eigenen Hause auszulachen. Als sie Julius’ Augen sah, runzelte sie misstrauisch die Stirn. Julius betrachtete sie genau, als sie auf ihn zukam. Fragend hielt sie den Kopf zur Seite geneigt, so wie Cornelia es immer getan hatte.

Sie schritt selbstbewusst aus, stellte er zufrieden fest. Die Herrin eines Anwesens kam auf ihre Gäste zu. Zum Reiten trug sie eine abgetragene, helle Tunika und Beinlinge, und mit den zurückgebundenen Haaren und noch ohne sichtbaren Brustansatz hätte man sie für einen Jungen halten können. Er bemerkte einen einfachen silbernen Armreif an ihrem Handgelenk und erkannte ihn als ein Schmuckstück wieder, das einmal seiner Mutter gehört hatte.

Auch Clodia war herausgekommen, um Zeugin des Wiedersehens zu werden. Sie lächelte sie beide mit mütterlichem Stolz an.

»Das ist dein Vater, Julia«, sagte sie. Das Mädchen erstarrte augenblicklich, obwohl sie sich gerade Staub hatte vom Ärmel klopfen wollen. Dann sah sie Julius ernst und fragend an.

»Ich kann mich an dich erinnern«, sagte sie langsam. »Bleibst du jetzt hier?«

»Eine Zeit lang«, antwortete Julius genauso ernsthaft.

Das kleine Mädchen ließ die Nachricht auf sich wirken und nickte schließlich.

»Kaufst du mir dann ein Pferd? Ich werde zu groß für den alten Gibi, und Recidus sagt, ich würde mich gut auf einem Pferd mit ein bisschen mehr Feuer machen.«

Julius blinzelte sie an. Ein wenig von der Vergangenheit schien in seiner Belustigung zu verblassen.

»Ich werde eine wahre Schönheit für dich aussuchen«, versprach er und wurde dafür mit einem Lächeln belohnt, das ihn schmerzhaft an die Frau erinnerte, die er verloren hatte.

Alexandria wich vor der Hitze des Ofens zurück. Sie sah zu, wie Tabbic den Becher mit dem geschmolzenen Gold wegnahm und über die Eingusslöcher in den Tonformen hielt.

»Und jetzt ganz vorsichtig«, sagte sie unnötigerweise, als Tabbic ohne jegliches Zittern den Tiegel mit dem langen hölzernen Griff neigte. Als das Gold zischend und gluckernd in die Form floss, erwiesen sie beide dem flüssigen Metall den Respekt, denn es verdiente. Nur ein einziger Spritzer davon konnte sich bis auf den Knochen durch die Haut brennen, und jeder Arbeitsschritt musste sehr langsam und sorgfältig ausgeführt werden. Alexandria nickte zufrieden, als Dampf aus den Luftlöchern der Tonform aufstieg. Der tiefe, glucksende Ton wurde immer heller, bis die Form voll war. Wenn das Gold abgekühlt war, würde der Ton mühsam entfernt werden. Darunter würde eine Maske zum Vorschein kommen, die genauso vollkommen war wie das Gesicht der Frau, die sie darstellte. Auf die Bitte eines Senators hin hatte Alexandria die unangenehme Aufgabe erfüllt, seiner Frau nur wenige Stunden nach ihrem Tod einen Abdruck abzunehmen. Danach hatte sie drei unvollkommene Masken aus Ton angefertigt, während sie versucht hatte, die Spuren des Verfalls zu glätten. Dort, wo die Krankheit das Fleisch zerstört hatte, hatte sie mit größter Sorgfalt die Nase nachgebildet, und schließlich war der Mann in Tränen ausgebrochen, als er das genaue Ebenbild der Frau vor sich sah, die der Tod ihm genommen hatte. In Gold würde sie für immer jung bleiben, selbst wenn der Mann, der sie liebte, schon längst zu Staub zerfallen war.

Alexandria hielt eine Hand an die Tonform und spürte die darin gefangene Hitze. Ob wohl jemals ein Mann sie so sehr lieben würde, um ihr Bildnis ein Leben lang bei sich zu behalten?

Tief in Gedanken versunken, hörte sie nicht, wie Brutus hinter ihr die Werkstatt betrat. Während er sie noch beobachtete, entstand eine merkwürdige Stille, und etwas, das sie nicht hätte beim Namen nennen können, bewog sie dazu, sich schließlich umzudrehen.

»Bring den guten Wein und zieh dich aus«, sagte er. Wie gebannt ruhte sein Blick auf ihr, und den mit offenem Mund dastehenden Tabbic bemerkte er überhaupt nicht. »Ich bin wieder da, Mädchen. Julius ist zurück, und wenn wir hier fertig sind, steht ganz Rom Kopf.«

9

Brutus tätschelte Alexandrias Oberschenkel. Als sie im Sonnenuntergang zum Gut hinausgeritten waren, freute er sich einfach nur daran, sie hinter sich auf dem Sattel zu spüren. Nachdem er den ganzen Tag mit ihr im Bett verbracht hatte, fühlte er sich so entspannt und zufrieden mit der Welt wie schon lange nicht mehr. Wenn nur jede Heimkehr so wie diese sein könnte.

Sie war das Reiten nicht gewohnt und drückte sich fest an ihn. Brutus spürte, wie ihm der Wind einige ihrer Haarsträhnen in den Nacken peitschte, und er empfand dieses Gefühl als außerordentlich erotisch. Während seiner Abwesenheit war sie stark geworden. Ihr Körper war straff und strotzte nur so vor Gesundheit, auch ihr Gesicht hatte sich ein wenig verändert. Auf die Stirn hatte ein Spritzer flüssiges Metall eine Narbe eingebrannt, die beinahe wie eine Träne aussah.

Ihr schwarzer Umhang flatterte im Wind um ihn herum, und er griff nach einem Zipfel und zog sie näher zu sich heran. Sie legte die Arme um seine Brust und atmete tief ein. Die Luft war angenehm warm, weil der Boden die Hitze des Tages abstrahlte. Brutus wünschte sich nur, dass jemand jetzt sehen könnte, was für ein schönes Paar sie abgaben, wie sie quer über die Felder auf das Gut zuritten.

Er konnte es schon von weitem ausmachen. In der einsetzenden Dunkelheit verschmolzen die Lichter der Fackeln miteinander und gaben den Mauern das Aussehen einer Lichterkrone. Brutus zügelte sein Pferd ein wenig, denn einen Moment lang hatte er geglaubt, Tubruk am offenen Tor auf ihn warten zu sehen.

Als er sah, wie das Pferd in Schritt fiel, blieb Julius stumm, denn er erahnte und verstand Brutus’ Gedanken. Er besänftigte seine Ungeduld und dankte insgeheim den Göttern für die Ankunft seines Freundes. Es war gut und richtig, dass er hier war. Die beiden Männer lächelten einander wehmütig an, als sich Brutus im Sattel nach hinten drehte, um zuerst Alexandria beim Absteigen behilflich zu sein, und dann selbst neben ihr vom Pferd sprang.

Julius küsste Alexandria auf die Wange. »Es ist mir eine Ehre, dich in meinem Haus zu haben. Die Diener begleiten dich ins Haus. Ich möchte hier draußen noch ein paar Worte mit Brutus wechseln«, sagte er zu ihr. Ihre Augen blitzten kurz auf, und er fragte sich, ob sie wohl, wie er selbst auch, manchmal an einen ganz bestimmten Abend zurückdachte.

Als sie im Haus verschwunden war, holte Julius tief Luft und schlug Brutus freundschaftlich auf die Schulter.

»Ich kann einfach nicht glauben, dass Tubruk nicht mehr hier ist«, sagte er traurig und sah dabei über die Felder.

Brutus betrachtete ihn schweigend, bückte sich dann und hob eine Handvoll Erde auf.

»Weißt du noch, wie er dich das hier in die Hand hat nehmen lassen?«, fragte er.

Julius nickte gedankenvoll und tat es ihm nach. Brutus freute sich, als er sah, dass Julius lächelte, während er die staubige Erde langsam in den sanften Wind rieseln ließ.

»Getränkt mit dem Blut derjenigen, die vor uns gegangen sind«, sagte er.

»Und unserem eigenen. Er war ein guter Mann«, fuhr Brutus fort, ließ auch seine Handvoll Erde im Wind verwehen und klatschte dann energisch in die Hände. »Du wirst dir jemand Neues suchen müssen, der dafür sorgt, dass die Felder wieder gepflügt werden. Ich habe das Gut noch nie so vernachlässigt gesehen. Aber wenigstens bist du jetzt wieder da.«

Julius sah ihn stirnrunzelnd an. »Ich habe mich schon gefragt, wohin du verschwunden bist, aber ich sehe, du hast eine bessere Betätigung gefunden, als dich um das Lager in Ostia zu kümmern.«

Julius konnte seinem Freund einfach nicht böse sein, obwohl er vorgehabt hatte, ihm eine deutlichere Rüge zu erteilen.

»Renius hatte dort alles im Griff. Außerdem ist es ganz gut, dass ich nicht dort geblieben bin«, erwiderte Brutus. »Alexandria hat mir erzählt, dass morgen auf dem Forum eine öffentliche Debatte stattfindet, deshalb bin ich direkt hierher geritten, um dir Bescheid zu sagen.«

»Das weiß ich bereits. Sobald Servilia davon erfahren hatte, hat sie es mir mitgeteilt. Ich bin aber trotzdem froh, dass du gekommen bist. Ich hätte ohnehin nach dir geschickt, auch wenn du meinen Befehlen nicht zuwider gehandelt hättest.«

Brutus sah seinen Freund forschend an und versuchte herauszufinden, wie ernst diese Kritik gemeint war. Die Anstrengung und Erschöpfung der Zeit in Spanien waren aus Julius’ Gesicht gewichen. Er sah so jung aus wie schon lange nicht mehr. Brutus wartete noch einen Augenblick.

»Ist mir vergeben?«, fragte er schließlich.

»Aber ja«, antwortete Julius. »Und jetzt komm ins Haus und sieh dir meine Tochter an. Ein Zimmer steht schon für dich bereit; ich will dich bei mir haben, um eine Kampagne zu planen. Du bist als Letzter gekommen.«

Sie gingen nebeneinander durch den Hof, in dem nur das unruhige Flackern der Lampen entlang der Mauer zu hören war. Als die Tore hinter ihnen geschlossen wurden, strich eine leichte Brise über sie hinweg. Brutus spürte, wie sich die Härchen auf seinen Armen aufrichteten; er fröstelte. Julius öffnete die Tür zu einem Raum voller Leben und Lärm, und er zog den Kopf ein, um einzutreten und verspürte den ersten Schauer der Erregung.

Wie er kurz darauf feststellte, hatte Julius sie alle zusammenrufen lassen. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen und begrüßte seine Freunde. Mit Alexandria waren jetzt alle Menschen, an denen ihm etwas lag, hier in diesem einen Raum versammelt. Und alle hatten sie die leuchtenden Augen freudiger Verschwörer, die planten, wie eine Stadt zu regieren wäre. Servilia, Cabera, Domitius, Ciro, Octavian ... alle hatte Julius an seine Seite gerufen. Der einzige Fremde war der junge Spanier, der als Schreiber mit Julius hierher gekommen war. Genauso wie Brutus schaute auch Adàn von einem Gesicht zum anderen. Als sich ihre Blicke trafen, nickte Brutus ihm zu und erkannte ihn damit in ihrer Runde an. Julius hatte das sicher so gewollt.

Brutus sah, wie steif und unsicher Alexandria inmitten der anderen stand, und trat instinktiv neben sie. Julius sah es und verstand.

»Wir brauchen dich hier, Alexandria. Niemand sonst unter uns hat in den letzten Jahren in Rom gelebt, und genau dieses Wissen brauche ich jetzt.«

Sie errötete auf bezaubernde Weise, entspannte sich etwas, und unbemerkt von den anderen kniff Brutus ihr ins Hinterteil. Als Alexandria seine Hand wegschlug, sah ihn seine Mutter scharf an, doch Brutus lächelte sie nur an und schaute wieder zu Julius hinüber.

»Wo ist denn jetzt deine Tochter?«, fragte er, denn er war wirklich neugierig, das Mädchen zu sehen.

»Sie wird wohl draußen im Stall sein«, antwortete Julius. »Sie reitet nämlich wie ein Zentaur. Ich rufe sie später herein, bevor sie zu Bett geht.« Bei dem Gedanken an seine Tochter malte sich Stolz auf seinem Gesicht, und Brutus lächelte ebenfalls. Dann aber räusperte sich Julius und sah wieder in die Runde.

»Also schön. Ich muss jetzt entscheiden, was genau ich morgen früh tun werde, wenn ich auf dem Forum erscheine und für einen der Konsulposten kandidiere.«

Alle wollten sofort etwas dazu sagen, wodurch das Klopfen an der Tür zuerst in dem allgemeinen Lärm unterging. Dann öffnete Clodia die Tür von außen. Ihr Gesichtsausdruck ließ sie alle sofort verstummen.

»Da ist ... Ich konnte ihn nicht aufhalten«, begann sie.

Julius ergriff ihren Arm. »Wer ist es denn?«, fragte er.

Doch als er die Gestalt hinter ihr erkannte, erstarrte er und schob Clodia zur Seite, damit sich die Tür gänzlich öffnen konnte.

Dort stand Crassus in einer strahlend weißen Toga, die sich scharf von seiner dunklen Haut abhob und von einer glänzenden goldenen Spange auf der Schulter zusammengehalten wurde, die Alexandria sofort als eine ihrer Arbeiten wiedererkannte. War das tatsächlich ein Zufall oder ein dezenter Hinweis darauf, dass er die Beziehungen zwischen den Personen in diesem Raum sehr wohl kannte?

»Guten Abend, Cäsar. Ich glaube, dein Posten als Tribun ist niemals widerrufen worden. Soll ich dich jetzt, wo du dein Amt als Prätor in Spanien hinter dir gelassen hast, noch mit diesem Titel ansprechen?«

Julius senkte den Kopf und versuchte zu verbergen, wie wütend es ihn machte, dass der Mann so einfach in sein Haus eingedrungen war. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Warteten draußen Soldaten? Wenn dem so war, würde es für Crassus schwerer werden, das Haus wieder zu verlassen, als es zu betreten, schwor Julius sich im Stillen. Er lockerte den Griff um Clodias Arm, und sie verließ ohne einen Blick zurück eilig den Raum. Er nahm es ihr nicht übel, dass sie Crassus eingelassen hatte. Obwohl sie viele Jahre für das gesamte Anwesen verantwortlich gewesen war, war sie doch viel zu lange Sklavin gewesen, um vor einem der mächtigsten Männer des Senats keine Angst zu haben. Einem Konsul Roms konnte niemand den Eintritt verwehren.

Crassus sah dem Gesicht des jungen Mannes die innere Spannung an und redete weiter. »Du kannst ganz beruhigt sein, Julius. Ich bin ein Freund dieses Hauses, so wie ich davor ein Freund von Marius gewesen bin. Hast du etwa geglaubt, du könntest mit einer ganzen Legion an meiner Küste an Land gehen, ohne dass ich davon erfahre? Ich nehme an, selbst Pompeius’ dünnes Netz an Spionen hat mittlerweile von deiner Rückkehr gehört.« Erst jetzt erblickte Crassus Servilia und senkte zum Gruß leicht den Kopf.

»Du bist hier willkommen«, sagte Julius und versuchte sich zu entspannen. Er wusste, dass er zu lange gezögert hatte. Der ältere Mann hatte zweifellos jeden Augenblick der Verwirrung genossen, die er ausgelöst hatte.

»Das freut mich«, erwiderte Crassus. »Nun, wenn mir jemand einen Stuhl bringt, setze ich mich mit deiner Erlaubnis zu euch. Du musst morgen eine eindrucksvolle Rede halten, wenn du nächstes Jahr das Gewand des Konsuls tragen willst. Pompeius wird nicht gerade erfreut sein, wenn ihm das zu Ohren kommt, aber genau das ist ja das Salz in der Suppe.«

»Kann man vor dir überhaupt nichts geheim halten?«, fragte Julius, der sich allmählich von seiner Verblüffung erholte.

Crassus lächelte ihn an. »Dann bestätigst du es also durch deine eigenen Worte. Ich dachte mir schon, dass es keinen anderen Grund für dich geben könnte, deinen Posten als Prätor zu verlassen. Ich hoffe doch, du hast für einen entsprechenden Ersatz gesorgt, bevor du nach Rom gesegelt bist?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Julius. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass ihm der Wortwechsel Spaß machte.

Crassus nahm auf dem Stuhl Platz, den Octavian für ihn freigemacht hatte, und legte dann mit seinen langen Fingern die Falten seiner Toga zurecht. Die Spannung im Raum schien nachzulassen, als sie seine Anwesenheit in ihrer Mitte langsam akzeptierten.

»Ich frage mich eins, wolltest du wirklich einfach so ins Forum marschieren und das Sprecherpodium besteigen?«, fragte Crassus.

Julius sah ihn verständnislos an. »Warum nicht? Servilia hat mir erzählt, dass Prandus sprechen will. Ich habe das gleiche Recht darauf wie er.«

Crassus lächelte und schüttelte belustigt den Kopf. »Dann hättest du es also wirklich getan. Wesentlich besser ist es jedoch, wenn du auf meine Einladung hin erscheinst, Julius. Schließlich wird dich Pompeius kaum darum bitten, dich uns anzuschließen. Ich freue mich schon auf sein Gesicht, wenn du deinen Namen in die Liste einträgst.«

Dankend nahm er einen Becher Wein entgegen, nippte daran und zuckte leicht zusammen.

»Du bist dir doch darüber im Klaren, dass Pompeius behaupten könnte, du hättest deine Pflicht vernachlässigt, indem du deinen Posten in Spanien vorzeitig verlassen hast, oder?«, fragte er und beugte sich gespannt vor.

»Als Tribun bin ich gegen jede Strafverfolgung immun«, erwiderte Julius prompt.

»Es sei denn, dein Vergehen ist ein Gewaltverbrechen, mein Freund. Aber ich nehme an, seinen Posten zu verlassen fällt nicht darunter. Pompeius ist deine Immunität sehr wohl bewusst – aber wie sieht das Ganze für das Volk aus? Von jetzt an bis zu den Wahlen musst du dich nicht nur tadellos verhalten, sondern man muss dich auch dabei sehen, wie du dich tadellos verhältst. Sonst werden die Stimmen, die du brauchst, an einen anderen Kandidaten verschwendet.«

Crassus schaute in die Runde und lächelte, als er Alexandrias Blick begegnete. Seine Finger strichen wie beiläufig über die goldene Spange auf seiner Schulter, und sie wusste, dass er sie wiedererkannt hatte. Alexandria spürte einen Hauch von Gefahr. Zum ersten Mal, seit Brutus sie in ihrer Werkstatt aufgesucht hatte, wurde ihr bewusst, dass Julius ebenso viele Feinde wie Freunde um sich scharte. Sie wusste nur noch nicht genau, zu welcher Kategorie Crassus gehörte.

»Was hast du davon, wenn du mir hilfst?«, fragte Julius plötzlich.

»Du befehligst eine Legion, die ich wieder aufbauen half, als sie noch Primigenia hieß, Julius. Ich bin von dem ... Bedarf der Stadt an solchen Männern überzeugt worden. Erfahrene, geübte Männer, die nicht bestochen oder von den Banden der Raptores in Versuchung geführt werden können.«

»Dann forderst du also eine Schuld von mir ein?«, fragte Julius und bereitete sich innerlich schon darauf vor, das Ansinnen des Crassus abzulehnen.

Crassus sah Servilia an und tauschte mit ihr einen verständnisvollen Blick, den Julius nicht zu deuten wusste.

»Nein. Ich habe schon vor so langer Zeit auf jegliche Schulden verzichtet, dass es gar nicht mehr der Erwähnung wert ist. Ich bitte dich ganz offen um Hilfe, und im Gegenzug werden dir meine Klienten helfen, deinen Namen in der Stadt bekannt zu machen. Denk daran, dass dir nur hundert Tage bleiben, mein Freund. Selbst mit meiner Hilfe ist das eine kurze Zeit.«

Als er sah, dass Julius immer noch zögerte, fuhr fort: »Ich war ein Freund deines Vaters und ein Freund des Marius’. Ist es zu viel verlangt, auch den Sohn um Vertrauen zu bitten?«

Servilia versuchte, Julius’ Blick einzufangen. Sie kannte Crassus besser als jeder andere hier im Raum und hoffte inständig, Julius würde sein Angebot nicht leichtfertig ablehnen. Während sie gespannt auf seine Antwort wartete, beobachtete sie den Mann, den sie liebte, beinahe schmerzlich.

»Vielen Dank, Konsul«, erwiderte Julius förmlich. »Ich vergesse meine Freunde nicht.«

Crassus lächelte hocherfreut.

»Mit meinem Wohlstand ... « setzte er an.

Julius schüttelte den Kopf. »Davon habe ich selbst genug, Crassus. Doch ich danke dir.«

Zum ersten Mal betrachtete Crassus den jungen Feldherrn mit so etwas wie Respekt. Also hatte er mit seinem Urteil Recht gehabt, dachte er zufrieden. Er würde mit ihm zusammenarbeiten und zugleich Pompeius damit ärgern können.

»Dann sollten wir jetzt vielleicht auf deine Kandidatur anstoßen? «, sagte Crassus und erhob seinen Becher.

Auf Julius’ Nicken hin schenkten sich auch die anderen Anwesenden Wein ein und hielten unsicher abwartend die Becher in Händen. Einen Augenblick lang bedauerte Julius, dass er den Falerner schon aufgebraucht hatte. Andererseits würde auch Tubruk einen Becher auf sie leeren, wo auch immer er jetzt war.

Julia saß draußen im Dunkel der Stallungen und genoss die Wärme und Geborgenheit, die von den Pferden ausging. Sie ging an den Verschlägen entlang, tätschelte die weichen Nüstern und redete leise mit den Tieren. Vor dem riesigen Wallach, auf dem der Freund ihres Vaters diese Frau mitgebracht hatte, blieb sie stehen. Es war komisch, dieses Wort. Ihr Vater. Wie oft hatte ihr Clodia von dem tapferen Mann erzählt, der wegen der Laune eines Konsuls aus Rom weggeschickt worden war? Sie hatte sich ihr eigenes Bild von ihm gemacht und sich eingeredet, dass nur seine vielen Pflichten ihn davon abhielten, zu ihr zu kommen. Clodia hatte immer behauptet, eines Tages käme er zurück, und dann sei alles wieder gut. Aber jetzt, wo er da war, fand Julia das Ganze mehr als nur ein wenig beängstigend. Von dem Moment an, als er seinen Fuß in den Staub des Hofes gesetzt hatte, war alles anders geworden, und das Haus hatte einen neuen Herrn.

Er wirkte immer so streng und ernst. Nachdenklich hob sie den Kopf und rieb ihre Nase an den samtigen Nüstern des Wallachs. Das Pferd antwortete mit einem leisen Wiehern, stupste sie an und schnaubte ihr warme Luft ins Gesicht. Er war gar nicht so alt, wie sie erwartet hatte. Sie hatte ihn sich immer mit grauem Haar an den Schläfen und der Würde eines Senatsmitgliedes vorgestellt.

Von dort, wo sich die vielen unbekannten neuen Menschen versammelt hatten, wehte die Nachtluft ein wenig Lärm herüber. So viele! Noch nie hatte das Haus so viele Besucher beherbergt, dachte sie verwundert. Von ihrem Ausguck auf der äußeren Mauer hatte sie einen nach dem anderen ankommen gesehen und über so viele Fremde erstaunt den Kopf geschüttelt.

Vor allem waren es völlig andere Besucher als die, die Clodia sonst immer einlud. Ganz besonders die Frau mit den Diamanten um den Hals: Julia hatte gesehen, wie ihr Vater diese Frau geküsst hatte, als er sich unbeobachtet wähnte, und ihr hatte sich angeekelt die Kehle zugeschnürt. Sie hatte versucht, sich einzureden, die beiden verbinde sicherlich nur eine enge Freundschaft, doch die Art, wie diese Frau sich an ihn drängte, hatte etwas viel zu Vertrautes, und Julia war vor Scham rot geworden. Wer auch immer diese Frau war, sie würden niemals Freundinnen werden, das schwor sie sich.

Eine Weile malte sie sich aus, wie die Frau versuchte, ihre Zuneigung zu gewinnen, und nahm sich vor, sich ihr gegenüber äußerst reserviert zu geben. Nein, sie würde nicht unhöflich zu ihr sein, denn Clodia hatte ihr beigebracht, Unhöflichkeit zu verabscheuen. Sie würde sich gerade kühl genug verhalten, um diese Frau spüren zu lassen, dass sie hier nicht willkommen war.

Neben dem Verschlag des Wallachs hing ein schwerer Umhang am Haken, den Julia als den erkannte, der das zuletzt eingetroffene Paar umhüllt hatte. Sie erinnerte sich an das Lachen des Mannes, das der Wind über das Feld herangetragen hatte. Er war ein sehr ansehnlicher Mann. Er war zwar etwas kleiner als ihr Vater, doch sein Gang war genauso wie der des Mannes, den Clodia angestellt hatte, um ihr das Reiten beizubringen. Gerade so, als habe er so viel Energie in sich, dass er sich vor lauter Lust und Freude darüber kaum vom Herumtanzen zurückhalten konnte.

So, wie seine Begleiterin sich an seinen Rücken geschmiegt hatte, war Julia sich sicher, dass sie ihn liebte. Beinahe zufällig schienen sich die beiden fortwährend zu berühren.

Julia verweilte noch lange im Stall und versuchte herauszufinden, was sie eigentlich fühlte, seit ihr Vater angekommen war. Wenn sie etwas bedrückte oder wenn sie Clodia verärgert hatte, suchte sie immer den Stall auf. Im Halbdunkel, mit dem Geruch nach Leder und Stroh, hatte sie sich seit jeher geborgen gefühlt. Im Haupthaus gab es so viele leere Räume, die nachts kalt und dunkel dalagen. Wenn sie sich hindurchschlich, um draußen im Mondlicht auf die Mauer zu klettern, stellte sie sich immer vor, wie ihre Mutter in den Räumen umherging; dann überlief sie regelmäßig ein kalter Schauer. Nur zu leicht kamen ihr dabei auch die Männer in den Sinn, die sie getötet hatten und die jetzt hinter ihr herschlichen, bis Julia sich in Panik umdrehte und vor Gespenstern erschrak, die sie nie sehen konnte.

Lautes Gelächter drang plötzlich vom Haus herüber. Sie hob den Kopf, um genauer hinzuhören. Das Geräusch ebbte wieder zu vollkommener Stille ab. Nachdenklich blinzelte sie in der Dunkelheit, und ihr wurde klar, dass sie sich durch die Anwesenheit der Freunde ihres Vaters sicher fühlte. Heute Nacht würden keine Mörder über die Mauer klettern, um sie zu holen, nein, heute Nacht würde sie keine Albträume haben.

Sie tätschelte dem Wallach noch einmal die Nase und nahm dann den Umhang vom Haken. In einem Anflug von Zorn warf sie ihn auf den staubigen Boden. Der Freund ihres Vaters verdiente etwas Besseres als diese Frau, sagte sie sich und schlang die Arme um ihren Körper.

Pompeius schritt mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf und ab. Er trug eine Toga aus dickem weißem Tuch, die seine Arme freiließ, so dass an den Oberarmen deutlich das Spiel seiner Muskeln zu sehen war, als seine Finger sich umeinander wanden. Die Lampen in seinem Stadtdomizil erloschen schon langsam, doch er rief nicht nach den Sklaven, um sie wieder auffüllen zu lassen. Die düstere Beleuchtung passte perfekt zu der Stimmung des römischen Konsuls.

»Den Schaden, den er angerichtet hat, als er seinen Posten verlassen hat, kann er nur wieder gutmachen, wenn er sich für die Wahl aufstellen lässt. Sonst gibt es keinen anderen Grund, ein solches Risiko einzugehen, Regulus.«

Der dienstälteste Zenturio stand in Habachtstellung vor seinem unruhig einherschreitenden Vorgesetzten. Er war ihm nun seit über zwanzig Jahren treu ergeben und kannte Pompeius’ Launen so gut wie kaum ein anderer.

»Ich stehe jederzeit zu deiner Verfügung, Herr«, sagte er und blickte dabei weiter ausdruckslos geradeaus.

Pompeius sah ihn an, und was er sah, schien ihm zu gefallen.

»Du bist mein rechter Arm, Regulus, das weiß ich. Ich benötige aber mehr als nur Gehorsam, wenn Cäsar mir nicht die Stadt aus den Händen nehmen soll. Ich brauche Ideen. Sprich nur frei heraus, und hab keine Angst.«

Bei diesem Befehl nahm Regulus eine etwas entspanntere Haltung an. »Hast du schon daran gedacht, ein Gesetz einzubringen, das es dir erlaubt, ein weiteres Mal anzutreten? Er würde niemals Konsul werden, wenn er dir bei der Wahl als Herausforderer gegenübertreten müsste.«

Pompeius runzelte missmutig die Stirn. Wenn er so etwas auch nur einen Augenblick für durchführbar hielte, hätte er es schon längst in die Tat umgesetzt. Doch allein der Vorschlag, zu jenen alten Tagen zurückzukehren, würde sowohl den Senat als auch die normalen Bürger Sturm laufen lassen. Die Ironie, dass er genau die Beschränkungen mitgeschaffen hatte, die ihn nun hemmten, entging ihm durchaus nicht. Aber solche Gedanken brachten ihn jetzt der Lösung seines Dilemmas auch keinen Schritt näher.

»Das ist unmöglich«, antwortete er schließlich mit zusammengepressten Zähnen.

»Dann müssen wir für die Zukunft vorausplanen, Herr«, sagte Regulus ruhig.

Pompeius blieb stehen und sah ihm hoffnungsvoll in die Augen. »Und was schwebt dir vor?«

Regulus holte tief Luft, bevor er antwortete. »Lass mich in seine Legion eintreten. Sollte je der Zeitpunkt kommen, dass du ihn aufhalten musst, hättest du auf diese Weise immer ein verlässliches Schwert in seiner Nähe.«

Pompeius rieb sich nachdenklich das Gesicht, während er Für und Wider dieses Angebots abwog. Einerseits verabscheute er ein derart unehrenhaftes Vorgehen, andererseits wäre es töricht, eine solche Waffe für die Zukunft abzulehnen. Wer wusste schon, was die nächsten Jahre bringen würden, für jeden von ihnen?

»Du müsstest wieder als einfacher Soldat anfangen«, sagte Pompeius langsam.

Der Zenturio holte tief Luft, als er merkte, dass seine Idee nicht sofort auf Ablehnung stieß.

»Das macht mir nichts aus. Meine Beförderungen habe ich mir auf dem Schlachtfeld verdient und aus deiner Hand erhalten. So weit bin ich also schon einmal gekommen.«

»Deine Narben verraten ihnen, was du in Wirklichkeit bist«, wandte Pompeius ein.

»Ich stelle mich ihnen einfach als Söldner vor. Lass mich nur in seiner Nähe sein, Konsul. Ich bin dein Mann.«

Pompeius schwankte noch und suchte in Gedanken weitere Einwände, nur um sie sogleich wieder zu verwerfen. Er seufzte. Politik war nun einmal ein schmutziges Geschäft.

»Es könnte mehrere Jahre dauern, Regulus. Wird man dich vermissen?«

»Nein, Herr. Ich bin allein.«

»Dann gebe ich dir den Befehl dazu, Regulus. Geh mit meinem Segen.«

Regulus rang nach Worten. »Es ... es ist mir eine Ehre, Herr. Wenn du mich rufst, werde ich in seiner Nähe sein, das schwöre ich.«

»Das weiß ich, Regulus. Und ich werde dich reichlich dafür belohnen, wenn ...«

»Das ist nicht nötig, Herr«, sagte Regulus rasch und überraschte sich selbst damit. Normalerweise hätte er es niemals gewagt, den Konsul zu unterbrechen, doch er wollte ein Zeichen setzen, dass das in ihn gesetzte Vertrauen gerechtfertigt war. Dafür wurde er mit einem Lächeln von Pompeius belohnt.

»Hätte ich nur mehr von deinem Schlag zur Verfügung, Regulus. Keinem Mann wurde je so gut gedient wie mir.«

»Ich danke dir, Herr«, erwiderte Regulus mit vor Stolz geschwellter Brust. Es war ihm klar, dass ihm mehrere Jahre an hartem Drill und geringerem Sold bevorstanden, aber das machte ihm nicht das Geringste aus.

10

Rom kam niemals zur Ruhe, und als der Morgen anbrach, hatte sich der große Platz des Forums bereits mit einer hin und her wogenden Menge seiner Bürger gefüllt, die sich unter den wechselnden Strömungen, die sie durchzogen, ständig veränderte. Väter trugen ihre Kinder auf den Schultern, damit sie einen Blick auf die Konsuln werfen und später einmal sagen konnten, sie hätten die Männer gesehen, die Spartakus geschlagen und die Stadt gerettet hatten.

Für Julius war die riesige Menge gesichtslos und einschüchternd. Sollte er einfach in den freien Raum starren, wenn er sprach, oder den Blick wahllos auf einen unglücklichen Bürger richten? Er fragte sich, ob sie ihm überhaupt zuhören würden. Bei Pompeius waren sie still geworden, aber Julius hegte keinen Zweifel daran, dass der Konsul die Menge mit seinen Klienten durchsetzt hatte. Gleich würde er Pompeius aufs Podium folgen, und wenn sie dann anfingen zu brüllen und ihn zu verhöhnen, wäre das ein denkbar schlechter Anfang seiner Kandidatur. In Gedanken ging er wieder und wieder seine Rede durch und betete, dass er nicht stocken oder gar den Faden verlieren würde. Womöglich wurden nach seiner Rede Fragen gestellt, vielleicht sogar von Männern, die vom Konsul dafür bezahlt worden waren. Vielleicht würden sie sogar versuchen, ihn öffentlich zu demütigen. Sorgfältig und langsam legte Julius seine Hände auf die Knie und ließ den Schweiß in seinen Handflächen vom Stoff aufsaugen.

Er saß gemeinsam mit Crassus und Suetonius’ Vater auf einer erhöhten Plattform, aber er sah keinen der beiden an. Sie hörten gerade sehr aufmerksam zu, als Pompeius geschickt einen kleinen Scherz in seine Rede einflocht und dann die Hände hob, um das Gelächter wieder zu dämpfen. Julius bemerkte sehr wohl, dass Pompeius kein einziges Mal zögerlich wirkte. Seine große Begabung als Redner ließ sich an den Reaktionen der Menge deutlich ablesen. Die Menschen reckten dem Konsul die Gesichter entgegen, fast so, als beteten sie ihn an, und bei dem Gedanken, seine Rede nach ihm zu halten, krampften sich Julius’ Eingeweide zusammen.

Pompeius’ Stimme wurde wieder ernst, als er seine Verdienste in dem Jahr als Konsul noch einmal aufzählte, und die Menge applaudierte frenetisch. Die Liste der militärischen Erfolge wurde mit Versprechen von kostenlosem Getreide, Brot, Spielen und Gedenkmünzen ergänzt. Bei dem letzten Wort versteifte sich Crassus ein wenig. Er fragte sich, woher Pompeius wohl das Geld dafür nehmen wollte, sein Antlitz in Silber prägen zu lassen. Das Schlimmste war jedoch die Gewissheit, dass all die Bestechungen unnötig waren. Pompeius hatte die Menge ohnehin im Griff. Mühelos brachte er sie in einem Augenblick zum Lachen, und im nächsten schon vermittelte er ihnen würdevollen Stolz. Es war eine meisterhafte Darbietung, und als er geendet hatte, stand Julius auf und zwang sich nervös zu einem Lächeln. Pompeius trat zurück und winkte ihn heran. Angesichts der ausgestreckten Hand, die so wirkte, als helfe ihm ein väterlicher Gönner nach vorne, biss Julius verärgert die Zähne zusammen.

Als er an Pompeius vorbeiging, sprach dieser ihn leise an. »Keine abgedeckten Schilde, Julius? Ich hatte erwartet, dass du wieder eine Überraschung für uns bereithältst.«

Julius war gezwungen zu lächeln, gerade so, als seien die Worte des Pompeius nur eine scherzhafte Bemerkung statt pure Gehässigkeit. Sie erinnerten sich beide sehr wohl an die Verhandlung, die Julius auf diesem Platz gewonnen hatte. Damals hatte er vor der Menge Schilde mit Szenen aus Marius’ Leben enthüllt.

Ohne ein weiteres Wort nahm Pompeius Platz und sah gelassen und interessiert aus. Julius trat näher an das Rednerpult heran, hielt einen Moment inne und ließ den Blick über die endlos scheinende Menge schweifen. Wie viele hatten sich hier wohl versammelt, um die jährliche Ansprache der Konsuln zu hören? Achttausend? Oder vielleicht sogar zehn? Die aufgehende Sonne war immer noch hinter den Tempeln verborgen, die den großen, rechteckigen Platz säumten, und das Licht, das über ihnen lag, war noch kalt und grau. Julius holte tief Luft. Seine Stimme sollte von Anfang an klar und deutlich klingen, denn es war wichtig, dass die Zuhörer jedes seiner Worte genau verstanden.

»Mein Name ist Gaius Julius Cäsar. Ich bin der Neffe des Marius’, der siebenmal in Rom Konsul gewesen ist. Ich habe meinen Namen im Hause des Senats für denselben Posten eingetragen. Ich tue das nicht zum Gedenken an diesen Mann, sondern um sein Werk fortzusetzen. Wollt ihr, dass ich euch Brot und Münzen verspreche? Ihr seid keine Kinder, denen man hübschen Tand anbietet, um ihre Treue zu erkaufen. Ein guter Vater verdirbt sein Kind nicht durch Geschenke.«

Langsam wurde er ruhiger. Alle Augen auf dem Forum waren jetzt auf ihn gerichtet, und zum ersten Mal, seit er die Plattform betreten hatte, verspürte er einen Hauch von Zuversicht.

»Ich habe diejenigen kennen gelernt, die sich abplagen, um das Korn für euer Brot anzubauen. Andere satt zu machen bringt zwar kein Vermögen ein, aber sie haben Stolz, und sie sind aufrechte Männer. Ich kenne auch viele, die ohne sich zu beklagen für Rom in den Kampf gezogen sind. Ihr seht sie gelegentlich auf der Straße und erkennt sie daran, dass ihnen ein Auge oder eine ihrer Gliedmaßen fehlt. Wenn die Menschen an ihnen vorbeigehen, sehen wir peinlich berührt zu Seite. Wir vergessen, dass wir alle nur deswegen lachen und lieben können, weil diese Soldaten so viel für uns geopfert haben.

Wir haben diese Stadt auf dem Blut und dem Schweiß derjenigen errichtet, die vor uns dahingegangen sind. Dennoch bleibt auch für uns noch genug zu tun. Habt ihr Konsul Crassus von Soldaten reden hören, durch deren Einsatz die Straßen sicher sind? Ich bedauere es nicht im Geringsten, euch meine Männer dafür herzugeben. Aber wenn ich sie wieder brauche, um neue Länder und Reichtümer für Rom zu erkämpfen, wer außer euch selbst wird dann für eure Sicherheit sorgen?«

Die Menge wurde unruhig. Julius zögerte einen Augenblick. Er sah den Gedanken in seinem Kopf deutlich vor sich, doch er suchte angestrengt nach einer Möglichkeit, ihn auch der Menge begreiflich zu machen.

»Aristoteles sagt, ein Staatsmann müsse immer bemüht sein, einen gewissen moralischen Anspruch, eine Neigung zur Tugend in den Bürgern zutage zu fördern. Ich suche nach dieser Tugend in euch, denn ich weiß, sie ist da und muss nur wachgerufen werden. Ihr seid diejenigen, die die Mauern Roms gegen den Sklavenaufstand verteidigt haben. Ihr habt euch damals nicht vor eurer Pflicht gedrückt, und ihr werdet es auch jetzt nicht tun, wenn ich euch darum bitte.« Etwas lauter fuhr Julius fort: »Ich werde Geld für jeden Mann ohne Arbeit bereitstellen, der die Straßen säubert und die Banden davon abhält, die Schwächsten unter uns in Angst und Schrecken zu versetzen. Worin besteht die Größe Roms, wenn wir uns vor Angst nachts nicht mehr auf die Straße trauen? Wie viele von euch verriegeln ihre Tür und lauschen dahinter ängstlich auf das erste Geräusch des Meuchelmörders oder des Diebes?«

Im Stillen dankte er Alexandria für das, was sie ihm erzählt hatte, und an den nickenden Köpfen sah er, dass er bei vielen in die richtige Kerbe schlug.

»Konsul Crassus hat mich zum Ädilen ernannt. Das bedeutet, ihr müsst euch bei mir beschweren, wenn es ein Verbrechen oder Aufruhr in der Stadt gibt. Kommt zu mir, wenn ihr fälschlicherweise beschuldigt werdet. Ich werde mir euren Fall anhören und euch selbst verteidigen, wenn ich keinen Fürsprecher für euch finden kann. Ich widme euch meine Zeit und meine Kraft, wenn ihr sie haben wollt. Meine Männer und meine Klienten werden die Straßen sicher machen, und ich sorge für ein gerechtes Gesetz für alle. Wenn ich Konsul werde, dann bin ich die Flut, die Rom von jahrhundertealtem Schmutz befreit, aber ich werde dabei nicht alleine sein. Ich werde euch nicht einfach eine bessere Stadt schenken. Gemeinsam werden wir ihr ein neues Gesicht verleihen!«

Maßlose Freude durchfuhr ihn, als die Menge begeistert auf seine Worte reagierte. So war es also, von den Göttern berührt zu werden. Er reckte die vor Stolz geschwellte Brust, und seine Stimme schallte weit über die Menge hinweg, die ihm die Köpfe entgegenreckte.

»Wo ist all der Reichtum geblieben, den unsere Legionen mit nach Rom zurückgebracht haben? Nur hier in diesem Forum? Ganz sicher nicht! Wenn ich zum Konsul gewählt werde, werde ich auch vor kleineren Problemen nicht zurückschrecken. Die Straßen sind durch den vielen Verkehr ständig verstopft, was den Handel ungebührlich erschwert. Ich werde die Karren bei Nacht fahren lassen und das endlose Geschrei der Ochsenkutscher zum Schweigen bringen.« Gelächter erhob sich in der Menge, und Julius lächelte stolz zurück. Das hier war sein Volk.

»Seid ihr der Ansicht, ich sollte das nicht tun? Glaubt ihr, ich sollte meine Zeit lieber damit verbringen, noch ein weiteres prunkvolles Bauwerk zu errichten, das ihr niemals von innen sehen werdet?«

Irgendjemand aus der Menge schrie lauthals »Nein!«. Julius grinste über die einsame Stimme und freute sich über das Gelächter, das wie eine Welle durch die Menge lief.

»Dem Mann, der da eben gerufen hat, dem sage ich: Doch! Doch, das sollten wir! Wir sollten hoch aufragende Tempel errichten und Brücken und Aquädukte für sauberes Wasser. Wenn ein fremder König nach Rom kommt, dann will ich, dass er sieht, wie sehr der Segen der Götter auf uns ruht. Ich will, dass er emporblickt – aber er soll dabei nicht in irgendetwas Grässliches hineintreten!«

Julius wartete, bis das Gelächter abgeebbt war, und fuhr dann fort. Er wusste, sie hörten ihm nur deshalb zu, weil in seiner Stimme auch die eigene Überzeugung mitschwang. Er glaubte an das, was er sagte, und genau das nahmen sie wahr, genau das war es, was sie erhob.

»Ihr und ich, wir sind ein Volk praktisch denkender Menschen. Zum Leben brauchen wir Abwasserkanäle, Sicherheit, ehrlichen Handel und erschwingliche Lebensmittel. Aber wir sind auch Träumer, praktische Träumer, die die Welt neu aufbauen, so dass sie auch die nächsten tausend Jahre überdauert. Wir bauen für die Ewigkeit. Wir sind die Erben Griechenlands. Wir besitzen eine unbändige Stärke, aber nicht nur die Stärke des Körpers. Wir erfinden und verbessern Rom so lange, bis es die schönste Stadt der Welt ist – wenn es sein muss, eine Straße nach der anderen.«

Er holte langsam und tief Luft. In seinen Augen spiegelte sich die Zuneigung zu den Menschen, die ihm zuhörten.

»Ich schaue auf euch alle hinab, und ich bin stolz auf euch. Mein Blut hat geholfen, Rom aufzubauen, und wenn ich mir seine Bewohner ansehe, dann weiß ich, es ist nicht vergeudet worden. Das hier ist unser Land, und doch ist da draußen auch eine Welt, die noch erfahren muss, was wir bereits gefunden haben. Was wir geschaffen haben, ist großartig genug, um es an all die dunklen Orte dort draußen zu bringen. Die Gerechtigkeit unseres Gesetzes und die Ehre der Stadt sind es wert, verbreitet zu werden, bis überall in der Welt einer von uns sagen kann ›Ich bin ein Bürger Roms!‹ und sich gerechter Behandlung gewiss sein darf. Wenn ich zum Konsul gewählt werde, werde ich für diesen Tag arbeiten!«

Er hatte geendet, ohne dass es ihm zunächst selbst klar gewesen wäre. Die Menge wartete geduldig, um zu hören, was er als Nächstes sagen würde, und Julius war schon versucht, fortzufahren, bevor ihm eine innere Stimme riet, ihnen einfach zu danken und vom Podium herabzusteigen.

Ein Begeisterungssturm brach los, und Julius lief vor Aufregung rot an. Er war sich der Männer hinter ihm auf dem Podium gar nicht mehr bewusst und sah nur noch die Menschen, die ihm Gehör geschenkt hatten. Jeder von ihnen hatte nur ihm zugehört und seine Worte in sich aufgesogen. Es war besser als Wein.

Hinter seinem Rücken lehnte sich Pompeius zu Crassus hinüber und flüsterte ihm zu: »Du hast ihn zum Ädilen gemacht? Er ist nicht dein Freund, Crassus. Glaub es mir!«

Da die Augen der Menge auf ihnen ruhten, lächelte Crassus seinen Kollegen an, doch seine Augen glitzerten wütend.

»Ich weiß einen Freund sehr wohl zu beurteilen, Pompeius.«

Pompeius erhob sich, und als Julius sich zu ihm umdrehte, schlug er ihm freundschaftlich auf die Schulter. Als die Menge sah, wie sich die beiden Männer anlächelten, brach sie erneut in Jubel aus. Pompeius wandte sich der Menge zu und hob dankend den anderen Arm, als sei Julius sein Schüler und habe sich ihnen gegenüber gerade besonders hervorgetan.

»Eine wundervolle Rede, Cäsar«, sagte Pompeius. »Wenn du Erfolg hast, dürftest du frischen Wind in den Senat bringen. Praktische Träumer ... Ein wunderbares Konzept.«

Julius schüttelte die von Pompeius dargebotene Hand und wandte sich dann Crassus zu, um ihn nach vorne zu rufen. Der andere Konsul war bereits aufgesprungen, denn sein Scharfsinn riet ihm, die Gelegenheit, sich zu zeigen, auf keinen Fall ungenutzt verstreichen zu lassen.

Die Menge applaudierte noch immer wild. Die drei Männer standen nebeneinander, und aus der Ferne betrachtet, wirkte ihr Lächeln sogar echt. Auch Senator Prandus hatte sich erhoben, doch kein Mensch nahm von ihm Notiz.

Während die Menge den Männern auf der Tribüne zujubelte, wandte sich Alexandria zu Teddus neben ihr.

»Nun, was hältst du von ihm?«, fragte sie ihn.

Der alte Soldat strich sich nachdenklich über die Bartstoppeln am Kinn. Er war eigentlich nur mitgekommen, weil Alexandria ihn darum gebeten hatte, denn die leeren Versprechen der Männer, die diese Stadt regierten, interessierten ihn kein bisschen. Jetzt wusste er nicht, wie er dies seiner Dienstherrin beibringen sollte, ohne sie zu kränken.

»Er war ganz gut«, sagte er nach reiflicher Überlegung. »Aber ich habe nicht gehört, dass er wie die anderen Münzen prägen lassen will. Versprechungen sind ja gut und schön, aber mit einer Silbermünze kann man sich eine gute Mahlzeit und einen Krug Wein dazukaufen.«

Alexandria runzelte zuerst die Stirn, dann jedoch öffnete sie den Schnappverschluss des schweren Armreifs, den sie um das Handgelenk trug, und ließ einen Sesterz in ihre Hand fallen. Die reichte sie Teddus, der sie entgegennahm und fragend die Brauen hochzog.

»Wofür ist die?«, fragte er.

»Gib sie aus«, erwiderte sie. »Wenn das Geld weg ist und du wieder hungrig bist, wird Cäsar immer noch da sein.«

Teddus nickte, so als verstünde er, was sie damit sagen wollte, und ließ die Münze in die verborgene Tasche seiner Tunika gleiten. Sorgfältig sah er um sich, ob auch niemand beobachtet hatte, wo er sein Geld aufbewahrte. Doch die Aufmerksamkeit der Menge richtete sich noch immer auf die Tribüne. Trotzdem. Es zahlte sich aus, in Rom auf der Hut zu sein.

Als Pompeius seinen Arm um die Schultern des Mannes legte, den sie liebte, beobachtete Servilia eingehend sein Gesicht. Besser als jeder andere im Senat konnte der Konsul beinahe riechen, wann sich der Wind drehte. Aber sie fragte sich, ob ihm wohl klar war, dass Julius sich keinerlei Einmischung der scheidenden Konsuln gefallen lassen würde.

Manchmal hasste sie diese seltsamen Spielchen, die sie alle spielten. Streng genommen gehörte es sogar dazu, Julius und Prandus die Chance zu geben, ebenfalls bei der offiziellen Ansprache der Konsuln zu sprechen. Sie wusste von zwei weiteren Kandidaten auf der Senatsliste, und es waren immer noch ein paar Tage Zeit, bis die Listen geschlossen wurden. Keinem von diesen Anwärtern war es vergönnt gewesen, die Ansprache der Konsuln mit ihren dünnen Versprechungen herabzusetzen.

Die Menge würde sich nur an drei Männer erinnern, und Julius war einer davon. Sie seufzte nervös, denn im Gegensatz zu den anderen Menschen auf dem Forum hatte sie sich nicht entspannen und zurücklehnen können, um den Reden zu lauschen. Als Julius vor die Menge hingetreten war, hatte ihr Herz vor Stolz und Furcht zu rasen angefangen, doch er hatte keinen Fehler gemacht. Die Erinnerung an den Mann, den sie in Spanien kennen gelernt hatte, war jetzt wirklich nicht mehr als eine blasse Erinnerung, denn Julius hatte seinen alten Zauber wiedergefunden. Als sie ihm zuhörte und seine glänzenden Augen ohne innezuhalten auch über sie hinweggeglitten waren, war selbst sie tief bewegt gewesen. Er war noch so unglaublich jung. Ob die Menge das wohl genauso empfand wie sie? All ihrer Fähigkeiten und all ihrer Gewitztheit zum Trotz waren Pompeius und Crassus, verglichen mit ihm, lediglich untergehende Sterne. Und er gehörte ihr.

Ein Mann trat ein wenig zu dicht an sie heran, als er sich seinen Weg durch die Menge bahnte. Servilia sah nur ein zernarbtes, schweißnasses Gesicht, doch bevor sie reagieren konnte, schloss sich schon eine eiserne Hand um den Arm des Mannes und ließ ihn vor Schmerzen aufschreien.

»Verzieh dich«, sagte Brutus leise zu ihm.

Der Mann riss seinen Arm aus der Umklammerung und trat den Rückzug an, doch in sicherer Entfernung blieb er noch einmal stehen und spuckte verächtlich auf den Boden. Servilia drehte sich zu ihrem Sohn um, und dieser lächelte sie an und hatte den Vorfall schon wieder vergessen.

»Ich glaube, du hast auf das richtige Pferd gesetzt, Mutter«, sagte er und sah hinauf zu Julius. »Spürst du es nicht auch? Er ist genau der richtige Mann am richtigen Ort.«

Angesteckt von seinem Eifer, lachte Servilia leise. Ohne seine Rüstung sah ihr Sohn viel jungenhafter aus als gewöhnlich. Sie hob den Arm, um ihm liebevoll das Haar zu raufen.

»Eine Rede macht noch keinen Konsul, das weißt du doch. Die richtige Arbeit fängt jetzt erst an.« Sie blickten beide nach oben, wo Julius sich endlich verabschiedete und hinunter in die Menge treiben ließ. Er schüttelte Hände, die sich ihm entgegenstreckten, und antwortete den Bürgern, die ihm Fragen zuriefen. Selbst auf diese Entfernung sah sie die Freude in seinem Gesicht.

»Aber es ist ein sehr guter Anfang«, murmelte sie.

Suetonius strebte mit seinen Freunden vom Forum fort und ging durch leere Straßen, deren Stände und Häuser noch verschlossen und verriegelt waren. Hinter den Häuserreihen hörte man, wenn auch nur gedämpft, noch immer den Lärm der Menschenmenge.

Lange sagte Suetonius kein einziges Wort. Sein Gesicht schien vor Verbitterung wie versteinert. Jeder Jubelruf der Händler hatte so lange an ihm genagt, bis er es schließlich nicht mehr hatte aushalten können. Julius, immer nur Julius. Egal, was geschah, dieser Mann schien immer mehr Glück zu haben als drei andere zusammen. Nur ein paar Worte an die Menge, und sie lagen ihm zu Füßen, während sein Vater erniedrigt wurde, dachte Suetonius angeekelt. Es war widerwärtig zuzusehen, wie sie sich durch billige rhetorische Tricks mitreißen ließen, während ein aufrechter Römer wie sein Vater unbeachtet blieb. Er war so stolz gewesen, als sein Vater eingewilligt hatte, seinen Namen in die Liste eintragen zu lassen. Rom verdiente einen Mann von seiner Würde und Ehre und keinen Cäsar, der nur auf seinen eigenen Ruhm bedacht war.

Suetonius ballte die Fäuste und grollte fast hörbar bei dem Gedanken an die Schmach, die er mit angesehen hatte. Seine beiden Freunde wechselten nervöse Blicke.

»Er wird die Wahl gewinnen, oder?«, sagte Suetonius wütend, ohne sie anzusehen.

Bibulus, der einen Schritt hinter seinem Freund ging, nickte, dann jedoch wurde ihm bewusst, dass Suetonius seine Geste nicht sehen konnte.

»Vielleicht. Pompeius und Crassus scheinen das jedenfalls anzunehmen. Dein Vater könnte aber immer noch den zweiten Posten übernehmen.«

Er fragte sich, ob Suetonius wohl den ganzen weiten Weg bis zum Anwesen außerhalb Roms zu Fuß gehen wollte. In der entgegengesetzten Richtung, die Suetonius gerade blind vor Hass eingeschlagen hatte, warteten gute Pferde und angenehm kühle Räume auf sie. Bibulus konnte es nicht ausstehen zu laufen, wenn Pferde zur Verfügung standen. Er konnte zwar auch das Reiten nicht leiden, aber immerhin taten einem die Beine dann nicht ganz so weh, und man schwitzte bedeutend weniger.

»Er verlässt seinen Posten in Spanien und schleicht sich hierher, nur um verlauten zu lassen, dass er sich als Konsul zur Wahl stellt, und sie nehmen das alles einfach so hin! Ich frage mich, wie viel Schmiergelder dazu wohl nötig waren! Ihm ist das zuzutrauen, das kannst du mir glauben. Ich kenne ihn gut genug, der Mann hat keinen Funken Ehre im Leib. Das weiß ich noch von damals auf den Schiffen, und von Griechenland. Dieser Dreckskerl ist nur wieder zurückgekommen, um mich bis in alle Ewigkeit zu verfolgen. Man sollte doch meinen, er würde die Politik besseren Männern überlassen, nachdem seine Frau umgekommen ist, oder? Damals hat er die Gefahren, die damit verbunden sind, doch kennen gelernt. Ich sage dir, Cato hat sich vielleicht Feinde gemacht, aber er ist immer noch doppelt so viel wert wie Cäsar. Und dein Vater hat das sehr wohl gewusst, Bibulus.«

Bibulus sah sich nervös um, ob jemand in Hörweite war. Wenn Suetonius in dieser Stimmung war, wusste man nie, was er als Nächstes sagte. Wenn sie sich in seinen Privatgemächern aufhielten, konnte sich Bibulus an der Bitterkeit seines Freundes erfreuen. Er bewunderte dieses unbändige Ausmaß an Hass, zu dem Suetonius fähig war. Doch mitten auf einer öffentlichen Straße wie jetzt brachte ihn die Angst derartig ins Schwitzen, dass ihm die Tunika unter den Achseln am Körper klebte. Obwohl es immer heißer und heißer wurde, marschierte Suetonius so verbissen weiter, als sei die aufgehende Sonne nichts als ein Trugbild.

Suetonius rutschte auf einem losen Pflasterstein aus und fluchte. Immer wieder Cäsar, der ihn quälte. Immer dann, wenn Cäsar in der Stadt war, sank der Stern seiner eigenen Familie. Er wusste, dass Cäsar die Gerüchte über ihn in Umlauf gebracht hatte, die verhindert hatten, dass er das Kommando über eine Legion erhielt. Er hatte das heimliche, gehässige Gelächter und Geflüster sehr wohl mitbekommen und die Quelle sofort erraten.

Als er die Mörder auf Cäsars Haus hatte zuschleichen sehen, hatte er einen Moment lang tiefe Zufriedenheit empfunden. Eigentlich hätte er Alarm schlagen oder Reiter mit einer Warnung hinüberschicken können. Ja, er hätte sie noch aufhalten können, doch er hatte sich umgedreht und war davongegangen, ohne ein Wort zu sagen. Sie hatten Cäsars Frau in Stücke gerissen, und Suetonius erinnerte sich daran, wie er gelacht hatte, als ihm sein Vater die furchtbare Nachricht überbrachte. Der alte Mann hatte dabei einen so ernsten und bedeutungsvollen Gesichtsausdruck aufgesetzt, dass Suetonius einfach nicht hatte an sich halten können. Die Verblüffung seines Vaters steigerte seine Heiterkeit nur noch mehr, bis ihm vor Lachen Tränen in den Augen gestanden hatten.

Vielleicht würde ihn sein Vater jetzt, nachdem er Cäsars intrigante Schmeicheleien und Versprechungen selbst erlebt hatte, ein wenig besser verstehen. In seinem Kopf setzte sich der Gedanke fest, wenigstens dieses eine Mal könne er vielleicht mit seinem Vater über etwas reden, worüber sie beide der gleichen Ansicht waren. Suetonius konnte sich nicht daran erinnern, wann sein Vater zum letzten Mal mehr als nur ein paar höfliche Worte mit ihm gewechselt hatte. Auch diese Kälte zwischen ihnen war Cäsars Werk. Sein Vater hatte das Land, das sie während Cäsars Abwesenheit so geschickt dazugewonnen hatten, wieder zurückgegeben. Er hatte sogar den Platz zurückgegeben, auf dem Suetonius sein Haus hatte bauen wollen. Den seltsamen Blick, den ihm sein Vater zugeworfen hatte, als er lauthals dagegen protestierte, hatte er nicht vergessen. Kein Funken Liebe war darin zu erkennen gewesen, nur ein kühles Abschätzen, das ihn anscheinend stets für ungenügend befand.

Suetonius hob den Kopf und schüttelte die verkrampften Hände. Er würde seinen Vater aufsuchen und ihm sein Mitgefühl ausdrücken. Wenn sein Vater ihm dabei in die Augen sah, würde er vielleicht wenigstens dieses Mal nicht so zusammenzucken, als würde ihm beim Anblick von Suetonius übel. Vielleicht war er dann wenigstens dieses eine Mal nicht so sehr von seinem Sohn enttäuscht.

Bibulus hatte die veränderte Stimmung seines Freundes bemerkt und nutzte die Gelegenheit.

»Es wird langsam ziemlich heiß. Wir sollten zum Gasthaus zurückgehen.«

Suetonius blieb wie angewurzelt stehen und drehte sich zu seinem Freund um.

»Wie reich bist du, Bibulus?«, fragte er unvermutet.

Wie immer, wenn das Thema Geld zwischen ihnen beiden aufkam, rieb Bibulus nervös die Hände aneinander. Er hatte eine so große Summe geerbt, dass er nie würde arbeiten müssen, aber darüber zu reden trieb ihm die Schamröte ins Gesicht. Er wünschte sich sehnlichst, Suetonius wäre von diesem Thema nicht ganz so fasziniert.

»Ich habe genug, das weißt du doch. Offensichtlich nicht so viel wie Crassus, aber es reicht aus«, sagte er vorsichtig. War Suetonius etwa darauf aus, sich Geld von ihm zu leihen? Hoffentlich nicht! Der einzige Zeitpunkt, zu dem Suetonius versprach, das geliehene Geld auch zurückzuzahlen, war immer auch der Moment, in dem er es sich lieh. Hatte er das Geld erst einmal in der Tasche, wurde nie wieder darüber geredet. Wenn Bibulus den Mut aufbrachte, die ausstehenden Summen anzusprechen, wurde Suetonius für gewöhnlich furchtbar wütend, stürmte davon und Bibulus musste sich schließlich entschuldigen.

»Ist es genug, um dich als Konsul aufstellen zu lassen, Bibulus? Es sind noch ein oder zwei Tage Zeit, um neue Namen auf die Senatsliste zu setzen.«

Bibulus war über diese Idee entsetzt und sah ihn verwirrt an.

»Nein, Suetonius, ganz bestimmt nicht. Das werde ich nicht tun, nicht einmal für dich. Mir gefallen mein Leben und meine Position im Senat. Ich strebe nicht nach Veränderung und würde nicht mal Konsul werden wollen, wenn sie mir das Amt anböten.«

Suetonius trat näher an ihn heran und packte ihn mit angewidertem Gesicht an der schweißnassen Toga.

»Würdest du vielleicht gerne Cäsar als Konsul sehen? Erinnerst du dich überhaupt nicht mehr an den Bürgerkrieg? Erinnerst du dich an Marius und den Schaden, den er angerichtet hat? Wenn du dich aufstellen ließest, könntest du die Stimmen für Cäsar aufspalten und dadurch Platz für meinen Vater und einen der anderen Kandidaten schaffen. Wenn du wirklich mein Freund wärst, würdest du keinen Augenblick zögern.«

»Ich bin dein Freund. Aber das würde nie funktionieren«, sagte Bibulus in dem Versuch, den sich anbahnenden Ärger möglichst schnell aus dem Weg zu schaffen. Die Vorstellung, Suetonius könne seinen Angstschweiß riechen, war erniedrigend, aber er hatte ihn fest bei der Toga gepackt und dabei die schlaffe, weiße Haut seiner Brust entblößt.

»Selbst wenn ich mich aufstellen lasse und ein paar Stimmen kriege, könnten die doch ebenso gut deinem Vater fehlen wie Cäsar. Siehst du das nicht ein? Warum lässt du dich nicht selbst aufstellen, wenn dir so viel daran liegt? Ich gebe dir das Geld für die Kampagne, ich schwöre es.«

»Bist du noch ganz bei Trost? Ich soll gegen meinen eigenen Vater antreten? Nein, Bibulus. Du bist vielleicht als Freund nicht besonders viel wert, oder als irgendetwas anderes, aber niemand sonst auf der Liste ist von größerer Bedeutung. Wenn wir nichts unternehmen, wird mein Vater von Cäsar geschlagen. Ich weiß, wie sehr sich Cäsar dem Pöbel anbiedert und wie sehr sie ihn dafür lieben. Wie viele würden wohl meinem Vater die gebührende Ehre erweisen, wenn Cäsar sich derweil wie eine prunksüchtige Hure zur Schau stellt? Du kommst aus einer alten Familie und verfügst über das Geld, deinen Namen vor der Wahl bekannt genug zu machen.« Suetonius’ Augen weiteten sich vor boshaftem Vergnügen, als er genauer über seine Idee nachdachte.

»Mein Vater ist seit Jahren nicht aus Rom weggewesen, verstehst du? Und er hat Anhänger in den reicheren Zenturien, die zuerst wählen. Du hast die Reden gehört. Cäsar wandte sich an die träge Masse der Armen. Wenn wir frühzeitig eine Mehrheit erreichen, wird halb Rom womöglich nicht einmal zur Wahl aufgerufen. Das heißt, es wäre durchaus machbar.«

»Ich glaube nicht, dass ... «, setzte Bibulus stammelnd an.

»Du musst es tun, Bibi. Für mich! Nur ein paar Zenturien zu Beginn der Wahl würden schon ausreichen, dass er Rom voller Schmach verlassen muss. Wenn du siehst, dass die Stimmen für meinen Vater darunter leiden, kannst du dich immer noch zurückziehen. Nichts leichter als das! Oder möchtest du Cäsar lieber kampflos den Posten als Konsul überlassen?«

Bibulus versuchte es noch einmal: »Ich habe nicht die Mittel, um so etwas zu finanzieren ...«

»Dein Vater hat dir ein Vermögen hinterlassen, Bibi. Glaubst du, das weiß ich nicht? Glaubst du, er würde Catos Erzfeind gerne als Konsul sehen? Nein, diese lächerlichen Trinkgelder, die du mir in der Vergangenheit geliehen hast, sind für dich doch nur der Lebensunterhalt für einen oder zwei Tage.« Jetzt schien auch Suetonius zu bemerken, dass es irgendwie unpassend wirkte, wenn er auf der einen Seite versuchte, Bibulus zu überreden, ihn aber andererseits fest gepackt hielt. Er ließ ihn los und strich ihm mit ein paar beiläufigen Bewegungen die Toga wieder glatt.

»So ist es besser! Also, Bibulus, wirst du das für mich tun? Du weißt doch, wie wichtig mir diese Sache ist. Wer weiß, wenn es wirklich so weit käme, würde es dir ja vielleicht sogar Spaß machen, mit meinem Vater zusammen Konsul zu sein. Viel wichtiger ist es jedoch zu verhindern, dass sich Cäsar die Macht in dieser Stadt erschleichen kann.«

»Nein! Hörst du? Ich werde es nicht tun! «, sagte Bibulus und keuchte ein wenig vor Angst.

Suetonius kniff die Augen zusammen, packte Bibulus erneut am Arm und zog ihn von ihren Begleitern weg. Als sie nicht mehr belauscht werden konnten, beugte sich Suetonius bedrohlich nahe an das schweißüberströmte Gesicht des jungen Römers.

»Weißt du noch, was du mir letztes Jahr erzählt hast? Was ich gesehen habe, als ich in dein Haus kam? Ich weiß, warum dein Vater dich verachtet hat, Bibulus, warum er dich weggeschickt hat in dein prunkvolles Haus und warum er aus dem Senat ausgeschieden ist. Vielleicht hat ihm sein Herz deswegen den Dienst versagt, wer weiß? Was glaubst du? Wie lange würdest du wohl überleben, wenn deine Vorlieben in der Öffentlichkeit bekannt würden?«

Bibulus sah mit einem Male krank aus. Sein Gesicht zuckte.

»Das mit dem Mädchen, das war ein Unfall. Sie ist krank geworden...«

»Kannst du überhaupt das Tageslicht ertragen, Bibulus? «, fragte Suetonius und rückte noch ein Stück näher. »Ich habe die Ergebnisse deiner ... Leidenschaft mit eigenen Augen gesehen. Ich könnte selbst einen Prozess gegen dich anstrengen, und die Strafen dafür sind wirklich hart, aber nicht härter, als du es verdienst. Wie viele kleine Mädchen und Jungen sind in den letzten paar Jahren durch deine Hände gegangen, Bibulus? Und wie viele Väter gibt es wohl im Senat, was meinst du?«

Bibulus’ feuchter Mund zitterte. »Du hast kein Recht, mich zu bedrohen! Meine Sklaven sind mein Eigentum. Niemand würde dir Gehör schenken.«

Suetonius entblößte die Zähne, der Triumph entstellte sein Gesicht. »Pompeius hat eine Tochter verloren, Bibulus. Er würde mir ganz bestimmt zuhören! Er würde dafür sorgen, dass du für deine Ausschweifungen teuer bezahlst, meinst du nicht? Ich glaube nicht, dass er mich abweisen würde, wenn ich zu ihm ginge.«

Bibulus sank in sich zusammen und begann zu weinen.

»Bitte ... «, flüsterte er verzweifelt.

Suetonius schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Wir werden nie wieder darüber sprechen, Bibulus. Freunde lassen einander doch nicht im Stich«, sagte er und rieb versöhnlich die schweißnasse Haut.

»Einhundert Tage, Servilia«, sagte Julius nachdenklich, als er sie auf den Stufen des Senatsgebäudes in die Arme nahm. »Ich habe ein paar Leute, die sich anstehende Rechtsfälle ansehen und sie begutachten. Danach suche ich mir die besten aus, um mir einen Namen zu machen, und die Stämme werden kommen, um mir zuzuhören. Bei den Göttern, es gibt so viel zu tun! Du musst für mich mit all jenen Kontakt aufnehmen, die Schulden bei meiner Familie haben. Ich brauche Läufer, Organisationstalente und Leute, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in den Straßen für meine Sache werben. Und Brutus muss mit der Zehnten die Banden in Schach halten, denn dank Crassus bin ich ja jetzt dafür verantwortlich. Der alte Mann ist wirklich ein Genie, daran gibt es keinen Zweifel. Mit einem Schlag habe ich die nötige Macht, um zu beweisen, dass ich die Straßen wirklich sicher machen kann. Es ist alles so schnell gegangen, dass ich beinahe nicht ...«

Servilia legte ihm die Finger auf die Lippen, um den Schwall seiner Worte einzudämmen. Sie lachte, als er trotzdem einfach weiterredete, Gedanken und Ideen, gerade so, wie sie ihm in den Kopf kamen. Selbst als sie ihn auf den Mund küsste, redete er noch einen Augenblick weiter, bis sie ihm schließlich mit der freien Hand einen Klaps auf die Wange gab.

Er löste sich lachend von ihr.

»Ich muss in den Senat, ich darf sie nicht warten lassen. Fang mit der Arbeit an, Servilia. Wir treffen uns am Mittag wieder hier.«

Sie sah ihm nach, als er die Treppen hinaufrannte und im Halbdunkel des Senatsgebäudes verschwand. Dann ging sie leichtfüßig die Stufen hinunter, wo sie ihre Wachen erwarteten.

Als Julius die Tür zur Vorhalle erreichte, traf er auf Crassus, der dort auf ihn wartete. Der ältere Mann sah seltsam unruhig aus, Schweißperlen rannen ihm über das Gesicht.

»Ich muss mit dir reden, bevor du hineingehst, Julius«, sagte er. »Ich muss jetzt mit dir reden, nicht erst da drin, wo uns jeder zuhören kann.«

»Was gibt es denn?«, fragte Julius überrascht, und eine böse Vorahnung erfasste ihn, als er die Nervosität des Konsuls bemerkte.

»Ich bin nicht ganz ehrlich zu dir gewesen, mein Freund«, erwiderte Crassus.

Die beiden Männer hörten das Gemurmel der Senatoren hinter sich, als sie sich auf den breiten Stufen der Treppe zum Forum niedersetzten.

Julius schüttelte ungläubig den Kopf.

»Ich hätte niemals geglaubt, dass du dazu fähig bist, Crassus.«

»Ich bin ja auch nicht dazu fähig«, schnappte Crassus beleidigt. »Deshalb sage ich es dir jetzt, bevor die Verschwörer sich gegen Pompeius erheben.«

»Du hättest sie davon abhalten müssen, als sie zu dir gekommen sind. Du hättest direkt zum Senat gehen und diesen Catilina denunzieren müssen, bevor er noch mehr in der Hand hatte als bloße Ideen. Und jetzt sagst du mir, er hat bereits eine ganze Armee? Es ist wirklich ein bisschen spät, sich die Hände jetzt noch in Unschuld zu waschen, Crassus, ganz gleich, was du auch beteuerst.«

»Sie hätten mich umgebracht, wenn ich mich geweigert hätte. Und, ja, natürlich war es eine große Versuchung für mich, als sie mir die Herrschaft über Rom angeboten haben. So! Jetzt hast du es mich laut aussprechen hören. Hätte ich sie etwa einfach Pompeius vor die Füße werfen sollen, damit er mit einem weiteren Sieg vor dem Volk glänzt? Hätte ich zusehen sollen, wie er zum Diktator auf Lebenszeit wird, wie Sulla vor ihm? Ich war versucht, Julius, und ich habe zu lange nichts gesagt. Aber ich gebe mir ja gerade Mühe, meinen Fehler wieder gutzumachen. Ich kenne ihre Pläne, und ich weiß, wo sie sich versammelt haben. Mit deiner Legion können wir sie schlagen, bevor Schaden entstanden ist.«

»Hast du mich deswegen zum Ädilen gemacht?«, fragte Julius.

Crassus zuckte die Schultern. »Natürlich. Jetzt liegt es in deiner Verantwortung, sie aufzuhalten. Es wäre außerdem eine gute Unterstützung für deine Kampagne, wenn die Leute sehen, dass Angehörige der Nobilitas wie Catilina genauso für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden wie alle anderen Bürger auch. Dann sehen sie, dass du wirklich über den lächerlichen Banden von Klassen und Stämmen stehst.«

Julius sah den Konsul mitleidig an. »Und was wäre gewesen, wenn ich nicht aus Spanien zurückgekehrt wäre?«

»Dann hätte ich schon einen anderen Weg gefunden, um sie zu schlagen, bevor es wirklich zum Schlimmsten kommt.« »Wirklich?«, bedrängte ihn Julius leise.

Crassus drehte sich zu dem jungen Mann an seiner Seite um und funkelte ihn zornig an.

»Zweifellos. Wie dem auch sei, du bist jetzt hier. Ich kann dir die Rädelsführer übergeben, und die Zehnte wird den Pöbel aufreiben, den sie um sich gesammelt haben. Sie sind nur deshalb eine Gefahr, weil niemand etwas von ihnen wusste. Ohne diesen Überraschungseffekt ist es ein Leichtes, sie zu zerschlagen, und das Amt des Konsuls gehört dir. Ich vertraue darauf, dass du dann deine Freunde nicht vergisst.«

Julius stand abrupt auf und blickte auf den Konsul herab. Hatte er wirklich die ganze Wahrheit erfahren? Oder nur den Teil, den Crassus ihn hatte hören lassen wollen? Vielleicht hatten sich die Männer, die er verriet, ja nichts weiter zu Schulden kommen lassen, als Feinde von Crassus zu sein. Er konnte die Zehnte nicht einfach in die Häuser einflussreicher Männern schicken, bloß aufgrund einer Unterhaltung mit Crassus, die dieser jederzeit abstreiten konnte. Was seinem Gegenüber durchaus zuzutrauen wäre, da war sich Julius sicher.

»Ich werde darüber nachdenken, was zu tun ist, Crassus. Aber ich werde nicht einfach nur das Schwert sein, das deine Feinde vernichtet.«

Crassus erhob sich nun ebenfalls, und seine Augen funkelten vor unterdrücktem Zorn.

»Politik ist nun einmal ein blutiges Geschäft, Julius. Es ist besser, du lernst das jetzt, als erst dann, wenn es zu spät ist. Ich habe zu lange gewartet, um etwas gegen diese Männer zu unternehmen. Pass auf, dass dir nicht der gleiche Fehler unterläuft.«

Die beiden Männer betraten das Senatsgebäude gemeinsam, aber voneinander getrennt.

11

Das Haus, das Servilia für den Wahlkampf angemietet hatte, war drei Stockwerke hoch und voller Menschen. Wichtiger noch, es lag im Tal des Esquilin, einem geschäftigen Teil der Stadt, wo Julius mit all jenen Kontakt halten konnte, die ihn zu sehen wünschten. Von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang eilten seine Klienten mit Aufträgen und Anweisungen durch die offenen Türen ein und aus, während Julius anfing, seine Strategie umzusetzen. Die Zehnte patrouillierte nachts in kleinen Gruppen, und nach drei heftigen Auseinandersetzungen mit Raptores-Banden hatten sie elf Straßen in den ärmsten Gegenden gesäubert und waren dabei, ihr Einflussgebiet zu vergrößern. Julius wusste, dass es illusorisch war, die Banden restlos zu zerschlagen, aber immerhin wagten sie sich in den Gegenden, die er ausgewählt hatte, nicht mehr offen zu zeigen. Früher oder später würden die Menschen merken, dass sie unter dem Schutz der Legion standen und sich wieder frei bewegen.

Er hatte drei Fälle vor dem Gericht auf dem Forum angenommen und den ersten gewonnen. Die nächste Verhandlung sollte bereits in drei Tagen stattfinden. Die Menge war gekommen, um den jungen Redner zu sehen, und bejubelte den Ausgang zu seinen Gunsten, auch wenn es sich nur um ein relativ unbedeutendes Vergehen gehandelt hatte. Julius hoffte immer noch wider bessere Vernunft, gegen einen Mörder oder bei einem schwerwiegenderen Verbrechen auftreten zu können, bei dem die Menschen zu Tausenden kommen würden, um ihm zuzuhören.

Alexandria hatte er schon zwei Wochen lang nicht mehr gesehen, seit sie den Auftrag angenommen hatte, die Kämpfer für ein großes Schwertturnier außerhalb der Stadt auszurüsten. Wenn Julius von der Arbeit erschöpft war, ritt er auf den Campus Martius hinaus, wo die Arena errichtet wurde. Brutus und Domitius hatten die Nachricht von diesem Wettkampf in allen römischen Siedlungen und Städten im Umkreis von 500 Meilen verbreiten lassen, um möglichst attraktive Herausforderer anzulocken. Trotzdem rechneten beide Männer damit, selbst das Finale zu erreichen, und Brutus war von seinem Sieg überzeugt, so sehr, dass er den Großteil eines Jahressolds auf seinen Erfolg setzte.

Wenn Julius zum Forum ging oder zur Baustelle des Kampfrings hinausritt, nahm er mit Bedacht keine Wachen mit, weil er dem Volk sein Vertrauen beweisen wollte. Brutus hatte Einspruch gegen diese Entscheidung erhoben, dann aber erstaunlich schnell nachgegeben. Seine Soldaten standen an jeder Ecke, um nach Einbruch der Dunkelheit für Ruhe zu sorgen, und nach mehreren lautstarken Wortwechseln mit erregten Händlern hatten sie sich auch durchgesetzt. Als Ädile lag die Verantwortung für Ruhe und Ordnung in der Stadt in seiner Hand, und da ihn Crassus offen unterstützte, hatten ihm die anderen Senatsmitglieder nur wenige Beschränkungen auferlegt.

Julius rieb sich die Müdigkeit aus den Augen, bis er Blitze sah. Seine Klienten und die Soldaten arbeiteten unablässig für ihn. Der Wahlkampf lief gut. Er hätte zufrieden sein können, wäre da nicht das Problem gewesen, das ihm Crassus eingebrockt hatte.

Der Konsul drängte ihn täglich, etwas gegen diejenigen zu unternehmen, die er ihm als Verräter genannt hatte. Obgleich Julius noch zauderte, quälte ihn der Gedanke, dass sie zuschlagen und die Stadt in ein Chaos stürzen könnten, das er hätte verhindern können. Er ließ ihre Häuser von Spionen überwachen, doch wie sich herausstellte, trafen sie sich in privaten Räumen und Badehäusern, wo sie kein fremdes Ohr belauschen konnte. Trotzdem zögerte Julius noch. Wenn er auf die ruhigen Straßen rings um sein Wahlkampfquartier hinausblickte, konnte er einfach nicht an eine Verschwörung von der Größenordnung glauben, wie Crassus sie beschrieben hatte. Aber er hatte schon einmal erlebt, wie Rom vom Krieg heimgesucht wurde, und das war für ihn Grund genug, Brutus in den Richtungen, die Crassus genannt hatte, Erkundungen einholen zu lassen.

Dies war die Last der Verantwortung, nach der er sich gesehnt hatte, gestand sich Julius ein. Auch wenn er sich wünschte, ein anderer würde Karriere und Leben aufs Spiel setzen, lag die Entscheidung doch ganz bei ihm. Er wusste genau, was er riskierte. Mit nicht mehr als ein paar Namen in der Hand konnte er nicht andere Senatoren des Verrats bezichtigen, ohne seinen eigenen Kopf in die Schlinge zu stecken. Wenn er seine Behauptungen nicht beweisen konnte, würde sich der Senat ohne zu zögern gegen ihn stellen. Und schlimmer noch: Die Menschen würden sich vor einer Rückkehr der Tage Sullas fürchten, in denen niemand gewusst hatte, wer als Nächstes unter dem Vorwurf des Verrats aus seinem Haus geholt würde. Durch einen Irrtum konnte Rom mehr Schaden nehmen, als wenn er nichts unternahm, und dieser Druck war kaum zu ertragen.

In einem jener kostbaren Augenblicke, die er ganz für sich allein hatte, schlug Julius mit der Faust auf den Tisch, dass er wackelte. Wie sollte er Crassus nach einer solchen Offenbarung noch trauen? Als Konsul hätte er Catilinas Verschwörung anzeigen müssen, sobald er das Senatsgebäude betreten hatte. Von allen Männern Roms war ausgerechnet er seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, und trotz seiner Unschuldsbeteuerungen fiel es Julius nicht leicht, ihm diese Schwäche zu verzeihen. Seit Sulla hatte keine bewaffnete Streitmacht mehr damit gedroht, die Stadt zu betreten, und die Erinnerung an diese Nacht ließ Julius immer noch schaudern. Er hatte gesehen, wie Marius von Soldaten in dunklen Umhängen umgebracht worden war, von Männern, die sich wie die Ameisen in Afrika auf ihn gestürzt hatten. Crassus hätte nicht auf einen Mann wie Catilina hören sollen, was immer ihm dieser auch versprochen haben mochte.

Ein Tumult im unteren Stockwerk des Hauses riss Julius aus seinen Gedanken. Die Hand glitt zum Gladius, der auf dem Tisch lag, ehe er Brutus’ Stimme erkannte und sich wieder entspannte. Genau das hatte die Beichte des Crassus bewirkt: das erneute Aufkeimen jener Angst, die er gespürt hatte, als Cato ihn bedrohte und er jeden Mann für einen Feind halten musste. Zorn wallte in ihm auf, als ihm klar wurde, wie Crassus ihn manipuliert hatte. Dabei wusste er, dass der alte Mann seine Absichten trotzdem durchsetzen würde. Die Verschwörer mussten aufgehalten werden, ehe sie zuschlagen konnten. Er fragte sich, ob man ihnen drohen konnte. Vielleicht sollte er eine Zenturie mit seinen besten Offizieren in ihre Häuser schicken. Wenn die Männer merkten, dass ihr Plan aufgeflogen war, ließ sich die Verschwörung vielleicht im Keim ersticken.

Brutus klopfte und trat ein. Als Julius sein Gesicht sah, machte er sich auf schlechte Nachrichten gefasst. Brutus kam sofort zur Sache: »Ich habe meine Männer die Dörfer ausspähen lassen, vor denen dich Crassus gewarnt hat. Ich glaube, er sagt die Wahrheit.« Von Brutus’ gewohnter Heiterkeit war nichts zu sehen.

»Wie viele Schwerter haben sie?«, erkundigte sich Julius.

»Achttausend, vielleicht auch mehr, aber sie sind weit verstreut. In jeder Stadt dort wimmelt es von Männern, viel zu vielen, um sie zu versorgen. Keine Legionsabzeichen oder Fahnen, nur jede Menge Schwerter in der unmittelbaren Nähe von Rom. Wenn meine Legionäre nicht gezielt danach Ausschau gehalten hätten, wären sie ihnen vielleicht nicht einmal aufgefallen. Ich glaube, die Bedrohung ist echt, Julius.«

»Dann muss ich handeln«, sagte Julius. »Die Verschwörung ist schon zu weit fortgeschritten, um sie noch davon abhalten zu können. Entsende Männer zu den Häusern, die wir beobachtet haben. Begib dich selbst in das Haus Catilinas. Verhafte die Verschwörer und bringe sie heute Nachmittag zur Senatssitzung. Ich werde dort eine Rede halten und unseren Senatoren mitteilen, wie knapp sie der Vernichtung entgangen sind.« Er erhob sich und band sich das Schwert an den Gürtel. »Sieh dich vor, Brutus. Um ihren Plan umzusetzen, müssen sie Gefolgsleute in der Stadt haben. Crassus meint, sie wollten als Signal Feuer in den armen Stadtgebieten legen, also brauchen wir Männer auf den Straßen, die darauf vorbereitet sind. Niemand weiß, wie viele daran beteiligt sind.«

»Die Zehnte reicht nicht aus, um die ganze Stadt zu sichern, Julius. Ich kann nicht für Ruhe und Ordnung sorgen und gleichzeitig gegen die Söldner vorgehen.«

»Gut. Ich werde Pompeius davon überzeugen, dass er seine Männer auf den Straßen einsetzt. Er wird die Notwendigkeit einsehen. Nachdem du die Männer zum Senat gebracht hast, lass mir eine Stunde Zeit, um den Fall vorzutragen, dann marschiere los. Wenn ich nicht dort bin, um euch anzuführen, geh alleine gegen sie vor.«

Brutus schwieg einen Augenblick, als ihm klar wurde, was von ihm verlangt wurde.

»Wenn ich ohne Befehl des Senats ins Feld ziehe, könnte das mein Ende bedeuten, ganz egal, ob wir siegreich sind oder nicht«, sagte er leise. »Kannst du Crassus wirklich so weit trauen, dass er dir bei dieser Angelegenheit nicht in den Rücken fällt?«

Julius zögerte. Wenn sich Crassus weigerte, vor dem Senat seine Anschuldigungen zu wiederholen, bedeutete das ihrer aller Ende. Der alte Mann war gerissen genug, sich die ganze Verschwörung nur ausgedacht zu haben, um einige seiner Gegner loszuwerden. Crassus wäre seine Konkurrenten los, ohne selbst dabei Schaden zu nehmen.

Trotzdem blieb Julius keine andere Wahl. Solange er sie noch verhindern konnte, durfte er nicht zulassen, dass eine Rebellion ausbrach.

»Nein. Völlig trauen kann ich ihm nicht, aber ganz egal, wer für diese Ansammlung von Soldaten verantwortlich ist, ich darf eine Bedrohung Roms nicht zulassen. Verhafte die Männer, die er genannt hat, ehe wir durch unser Abwarten noch mehr Schaden anrichten. Wenn ich euch erreichen kann, übernehme ich die volle Verantwortung. Wenn ich nicht da bin, liegt die Entscheidung bei dir. Warte, solange du nur kannst.«

Brutus machte sich mit Domitius und zwanzig seiner besten Männer auf den Weg, um Catilina in seinem Haus zu verhaften. Zu seinem großen Verdruss verloren sie entscheidende Augenblicke dabei, das Tor aufzubrechen. Bis sie die Privatgemächer des Catilina erreichten, wärmte sich dieser bereits die Hände über einem Kohlenbecken voller brennender Dokumente. Er wirkte äußerlich ruhig, als er die Soldaten begrüßte. Seine harten Gesichtszüge wirkten fast wie gemeißelt, und seine breiten Schultern wiesen ihn als einen Mann aus, der sich seine Körperkraft erhielt. Ungewöhnlich für einen Senator, hatte er einen Gladius in einer reich verzierten Scheide umgeschnallt.

Brutus goss sofort einen Krug Wein in die Flammen und griff durch den zischend aufsteigenden Dampf in die feuchte Asche. Es war nichts übrig geblieben.

»Dieses Mal hat euer Herr seine Befugnisse überschritten, meine Herren«, bemerkte Catilina.

»Meine Befehle lauten, dich zur Curia zu bringen, Senator, wo du dich wegen Hochverrats zu verantworten hast«, beschied ihn Domitius.

Catilina legte die Hand auf den Knauf des Gladius, und sowohl Brutus als auch Domitius erstarrten.

»Wenn du das Schwert noch einmal anrührst, stirbst du noch hier«, warnte ihn Brutus leise. Catilina riss die Augen mit den schweren Lidern weit auf und versuchte die Gefahr, der er sich ausgesetzt sah, einzuschätzen.

»Wie lautet dein Name?«, fragte er.

»Marcus Brutus, von der Zehnten.«

»Nun, Brutus, Konsul Crassus ist ein guter Freund von mir, und wenn ich wieder frei bin, werde ich mich mit dir noch einmal ausführlicher über dein Vorgehen unterhalten. Und jetzt tu, wie man dich geheißen hat, und bring mich zum Senat.«

Domitius streckte die Hand aus, um den Arm des Senators zu ergreifen, aber Catilina schlug sie weg, wobei die Wut hinter seiner gespielten Ruhe hervortrat.

»Wage es nicht, mich zu berühren! Ich bin ein Senator Roms. Glaube nicht, dass ich diese Beleidigung meiner Person einfach so vergesse, wenn das hier vorbei ist. Dein Herr kann dich nicht für alle Zeiten vor dem Gesetz schützen.«

Dann schritt er mit wutverzerrtem Gesicht an ihnen vorbei. Die Soldaten der Zehnten wechselten besorgte Blicke und stellten sich rings um ihn auf. Domitius sagte nichts mehr, als sie die Straße erreichten, aber er hoffte inständig, dass die anderen Gruppen genug Beweise fänden, mit denen man die Festgenommen anklagen konnte. Wenn nicht, war es gut möglich, dass Julius damit seinen eigenen Untergang heraufbeschworen hatte.

Draußen auf der Straße wogte die geschäftige vormittägliche Menge vorbei, und Brutus musste ihnen mit der flachen Seite des Schwerts einen Weg bahnen. Das Gedränge war zu groß, als dass die Passanten rechtzeitig aus dem Weg gehen konnten, und so kamen sie nur langsam voran. Als sie die erste Straßenecke erreicht hatten, fluchte Brutus leise vor sich hin und nahm die Veränderung in der Menge beinahe zu spät wahr.

Mit einem Mal waren Kinder und Frauen verschwunden, und die Soldaten der Zehnten waren von Männern mit entschlossenen Mienen umringt. Brutus warf einen kurzen Blick nach hinten auf Catilina. Das Gesicht des Senators strahlte triumphierend. Brutus spürte, wie er gestoßen und eingekeilt wurde, und die Erkenntnis, dass Catilina auf sie vorbereitet gewesen war, verursachte ihm beinahe Übelkeit.

»Wir werden angegriffen!«, brüllte Brutus und sah im gleichen Moment, wie Schwerter unter Umhängen und Tuniken hervorgezogen wurden und die Menge mit einem Schlag kampfbereit war. Catilinas Männer hatten sich unter die Passanten gemischt und auf eine günstige Gelegenheit gewartet, ihren Anführer zu befreien. Auf der Straße wimmelte es vor Schwertern, Schreie ertönten, als die ersten Soldaten der Zehnten vollkommen überrumpelt niedergestochen wurden.

Brutus sah, wie Catilina von seinen Anhängern weggezogen wurde, und versuchte ihn festzuhalten. Aber noch während er den Arm ausstreckte, schlug jemand danach, und er verteidigte sich wütend. So dicht von Menschenleibern bedrängt, stand er kurz davor, in Panik zu geraten. Dann sah er Domitius, der sich auf der Straße eine blutige Nische freigekämpft hatte, und schlug sich an seine Seite.

Die Soldaten der Zehnten behielten die Nerven und machten Catilinas Anhänger mit der grimmigen Routine nieder, die man ihnen in der Ausbildung beigebracht hatte. Es waren keine Schwächlinge darunter, aber jeder von ihnen sah sich zwei oder drei wild fuchtelnden Schwertern gegenüber. Auch wenn es den Angreifern an Können fehlte, kämpften sie doch mit fanatischem Einsatz, und auch die Rüstungen der Legionäre konnten nicht alle Schläge abwehren.

Brutus packte einen Mann an der Kehle und schleuderte ihn zwei anderen in den Weg, die er mit gezielten Hieben tötete, als sie übereinander stolperten. Dann spürte er, wie sich sein wild hämmerndes Herz beruhigte und sich ihm die Gelegenheit bot, sich umzublicken. Er wich einem Gladius, der seinen Schwertarm abtrennen sollte, nach hinten aus und antwortete mit einem Gegenstoß in den Hals des Angreifers. Hals und Unterleib, das waren die tödlichsten Stöße.

Brutus wankte, als ihn etwas tief unten am Rücken traf, und er spürte, wie einer der Riemen seines Brustpanzers riss und sich das Gewicht verschob. Er wirbelte herum, das Schwert im spitzen Winkel, und traf das Schlüsselbein eines Mannes, der in das Durcheinander aus Dreck und Fleisch auf der Erde fiel. Blut spritzte auf, und er sah sich blinzelnd nach Catilina um. Der Senator war verschwunden.

»Räumt die verfluchte Straße, Zehnte!«, rief er. Seine Männer reagierten sofort und hieben sich den Weg frei. Die schweren Schwertklingen trafen auf den Feind, durchtrennten Gliedmaßen mit der Leichtigkeit von Schlachterbeilen. Da sich einige von Catilinas Männern mit dem Senator zurückgezogen hatten, war ihre Zahl geschrumpft, so dass es den Legionären gelang, die Verbliebenen zu isolieren. Wieder und wieder rammten sie ihre Klingen in die Körper der Gegner, um ihnen die Beleidigung des Angriffs mit der einzig passenden Münze zurückzuzahlen.

Als es vollbracht war, standen die Legionäre keuchend da, in ihren vom Blut dunkel gefärbten Rüstungen, das langsam von dem polierten Metall tropfte. Einer oder zwei von ihnen gingen vorsichtig zu jedem von Catilinas Männern und stießen, um ganz sicherzugehen, ein letztes Mal mit den Klingen zu.

Brutus wischte sein Schwert an einem Mann ab, den er niedergestreckt hatte, und schob es behutsam in die Scheide zurück, nachdem er die Schneide gründlich überprüft hatte. Cavallos Arbeit war ohne Fehler.

Von seinen ursprünglich zwanzig Männern waren noch elf auf den Beinen, zwei weitere lagen im Sterben. Ohne dass Brutus es befehlen musste, hoben die anderen ihre Kameraden von der Straße und stützen sie, wechselten ein paar Worte mit ihnen, während sie ihr Leben aushauchten.

Brutus versuchte, sich zu konzentrieren. Catilinas Männer hatten bereitgestanden, um ihn aus den Händen der Zehnten zu befreien. Schon jetzt konnte Catilina auf dem Weg zu den Aufständischen sein, oder sie zu ihm.

Er wusste, dass er eine schnelle Entscheidung treffen musste. Seine Männer beobachteten ihn schweigend und warteten auf Befehle.

»Domitius, lass unsere Verwundeten in der Obhut der umliegenden Häuser zurück. Ehe du uns folgst, überbringe Julius eine Nachricht. Wir können nicht mehr auf ihn warten. Der Rest kommt mit mir.«

Ohne ein weiteres Wort rannte Brutus los. Seine Männer folgten ihm, so schnell sie konnten.

Im Senat herrschte ein wüstes Durcheinander, als sich 300 Senatoren gegenseitig zu überbrüllen versuchten. Am lautesten erklangen die Proteste in der Mitte des Saals, wo vier Männer, die Julius hatte verhaften lassen, in Ketten standen und Beweise für die gegen sie erhobenen Vorwürfe forderten. Zu Anfang hatten sich die Männer in ihr Schicksal ergeben, doch als ihnen klar wurde, dass man Catilina nicht hereinzerren und zu ihnen gesellen würde, war ihre Zuversicht rasch zurückgekehrt.

Pompeius wartete ungeduldig darauf, dass Ruhe einkehrte, und sah sich schließlich gezwungen, selbst die Stimme zu erheben und die anderen zu übertönen.

»Nehmt eure Plätze ein und seid still!«, brüllte er die Männer an und funkelte wütend in die Runde. Diejenigen in seiner Nähe nahmen eilig ihre Plätze ein. Andere folgten, und alsbald kehrte wieder eine gewisse Ordnung ein.

Pompeius wartete, bis nur noch leises Flüstern zu hören war. Seine Hände umklammerten das Rednerpult, aber ehe er zu dem ungebärdigen Senat sprechen konnte, hob einer der vier Angeklagten anklagend seine Ketten.

»Ich verlange unsere Freilassung, Konsul! Wir wurden aus unseren Häusern gezerrt, nur ... «

»Sei still, oder ich lasse dir einen Eisenknebel verpassen!«, fuhr ihn Pompeius an. Er sprach leise, doch jetzt erreichte seine Stimme auch die hinterste Ecke des Hauses. »Du bekommst schon noch Gelegenheit, auf die Anklage zu antworten, die Cäsar gegen dich erhoben hat.« Er holte tief Luft.

»Senatoren! Diese Männer sind angeklagt, sich verschworen zu haben, Unruhen in der Stadt anzuzetteln, die zu einem allgemeinen Aufstand und der Entmachtung dieser Kammer führen und mit der Ermordung unserer Vertreter enden sollten. Diejenigen, die jetzt so laut nach Gerechtigkeit schreien, tun gut daran, die Schwere dieser Vorwürfe in Erwägung zu ziehen. Ich bitte um Ruhe für Cäsar, der die Anklage vorgebracht hat!«

Als Julius zum Rednerpult ging, spürte er, wie ihm der Schweiß aus allen Poren strömte. Wo blieb Catilina? Brutus hatte genug Zeit gehabt, ihn hierher zu den anderen zu bringen ... Jetzt empfand Julius jeden Schritt wie einen langsamen Gang zu seinem eigenen Untergang. Er hatte nichts außer Crassus’ Wort, um die Männer anzugreifen oder seine eigenen Zweifel zu beschwichtigen.

Er trat vor die Reihen seiner Kollegen und sah viele feindliche Gesichter unter ihnen. Suetonius saß ihm mit Bibulus fast direkt gegenüber. Die beiden zitterten geradezu vor Aufregung. Cinna war da, dessen Gesicht keine Regung preisgab, während er Julius zunickte. Seit dem Tod seiner Tochter war er nur noch selten im Senat zu sehen. Es konnte keine Freundschaft zwischen ihnen geben, aber Julius schätzte ihn nicht als Feind ein. Wenn er sich bei den anderen Senatsmitgliedern nur ebenso sicher sein könnte.

Julius holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und ordnete seine Gedanken. Wenn er sich in dieser Angelegenheit täuschte, war für ihn alles zu Ende. Falls ihn Crassus in diese Position manövriert hatte, um ihn den Wölfen vorzuwerfen, erwartete ihn Schande oder vielleicht sogar die Verbannung.

Julius suchte Crassus’ Blick und forschte darin nach einem Anzeichen von Triumph. Der alte Mann berührte leicht seine Brust, und Julius ließ sich nicht anmerken, dass er es gesehen hatte.

»Ich klage diese Männer und einen weiteren mit dem Namen Lucius Sergius Catilina des Hochverrats gegen Rom und den Senat an«, begann Julius, und seine Worte hallten durch die absolute Stille. Der Atem schien ihm mit einem Schauder zu entweichen. Es gab kein Zurück mehr.

»Ich kann bestätigen, dass sich in den Städten nördlich von Rom eine Armee versammelt hat, acht- bis zehntausend Mann stark. Mit Catilina als Anführer sollte sie auf das Signal von Feuern hin, die auf den Hügeln Roms gelegt werden sollten, angreifen, dazu sollte in der Stadt allgemeine Unruhen angezettelt werden.«

Alle Augen richteten sich auf die vier Männer, deren Füße aneinander gekettet waren. Sie standen trotzig zusammen und erwiderten die Blicke voller Wut und Empörung. Einer von ihnen schüttelte bei Julius’ Worten ungläubig den Kopf.

Ehe Julius fortfahren konnte, trat ein Bote in der Amtstracht des Senats an ihn heran und übergab ihm eine Wachstafel. Julius überflog sie und zog die Stirn in Falten.

»Soeben erhalte ich die Nachricht, dass der Anführer dieser Männer den Leuten entkommen ist, die ich ausgesandt hatte, um ihn zu verhaften. Somit bitte ich um einen Senatsbefehl, die Zehnte Legion nach Norden gegen die Aufrührer zu führen, die sich dort versammelt haben. Ich darf hier keine Zeit mehr verlieren.«

Ein Senator erhob sich langsam in den Sitzreihen. »Welche Beweise hast du für uns?«

»Mein Wort, und das des Crassus«, erwiderte Julius rasch und unterdrückte seine eigenen Zweifel. »Es liegt in der Natur von Verschwörungen, dass sie kaum Spuren hinterlassen, Senator. Catilina hat bei seiner Flucht neun meiner Legionäre getötet. Mit den vier Männern, die hier vor uns stehen, ist er zu Konsul Crassus gekommen und hat ihm den Tod des Pompeius sowie eine neue Ordnung in Rom angeboten. Alles Weitere muss warten, bis ich die Bedrohung für die Stadt abgewendet habe.«

Dann stand Crassus auf. Julius begegnete seinem Blick, immer noch unsicher, ob er ihm trauen konnte. Der Konsul blickte voll Zorn auf die in Ketten gelegten Verschwörer vor ihm hinab.

»Ich nenne Catilina einen Verräter.«

Crassus’ Worte ließen eine Woge der Erleichterung durch Julius hindurchfluten. Was immer der alte Mann auch vorhatte, zumindest war es nicht er, Julius, der zu Fall gebracht wurde. Crassus warf ihm einen kurzen Blick zu, ehe er fortfuhr, und Julius fragte sich, wie viel von seinen Gedanken er wohl erahnte.

»Als Konsul gebe ich der Zehnten Legion die Erlaubnis, Rom zu verlassen und ins Feld zu ziehen. Pompeius?«

Pompeius erhob sich und sah zuerst Julius und dann Crassus scharf an. Auch er spürte, dass hinter der Geschichte mehr steckte, als man ihn hier wissen ließ, aber nach einer langen Pause nickte er.

»Dann mach dich auf den Weg. Ich verlasse mich darauf, dass die Not so groß ist, wie man mir sagt, Julius. Meine eigene Legion wird die Stadt vor einem Aufstand schützen. Trotzdem wird über diese Männer, die du als Verschwörer bezeichnest, erst dann gerichtet, wenn du zurückgekehrt bist und ich von der Angelegenheit überzeugt bin. Ich werde sie persönlich befragen.«

Nach diesem angespannten Wortwechsel brach in den Reihen aufgeregtes Gemurmel aus, und die drei Männer versuchten schweigend, die Möglichkeiten einzuschätzen, die den anderen offen standen. Keiner von ihnen war bereit, nachzugeben.

Crassus handelte als Erster und rief nach einem Schreiber, der den Befehl schriftlich festhalten sollte. Dann drückte er ihn Julius in die Hand, als dieser vom Rednerpult heruntertrat.

»Tu deine Pflicht, dann wird dir nichts passieren«, flüsterte er. Julius sah ihn einen Augenblick stumm an und eilte dann hinaus aufs Forum.

12

Brutus und seine Extraordinarii an der Spitze der Zehnten legten ein Vielfaches der Strecke zurück, die die Reihen der Fußsoldaten absolvierten, während sie das Gebiet vor und neben der Marschkolonne auskundschafteten. Sie befanden sich gezwungenermaßen im Nordwesten der Stadt, da die Hauptstreitmacht der Legion aus dem Lager in der Nähe der Küste herbeigerufen werden musste und quer durchs Land marschierte, um sich mit der einen Zenturie zu vereinen, die Brutus aus der alten Kaserne der Primigenia mitgebracht hatte.

Nachdem sie sich zusammengeschlossen hatten, legte sich die Nervosität, die Brutus befallen hatte, ein wenig und wich der Aufregung, zum ersten Mal eine Legion gegen einen Feind zu führen. Obwohl er einerseits hoffte, Julius hinter ihnen auftauchen zu sehen, wollte er sie andererseits alleine befehligen. Auf seinen Befehl hin schwenkten die Extraordinarii herum, als hätten sie schon seit Jahren zusammen gekämpft. Brutus genoss den Anblick und spürte, wie sich bei dem Gedanken, das Kommando über sie jemand anderem übertragen zu müssen, alles in ihm sträubte.

Renius war mit fünf Zenturien an der Küste zurückgeblieben, um die Ausrüstung und das Gold aus Spanien zu bewachen. Das war nötig, aber Brutus vermisste jeden Mann, der ihm deshalb fehlte, während die Stärke des Feindes nicht bekannt war. Als er seinen Blick über die Marschkolonne schweifen ließ, erfüllte ihn Stolz auf die Männer, die für ihn marschierten. Anfangs hatten sie nichts besessen außer einem goldenen Adler und der Erinnerung an Marius, jetzt jedoch waren sie wieder eine Legion, und sie waren sein.

Er blickte zum Himmel, um zu sehen, wo die Sonne stand, und erinnerte sich an die Karten, die ihm seine Späher gezeichnet hatten. Catilinas Streitmacht war mehr als einen Tagesmarsch von der Stadt entfernt, und er würde sich entscheiden müssen, ob er ein Marschlager aufschlagen oder seine Männer die Nacht hindurch marschieren ließ. Die Zehnte war zweifellos so ausgeruht, wie sie nur sein konnte, längst erholt von der Seereise, die sie in die Heimat zurückgebracht hatte. Außerdem schoss ihm der auf rührerische Gedanke durch den Kopf, dass Julius sie einholen würde, wenn sie Halt machten, und der Oberbefehl dann wieder auf ihn übergehen würde. Der unebene Boden würde im Dunkeln heimtückisch sein, aber Brutus beschloss, seine Männer weiterzutreiben, bis sie auf den Feind stießen.

Die Region Etruria, deren südlichste Spitze Rom bildete, war ein Land der Hügel und Schluchten, nicht leicht zu durchqueren. Die Zehnte war gezwungen, ihre Reihen zu verbreitern, um sich den Weg an alten Felsen und Tälern vorbei zu bahnen, und Brutus sah mit Genugtuung, wie sich die Formationen schnell und diszipliniert veränderten.

Octavian galoppierte durch sein Blickfeld und warf seinen Wallach mit demonstrativem Geschick herum, als er auf seine Höhe kam.

»Wie weit noch?«, brüllte er über das Scheppern und Trampeln der Reihen hinweg.

»Noch dreißig Meilen bis zu dem Dorf, das wir ausgekundschaftet haben«, erwiderte Brutus lächelnd. Er konnte sehen, wie sich seine eigene Erregung in Octavians Gesicht spiegelte. Der Junge hatte noch nie eine Schlacht miterlebt. Für ihn wurde der Marsch nicht durch Gedanken an Tod und Schmerz getrübt. Brutus hätte ungerührt bleiben sollen, aber die Zehnte strahlte in der Sonne, und der Junge, der er einmal gewesen war, freute sich an der Befehlsgewalt.

»Nimm dir eine Zenturie und erkunde den Weg hinter uns«, befahl Brutus und ignorierte den enttäuschten Ausdruck, der sich im Gesicht des jüngeren Mannes breit machte. Es war hart für ihn, aber Brutus wollte ihn nicht die erste Attacke reiten lassen, ehe er nicht das wahre Gesicht der Schlacht gesehen hatte.

Er beobachtete, wie Octavian Reiter zusammenstellte und in perfekter Formation ans Ende der Kolonne ritt. Brutus nickte befriedigt und genoss die Gelegenheit, wie ein General denken zu können.

Er erinnerte sich daran, wie er Julius vor Jahren die Primigenia übergeben hatte, und ein bitteres Gefühl des Bedauerns überfiel ihn, ehe er es unterdrücken konnte. Die Befehlsgewalt, die er innehatte, trug er nur als Stellvertreter, bis Julius zu ihnen stieß, aber die Erinnerung an diesen Marsch würde ihm lange im Gedächtnis bleiben.

Einer der Kundschafter kam eilig herangeritten. Das Pferd rutschte auf der lockeren Erde, als der Reiter kräftig an den Zügeln zog. Sein Gesicht war kreidebleich vor Aufregung.

»Der Feind ist in Sicht. Er marschiert auf Rom zu.«

»Wie viele?«, fuhr Brutus ihn mit wild schlagendem Herzen an. »Zwei Legionen Freischärler, Herr, in offener Aufstellung. Kavallerie konnte ich keine sehen.«

Hinter ihnen ertönte ein Ruf, und Brutus drehte sich fast mit einem Gefühl der Furcht in seinem Sattel um. Hinter der Kolonne kamen zwei Reiter auf sie zugaloppiert. Da wusste er, dass Domitius seine Pflicht erfüllt und Julius zur Zehnten gebracht hatte. Heftig biss er die Zähne zusammen und versuchte, den Zorn zu unterdrücken, der ihn durchflutete.

Er wandte sich wieder dem Kundschafter zu und zögerte. Sollte er warten, bis Julius kam und das Kommando übernahm? Nein, das würde er nicht tun. Er würde den Befehl geben, und er holte tief Luft.

»Gib den Befehl weiter. Vorrücken und angreifen. Die Hornisten sollen zur Manipel-Aufstellung blasen. Die Velites nach ganz vorn, die Extraordinarii an die Flanken. Wir werden diese Dreckskerle gleich beim ersten Angriff in die Flucht schlagen.«

Der Kundschafter salutierte, ehe er davongaloppierte, und Brutus fühlte sich leer, als er die Staubwolke sah, die Blut und Kampf versprach. Von hier an würde Julius sie in die Schlacht führen.

Als sie die Legion erblickten, die auf sie zukam, gerieten die Marschreihen der Söldner ins Wanken und wurden langsamer. Die Zehnte glitt wie ein großes, silberglänzendes Tier auf sie zu, und der Boden bebte leise im Takt ihrer Schritte. Zahllose Fahnen wehten im Wind, und das Klagen der Cornicen schwebte dünn durch die Luft.

4000 der Männer, die Catilinas Gold angelockt hatte, stammten aus Gallien. Ihr Anführer drehte sich zu dem Römer um und legte ihm eine kräftige Hand auf die Schulter.

»Du hast gesagt, die Stadt kann sich nicht verteidigen«, knurrte er.

Catilina schüttelte die Hand ab.

»Wir sind in der Überzahl und werden sie schlagen, Glavis«, fuhr er ihn an. »Du hast gewusst, dass du dich auf ein blutiges Geschäft einlässt.«

Der Gallier nickte und spähte durch den Staub zu den Reihen der Römer hinüber. Er bleckte die Zähne unter dem Bart, zog ein schweres Schwert aus der Scheide, die quer über seinem Rücken hing, und ächzte unter dem Gewicht. Um ihn herum folgten die Männer seinem Beispiel, bis sie mit einem Wald von Klingen über ihren Köpfen den Angriff erwarteten.

»Nur diese kleine Legion, und dann noch eine in der Stadt. Die fressen wir mit Haut und Haaren«, versprach Glavis, legte den Kopf in den Nacken und brüllte. Die Gallier um ihn herum antworteten. Die ersten Reihen lösten sich, wurden schneller und rannten über das unebene Gelände.

Catilina zog sein eigenes Schwert und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Herz hämmerte vor ungewohnter Furcht, und er fragte sich, ob der Gallier es bemerkt hatte. Verbittert schüttelte er den Kopf und verfluchte Crassus für seine Lügen. Es hätte vielleicht möglich sein können, Rom in der Verwirrung und Panik der Dunkelheit zu erobern, aber eine Legion in offener Feldschlacht besiegen?

»Wir sind in der Überzahl«, flüsterte er vor sich hin und schluckte schwer. Vor sich sah er eine wogende Masse von Pferden, die die Fußsoldaten überholte. Die Erde erzitterte unter der Wucht des Angriffs, und mit einem Mal war Catilina überzeugt, dass er sterben würde. In diesem Augenblick schwand alle Angst, und seine Füße wurden beim Laufen immer leichter.

Julius übernahm ohne zu zögern das Kommando, kaum dass er auf seinem schweißnassen Pferd Brutus erreicht hatte. Er übergab ihm die Wachstafel, die von den Konsuln unterzeichnet worden war.

»Damit sind wir legitimiert. Hast du den Angriffsbefehl bereits gegeben?«

»Das habe ich«, erwiderte Brutus. Er versuchte die Kälte, die er spürte, zu verbergen, aber Julius sah ihn gar nicht an, sondern versuchte, das Vorgehen der Rebellenstreitmacht einzuschätzen.

»Die Extraordinarii stehen an den Flanken bereit«, sagte Brutus. »Ich würde mich ihnen gerne anschließen.«

Julius nickte. »Ich will diese Söldner möglichst schnell aufreiben. Übernimm die rechte Seite und führe sie auf mein Zeichen hin in die Schlacht. Zwei kurze Hornsignale. Hör gut hin.«

Brutus salutierte, ritt davon und gab das Kommando ab, ohne sich noch einmal umzudrehen. Seine Extraordinarii hatten sich in Reihen aufgestellt. Sie ließen sein Pferd nach vorne durch, und ein paar fröhliche Stimmen hießen ihn willkommen. Brutus runzelte die Stirn; er hoffte, dass sie nicht zu übermütig waren. Wie bei Octavian war es auch für sie ein gehöriger Unterschied, ob man Übungsschilder in Stücke hieb oder Speere in lebende Menschen rammte.

»Bleibt in Reih und Glied«, brüllte er und blickte sie finster an.

Jetzt wurden sie ernster, obwohl ihre Aufregung immer noch spürbar war. Die Pferde wieherten und waren unruhig, weil sie losstürmen wollten, aber mit fester Hand im Zaum gehalten wurden. Brutus sah, wie nervös die Männer waren. Viele von ihnen überprüften ihre Speere wieder und wieder und lockerten sie in den langen Lederköchern, die seitlich an den Sätteln befestigt waren.

Jetzt konnten sie die Gesichter der Aufständischen erkennen, eine Masse brüllender, rennender Männer, die ihre Schwerter hoch über den Schultern erhoben hielten, bereit zu einem todbringenden Schlag. Die Klingen glänzten in der Sonne.

Die Zenturien der Zehnten Legion rückten enger zusammen, jeder Mann wartete mit gezogenem Schwert und schützte mit seinem Schild den linken Nebenmann. In ihren Linien gab es keine Lücken, auch nicht als sie vorrückten. Dann bliesen die Cornicen drei kurze Töne, und die Zehnte setzte sich in Bewegung, wobei die Männer weiterhin schwiegen, bis zum letzten Moment, als sie wie ein Mann losbrüllten und ihre Speere schleuderten.

Die schweren Eisenspitzen rissen entlang der gesamten feindlichen Angriffslinie Männer von den Füßen. Gleich darauf ließ Brutus die Extraordinarii werfen, und ihre gezielteren Würfe galten hauptsächlich all jenen Feinden, die versuchten, Ordnung in ihre Reihen zu bringen. Auf diese Weise gab es schon Hunderte von Toten, ehe die Armeen aufeinander trafen, ohne dass es einen Römer das Leben gekostet hätte. Die Extraordinarii kreisten an den Flanken, und Julius sah, wie die Reiter beim Wenden reflexartig ihre Schilde herumrissen, um ihren Rücken zu schützen. Es war eine hervorragende Demonstration ihres Könnens und ihrer Ausbildung, und Julius jubelte innerlich über diesen Anblick, als die vordersten Reihen der beiden Heere aufeinander trafen.

Glavis landete seinen ersten mächtigen Hieb auf einem Schild, der entzweibrach. Als er zum nächsten Schlag ausholte, traf ihn ein Schwert in den Magen. Er zuckte in der Erwartung des Schmerzes zusammen und riss seine Klinge wieder hoch. Als er seinen zweiten Hieb anzubringen versuchte, rammte ein anderer Römer ihn mit dem Schild und stieß ihn zur Seite, wobei dem Gallier das Schwert aus den tauben Fingern glitt. Glavis geriet in Panik, als er nach oben blickte und einen Wald von Beinen und Schwertern sah, der über ihn hinwegschritt. Sie traten und stampften auf ihn, und innerhalb weniger Augenblicke hatte sein Körper vier weitere Stichwunden abbekommen. Das Blut strömte aus ihm heraus, und er spuckte benommen aus, als er es in der Kehle schmeckte. Er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, aber sie hieben weiter auf seinen Körper ein. Niemand hätte den genauen Zeitpunkt seines Todes bestimmen können. Ihm blieb nicht einmal mehr die Zeit, den Angriff seiner Gallier zusammenbrechen zu sehen, die rasch erkannten, dass sie den unbarmherzigen Kampfrhythmus der Zehnten nicht brechen konnten.

Als sie Glavis fallen sahen, gerieten die Gallier ins Wanken, und das war der Augenblick, auf den Julius gewartet hatte. Er rief seinem Melder etwas zu, und zwei kurze Hornstöße erklangen.

Brutus hörte sie und spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug. Trotz ihrer Überzahl brachen die Söldner unter dem Ansturm der Römer zusammen. Einige von ihnen suchten bereits das Weite und warfen ihre Waffen von sich. Brutus grinste, hob die Faust in die Luft und riss sie in Richtung Feind nach unten. Ihre Speerhalter waren leer; nun mussten sie ihren wahren Wert beweisen. Die Extraordinarii reagierten, als hätten sie schon ihr ganzes Leben lang zusammen gekämpft, schwenkten herum, um sich Platz zu verschaffen, bohrten sich dann wie ein Dolch in die feindlichen Reihen und rissen sie auseinander. Jeder Reiter dirigierte sein Pferd mit einer Hand am Zügel und der anderen am Griff des langen Spatha-Schwerts, mit dem er allen, die sich ihm in den Weg stellten, die Köpfe abschlug. Die Pferde waren schwer genug, um Männer umzureißen, und nichts konnte ihrem Gewicht standhalten, als sie tiefer und tiefer in die Reihen der Aufständischen eindrangen und sie zermalmten.

Die erste Reihe der Zehnten schritt schnell über den Feind hinweg, und jeder Mann setzte Schwert und Schild in dem Bewusstsein ein, dass ihn sein Bruder zur Rechten deckte. Sie waren durch nichts aufzuhalten, und nachdem die ersten Reihen gefallen waren, erhöhten sie das Tempo und keuchten und stöhnten vor Anstrengung, als ihnen die Arme schwer wurden.

Julius gab die Manipel-Befehle, und die Zenturios brüllten sie hinaus. Die Velites zogen sich leichtfüßig zurück und ließen die Triarii in ihren schwereren Rüstungen nach vorne.

Der Widerstand der Aufständischen zerbrach, als sie von den frischen Soldaten angegriffen wurden. Hunderte warfen ihre Waffen weg, weitere Hunderte stoben in wilder Flucht davon, ohne sich um die wütenden Rufe ihrer Anführer zu scheren.

Für diejenigen, die sich zu früh ergaben, konnte es keine Gnade geben. Die römischen Linien konnten es sich nicht erlauben, sie beim Vormarsch durch ihre Reihen hindurchzulassen, sie wurden wie alle anderen getötet.

Die Extraordinarii brandeten um die Aufständischen herum, eine schwarze Masse von schnaubenden Pferden und brüllenden Reitern, rot vom verspritzten Blut und so wild, als wären sie einem Albtraum entsprungen. Sie schlossen den Feind ein, und wie auf ein Zeichen hin ließen Tausende von Männern ihre Schwerter fallen und hoben keuchend die leeren Hände.

Julius zögerte, als er das Ende sah. Wenn er die Cornicen nicht den Befehl zur Einstellung der Kampfhandlungen geben ließ, würde die Zehnte weitermachen, bis auch der Letzte der Aufständischen tot war. Er war versucht, es geschehen zu lassen. Was sollte er mit so vielen Gefangenen anfangen? Tausende waren noch am Leben, und man konnte ihnen nicht gestatten, auf ihre Felder und in ihre Häuser zurückzukehren. Er wartete, während er die Augen der Zenturios auf sich spürte, die ihrerseits auf das Signal warteten, das das Ende des Tötens verkündete. Inzwischen war es ein reines Gemetzel, und diejenigen, die in der Nähe der römischen Reihen standen, wollten schon wieder zu ihren Waffen greifen, ehe sie unbewaffnet starben. Julius fluchte leise vor sich hin und riss die offene Hand nach unten. Die Cornicen sahen die Geste und bliesen einen tiefer werdenden Ton. Dann war es vorbei.

Die Überlebenden waren so schnell entwaffnet worden, wie sich die Soldaten der Zehnten unter sie mischen konnten. In kleinen Gruppen durchsuchten sie die Söldner. Ein Römer nahm ihnen die Schwerter ab, während die anderen grimmig und aufmerksam zusahen, bereit, jede plötzliche Bewegung zu bestrafen.

Die Offiziere der Söldner waren aus den Reihen hervorgerufen worden und mussten sich vor Julius aufstellen. Sie musterten ihn in stiller Resignation, eine seltsame Gruppe, in grobe Stoffe und wild zusammengewürfelte Rüstungen gekleidet.

Die Sonne versank hinter dem Horizont. Ein kalter Wind blies über das Schlachtfeld. Julius betrachtete die Gefangenen, die in Reihen nebeneinander knieten, wobei die Linien immer wieder von Leichen unterbrochen wurden. Catilinas Leichnam war gefunden und nach vorne geschleift worden. Julius hatte auf das vielfach durchbohrte, blutige Etwas hinabgeblickt. Von ihm waren keine Antworten mehr zu erwarten.

Obwohl Julius glaubte, die Wahrheit des gescheiterten Aufstands zu kennen, nahm er an, dass Crassus für seine Rolle darin nicht belangt werden würde. Vielleicht war es besser, der Öffentlichkeit gegenüber gewisse Geheimnisse zu wahren. Es konnte nicht schaden, den reichsten Mann Roms in seiner Schuld zu wissen.

Er warf einen Blick zu Octavian hinüber, der gerade den Hals seines Pferdes tätschelte und im vergehenden Hochgefühl der Geschwindigkeit und der Angst immer noch glühte. Endlich hatten die Extraordinarii ihre Feuertaufe erlebt. Pferde und Männer waren mit Blut und Erde bespritzt, die bei dem Angriff hochgeschleudert worden war. Brutus stand unter ihnen und sprach leise Worte der Anerkennung, während er darauf wartete, dass Julius den Befehl gab, dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Es war kein Befehl, den er gerne gegeben hätte, aber Rom durfte keine Gnade zeigen.

Julius gab den Männern der Zehnten ein Zeichen, die Offiziere zu ihm zu bringen. Die Optios schlugen mit ihren Stöcken auf die Söldner ein und stießen einen zu Boden. Dieser schrie wütend auf und hätte sich auf sie gestürzt, wenn ihn nicht ein anderer festgehalten hätte. Julius hörte, wie sie miteinander diskutierten, aber die Sprache war ihm unbekannt.

»Habt ihr einen Heerführer?«, fragte er sie schließlich.

Die Anführer blickten sich an, und dann trat einer vor.

»Für uns Gallier war das Glavis«, sagte er. Er zeigte mit dem Daumen hinter sich auf die Leichenhaufen, die überall verstreut lagen. »Er muss dort irgendwo liegen.«

Der Mann erwiderte Julius’ kalten, abschätzenden Blick, ehe er die Augen abwandte. Er blickte voll Trauer über das Schlachtfeld, ehe er wieder Julius ansah.

»Du hast unsere Waffen, Römer. Wir sind keine Bedrohung mehr für euch. Lass uns ziehen.«

Julius schüttelte langsam den Kopf. »Ihr seid nie eine Bedrohung für uns gewesen«, sagte er und sah das Blitzen in den Augen des Gegners, bevor dieser es verbergen konnte. Er hob die Stimme, damit sie ihn alle hören konnten.

»Ihr habt die Wahl, meine Herren. Ihr könnt entweder auf ein Wort von mir sterben ...« Er zögerte. Pompeius würde einen Wutanfall bekommen, wenn er davon hörte. »Oder ihr könnt mir gegenüber den Eid der Legionäre schwören und euch unter mein Kommando begeben.«

Das wilde Stimmengewirr, das sich erhob, war nicht nur auf die Söldner beschränkt. Den Soldaten der Zehnten war bei seinen Worten der Mund offen stehen geblieben.

»Ihr werdet am ersten Tag eines jeden Monats euren Sold erhalten. Fünfundsiebzig Silbermünzen für jeden Mann, obwohl ein Teil davon einbehalten werden wird.«

»Wie viel?«, rief jemand.

Julius wandte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.

»Genug für Salz, Essen, Waffen, Rüstung und einen Zehnten für die Witwen und Waisen. Zweiundvierzig bleiben jedem Mann, die er nach Belieben ausgeben kann.« Ein Gedanke durchzuckte ihn und ließ ihn zögern. Der Sold für so viele Männer würde sich auf Tausende von Münzen belaufen. Es war unglaublich kostspielig, zwei Legionen zu unterhalten, und sogar das Gold, das er aus Spanien mitgebracht hatte, würde unter diesen Bedingungen rasch dahinschwinden. Wo hatte Catilina das viele Geld hergehabt? Er schob den Verdacht beiseite und fuhr fort: »Ich werde eure Reihen mit meinen Offizieren durchsetzen und euch so ausbilden, dass ihr wie die Männer kämpft, die euch heute wie Kinder haben aussehen lassen. Ihr werdet gute Schwerter und Rüstungen bekommen, und euer Sold wird pünktlich bezahlt werden. Entweder das, oder ihr sterbt auf der Stelle. Geht zurück zu euren Männern und sagt es ihnen. Und warnt sie, falls sie vorhaben, sich davonzumachen, denn dann werde ich jeden einzelnen jagen und hängen. Diejenigen, die sich für das Leben entscheiden, werden nach Rom marschieren, aber nicht als Gefangene. Die Ausbildung wird hart, aber sie besitzen genug Mut, um es zu versuchen. Alles andere kann ihnen beigebracht werden.«

»Gibst du uns unsere Waffen wieder?«, fragte einer der Offiziere.

»Mach dich nicht lächerlich!«, erwiderte Julius. »Und jetzt bewegt euch! So oder so wird das hier bei Sonnenuntergang erledigt sein.«

Die Söldner, die seinem Blick nicht mehr standhalten konnten, gingen davon, zurück zu ihren Brüdern, die im Dreck knieten. Die Legionäre ließen sie passieren und sahen sich verblüfft an.

Während sie warteten, trat Brutus neben Julius.

»Dem Senat wird das nicht gefallen, Julius. Du hast schon genug Feinde.«

»Ich bin im Felde«, erwiderte Julius. »Und ob es ihnen nun gefällt oder nicht, im Feld spreche ich für die Stadt. Hier bin ich Rom, und die Entscheidung liegt bei mir.«

»Aber wir hatten den Befehl, sie zu vernichten«, sagte Brutus so leise, dass ihn sonst niemand hören konnte.

Julius zuckte die Achseln. »Dazu kann es immer noch kommen, mein Freund, aber du solltest hoffen, dass sie den Eid ablegen.«

»Warum sollte ich das hoffen?«, fragte Brutus argwöhnisch. Julius lächelte ihn an und klopfte ihm dann auf die Schulter. »Weil das deine Legion werden soll.«

Brutus rührte sich nicht und ließ die Worte auf sich wirken. »Sie haben gegen uns verloren, Julius. Selbst Mars könnte aus diesem Haufen keine Legion machen.«

»Es ist dir schon einmal gelungen, mit der Primigenia. Und es wird dir auch mit diesen Männern gelingen. Sag ihnen, sie hätten einen Angriff der besten Legion, die Rom jemals zu bieten hatte, überlebt, unter einem General, der gesegnet ist. Richte sie auf, Brutus, und sie werden dir folgen.«

»Sie werden mir gehören, mir allein?«, fragte Brutus.

Julius blickte ihm in die Augen. »Wenn du weiter mein Schwert sein wirst, dann schwöre ich dir, dass ich mich nicht einmische, obwohl ich selbstverständlich das Oberkommando habe, wenn wir gemeinsam kämpfen. Ansonsten wird es, wenn du meinen Weg gehst, deine eigene Entscheidung sein – so wie es immer gewesen ist.«

Jetzt kamen die Söldneroffiziere einer nach dem anderen zurück. Als sie wieder zusammentrafen, nickten sie sich knapp zu, nun sichtlich entspannt. Noch ehe ihr Sprecher auf ihn zutrat, wusste Julius, dass er sie gewonnen hatte.

»Es war keine schwere Entscheidung«, sagte er.

»Gibt es keinen, der ... anderer Meinung ist?«, fragte Julius leise. Der Gallier schüttelte den Kopf.

»Gut. Dann sollen sie aufstehen. Sobald alle den Eid abgelegt haben, zünden wir Fackeln an und marschieren die Nacht durch nach Rom zurück. Dort warten saubere Unterkünfte und eine warme Mahlzeit auf euch.« Julius wandte sich an Brutus.

»Schick die ausgeruhtesten Reiter los, um dem Senat Meldung zu machen. Sie können nicht wissen, ob wir der Feind sind oder nicht, und ich möchte nicht den Aufstand auslösen, den zu verhindern wir ausgezogen sind.«

»Wir sind der Feind«, murmelte Brutus.

»Jetzt nicht mehr, Brutus. Keiner von ihnen wird einen Schritt tun, ehe er nicht durch den Eid gebunden ist. Danach gehören sie uns, ob sie es nun wissen oder nicht.«

Als Julius mit einer ausgesuchten Leibwache aus Extraordinarii auf die Stadt zuritt, sah er, dass man die Tore vor ihnen verschlossen hatte. Das erste graue Licht des Morgens zeigte sich bereits am Horizont, und er spürte die knirschende Müdigkeit in seinen Gelenken. Doch es gab noch viel zu tun, ehe er schlafen konnte.

»Macht das Tor auf! «, rief er, während er das Pferd zum Stehen brachte und an der dunklen Masse aus Holz und Eisen hinaufblickte, die ihm den Weg versperrte.

Ein Legionär in der Rüstung des Pompeius erschien auf der Mauer und sah zu ihnen herab. Nach einem kurzen Blick auf die kleine berittene Einheit spähte er die Straße entlang, um sicherzustellen, dass dort keine Streitmacht im Hinterhalt lag, um in die Stadt zu stürmen.

»Nicht vor Tagesanbruch, Herr«, rief er hinunter, nachdem er Julius’ Rüstung erkannt hatte. »Befehl von Pompeius.«

Julius fluchte leise vor sich hin. »Dann wirf mir ein Seil herunter. Ich habe etwas Dringendes mit dem Konsul zu besprechen, das keinen Aufschub duldet.«

Der Soldat verschwand, vermutlich um mit seinem Vorgesetzten zu sprechen. Die Extraordinarii warteten unruhig.

»Wir haben den Befehl, dich zum Senat zu begleiten, General«, sagte einer von ihnen vorsichtig.

Julius drehte sich im Sattel um und blickte den Reiter an.

»Wenn Pompeius die Stadt abgeriegelt hat, wird seine Legion überall auf den Straßen zu finden sein. Mir droht kein Gefahr.«

»Ja, Herr«, erwiderte der Reiter. Der Gehorsam hielt ihn davon ab, den Befehl in Frage zu stellen.

Auf der Mauer erschien ein Offizier in voller Rüstung. Der Federbusch auf seinem Helm wehte leicht im Nachtwind.

»Ädile Cäsar? Ich lasse dir ein Seil hinunter, wenn du mir dein Wort gibst, alleine zu kommen. Die Konsuln haben nicht damit gerechnet, dass du so früh zurückkehrst.«

»Du hast mein Wort«, erwiderte Julius. Er sah, wie der Mann ein Zeichen gab und schwere Seilschlingen am Fuß des Tores auf den Boden schlugen. Er erblickte auch Bogenschützen, die ihn von den Türmen am Tor aus ins Visier nahmen, und nickte vor sich hin. Pompeius war kein Dummkopf.

Nachdem er abgestiegen war und das Seil ergriffen hatte, drehte er sich zu den Extraordinarii um.

»Kehrt mit den anderen in die alten Kasernen der Primigenia zurück. Bis zu meiner Rückkehr hat Brutus das Kommando.«

Ohne ein weiteres Wort machte er sich daran, die Mauer zu erklettern.

13

Ein leichter Regen setzte ein, als Julius durch die leere Stadt ging. Jetzt, da sich der Morgen bereits am Horizont abzeichnete, hätten die Straßen voller Arbeiter, Dienstboten und Sklaven sein müssen, die mit tausenderlei Aufträgen unterwegs waren. Die Schreie der Markthändler hätten zu hören sein müssen, ebenso der Lärm der verschiedenen Werkstätten. Stattdessen war es überall geisterhaft still.

Julius zog die Schultern gegen den Regen hoch und hörte, wie seine Schritte von den Mauern der Häuser zu beiden Seiten widerhallten. Er sah Gesichter in den hohen Fenstern der Mietskasernen, aber niemand rief ihn an. Also eilte er weiter zum Forum.

Die Soldaten des Pompeius standen in kleinen Gruppen an allen Ecken, um bei Bedarf sofort die Ausgangssperre durchzusetzen. Einer von ihnen legte die Hand auf den Schwertgriff, als er die einsame Gestalt erblickte. Julius warf den Reitumhang zurück und gab den Blick auf die Rüstung darunter frei. Sie ließen ihn passieren. Die ganze Stadt war nervös, und Julius verspürte wachsenden Zorn über die Rolle, die Crassus dabei gespielt hatte.

Er schritt eilig die Alta Semita hinab, die am Quirinal entlang zum Forum führte. Die großen, flachen Trittsteine verhinderten, dass er in den träge dahinfließenden Dreck des Straßenbettes treten musste. Der Regen machte sich daran, die Stadt zu reinigen, aber es bedurfte mehr als eines kurzen Schauers, um diese Aufgabe zu Ende zu führen.

Noch nie in seinem Leben hatte er das weite Areal des Forums so leer und verlassen gesehen. Der Wind, den die Häuserreihen vorher abgehalten hatten, traf ihn mit voller Wucht, als er auf den Platz hinaustrat, und ließ den Umhang hinter ihm herflattern. Vor den Tempeleingängen und dem Tor zum Senat waren Soldaten postiert, drinnen jedoch waren keine Lichter zu sehen. Die Tempelpriester hatten flackernde Fackeln für die Betenden angezündet, aber dafür hatte Julius keine Zeit. Als er am Tempel der Minerva vorbeikam, bat er die Göttin leise um die Weisheit, seinen Weg durch das Durcheinander zu finden, das Crassus verursacht hatte.

Die eisernen Nägel seiner Sandalen klangen laut auf den Steinplatten des großen Platzes, den er auf dem Weg zum Senat überquerte. Dort standen zwei Legionäre vollkommen regungslos auf ihrem Posten, obwohl Regen und Wind auf ihre ungeschützte Haut trafen. Als Julius seinen Fuß auf die erste Stufe setzte, zückten beide ihre Schwerter. Julius blickte sie finster an. Sie waren beide noch sehr jung. Erfahrene Männer hätten nicht schon bei einem so geringen Anlass blank gezogen.

»Auf Befehl von Konsul Pompeius darf niemand eintreten, bis der Senat wieder zusammengerufen wird«, sagte einer zu Julius, erfüllt von der Wichtigkeit seiner Pflicht.

»Ich muss noch vor dieser Sitzung mit den Konsuln sprechen«, erwiderte Julius. »Wo sind sie?«

Die beiden Soldaten wechselten einen kurzen Blick und überlegten angestrengt, ob sie diese Information weitergeben durften. Julius, der inzwischen bis auf die Haut durchnässt war, wurde allmählich ungeduldig.

»Mir wurde aufgetragen, mich zu melden, sobald ich nach Rom zurückgekehrt bin. Hier bin ich. Wo finde ich euren Befehlshaber?«

»Im Gefängnis, Herr«, antwortete der Soldat. Er wollte noch mehr sagen, überlegte es sich aber anders, nahm wieder die ursprüngliche Haltung ein und steckte das Schwert weg. Nun standen die beiden wieder wie Statuen im Regen.

Mittlerweile hingen schwarze Wolken über der Stadt, und der immer stärker werdende Wind heulte über das menschenleere Forum. Julius widerstand dem Bedürfnis, sich rasch irgendwo unterzustellen und schritt hinüber zum Gefängnis, das an das Senatsgebäude angrenzte. Es war ein kleines Gebäude, in dem sich lediglich zwei unterirdische Zellen befanden, wo die zum Tode Verurteilten in der Nacht vor ihrer Hinrichtung untergebracht wurden. Andere Gefängnisse gab es nicht in der Stadt: Hinrichtungen und Verbannungen machten ihren Bau überflüssig. Die Tatsache, dass Pompeius dort zu finden war, ließ Julius ahnen, was ihn dort erwartete, und er bereitete sich darauf vor, nicht mit der Wimper zu zucken.

Zwei weitere Soldaten des Pompeius bewachten die äußere Tür. Als sich Julius näherte, nickten sie ihm zu, als hätten sie ihn erwartet und öffneten den Riegel.

Da Julius’ Rüstung die Insignien der Zehnten trug, wurde er nicht aufgehalten, bis er die Treppe erreichte, die hinunter zu den Zellen führte. Drei Männer machten ihm Platz, nachdem er seinen Namen genannt hatte, ein vierter folgte ihm die Stufen hinunter. Julius wartete geduldig, während unten irgendwo sein Name genannt wurde und Pompeius’ grollende Stimme antwortete. Die Männer, die ihn beobachteten, erstarrten, woraufhin er sich so entspannt wie möglich an die Wand lehnte, sich das Wasser von der Rüstung wischte und es aus seinem Haar drückte. Damit gelang es ihm, sich unter ihren stummen Blicken zu lockern, und als Pompeius mit dem Soldaten die Treppe heraufkam, konnte er ihn mit einem Lächeln begrüßen.

»Das ist Cäsar«, sagte Pompeius mit hartem Blick und ohne das Lächeln zu erwidern. Nach der Bestätigung durch ihren Feldherrn nahmen die Männer im Raum die Hände von den Schwertgriffen, gingen auseinander und gaben den Weg zur Treppe frei.

»Ist die Stadt noch in Gefahr?«, fragte Pompeius.

»Es ist vorbei«, antwortete Julius. »Catilina hat die Schlacht nicht überlebt.«

Pompeius fluchte leise. »Das ist bedauerlich. Komm mit mir hinunter, Cäsar. Du solltest auch daran teilhaben«, sagte er.

Während er sprach, wischte er sich den Schweiß vom Haaransatz, und Julius sah eine Blutschliere auf seinem Handrücken. Er folgte Pompeius die Treppe hinunter, während sein Herz in banger Vorahnung wild hämmerte.

Auch Crassus hielt sich in den Zellen auf. Alles Blut schien aus seinem Gesicht gewichen zu sein, so dass er im Schein der Lampen wie eine Wachsfigur aussah. Als Julius den niedrigen Raum betrat, blickte er auf. In seinen Augen lag ein böses Glitzern. Ein Übelkeit erregender Geruch hing in der Luft, und Julius versuchte die Gestalten, die in der Mitte des Raumes an Stühle gefesselt waren, nicht anzusehen. Es waren vier Männer, und der Geruch von frischem Blut war ihm wohl bekannt.

»Was ist mit Catilina? Hast du ihn mitgebracht?«, fragte Crassus und legte Julius die Hand auf den Arm.

»Er wurde beim ersten Angriff getötet, Konsul«, erwiderte Julius und beobachtete die Augen des anderen dabei. Genau wie erwartet, sah er die Angst aus ihnen weichen. Catilinas Geheimnisse waren zusammen mit ihm gestorben.

Pompeius knurrte und deutete auf die Folterknechte, die neben den geschundenen Körpern der Verschwörer standen.

»Wie schade. Diese Kreaturen haben ihn als ihren Anführer genannt, aber sie kennen keine der Einzelheiten, die ich so gerne wissen wollte. Sie hätten sie uns inzwischen bestimmt verraten.«

Julius sah die Männer an und unterdrückte ein Schaudern angesichts dessen, was man ihnen angetan hatte. Pompeius war sehr gründlich vorgegangen, und auch er bezweifelte, dass die Männer irgendetwas verheimlicht hätten. Drei von ihnen lagen wie tot regungslos da, nur der Letzte riss den Kopf mit einer plötzlichen Bewegung hoch. Ein Auge war ihm ausgestochen worden, Flüssigkeit rann ihm in einem glänzenden Bach die Wange herunter, aber das andere spähte ziellos umher und leuchtete auf, als es Julius erkannte.

»Du! Ich klage dich an!«, spuckte er aus und kicherte leise, wobei ihm Blut über das Kinn lief.

Julius musste gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfen, die ihn befiel, als er die weißen Splitter auf dem Steinfußboden liegen sah. An einigen hingen noch die Wurzeln.

»Er hat den Verstand verloren«, sagte er leise, und zu seiner Erleichterung nickte Pompeius.

»Ja, obwohl er am längsten durchgehalten hat. Sie werden noch lange genug leben, um hingerichtet zu werden, und damit ist der Fall erledigt. Ich bin euch beiden zu Dank verpflichtet, weil ihr den Senat rechtzeitig gewarnt habt. Das war eine edle Tat und eures Ranges würdig.« Pompeius sah den Mann an, der sich in zwei Monaten als Konsul zur Wahl stellen würde.

»Sobald die Ausgangssperre aufgehoben ist, werden die Menschen jubeln, weil man sie vor einem blutigen Aufstand bewahrt hat. Sie werden dich wählen, meinst du nicht? Wie könnte es anders sein?«

Seine Augen straften seinen leichten Tonfall Lügen, und Julius sah ihn nicht an, als er den Blick des anderen spürte. Er schämte sich für die ganze Angelegenheit.

»Gut möglich«, sagte Crassus leise. »Wir drei müssen uns gemeinsam für Rom einsetzen. Ein Triumvirat bringt gewiss seine eigenen Probleme mit sich. Vielleicht sollten wir ...«

»Ein anderes Mal, Crassus«, fuhr ihn Pompeius an. »Nicht hier, mit dem Gestank dieses unsäglichen Ortes in der Lunge. Vor der Senatssitzung bei Sonnenaufgang möchte ich noch das Badehaus aufsuchen.«

»Der Tag ist bereits angebrochen«, sagte Julius.

Pompeius fluchte leise und wischte sich mit einem Lappen die Finger ab. »Hier unten ist es immer Nacht. Mit denen da bin ich fertig.«

Er befahl den Folterknechten, die Männer zu waschen und herzurichten, ehe er sich wieder Crassus zuwandte. Julius sah, wie dunkle Schwämme in Eimer getaucht und die gröbsten Blutspuren abgespült wurden. Die schmutzige Brühe lief in einer Steinrinne zwischen seinen Füßen hindurch ab.

»Ich lasse die Hinrichtung für die Mittagsstunde ansetzen«, versprach Pompeius und führte sie die Treppen hinauf in die kühlen Räume, die über ihnen lagen.

Als Julius und Crassus auf das Forum hinaustraten, hatte das graue Licht inzwischen eine rötliche Färbung angenommen. Der Regen prasselte auf die Steine und ließ auf dem leeren Platz Tausende winziger Fontänen aufsteigen. Obwohl Julius seinen Namen rief, ging Crassus hastig durch den strömenden Regen davon. Zweifellos würden ein Bad und frische Kleidung etwas von seiner kränklichen Blässe vertreiben, dachte Julius. Er beeilte sich, den Konsul einzuholen.

»Als ich die Aufständischen vernichtet habe, die sich in deinem Namen versammelt hatten, kam mir ein Gedanke«, sagte Julius. Seine Stimme hallte über den Platz.

Der Konsul blieb auf der Stelle stehen und blickte sich um. Es war niemand in der Nähe.

»In meinem Namen, Julius? Catilina hat sie angeführt. Haben seine Anhänger nicht deine Soldaten auf der Straße umgebracht?«

»Das mag sein, aber das Haus, das du mir gezeigt hast, war eher bescheiden, Crassus. Woher sollte Catilina genug Gold haben, um zehntausend Mann zu bezahlen? Nur sehr wenige Männer in dieser Stadt könnten eine solche Armee aufstellen. Ich frage mich, was wohl passieren würde, wenn ich seine Bücher untersuchen lassen würde. Würde ich dort einen Verräter mit einem gewaltigen, geheim gehaltenen Vermögen finden, oder sollte ich eher nach jemand anderem suchen, nach einem Zahlmeister?«

Crassus konnte nichts von den verbrannten Papieren wissen, die er in Catilinas Haus vorgefunden hatte. Der Funke der Besorgnis, den er jetzt in Crassus’ Augen sah, genügte ihm völlig, um seinen Verdacht zu bestätigen.

»Ich denke, eine so große Streitmacht an Söldnern, in Verbindung mit Aufruhr und Feuern in der Stadt, hätte durchaus ausgereicht, wenn die Stadt lediglich unter dem Schutz der Legion des Pompeius gestanden hätte. Das Angebot, das sie dir gemacht haben, hatte Hand und Fuß, Crassus, das ist dir doch klar? Die Stadt hätte dir gehören können. Ich bin überrascht, dass du nicht in Versuchung gekommen bist. Du hättest auf einem Berg von Leichen gestanden, und Rom wäre vielleicht sogar reif für eine Diktatur gewesen.«

Als Crassus etwas erwidern wollte, änderte sich Julius’ Gesichtsausdruck, sein spöttischer Tonfall wurde mit einem Mal ernst.

»Aber dann ist ohne Vorwarnung eine zweite Legion in Rom eingetroffen, und auf einmal ...? Es muss eine ziemlich brenzlige Lage für dich gewesen sein. Die Truppen stehen bereit, die Verschwörung ist vorbereitet, aber plötzlich wird Rom von zehntausend Mann bewacht, der Sieg ist nicht mehr gewiss. Ein Spieler wäre das Risiko vielleicht eingegangen, aber du nicht. Du bist ein Mann, der weiß, wann ein Spiel aus ist. Ich frage mich, wann genau du beschlossen hast, lieber Catilina zu verraten, als den Plan durchzuführen? War es, als du auf mein Anwesen gekommen bist und meinen Wahlkampf mit mir geplant hast?«

Crassus legte eine Hand auf Julius’ Schulter.

»Wie ich bereits sagte, bin ich ein Freund deines Hauses, Julius, deshalb will ich nichts auf deine Worte geben, und das zu deinem eigenen Besten.« Er hielt einen Augenblick inne. »Die Verschwörer sind tot, Rom ist in Sicherheit. Das ist ein ausgezeichnetes Ergebnis. Lass es dabei bewenden. Du solltest dir keine weiteren Sorgen machen. Lass es gut sein.«

Crassus zog den Kopf ein, stapfte im Regen davon und ließ Julius stehen, der ihm unverwandt nachstarrte.

14

Kalte, graue Wolken hingen tief über der riesigen Menschenmenge, die auf dem Campus Martius wartete. Der Boden unter den Füßen war aufgeweicht, aber Tausende hatten ihre Häuser und Arbeitsstellen verlassen, um auf dem großen Feld Zeuge der Hinrichtungen zu werden. Pompeius’ Soldaten warteten in makellosen, schimmernden Reihen und ließen sich nichts von der Schwerarbeit anmerken, die der Bau der Plattform für die Gefangenen oder der Reihen von hölzernen Bänken für den Senat erfordert hatte. Sogar der Boden war mit trockenen Binsen bedeckt worden, die unter den Füßen knisterten.

Kinder wurden von ihren Eltern hochgehalten, damit sie einen Blick auf die vier Männer werfen konnten, die jämmerlich auf der hölzernen Plattform warteten. In der Menge wurde leise gemurmelt, jeder spürte etwas von dem Ernst des Augenblicks.

Als die Mittagsstunde näher rückte, hatte der Senat seine Beratungen in der Curia unterbrochen und war geschlossen zum Campus hinausgezogen. Soldaten der Zehnten hatten Pompeius’ Männern dabei geholfen, Rom abzuriegeln, die Tore mit wächsernen Siegeln zu verschließen und die Fahne auf dem Janiculum zu hissen. Während der Abwesenheit des Senats und bis zu seiner Rückkehr galt für die Stadt der Belagerungszustand. Viele Senatoren blickten zu der Fahne hinüber, die in einiger Entfernung im Westen flatterte. So lange sie wehte, war die Stadt in Sicherheit; sollte sie zur Warnung vor einem heranrückenden Feind eingeholt werden, würde man sogar die Hinrichtung der Verräter unterbrechen.

Julius hatte den feuchten Stoff seines besten Umhangs fest um sich geschlungen. Selbst mit der Tunika und der schweren Toga darunter zitterte er beim Anblick der unglücklichen Männer, die sein Eingreifen an diesen Ort des Todes gebracht hatte.

Die Gefangenen waren dem schneidenden Wind schutzlos ausgeliefert. Nur zwei von ihnen konnten stehen, krümmten sich vor Schmerzen vornüber und pressten die zusammengeketteten Hände in stillem Jammer auf die Wunden der Nacht. In der unmittelbaren Nähe des Todes sogen sie gierig die kalte Luft ein, füllten ihre Lungen und ignorierten die beißende Kälte auf ihrer ungeschützten Haut.

Der Größere der beiden hatte langes, dunkles Haar, das ihm ins Gesicht wehte. Seine Augen waren geschwollen, aber Julius konnte ein Blitzen darin erkennen, das von dem zerschlagenen Fleisch fast verborgen wurde, das fiebrige Leuchten eines eingesperrten Tieres.

Der Mann, der im Gefängnis wirr auf Julius eingeredet hatte, schluchzte vor sich hin, den Kopf mit einem Tuch umwickelt. Ein runder Blutfleck auf dem Stoff markierte die Stelle, an der sich sein Auge befunden hatte. Die Erinnerung an die Szene im Verlies jagte Julius einen Schauer über den Rücken, und er wickelte den Umhang fester um sich, wobei das kalte Metall einer von Alexandrias Spangen seinen Hals berührte. Er sah hinüber zu Pompeius und Crassus, die auf den über den Morast gestreuten Binsen standen. Die beiden Konsuln unterhielten sich leise, und die Menge wartete mit erwartungsfroh leuchtenden Augen auf sie.

Endlich trennten sich die beiden Männer. Pompeius begegnete dem Blick eines Magistraten aus der Stadt; die inzwischen aufgeregt plaudernde Menge geriet in Bewegung, als der Mann die Plattform bestieg und sich an sie wandte.

»Diese vier Männer sind des Verrats an der Stadt für schuldig befunden worden. Auf Befehl der Konsuln Crassus und Pompeius und auf Befehl des Senats werden sie hingerichtet. Ihre Leichname werden zerteilt und den Vögeln vorgeworfen. Ihre Köpfe werden auf den vier Toren aufgespießt, als Warnung für alle, die Rom bedrohen. Das ist der Wille unserer Konsuln, die für Rom sprechen.«

Der Henker war Schlachter von Beruf, ein kräftig gebauter Mann mit kurz geschnittenem, grauen Haar. Er trug eine Toga aus grober, brauner Wolle, ein breiter Gürtel hielt den üppigen Leib in der Mitte zusammen. Die Silbermünzen, die er für seine Arbeit erhalten würde, zählten nichts im Vergleich zu der Befriedigung, die er daraus schöpfte.

Julius sah zu, wie er theatralisch sein Messer begutachtete und ein letztes Mal mit einem Stein darüber hinwegging. Es war eine grausame Klinge, ein schmales Hackmesser, so lang wie sein Unterarm, mit einem stabilen, hölzernen Griff. Der Messerrücken war fast fingerbreit. Ein Kind lachte nervös und wurde von seinen Eltern zum Schweigen gebracht. Der langhaarige Gefangene begann mit glasigen Augen laut zu beten. Vielleicht war es das, oder einfach nur seine Art, sich in Szene zu setzen, aber der Schlachter kam zuerst zu ihm und legte ihm das Messer an den Hals.

Der Mann zuckte zusammen, seine Stimme wurde schriller. Er atmete zischend und in kurzen Stößen. Seine Hände zitterten, und die blasse Haut wurde weiß wie Wachs. Fasziniert beobachtete die Menge, wie der Schlachter ihn an den Haaren packte und den Kopf langsam zur Seite bog, seinem Publikum den Hals deutlich zur Schau stellte.

Die Stimme des Mannes war jetzt nur noch ein tiefes Brummen. »Nein, nein ... nein«, murmelte er, während die Menge sich bemühte, seine letzen Worte zu verstehen.

Es gab keine Fanfare oder sonstige Warnung. Der Schlachter packte die Haare fester und begann langsam in das Fleisch zu schneiden. Blut spritzte und durchnässte sie beide. Der Verurteilte hob die Hände, um schwach nach der Klinge zu greifen, die sich in seinen Hals fraß, sich mit grausiger Präzision hin- und herbewegte. Er stieß einen leisen Laut aus, einen hässlichen Schrei, der nur einen Augenblick dauerte. Seine Beine gaben nach, aber der Schlachter war kräftig und hielt ihn hoch, bis das Messer auf Knochen stieß. Dann zog er es heraus, und mit zwei kurzen Schlägen hatte er die Wirbelsäule durchtrennt. Der Kopf löste sich, und der Körper fiel zu Boden. Die Wangenmuskeln zitterten immer noch, die Augen blieben wie in einer Parodie des Lebens offen.

In der Menge schlug man vor schaurigem Vergnügen die Hände vor den Mund, als der Leichnam von der Plattform schlaff auf die darunter liegenden Binsen glitt. Alles stand auf Zehenspitzen und drängelte nach vorne, um den Kopf besser sehen zu können, den der Schlachter für sie hochhielt, während das Blut an seinem Arm hinunterlief und die Toga fast schwarz färbte. Der Kiefer klappte bei der Bewegung herunter und gab den Blick auf Zähne und Zunge frei.

Einer der anderen Gefangenen übergab sich und schrie dann laut auf. Wie auf ein Signal hin fingen auch die beiden anderen an zu jammern und zu flehen. Das Klagegeheul riss auch das Publikum aus seiner lähmenden Starre, und es machte sich mit Johlen und wildem Gelächter Luft. Der Schlachter stopfte den Kopf in einen Stoffsack, drehte sich langsam um und griff nach dem Mann, der ihm am nächsten lag. Er packte ihn mit grobem Griff am Ohr und zog die schreiende Gestalt auf die Füße.

Julius wandte den Blick ab, bis alles vorbei war. Dabei sah er, wie Crassus den Kopf zur Seite drehte, aber er ignorierte seinen Blick. Die Menge jubelte, wenn die Köpfe für sie hochgehalten wurden, und Julius beobachtete sie verwundert. Er fragte sich, ob die Veranstaltungen, die Crassus bezahlte, sie nur halb so sehr fesselten wie die Unterhaltung des heutigen Tages.

Das hier war sein Volk, diese Menschen, die sich hier auf dem nassen Campus Martius versammelt hatten. Die nominellen Herren der Stadt, satt vom mitempfundenen Schrecken und durch ihn geläutert. Als es zu Ende war, sah er, wie sich die Gesichter entspannten, als ob eine schwere Last von ihnen genommen worden wäre. Ehepaare lachten erleichtert, und er wusste, dass an diesem Tag in der Stadt nicht mehr viel gearbeitet werden würde. Sie würden durch die großen Tore zurückkehren und die Weinstuben und Gasthäuser aufsuchen, um über das Gesehene zu diskutieren. Für die Dauer einiger weniger Stunden hatten ihre eigenen Probleme ihre Bedeutung verloren. Der Abend würde über die Stadt hereinbrechen, ohne dass das übliche Geschiebe und Gedränge auf den Straßen herrschte. Sie würden gut schlafen und erholt aufwachen.

Die Reihen von Pompeius’ Männern machten Platz, um die Senatsmitglieder passieren zu lassen. Julius erhob sich gemeinsam mit den anderen und ging mit ihnen zurück zum Tor. Dort wurden die Siegel erbrochen, und ein Streifen Licht erschien zwischen ihnen. Julius musste heute noch zwei Fälle für das Gericht auf dem Forum vorbereiten, außerdem sollte sein Schwertturnier in wenigen Tagen stattfinden, aber wie die Menge der Bürger spürte er einen seltsamen Frieden, wenn er an die Arbeit dachte, die vor ihm lag. An einem solchen Tag konnte man sich nicht allzu sehr mühen, die feuchte Luft schmeckte sauber und frisch.

An diesem Abend stand Julius an der langen Tafel im Wahlkampfhaus auf und klopfte auf den Tisch. Es wurde so schnell still, wie es der hervorragende Rotwein gestattete. Während er wartete, blickte er sich um und betrachtete diejenigen, die sich mit ihm in das Rennen um den Konsulposten geworfen hatten. Jeder hier am Tisch war mit seiner öffentlichen Unterstützung für ihn ein großes Risiko eingegangen. Wenn er verlor, würden sie alle auf die eine oder andere Art darunter leiden müssen. Alexandrias Kunden würden auf ein einziges Wort des Pompeius hin fernbleiben, ihr Geschäft wäre ruiniert. Falls man Julius gestattete, einen Posten an einem weit entfernten Ort des Reiches zu bekleiden, würden die, die mit ihm gingen, ihre Laufbahn aufgeben, vergessene Männer, die von Glück reden durften, wenn sie die Stadt vor ihrer Pensionierung noch einmal wiedersahen.

Als langsam Ruhe einkehrte, blickte Julius zu Octavian hinüber, dem Einzigen am Tisch, mit dem er durch Blutsbande verbunden war. Es schmerzte ihn zu sehen, wie bedingungslos ihn der junge Mann verehrte, wenn er dabei an die grauen Jahre dachte, die auf Niederlage und Verbannung folgen würden. Ob Octavian dann mit Bitterkeit auf diesen Wahlkampf zurückblicken würde?

»Wir sind sehr weit gekommen«, sagte er zu ihnen. »Einige von euch sind fast von Anfang an bei mir gewesen. Ich kann mich schon gar nicht mehr an eine Zeit ohne Renius oder ohne Cabera erinnern. Mein Vater wäre sehr stolz darauf, seinen Sohn im Kreise solcher Freunden zu sehen.«

»Was meinst du, ob er mich auch noch erwähnt?«, sagte Brutus zu Alexandria.

Julius lächelte sanft. Er hatte einen einfachen Trinkspruch auf die ausbringen wollen, die an dem Schwertturnier teilnahmen, aber die Hinrichtungen vom Vormittag waren ihm den ganzen Tag über nicht aus dem Kopf gegangen und hatten einen grauen Schleier über seine Stimmung gelegt.

»Ich wünschte, andere säßen mit an diesem Tisch«, sagte Julius. »Marius zum Beispiel. Wenn ich zurückblicke, verlieren sich die guten Erinnerungen im trüben Rest. Aber ich habe große Männer gekannt.« Julius spürte, wie ihm bei diesen Worten das Herz in der Brust hämmerte.

»Mein Leben ist nie einem geraden Weg gefolgt. Ich stand an Marius’ Seite, als wir durch Rom fuhren und Münzen in die Menge warfen. Die Luft war voller Blütenblätter und Jubel, und ich hörte den Sklaven, dessen Aufgabe es war, ihm ins Ohr zu flüstern: ›Bedenke, du bist sterblich.‹« Julius seufzte, als er sich an die Farben und die Begeisterung jenes Tages erinnerte.

»Ich stand so kurz vor dem Tod, dass mich Cabera schon aufgegeben hatte. Ich habe Freunde verloren, und ich habe die Hoffnung verloren, und ich habe Könige fallen sehen, und wie sich Cato auf dem Forum selbst die Kehle durchgeschnitten hat. Ich war so vom Tod durchdrungen, dass ich dachte, ich könnte nie wieder lachen oder etwas für jemanden empfinden.«

Sie starrten ihn über die Teller auf dem Tisch hinweg an, aber sein Blick war irgendwo in die Ferne gerichtet; er nahm die Wirkung seiner Worte nicht einmal wahr.

»Ich habe Tubruk sterben sehen, ich habe Cornelias Leichnam gesehen, so weiß, dass sie nur noch unwirklich aussah, bis ich sie berührte.« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern, und Brutus blickte zu seiner Mutter hinüber. Sie war blass geworden und hielt eine Hand vor den Mund, während Julius sprach.

»Ich sage euch, was ich gesehen habe, wünsche ich niemandem«, murmelte Julius. Er schien wieder zu ihnen zurückzukehren und der Kälte im Raum gewahr zu werden.

»Aber ich bin immer noch hier. Ich ehre die Toten, aber ich werde meine Zeit nutzen. Rom hat erst den Anfang meines Kampfes erlebt. Ich habe die Verzweiflung kennen gelernt und fürchte mich nicht mehr vor ihr. Das hier ist meine Stadt, mein Sommer. Ich habe ihr meine Jugend geschenkt, und ich würde ihr diese Jahre erneut schenken, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte.«

Er hob seinen Becher vor der sprachlosen Tischgesellschaft.

»Wenn ich euch ansehe, kann ich mir keine Macht auf Erden vorstellen, die uns aufhalten könnte«, sagte er. »Trinkt auf die Freundschaft und die Liebe, denn alles andere ist bloßer Tand.«

Sie standen langsam auf, hoben die Becher und tranken den blutroten Wein.

15

Der Anblick 20000 römischer Bürger, die sich von ihren Sitzreihen erhoben hatten, würde ihm noch lange in Erinnerung bleiben, dachte Julius, als er den Blick über sie wandern ließ. An allen Tagen des Schwertturniers waren sämtliche Plätze besetzt gewesen, und die Tonmarken, die den Zuschauern Eintritt zum Sechzehntel- finale gewährten, wechselten immer noch jeden Morgen für ständig steigende Summen den Besitzer. Zu Anfang war Julius überrascht gewesen, an allen vier Eingangstoren zum Zirkus Männer zu sehen, die der Menge lauthals anboten, ihnen die Marken abzukaufen. Nach den ersten Runden gingen nur noch wenige auf die Offerte ein.

Die Loge der Konsuln befand sich im kühlen Schatten eines Baldachins aus hellem Leinen, der zwischen schlanken Säulen gespannt worden war. Von dort aus hatte man den besten Blick auf den Ring, und keiner der Männer, die Julius eingeladen hatte, hatte das Angebot abgelehnt. Alle Kandidaten waren mitsamt ihren Familien gekommen, und Julius hatte mit Vergnügen beobachtet, wie schwer es Suetonius und seinem Vater gefallen war, seine großzügige Einladung anzunehmen.

Die Hitze hatte den ganzen Vormittag über zugenommen, und bis zum Mittag würde der Sand so heiß sein, dass er auf der nackten Haut brannte. Viele in der Menge hatten Wasser und Wein mitgebracht, trotzdem glaubte Julius, mit den Getränken und Speisen, die seine Klienten für ihn verkauften, einen anständigen Ertrag erzielen zu können. Ein Mietkissen für den ganzen Tag kostete nur wenige Kupfermünzen, und die Vorräte waren schnell vergriffen.

Pompeius hatte die Einladung wohlwollend angenommen, und als er und Crassus ihre Plätze eingenommen hatten, war die Menge respektvoll aufgestanden, bis die Hörner die ersten Kämpfe ankündigten.

Auch Renius war da, und Julius hatte Läufer in seiner Nähe postiert, falls es Ärger in der Kaserne geben sollte. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, dem alten Gladiator einen Platz zu verweigern. Da aber Brutus, ebenso wie Octavian und Domitius, immer noch unter den letzten 32 Kämpfern war, hoffte er, die neuen Rekruten und ehemaligen Söldner würden keine Probleme machen. Dies eingedenk, hatte er dem größten Teil der Zehnten den Besuch der Kämpfe verwehren müssen, obwohl er die Wachen im Stadion dreimal am Tag wechseln ließ, damit möglichst viele etwas davon miterleben konnten. In Ausübung seiner neuen Autorität hatte Brutus auch zehn der vielversprechendsten neuen Männer als Wachen eingeteilt. Julius hielt das für verfrüht, aber er hatte seinen Willen nicht durchgesetzt, weil er andererseits wusste, wie wichtig es war, dass sie sahen, wie sich ihr General auszeichnete. Obwohl sich die Männer in ihren Legionärsuniformen augenscheinlich unbehaglich fühlten, schienen sie fügsam zu sein.

Beim Wetten ging es wie immer hoch her. Sein Volk liebte es zu wetten, und Julius zweifelte nicht daran, dass Vermögen gewonnen und verloren werden würden, ehe die letzten Kämpfe beendet waren. Selbst Crassus hatte auf Julius’ Wort hin eine Handvoll Silber auf Brutus gesetzt. Soweit Julius wusste, hatte Brutus alles, was er besaß, auf seinen eigenen Sieg im Finale gesetzt. Falls er gewann, war er, was die Versorgung seiner Truppe betraf, weniger abhängig von Julius und den Gläubigern. Sein Freund hatte die Runde der letzten 32 ohne Probleme erreicht, aber der Standard war hoch, und ein wenig Pech konnte auch die besten Chancen zunichte machen.

Unterhalb der Loge der Konsuln traten die letzten Kämpfer aus den Unterkünften hinaus auf den brennenden Sand. Ihre silbernen Rüstungen strahlten beinahe weiß in der Sonne, und dem Publikum stockte bei ihrem Anblick der Atem, ehe sie ihren Favoriten zujubelten. Alexandria hatte sich mit dem Glanz des Metalls, das sie trugen, selbst übertroffen. Julius war überzeugt, dass die hohe Qualität der Finalisten zum Teil an dem Versprechen lag, nach dem Ende der Kämpfe die Rüstung behalten zu dürfen. Rein vom Gewicht her konnte sich jeder Mann einen kleinen Hof davon leisten, wenn er sie verkaufte, und wenn sich der Ruhm des Turniers verbreitete, konnte sie sogar noch mehr einbringen. Julius versuchte, nicht daran zu denken, wie viel die Rüstungen ihn gekostet hatten. Ganz Rom hatte über seine Großzügigkeit gesprochen, und im Sonnenschein sahen sie wirklich herrlich aus.

Einige der Kämpfer hatten blaue Flecken aus den ersten Runden. Es war in diesen ersten Tagen sehr zivilisiert zugegangen. Nur vier Männer waren umgekommen, und auch sie nur durch unglückliche Treffer in der Hitze des Gefechts. Das erste Blut beendete jeden Kampf, sonst gab es keine Begrenzung, außer der Erschöpfung. Der längste Kampf vor der Finalrunde hatte fast eine Stunde gedauert, und am Ende hatten beide Männer kaum noch stehen können, als das Duell durch einen ungeschickten Treffer an der Rückseite eines Oberschenkels entschieden wurde. Das Publikum hatte den Verlierer ebenso laut gefeiert wie den Mann, der in die nächste Runde eingezogen war.

Die ersten Runden waren ein wildes Durcheinander von Geschick und Stärke gewesen, bei dem mehr als hundert Paare gleichzeitig in der Arena gekämpft hatten. In gewisser Weise war der Anblick so vieler blitzender Schwerter ebenso aufregend wie die Einzelkämpfe der letzten 32, auch wenn die echten Kenner diese bevorzugten, weil sie sich dort auf Stil und wahres Können konzentrieren konnten.

Die Vielfalt war unglaublich, und Julius hatte sich schon eine Reihe von Männern notiert, die er für die neue Legion in der Kaserne rekrutieren wollte. Bis jetzt hatte er schon drei gute Schwertkämpfer verpflichtet. Es war unumgänglich gewesen, diejenigen zu nehmen, die im römischen Stil kämpften, aber es hatte ihn geschmerzt, andere übergehen zu müssen. Der Ruf nach Kämpfern war weit über die Gegenden hinausgedrungen, die seine Boten aufgesucht hatten, und so waren Männer aus allen römischen Ländern und von noch weiter her gekommen. Afrikaner mischten sich unter mahagonifarbene Ägypter und Inder. Einer von ihnen, ein Mann namens Sung, hatte die schmalen Augen jener Volksstämme, die so weit im Osten lebten, dass sie fast schon der Welt der Märchen und Sagen entsprungen zu sein schienen. Julius hatte Wachen für ihn abstellen müssen, um die Leute auf den Straßen davon abzuhalten, ihn ständig anzufassen. Nur die Götter wussten, was er hier, so fern von seiner Heimat, zu suchen hatte, aber Sung führte das lange Schwert, das er bei sich trug, mit einer solchen Geschicklichkeit, dass er die letzten Runden nach den kürzesten Kämpfen von allen erreicht hatte. Julius beobachtete ihn, wie er die Konsuln grüßte, und beschloss, dem Mann, wenn er das Viertelfinale erreichte, ein Angebot zu machen, ob er nun im römischen Stil kämpfte oder nicht.

In dieser späten Phase wurden dem Publikum die Namen der Männer in der Arena verkündet, und jeder trat einzeln vor, um sich von den Massen Roms bejubeln zu lassen. Brutus und Octavian standen neben Domitius. Ihre Rüstungen glänzten in der Sonne. Julius lächelte, als er die Freude in ihren Gesichtern sah. Ganz egal, wer das Siegerschwert gewann, keiner von ihnen würde dieses Erlebnis jemals vergessen.

Die drei Römer hoben die Schwerter, um zuerst das Publikum und dann die Konsuln zu grüßen. Die Menge brüllte, eine Mauer aus Lärm, die überraschend und fast schon schmerzhaft war. Der Tag hatte begonnen. Der Ringmeister trat an die Messingtrichter, die seine Stimme verstärkten, und rief die Namen der ersten Kämpfer auf.

Domitius sollte gegen einen Mann aus dem Norden antreten, der mit der Erlaubnis seines Legionskommandeurs nach Hause gereist war, um an dem Turnier teilzunehmen. Der Kämpfer war ein großer Mann mit kräftigen Unterarmen und schmaler, geschmeidiger Taille. Während die anderen die Arena verließen, betrachtete er Domitius argwöhnisch und sah ihm bei seinen Dehnübungen zu. Selbst aus der Ferne konnte Julius nicht das geringste Anzeichen von Nervosität auf Domitius’ Gesicht ausmachen. Er fühlte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann, während die Spannung wuchs, und die anderen in der Loge spürten es auch. Pompeius stand auf und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Soll ich auf deinen Mann wetten, Julius? Wird er das Achtelfinale erreichen?«

Julius drehte sich um und sah das Glitzern in den Augen des Konsuls. Pompeius’ Stirn glänzte vor Schweiß, seine Augen leuchteten erwartungsvoll. Julius nickte.

»Domitius ist der zweitbeste Schwertkämpfer, den ich je gesehen habe. Rufe die Wettsklaven, wir sollten ein Vermögen auf ihn setzen«, sagte er. Sie grinsten wie kleine Jungen, und es fiel ihm schwer, daran zu denken, dass dieser Mann nicht sein Freund war.

Der Sklave kam, um ihre Wetten anzunehmen. Pompeius verdrehte ärgerlich die Augen, als er sah, wie Crassus drei Silbermünzen abzählte, um sie dem Burschen zu geben.

»Nur ein Mal, Crassus. Nur ein einziges Mal möchte ich sehen, dass du genug wettest, dass es dir wehtun könnte. Kleingeld macht doch keinen Spaß. Es muss ein bisschen schmerzen.«

Crassus legte die Stirn in Falten und blickte zu Julius hinüber. Seine Wangen röteten sich, als er seine Münzen wegsteckte.

»Nun gut. Junge, gib mir deine Wetttafel.«

Der Junge zog ein viereckiges Holzstück hervor, das mit einer dünnen Wachsschicht überzogen war. Crassus drückte seinen Ring hinein und schrieb seinen Namen und Ziffern daneben, ohne sie den anderen zu zeigen. Als er die Tafel zurückgeben wollte, griff Pompeius danach und riss sie an sich. Er stieß einen leisen Pfiff aus. Der Sklave wartete geduldig.

»Alle Achtung, Crassus, das ist wirklich ein Vermögen. Ich habe dich noch nie ein ganzes Goldstück auf einmal setzen gesehen.«

Crassus schnaubte verächtlich und wandte seinen Blick den beiden Kämpfern zu, die sich auf ihre Positionen begaben und das Hornsignal erwarteten.

»Ich will hundert auf deinen Mann setzen, Julius. Hältst du mit?«, fragte Pompeius.

»Tausend für mich. Ich kenne meinen Mann«, erwiderte Julius.

Pompeius’ Gesicht erstarrte bei der Herausforderung. »Dann will ich es dir gleichtun, Julius.«

Beide Männer schrieben die Summen und ihren Namen auf die Wachstafel.

Renius räusperte sich. »Für mich fünf Goldstücke auf Domitius «, knurrte er.

Als Einziger von ihnen konnte er die Münzen tatsächlich vorweisen und hielt sie linkisch in der Hand, bis der Sklave sie ihm abnahm. Der alte Gladiator blickte ihnen nach, bis ihr Glanz in einem Stoffbeutel verschwand, dann lehnte er sich schwitzend zurück. Suetonius hatte selbst einen Wetteinsatz abgeben wollen, aber nachdem er das gesehen hatte, ging er zu seinem Vater, um sich Geld zu borgen. Sie setzten zehn Goldstücke, und als die Wachstafel noch einmal die Runde machte, riskierte auch Bibulus ein wenig Silber aus seinem Geldbeutel.

Der Sklave eilte zurück zu seinem Herrn, und Julius erhob sich, um den Cornicen das Zeichen zu geben. Die Menge verstummte, als sie ihn aufstehen sahen, und er fragte sich, wie viele von ihnen sich bei den Wahlen an seinen Namen erinnern würden. Einen Augenblick lang genoss er die Stille, dann ließ er die Hand fallen. Das laute Klagen der Hörner schallte durch die Arena.

Domitius hatte sich, wenn er nicht selbst antreten musste, so viele der Kämpfe angesehen wie möglich. Er hatte sich Notizen über diejenigen gemacht, mit denen er in den späteren Runden rechnete, und von den letzten 32 war nur die Hälfte wirklich gefährlich. Der Mann aus dem Norden, der ihm gegenüberstand, war gut genug, um es bis hier geschafft zu haben, geriet aber schnell in Panik, wenn er bedrängt wurde, und Domitius hatte vor, ihn vom ersten Augenblick an zu bedrängen.

Er spürte den Blick seines Gegners auf sich, als er Rücken und Beine dehnte, und versuchte, so friedlich und gelassen wie möglich auszusehen. Er hatte schon oft genug an Turnieren teilgenommen, um zu wissen, dass viele Kämpfe nicht mit dem Schwert, sondern in den Augenblicken davor gewonnen wurden. Sein alter Ausbilder hatte die Angewohnheit gehabt, mit gespreizten, flach auf dem Boden ausgestreckten Beinen vollkommen unbeweglich auf der Erde vor seinen Gegnern zu sitzen. Während diese herumhüpften und -sprangen, um ihre Muskeln zu lockern, blieb er ruhig wie ein Fels, und nichts machte sie nervöser als das. Wenn er sich dann endlich geschmeidig wie Rauch erhob, hatte er den Kampf schon halb gewonnen. Domitius hatte diese Lektion verstanden, und er ließ sich bei seinen Bewegungen nichts von seiner Müdigkeit anmerken. In Wahrheit war sein rechtes Knie steif und schmerzte von einem Stoß, den er in einem vorhergehenden Kampf abbekommen hatte, aber er verzog keine Miene, während er langsam und fließend seine Übungen machte, deren Eleganz eine hypnotisierende Wirkung ausstrahlte. Er spürte, wie eine große Ruhe über ihn kam, und sprach ein stummes Gebet für seinen alten Lehrer.

Domitius hielt sein Schwert mit der Spitze nach unten vom Körper weg, stellte sich auf seine Markierung und blieb regungslos stehen. Sein Gegner rollte nervös die Schultern und warf den Kopf hin und her. Als sich ihre Blicke trafen, funkelte ihn der Mann aus dem Norden wütend an und versuchte, nicht als Erster wegzuschauen. Domitius stand da wie eine Statue, die hervortretenden Muskeln an seinen Schultern glänzten vor Schweiß. Die silbernen Panzer schützten zwar den Oberkörper der Kämpfer, aber Domitius konnte einem vorbeilaufenden Mann eine Haarsträhne abrasieren. Er fühlte sich stark.

Die Hörner rissen ihn aus seiner Ruhe, und er stürzte vor, ehe der andere den Klang richtig registriert hatte. Die Beinarbeit des Mannes aus dem Norden hatte ihn in die Finalrunde gebracht. Ehe ihn eine Klinge erwischen konnte, war er ihr schon ausgewichen. Domitius konnte seinen Atem hören und konzentrierte sich darauf, während der andere zum Gegenangriff ansetzte. Der Nordmann setzte seinen Atem ein, um die Kraft des Schlages zu verstärken, und stöhnte bei jedem Hieb. Domitius ließ ihn seinen Rhythmus finden und wich seinem Angriff einige Schritte nach hinten aus, wobei er auf weitere Schwächen achtete.

Beim letzten Schritt spürte Domitius einen stechenden Schmerz, als er das rechte Bein belastete, als hätte ihm jemand eine Nadel in die Kniescheibe gestoßen. Das Bein gab nach und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Augenblicklich geriet er unter Druck, denn sein Gegner spürte diese Schwäche sofort. Domitius versuchte, sie zu vergessen, aber er wagte es nicht mehr, sich auf sein Bein zu verlassen. Mit schleppenden Schritten griff er abermals an, bis der Schweiß, der an ihnen herunterrann, wild durcheinander spritzte. Der Mann aus dem Norden wich zurück, aber Domitius ließ nicht nach und unterbrach den Rhythmus der Hiebe, als sich ihre Klingen ineinander verhakten, mit einem kurzen Faustschlag.

Sein Gegner torkelte rückwärts. Sie wichen auseinander und fingen an, einander zu umkreisen. Domitius lauschte auf seinen Atem und warte auf das kurze Luftholen, das vor jeder Attacke kam. Er wagte nicht, zu seinem Knie hinabzusehen, aber bei jedem Schritt durchfuhr ihn ein neuerlicher Schmerz.

Der Nordmann versuchte, ihn mit einer raschen Schlagfolge zu ermüden, aber Domitius wehrte sie ab, lauschte auf den Atem des Gegners und wartete auf den richtigen Augenblick. Die Sonne stand hoch über den Männern, und der Schweiß brannte ihnen in den Augen. Der Gegner holte Luft, und Domitius machte einen Ausfall. Noch vor der Berührung wusste er, dass der Stoß perfekt war. Er riss dem anderen die Kopfhaut auf. Ein kleines Stück des Ohrs fiel zu Boden, Blut schoss hervor. Der Mann aus dem Norden schlug wild um sich, während Domitius zurückzuweichen versuchte.

Da gab sein Knie wieder nach, und ein höllischer Schmerz schoss ihm bis in die Leiste. Der andere zögerte, und seine Augen wurden klarer, als er den wachsenden Schmerz der Wunde spürte. Das Blut rann an seinem Schädel herab. Domitius beobachtete ihn genau und versuchte, nicht auf den Schmerz in seinem Knie zu achten.

Der Mann aus dem Norden berührte das warme Nass an seinem Hals und starrte auf seine blutigen Finger. Wütende Enttäuschung zeigte sich auf seinem Gesicht, und er nickte Domitius zu, ehe sie beide wieder auf ihre Ausgangspositionen zurückkehrten.

»Du solltest dein Knie verbinden, mein Freund. Die anderen haben es bestimmt bemerkt«, sagte der Mann aus dem Norden leise und deutete auf die anderen Finalisten, die aus dem Schatten der Sonnensegel über ihrem abgesteckten Bereich zusahen. Domitius zuckte die Achseln. Er versuchte, das Gelenk zu belasten und fuhr zusammen, wobei er einen Aufschrei unterdrückte.

Der Nordmann, der verstanden hatte, schüttelte den Kopf, als sie das Publikum und die Konsuln grüßten. Domitius versuchte, sich die plötzliche Angst, die ihn ergriffen hatte, nicht anmerken zu lassen. Das Gelenk fühlte sich merkwürdig an, und er betete, dass es nur eine Verstauchung oder eine Verrenkung war, die sich wieder einrenken ließ. Die Alternative war unerträglich für einen Mann, der in seinem Leben nichts außer seinem Schwert und der Zehnten besaß. Während die beiden über den glühenden Sand zurückgingen, biss Domitius vor Schmerz die Zähne zusammen und gab sich krampfhaft Mühe, nicht zu humpeln. Ein weiteres Paar in silberner Rüstung trat zum nächsten Kampf in die Sonne hinaus, und Domitius spürte ihr Selbstvertrauen, als sie ihn ansahen und lächelten.

Julius sah seinen Freund im Schatten verschwinden und verzog mitfühlend das Gesicht.

»Entschuldigt mich, meine Herren, ich möchte rasch nach unten gehen und nachsehen, ob die Wunden auch gut versorgt werden.«

Pompeius schlug ihm zur Antwort auf den Rücken, da er vom vielen Brüllen zu heiser zum Antworten war. Crassus rief nach kühlen Getränken für alle, und die Stimmung war ansteckend heiter, während sie es sich für den nächsten Kampf auf ihren Sitzen bequem machten. Man würde ihnen Essen zu ihren Plätzen bringen, und sämtliche Anwesenden waren dem Rausch von Blut und Geschicklichkeit verfallen. Suetonius führte seinem Vater eine Finte vor, und der ältere Mann lächelte ihm, von der allgemeinen Aufregung angesteckt, wohlwollend zu.

Renius erhob sich, als Julius seinen Sitz am Rande der Loge erreichte. Ohne ein Wort schloss er sich ihm an, und schweigend traten sie aus der Hitze in die Kühle der Passage unter den Tribünen.

Dort unten trat man in eine völlig andere Welt ein. Hier klang das Geschrei gedämpft und irgendwie weit entfernt. Das Sonnenlicht drang durch die Ritzen zwischen den dicken Brettern und fiel als gefleckte Streifen auf den Boden, die sich veränderten, sobald sich die Menschen über ihnen bewegten. Der Boden war die weiche Erde des Campus Martius, ohne die Deckschicht Sand, die man von der Küste herbeigeschafft hatte.

»Kann er weiterkämpfen?«, fragte Julius.

Renius zuckte die Achseln. » Cabera wird ihm helfen. Der Alte hat Macht.«

Julius antwortete nicht. Er erinnerte sich daran, wie Cabera Tubruk mit seinen Händen berührt hatte, als er nach dem Angriff auf das Landgut, bei dem Cornelia getötet worden war, von zahllosen Schwertern durchbohrt dalag. Cabera weigerte sich, über seine Heilkünste zu reden, aber Julius fiel ein, dass er einmal gesagt hatte, es wäre eine Frage der Pfade. Wenn ein Pfad zu Ende war, gab es nichts, was er noch tun konnte, aber für manche, wie Renius, hatte er noch etwas Zeit gewinnen können.

Julius betrachtete den alten Gladiator aus den Augenwinkeln. Im Lauf der Jahre hatte das Alter den kurzen Energieschub der Jugend wieder verdrängt. Sein Gesicht wies nun wieder die tiefen, bitteren Furchen eines alten Mannes auf, und Julius wusste immer noch nicht, warum er damals vor dem Tod gerettet worden war. Cabera glaubte, dass die Götter sie alle mit eifersüchtiger Liebe beobachteten, und Julius beneidete ihn um seine Überzeugung. Wenn er betete, war es, als würde er in einen leeren Raum schreien, ohne Antwort, bis er verzweifelte.

Über ihnen sprang das Publikum von den Sitzen, um einen Hieb zu bejubeln, und das Licht auf dem staubigen Boden veränderte sich. Julius trat zwischen den letzten beiden Holzsäulen hindurch auf die offene Fläche dahinter hinaus, und die aufgestaute Hitze ließ seinen Atem stocken.

Er blickte hinaus auf den Sand und musste des gleißenden Lichts wegen die Augen zusammenkneifen, um die beiden Kämpfer auszumachen, die aufeinander losgingen, als wollten sie miteinander tanzen. Ihre Schwerter warfen das Licht in hellen Blitzen zurück, und die Menge blieb auf den Beinen und stampfte rhythmisch mit den Füßen. Julius blinzelte, als ihm von oben Staub auf die Haut rieselte. Er blickte hinauf zu den schweren Bolzen, die die Tribünen zusammenhielten, legte die Hand darauf und spürte, wie das Holz bebte. Er hoffte nur, dass die Konstruktion hielt.

Cabera wickelte gerade ein dünnes Tuch um Domitius’ Knie. Brutus und Octavian kauerten neben den beiden. Der Kampf in der Arena interessierte sie nicht mehr. Sie blickten auf, als Julius zu ihnen trat, und Domitius hob die Hand und lächelte schwach.

»Ich spüre genau, wie mich die anderen alle beobachten. Aasgeier, alle miteinander«, sagte er und atmete pfeifend ein, als Cabera das Tuch enger zog.

»Ist es schlimm?«, fragte Julius.

Domitius antwortete nicht, aber die Angst in seinen Augen ließ sie alle schaudern.

»Ich weiß es nicht«, knurrte Cabera auf ihr drängendes Schweigen. »Die Kniescheibe ist gebrochen, ich verstehe überhaupt nicht, wie sie ihn so lange halten konnte. Eigentlich hätte er überhaupt nicht mehr in der Lage sein sollen zu laufen, und vielleicht ist auch das Gelenk ... wer weiß? Ich werde mein Bestes tun.«

»Er braucht es, Cabera«, sagte Julius leise.

Der alte Heiler schnaubte verächtlich. »Was spielt es denn für eine Rolle, ob er noch einmal da draußen kämpft. Es ist doch nicht ...«

»Nein, nicht deswegen. Er ist einer von uns. Er hat einen Pfad, dem er folgen muss«, sagte Julius eindringlicher. Wenn es sein musste, würde er den alten Mann anflehen.

Cabera erstarrte und setzte sich auf die Fersen. »Du weißt nicht, was du da von mir verlangst, mein Freund. Die Gabe, die ich besitze, ist nicht dafür da, jeden Kratzer oder gebrochenen Knochen zu heilen.« Er blickte zu Julius auf und schien vor Müdigkeit in sich zusammenzusinken. »Soll ich sie wegen einer Laune verlieren? Der Trancezustand ist ... eine Höllenqual, die ich dir nicht einmal annähernd beschreiben kann. Und jedes Mal weiß ich nicht, ob ich den Schmerz umsonst erleide, oder ob es Götter gibt, die meine Hände führen.«

Alle schwiegen, nur Julius sah ihm weiter in die Augen, um ihn mit reiner Willenskraft dazu zu bewegen, es trotzdem zu versuchen. Einer der letzten 32 Kämpfer räusperte sich, als er näher trat, und Julius drehte sich zu dem Mann um. Er erkannte ihn als einen derjenigen, die er sich wegen ihrer Geschicklichkeit gemerkt hatte. Sein Gesicht hatte die Farbe von altem Teakholz, und als Einziger trug er nicht die Rüstung, die man ihm gegeben hatte, sondern bevorzugte die Freiheit eines einfachen Gewandes.

»Mein Name ist Salomin«, sagte er und machte eine Pause, als müssten sie seinen Namen kennen. Als sie nicht reagierten, zuckte er die Achseln. »Du hast gut gekämpft«, sagte er zu Domitius. »Kannst du weitermachen?«

Domitius zwang sich zu einem Lächeln. »Ich muss mich ein wenig ausruhen, dann sehen wir weiter.«

»Du musst kalte Tücher gegen die Schwellung darauf legen, mein Freund. So kalt, wie du sie bei dieser Hitze kriegen kannst. Ich hoffe, du bist bereit, wenn wir aufgerufen werden. Ich würde nicht gern gegen einen verletzten Mann kämpfen.«

»Ich schon«, erwiderte Domitius.

Salomin sah verwirrt aus, als Brutus auflachte, und fragte sich, was für ein Witz hier wohl gemacht wurde. Er verbeugte sich vor ihnen und ging davon. Domitius betrachtete sein Knie, das ausgestreckt vor ihm lag.

»Ich bin erledigt, wenn ich nicht mehr marschieren kann«, sagte er beinahe flüsternd.

Cabera massierte mit den Fingern Flüssigkeit vom Gelenk weg. Seine Züge waren wie versteinert. Das Schweigen zog sich in die Länge, und ein Schweißtropfen rann dem alten Mann vom Haaransatz bis zur Nasenspitze, wo er zitternd und unbeachtet hängen blieb.

Keiner von ihnen hörte, als Brutus zum ersten Mal aufgerufen wurde. Der Mann, der gegen ihn kämpfen sollte, schritt an ihnen vorbei hinaus in die Sonne, ohne sich noch einmal umzudrehen, aber Salomin trat zu ihnen und riss den Römer mit einem freundschaftlichen Stoß aus seiner Konzentration.

»Du bist dran«, sagte Salomin, dessen große Augen sogar im Vergleich zu seiner Haut dunkel waren.

»Ich beeile mich«, antwortete Brutus, zog sein Schwert und folgte seinem Gegner hinaus.

Salomin schüttelte verblüfft den Kopf und hielt die Hand über die Augen, als er an den Rand des Schattens trat, um sich den Kampf anzusehen.

Julius spürte, dass Cabera nicht in Trance verfallen würde, während er ihn anstarrte, und nutzte die Gelegenheit, um ihn mit Domitius allein zu lassen.

»Lass ihnen etwas Platz, Octavian«, sagte er und gab Renius ein Zeichen, ihm zu folgen.

Octavian verstand den Wink und verschwand mit besorgtem Gesicht. Auch er schützte seine Augen mit der Hand gegen die Sonne und blickte zu Brutus hinaus, der ungeduldig auf das Zeichen der Hörner wartete.

Unter der Tribüne hörte Julius das laute Klagen der Cornicen und eilte weiter. Ehe er und Renius auch nur ein paar Schritte weit gekommen waren, verstummte der Jubel des Publikums jäh, und ein gespenstisches Schweigen breitete sich aus. Julius rannte los und erreichte keuchend die Konsulloge.

Auch dort waren alle vor Überraschung erstarrt. Brutus marschierte schon wieder zum Bereich der Kämpfer zurück und ließ eine im Sand ausgestreckte Gestalt zurück.

»Was ist passiert?«, verlangte Julius zu wissen.

Pompeius schüttelte erstaunt den Kopf. »Es ging so schnell, Julius. So etwas habe ich noch nie gesehen.«

Von allen schien einzig Crassus ungerührt. »Dein Mann ist einfach ganz ruhig stehen geblieben und zwei Hieben ausgewichen, ohne die Füße zu bewegen, und dann hat er seinen Gegner niedergeschlagen und ihm ins Bein geschnitten. Hat er überhaupt gewonnen? Das schien mir kein gerechter Schlagabtausch zu sein.«

Pompeius, der an die große Summe dachte, die er auf Brutus gesetzt hatte, antwortete schnell. »Brutus hat ihm das erste Blut fließen lassen. Das zählt, auch wenn der Mann ohnmächtig war.«

Das Schweigen der Menge löste sich, als sich die Leute überall die gleiche Frage stellten. Viele Gesichter blickten Rat suchend zur Loge der Konsuln, und Julius schickte einen Läufer zu den Cornicen, um den Sieg zu bestätigen.

Diejenigen, die gegen den jungen Römer gewettet hatten, murrten, aber die Mehrheit des Publikums schien mit der Entscheidung zufrieden zu sein. Julius sah, wie sie lachend den Schlag nachahmten. Zwei Soldaten der Zehnten weckten den gefallenen Kämpfer mit einem Klaps auf die Wange und halfen ihm aus der Arena. Als er sein Bewusstsein wiedererlangte, wehrte er sich gegen ihren Griff und protestierte wütend gegen das Ergebnis. Die Soldaten blieben davon vollkommen ungerührt und führten ihn in den Schatten der Sonnensegel und aus dem Blickfeld der Loge.

Der Nachmittag verging mit den restlichen Kämpfen des Sechzehntelfinales. Octavian besiegte seinen Gegner mit einem Treffer am Oberschenkel, als dieser einem Hieb nach außen auswich. Die Menge litt unter der Sonne, wollte jedoch keinen Augenblick verpassen.

Die sechzehn Sieger traten am Ende noch einmal in voller Rüstung in die Arena und ließen sich vom Publikum bejubeln. Die nächste Runde sollte bei Sonnenuntergang im Fackellicht beginnen, um die Zahl der Teilnehmer vor dem Finaltag weiter zu verringern, ehe die Sieger die Gelegenheit erhielten, sich über Nacht zu erholen. Münzen regneten vor ihren Füßen in den Sand, als sie ihre Schwerter hoben, und Blumen, die man seit dem Morgen aufgehoben hatte, flogen als Farbtupfer herab. Julius sah genau hin, als Domitius aufgerufen wurde, und sein Herz machte einen Sprung, als dieser sich genauso geschmeidig und sicher bewegte wie immer. Es waren keine Worte nötig, aber er sah, wie Renius’ Fingerknöchel am Geländer weiß wurden, während sie in die Arena hinausblickten und ebenso laut jubelten wie alle anderen.

16

Am letzten Tag des Turniers gesellte sich Servilia in der Loge zu ihnen. Sie trug ein weit geschnittenes Kleid aus weißer Seide, das am Hals offen stand. Julius amüsierte sich über die anderen Männer, die von dem tiefen Dekolleté völlig fasziniert zu sein schienen, das sich ihnen offenbarte, als Servilia aufstand, um den Männern der Zehnten zuzujubeln, die es bis unter die letzten sechzehn geschafft hatten.

Octavian bekam im letzten Kampf des Achtelfinales einen Schnitt auf der Wange ab. Er verlor gegen Salomin, der gemeinsam mit Domitius, Brutus und fünf anderen, die Julius bis auf seine Notizen nicht kannte, siegreich in die Runde der letzten acht einzog. Wenn Unbekannte im Ring standen, diktierte Julius Adàn Briefe in schneller Abfolge und verstummte nur, wenn ein Kampf kurz vor der Entscheidung stand und der junge Spanier seinen Blick nicht von den Männern in der Arena losreißen konnte. Adàn war von dem Schauspiel wie gebannt und staunte über die gewaltige Zahl der anwesenden Menschen. Die ständig steigenden Summen, die Julius und Pompeius setzten, ließen ihn in stiller Verwunderung den Kopf schütteln, auch wenn er sich Mühe gab, nach außen hin ebenso gelassen zu wirken wie die anderen Zuschauer in der Loge.

Die erste Runde des Tages war lang und heiß gewesen, und das Tempo der Kämpfe hatte stetig abgenommen. Jeder, der jetzt noch im Ring stand, war ein Meister seines Fachs. Schnelle Siege gab es nicht mehr. Auch die Stimmung im Publikum hatte sich verändert. Inzwischen wurde fast nur noch über Technik und Stil diskutiert, während man den Kämpfen zusah und die besseren Schläge bejubelte.

Salomin geriet schwer unter Druck, als er sich bemühte, unter die letzten vier zu kommen, die am Abend den Höhepunkt bestreiten sollten. Trotz seiner Arbeitsbelastung unterbrach Julius das Diktat, nachdem Adàn bereits zum zweiten Mal den Faden verloren hatte. Die Entscheidung, ohne die silberne Rüstung zu kämpfen, hob Salomin von allen anderen Kämpfern ab; schon jetzt war er ein Liebling der Menge. Sein Stil bezeugte die Weisheit seiner Entscheidung. Der kleine Mann kämpfte wie ein Akrobat und stand niemals still. Er bewegte sich, immer wieder unerwartete Hiebe austeilend, so elegant hin und her, dass seine Gegner im Vergleich unbeholfen wirkten.

Aber der Mann, mit dem er um den Einzug ins Halbfinale kämpfte, war kein Anfänger, der sich zu Dummheiten hinreißen ließ. Renius nickte zustimmend, als er dessen Beinarbeit sah, die gut genug war, um dem rastlosen Salomin keine Lücke in der Verteidigung zu bieten.

»Salomin muss bald müde sein«, meinte Crassus.

Niemand antwortete, weil alle gebannt das Schauspiel verfolgten. Salomins Schwert war ein gutes Stück länger als die Gladii, die die anderen benutzten, was ihm beim Ausfall eine Furcht einflößende Reichweite verlieh.

Diese zusätzliche Länge der Klinge entschied schließlich den Kampf, nachdem die Sonne in der Nachmittagshitze schon einen halben Spann am Himmel weitergezogen war. Beiden Männern rann der Schweiß in Strömen herab, und Salomin verschätzte sich bei einem geraden Stoß, den er mit einer Körpertäuschung getarnt hatte. Der andere Mann sah das Schwert gar nicht, als es in seine Kehle drang. Er brach zusammen und verströmte sein Blut in den Sand.

Da sie in unmittelbarer Nähe saßen, konnte Julius sehen, dass Salomin keinen tödlichen Streich hatte führen wollen. Der kleine Mann beugte sich entsetzt und mit zitternden Händen über seinen gefallenen Gegner. Dann kniete er neben dem Leichnam nieder und senkte den Kopf.

Die Menge erhob sich, um ihm zuzujubeln, aber der Lärm schien erst nach einer Weile bis zu ihm durchzudringen. Salomin sah die grölenden Bürgern wütend an. Ohne sein Schwert wie üblich zum Gruß zu heben, wischte er seine Klinge mit Finger und Daumen sauber und stapfte in die schattige Einfriedung zurück.

»Das ist eindeutig keiner von uns«, fällte Pompeius amüsiert sein Urteil. Er hatte wieder eine große Wette gewonnen, und nichts konnte ihm seine gute Laune verderben, auch wenn ein paar Leute aus der Menge abfällig zu brüllen begannen, als sie merkten, dass es keine Ehrenbezeugung für die Konsuln geben würde. Der Leichnam wurde weggeschleift und der nächste Kampf rasch aufgerufen, ehe die Unruhe in der Menge noch weiter um sich greifen konnte.

»Aber er hat sich einen Platz unter den letzten vier gesichert«, sagte Julius.

Domitius hatte sich mühsam durch das Viertelfinale gekämpft, aber auch er würde sich in einem der letzten beiden Paare des Wettbewerbs wiederfinden. Jetzt war nur noch ein Platz im Halbfinale zu erringen, und Brutus würde darum kämpfen. Mittlerweile hatte das Publikum sie alle schon seit Tagen beobachtet, und ganz Rom verfolgte den Verlauf der Kämpfe, indem Läufer denen, die keine Plätze bekommen hatten, die Neuigkeiten überbrachten. Weniger als einen Monat vor der Wahl wurde Julius behandelt, als hätte er bereits einen Sitz als Konsul errungen. Pompeius war ihm gegenüber inzwischen deutlich freundlicher geworden. Julius hatte Treffen mit beiden Männern, bei denen sie mit ihm über die Zukunft reden wollten, strikt abgelehnt. Er wollte das Schicksal nicht herausfordern, ehe sein Volk nicht gewählt hatte, aber in ruhigen Augenblicken träumte er schon davon, als einer der Führer Roms vor dem Senat Reden zu halten.

Bibulus hatte sich erst am letzten Tag gemeldet, und Julius fragte sich, aus welchem Grund er wohl im Rennen um das Konsulsamt blieb. Viele der ursprünglichen Kandidaten hatten sich zurückgezogen, als der Wahltermin näher rückte, nachdem sie ihren Kollegen gegenüber vorübergehend an Ansehen gewonnen hatten. Bibulus jedoch schien seine Kandidatur nicht zurückziehen zu wollen. Trotz seiner offensichtlichen Hartnäckigkeit war er ein schlechter Redner, und der Versuch, einen wegen Diebstahls angeklagten Mann zu verteidigen, hatte als lächerliches Debakel geendet. Trotzdem zogen seine Klienten mit seinem Namen auf den Lippen durch die Stadt, und Roms Jugend schien ihn als Maskottchen adoptiert zu haben. Es war durchaus möglich, dass der alte Geldadel Roms Julius einen der ihren vorzog, deshalb durfte man Bibulus keineswegs außer Acht lassen.

Während Julius darauf wartete, dass Brutus zum Kampf aufgerufen wurde, machte er sich Sorgen wegen der Kosten seines Wahlkampfes. Mehr als 1000 Männer holten sich jeden Morgen in dem Haus am Fuße des Esquilin ihren Lohn ab. Julius war sich nicht sicher, was sie wirklich bei einer geheimen Wahl erreichen konnten, aber er hatte Servilias Argument nachvollziehen können, dass seine Parteigänger auf den Straßen zu sehen sein mussten. Es war ein gefährliches Spiel, denn bei einer zu großen Anhängerschaft blieben womöglich viele Römer in dem Glauben, ihr Kandidat könne ohnehin nicht verlieren, am Wahltag zu Hause. Dass die Freien Roms in Zenturien abstimmten, war ein Fehler im System. Wenn nur einige wenige aus der benannten Gruppe anwesend waren, konnten sie die Stimmen für alle abgeben. Bibulus konnte von solch einem unangebrachten Vertrauen profitieren, oder auch Senator Prandus, der ebenso viele Männer zu bezahlen schien wie Julius.

Trotzdem, seine Rolle bei dem glorreichen Sieg über Catilina sprach sich allmählich herum, und sogar seine Gegner mussten eingestehen, dass das Schwertturnier ein Erfolg war. Außerdem hatte Julius mit Wetten auf seine Männer genug gewonnen, um einen Teil seiner Wahlkampfschulden zurückzahlen zu können. Adàn führte genau Buch, und mit jedem Tag nahm das spanische Gold ab und zwang ihn, Kredite aufzunehmen. Manchmal bereiteten ihm die Schulden Kopfzerbrechen, aber sobald er Konsul war, würde das alles keine Rolle mehr spielen.

»Mein Sohn!«, sagte Servilia plötzlich, als Brutus zusammen mit Aulus, einem schlanken Kämpfer von den Hängen des Vesuvs im Süden, die Arena betrat.

Beide Männer waren in ihren silbernen Rüstungen prachtvoll anzusehen, und Julius lächelte Brutus zu, der zur Konsulloge hinaufgrüßte und seiner Mutter zuzwinkerte, ehe er sich umdrehte und sein Schwert für das Publikum emporriss.

Die Leute antworteten mit zustimmendem Gebrüll, und die beiden Männer gingen leichten Schrittes zu ihren Markierungen in der Mitte. Renius schnaubte leise vor sich hin, aber Julius sah ihm die Anspannung an, als er sich nach vorne beugte, damit ihm auch ja nichts entging.

Julius hoffte, dass Brutus eine Niederlage genauso gut verkraften würde wie seine Siege. Schon das Erreichen der Runde der letzten acht war eine Leistung, von der er seinen Enkeln erzählen konnte, aber Brutus hatte von Anfang an gesagt, er würde im Finale stehen. Selbst Julius hatte davor zurückgeschreckt, zu behaupten, dass Brutus das Turnier gewinnen würde, aber sein Selbstvertrauen war ihm deutlich anzusehen.

»Setze alles auf ihn, Pompeius. Ich nehme deine Wette persönlich an«, sagte Julius, von der Aufregung mitgerissen.

Pompeius zögerte nur einen Augenblick. »Die Wettenden scheinen deine Zuversicht zu teilen, Julius. Wenn du mir eine vernünftige Quote anbietest, nehme ich dein Angebot vielleicht an.«

»Eine Münze gegen fünfzig von deinen auf Brutus. Fünf Münzen für eine von deinen auf Aulus«, sagte Julius schnell. Pompeius lächelte.

»Bist du so sehr davon überzeugt, dass Marcus Brutus gewinnt? Mit einer solchen Quote führst du mich in Versuchung, auf diesen Aulus zu setzen. Fünftausend Goldstücke gegen deinen Mann, zu dieser Quote. Nimmst du an?«

Julius blickte hinaus in die Arena. Mit einem Mal schwand seine gute Laune. Es war der letzte Kampf des Viertelfinales. Salomin und Domitius waren bereits weitergekommen. Es konnte doch wohl keinen Kämpfer geben, der gut genug war, um seinen ältesten Freund zu schlagen?

»Ich nehme an, Pompeius. Du hast mein Wort«, sagte er und spürte, wie ihm erneut der Schweiß aus den Poren trat. Adàn war ganz offensichtlich entsetzt, und Julius schaute ihn nicht an. Er blieb nach außen hin völlig ruhig, während er sich zu erinnern versuchte, um wie viel seine Reserven nach dem Kauf der neuen Rüstungen für die Söldner und den Löhnen für die Klienten jede Woche geschrumpft waren. Falls Brutus verlor, reichten 25000 Goldstücke Schulden aus, um ihn zu ruinieren, aber ihn tröstete der Gedanke, als Konsul für jeden Kredit gut zu sein. Die Geldverleiher würden bei ihm Schlange stehen.

»Dieser Aulus. Ist er gut?«, fragte Servilia, um das Schweigen zu brechen, das sich in der Loge ausbreitete.

Bibulus hatte den Platz gewechselt, um in ihrer Nähe sitzen zu können. Er antwortete mit einem Lächeln, das er für gewinnend hielt.

»In dieser Phase sind sie alle gut, Herrin. Beide haben bis jetzt sieben Kämpfe für sich entschieden, um so weit zu kommen, obwohl ich mir sicher bin, dass dein Sohn siegen wird. Er ist der Publikumsliebling, und man sagt, das kann einen Mann auf wundervolle Weise beflügeln.«

»Vielen Dank«, erwiderte Servilia und schenkte ihm ein Lächeln.

Bibulus wurde rot und verknotete seine Finger ineinander. Julius betrachtete ihn nicht gerade wohlwollend und fragte sich, ob hinter seinem tölpelhaften Benehmen ein schärferer Verstand lauerte oder ob Bibulus wirklich der hoffnungslose Narr war, als der er sich zur Schau stellte.

Die Hörner erklangen, und beim ersten Scheppern der Schwerter drängten alle ohne jede Rücksicht auf Rang und Namen an die Balustrade, um einen guten Platz zu ergattern. Servilia atmete hastig, und ihre Nervosität war ihr so deutlich anzumerken, dass Julius ihren Arm berührte. Sie schien es nicht zu bemerken.

In der Arena blitzten die Schwerter, und die beiden Männer wirbelten mit einer Geschwindigkeit umeinander herum, die der Hitze Hohn sprach. Sie belauerten sich, unterbrachen dann die Schrittfolge, um in die andere Richtung zu wechseln, und das Ganze erfolgte mit einer Geschicklichkeit, die wunderschön anzusehen war. Aulus ähnelte vom Körperbau her Brutus’ muskulöser Gestalt. Die beiden Männer schienen einander ebenbürtig zu sein. Adàn zählte leise und fast unbewusst die Schläge mit und ballte dabei aufgeregt die Fäuste. Seine Notizen und Briefe lagen vergessen auf dem Stuhl hinter ihm.

Innerhalb kürzester Zeit landete Brutus drei Treffer auf dem Panzer seines Gegners. Aulus ließ Schläge gegen seine Verteidigung passieren, in der Hoffnung, einen Gegentreffer anbringen zu können, und jedes Mal rettete sich Brutus nur durch seine Beinarbeit. Beide Männer waren schweißüberströmt, die Haare schwarz und klatschnass. Sie lösten sich voneinander, um sich eine angespannte Pause zu gönnen. Julius hörte Brutus’ Stimme über den Sand hallen. In der Loge war kein Wort zu verstehen, aber Julius wusste, dass es spöttische Bemerkungen waren, die Aulus wütend machen sollten.

Aulus lachte über den Versuch, und die beiden gingen wieder aufeinander los. Sie standen beängstigend dicht voreinander, während ihre Schwerter wirbelten und blitzten. Griffe und Klingen trafen rasend schnell aufeinander, und Adàn kam mit dem Zählen nicht mehr hinterher. Dem jungen Spanier blieb vor Staunen über solche Kunstfertigkeit der Mund offen stehen, und das gesamte Publikum verstummte. In der unglaublichen Spannung hielten viele den Atem an, während sie auf das erste Blut warteten, das das kämpfende Paar vergießen würde.

»Da!«, rief Servilia aus, als ein Streifen auf Aulus’ rechtem Oberschenkel zu sehen war. »Seht ihr das? Seht nur, dort!« Sie deutete wie wild, noch während der Schwertkampf in der Arena eine wahnsinnige Wildheit erreichte. Ob Brutus es nun wusste oder nicht, offensichtlich hatte Aulus keine Ahnung, dass er verwundet worden war, und Brutus konnte so dicht am Gegner den Kampf nicht abbrechen, ohne einen tödlichen Hieb zu riskieren. Sie kämpften im gleichen Rhythmus weiter, während der Schweiß an ihnen herunterrann.

Auf Julius’ Zeichen hin bliesen die Cornicen einen warnenden Ton durch die Arena. Es war gefährlich, die Kämpfer auf diese Weise zu stören, aber beide traten augenblicklich zurück und atmeten keuchend ein und aus. Aulus berührte seinen Oberschenkel mit der Hand und streckte Brutus die rote Handfläche hin. Keiner von ihnen war in der Lage zu sprechen, und Brutus stützte die Hände auf die Knie und atmete tief durch, um sein hämmerndes Herz zu beruhigen, das durch seinen ganzen Körper zu pulsieren schien. Er spuckte zähen Speichel aus und musste abermals spucken, um den langen Faden loszuwerden, der bis auf den Boden hing. Erst als ihr Puls zu rasen aufhörte, vernahmen die Schwertkämpfer den Jubel der Menge. Sie umarmten sich kurz, ehe sie erneut die Schwerter zum Gruß erhoben.

Servilia schlang die Arme um ihren Oberkörper und lachte vor Begeisterung.

»Dann ist er also unter den letzten vier? Mein lieber Sohn. Er war unglaublich, nicht wahr?«

»Jetzt hat er die Chance zu gewinnen und Ehre für Rom zu erringen«, erwiderte Pompeius mit einem säuerlichen Seitenblick auf Julius. »Zwei Römer in den letzten beiden Paaren. Die Götter allein wissen, wo die anderen beiden herstammen. Dieser Salomin ist so dunkel wie der Pfuhl der Unterwelt, und der andere, der mit den Schlitzaugen ... wer weiß? Wollen wir hoffen, dass ein Römer dein Schwert entgegennehmen wird, Julius. Es wäre eine Schande, jetzt noch einen Barbaren gewinnen zu sehen.«

Julius zuckte die Achseln. »Das liegt in den Händen der Götter.«

Er wartete darauf, dass der Konsul die Wette zur Sprache brachte, die zwischen ihnen stand, aber Pompeius, der seine Gedanken erriet, zog lediglich die Stirn in Falten.

»Ich lasse es dir von einem Boten vorbeibringen, Julius. Du brauchst nicht dazustehen wie eine schwangere Henne.«

Julius nickte sofort. Trotz des friedlichen Anscheins war jeder Wortwechsel in der Loge ein Duell ohne Blut, bei dem jeder seinen Vorteil zu erzielen versuchte. Er freute sich schon auf die letzten Kämpfe am Abend, und wenn nur, um das Ende mitzuerleben.

»Selbstverständlich, Konsul. Du findest mich in dem Haus am Esquilin, bis die letzten Kämpfe heute Abend beginnen.«

Pompeius blickte finster drein. Er hatte nicht damit gerechnet, eine so große Summe so schnell auftreiben zu müssen, aber jetzt beobachteten ihn alle anderen Gäste in der Loge genau, und um Crassus’ Lippen spielte ein hässliches kleines Lächeln. Pompeius kochte innerlich. Er würde seine Gewinne eintreiben müssen, um zu bezahlen, und sein bisheriger Wetterfolg würde dadurch vollkommen zunichte gemacht werden. Nur Crassus hatte so viel Gold flüssig. Zweifellos dachte der alte Geier selbstgefällig an die eine Münze, die er durch Brutus gewonnen hatte.

»Ausgezeichnet«, sagte Pompeius, der sich nicht endgültig festlegen wollte. Selbst mit seinen Gewinnen reichte das Geld nicht aus, aber er würde eher Rom brennen sehen, als sich wegen eines neuerlichen Kredits an Crassus zu wenden.

»Auf Wiedersehen, meine Herren, Servilia«, sagte Pompeius mit einem gezwungenen Lächeln. Er gab seinen Wachen ein Zeichen und verließ steif die Loge.

Julius sah ihm nach, ehe er vergnügt grinste. 5000! Mit einer einzigen Wette hatte er wieder genug Geld für seinen Wahlkampf. »Ich liebe diese Stadt«, sagte er laut.

Auch Suetonius war mit seinem Vater aufgestanden, um zu gehen, und obwohl es die Höflichkeit gebot, etwas Belangloses zu sagen, zeigte sich in seinem schmalen Gesicht keine Freude. Bibulus erhob sich gemeinsam mit ihnen und blickte nervös zu seinem Freund hinüber, als auch er seinen Dank murmelte und ihnen folgte.

Servilia blieb zurück, und in ihren Augen spiegelte sich die gleiche Erregung, die sie auch in Julius’ sah. Die Menge strömte davon, um etwas zu essen zu suchen, und die Soldaten der Zehnten konnten sie ungehindert dabei beobachten, als sie ihn voller Verlangen küsste.

»Wenn du deine Männer den Baldachin etwas verstellen und dann wegtreten lässt, wären wir hier so ungestört, dass wir uns wie ungezogene Kinder benehmen könnten, Julius.«

»Du bist zu alt, um ungezogen zu sein, meine schöne Geliebte«, erwiderte Julius und breitete die Arme aus, um sie zu umarmen. Sie erstarrte, und plötzlicher Zorn ließ ihr das Blut in die Wangen steigen.

Ihre Augen blitzten, als sie sprach, und Julius war entsetzt, wie schnell ihre Stimmung umgeschlagen war.

»Dann ein anderes Mal«, fauchte sie ihn an und rauschte an ihm vorbei.

»Servilia!«, rief er ihr nach, aber sie drehte sich nicht um. Er blieb allein in der leeren Loge zurück und ärgerte sich über seinen Ausrutscher.

17

In der Kühle des Abends schritt Julius nervös in der Loge auf und ab und wartete auf Servilia. Der Bote des Pompeius hatte ihm erst wenige Minuten, ehe er zu den letzten Kämpfen aufgebrochen war, eine Kiste voll Münzen gebracht, und dann hatte er noch mehr Zeit verloren, weil er genug Männer herbeirufen musste, um ein solches Vermögen zu bewachen. Selbst bei Menschen, denen er eigentlich vertraute, machte ihn der Gedanke nervös, dass so viel Geld offen herumstand.

Alle anderen waren schon lange vor ihm eingetroffen, und Pompeius lächelte freudlos, als er Julius die Stufen heraufeilen und mit sorgenvollem Gesicht seinen Platz einnehmen sah. Wo blieb Servilia? Sie war nicht ins Wahlhaus gekommen, aber sie würde doch bestimmt die Finalkämpfe ihres Sohnes nicht verpassen wollen? Julius hielt es nicht auf seinem Platz. Er stand auf und ging unruhig am Rande der Loge auf und ab.

Die Arena wurde von flackerndem Fackellicht erhellt. Mit dem Abend hatte sich eine kühle Brise eingefunden, die die Hitze des Tages linderte. In den Sitzreihen drängten sich die Bürger, auch sämtliche Mitglieder des Senats waren anwesend. Bis zum Ende des Turniers arbeitete in der ganzen Stadt niemand mehr, und die Spannung schien sich bis in die ärmsten Viertel ausgebreitet zu haben. Die Menschen versammelten sich in einer ungeordneten Menge auf dem Campus Martius, so wie sie es am Wahltag wieder tun würden.

Servilias Eintreffen fiel mit dem ersten Hornstoß der Cornicen zusammen, der die letzten vier Kämpfer in die Arena rief. Julius sah sie fragend an, als sie sich niederließ, aber seine Geliebte erwiderte den Blick nicht und wirkte abweisender, als er sie jemals gesehen hatte.

»Es tut mir Leid«, flüsterte er zu ihr geneigt. Sie gab nicht zu erkennen, ob sie ihn gehört hatte, und er lehnte sich verärgert zurück und schwor sich, es nicht noch einmal zu versuchen.

Die Menge erhob sich, um ihre Favoriten zu bejubeln, und die Wettsklaven warteten. Julius sah, dass Pompeius keinen von ihnen herbeiwinkte, und es bereitete ihm ein bösartiges Vergnügen, den Stimmungswandel zu beobachten, den er herbeigeführt hatte. Er blickte kurz zu Servilia hinüber, ob sie es auch bemerkt hatte, und seine Entschlossenheit verflog, als er die kalte Maske sah, die sie ihm zuwandte.

»Bedeute ich dir denn so wenig?«, flüsterte er ein wenig zu laut. Bibulus und Adàn zuckten auf ihren Sitzen zusammen, taten dann aber so, als hätten sie nichts gehört. Servilia antwortete nicht, und Julius starrte wütend und mit versteinertem Gesicht in die dunkle Arena hinaus.

Die letzten Wettstreiter traten langsam in den Schein der Fackeln hinaus. Bei ihrem Anblick erhob sich die Menge, und der Lärm war ohrenbetäubend, als 20000 Menschen wie aus einer Kehle brüllten. Brutus ging neben Domitius und versuchte, sich trotz des Lärms mit ihm zu unterhalten. Salomin ging hinter ihnen, danach folgte der letzte Kämpfer, von dem die Menge kaum Notiz nahm. Aus irgendeinem Grund hatten Sungs Stil und seine Siege keinen Anklang gefunden. Er zeigte keine Gefühle, und seine Ehrenbezeugungen waren reine Formalität. Er war größer und kräftiger gebaut als Salomin; sein plattes Gesicht und der rasierte Schädel ließen ihn abstoßend wirken, und wie er so hinter den anderen hertrottete, sah es fast so aus, als schleiche er sich an sie heran. Sung hatte das längste Schwert der vier Verbliebenen. Das war zweifellos ein Vorteil für ihn, auch wenn die anderen Kämpfer eine ebenso lange Klinge hätten benutzen können, wenn sie es gewollt hätten. Julius wusste, dass Brutus darüber nachgedacht hatte, da er einige Erfahrungen mit dem Spatha-Schwert besaß, letztendlich jedoch hatte die größere Vertrautheit mit dem Gladius doch den Ausschlag gegeben.

Julius betrachtete die vier Männer genau und achtete auf Anzeichen von Steifheit und Schonhaltungen. Vor allem Salomin schien Schmerzen zu haben und ging mit gesenktem Kopf. Alle vier waren mit Blutergüssen übersät; man sah ihnen die Erschöpfung der letzten Tage deutlich an. In gewissem Maß würde der endgültige Sieger vielleicht nicht nur von seinem kämpferischen Können, sondern auch von seinem Durchhaltevermögen bestimmt werden. Julius fragte sich, welche Paare ausgelost werden würden, und hoffte, Brutus würde gegen Domitius kämpfen, damit auf jeden Fall ein Römer das Finale erreichte. Dem Politiker in ihm war durchaus bewusst, dass das Interesse des Publikums schwinden würde, falls sich beim letzten Kampf Salomin und Sung in der Arena gegenüberstanden. Das wäre ein ungebührender Ausgang für eine aufregende Woche, und zu seiner Enttäuschung hörte er, wie die Paare ausgerufen wurden: Brutus sollte gegen Salomin antreten und Domitius gegen Sung. Sofort flammten die Wetten in einem lauten Durcheinander aus Rufen und nervösem Gelächter wieder auf. Die Spannung hing über ihnen, und Julius spürte, wie ihm trotz der Brise, die durch die Arena wehte, der Schweiß in den Achselhöhlen ausbrach.

Die vier Männer sahen gebannt zu, wie ein Ringmeister eine Münze in die Luft warf. Sung nickte, als er das Ergebnis sah, und Domitius sagte etwas zu ihm, das im Lärm der Menge unterging. Bei jeder Bewegung wurde deutlich, dass die Männer Respekt voreinander empfanden. Sie hatten sich gegenseitig ein ums andere Mal gewinnen gesehen und machten sich hinsichtlich der bevorstehenden Kämpfe keine Illusionen.

Brutus warf Domitius über die Schulter noch ein paar aufmunternde Worte zu und ging mit Salomin zurück zur Einfriedung. Er registrierte die steifen Bewegungen des anderen und fragte sich, ob er sich wohl einen Muskel gezerrt hatte. Eine solche Kleinigkeit konnte den Ausschlag geben, ob man ins Finale einzog oder mit leeren Händen dastand. Brutus sah genauer hin und fragte sich, ob ihm der kleine Mann nur etwas vormachte. Es hätte ihn nicht überrascht. In dieser Phase ließ keiner etwas unversucht, um den kleinsten Vorteil zu erzielen.

Das Publikum verstummte so schnell, dass hier und dort vereinzeltes nervöses Lachen zu hören war. Die Cornicen standen bereit, den Blick abwartend zu Julius nach oben gerichtet.

Julius wartete geduldig, während Domitius mit seinen Dehnübungen begann. Sung ignorierte den Römer, gegen den er kämpfen sollte, und starrte stattdessen ins Publikum, bis es einige bemerkten, auf ihn zeigten und den finsteren Blick erwiderten. Das alles gehörte mit zur Spannung des letzten Abends, und Julius konnte Hunderte von Kindern neben ihren Eltern sitzen sehen, die sich freuten, noch nicht ins Bett zu müssen.

Domitius beendete seine langsamen Bewegungen mit einem plötzlichen Sprung auf sein rechtes Knie, und Julius sah, wie sich ein Lächeln auf seinem dunklen Gesicht breit machte, als er keine Schmerzen spürte. Er dankte den Göttern für Cabera, auch wenn er ein schlechtes Gewissen hatte, weil er ihn darum gebeten hatte. Der alte Heiler war nach der Heilung zusammengebrochen und sah jetzt elender und grauer aus, als Julius es jemals erlebt hatte. Wenn alles vorbei war, wollte er dem alten Mann jede Belohnung zukommen lassen, die er sich wünschte, das hatte er sich geschworen. Der Gedanke, ohne ihn weitermachen zu müssen, ängstigte ihn, aber wer wusste schon, wie alt Cabera war?

Julius ließ die Hand fallen, und die Hörner erklangen. Vom ersten Augenblick an war klar, dass Sung den Vorteil seines langen Schwertes auszunutzen gedachte. Seine Handgelenke mussten wie aus Eisen sein, um es so weit vom Körper entfernt zu halten und die Wucht von Domitius’ Schlägen abzufangen, dachte Julius. Aber seine kräftigen Beine schienen im Sand verankert zu sein, und das lange, silberne Stück Metall hielt Domitius auf Distanz, während jeder den anderen mit Finten und Hieben aus der Reserve zu locken versuchte. Inzwischen kannten beide Männer den Stil des anderen beinahe ebenso gut wie den eigenen, und das Resultat war ein Patt. Domitius wagte es nicht, sich in Reichweite von Sungs langem Schwert zu begeben, andererseits fand sein Gegner bei keiner Attacke auch nur eine winzige Lücke in Domitius’ Verteidigung.

Renius schlug mit der Faust auf das Geländer und feuerte Domitius mit bellenden Rufen an, als dieser Sung auf den hinteren Fuß zurückdrängte und ihn einen Augenblick lang aus dem Gleichgewicht brachte. Die lange Klinge wirbelte durch die Luft, Domitius tauchte darunter hinweg und stürzte endlich doch vor. Sein Ausfall war makellos, aber Sung wich elegant zur Seite aus, ließ ihn an seiner gepanzerten Brust vorbeigleiten und landete selbst einen Treffer mit dem Schwertknauf gegen Domitius’ Wange. Der Schlag streifte ihn nur, aber der größte Teil des Publikums fuhr unwillkürlich zusammen. Julius schüttelte angesichts dieses Ausmaßes an Geschicklichkeit bewundernd den Kopf, aber für das ungeübte Auge konnte der Kampf auch unsauber wirken. Hier gab es nicht mehr die perfekten Angriffe und Gegenangriffe, wie man sie in den ersten Runden bewundern konnte, in denen gute Kämpfer gegen Anfänger angetreten waren. Bei diesem Kampf wurde jede Parade und jede Riposte sofort vereitelt, und das Ergebnis war ein Wirbel von hässlichen Schlägen, bei denen aber nicht ein Tropfen Blut floss.

Domitius zog sich als Erster zurück. Seine Wange war an der Stelle, wo ihn der Schwertknauf getroffen hatte, geschwollen, und er berührte die Stelle mit der Handfläche. Sung wartete geduldig, das Schwert bereit, bis ihm Domitius die unbefleckte Hand zeigte. Da die Haut nicht aufgeplatzt war, stürzten sie sich mit noch wilderer Entschlossenheit aufeinander.

Erst als sein Puls in den Schläfen pochte, merkte Julius, dass er den Atem anhielt. Ein solches Tempo konnten sie nicht lange durchhalten, das wusste er genau; jeden Augenblick würde einer von ihnen verwundet werden.

Wieder ließen sie voneinander ab und umkreisten einander beinahe im Laufschritt, wobei sie ständig innehielten und die Richtung wechselten, sobald der andere den Rhythmus erkannt hatte. Zweimal konnte Domitius Sung mit seinen Richtungsänderungen fast zu einem falschen Schritt verleiten, und beim zweiten Mal führte er einen Streich, der Sungs Arm vom Rumpf getrennt hätte, wenn er ihn nicht nach hinten gerissen und die Wucht des Schlages mit der Rüstung abgefangen hätte.

Beiden Männern konnte man nun die Erschöpfung der letzten Tage ansehen; Domitius, der sichtlich nach Atem rang, vielleicht sogar etwas deutlicher. Julius wusste, dass der Kampf, den er sah, ebenso im Kopf ausgefochten wurde wie mit dem Schwert, und er konnte nicht sagen, ob das ein weiterer Trick war, oder ob Domitius wirklich litt. Seine Kraft schien in Schüben zu kommen, und die Geschwindigkeit seines Arms schwankte, während dieser allmählich schwer wurde.

Auch Sung war unsicher und ließ zweimal Gelegenheiten verstreichen, bei denen er eine späte Parade hätte ausnutzen können. Er legte den Kopf zur Seite, als wolle er sich ein Urteil bilden, und hielt dann den Römer wieder mit einer Folge glänzender Figuren mit der Schwertspitze auf Distanz.

Ein unglaublich schneller Richtungswechsel brachte dann fast die Entscheidung, als Domitius mit der Hand gegen die flache Klinge schlug und so schnell die Richtung wechselte, dass sich Sung eilig auf den Rücken warf. Renius schrie vor Erregung auf. Nur wenige verstanden genug vom Schwertkampf, um erkennen zu können, dass dieser Sturz absichtlich und kontrolliert erfolgt war. Es gab keine schnellere Möglichkeit, einem Streich auszuweichen, aber die Menge jubelte, als hätte ihr Favorit schon gewonnen – und schrie auf, als sie sah, wie Sung einem Taschenkrebs gleich vor Domitius’ Hieben davonhuschte und plötzlich wie durch ein Wunder wieder auf den Beinen stand.

Vielleicht lag es an der Enttäuschung, so kurz vor dem Sieg gestanden zu haben, aber Domitius war bei seinem Angriff nicht vorsichtig genug, und plötzlich fuhr die Spitze von Sungs Schwert hoch und erwischte den Gegner unterhalb des Panzers. Beide Männer erstarrten, und diejenigen, die scharfe Augen besaßen, heulten enttäuscht auf, während ihre Nachbarn noch die Hälse reckten, um zu sehen, wer gewonnen hatte.

Domitius rann das Blut am Bein hinunter, und Julius konnte sehen, wie er wütend fluchte, ehe er sich zusammenriss und wieder auf die Anfangsposition ging. Sungs Miene hatte sich die ganze Zeit über nicht verändert, doch als sich beide Männer gegenüberstanden, verbeugte er sich zum ersten Mal während des Wettbewerbs. Zum Vergnügen des Publikums erwiderte Domitius die Geste und grinste trotz seiner Erschöpfung über das ganze Gesicht, als sie der Menge gemeinsam ihren Gruß entboten.

Renius wandte sich mit leuchtenden Augen an Julius.

»Mit deiner Erlaubnis, Herr. Wenn ich Domitius hätte, ginge die Ausbildung der Männer wesentlich besser vonstatten. Er ist ein Kämpfer mit Köpfchen, und auf ihn würden die Soldaten bestimmt hören.«

Julius spürte, wie alle bei der Erwähnung der neuen, noch ungeschliffenen Legion die Ohren spitzten.

»Wenn er und Brutus einverstanden sind, schicke ich ihn zu dir. Ich habe versprochen, meine besten Zenturios und Optios für diese Aufgabe abzustellen. Er wird dabei sein.«

»Wir brauchen auch dringend Schmiede und Gerber ... «, fing Renius an, verstummte aber, als Julius den Kopf schüttelte.

Servilia stand auf, als Brutus und Salomin in die Arena hinaustraten. Sie zitterte unwillkürlich, als sie ihren Sohn sah, und ballte die Hand zur Faust. Dieser vom Fackellicht erleuchtete Ring hatte etwas Bedrohliches.

Julius wollte sie berühren, unterdrückte die Regung jedoch, obwohl er sich jeder ihrer Bewegungen direkt neben sich deutlich bewusst war. Es quälte ihn, ihren Duft in der Abendluft zu riechen. Sein Zorn und seine Verwirrung machten beinahe die Freude an dem Augenblick zunichte, als er mit seinem Ring eine Wette um 5000 Münzen auf Brutus besiegelte. Pompeius’ Gesichtsausdruck war ein Genuss, und trotz Servilias Unterkühltheit spürte er, wie sich seine Stimmung hob. Auch Adàn versuchte einen entsetzten Blick zu unterdrücken, und Julius zwinkerte ihm zu. Sie waren gemeinsam die Reserven durchgegangen, wobei sich herausgestellt hatte, dass es mit dem spanischen Gold, das er mitgebracht hatte, rapide bergab ging. Wenn er die 5000 verlor, mussten sie bis zum Ende des Wahlkampfs auf Kredite zurückgreifen. Julius beschloss, dem jungen Spanier lieber nichts von der schwarzen Perle zu erzählen, die er für Servilia gekauft hatte. Er spürte ihr Gewicht in dem Beutel auf seiner Brust und war so stolz darauf, dass er sie ihr trotz ihrer Missstimmung überreichen wollte. Der Preis ließ ihn schaudern, wenn er daran dachte, wie viele Rüstungen und Vorräte er dafür hätte kaufen können. 60000 Goldstücke. Er war verrückt. Zweifellos war die Summe viel zu hoch, um sie in den Büchern auftauchen zu lassen. Der Händler hatte beim Blut seiner Mutter geschworen, den Preis niemals zu verraten, was bedeutete, dass es zumindest noch ein paar Tage dauern würde, bis der Verkauf in jedem Gasthaus und Freudenhaus Roms bekannt war. Julius spürte, wie ihr Gewicht an seiner Toga zog, und hin und wieder griff er unwillkürlich danach, um die Rundung der Perle unter dem Stoff zu ertasten.

Auch Salomin hatte jeden von Brutus’ Kämpfen gesehen, einschließlich dem, bei dem er seinen Gegner bewusstlos geschlagen und ihm dann fast verächtlich eine blutende Wunde am Bein beigebracht hatte. Selbst in Bestform wäre er lieber gegen Domitius oder Sung, den trägen Chinesen, angetreten. Er hatte gesehen, wie der junge Römer ohne das geringste Zögern gekämpft hatte, ohne nachzudenken oder zu taktieren, als wären sein Körper und seine Muskeln dazu ausgebildet worden, ohne bewusste Anleitung zu handeln. Jetzt, da er ihm in der Arena gegenüberstand, schluckte Salomin trocken und zwang sich, sich zu konzentrieren. Verzweiflung stieg in ihm auf, während er die Schultermuskeln lockerte und die blauen Flecken und verschorften Schrammen auf dem Rücken spürte. Mit schweißnasser Stirn wartete er auf den Klang der Hörner.

Die Soldaten hatten ihn am Nachmittag in dem einfachen Gasthaus unweit der Stadtmauer aufgesucht, in dem er eine Mahlzeit zu sich genommen und sich ein wenig ausgeruht hatte. Er wusste nicht, warum sie ihn auf die Straße gezerrt, ihn dort festgehalten und so lange verprügelt hatten, bis ihre Stöcke zerbrachen. Er hatte Gänsefett auf alle Wunden geschmiert und versucht, beweglich zu bleiben, aber sämtliche Chancen auf einen Sieg waren dahin. Nur der Stolz ließ in überhaupt antreten. Leise sprach er ein kurzes Gebet in der Sprache seiner Heimat und spürte, wie es ihn beruhigte.

Als die Hörner erklangen, reagierte er instinktiv und wollte zur Seite ausweichen. Ein höllischer Schmerz fuhr ihm über den Rücken, Tränen schossen ihm in die Augen und ließen die Fackeln zu Sternen zerfließen. Fast blind riss er das Schwert hoch, und Brutus wich aus. Salomin schrie vor Schmerz und Enttäuschung auf, als seine steifen Muskeln schmerzhaft zerrten. Er versuchte, einen weiteren Schlag anzubringen, der seinen Gegner jedoch vollkommen verfehlte. Der Schweiß rann ihm in großen Tropfen vom Gesicht, als er dastand und sich zwang weiterzukämpfen.

Brutus trat verwirrt zurück und runzelte die Stirn. Er zeigte auf den Arm seines Gegners. Einen Augenblick lang wagte Salomin nicht hinzusehen, aber als er das Brennen spürte, fiel sein Blick auf eine kleine Wunde auf seiner Haut, und er nickte resigniert.

»Das ist nicht die schlimmste Wunde, die ich heute abbekommen habe, mein Freund. Ich hoffe nur, dass du mit den anderen nichts zu tun hattest«, sagte Salomin leise.

Brutus sah ihn verständnislos an, während er sein Schwert vor der Menge hob, bis ihm plötzlich bewusst wurde, wie verkrampft der normalerweise so geschmeidige kleine Mann dastand. Mit einem Mal wurde ihm alles entsetzlich klar.

»Wer war das?«

Salomin zuckte die Achseln. »Wer kann schon einen Römer vom anderen unterscheiden? Es waren Soldaten. Es ist geschehen.«

Brutus wurde bleich vor Wut, und sein Blick wanderte misstrauisch zu Julius, der ihm begeistert zujubelte. Dann stapfte er aus der Arena und hörte nicht, wie die Leute begeistert seinen Namen riefen.

Während der zwei Stunden vor dem Finale wurde der Sand säuberlich geharkt, während viele Bürger sich aufgeregt plaudernd auf den Weg machten, um sich zu waschen und etwas zu essen. Die Loge leerte sich rasch, und Julius fiel auf, dass Senator Prandus vor seinem Sohn ging, der sich gemeinsam mit Bibulus in die Menge stürzte und von seinem Vater kaum Notiz nahm, als sie ihn überholten.

Julius hörte Brutus kommen, als die wogende Menge in der Nähe der Loge ihren Helden erkannte und ihm wieder enthusiastisch zujubelte. Obwohl er vor Erregung zitterte, war Brutus doch vernünftig genug, sein Schwert wegzustecken, ehe er sich den Wachen vor der Loge näherte. Es wäre ihre Pflicht gewesen, ihn aufzuhalten, ungeachtet seines neuen Status.

Julius und Servilia gingen ihm entgegen, aber Julius’ Glückwünsche blieben ihm in der Kehle stecken, als er das Gesicht seines Freundes sah. Brutus kochte vor Wut.

»Hast du Salomin zusammenschlagen lassen?«, fuhr er Julius an. »Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Warst du das?«

»Ich ... «, begann Julius entsetzt. Er wurde unterbrochen, als die Soldaten des Pompeius plötzlich Haltung annahmen und der Konsul hinter dem Vorhang hervortrat.

Vor unterdrückter Erregung bebend, salutierte Brutus und stand stramm, während Pompeius ihn musterte.

»Ich habe den Befehl dazu gegeben. Ob du davon profitiert hast oder nicht, interessiert mich nicht. Ein Fremder, der die Ehrenbezeugung unterlässt, kann nichts Besseres erwarten und hätte Schlimmeres verdient. Wäre er nicht unter den letzten vier gewesen, würde er inzwischen irgendwo im Wind baumeln.«

Gleichmütig hielt er ihren erstaunten Blicken stand.

»Auch einem Fremden kann man Respekt beibringen, denke ich. Und jetzt, Brutus, ruh dich für das Finale aus.«

Beim Wegtreten konnte Brutus seinem Freund und seiner Mutter nur noch einen kurzen Blick der Entschuldigung zuwerfen.

»Vielleicht wäre es besser gewesen, damit zu warten, bis das Turnier vorbei ist«, sagte Julius, nachdem Brutus gegangen war. Etwas in Pompeius’ reptilienhaftem Blick ließ ihn seine Worte mit Bedacht wählen. Seine Arroganz war größer, als Julius es je geahnt hatte.

»Oder sollte ich es vielleicht einfach vergessen?«, erwiderte Pompeius. »Ein Konsul ist Rom, Cäsar. Er darf weder verhöhnt noch verächtlich behandelt werden. Vielleicht wirst du das eines Tages verstehen, wenn dir die Bürger die Chance geben, dort zu stehen, wo ich heute stehe.«

Julius wollte Pompeius schon fragen, ob er auf Brutus gewettet hatte, hielt sich aber gerade noch rechtzeitig zurück, ehe er seinen eigenen Untergang besiegelte. Er erinnerte sich, dass Pompeius nicht gewettet hatte; offensichtlich hatte es ihm sein seltsames Ehrgefühl verboten, von der Bestrafung zu profitieren.

Julius fühlte sich plötzlich nur noch müde und allem überdrüssig. Er nickte, als hätte er verstanden, und hielt den Vorhang auf, damit Servilia und Pompeius hindurchgehen konnten. Selbst jetzt würdigte sie ihn keines Blickes, und er seufzte verbittert, als er ihnen folgte. Wahrscheinlich erwartete sie von ihm, dass er zu ihr kam. Auch wenn ihn der Gedanke ärgerte, blieb ihm keine andere Wahl. Seine Hand wanderte zu der Perle, und er klopfte nachdenklich auf die Rundung unter dem Stoff.

Von dem scharfen Ritt immer noch außer Atem, holte Julius tief Luft, ehe er an die Tür klopfte. Der Besitzer der Taverne hatte ihm bestätigt, dass Servilia in ihr Zimmer zurückgekehrt war, und Julius konnte drinnen Wasser plätschern hören. Vor dem letzten Kampf nahm sie noch ein Bad. Trotz seiner Verärgerung verspürte Julius die ersten leisen Anzeichen des Verlangens, als er Schritte näherkommen hörte, aber die Stimme, die erklang, gehörte dem Sklavenmädchen, das die Bäder für die Gäste füllte.

»Julius«, antwortete er auf ihre Frage. Hätte er seine Titel genannt, wäre das Mädchen vielleicht etwas flinker gewesen, aber links und rechts des kleines Korridors gab es Ohren, und es war ein wenig lächerlich, wie er gleich einem liebeskranken Jüngling mit einer geschlossenen Tür sprach. Also ließ er die Finger knacken und wartete. Wenigstens befand sich die Taverne nahe genug bei der Stadtmauer, so dass er es noch rechtzeitig zurückschaffen würde. Sein Pferd fraß Heu in einem kleinen Stall, und er würde nur eine Minute brauchen, um Servilia die Perle zu geben, ihre entzückten Umarmungen über sich ergehen zu lassen und mit ihr zum Campus zurückzugaloppieren, um den letzten Kampf um Mitternacht zu sehen.

Endlich öffnete das Sklavenmädchen die Tür und verbeugte sich vor ihm. Julius sah ein amüsiertes Glitzern in ihren Augen, als sie an ihm vorbei in den Gang hinaustrat, aber als sich die Tür hinter ihm schloss, hatte er sie bereits vergessen.

Servilia trug ein einfaches weißes Kleid und hatte das Haar im Nacken aufgedreht. Ein Teil von ihm fragte sich, wann sie die Zeit gefunden hatte, die Farben und Öle auf ihr Gesicht aufzutragen, doch er eilte auf sie zu.

»Die Jahre, die uns trennen, sind mir egal. Haben sie in Spanien eine Rolle gespielt?«, fragte er eindringlich. Ehe er sie berühren konnte, hob sie die Hand, den Rücken gestreckt wie eine Königin.

»Du verstehst überhaupt nichts, Julius, und das ist die schlichte Wahrheit.«

Er versuchte zu widersprechen, aber sie übertönte ihn mit lauter Stimme und blitzenden Augen.

»Ich wusste schon in Spanien, dass es unmöglich ist, aber dort war alles anders. Ich kann es nicht erklären ... es war, als wäre Rom ganz weit weg, und du warst das Einzige, was zählte. Wenn ich hier bin, spüre ich die Jahre, die Jahrzehnte, Julius. Uns trennen Jahrzehnte. Gestern war mein dreiundvierzigster Geburtstag. Wenn du vierzig bist, bin ich eine alte Frau mit grauen Haaren. Ich habe jetzt schon welche, aber verborgen unter den besten Färbemitteln aus Ägypten. Lass mich gehen, Julius. Wir können nicht mehr zusammen sein.«

»Das ist mir egal!«, platzte Julius heraus. »Du bist immer noch wunderschön ...«

Servilia lachte unfreundlich. »Immer noch wunderschön, Julius? Ja, es ist ein Wunder, dass ich immer noch so gut aussehe, auch wenn du keine Ahnung hast, wie viel Arbeit es erfordert, der Welt ein glattes Gesicht zu präsentieren.«

Einen Augenblick wurden ihre Augen faltig, und sie kämpfte gegen die Tränen an. Als sie weitersprach, war ihre Stimme von einer grenzenlosen Müdigkeit gezeichnet.

»Ich werde nicht zulassen, dass du mich alt werden siehst, Julius. Du nicht. Geh zu deinen Freunden, ehe ich die Tavernenwache rufe und dich hinauswerfen lasse. Lass mich allein, damit ich mich zu Ende anziehen kann.«

Julius öffnete die Hand und zeigte ihr die Perle. Er wusste, dass es falsch war, aber er hatte die Geste den ganzen Weg vom Campus hierher geplant, und jetzt war es, als bewege sich sein Arm ohne seinen Willen. Sie schüttelte ungläubig den Kopf.

»Soll ich mich jetzt in deine Arme werfen, Julius? Soll ich weinen und mich bei dir entschuldigen, weil ich dich für einen Knaben gehalten habe?«

Mit einer trotzigen, schnellen Bewegung schnappte sie sich die Perle und warf sie nach ihm. Sie traf ihn an der Stirn und ließ ihn zusammenzucken. Er hörte, wie das Kleinod in eine Zimmerecke rollte, das Geräusch schien nicht enden zu wollen.

Sie sprach langsam, wie zu jemandem, der nicht richtig bei Verstand ist: »Und jetzt verschwinde.«

Als sich die Tür hinter ihm schloss, wischte sie sich wütend die Augen und stand auf, um nach der Perle zu suchen. Nachdem ihre Finger sie ertastet hatten, hielt sie sie ins Licht der Lampe, und einen Augenblick lang wurden ihre Züge weich. Trotz ihrer Schönheit fühlte sich die Perle in ihrer Hand kalt und hart an, ganz so wie Servilia selbst nach außen hin zu sein vorgab.

Servilia strich mit den Kuppen ihrer langen Finger über die Perle und dachte an Julius. Er war noch keine 30 Jahre alt. Auch wenn er es jetzt noch nicht wahrhaben wollte, würde er eine Frau wollen, die ihm Söhne schenken konnte. Tränen glitzerten auf ihren Wimpern, als sie an ihren welkenden Schoß dachte. Seit drei Monaten hatte sie nicht mehr geblutet, und sie spürte kein Leben in sich. Eine Weile hatte sie auf ein Kind gehofft, aber als eine weitere Periode ausgeblieben war, wusste sie, dass ihre Jugend endgültig hinter ihr lag. Von ihr würde er keinen Sohn bekommen, und es war besser, ihn jetzt fortzuschicken, ehe er an Kinder dachte, die sie ihm nicht schenken konnte. Besser, als darauf zu warten, von ihm verstoßen zu werden. Er trug seine Stärke mit solcher Selbstverständlichkeit, dass er ihre Furcht niemals würde verstehen können. Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Er würde darüber hinwegkommen, bei jungen Männern war das immer so.

Als Brutus und Sung um Mitternacht die Arena betraten, waren die Fackeln mit Öl nachgefüllt worden, und der Ring leuchtete in der Dunkelheit des Campus. Die Wettsklaven hatten sich diskret zurückgezogen; jetzt wurde kein Geld mehr angenommen. Viele Bürger hatten den ganzen Nachmittag über stetig getrunken, um sich auf den Höhepunkt vorzubereiten, und Julius sandte Läufer aus, die noch mehr Soldaten der Zehnten herbeiholen sollten, falls es am Ende zu Ausschreitungen kam. Trotz der Müdigkeit, die sich seiner Seele bemächtigt hatte, verspürte er Stolz, als er sah, wie Brutus zum letzten Mal eines von Cavallos Schwertern empor- streckte. Die Geste hatte eine persönliche, schmerzvolle Bedeutung für alle, die sie verstanden.

Ohne nachzudenken streckte Julius die Hand aus, um Servilias zu ergreifen, und ließ sie dann wieder sinken.

Ihre Stimmung würde sich ändern, wenn Brutus gewann, da war er sich fast sicher.

Die schmale Sichel des Mondes hing über dem Fackelkreis. Obwohl es schon spät war, hatte die Nachricht von den beiden Finalisten schnell die Runde durch die Stadt gemacht. Ganz Rom war wach und wartete auf das Ergebnis. Falls er den Sieg davontrug, würde Brutus berühmt sein, und Julius kam der ironische Gedanke, dass sein Freund dann mit größter Wahrscheinlichkeit zum Konsul gewählt werden würde, falls er sich zu einer Kandidatur entschließen sollte.

Beim Klang der Cornicen griff Sung ohne Vorwarnung an, um die Partie gleich im ersten Augenblick für sich zu entscheiden. Sein Schwert fuhr zischend auf Brutus’ Beine zu, und der junge Römer schlug es mit einem metallischen Klirren nach unten. Er konterte nicht, und einen Augenblick geriet Sung aus dem Gleichgewicht. Die schmalen Schlitze seiner Augen verrieten nichts, als er die Achseln zuckte und erneut angriff, wobei sein langes Schwert einen weiten Bogen in die Luft zog.

Wieder schlug Brutus die Klinge zur Seite, und das Scheppern des Metalls war wie der Klang einer Glocke, die über dem schweigenden Publikum ertönte. Alle sahen vollkommen fasziniert dem Kampf zu, der so ganz anders war als alle vorangegangenen.

Julius konnte noch immer rote Zornesflecken auf Brutus’ Gesicht und Hals erkennen, und er fragte sich, ob er Sung töten oder selbst getötet werden würde, weil seine Gedanken immer noch dem ungerechten Sieg gegen Salomin nachhingen.

Der Kampf entwickelte sich zu einer Abfolge von Schlägen und scheppernder Abwehr, aber Brutus war noch keinen Schritt von seiner Markierung gewichen. Wenn Sungs Klinge ihm zu nahe kam, blockte er sie mit einer kurzen Bewegung seines Gladius’ ab. War der Streich nur eine Finte, ignorierte er ihn, selbst wenn das Metall dicht genug an ihm vorbeistrich, dass er es durch die Luft zischen hörte. Sung atmete schwer. Bei jedem seiner Angriffe schrie das Publikum auf, verstummte bei dem ausgeführten Schlag und atmete zischend wieder aus, was wie Hohn klang. Wahrscheinlich dachten sie, Brutus würde Sung eine Lektion erteilen.

Als Julius ihm zusah, begriff er, dass Brutus ganz alleine gegen sich selbst kämpfte. Er wünschte sich geradezu verzweifelt den Sieg, aber die Scham über die Behandlung Salomins nagte an ihm, also hielt er sich Sung lediglich vom Leib, während er nachdachte. Julius wurde klar, dass er Zeuge der Vorführung eines perfekten Schwertkämpfers wurde. Es war eine unglaubliche Feststellung, aber der Junge, den er gekannt hatte, war zu einem Meister geworden, besser als Renius oder jeder andere.

Auch Sung wusste dies, der Schweiß brannte ihm in den Augen, und der Römer stand immer noch vor ihm. In Sungs Gesicht spiegelten sich Wut und Verzweiflung. Er stöhnte nun bei jedem Hieb laut, und ohne eine bewusste Entscheidung getroffen zu haben, schlug er nun nicht länger zu, um den Gegner eine Wunde beizubringen, sondern um ihn zu töten.

Julius konnte es nicht länger mit ansehen. Er beugte sich über das Geländer und schrie seinem Freund quer durch die Arena zu: »Gewinne, Brutus! Gewinne für uns!«

Sein Volk brüllte begeistert auf, als es ihn hörte. Brutus hebelte Sungs Schwert mit dem seinen zur Seite und klemmte es lange genug fest, um dem Gegner den Ellbogen in den Mund zu rammen. Für alle sichtbar lief das Blut über Sungs blasse Haut, und er wankte benommen einen Schritt zurück. Julius sah, wie Brutus die Hand hob und etwas zu dem anderen sagte, und dann schüttelte Sung den Kopf und griff erneut an.

Da erwachte Brutus zum Leben, und es war, als beobachtete man eine Katze beim Sprung. Er ließ die lange Klinge an seinen Rippen entlanggleiten, um die Deckung zu durchbrechen, und rammte Sung dann den Gladius mit all seiner angestauten Wut in den Halsansatz. Die Klinge verschwand unter der silbernen Rüstung, und Brutus schritt über den Sand davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Sung sah ihm mit verzerrtem Gesicht nach. Seine linke Hand zog an der Klinge, er versuchte zu schreien, aber seine Lunge war zerfetzt, und in der Todesstille war nur ein heiseres Krächzen zu hören.

Das Publikum brach in lauten Jubel aus, und Julius schämte sich für sie. Er stand auf und brüllte nach Ruhe, was diejenigen, die ihn hören konnten, zum Schweigen brachte. Der Rest folgte langsam, und in der angespannten Stille wartete das Volk Roms darauf, dass Sung fiel.

Sung spuckte wütend in den Sand, und alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Selbst aus einiger Entfernung konnte man jeden schweren Atemzug hören. Langsam und mit größter Vorsicht schnallte er seinen Panzer ab und ließ ihn zu Boden fallen. Der Stoff darunter war durchweicht und sah im Licht der Fackeln schwarz aus. Sung betrachtete ihn erstaunt, ehe er die dunklen Augen blinzelnd auf die Reihen der Römer richtete, die ihn anstarrten.

»Komm schon, du Schweinehund«, flüsterte Renius vor sich hin. »Zeig ihnen, wie man stirbt.«

Mit der Präzision des Todeskampfes schob Sung das lange Schwert in die Scheide zurück, dann gaben seine Beine nach, und er fiel auf die Knie. Trotzdem sah er sie weiterhin alle an, und seine schweren Atemzüge waren wie Schreie, die immer kürzer wurden. Dann fiel er, und die Menge, die wie Statuen richtender Götter dasaß, atmete erleichtert aus.

Pompeius wischte sich die Stirn und schüttelte den Kopf.

»Du musst deinem Mann gratulieren, Cäsar. Ich habe noch nie einen besseren Kämpfer gesehen«, sagte er.

Julius sah ihn kalt an. Pompeius nickte beiläufig und rief nach seinen Wachen, damit sie ihn zur Stadtmauer eskortierten.

18

Bibulus sah Suetonius stumm und finster dabei zu, wie er in dem langen Zimmer, in dem Bibulus seine Besucher empfing, auf und ab ging. Wie jeder andere Raum im Haus war er nach seinem Geschmack eingerichtet. Sogar jetzt empfand er Freude an den einfachen Farben der Liegen und den mit Gold gekrönten Säulen. Irgendwie hatte die nüchterne Schlichtheit stets eine beruhigende Wirkung auf ihn. Er brauchte einen beliebigen Raum der Villa nur zu betreten, um sofort zu wissen, ob etwas nicht an seinem Platz stand. Der schwarze Marmorboden war auf Hochglanz poliert, und jeden Schritt, den Suetonius machte, begleitete ein farbiger Schatten unter seinen Füßen, als wandele er über Wasser. Sie waren allein, sogar die Sklaven waren weggeschickt worden. Das Feuer war schon lange erloschen, die Luft war kalt, so dass man seinen Atem sehen konnte. Bibulus hätte gerne nach mit einem heißen Eisen erhitzten Wein oder etwas zu essen gerufen, wagte es aber nicht, seinen Freund zu unterbrechen.

Er fing an zu zählen, wie oft Suetonius beim Gehen kehrt machte. Man sah ihm die Anspannung an den starren Schultern und den auf dem Rücken verkrampften Händen an. Bibulus ärgerte sich über diese nächtliche Heimsuchung seines Hauses, aber Suetonius besaß Macht über ihn, also musste er ihm zuhören, auch wenn er ihn immer mehr verabscheute.

Suetonius’ schneidende Stimme zerriss ohne Warnung die Stille, als könne er seinen Zorn nicht länger zurückhalten. »Ich schwöre dir, wenn ich nur an ihn herankäme, ich würde ihn auf der Stelle umbringen lassen, Bibi. Ich schwöre es beim Kopf des Jupiter!«

»Sag so was nicht«, stammelte Bibulus schockiert. Selbst in seinen eigenen vier Wänden sollte man manche Dinge besser nicht aussprechen.

Suetonius blieb abrupt stehen, als hätte ihn jemand herausgefordert, und Bibulus sank in die Polster der Liege zurück. Weiße Speicheltropfen hatten sich an Suetonius’ Mundwinkeln gebildet, und Bibulus starrte sie an, ohne den Blick abwenden zu können.

»Du kennst ihn nicht, Bibulus. Du hast nie miterlebt, wie er die Rolle des edlen Römers spielt, genau wie damals sein Onkel. Als ob seine Familie etwas Besseres wäre als Kaufleute! Er schmeichelt sich bei denen ein, die er braucht, und in seinem Gefolge plustern sie sich auf wie Gockel. Oh, das muss ich ihm lassen! Er ist ein Meister darin, Menschen zu finden, die ihn lieben. Dabei ist alles nur auf Lügen erbaut, Bibulus. Ich habe es gesehen.« Er funkelte seinen Freund an, als erwarte er Widerspruch.

»Seine Eitelkeit ist weithin sichtbar, und ich kann es kaum fassen, dass ich der Einzige bin, dem das auffällt. Aber alle anderen fallen auf ihn herein und nennen ihn den jungen Löwen Roms.«

Suetonius spuckte auf den polierten Boden, und Bibulus blickte mit Entsetzen auf den nassen Schleimbatzen. Suetonius grinste höhnisch, die Verbitterung verzerrte sein Gesicht zu einer hässlichen Maske.

»Für sie alle ist es nur ein Spiel ... Pompeius und Crassus, und wie sie alle heißen. Ich habe es gesehen, als wir aus Griechenland zurückkehrten. Die Stadt war arm, die Sklaven kurz vor dem größten Aufstand unserer Geschichte, und sie haben Cäsar zum Tribun ernannt. Schon damals hätte ich wissen müssen, dass mir niemals Gerechtigkeit widerfahren würde. Womit hatte er das verdient? Ich war dabei, als wir gegen Mithridates gekämpft haben, Bibi. Cäsar war nicht mehr Anführer als ich, auch wenn er hinterher so getan hat. Mithridates hat uns den Sieg praktisch geschenkt, aber ich habe Julius niemals kämpfen gesehen. Habe ich das schon erzählt? Ich habe kein einziges Mal erlebt, dass er sein Schwert gezogen hätte, um uns zu helfen, selbst als das Blut in Strömen floss.«

Bibulus seufzte. Er hatte das alles schon oft gehört, öfter als er zählen konnte. Früher einmal hatte er den Zorn des Suetonius als gerecht empfunden, aber jedes Mal, wenn er dieses Klagelied hörte, wurde Cäsar zu einem noch größeren Schurken, ganz so, wie ihn Suetonius sehen wollte.

»Und Spanien? Oh, Bibi, ich weiß Bescheid über Spanien. Er geht dort mit leeren Händen hin, kommt aber mit genug Gold zurück, um als Konsul zu kandidieren. Stellt ihn irgendjemand in Frage? Wird er von den Gerichten verurteilt? Ich habe an den Mann geschrieben, der dort seinen Posten übernommen hat, und habe nach den Zahlen gefragt, die er dem Senat vorgelegt hat. Ich habe die Arbeit für diese alten Narren erledigt, Bibi.«

»Und was hat er geantwortet?«, fragte Bibulus und hob den Blick von seinen Handrücken. Dieser Teil der Hasstirade war neu und weckte sein Interesse. Er sah, wie Suetonius nach Worten suchte, und hoffte, er würde nicht noch einmal ausspucken.

»Nichts! Ich habe wieder und wieder geschrieben, bis der Kerl mich schließlich in einem knappen Brief gewarnt hat, mich nicht in die Angelegenheiten der Regierung Roms einzumischen. Eine Drohung, Bibulus, eine widerliche kleine Drohung. Da wusste ich, dass er einer von Cäsars Männern ist. Ohne jeden Zweifel sind seine Hände genauso schmutzig wie die seines Vorgängers. Er hält sich sehr bedeckt, unser Julius, aber ich kriege ihn noch.«

Müde und hungrig wie er war, konnte sich Bibulus eine kleine Spitze nicht verkneifen. »Als Konsul ist er gegen jede Anklage immun, Suetonius, sogar bei Kapitalverbrechen. Dann kannst du ihm nichts mehr anhaben.«

Suetonius grinste hämisch und zögerte, ehe er sprach. Er dachte an die finsteren Männer, die er auf ihrem Weg zu Cäsars Landgut beobachtet hatte, wo sie Cornelia und ihre Diener ermordet hatten. Manchmal war diese Erinnerung das Einzige, was ihn davon abhielt, verrückt zu werden. An jenem Tag hatten die Götter nicht ihre schützende Hand über Julius gehalten. Julius war nach Spanien geschickt worden, die Gerüchteküche wusste etwas von Schande zu berichten, und seiner schönen Frau war die Kehle durchgeschnitten worden. Damals hatte Suetonius gedacht, er habe seinen Zorn endgültig überwunden. Der Tod Cornelias war wie das Aufbrechen einer Eiterbeule gewesen, so dass das ganze Gift abgeflossen war.

Suetonius seufzte, weil er diesen Frieden verloren hatte. Julius hatte seinen Posten in Spanien missbraucht und das Land seines Goldes beraubt. Man hätte ihn in den Straßen steinigen sollen, aber er war zurückgekehrt und hatte dem Pöbel seine billigen Lügen erzählt und ihn damit auf seine Seite gezogen. Dieses Turnier hatte seinen Namen in der ganzen Stadt bekannt gemacht.

»Kam es etwa überraschend, dass ausgerechnet sein bester Freund das Schwertturnier gewinnt, Bibi? Nein, sie jubeln ihm einfach zu, diese elenden Hohlköpfe, obwohl jeder, der Augen im Kopf hat, sehen konnte, dass Salomin kaum bis zu seiner Markierung gehen konnte. Das war der wahre Cäsar, der, den ich kenne. Vor den Augen Tausender, aber sie wollten es nicht sehen. Wo war denn da die Ehre, auf die er solchen Wert legt?« Suetonius begann wieder auf und ab zu schreiten und trat bei jedem Schritt scheppernd auf sein Spiegelbild. »Er darf nicht Konsul werden, Bibulus. Ich werde tun, was ich kann, aber das darf einfach nicht passieren. Du bist meine einzige Hoffnung, mein Freund. Vielleicht wirst du es schaffen, ihm genug Stimmen der Zenturien wegzunehmen, und wenn das nicht reicht, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen.«

»Wenn man dich bei irgendetwas erwischt, werde ich ... «, hob Bibulus an.

Suetonius brachte ihm mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Erledige du deine Arbeit, Bibulus, ich kümmere mich um die meine. Wink der Menge zu, erscheine vor Gericht, halte deine Reden.«

»Und wenn das nicht reicht?«, fragte Bibulus und fürchtete sich zugleich vor der Antwort.

»Enttäusche mich nicht, Bibulus. Du hältst bis zum Ende durch, es sei denn, dein Rückzug hilft meinem Vater. Ist das etwa zu viel verlangt? Das ist gar nichts.«

»Aber was ist, wenn ...«

»Ich bin deine ewigen Einwände leid, mein Freund«, sagte Suetonius leise. »Wenn du willst, gehe ich auf dem schnellsten Wege zu Pompeius und erkläre ihm unmissverständlich, warum du Rom nicht vertreten kannst. Möchtest du das etwa, Bibulus? Soll er von deinen Geheimnissen erfahren?«

»Nein ... nicht«, sagte Bibulus, dem die Tränen in die Augen traten. In solchen Augenblicken empfand er nichts als Hass für den Mann, der vor ihm stand. Aus dem Mund des Suetonius klang alles so schmutzig.

Suetonius trat auf ihn zu und packte ihn an seinem Doppelkinn.

»Sogar kleine Hunde können beißen, nicht wahr, Bibulus? Ob du mich wohl verraten würdest, frage ich mich? Ja, natürlich würdest du das tun, wenn ich dir die Chance dazu bieten würde. Aber du würdest mit mir fallen, und noch viel tiefer. Das weißt du doch, oder?«

Suetonius packte eine Hautfalte seines Freundes mit zwei Fingern und fing an zu drehen. Bibulus wand sich vor Schmerzen.

»Du bist wirklich ein dreckiges Schwein, Bibulus. Aber ich brauche dich, und das verbindet uns mehr als Freundschaft, enger als Blutsbande. Vergiss das nicht, Bibi. Du würdest keiner Folter standhalten, und Pompeius ist bekannt dafür, dass er sehr gründlich ist.«

Bibulus riss sich mit einem Ruck los und drückte seine weichen, weißen Hände gegen die schmerzende Kehle.

»Ruf deine hübschen Kinder, sie sollen das Feuer wieder anzünden. Es ist kalt hier«, sagte Suetonius mit einem boshaften Funkeln in den Augen.

Brutus stand im Esszimmer des Wahlhauses am Kopf der Tafel, hob den Becher und sah seine Freunde an. Sie erhoben sich ihm zu Ehren, und die Bitterkeit, die er immer noch wegen Salomin verspürte, fiel in ihrer Gesellschaft ein wenig von ihm ab. Julius begegnete seinem Blick, und Brutus zwang sich zu einem Lächeln. Er schämte sich, weil er einen Augenblick gedacht hatte, sein Freund sei möglicherweise für die Prügel verantwortlich.

»Worauf sollen wir trinken?«, fragte Brutus.

Alexandria räusperte sich, und alle Blicke richteten sich auf sie.

»Wir brauchen bestimmt mehr als nur einen Trinkspruch, aber als Erstes sollten wir auf Brutus trinken, das beste Schwert Roms.«

Sie lächelten und wiederholten die Worte, und Brutus hörte Renius’ tiefe Stimme lauter als alle anderen knurren. Der alte Gladiator hatte nach seinem Sieg bei dem Turnier lange mit ihm gesprochen, und da er es war, hatte Brutus zugehört.

Brutus hob seinen Becher, als sich ihre Blicke begegneten, und bedankte sich so noch einmal persönlich bei ihm. Renius antwortete mit einem Grinsen, und Brutus spürte, wie sich seine Stimmung hob.

»Dann gebührt der nächste meiner schönen Goldschmiedin«, sagte er, »die einem guten Schwertkämpfer auf mehr als nur eine Weise zugetan ist.«

Bei dem darauf einsetzenden Gelächter lief Alexandria rot an, und Brutus glotzte ihr ungeniert in den Ausschnitt.

»Du bist betrunken, du Lustmolch«, antwortete sie, und ihre Augen funkelten vor Vergnügen.

Julius ließ die Becher nachfüllen.

»Auf die, die wir lieben und die nicht hier sind«, sagte er, und etwas an seinem Tonfall ließ die anderen innehalten. Cabera lag oben auf seinem Bett; die besten Ärzte Roms waren an seiner Seite, von denen keiner auch nur über die Hälfte seines Könnens verfügte. Nachdem er Domitius geheilt hatte, war er zusammengebrochen, und sein Siechtum trübte die Stimmung der anderen.

Sie wiederholten den Trinkspruch und schwiegen, während sie sich an diejenigen erinnerten, die sie verloren hatten. Julius dachte nicht nur an den alten Heiler, sondern auch an Servilia, und sein Blick fiel auf den leeren Stuhl, der für sie bereitstand. Nachdenklich rieb er sich die Stelle an der Stirn, wo ihn die Perle getroffen hatte.

»Sollen wir etwa die ganze Nacht stehen bleiben?«, fragte Domitius. »Octavian müsste sowieso schon lange im Bett liegen.«

Octavian setzte den Becher an und leerte ihn. »Ihr habt doch gesagt, wenn ich brav bin, darf ich länger aufbleiben«, erwiderte er fröhlich.

Sie setzten sich wieder, und Julius musterte seinen jungen Verwandten liebevoll. Octavian wuchs zu einem prächtigen Mann heran, auch wenn seine Manieren noch einiges zu wünschen übrig ließen. Selbst Brutus war aufgefallen, wie oft er in Servilias Haus anzutreffen war. Allem Anschein nach hatte er sich dort zum Liebling der Mädchen entwickelt. Julius sah, wie Octavian über etwas lachte, das Renius gesagt hatte, und hoffte, dass ihm das außergewöhnliche Selbstvertrauen der Jugend nicht auf allzu brutale Art genommen würde. Aber wenn der junge Mann niemals ernsthaft geprüft wurde, blieb er nichts als eine leere Hülle. Es gab viele Dinge in seiner Vergangenheit, die er ändern würde, aber ohne sie, das wusste er, wäre er immer noch der stolze, zornige kleine Junge, den Renius ausgebildet hatte. Der Gedanke daran war schrecklich, aber er hoffte, dass Octavian auch Leid und Schmerz erfahren würde, damit er zum Mann werden konnte. Es war die einzige Möglichkeit, die er kannte, und selbst wenn Julius seine Triumphe vergessen konnte, so waren es doch seine Niederlagen gewesen, die ihn geformt hatten.

Das Essen wurde auf Julius’ persönlichen, noch in Spanien angefertigten Silbertellern serviert. Alle Gäste waren hungrig, und eine ganze Weile war nur noch das Geräusch kauender Münder zu vernehmen.

Dann lehnte sich Brutus zurück, hielt sich die Hand vor den Mund und rülpste leise.

»Also, wirst du nun Konsul, Julius?«, fragte er.

»Wenn genügend Leute zur Wahl gehen«, antwortete Julius. »Alexandria macht dir eine Konsulspange für deinen Umhang. Sie wird sehr schön«, fuhr Brutus fort.

Alexandria stützte den Kopf auf die Hand. »Das war eine Überraschung, hast du das vergessen, Brutus? Es sollte eine Überraschung werden. Was dachtest du denn, was damit gemeint war?«

Brutus ergriff ihre Hand und drückte sie. »Tut mir Leid. Aber sie ist wirklich sehr schön, Julius.«

»Ich hoffe, dass ich Gelegenheit habe, sie zu tragen. Vielen Dank, Alexandria«, erwiderte Julius. »Ich wünschte nur, ich könnte mir meines Sieges ebenso sicher sein wie Brutus.«

»Warum solltest du das nicht? Du hast einen Fall auf dem Forum verloren, den niemand hätte gewinnen können. Du hast drei gewonnen, die du hättest verlieren müssen. Deine Klienten sind jeden Abend für dich unterwegs, ihre Berichte klingen gut.«

Julius nickte und dachte an die Schulden, die er angehäuft hatte, um das alles zu erreichen. Das Gold, das er von Pompeius gewonnen hatte, war schon nach wenigen Wahlkampftagen aufgebraucht gewesen. Trotz des ausgezeichneten Rufes, den er sich erworben hatte, bedauerte er einige der unvernünftigeren Ausgaben, vor allem die Perle. Schlimmer noch war die plumpe Vertraulichkeit, die die Geldverleiher ihm gegenüber mit den steigenden Schulden an den Tag legten, gerade so, als gehörte ihnen ein Teil von ihm, und er sehnte sich nach dem Tag, an dem er ihre habgierigen Hände wieder loswurde.

Mit vom Wein geröteten Gesicht stand Brutus ein weiteres Mal auf. »Wir sollten auf noch etwas trinken«, sagte er. »Auf den Sieg, aber auf einen ehrenvollen Sieg.«

Alle standen auf und erhoben die Becher. Julius wünschte sich, sein Vater hätte sie sehen können.

19

Eine große Feierlichkeit lag über der gewaltigen Menschenmenge, die zum Wählen aus der Stadt herausgekommen war. Julius beobachtete voll Stolz, wie sie sich zur Wahl in ihre Zenturien aufteilten und die Wachstafeln zu den Diribitores brachten, wo sie in Körben auf die Auszählung warteten. Die Stadt ragte hinter ihnen auf, und im Westen wehte die Fahne auf dem fernen Janiculum als Zeichen dafür, dass die Stadt für die Dauer der Wahl geschützt und versiegelt war.

An Schlaf war in der Nacht zuvor nicht zu denken gewesen, und als die Auguren bereitstanden, um hinauszuziehen und den Boden zu weihen, hatte Julius bei ihnen am Tor gestanden und ihnen nervös und mit einem merkwürdigen Schwindelgefühl dabei zugesehen, wie sie die Messer vorbereiteten und einen großen, weißen Bullen aus der Stadt hinausführten. Dessen lebloser Körper lag nun nicht weit von der Stelle entfernt, wo er schweigend dastand und die Stimmung der Menge einzuschätzen versuchte. Viele nickten und lächelten ihm zu, während sie ihre Stimmen in die Weidenkörbe legten, aber Julius empfand keine Freude dabei. Was zählte, waren allein die Stimmen ihrer Zenturien, und da die wohlhabenden Klassen als Erste abstimmten, hatte Prandus sieben gegen vier für Bibulus gewonnen. Keine einzige der ersten elf Zenturien hatte sich für Julius ausgesprochen, und während der Tag immer heißer wurde, spürte er, wie ihm der Schweiß aus den Achselhöhlen lief.

Er hatte gewusst, dass es am schwierigsten sein würde, unter den reichen Freien Stimmen zu gewinnen, aber nun tatsächlich mitzuerleben, wie er eine Stimme nach der anderen verlor, war eine bittere Erfahrung. Die Konsuln und Kandidaten standen als würdevolle Gruppe neben ihm, aber Pompeius konnte sein Vergnügen nicht verbergen und schwatzte munter mit einem Sklaven, der neben ihm stand, während er sich seinen Becher mit einem kühlen Getränk füllen ließ.

Julius versuchte verzweifelt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Trotz seiner gewissenhaften Vorbereitung konnten die frühen Stimmen die späteren Zenturien beeinflussen, was zu einer überwältigenden Mehrheit führen könnte, neben der für ihn kein Platz war. Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr in die Stadt fragte er sich, was er tun sollte, wenn er verlor.

Wenn er in der Stadt blieb, die Bibulus und Prandus regierten, würde das sein Ende bedeuten, daran zweifelte er keine Sekunde. Pompeius würde Mittel und Wege finden, ihn zu vernichten, wenn ihm Suetonius nicht zuvorkam. Nur um dieses Jahr zu überleben, würde er um eine Versetzung in irgendeine trostlose Garnison am Rande des römischen Einflussgebiets betteln müssen. Julius schüttelte unwillkürlich den Kopf, während die Stimmergebnisse ausgerufen wurden und er im Stillen an immer schlimmere Möglichkeiten dachte. Die Anhänger von Prandus und Bibulus jubelten bei jedem Erfolg, und Julius sah sich gezwungen, freundlich zu lächeln, auch wenn es wie Säure in ihm brannte.

Er rief sich in Erinnerung, dass er nichts tun konnte, und fand bei diesem Gedanken einen Augenblick Ruhe. Die Männer Roms wählten in kleinen, hölzernen Kabinen und gaben den Diribitores ihre Täfelchen mit der beschriebenen Seite nach unten, um ihre Wahl geheim zu halten. In dieser Phase konnte man keinen Einfluss mehr nehmen, Bestechungen und Ränke zählten nichts mehr, wenn die Bürger aufgerufen waren, neben dem Namen ihrer Favoriten im Wachs zwei Abdrücke zu hinterlassen. Trotzdem hörten die Wartenden jedes Ergebnis, und bald würden sie ebenso wählen wie die Männer vor ihnen. Julius hatte schon bei vielen Wahlen miterlebt, wie die ärmeren Klassen unverrichteter Dinge nach Rom zurückgeschickt wurden, sobald eine Mehrheit ausgerufen worden war. Er betete, dass dies heute nicht der Fall sein würde.

»... Cäsar«, rief der Magistrat, und Julius riss den Kopf hoch, als er das hörte. Es war die letzte Zenturie der Ersten Klasse. Endlich konnte er eine Stimme für sich verbuchen. Jetzt kamen die weniger Wohlhabenden an die Reihe. Er lächelte und versuchte, sich seine innere Unruhe nicht anmerken zu lassen. Die meiste Zustimmung fand er unter den Ärmsten, bei denen er als Mann galt, der sich seine Stellung selbst erarbeitet hatte, aber ohne weitere Stimmen von den Reichen würden seine Anhänger gar nicht erst die Möglichkeit bekommen, ihr Zeichen neben seinem Namen ins Wachs zu drücken.

Die Ergebnisse der Zweiten Klasse waren ausgeglichener, und Julius stand etwas aufrechter da, als sein Stimmenanteil gemeinsam mit dem der anderen wuchs. Prandus hatte 17 gegenüber 14 für Bibulus, und fünf weitere Zenturien hatten sich für Julius erklärt und ließen seine Hoffnungen wachsen. Wie er sah, war er nicht der Einzige, der litt. Suetonius’ Vater war unter der unglaublichen Spannung blass geworden, und Julius vermutete, dass er sich genauso gerne hingesetzt hätte wie er selbst. Auch Bibulus war nervös. Sein Blick glitt immer wieder zu Suetonius hinüber, und es schien fast so, als wolle er ihn anflehen.

Im Laufe der nächsten Stunde wechselte die Führung dreimal, und am Ende lag Suetonius’ Vater dem Ergebnis nach nur noch auf dem dritten Platz und fiel weiter zurück. Julius beobachtete, wie Suetonius an Bibulus’ Seite trat. Der dicke Römer wollte zurückweichen, aber Suetonius packte ihn am Arm und flüsterte ihm schroff etwas ins Ohr. Seine Wut machte das Gesagte für alle hörbar, und Bibulus wurde knallrot.

»Steig aus, Bibi. Du musst jetzt aussteigen!«, fauchte ihn Suetonius an, ohne auf Pompeius’ erstaunten Blick zu achten.

Bibulus nickte nervös, als hätte er einen Krampf, aber Pompeius legte ihm schwer eine Hand auf die Schulter, als wäre Suetonius gar nicht da, womit er den jungen Römer zwang, rasch einen Schritt zur Seite zu treten, wenn er den Konsul nicht berühren wollte.

»Ich hoffe, du denkst nicht daran, die Listen zu verlassen, Bibulus«, sagte Pompeius.

Bibulus gab einen Laut von sich, der eine Antwort hätte sein können, aber Pompeius redete einfach weiter.

»Du hast unter den Ersten Klassen gute Ergebnisse erzielt, vielleicht wird es ja am Ende sogar noch besser. Bleib dabei, denn wer weiß? Selbst wenn du nicht erfolgreich bist, für die alten Familien ist immer ein Platz im Senat frei.«

Bibulus lächelte gequält, und Pompeius tätschelte ihm den Arm. Dann ließ er ihn los. Suetonius wagte keinen weiteren Versuch, schlenderte davon und sah teilnahmslos zu, wie Bibulus drei weitere Stimmen einstrich.

Zur Mittagsstunde wurde jedes Ergebnis mit lautem Jubel begrüßt, denn die Weinhändler hatten hervorragenden Umsatz gemacht. Julius fühlte sich entspannt genug, um einen Becher zu trinken, aber er schmeckte nichts. Er tauschte ein paar Belanglosigkeiten mit Bibulus aus, aber Senator Prandus blieb reserviert und nickte lediglich steif, als Julius ihm zu seinem Ergebnis gratulierte. Suetonius dagegen mangelte es völlig an dem Talent seines Vaters, seine Gefühle zu verbergen, und Julius spürte ständig seinen Blick auf sich, was ihm auf die Nerven ging.

Als die Sonne ihren Höchststand erreichte, ließ Pompeius Baldachine aufstellen, um ihnen Schatten zu spenden. 100 Zenturien hatten abgestimmt, und Julius lag auf dem zweiten Platz, 17 Stimmen vor Prandus. Nach Lage der Dinge würden Bibulus und Julius die Posten erringen, und die Menge begann ihr Interesse jetzt offener zu zeigen. Sie jubelten und drängelten, um die Kandidaten sehen zu können. Julius sah, wie Suetonius ein großes rotes Tuch aus seiner Toga hervorzog und sich damit die Stirn abtupfte. Es war eine merkwürdig auffällige Geste, und Julius blickte grimmig lächelnd nach Westen, wo man die Fahne auf dem Janiculum sehen konnte.

Vom Janiculum aus hatte man einen ungehinderten Blick über die gesamte Stadt und das umliegende Land. An der höchsten Stelle erhob sich ein hoher Mast auf einem Fundament aus Steinen, und die Männer, die nach einer Invasion Ausschau hielten, blieben stets wachsam. Es war normalerweise ein leichter Dienst, der eher in eine frühere Zeit passte, als Rom noch mit der ständigen Bedrohung durch feindliche Stämme oder Armeen leben musste. In diesem Jahr hatte die Verschwörung des Catilina noch einmal gezeigt, wie wichtig die Aufgabe war, und die, denen sie durch Losentscheid zugefallen war, nahmen sie konzentriert und aufmerksam wahr. Insgesamt waren es sechs Mann, vier Jungen und zwei Veteranen aus der Legion des Pompeius. Sie unterhielten sich über die Kandidaten, während sie ein kaltes Mittagessen verspeisten, und genossen die Abwechslung von ihrem normalen Dienst in vollen Zügen. Bei Sonnenuntergang würden sie ihren Tag mit einem Signal aus einem langen Horn und dem feierlichen Einholen der Fahne beenden.

Die Männer, die hinter ihnen den Hügel heraufgekrochen kamen, sahen sie nicht kommen, ehe ein Kieselstein gegen einen Felsen klickte und den steilen Hang unterhalb des Gipfels hinunterkollerte. Die Jungen sahen sich an und überlegten, was für ein Tier sie wohl aufgescheucht haben könnten, und einer von ihnen stieß einen Warnruf aus, als er bewaffnete Männer auf sie zuklettern sah. Es waren sieben kräftige, narbenübersäte Raptores, die die Zähne bleckten, als sie sahen, mit wie wenig Verteidigern sie es zu tun hatten.

Pompeius’ Männer sprangen auf, das Essen flog in hohem Bogen durch die Luft, ein mit Wasser gefüllter Tonkrug stürzte um und hinterließ einen dunklen Fleck auf dem staubigen Boden. Bevor sie die Schwerter gezogen hatten, waren sie bereits umstellt, aber sie kannten ihre Pflicht: Der erste der Raptores wurde niedergeschlagen, als er sich zu nahe heranwagte. Die anderen griffen wütend an, doch dann zerschnitt eine Stimme die Luft.

»Halt! Wer sich bewegt, ist ein toter Mann!«, brüllte Brutus, der mit zwanzig Soldaten in seinem Gefolge auf sie zugerannt kam. Auch wenn er alleine gewesen wäre, hätte sein Auftauchen womöglich ausgereicht, denn es gab kaum jemanden in Rom, der seine silberne Rüstung nicht erkannt hätte, oder das Schwert mit dem goldenen Griff, das er beim Turnier gewonnen hatte.

Die Raptores erstarrten. Sie waren Diebe und Mörder und keineswegs darauf vorbereitet, in ihrer eigenen Stadt gut ausgebildeten Soldaten gegenübertreten zu müssen. Sofort gaben sie ihren Angriff auf die Fahne auf und flüchteten in alle Richtungen den steilen Hang hinunter. Einige von ihnen gerieten ins Straucheln und kugelten kopfüber hinab, wobei sie ihre Waffen panisch von sich warfen. Als Brutus am Fahnenmast ankam, war er ein wenig außer Atem. Pompeius’ Männer salutierten mit roten Köpfen vor ihm.

»Es wäre doch eine Schande, wenn ein paar Diebe die Wahl stören würden, oder?«, sagte Brutus und blickte den immer kleiner werdenden Gestalten nach.

»Ich glaube, Brinius und ich hätten sie aufhalten können, Herr«, antwortete einer von Pompeius’ Männern, »aber diese Jungen sind anständige Burschen, und wir hätten bestimmt den einen oder anderen von ihnen verloren.« Er hielt inne, als ihm klar wurde, dass er sich nicht besonders dankbar anhörte. »Natürlich waren wir froh, dich zu sehen, Herr. Willst du sie entkommen lassen?«

Der Legionär trat gemeinsam mit Brutus an den Rand und beobachtete die wilde Flucht der Raptores. Brutus schüttelte den Kopf.

»Ich habe unten ein paar Reiter postiert. Diese Schurken werden die Stadt nicht erreichen.«

»Danke, Herr«, erwiderte der Soldat grimmig lächelnd. »Das hätten sie auch nicht verdient.«

»Kannst du von hier aus erkennen, welcher der Kandidaten im Augenblick hinten liegt?«, fragte Brutus und spähte zu der dunklen Masse der Bürger in der Ferne hinaus. Er konnte erkennen, wo Julius stand, und sah bei einem der Männer in seiner Nähe wiederholt einen roten Fleck aufblitzen. Er nickte befriedigt. Julius’ Vermutung hatte sich als richtig erwiesen.

Der Soldat des Pompeius zuckte die Achseln. »Wir können von hier aus nicht viel sehen, Herr. Glaubst du, das rote Tuch war ihr Zeichen?«

Brutus lachte. »Tja, das werden wir wohl nie beweisen können. Natürlich ist es verlockend, diese Halunken mit ein paar Goldmünzen zu bestechen und sie auf ihren Auftraggeber zu hetzen. Besser, als lediglich ihre Leichen hier draußen liegen zu lassen, meinst du nicht?«

Der Soldat nickte verunsichert. Sein oberster Heerführer war kein Freund des Mannes, der neben ihm stand, aber die silberne Rüstung versetzte ihn in Ehrfurcht. Jetzt konnte er seinen Kindern erzählen, dass er mit dem größten Schwertkämpfer Roms gesprochen hatte.

»Das wäre viel besser, Herr«, sagte er. »Falls es ihnen gelingt.«

»Ach, daran zweifle ich nicht. Meine Reiter können sehr überzeugend sein«, antwortete Brutus und sah zu der Fahne hinauf, die hoch über ihm im Wind flatterte.

Suetonius ließ den Blick so unauffällig wie möglich zur Fahne auf dem Janiculum wandern. Sie wehte immer noch. Er biss sich wütend auf die Unterlippe und fragte sich, ob er das rote Tuch noch ein weiteres Mal aus seiner Toga hervorziehen sollte. Schliefen sie? Oder hatten sie etwa bloß sein Geld genommen und saßen jetzt irgendwo in einer Taverne und betranken sich? Er bildete sich ein, auf dem dunklen Hügelkamm Gestalten auszumachen, die sich bewegten, und fragte sich, ob die Männer, die er angeheuert hatte, sein Zeichen nicht sehen konnten. Schuldbewusst blickte er sich um und langte noch einmal in den weichen Stoff seines Gewandes. In diesem Augenblick sah er, dass Julius ihn anlächelte; sein belustigter Blick schien jeden Gedanken in seinem Kopf zu lesen. Suetonius erstarrte mitten in der Bewegung und spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg.

Octavian lag im hohen Gras, sein Pferd, dessen Brust sich in langen, langsamen Atemzügen hob und senkte, neben sich. Sie hatten ihre Tiere monatelang darauf trainiert, in dieser unnatürlichen Lage zu verharren, jetzt brauchten die Extraordinarii ihnen nur noch eine Hand auf das weiche Maul zu legen, damit sie still liegen blieben. Sie beobachteten, wie die Raptores den Janiculum hinuntergestolpert und -gesprungen kamen, und Octavian grinste. Julius hatte Recht damit gehabt, dass womöglich jemand versuchen würde, die Fahne einzuholen, falls die Wahl anders verlief als erwartet. Obwohl es ein einfacher Plan war, hätte er verheerende Auswirkungen gehabt. Die Bürger Roms wären in die Stadt zurückgeströmt, und das bisherige Wahlergebnis wäre für ungültig erklärt worden. Dann wäre bis zum nächsten Termin vielleicht ein weiterer Monat vergangen, eine lange Zeit, in der sich so manches ändern konnte.

Octavian wartete, bis die Flüchtenden ganz nahe heran waren. Dann stieß er einen leisen Pfiff aus und schwang sein Bein über den Sattel, als sein Pferd aufstand. Der Rest sprang mit ihm zusammen auf und saß im Sattel, ehe die Pferde ganz aufrecht standen.

Den fliehenden Dieben erschien es, als wüchse ein voll bewaffneter Trupp Kavallerie vor ihnen aus dem Boden. Die sieben Männer gerieten vollkommen in Panik und warfen sich entweder flach auf den Boden oder rissen die Hände in die Luft, um sich auf der Stelle zu ergeben. Octavian zog sein Schwert und blickte sie an. Ihr Anführer betrachtete ihn schicksalsergeben, drehte den Kopf zur Seite und spuckte ins tiefe Gras.

»Na kommt schon! Bringt es hinter euch«, sagte er.

Trotz seines augenscheinlichen Fatalismus beobachtete der Dieb die Positionen der Reiter ganz genau und entspannte sich erst, als ihm jeder Ausweg versperrt war. Er hatte gehört, dass ein Mensch über eine kurze Distanz schneller laufen konnte als ein Pferd, aber wenn er die glänzenden Rösser der Extraordinarii so betrachtete, erschien ihm das eher unwahrscheinlich.

Als sie den Männern die Schwerter abgenommen hatten, löste Octavian seinen Helm vom Sattel und setzte ihn auf. Der Federbusch wehte sanfte im Wind, machte den Reiter noch größer und verlieh ihm einen Furcht einflößenden Anblick. Der Teil seines Solds, den der Helm gekostet hatte, war eine gute Investition gewesen. Die Raptores blickten ihn jetzt alle an und warteten erbittert auf den Befehl, auf den hin die Reiter kurzen Prozess mit ihnen machen würden.

»Ich schätze, euren Herrn kann man wohl kaum vor Gericht stellen«, sagte Octavian.

Der Anführer spuckte wieder aus. »Wir kennen keinen Herrn, Soldat, außer vielleicht das Silber«, sagte er, und als er spürte, dass etwas in der Luft lag, nahm sein Gesicht blitzschnell einen gerissenen Ausdruck an.

»Es wäre doch schade, wenn er ohne eine ordentliche Tracht Prügel davonkommen würde, oder?«, fragte Octavian naiv.

Die Raptores nickten. Selbst der Langsamste unter ihnen hatte inzwischen verstanden, dass der Befehl, sie zu töten, nicht erfolgen würde.

»Ich kann ihn wiederfinden, wenn du uns laufen lässt«, sagte der Anführer, wagte aber noch nicht vollends zu hoffen. Für einen Mann, der in der Stadt aufgewachsen war, hatten die Pferde etwas Beängstigendes. Er hatte eigentlich nie gewusst, wie groß diese Tiere waren, und zuckte zusammen, als eines hinter ihm schnaubte.

Octavian warf einen kleinen Beutel in die Luft, den der Anführer auffing und sofort in der Hand wog. Dann ließ er ihn in seiner Tunika verschwinden.

»Ich erwarte gründliche Arbeit«, sagte Octavian und ließ sein Pferd ein paar Schritte zurücktreten, damit die Männer passieren konnten. Einige von ihnen machten Anstalten, vor den Reitern zu salutieren, als sie sich ihren Weg zwischen ihnen hindurchbahnten und den Rückweg in die Stadt antraten. Keiner von ihnen wagte es, sich umzublicken.

Noch bevor die letzten Zenturien gewählt hatten, wusste Julius, dass er und Bibulus die Sitze als Konsuln für das nächste Jahr gewonnen hatten. Die Senatoren, die sie beide umschwärmten, erinnerten ihn an Bienen, und er musste grinsen, als er Bibulus’ verwirrten Gesichtsausdruck sah.

Viele Männer, die Julius kaum kannte, klopften ihm auf die Schulter und drückten ihm die Hand, und noch ehe ihm sein veränderter Status richtig klar geworden war, war er schon dabei, Fragen und Bitten um Unterredungen zu beantworten und sich von überaus lohnenden Investitionen erzählen zu lassen. In ihrer Rolle als offizielle » Comitia Centuriata« hatten die Bürger Roms zwei neue Würdenträger geschaffen, die von der Stadt ausgesaugt werden konnten, und Julius fühlte sich von der vielen Aufmerksamkeit überwältigt und irritiert. Wo hatten all diese lächelnden Anhänger während des Wahlkampfs gesteckt?

Im Vergleich zu der oberflächlichen Herzlichkeit des Senats waren die Glückwünsche von Pompeius und Crassus ein wirkliches Vergnügen, vor allem weil Julius wusste, dass Pompeius lieber Glasscherben gefressen hätte, als diese Worte auszusprechen. Julius schüttelte die dargebotene Hand ohne jedes Anzeichen von Schadenfreude, die Gedanken bereits auf die Zukunft gerichtet. Ganz egal, wen das Volk als neue Senatsführer gewählt hatte, die scheidenden Konsuln waren immer noch ein Machtfaktor in der Stadt. Nur ein Narr würde sie im Augenblick des Triumphs verärgern.

Der Magistrat kletterte auf ein kleines Podest, um die letzten Zenturien nach Hause zu schicken. Sie senkten die Köpfe, als er lauthals ein Dankgebet zu ihnen sprach, das mit dem traditionellen Befehl »Discedite! « endete.

Die Bürger taten wie befohlen und zerstreuten sich lachend und scherzend, während sie sich auf den Rückweg in die versiegelte Stadt machten.

Suetonius und sein Vater hatten Julius ihre Aufwartung gemacht, und Julius hatte sich freundlich mit ihnen unterhalten, weil er wusste, dass es eine Gelegenheit war, die Beziehungen, die in der Vergangenheit und während des Wahlkampfs gelitten hatten, etwas zu kitten. Er konnte sich die Geste leisten, und auch Prandus schien seine Freundlichkeit anzunehmen, als er sich vor dem designierten Konsul Roms verbeugte. Sein Sohn Suetonius hingegen hatte Julius nicht angesehen, und seinem Gesicht war die Enttäuschung anzusehen.

Pompeius’ Männer hatten Pferde gebracht, und Julius hob den Blick, als man ihm Zügel in die Hand drückte. Vom Rücken eines grauen Wallachs aus sah Pompeius mit unergründlicher Miene zu ihm herab.

»Es wird noch Stunden dauern, bis der Senat wieder zusammentritt, um die Posten zu bestätigen, Julius. Wenn du gleich mit uns reitest, haben wir die Curia für uns allein.«

Crassus beugte sich über den Hals seines Pferdes, um vertraulicher mit ihm zu sprechen: »Vertraust du mir – dieses eine Mal noch?«

Julius sah zu den beiden Männern auf und spürte die Anspannung, mit der beide seine Antwort erwarteten. Er zögerte nicht, schwang sich in den Sattel und hob den Arm für diejenigen in der Menge, die ihre Unterhaltung beobachteten. Sie jubelten ihm zu, als er sein Pferd herumwarf und mit den beiden Konsuln über das weite Feld ritt, gefolgt von einer Zenturie aus Pompeius’ Kavallerie als Eskorte. Die Menge machte ihnen bereitwillig Platz, und ihre langen Schatten folgten ihnen.

20

Ohne die wählenden Hundertschaften wirkte die Stadt merkwürdig leer, als die drei Männer durch die Straßen ritten. Julius fühlte sich an die stürmische Nacht erinnert, in der er zu den Gefängniszellen hinuntergestiegen war und Catilinas gefolterte Männer vorgefunden hatte. Als sie vor dem Senatsgebäude von den Pferden stiegen, sah er zu Crassus hinüber. Der alte Mann hob die Augenbrauen und ahnte, was der Grund für diesen Blick war.

Julius hatte die Hallen des Senatsgebäudes noch nie zuvor betreten, ohne dass die Bänke darin voll besetzt gewesen wären. Die ungewohnte Leere ließ jeden ihrer Schritte widerhallen. Schließlich setzten sie sich in der Nähe des Rednerpults zusammen. Die Tür war offen geblieben; ein goldener Sonnenstrahl fiel schräg herein und ließ die Marmorwände leicht und luftig wirken. Die normalen Prozeduren waren durch die Besonderheit der Lage außer Kraft gesetzt worden, und Julius lehnte sich mit einem ungekannten Gefühl der Zufriedenheit auf der harten Holzbank zurück. Seine Wahl wurde ihm erst jetzt richtig bewusst, und er konnte sich bei dem Gedanken daran kaum ein Grinsen verkneifen.

Pompeius ergriff das Wort: » Crassus und ich dachten uns, wir alle könnten von einem privaten Gespräch vor der Senatssitzung profitieren.« Er stand wieder auf und fing an, beim Reden auf und ab zu gehen. »Wenn wir die blumigen Worte für die Öffentlichkeit beiseite lassen, besteht zwischen uns dreien keine große Freundschaft. Wir respektieren einander, wie ich hoffe, aber wir mögen uns nicht besonders.« Er machte eine Pause, und Crassus zuckte die Achseln. Julius sagte nichts.

»Wenn es uns nicht gelingt, für das nächste Jahr eine Vereinbarung zu erreichen«, fuhr Pompeius fort, »rechne ich für die Stadt mit einem sinnlos vergeudeten Jahr. Ihr habt gesehen, welchen Einfluss Suetonius auf Bibulus hat. Bereits in den letzten Jahren musste sich der ganze Senat seine weinerlichen Beschwerden über dich anhören. Gemeinsam werden sie jeden deiner Vorschläge zunichte machen, verzögern oder verhindern, bis gar nichts mehr getan wird. Das wäre nicht gut für Rom.«

Julius sah ihn an und erinnerte sich an ihre erste Begegnung, hier in diesem Saal. Pompeius war ein ausgezeichneter Taktiker, sowohl im Feld als auch im Senat, aber ihm und Crassus stand der Verlust der Macht und des Respekts bevor, den sie beide so sehr genossen. Das war der wahre Grund für dieses Privattreffen, nicht die Sorge darum, wie Julius sein Jahr als Konsul am besten nutzen konnte. Ein Abkommen zwischen ihnen dreien war möglich – falls sich Bedingungen fanden, die sie alle zufrieden stellten.

»Ich habe bereits darüber nachgedacht«, sagte Julius.

Suetonius ritt zum Stall des Gasthauses zurück, in dem er sich für den Wahltag ein Zimmer genommen hatte. Sein Vater hatte kaum mit ihm geredet und nur genickt, als der Sohn ihm sein Beileid für die Niederlage ausgesprochen hatte. Senator Prandus hatte schnell und ohne ein Wort gegessen, war dann nach oben auf sein Zimmer gegangen und hatte seinen Sohn alleine gelassen, der seine Enttäuschung in billigem Wein zu ertränken versuchte.

Die Tür zur Taverne ging auf, und Suetonius hob den Blick in der Hoffnung, es könnte Bibulus sein, der ihm Gesellschaft leisten wollte. Zweifellos war sein Freund inzwischen längst wieder in seinem palastartigen Haus und ließ sich völlig unbeschwert von hübschen Sklaven massieren. Suetonius hatte noch nicht darüber nachgedacht, was es bedeutete, dass Bibulus Konsul war. Sein erster, panischer Gedanken war gewesen, dass die Immunität als Konsul ihn seiner Macht über ihn berauben könnte, doch dies hatte er gleich wieder verworfen. Immunität hin oder her, Bibulus würde nicht wollen, dass seine Gewohnheiten in der Stadt bekannt wurden. Vielleicht konnte er sogar davon profitieren, dass sein fetter Freund den Senat anführte. Er hatte es nicht so geplant, aber einen Konsul zu haben, der alles tat, was er wollte, konnte durchaus interessant werden. Suetonius beschloss, Bibulus in seinem Haus aufzusuchen und ihn an ihre Beziehung zu erinnern.

Der Mann, der eingetreten war, war ein Fremder, und Suetonius ignorierte ihn nach kurzem Blickkontakt. Er war zu betrunken, um zu erschrecken, als sich der Mann räusperte und ihn ansprach.

»Herr, der Stallbursche sagt, es gäbe da ein Problem mit deinem Pferd. Er glaubt, es hat einen Dorn im Huf.«

»Wenn dem so ist, lasse ich ihn auspeitschen«, stieß Suetonius hervor und stand zu schnell auf. Er bemerkte die stützende Hand auf seiner Schulter nicht, die ihn aus dem Gasthaus in die Dunkelheit hinausführte.

Die Nachtluft lichtete den Nebel etwas, den der Wein über seine Gedanken gelegt hatte. Er machte sich von dem Arm los, der ihn festhielt, als sie den niedrigen Stall betraten. Im Stall hielten sich zu viele Männer auf, um sich nur um die Pferde zu kümmern. Sie grinsten ihn an, und kalte Angst machte sich in seinem heftig strömenden Blut breit.

»Was wollt ihr? Wer seid ihr?«, tobte Suetonius.

Der Anführer der Raptores trat aus dem Schatten, und Suetonius wich zurück, als er seinen Gesichtsausdruck sah.

»Für mich ist das nur ein Auftrag, aber ich versuche, meine Aufträge immer so gut wie möglich auszuführen«, sagte er und ging langsam auf den jungen Römer zu.

Suetonius wollte sich wehren, wurde aber sofort an beiden Armen festgehalten, und eine Hand hielt ihm den Mund zu.

Der Anführer krümmte und streckte bedrohlich die Finger.

»Macht die Lampen aus, Jungs. Dafür brauche ich kein Licht«, sagte er, und in der plötzlichen Dunkelheit hörte man nur noch das Geräusch schwerer Schläge.

Julius wünschte, er hätte die Nacht zuvor geschlafen. Die Müdigkeit lastete schwer auf ihm, aber ausgerechnet jetzt musste er hellwach sein, um mit den beiden Männern zu verhandeln.

»Gemeinsam habt ihr doch immer noch genug Unterstützung im Senat, um alles durchzubringen.«

»Aber nicht gegen das Veto eines Konsuls«, erwiderte Pompeius sofort.

Julius zuckte die Achseln. »Mach dir deswegen keine Gedanken. Um Bibulus kümmere ich mich, wenn es so weit ist.«

Pompeius blinzelte ihn an, während Julius weitersprach.

»Ohne dieses Hindernis habt ihr mehr als genug Anhänger im Senat. Die Frage ist nur, was ich euch bieten muss, um mich eurer Unterstützung zu versichern.«

»Ich glaube nicht ... «, setzte Crassus an, aber Pompeius hob die Hand.

»Lass ihn ausreden, Crassus. Du und ich, wir haben schon oft genug darüber geredet, ohne zu einer Lösung zu kommen. Ich möchte hören, was er für Vorstellungen hat.«

Julius lachte über ihre Ungeduld. »Crassus will den Handel. Zusammen, Pompeius, könnten wir ihm ein absolutes Monopol innerhalb der römischen Gebiete gewähren. Sagen wir ... eine Lizenz für zwei Jahre. Damit hätte er jede Münze in unserem Herrschaftsgebiet in seiner Gewalt, trotzdem würde ich nicht daran zweifeln, dass der allgemeine Wohlstand in seinen Händen noch zunimmt. Wie ich Crassus kenne, ist die Schatzkammer Roms in weniger als einem Jahr zum Bersten gefüllt.«

Crassus quittierte das Kompliment mit einem Lächeln, aber er schien nicht sonderlich gerührt zu sein. Julius hatte gehofft, den alten Mann alleine mit der Lizenz ködern zu können, aber das Abkommen musste sie alle zufrieden stellen, sonst würde es bei der ersten Prüfung zerbrechen.

»Vielleicht ist das nicht genug?«, sagte Julius und beobachtete die beiden genau.

Pompeius’ Augen funkelten vor Interesse, und Crassus war tief in Gedanken versunken. Der Gedanke an eine totale Kontrolle über den Handel berauschte ihn, und er wusste besser als Julius, was er mit einer solchen Macht erreichen konnte. Seine Konkurrenten würden auf einen Streich zu Bettlern werden, ihre Häuser und Sklaven unter den Hammer kommen. Innerhalb kürzester Zeit würde er seinen Landbesitz verdreifachen können und eine Handelsflotte besitzen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Er würde die Verluste durch Stürme in weit entfernten Regionen ignorieren können und seine Schiffe in exotische Länder schicken, nach Ägypten, nach Indien, sogar in Länder, die nicht einmal einen Namen hatten. Aber nichts davon war ihm anzusehen. Er zog die Stirn in Falten, damit der junge Mann dachte, er müsste noch überzeugt werden, während er in Gedanken ganz benommen war von dem Gedanken an die Flotte, die er zusammenkaufen würde.

»Und was verlangst du für dich selbst, Julius?«, fragte Pompeius ungeduldig.

»Ich möchte sechs Monate lang im Senat mit eurer Unterstützung arbeiten. Die Versprechen, die ich dem Volk von Rom gegeben habe, will ich erfüllen. Ich will neue Gesetze und Bestimmungen verabschieden. Einige werden die etwas altmodischeren Mitglieder des Senats verärgern, deshalb brauche ich eure Stimmen, um mich über ihre Einwände hinwegzusetzen. Das Volk hat mich gewählt, da werden wir uns nicht von Bibulus oder einem Haufen zahnloser alter Männer aufhalten lassen.«

»Ich sehe nicht, welchen Vorteil eine solche Vereinbarung für mich haben sollte«, warf Pompeius ein.

Julius hob die Augenbrauen. »Außer dem Wohle Roms, natürlich.« Er lächelte, um seiner Spitze ein wenig die Schärfe zu nehmen, als Pompeius rot anlief. Er wusste, dass er mit einem falschen Schritt immer noch alles verlieren konnte.

»Deine eigenen Wünsche sind doch ganz einfach, mein Freund«, sagte Julius. »Du willst die Diktatur, auch wenn du dich vielleicht gegen den Namen wehrst. Crassus und ich werden jeden Antrag und jede Abstimmung unterstützen, die du vor dem Senat vorschlägst. Gemeinsam haben wir den Senat völlig in der Hand.«

»Das ist keine Kleinigkeit«, sagte Pompeius leise. Julius’ Vorschläge widersprachen vollkommen dem ursprünglichen Konzept von zwei Konsuln, nämlich dem, dass sie sich gegenseitig kontrollierten, aber Pompeius hielt es nicht für nötig, das zu erwähnen.

Julius nickte. »Ich würde das nicht vorschlagen, wenn ich nicht solche Achtung vor dir hätte, Pompeius. Wir waren in der Vergangenheit oft unterschiedlicher Meinung, aber deine Liebe für die Stadt habe ich niemals in Frage gestellt, und wer kennt dich besser als ich? Wir haben Cato zusammen besiegt, weißt du noch? Rom wird unter dir nicht leiden.«

Die Schmeichelei war vielleicht etwas offensichtlich, obwohl Julius zu seiner eigenen Überraschung merkte, dass er wenigstens zum Teil selbst daran glaubte. Pompeius war ein guter Führer und würde die römischen Interessen, auch wenn er sie nicht ausweitete, mit Überzeugung und Stärke vertreten.

»Ich traue dir nicht, Cäsar«, sagte Pompeius offen. »Diese ganzen Versprechungen sind nichts wert, wenn wir nicht fester gebunden sind.« Er räusperte sich. »Ich brauche ein Zeichen des guten Willens von dir, einen Beweis, dass deine Unterstützung mehr wert ist als nur schöne Worte.«

»Sag mir, was du willst«, sagte Julius achselzuckend.

»Wie alt ist deine Tochter?«, fragte Pompeius. Sein Gesicht war todernst, aber Julius verstand sofort, worauf er hinauswollte.

»Sie wird dieses Jahr zehn«, erwiderte er. »Zu jung für dich, Pompeius.«

»Aber das wird nicht immer so bleiben. Verbinde dein Blut mit mir, und ich nehme deine Versprechen an. Meine Frau liegt jetzt schon mehr als drei Jahre im Grab. Ein Mann sollte nicht alleine sein. Schick sie zu mir, wenn sie vierzehn ist, dann werde ich sie heiraten.«

Julius rieb sich die Augen. Es hing so viel davon ab, dass er sich mit diesen beiden alten Wölfen einigte. Wenn seine Tochter eine von seinen Soldaten gewesen wäre, hätte er sie bei diesem Einsatz geopfert, ohne einen Augenblick nachzudenken, das wusste er.

»Sechzehn. Sie soll deine Braut werden, wenn sie sechzehn ist«, sagte er schließlich.

Pompeius strahlte ihn an, nickte und streckte ihm die Hand hin. Julius wurde kalt, als er sie ergriff. Jetzt hatte er sie beide, wenn er die letzten Mosaiksteinchen liefern konnte, aber das Problem Crassus lastete immer noch auf seinem Gemüt. In der stillen Curia konnte er die Schritte von Pompeius’ Soldaten hören, die über das Forum marschierten. Sie lieferten ihm die Lösung.

»Außerdem noch eine Legion, Crassus«, sagte Julius und dachte schnell nach. »Ein neuer Adler, der auf dem Campus Martius in deinem Namen aufgestellt wird. Männer, die ich ausbilden und deren Reihen ich ein halbes Jahr lang mit meinen besten Offizieren auffüllen werde. Wir heben sie auf dem Land aus, unter den Zehntausenden von Männern, die noch nie die Gelegenheit hatten, für Rom zu kämpfen. Sie sollen dir gehören, Crassus, und ich kann dir sagen, es gibt keine größere Aufgabe oder Freude, als sie zu einer Legion zu formen. Ich werde sie für dich zu Legionären machen, aber du wirst den Federbusch ihres Heerführers tragen.«

Crassus blickte die beiden Männer scharf an und dachte über das Angebot nach. Seit der Katastrophe gegen Spartakus hatte er sich ein Kommando gewünscht und sich nur von dem nagenden Zweifel abhalten lassen, kein so guter militärischer Führer zu sein wie Pompeius oder Cäsar. Wenn er Julius so zuhörte, schien es möglich zu sein, aber er versuchte zu sprechen, seine Zweifel zu erläutern.

Julius legte ihm eine Hand auf den Arm.

»Ich habe Männer aus Afrika und Griechenland geholt und Soldaten aus ihnen gemacht, Crassus. Mit Männern, die römisches Blut in sich haben, erreiche ich noch viel mehr. Catilina hat eine Schwäche erkannt, die wir beseitigen müssen, wenn Rom durch deinen Handel erblühen soll, meinst du nicht? Die Stadt braucht vor allem gute Männer auf den Mauern.«

Crassus wurde rot. »Ich bin ... vielleicht nicht der Richtige, um sie anzuführen, Cäsar«, sagte er zähneknirschend.

Julius konnte sich vorstellen, was ihn dieses Eingeständnis vor Pompeius gekostet hatte, aber er schnaubte nur verächtlich. »Das war ich auch nicht, ehe es mir Marius und Renius und, ja, auch Pompeius gezeigt haben. Durch ihre Ausbildung und ihr Beispiel. Niemand wird in diese Rolle hineingeboren, Crassus. Ich begleite dich auf den ersten Schritten, und Pompeius ist immer hier, an deiner Seite. Er weiß, wie sehr Rom eine zweite Legion zu seinem Schutz braucht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich in einer Stadt, die auf sein Wort hört, mit weniger zufrieden geben würde.«

Beide blickten Pompeius an, der ohne zu zögern antwortete.

»Was immer du willst, Crassus. An dem, was er sagt, ist etwas Wahres.« Ehe die beiden mehr als lächeln konnten, fuhr Pompeius fort. »Du malst uns da ein schönes Bild, Julius. Crassus bekommt seinen Handel, ich eine Braut und die Stadt, die ich liebe. Aber du hast uns den Preis für deine Großzügigkeit noch nicht genannt. Verrate ihn uns. Jetzt.«

Crassus unterbrach ihn. »Ich werde die Bedingungen annehmen, mit zwei Zusätzen. Eine Lizenz für fünf Jahre, nicht für zwei, und mein ältester Sohn Publius soll in der Zehnten als Offizier dienen, als Zenturio. Ich bin ein alter Mann, Julius. Mein Sohn wird diese neue Legion nach mir führen.«

»Dem kann ich zustimmen«, sagte Julius.

Pompeius räusperte sich ungeduldig. »Aber was willst du, Cäsar?«

Julius rieb sich wieder die Augen. Er hatte nicht daran gedacht, seine Familie mit der Linie des Pompeius zu verbinden, aber seine Tochter würde dadurch auf einen Schlag in die höchsten Gesellschaftskreise Roms aufsteigen. Es war ein durchaus faires Geschäft. Sie waren beide schon viel zu lange in der Politik, um eine solche Vereinbarung auszuschlagen, und er bot ihnen etwas, das besser war als der jämmerliche Verlust ihrer Macht und ihres Einflusses, auch wenn er nur teilweise erfolgen sollte. Julius wusste, wie süchtig Befehlsgewalt machte. Es gab keine größere Befriedigung, als andere anzuführen. Als er zu ihnen aufblickte, leuchteten seine Augen klar und hell.

»Wenn meine sechs Monate in der Stadt um sind und die Gesetze, die ich durchsetzen will, in den Rollen stehen, ist es ganz einfach. Ich möchte meine beiden Legionen in neue Länder führen. Ich werde meine Vollmacht an Pompeius abgeben, und ich will, dass ihr beide Befehle unterschreibt, die mir die vollkommene Freiheit geben, im Namen Roms Soldaten auszuheben, Verhandlungen zu führen und Gesetze zu erlassen. Ich werde nur dann Bericht erstatten, wenn ich es für richtig erachte. Ich werde niemandem Rechenschaft schuldig sein außer mir selbst.«

»Ist das denn legal?«, fragte Crassus.

Pompeius nickte. »Wenn ich die Vollmacht des Konsuls habe, dann ja. Es gibt Präzedenzfälle.« Pompeius machte ein nachdenkliches Gesicht. »Und wo willst du mit deinen Legionen hinziehen? «, fragte er.

Julius grinste, von seiner eigenen Begeisterung übermannt. Wie lange hatte er schon mit seinen Freunden darüber diskutiert, welche Richtung sie einschlagen würden. Und doch hatte es am Ende nur eine vernünftige Möglichkeit gegeben. Alexander war nach Osten gezogen; dieser Weg war ausgetreten. Er wollte sich nach Westen wenden.

»Ich will die wilden Länder, meine Herren«, sagte er. »Ich will Gallien.«

In voller Rüstung ging Julius durch die Nacht auf Bibulus’ Haus zu. Pompeius und Crassus glaubten, er wüsste eine Möglichkeit, seinem Mitkonsul einen Maulkorb zu verpassen, aber in Wahrheit hatte er keine Ahnung, wie er verhindern sollte, dass Bibulus und Suetonius ihre Pläne durchkreuzten.

Julius ballte beim Gehen die Fäuste. Er hatte seine Tochter hergegeben, hatte Zeit, Geld und Macht an Pompeius und Crassus verpfändet. Im Gegenzug würde er mehr Freiheiten erhalten, als sie je ein Heerführer in der Geschichte der Stadt gehabt hatte. Sogar Scipio Africanus hatte nicht die Machtbefugnisse gehabt, über die Julius in Gallien verfügen würde. Selbst Marius war dem Senat Rechenschaft schuldig gewesen. Julius wusste, dass er sich so etwas nicht von einem einzigen Mann aus der Hand nehmen lassen würde, ganz egal, was er dafür tun musste.

Die Menge machte dem entschlossen ausschreitenden Mann Platz. Diejenigen, die ihn erkannten, schwiegen. Der Gesichtsausdruck des neuen Konsuls verbat sich jeden Versuch, ihn zu grüßen oder ihm zu gratulieren. Viele Leute fragten sich, was für Nachrichten einen Mann am Tag seiner Wahl so erzürnt haben konnten.

Julius ließ sie murmelnd hinter sich zurück und näherte sich allmählich den hohen Säulen und Toren von Bibulus’ Haus. Entschlossen hämmerte er mit der Faust gegen die Eichentür. Diesen letzten Schritt würde er durch nichts vereiteln lassen.

Der Sklave, der ihm die Tür öffnete, war ein Knabe mit stark geschminktem Gesicht, das ihm einen lasziven Ausdruck verlieh, selbst dann noch, als er den Besucher erkannte und die Augen weit aufriss.

»Ich bin ein Konsul Roms. Kennst du das Gesetz?«

Der Sklave nickte voller Angst.

»Dann verwehre mir nicht den Zutritt. Wenn du nur meinen Ärmel berührst, stirbst du. Ich bin hier, um deinen Herrn zu sprechen. Führ mich hinein.«

»K-Konsul ...«

Der junge Mann wollte vor ihm niederknien, doch Julius fuhr ihn unwirsch an.

»Sofort!«

Der bemalte Knabe brauchte keine weitere Aufforderung. Er drehte sich um, rannte fast vor Julius davon und ließ die Tür zur Straße hinter sich sperrangelweit offen stehen.

Julius marschierte hinterher, durch Räume, in denen ihn ein Dutzend weiterer geschminkter Kinder wie versteinert anstarrten, als er zwischen ihnen hindurchging. Ein oder zwei schrien überrascht auf, und Julius funkelte sie wütend an. Gab es denn in diesem Haus keine Erwachsenen? So wie sie angezogen waren, erinnerten sie ihn mehr an Servilias Huren als an ...

Er hätte den Jungen, der um eine Ecke bog, beinahe aus den Augen verloren, als ihm der Gedanke kam. Dann eilte er hinter dem Sklaven her, der jetzt noch schneller durch Vorräume und Flure lief, bis sie zusammen in einen hell erleuchteten Raum platzten.

»Herr!«, rief der junge Mann. »Konsul Cäsar ist hier!«

Julius blieb stehen und keuchte ein wenig; Zorn rauschte durch seine Adern. Bibulus war im Zimmer, und Suetonius stand über ihn gebeugt und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Am gegenüberliegenden Ende des Zimmers standen noch mehr hübsche Sklaven, und zwei nackte Knaben rekelten sich zu den Füßen der beiden Männer. Julius sah, dass ihre Gesichter vom Wein gerötet waren, und ihre Augen waren älter als ihre Haut. Er schauderte, als er sich Suetonius zuwandte.

»Verschwinde!«, sagte er.

Suetonius hatte sich langsam, wie in Trance, aufgerichtet, als Julius das Zimmer betrat. Seine Züge waren von Bosheit entstellt, während er mit den widersprüchlichen Gefühlen kämpfte, die auf ihn einstürzten. Ein Konsul durfte nicht berührt, nicht angefasst werden. Selbst Suetonius’ Position im Senat hätte ihn nach einer solchen Beleidigung nicht retten können.

Langsam legte Julius die Hand auf sein Schwert. Er wusste, dass Bibulus ohne seinen Freund schwächer sein würde. Das hatte er schon gewusst, als er noch keinen Hebel in der Hand gehabt hatte, den er dem fetten Mann in die Eingeweide rammen konnte. Jetzt hatte er einen gefunden.

Als Suetonius Bibulus Hilfe suchend anblickte, sah er nichts als blanke Angst im fleischigen Gesicht des Konsuls. Suetonius hörte, wie Julius quer über den Marmorboden auf sie zukam, trotzdem zögerte er und wartete auf ein einziges Wort, das ihm gestatten würde, zu bleiben.

Bibulus sah wie versteinert zu, als Julius sich Suetonius näherte und sich zu ihm vorbeugte. Suetonius wich zurück.

»Verschwinde!«, wiederholte Julius leise, und Suetonius floh.

Als sich Julius zu Bibulus umdrehte, begann der Konsul zu stammeln.

»Das ist mein H-Haus ... «, setzte er an.

Julius brüllte ihn mit einer Lautstärke an, die Bibulus auf seiner Liege hastig rückwärts kriechen ließ.

»Du Stück Dreck! Du wagst es, mit mir zu reden, während diese Kinder zu deinen Füßen sitzen! Wenn ich dich auf der Stelle umbringen würde, wäre das ein Gewinn für Rom! Nein, noch besser, ich sollte dir das Letzte abschneiden, das dich noch zum Mann macht. Genau das werde ich jetzt tun.«

Julius zog das Schwert und näherte sich der Liege. Bibulus schrie auf, krallte sich in den Stoff und versuchte verzweifelt zu fliehen. Dicke Tränen rollten ihm über das Gesicht, als ihm Julius die glänzende Klinge über den Schritt hielt.

Bibulus erstarrte. »Bitte!«, wimmerte er.

Julius drehte die Klinge und schob sie tiefer in die Falten des Gewands. Bibulus drückte sich gegen die Lehne der Liege, konnte jedoch nicht weiter zurückweichen.

»Bitte, was immer du willst ... « Er fing an, würgend zu schluchzen, wodurch sich glänzender Schleim zu den Tränen gesellte, bis sein Gesicht kaum noch als menschlich zu erkennen war.

Julius wusste, dass ihm das Schicksal alles in die Hände gespielt hatte. Der kälteste Teil seines Wesens freute sich über die Schwäche, die Bibulus zeigte. Ein paar ausgesuchte Drohungen, und er würde es nie wieder wagen, sich im Senat blicken zu lassen. Doch als er zu sprechen begann, regte sich einer der Knaben, und Julius sah zu ihm hinab. Der Junge sah nicht ihn an, sondern seinen Herrn, reckte den Hals, um besser sehen zu können. Hass spiegelte sich in dem jungen Gesicht, ein schrecklicher Anblick. Seine Rippen waren deutlich zu sehen, an seinem Hals prangte ein dunkler Bluterguss. Der Junge mochte etwa so alt sein wie seine Tochter, dachte Julius. Er richtete seine Wut wieder auf Bibulus.

»Verkaufe deine Sklaven. Verkaufe sie dahin, wo man ihnen nichts zu Leide tut, und schick mir die Adressen, damit ich mich nach jedem Einzelnen von ihnen erkundigen kann. Du wirst alleine leben, falls ich dich überhaupt am Leben lasse.«

Bibulus nickte mit zitternden Hängebacken.

»Ja, ja, das werde ich tun ... nur tu mir nichts.« Er brach wieder zusammen und schluchzte jämmerlich. Julius schlug ihm zweimal ins Gesicht, so dass sein Kopf nach hinten flog. Ein dünner Blutfaden rann über seine Lippen, und er zitterte deutlich sichtbar.

»Wenn ich dich noch einmal im Senat sehe, wird dich auch deine Immunität nicht mehr schützen, das schwöre ich bei allen Göttern. Ich werde dich an einen abgeschiedenen Ort bringen und tagelang foltern lassen. Du wirst um dein Ende betteln.«

»Aber ich bin ein Konsul!«, begehrte Bibulus auf.

Julius schob die Schwertspitze vor, und Bibulus schnappte nach Luft.

»Nur noch dem Namen nach. Ich will einen Mann wie dich nicht in meinem Senat haben. Nicht solange ich lebe. Deine Zeit dort ist um.«

»Kann er mir jetzt noch wehtun?«, fragte der Sklavenjunge plötzlich.

Julius drehte den Kopf und sah, dass der Knabe aufgestanden war. Er schüttelte den Kopf.

»Dann gib mir ein Messer. Ich werde ihm wehtun«, sagte der Junge.

Julius blickte ihm in die Augen und sah nur wilde Entschlossenheit.

»Wenn du das tust, wird man dich töten«, sagte er leise.

Der Junge zuckte die Achseln. »Das ist es wert«, sagte er. »Gib mir ein Messer, dann mache ich es.«

Bibulus öffnete den Mund, und Julius drehte grob die Klinge.

»Du sei still. Hier reden Männer. Da hast du nichts zu sagen.« Er wandte sich wieder dem Sklaven zu und sah, dass dieser sich bei seinen Worten höher aufrichtete.

»Ich werde dich nicht aufhalten, Junge, wenn du das willst, aber lebendig ist er für mich nützlicher als tot. Wenigstens im Augenblick.« Eine Leiche würde eine weitere Wahl nach sich ziehen, und einen neuen Gegenspieler, der vielleicht nicht Bibulus’ Schwächen besaß. Trotzdem schickte Julius den Jungen nicht weg.

»Du willst ihn lebend?«, fragte das Kind.

Julius sah ihm lange in die Augen, ehe er nickte.

»In Ordnung, aber ich will noch heute Nacht hier weg.«

»Ich werde einen Platz für dich finden, Junge. Du hast meine Dankbarkeit.«

»Nicht nur ich. Wir alle. Wir wollen hier keine einzige Nacht mehr verbringen.«

Julius sah ihn überrascht an. »Ihr alle?«

»Wir alle«, sagte der Sklave und hielt seinem Blick ohne das geringste Zittern stand. Julius schaute als Erster weg.

»Nun gut, Junge. Bringe sie alle zum Eingang. Lasst mich noch eine Weile mit Bibulus allein, dann komme ich zu euch.«

»Vielen Dank, Herr«, sagte der Junge. In wenigen Augenblicken waren alle Kinder mit ihm zusammen aus dem Raum verschwunden. Jetzt war nur noch Bibulus’ keuchender Atem zu vernehmen.

»Wie h-hast du davon erfahren?«, flüsterte Bibulus.

»Ehe ich hier hereinkam, hatte ich keine Ahnung, was du bist. Aber selbst wenn ich es nicht gesehen hätte – du triefst vor Schuld«, knurrte Julius. »Denk daran, ich werde es erfahren, wenn du dir wieder Kinder ins Haus holst. Wenn ich höre, dass auch nur ein einziger Knabe oder ein einziges Mädchen über deine Schwelle tritt, kenne ich keine Gnade mehr. Hast du mich verstanden? Der Senat gehört jetzt mir. Vollkommen.«

Bei dem letzten Wort zuckte Julius mit dem Schwert. Bibulus schrie auf und verlor vor Angst die Kontrolle über seine Blase. Stöhnend fasste er nach dem sich rasch ausbreitenden Urinfleck, der sich mit ein wenig Blut vermischte. Julius steckte sein Schwert wieder in die Scheide und ging zur Eingangstür, wo sich mehr als 30 Sklaven versammelt hatten.

Jeder der Flüchtlinge hielt ein kleines Bündel mit Kleidungsstücken im Arm. Ihre Augen waren im Licht der Lampen groß und verängstigt, und die Stille war fast schmerzhaft, als sie sich umdrehten und ihn ansahen.

»Nun gut. Heute Nacht könnt ihr in meinem Haus bleiben«, sagte Julius. »Ich suche Familien für euch, die ein Kind verloren haben und euch lieben werden.« Ihre glücklichen Mienen beschämten ihn mehr als Messerklingen. Wegen ihnen war er nicht hierher gekommen.

21

Der Sommer voller langer, geschäftiger Tage war bereits vorbei, aber der Winter lag noch in weiter Ferne, als sich Julius am Quirinal-Tor in den Sattel schwang, um sich seinen Legionen auf dem Campus anzuschließen. Er ergriff die Zügel, blickte sich um und versuchte, diesen letzten Anblick der Stadt in seinem Gedächtnis festzuhalten. Wer konnte schon wissen, wie lange er im fernen Gallien davon würde zehren müssen? Die Reisenden und Kaufleute, die in dem kleinen römischen Lager am fernen Fuß der Alpen gewesen waren, wussten von einem trostlosen Ort zu berichten, kälter als jeder andere, wo sie je gewesen seien. Julius hatte seinen Kredit nahezu ausgeschöpft, um Pelze und Vorräte für 10000 Soldaten zu kaufen. Er wusste, dass er diese Schulden irgendwann begleichen musste, aber jetzt wollte er sich von diesem Gedanken nicht die letzten Augenblicke in seiner Heimatstadt verderben lassen.

Das Quirinal-Tor stand offen, dahinter erblickte Julius den Campus Martius, auf dem seine Soldaten, zu schimmernden Rechtecken aufgestellt, geduldig warteten. Julius bezweifelte, dass es irgendwo eine Legion gab, die es mit der Zehnten aufnehmen konnte, und Brutus hatte hart gearbeitet, um aus den Männern, die er verpflichtet hatte, etwas Größeres zu machen. Julius war zufrieden mit dem Namen, den Brutus für sie ausgewählt hatte. Die Dritte Gallica würde in dem Land gehärtet werden, nach dem sie benannt worden war.

Brutus und Octavian schwangen sich neben ihm auf die Pferde, während Domitius ein letztes Mal seinen Sattelgurt überprüfte. Julius lächelte, als er ihre silbernen Rüstungen sah. Alle drei hatten sich das Recht, sie zu tragen, redlich verdient, aber in den Straßen beim Tor boten sie darin einen ungewöhnlichen Anblick, und schon jetzt war eine Horde Gassenjungen zusammengekommen, um mit den Fingern auf sie zu zeigen und sie anzustarren. Und das zu Recht. Jedes Teil ihrer Rüstungen strahlte so hell, wie man es mit Politur und Tüchern nur erreichen konnte, und Julius war begeistert von dem Gedanken, mit diesen Männern für Rom reiten zu dürfen.

Wenn Salomin mit ihnen geritten wäre, wäre es perfekt gewesen, dachte Julius. Mit Bedauern dachte er daran, dass es ihm nicht gelungen war, den kleinen Kämpfer davon zu überzeugen, mit ihnen nach Gallien zu ziehen. Salomin hatte lange von der römischen Ehre gesprochen, und Julius hatte ihm zugehört. Mehr konnte er nach Pompeius’ schändlichem Verhalten nicht für ihn tun, aber er hatte ihn nach der ersten Ablehnung nicht weiter bedrängt.

Die Monate im Senat hatten Julius’ Erwartungen bei weitem übertroffen, und das Triumvirat hielt besser, als er es zu hoffen gewagt hatte. Crassus hatte zügig die Fäden des Handels übernommen, seine Flotte konnte sich schon jetzt mit allem messen, was Karthago jemals hatte zur See fahren lassen. Seine neu gegründete Legion war von den besten Offizieren der Zehnten halbwegs in Form gebracht worden, und Pompeius würde die Arbeit nach dem Abmarsch der Zehnten und der Dritten Gallica fortsetzen. Die drei Männer hatten in ihren gemeinsamen Monaten widerwillig Respekt voreinander entwickelt, und Julius hatte das Abkommen, das er mit ihnen getroffen hatte, nicht bereut.

Nach der Wahlnacht war Bibulus zu keiner einzigen Sitzung im Senat erschienen. Gerüchte über eine langwierige Krankheit machten in der Stadt die Runde, aber Julius hatte über das, was geschehen war, Stillschweigen bewahrt. Er hatte sein Versprechen gegenüber den Kindern gehalten und sie nach Norden geschickt, wo sie bei liebevollen Familien aufwachsen würden. Aus Scham darüber, von ihrem Unglück profitiert zu haben, hatte er sie freigekauft, auch wenn das seine ohnehin schon knappen Mittel zusätzlich strapaziert hatte. Seltsamerweise hatte ihm diese einfache Tat mehr Befriedigung verschafft als fast alles andere in seinen Monaten als Konsul.

»Brutus!«, rief eine Stimme und riss ihn aus den Gedanken. Julius wendete sein Pferd, und Brutus lachte laut auf, als er Alexandria entdeckte, die sich durch die Menge zum Tor vorkämpfte. Als sie ihn erreichte, stellte sie sich auf Zehenspitzen, um sich küssen zu lassen, aber Brutus griff nach ihr und zog sie zu sich in den Sattel. Julius wandte den Blick ab, obwohl sie das kaum bemerkt haben durften. Es war schwer, nicht an Servilia zu denken, als er sah, wie glücklich sie zusammen waren.

Als Alexandria wieder auf der Straße abgesetzt wurde, fiel Julius ein Stoffbündel auf, das sie bei sich trug. Er hob die Augenbrauen, als sie es ihm hinhielt, noch immer rot im Gesicht von der Umarmung, die er mit angesehen hatte. Julius nahm das Bündel entgegen und wickelte es langsam aus. Er machte große Augen, als er einen kunstvoll gearbeiteten Helm erblickte. Er war aus poliertem Eisen gefertigt und glänzte vor Öl, aber das Merkwürdigste daran war der Gesichtsschutz, der seinen eigenen Zügen nachgebildet war.

Ehrfurchtsvoll hob ihn Julius über den Kopf und setzte ihn auf, wobei er die an Scharnieren befestigte Gesichtsmaske an ihren Platz schob, bis sie einrastete. Der Helm passte wie angegossen. Die Augen waren groß genug, um gut hindurchsehen zu können, und an den Reaktionen seiner Gefährten erkannte er, dass der Helm die Wirkung erzielte, die Alexandria erhofft hatte.

»Er hat einen kalten Gesichtsausdruck«, murmelte Octavian und starrte ihn an.

Brutus nickte, und Alexandria griff nach Julius’ Steigbügel, um ein paar Worte unter vier Augen mit ihm zu wechseln.

»Ich dachte, er wird deinen Kopf besser schützen als der Helm, den du normalerweise trägst. Oben ist eine Halterung für einen Federbusch, wenn du willst. In ganz Rom gibt es nichts Vergleichbares.«

Julius blickte sie durch die eiserne Maske an und wünschte sich einen schmerzhaften Augenblick lang, sie würde ihm gehören und nicht seinem Freund.

»Er ist vollkommen«, sagte er. »Ich danke dir.« Er beugte sich hinunter und umarmte sie, roch den kräftigen Duft, den sie immer trug. Einer plötzlichen Eingebung folgend nahm er den Helm ab, während sie zurücktrat, das Gesicht nicht nur von der Hitze gerötet. Die Legion würde noch etwas länger warten müssen. Vielleicht blieb ihm doch noch genug Zeit, Servilia zu besuchen, ehe er fort musste.

»Alexandria, ich muss dich bitten, uns zu entschuldigen«, sagte Julius. »Meine Herren? Ich habe in der Stadt noch etwas zu erledigen, ehe wir uns den Männern anschließen.«

Domitius schwang sich als Antwort in den Sattel, und die beiden anderen schlossen zu ihnen auf. Alexandria warf Julius eine Kusshand zu, als dieser seinem Pferd die Fersen in die Seiten drückte und sie durch die zurückweichende Menge die Straße hinunterritten.

Als sie sich Servilias Haus näherten, verlor Brutus etwas von dem Strahlen, das Alexandria auf sein Gesicht gezaubert hatte. Eigentlich war es ihm ganz recht gewesen, dass die Beziehung zwischen Julius und seiner Mutter zu Ende gegangen war. Jetzt jedoch, da er den erwartungsvollen Gesichtsausdruck seines Freundes sah, stöhnte er innerlich auf. Er hätte wissen sollen, dass Julius nicht so einfach aufgeben würde.

»Bist du dir sicher?«, fragte Brutus ihn, als sie vor der Tür abstiegen und die Pferde Servilias Sklaven übergaben.

»Allerdings«, erwiderte Julius und trat ein.

Als Konsul konnte Julius sich überall in der Stadt frei bewegen, aber sie alle vier waren in dem Haus auf verschiedene Art bekannt, und Octavian und Domitius blieben in einem Vorraum zurück, um die unerwartete Gelegenheit zu nutzen, sich von ihren Favoritinnen zu verabschieden. Brutus warf sich auf eine lange Liegebank und wartete dort. Als Einziger hatte er das Haus stets nur betreten, um seine Mutter zu besuchen. Alles andere hatte für ihn einen leicht inzestuösen Beigeschmack, und er ignorierte das Interesse der Mädchen, die für sie arbeiteten. Außerdem gab es ja noch Alexandria, wie er sich tugendhaft in Erinnerung rief.

Julius schritt durch die langen Flure zu Servilias Privatgemächern. Was sollte er ihr sagen? Sie hatten seit Monaten nicht mehr miteinander geredet, aber der Augenblick des Abschieds hatte etwas Magisches an sich, einen Mangel an Konsequenz, der es ihnen vielleicht ermöglichte, zumindest zu ihrer alten Freundschaft zurückzufinden.

Seine Stimmung hob sich, als er sie erblickte. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, das ihre Schultern freiließ, und er lächelte, als er die schwarze Perle sah, die in Gold gefasst auf ihrem Brustansatz lag. Alexandria hatte ihren guten Ruf wirklich verdient, dachte er.

»Ich gehe fort, Servilia«, sagte er und ging auf sie zu. »Nach Gallien. Ich war schon am Tor, aber dann musste ich an dich denken.«

Er glaubte ein leichtes Lächeln in ihren Mundwinkeln wahrzunehmen und fühlte sich dadurch ermutigt. Sie hatte noch nie so schön ausgesehen wie jetzt, und er wusste, dass er sich auf dem langen Marsch, der vor ihnen lag, jederzeit an ihr Gesicht würde erinnern können. Er ergriff ihre Hände, drückte sie und sah ihr in die Augen.

»Warum kommst du nicht mit?«, fragte er. »Ich könnte die beste Kutsche Roms im Tross mitführen. Im Süden Galliens gibt es eine römische Siedlung. Du könntest bei mir sein.«

»Damit du nicht selber nach Huren suchen musst, Julius?«, sagte sie leise. »Hast du Angst, so weit von Zuhause ohne Frau sein zu müssen?«

Er starrte sie entsetzt an und sah eine Kälte und Härte, deren Intensität beinahe Furcht erregend war.

»Ich verstehe dich nicht«, sagte er.

Sie zog ihre Hand zurück, und er schwankte. Er stand nahe genug bei ihr, um ihr Parfum riechen zu können, und es trieb ihn fast zum Wahnsinn, sie nicht berühren zu dürfen, nachdem sie ihm einmal ganz gehört hatte. Er spürte Zorn in sich aufsteigen.

»Du bist grausam, Servilia«, murmelte er, und sie lachte ihn aus.

»Weißt du, wie viele abgewiesene Liebhaber ich in diesem Haus schon habe herumbrüllen sehen? Auch Konsuln, Julius, oder glaubst du, die wären zu erhaben für derlei Szenen? Was immer du von mir willst, du wirst es hier nicht finden. Hast du verstanden?«

Irgendwo hinter ihr hörte Julius eine Männerstimme rufen. Er erstarrte.

»Crassus? Ist er hier?«

Servilia trat einen Schritt vor und drückte ihm die Hand gegen die Brust. Sie entblößte beim Sprechen die Zähne, und ihre Stimme hatte alles von der Weichheit verloren, die er so liebte.

»Es geht dich überhaupt nichts an, mit wem ich mich treffe, Julius.«

Julius verlor die Beherrschung und ballte die Fäuste. In seiner Wut dachte er daran, ihr die Perle vom Hals zu reißen, und sie wich vor ihm zurück, als hätte sie es gespürt.

»Bist du jetzt etwa seine Hure? Zumindest vom Alter her passt er ja auch besser zu dir«, sagte Julius.

Sie verpasste ihm eine kräftige Ohrfeige, und er antwortete mit einem Schlag, der ihren Kopf nach hinten warf und so schnell kam, dass die Geräusche beinahe gleichzeitig ertönten.

Servilia krallte mit ihrer anderen Hand nach seinen Augen und zerkratzte ihm die Wange. Julius fauchte sie an und ging auf sie los. Er war blind vor Wut, als sie vor ihm zurückwich, und dann verflog der Zorn und ließ ihn keuchend und dumpf zurück, mit verbittertem Gesicht. Ein Tropfen Blut aus einem der Kratzer fiel von seinem Kinn. Sein Blick folgte ihm.

»Das ist also dein wahres Wesen, Julius«, sagte sie und stand steif vor ihm.

Er sah, dass ihr Mund bereits anzuschwellen begann, und die Scham übermannte ihn.

Höhnisch verzog sie das Gesicht. »Ich frage mich, was mein Sohn wohl sagen wird, wenn du ihn das nächste Mal siehst.« Ihre Augen funkelten vor Bosheit, und Julius schüttelte den Kopf.

»Ich hätte dir alles gegeben, Servilia. Alles, was du wolltest«, sagte er leise. Dann ließ sie ihn stehen und ging davon.

Brutus war aufgestanden, als Julius durch die äußeren Räume des Hauses zurückeilte. Octavian und Domitius waren bei ihm, undJulius sah ihnen an, dass sie alles mit angehört hatten. Brutus war kreidebleich, seine Augen wirkten leblos, und Julius verspürte einen unwillkürlichen Schauer der Furcht, als er seinen Freund ansah.

»Hast du sie geschlagen, Julius?«, fragte Brutus.

Julius berührte seine blutende Wange. »Ich werde mich nicht vor dir rechtfertigen, nicht einmal vor dir«, erwiderte er und wollte an den drei Männern vorbeigehen.

Brutus’ Hand zuckte nach dem goldenen Griff des Schwertes, das er gewonnen hatte, aber Domitius und Octavian griffen nach ihren Klingen und stellten sich zwischen ihn und Julius.

»Lass das! «, fuhr ihn Domitius an. »Geh einen Schritt zurück!«

Brutus wandte seinen Blick von Julius ab und sah die beiden Männer an, die drohend vor ihm standen.

»Glaubst du wirklich, ihr könntet mich aufhalten?«, sagte er. Domitius erwiderte seinen finsteren Blick.

»Wenn es sein muss. Glaubst du, dass du irgendetwas änderst, wenn du dein Schwert gegen ihn erhebst? Was zwischen ihnen ist, geht dich genauso wenig an wie mich. Lass es gut sein.«

Brutus nahm die Hand vom Schwert. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann jedoch stürmte er an ihnen vorbei, hinaus zu den Pferden, sprang in den Sattel und galoppierte zum Stadttor zurück.

Domitius wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Er schaute zu Octavian hinüber und sah die Besorgnis im Gesicht des jungen Mannes, der sich zwischen Mächten gefangen sah, denen er nichts entgegenzusetzen hatte.

»Er wird sich wieder beruhigen, Octavian, verlass dich drauf.«

»Auf dem langen Marsch wird er es schon ausschwitzen«, sagte Julius und sah seinem Freund nach. Er hoffte, dass es stimmte. Noch einmal betastete er seine zerkratzte Wange und zuckte zusammen.

»Nicht gerade das beste Omen«, murmelte er vor sich hin. »Gehen wir, meine Herren. Fürs Erste habe ich genug von dieser Stadt. Sobald wir aus dem Tor geritten sind, lassen wir das alles hinter uns.«

»Das will ich hoffen«, sagte Domitius, aberJulius hörte ihn nicht.

Als sie auf das Quirinal-Tor zugeritten kamen, wartete Brutus dort im Schatten. Julius sah, dass seine Augen blutunterlaufene Löcher in einem mordlustigen Gesicht waren, und dirigierte sein Pferd neben ihn.

»Es war ein großer Fehler, noch einmal zu ihr zu gehen, Brutus«, sagte Julius und beobachtete ihn dabei genau. Er liebte seinen Freund mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt, aber wenn er mit der Hand nach dem Schwert greifen sollte, war Julius darauf vorbereitet, ihn niederzureiten, um einem Angriff zuvorzukommen. Jeder Muskel in seinen Beinen war angespannt und bereit, als Brutus aufblickte.

»Die Legionen sind marschbereit. Es wird Zeit«, sagte er. Seine Augen waren kalt, und Julius atmete langsam aus, während ihm die Worte in der Kehle erstarben.

»Dann führe uns hinaus«, sagte er leise.

Brutus nickte. Ohne ein weiteres Wort ritt er durch das Tor und hinaus auf den Campus und sah sich nicht noch einmal um. Julius trieb sein Pferd an, um ihm zu folgen.

»Konsul!«, ertönte ein Schrei aus der Menge.

Julius stöhnte laut. Nahm das denn nie ein Ende? Der Schatten des Tors war so verlockend nahe. Mit grimmigem Gesicht sah er eine Gruppe Männer auf die Pferde zulaufen. Herminius, der Geldverleiher, führte sie an, und als Julius ihn erkannte, blickte er voller Sehnsucht zum Tor.

»Herr, ich bin froh, dass ich dich noch erwische. Du willst doch bestimmt nicht die Stadt verlassen, ohne deine Schulden zu begleichen, nicht wahr?«, stieß Herminius vor Anstrengung keuchend hervor.

»Komm her!«, sagte Julius und winkte ihn zu sich. Er führte sein Pferd durch das Tor und auf den Campus hinaus, und Herminius folgte ihm verständnislos.

Julius blickte auf den Mann hinab.

»Siehst du diese Linie dort, wo das Tor eine Rille im Stein hinterlassen hat?«, fragte er.

Herminius nickte verdutzt, und Julius lächelte.

»Gut. Dann kann ich dir ja sagen, dass ich auch die letzte Kupfermünze, die ich mir borgen oder erbetteln konnte, darauf verwendet habe, meine Männer für Gallien auszurüsten. Allein die Vorräte und die Ochsen und Esel, die sie tragen, haben ein kleines Vermögen gekostet. Salz, Leder, Roheisen, Gold für Bestechungen, Pferde, Speere, Sättel, Zelte, Werkzeuge, die Liste hat kein Ende.«

»Herr? Willst du damit etwa sagen ... «, sagte Herminius, der allmählich zu verstehen begann.

»Ich will damit sagen, dass ich in dem Augenblick, als ich diese Linie überquert habe, meine Schulden hinter mir gelassen habe. Du hast mein Wort, Herminius. Ich werde dich bezahlen, sobald ich zurückkehre, bei meiner Ehre. Aber heute wirst du nicht eine Münze von mir bekommen.«

Herminius erstarrte vor hilfloser Wut. Sein Blick fiel auf die silbernen Rüstungen der Männer, die neben Julius ritten. Dann seufzte er und versuchte zu lächeln.

»Ich freue mich auf deine Rückkehr, Konsul.«

»Natürlich, Herminius«, antwortete Julius und neigte spöttisch den Kopf zum Gruß.

Als der Geldverleiher wieder verschwunden war, warf Julius noch einen letzten Blick zurück durch das Tor. Die Probleme der Stadt gingen ihn nichts mehr an, zumindest eine Zeit lang.

»Und jetzt«, sagte er und drehte sich zu Domitius und Octavian um, »ziehen wir nach Norden.«


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